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Full text of "Anselm v. Feuerbach und das Problem der strafrechtlichen Zurechnung"

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ABHANDLUNGEN  AUS  DEM 

SEMINAR  FÜR  STRAFREOIT  und  KRIMINALPOLITIK 

AN  DER  HAMBURGISCHEN  UNIVERSITÄT 


HERAUSGEBER: 

Professor  Dr.  M.  LIEPMANN 


Hefts: 

Änselm  v,  Feuerbach 

und  das  Problem 
der  strafrechtlichen  Zurechnung 

Von 

Dr.  MAX  GRÜNHUT 

Privatdozent  an  der  Hamburgischen   Universität 


IG78^  jENTE,  wissenschaftlicher  VERLAG,  HAMBURG 

1922  1922 

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Presented  to  the 

LIBRARY  ofthe 

UNIVERSITY  OF  TORONTO 

by  the 

INSTITUTE  FÜR 

CHRISTIAN  STUDBES 


HAMBURGISCHE  SCHRIFTEN 

ZUR  GESAMTEN 

STRAFRECHTSWISSENSCHAFT 


ABHANDLUNGEN  AUS  DEM 

SEMINAR  FÜR  STRAFRECHT  und  KRIMINALPOLITIK 

AN  DER  HAMBURGISCHEN  UNIVERSITÄT 


HERAUSGEBER: 

Professor  Dr.  M.  LIEPMANN 


Hefts: 

Änselm  v.  Feuerbach 

und  das  Problem 
der  strafrechtlichen  Zurechnung 

Von 

Dr.  MAX  GRÜNHUT 

Privatdozent  an  der  Hamburgischen   Universität 


W.  GENTE,  WISSENSCHAFTLICHER  VERLAG,  HAMBURG 

1922 


Diese   Arbeit  wurde   als 

Habilitationsschrift 

zur   Erlangung   der  Venia   legendi 

der  Rechts-   und   Staatswissenschaftlichen   Fakultät 

der   Hamburgischen   Universität 

vorgelegt. 


Anselm  v.  Feuerbach 

und  das  Problem 
der  strafrechtlichen  Zurechnung 


Von 

Dr.  Max  Grünhut 

Privatdozent  an  der  Hamburgischen  Universität 


Da  das  Geistige  wie  das  Materielle  wandelbar  ist 
und  der  Wechsel  der  Zeiten  die  Formen,  welche  das 
Gewand  des  äußern  wie  des  geistigen  Lebens  bilden, 
unaufhörlich  mit  sich  rafft,  ist  das  Thema  der  Ge- 
schichte überhaupt,  daß  sie  die  zwei  in  sich  identischen 
Grundrichtungen  zeige  und  davon  ausgehe,  wie  erstlich 
alles  Geistige,  auf  welchem  Gebiete  es  auch  wahr- 
genommen werde,  eine  geschichtliche  Seite  habe,  an 
welcher  es  als  Wandlung,  als  Bedingtes,  als  vorüber- 
gehendes Moment  erscheint,  das  in  ein  Großes,  für 
uns  unermeßliches  Ganzes  aufgenommen  ist,  und  wie 
zweitens  alles  Geschehen  eine  geistige  Seite  habe,  von 
welcher  aus  es  an  der  Unvergänglichkeit  teilnimmt. 

Denn  der  Geist  hat  Wandelbarkeit,  aber  nicht 
Vergänglichkeit. 

Jacob   Burckhardt. 


Vorwort. 


Die  nachfolgenden  Studien  sind  als  ein  Beitrag  zur  Dogmen- 
geschichte der  deutschen  Strafrechtswissenschaft  gedacht.  Sie  wollen 
an  einem  zentralen  kriminalistischen  Problem  die  grundlegenden 
Gedanken  Änselm  v.  Feuerbachs  lebendig  werden  lassen,  sie  aus 
den  wissenschaftlichen  und  rechtsgeschichtlichen  Strömungen  der  Zeit 
verstehen  und  zugleich  in  ihrer  Bedeutung  für  die  strafrechtlichen 
Fragen  der  Gegenwart  kennzeichnen.  Eine  gewisse  Willkür  in 
Auswahl  und  Gruppierung  des  überreichen  Stoffes  schien  dabei 
unvermeidlich. 

Dankbaren  Herzens  lege  ich  die  nachfolgenden  Blätter  in  die 
Hände  meines  verehrten  Lehrers,  des  Herausgebers  dieser  Sammlung. 
Wie  sehr  mein  strafrechtliches  Arbeiten  in  den  Grundlagen  und  in  der 
Auffassung  vieler  Einzelheiten  auf  seinen  Anregungen  beruht,  vermag 
am  besten  die  Abhandlung  selbst  zu  bezeugen,  zu  der  er  immer 
wieder  Rat  und  Hilfe  beigesteuert  und  überdies  manches  Mal  dem 
Verfasser  Geduld  und  Ausdauer  neu  gestärkt  hat. 

Herrn  Professor  Weygandt  darf  ich  für  die  freundliche  Durch- 
sicht der  Bemerkungen  zur  Geschichte  der  gerichtlichen  Psychiatrie 
herzlich  danken. 

HAMBURG,    November  1922. 

Max  Grünhut. 


.     Inhalt. 

I.  Kapitel  ^'"^ 

Feuerbachs    rechtsphilosophische    Ausgangspunkte 

Naturrecht,  Aufklärung,  Kritizismus 1 

Äußerer  Studiengang  Feuerbachs 6 

Der  autonome  Rechtsbegrit!  bei  Kant  und  Feuerbach ....  11 
Kriminalistische  Folgerungen:  Psychologische  Zwangstheorie 

und  Bindung  des  Richters  an  das  Strafgesetz 19 

Naturrechtliche    Nachwirkungen    in     der    Feuerbachschen 

Rechtsphilosophie 27 

II.  Kapitel 

Feuerbachs  Verhältnis  zu  zeitgenössischen  Krimi- 
nalisten 

Die    Anhänger    der    Spezialprävention:    Stübel,  Tittmann, 

Grolman 31 

Der  Streit  mit  Grolman 45 

Älmendingen 53 

Spätere   Schriften   Stübels,  Tittmanns,   Grolmans 55 

Die  strafrechtliche  Reformbewegung 60 

Beccaria,  Filangieri,  Hommel,  Michaelis,  Servin,  Gmelin  . .  62 

E.  F.  Klein 69 

III.  Kapitel 

Die  systematische  Ausgestaltung  der  Feuerbach- 
schen Zurechnungslehre  in  der  Revision  der 
Grundsätze  und  Grundbegriffe  des  positiven 
peinlichen    Rechts 

Begriff  der  Zurechnung    74 

Strafrecht  und  ethische  Werturteile :  Feuerbachs  Zurechnungs- 
lehre in  ihrem  Verhältnis  zu  Kant 

1.  Willensfreiheit  und  Verantwortlichkeit 7S 

2.  Der  Vergeltungsgedanke 91 

Zurechnungsfähigkeit  und  Strafwürdigkeit 99 

Kritik  des  Feuerbachschen  Begriffs  der  Zurechnungsfähigkeit  110 


lY.  Kapitel  Seiie 

Die  Reformbedürftigkeit   der  bayerischen  Kriminal- 
gesetzgebung 

Entwicklung  des  älteren  bayerischen  Kriminalrechts 117 

Kreittmayr  und  sein  Werk 121 

Schuld    und    Strafe    im    Codex    juris    Bavarici    Criminalis 

von  1751 129 

Die  strafrechtliche  Zurechnungslehre  bei  G.  Ä.  Kleinschrod  142 

Kleinschrods  Entwurf  von  1802 156 

V.  Kapitel 

Das   Bayerische   Strafgesetzbuch  von   1813 

Entstehungsgeschichte  des  Gesetzes 171 

Formale  Prinzipien     180 

Grundfragen  strafrechtlicher  Zurectinung    185 

Verminderte  Zurechnungsfähigkeit,  Schuldbeweis,  Strafbar- 
keit des  Versuchs 190 

Schuldformen 201 

Rechtsirrtum 203 

Praesumtio  doli 208 

Todesstrafe,  Freiheitsstrafen,  Ehrenstrafen 214 

VI.  Kapitel 

Feuerbach   als   Kriminalpsychologe 

Neue  Wendung  in  Feuerbachs  Leben 227 

Äktenmäßige  Darstellung  merkwürdiger  Verbrechen 230 

Psychologie  und  Verbrecherstudien 231 

Die  Anfänge  der  forensischen  Psychiatrie 242 

Medizinische   und    strafrechtliche   Beurteilung    der   Zurech- 
nungsfähigkeit bei  Feuerbach    249 

Schlußbetrachtung 261 

Literatur    263 

Zeitschriften 281 


Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2010  with  funding  from 

University  of  Toronto 


littp://www.archive.org/details/anselmvfeuerbachOOgr 


Erstes  Kapitel 

Feuerbachs  rechtsphilosophische 
Ausgangspunkte. 

Naturrecht,  Aufklärung  und  kritische  Philosophie  waren  die  treiben- 
den Mächte  der  deutschen  Rechtswissenschaft  vor  der  Wende  des 
18.  zum  19.  Jahrhundert.  Nicht  als  mechanisch  wirkende  Kräfte,  nicht 
als  konstante  Inbegriffe  feststehender  Gedankeninhalte,  denen  sich 
Personen  und  Zeitabschnitte  eindeutig  zuordnen  ließen,  sondern  als 
geistige  Strömungen,  die  sich  bald  feindlich  gegenübertraten,  bald 
einander  helfend  und  verstärkend  durchdrangen  und  befruchteten  und 
in  denen,  sie  bestimmend  und  durch  sie  bestimmt,  die  Menschen 
gedacht  und  gerungen  haben,  in  deren  Schaffen  und  Wirken  der  Gang 
der  Wissenschaft  vom  Recht  und  die  Entwicklung  des  Rechts  selber 
beschlossen  liegt.  Wie  jedes  Stück  Geistesgeschichte  zugleich  eine 
Geschichte  der  Menschen  ist,  in  denen  der  Geist  lebendig  war,  führt 
eine  dogmengeschichtliche  Betrachtung  des  Rechts  zu  den  Persönlich- 
keiten der  großen  Juristen.  Nur  in  seltenen  Äugenblicken  begnadet 
die  Geschichte  einen  Einzelnen,  in  dem  die  kulturellen  Mächte  der 
Zeit  und  die  schöpferischen  und  gestaltenden  Kräfte  des  Rechts  in 
solchem  Maße  in  lebendiger  Individualität  verkörpert  sind,  wie  in  der 
unvergleichlichen  Persönlichkeit  Änselm  v.  Feuerbachs.  Sein  Ringen 
und  Schaffen  im  Strom  des  geistigen  Lebens  seiner  Zeit,  die  individuelle 
Konzentration  der  herrschenden  Ideen  in  seiner  eigenen  Gedankenwelt 
und  der  bestimmende  Einfluß,  der  von  ihm  zurückwirkte  auf  Zeit  und 
Umwelt,  sind  auch  in  einzelnen  engen  Ausschnitten  seines  Wirkens 
erkennbar,  wenn  es  gelingt,  den  inneren  Zusammenhang  mit  Feuerbachs 
Persönlichkeit  und  wissenschaftlicher  Entwicklung  aufzudecken.  Das 
Problem  der  strafrechtlichen  Zurechnung,  die  Fragen  nach  den  Vor- 
aussetzungen und  dem  Maßstab  für  die  strafrechtliche  Verantwortlichkeit, 
hängen  aufs  engste  mit  den  letzten  Grundfragen  des  Strafrechts 
zusammen.  So  umschließt  die  Stellung  Feuerbachs  und  seiner  Zeit 
zur  strafrechtlichen  Zurechnungslehre  ein  Stück  von  der  Geschichte 
der  Anschauungen  über  Sinn  und  Wert  der  staatlichen  Strafe,  und  es 
werden  dabei  zugleich  Kräfte  sichtbar,  welche  noch  heute  in  der 
Strafrechtswissenschaft  wirksam  sind. 

1 


Das  Naturrecht,  die  alte  Lehre  von  dem  „Recht,  das  mit  uns 
geboren"  und  darum  in  seiner  Geltung  von  bestehenden  staatlichen 
Gesetzen  unabhängig  ist,  war  seit  Hugo  Grotius  in  steigendem  Maße 
in  fruchtbare  Beziehung  zum  positiven  Recht  getreten.  Mehr  und  mehr 
suchte  man  die  Regeln  des  positiven  Rechts  aus  allgemeinen  Prinzipien 
zu  entwickeln  und  seine  Geltung  durch  Zurückführung  auf  letzte, 
allgemeine  Grundsätze  wissenschaftlich  zu  erweisen.  Seit  der  Mitte 
des  18.  Jahrhunderts  aber  konkretisierte  sich  die  naturrechtliche  Doktrin 
von  einem  formalen  Erklärungsprinzip  zu  einem  selbständigen  Inbegriff 
inhaltlich  bestimmter  Vorrechte,  zu  einer  Quelle  neuer  materieller 
Rechtssätze,  welche  mit  dem  positiven  Recht  der  bestehenden  Gesetze 
konkurrierten.  Eine  Bewegung  von  ungeheurer  Resonanz  erhob  die 
großen  politischen  Forderungen  der  Zeit,  Freiheit,  Gleichheit,  Volks- 
souveränität, als  die  in  der  menschlichen  Vernunft  begründeten, 
unveräußerlichen  natürlichen  Rechte  zur  Idee  des  Rechts,  zu  dem 
Recht  schlechthin,  das  mit  dem  Anspruch  auf  Ällgemeinverbindlichkeit 
die  bestehenden  Gesetze  zu  meistern  suchte.  Dieser  Kultus  der 
Vernunft  führte  zu  einem  weitgehenden  Subjektivismus,  denn,  was  mit 
dem  Anspruch  auf  naturrechtliche  ÄUgemeingültigkeit  dem  bestehenden 
Recht  entgegengestellt  werden  sollte,  entnahm  der  reflektierende  Jurist 
den  Gedanken  der  eigenen  Brust.  Auch  im  Strafrecht  wurden  die 
überkommenen,  der  Zeit  längst  unverständlichen  Gesetze  durch  natur- 
rechtliche Neubildungen  modifiziert.  „Verlassen  von  Gesetzen,  die  nur 
den  gröbsten  Bedürfnissen  ihres  Zeitalters  abhelfen  sollten,  verwickelt 
in  unauflösliche  Widersprüche  und  undurchdringliche  Dunkelheiten  des 
positiven  Willens  der  Gesetze,  war  der  Geist  philosophischer  Rechts- 
lehrer gedrungen,  in  sich  selbst  die  Prinzipien  und  Hauptsätze  seiner 
Wissenschaft  zu  suchen  und  durch  Philosophie  die  unzähligen 
Lücken   des   Kriminalkodex   auszufüllen."^ 


'  Revision  der  Fortschritte  des  Kriminalrechts.  Ergänzungsblätter  zur 
Ällg.  Lit.  Zt.  I,  1.  Jena  und  Leipzig  1801.  Nr.  33,  Sp.  255.  Vgl.  über  diesen 
Aufsatz  unten  S.  25,  Änm.  1.  Zur  geschichtlichen  Entwicklung  der  neueren 
Naturrechtsbewegung  siehe:  Ä.  Lassen,  System  der  Rechtsphilosophie, 
Berlin  und  Leipzig  1882,  S.  28—108.  O.  v.  Gierke,  Johannes  Althusius 
und  die  Entwicklung  der  naturrechtlichen  Staatstheorien.  3.  Ausgabe,  Breslau 
1913  (Unters,  z.  dtsch.  Staats-  und  Rechtsgeschichte  VII).  Derselbe, 
Naturrecht  und  deutsches  Recht.  Breslauer  Rektoratsrede.  Frankfurt  a.  M. 
1883.  R.  Loening,  Über  geschichtliche  und  ungeschichtliche  Behandlung 
des  deutschen  Strafrechts.  Mit  Anmerkungen  zur  Geschichte  der  deutschen 
Strafrechtswissenschaft  seit  150  Jahren.  Z.  Str.  W.  Bd.  3,  1883,  S.  219  ff. 
K.  Bergbohm,  Jurisprudenz  und  Rechtsphilosophie  I.  Leipzig  1892, 
S.  148 — 231.  H.  Kantorowicz,  Die  Epochen  der  Rechtswissenschaft. 
In:   Die  Tat  VI,  Jena  1914/15,  S.  345— 361. 


Der  kulturgeschichtliche  Hintergrund  dieser  mehr  rechtspolitischen 
als  rechtsphilosophischen  Strömung  war  die  Aufklärung.  Ruf  allen 
Gebieten  geistigen  und  kulturellen  Lebens  legte  diese  Zeit  den  Maßstab 
subjektiver  Vernunft  an  die  überkommenen  Dogmen  und  Bindungen 
und  führte  allenthalben  zu  einer  Überwindung  mittelalterlicher  Lebens- 
formen. Mit  ihnen  verschwanden  die  letzten  Fesseln  scholastischer 
Denkweise,  schwanden  Leibeigenschaft  und  Feudalismus,  Tortur  und 
Scheiterhaufen.  Die  Macht  der  Kirche  wurde  durch  weitgehende 
Säkularisation  auf  politischem  und  geistigem  Gebiet  immer  mehr 
zurückgedrängt.  Eine  Rationalisierung  des  Lebens  hat  zwar  den 
Himmel  zu  entvölkern  gedroht,  aber  die  Erde  für  uns  wohnbar  gemacht. 
Im  Gedanken  der  Humanität  lebte  mit  dem  Glauben  an  das  Recht  der 
freien  Persönlichkeit  die  kühne  Hoffnung,  daß  es  gelingen  werde,  hier 
auf  Erden  das  Menschengeschlecht  zu  innerer  und  äußerer  Vollkommen- 
heit zu  führen.  Was  als  höchstes  Ziel  für  die  Entwicklung  der  Menschen 
den  kühnen  Reformfreunden  voranleuchtete,  was  eine  ideale  Rechts- 
ordnung gewähren  und  ermöglichen  sollte,  das  schien  ihnen  in  der 
ursprünglichen  Natur  eines  jeden  Menschen  beschlossen,  in  dem 
abstrakten  Begriff  des  Menschen  schlechthin  für  alle  Zeiten  und  Völker 
vorgezeichnet.  Wenn  sie  nach  rationalistischer  Weise  das  geschichtlich 
Gewordene  nach  abstrakten  Begriffen  zu  meistern  suchten,  wenn  sie, 
was  von  Rechtswegen  sein  sollte,  mit  dem  identifizierten,  was 
natürlicherweise  allein  sein  kann,  —  es  war  ja  nicht  ihr  Ziel, 
Gewordenes  zu  begreifen,  sondern  Überkommenes  in  Trümmer  zu 
schlagen  und  in  neue,  vollkommene  Formen  zu  gießen.  Schöner  sind 
kaum  diese  Männer  und  Zeiten  geschildert  worden  als  in  den  Worten 
des  Kriminalisten  Adolf  Merkel,  aus  denen  man  etwas  von  der  tiefen 
Herzensheiterkeit  Jean  Pauls  herauszuhören  vermeint:  „...  Es  war 
eine  schöne  Zeit,  die  Zeit  ihres  jugendlichen  Wirkens.  Nichts  schien 
dem  strebenden  Geiste  damals  unerreichbar.  Ein  glänzendes  Morgenrot 
breitete  sich  vor  dem  Äuge  jener  Trefflichen  über  Höhen  und  Tiefen 
des  Völkerlebens  aus  und  der  Odem  eines  goldenen  Zeitalters  ging 
leise,  verheißend  durch  die  Welt.  Sie  aber  standen  auf  ragender 
Warte,  des  Tages  harrend,  dem  Wanderer  vergleichbar,  der  auf  hoher 
Alpenspitze  die  nahende  Sonne  erwartet,  wenn  das  erste  Licht  die 
Nebel  zerteilend  die  zahllosen  Gipfel  rings  in  Purpur  kleidet  und  einen 
wundersamen  und  rührenden  Glanz  über  die  harrende  Welt  verbreitet."^ 


*  Merkel-Liepmann,  Lehre  von  Verbrechen  und  Strafe.  Stuttgart 
1912,  S.  39  f.,  Änm.  2.  Die  von  E.  Troeltsch  für  Below  und  Meineckes 
Handbuch  der  mittelalterlichen  und  neueren  Geschichte  angekündigte 
Geschichte  der  Äufklärungszeit  ist  leider  immer  noch  nicht  erschienen.  — 
Politische  Zusammenhänge  in  großen  Zügen  bei  Karl  Lamprecht,  Deutsche 


Mit  der  Erfüllung  ihrer  Forderungen  führte  die  Aufklärung 
zugleich  zu  einer  Überwindung  naturrechtlicher  Denkweise.  Der 
Liberalismus  wollte  den  Einfluß  staatlicher  Gewalt  gegenüber  der 
freien  Sphäre  des  Einzelnen  fest  begrenzen  und  gelangte  so  zu  der 
Forderung  strenger  Bindung  der  staatlichen  Organe  an  das  Gesetz: 
die  rechtsstaatliche  Neubildung  von  Justiz  und  Verwaltung  bedeutete 
eine  höchste  Steigerung  der  Autorität  des  positiven  Rechts.  Und 
zugleich  wurden  im  Konstitutionalismus,  in  der  Anteilnahme  der 
Bürger  an  der  Bildung  und  Ausübung  des  Staatswillens,  die  großen 
historischen  Kräfte  geschaffen,  welche  ein  Jahrhundert  lang  der 
Schöpfung  neuen  positiven  Rechts  in  nie  gekannter  Fruchtbar- 
keit gedient  haben. 

Die  Gestalt  Immanuel  Kants  erscheint  in  der  Geschichte  der 
Rechtswissenschaft  nicht  in  gleicher  Weise  wie  sonst  nur  als  der  alles 
Zermalmende,  sondern  wie  ein  wahrer  Januskopf  zugleich  der  geschicht- 
lichen Vergangenheit  und  der  zukünftigen  Entwicklung  zugewandt.^  Der 
kritischen  Philosophie  entsprach  es,  vor  dem  Erwerb  von  Kenntnissen 
nach  der  Möglichkeit  des  Erkennens,  vor  der  Verkündung  sittlicher 
Gebote  nach  der  Möglichkeit  der  Pflichterfüllung,  vor  der  Aufstellung 
von  Rechtsgesetzen  nach  der  Möglichkeit  des  Rechtes  selbst  zu  fragen. 
Die  Einsicht  in  diese  Problematik  hat  auf  dem  Gebiete  des  Rechts 
Kant  keineswegs  gehindert,  es  den  alten  Naturrechtslehrern  in  der 
Ableitung  inhaltlich  bestimmter  allgemeingültiger  Rechtssätze  aus  der 
Vernunft  nachzutun:  „Der  Zerstörer  des  flachen  Dogmatismus,  der 
Erneuerer  der  kritischen  Erkenntnistheorie  —  ein  Naturrechtsdoktrinär 
und  dazu  Stifter  der  zünftigsten  Naturrechtsschule,  die  es  je  gegeben 
hat!",  so  spottet  Bergbohm.-'  So  bewegte  sich  Kants  Einfluß  zunächst 
innerhalb  der  naturrechtlichen  Denkweise  und  drängte  lediglich  zu  einer 
Vertiefung  der  Methode,  indem  man  dem  formalen  Begriffe  des  Rechts, 


Geschichte  3,  II  (Bd.  9  der  ganzen  Reihe),  Berlin  1907,  23.  Buch,  1.  Kap. 
Neue  Anschauungen  von  Staat  und  Gesellschaft.  S.  3 — 122.  Manche 
historisch  merkwürdige  Einzelheit  aus  jener  Zeit  bei  Br.  Bauer,  Geschichte 
der  Politik,  Kultur  und  Aufklärung  des  18.  Jahrhunderts  I,  II,  1 — 3, 
Charlottenburg  1843—1845.  Von  speziellen  Gesichtspunkten  ausgehend, 
aber  auch  für  allgemeine  Fragen  wichtig:  Rudolf  Unger,  Hamann  und 
die  Aufklärung.  Studien  zur  Vorgeschichte  des  romantischen  Geistes  im 
18.  Jahrhundert.     I.  Bd.  Text.     Jena  1911.     S.  19-59. 

'  E.  Landsberg,  Geschichte  der  deutschen  Rechtswissenschaft  3,  I. 
München  und  Leipzig  1898.  S.  503  ff.  Auf  die  Landsbergschen  Bände 
des  großen  historischen  Äkademiewerkes  über  die  „Geschichte  der  Wissen- 
schaften in  Deutschland"  sei  an  dieser  Stelle  als  auf  die  unvergleichliche 
literarische  Grundlage  aller  dogmengeschichtlichen  Arbeit  aus 
dem  Gebiet  der  Jurisprudenz  grundsätzlich  verwiesen! 

"  K.  Bergbohm,  Jurisprudenz  und  Rechtsphilosophie  I,  S.  198. 


aus  dem  man  den  Inhalt  der  einzelnen  materiellen  Rechtssätze  ableitete, 
stärkere  Aufmerksamkeit  zuwandte  und  die  „reine  Vernunftidee  des 
Rechts"  in  ihrer  Selbständigkeit  von  Moral  und  Sitte  herauszustellen 
suchte.^  „In  die  Kantische  Revolution  der  Philosophie  wurde  auch  das 
Naturrecht  gezogen.  Der  Genius  der  Untersuchung,  der  bisher  auf 
diesem  Gebiet  geschlummert  zu  haben  schien,  raffte  sich  gleichsam 
auf.  Die  Mischung  der  Moral  und  Rechtslehre  sprang  in  voller  Klarheit 
einem  jeden  Parteilosen  in  die  Augen  und  man  sah  wohl  ein,  daß  nur 
das  Durchgraben  des  eigentlichen  Bodens  dieser  Wissenschaft,  daß  das 
Aufsuchen  fester,  von  moralischen  Grundsätzen  abgesonderter  Prinzipien 
die  Wissenschaft  ihrer  Bestimmung  näher  führen  könnte"  (Feuerbach)." 

Die  Aufklärung  verdankt  Kants  berühmter  Definition  von  1784 
die  unvergängliche  Deutung  ihres  Zieles  und  ihres  Wesens:  „Aufklärung 
ist  der  Ausgang  des  Menschen  aus  seiner  selbstverschuldeten  Unmündig- 
keit .  .  .  Sapere  aude!  Habe  Mut,  dich  deines  eigenen  Verstandes  zu 
bedienen!,  ist  also  der  Wahlspruch  der  Aufklärung."^  Das  Humanitäts- 
ideal fand  im  kategorischen  Imperativ,  in  dem  die  sittliche  Persönlichkeit, 
die  reine  praktische  Vernunft  zum  allgemeinen  moralischen  Gesetzgeber 
erhoben  wird,  seinen  metaphysischen  Ausdruck. 

Gleichwohl  lagen  in  der  Kantischen  Philosophie  die  Kräfte,  welche 
beiden,  Aufklärung  und  Naturrecht,  ein  Ende  zu  bereiten  bestimmt 
waren.  Gegenüber  dem  Polizei-  und  Wohlfahrtsstaat  der  älteren  Auf- 
klärung entsprach  dem  Kantischen  Rechtsbegriff  ein  Staat  im  Sinne 
einer  reinen  Rechtsanstalt,  dem  die  Garantie  der  Äufrechterhaltung  der 
Freiheit  aller  zugleich  Aufgabe  und  Begrenzung  seiner  Befugnisse  ist. 
In  diesem  formalen  Charakter  des  Kantischen  Rechtsbegriffes  lag  zugleich 
der  innere  Gegensatz  zu  den  naturrechtlichen  Konstruktionen.  Freilich, 
die  völlige  Unvereinbarkeit  von  Kritizismus  und  Rationalismus  auf  dem 
Gebiete  des  Rechts  haben  erst  spätere  Zeiten  aus  Kant  erschlossen, 
indem  sie  allein  dem  eigentlichen  kritischen  Nachweis  einer  Möglichkeit 
des  Rechts  überhaupt  Ällgemeingültigkeit,  jedem  einzelnen  materiellen 
Rechtssatz  aber  geschichtliche  Bedingtheit  zusprachen,  indem  sie  jenen 
formalen  Rechtsbegriff  zwar  als  Beurteilungsnorm,  ob  etwas  Recht  sei, 
anerkannten,  die  Ableitung  einzelner  inhaltlich  bestimmter  Rechtssätze 


^  Vgl.  hierzu:  W.  G.  Tafinger,  Über  die  Idee  einer  Kriminalgesetz- 
gebung in  Beziehung  auf  die  Wissenschaft  sowohl  als  das  praktische  Leben. 
Tübingen  1811.     S.  17  ff. 

^  Feuerbach,  Revision  der  Grundsätze  und  Grundbegriffe  des  positiven 
peinlichen  Rechts  Bd.  II.     Chemnitz   1800.     S.  465. 

^  Immanuel  Kant,  Beantwortung  der  Frage:  Was  ist  Aufklärung? 
Cassirer  Bd.  IV,  S.  169.  Über  den  historisch  verhältnismäßig  begrenzten 
Zusammenhang  dieses  „Programms"  siehe  G.  Beyer  haus,  Kants  „Programm" 
der  Aufklärung  aus  dem  Jahre  1784.     Kant-Studien  XXVI,  1—2,  S.  1  —  16. 


aus  ihm  aber  verwarfen.  So  blieb  vom  Naturrecht  nicht  sein  Inhalt, 
nicht  der  Codex  ewiger  Menschenrechte,  sondern  seine  Fragestellung, 
die  Methode,  „sich  zum  Recht  nicht  nur  deskriptiv  sondern  auch 
normativ,  nicht  urteilend  sondern  beurteilend  zu  verhalten,  aber  nicht 
irgend  eines  ihrer  Ergebnisse"  (Radbruch). ^  Ein  „Naturrecht  mit 
wechselndem  Inhalt",  in  dem  es  sich  nicht  um  einzelne,  inhaltlich 
feststehende  Rechtssätze  handelt,  sondern  um  eine  allgemeingültige, 
formale  Methode,  nach  der  „man  den  notwendig  wechselnden  Stoff 
geschichtlich  bedingten  Rechts  dahin  bearbeiten,  richten  und  bestimmen 
mag,  daß  er  die  Eigenschaft  des  objektiv  Richtigen  erhält"  (Stammler).^ 
Solche  Schlußfolgerungen  haben  ohne  Zweifel  zu  der  Isolierung  des 
Rechts  von  kulturellen  und  sozialen  Werten  und  zu  der  Formalistik 
der  „rein  juristischen  Methode"  beigetragen,  welche  das  Wesentliche 
der  Jurisprudenz  in  ihrer  logisch-konstruktiven  Arbeit  sehen  will.  Aber 
andererseits  hat  der  Verzicht  auf  ein  inhaltlich  bestimmbares  allgemeines 
Vernunftgesetz  den  Weg  zu  positiver  Gesetzgebungsarbeit  freigemacht, 
hat  die  kritische  Methode  durch  die  Überwindung  des  Naturrechts  der 
historischen  Rechtsschule  die  Wege  gebahnt.  Hat  doch  gerade  Savigny 
den  formalen  Charakter  der  Kantischen  Philosophie  früh  erkannt:  „Ich 
werde  nie  vergessen",  heißt  es  in  einem  Brief  an  Jacob  Friedrich  Fries, 
„wie  sehr  ich  bei  meiner  ersten  Bekanntschaft  bekümmert  war,  das 
Sittengesetz  in  meinem  Bewußtsein  —  nicht  zu  finden.  Der  Kummer 
ist  von  mir  gewichen,  und  es  ist  noch  die  Einsicht  hinzugekommen, 
daß  die  Sache  da  garnicht  zu  suchen  sei."^ 

Es  war  eine  Zeit  reichen  geistigen  Lebens  und  jener  hochentwickelten 
Kultur,  in  die  die  Schläge  der  großen  Revolution  von  Frankreich  her 
hereinklangen,  jenes  letzte  Jahrzehnt  des  1  S.Jahrhunderts,  in  welches  die 
Studienzeit  des  jungen  Feuerbach  fällt.*  ITjährig  bezog  er  im 
Jahre  1792  die  Universität  Jena.     Hochbegabt,  voll  glühenden  Eifers, 


'  G.  Radbruch,  Grundzüge  der  Rechtsphilosophie.    Leipzig  1914,  5.5. 

^  R.  Stammler,  Die  Lehre  von  dem  richtigen  Rechte.  Berlin  1902, 
S.  116{.  Gegen  diese  ganze  Richtung:  E.  Kaufmann,  Kritik  der  Neu- 
kantischen Rechtsphilosophie.    Tübingen  1921. 

'  Jac.  Friedr.  Fries,  Aus  seinem  handschriftl.  Nachlasse  dargestellt  von 
E.  L.  Th.  Henke,  Leipzig  1867,  S.  296f.  Siehe  hierüber:  Hermann  Cohen, 
Von  Kants  Einfluß  auf  die  deutsche  Kultur.  Marburger  Kaisergeburtstags- 
rede.    Berlin  1883.     S.  23ff. 

*  Die  Hoffnung,  welche  der  Berliner  Kriminalist  Hitzig  nach  Feuer- 
bachs Tode  äußerte:  „daß  er  doch,  was  jetzt  in  Deutschland  nicht  mehr  ein 
so  seltenes  Glück  ist,  als  es  wohl  früher  war,  einen  seines  Gegenstands 
würdigen  Biographen  fände,"  scheint  unerfüllt  zu  bleiben.  Die  wichtigste 
Quelle  für  Feuerbachs  Lebensgang  ist:  Anselm  Ritter  v.  Feuerbachs 
Leben  und  Wirken,  aus  seinen  ungedruckten  Briefen  und  Tagebüchern, 
Vorträgen     und    Denkschriften    veröffentlicht    von    seinem    Sohne    Ludwig 


ein  Vulkanus  von  früh  an,  in  dem  wie  mit  urwüchsiger  KraR  in  lebens- 
langem Wechsel  die  Stürme  eines  leidenschaftlichen  Temperaments  nach 
außen  drängten,  in  dessen  Leben  beständig  Zeiten  verhaltener  Erregung 
mit  vesuvischen  Ausbrüchen  empfindlichster  Reizbarkeit  wechselten,  hatte 
er  nach  zornigem  Streit  seine  Freiheit  dem  Vater  abgetrotzt.  Dem 
Elternhaus  des  Frankfurter  Advokaten  wandte  er  den  Rücken  und  floh 
nach  Jena.  Hier  in  der  Nähe,  in  Hainichen,  hatte  einst  seine  Wiege 
gestanden,  hier  nahm  ihn  die  Jungfer  Tante  in  ihr  gastliches  Haus,  hier 
ward  der  Heimatlose  der  alma  mater  dankbarer  Sohn. 


Feuerbach,  Leipzig  1852,  2  Bände,  sowie  für  die  Kieler  Zeit  neuerdings 
Liepmann,  Von  Kieler  Professoren.  Briefe  aus  drei  Jahrhunderten  zur 
Geschichte  der  Universität  Kiel,  Stuttgart -Berlin  1916,  S.  90  —  98.  Die 
vollständigste  Bibliographie  über  die  Fülle  kleinerer  biographischer 
Darstellungen  bei  Frantz  Dahl,  Juridiske  Profiler,  Kjobenhavn  og 
Kristiania  1920,  S.  77—85.  An  älteren,  z.  T.  auf  persönliche  Eindrücke 
zurückgehenden  Berichten  seien  erwähnt:  Brockhaus,  Zeitgenossen,  Neue 
Reihe  III,  11,  1823,  S.  159  — 174;  Hitzig  in  seinen  Ännalen  der  deutschen  und 
ausländischen  Kriminalrechtspflege  XV,  1833,  S.  398  —  410;  Mittermaier 
in  Bluntschli  und  Braters  deutschem  Staatswörterbuch  III,  1858,  S.  503 — 513; 
Äbegg  im  Gerichtssaal  Vlll,  1,  1856,  S.  230  —  237,  241-275.  —  Von 
Späteren  haben  über  Feuerbachs  Leben  geschrieben:  Glaser  (Ges.  kl. 
Schriften  über  Strafrecht,  Zivil-  und  Strafprozeß  1,  Wien  1868,  S.  19  —  61), 
Geyer  (Münchener  Festrede  zum  100.  Geburtstag  1875  und  Kl.  Schriften 
strafrechtlichen  Inhaltes,  München  1889,  S. 553  — 584),  Binding  (Straf rechtl. 
und  strafproz.  Äbhdlg.  1,  1915,  S.  507— 521).  Die  Darstellungen  in  Rottecks 
u.  Welckers  Staatslexikon  3.  Aufl.,  Bd.V,  1869,  S.  346— 354  und  in  der 
Ällg.  deutschen  Biographie  VI,  1877,  S.  731—745  stammen  von 
Marquardsen,  Ferner  K.  Th.  Heigel,  Aus  drei  Jahrhunderten,  Wien  1881, 
S.  234  —  257.  Mit  vielen  Literatur-  und  Quellenangaben  E.  Landsberg, 
Geschichte  der  deutschen  Rechtswissenschaft  3,  II,  München  1910,  Textband 
S.  112—139,  Notenband  S.  60-68.  —  Zum  Jahrhunderttag  des  Bay.  StGB. 
Erich  in  Äschaffenburgs  Monatsschrift  X,  1913,  S.  385—414,  Edw.  Baum- 
garten im  Gerichtssaal  81,  1913,  S.  98  — 150.  —  Von  speziellen  Gesichts- 
punkten gehen  aus  die  Studien  von  Holder,  Savigny  und  Feuerbach, 
Virchow  und  Holtzendorffs  Sammlung  wissenschaftlicher  Vorträge  XVI,  378, 
Berlin  1881;  Ä.  v.  Bechmann,  Feuerbach  und  Savigny,  Münchener 
Rektoratsrede  1894;  Fleischmann,  Anselm  v.  Feuerbach.  Der  Jurist  als 
Philosoph,  Erlangcr  Diss.  1906;  Edw.  Baumgarten,  Recht  der  Persönlich- 
keit und  Zweckgedankc  in  Theorie  und  Praxis  des  deutschen  Strafrechtes 
von  der  Carolina  bis  auf  Feuerbach,  Tübinger  Diss.  1907;  O.  Döring 
in  Kantstudien,  Ergänzungsheft  3,  Berlin  1907;  Jos.  Breuer,  Die  politische 
Gesinnung  und  Wirksamkeit  des  Kriminalisten  Anselm  v.  Feuerbach,  Straß- 
burger Diss.  1905;  Coenders,  Richtlinien  aus  den  Lehren  Feuerbachs  für 
die  moderne  Strafrechtsreform  (Recht  und  Staat  in  Geschichte  und  Gegen- 
wart 7),  Tübingen  1914;  Radbruch,  Feuerbach  als  Kriminalpsychologe 
(Äschaffenburgs  Monatsschrift  VI,  1910,  S.  1-9).  —  Zur  Familien- 
geschichte siehe  Henriette  Feuerbach,  Anselm  Feuerbachs  Leben, 
Briefe    und   Gedichte,   Bd.   I    der    von    Herm.    Hettner     herausgegebenen 


8 

Es  war  die  Zeit  Karl  Augusts,  Jenas  klassische  Zeit!'  Goethe 
kam  oft  von  Weimar  in  das  „liebe  närrische  Nest",  Schiller  hatte 
1 789  seine  Antrittsvorlesung  gehalten:  „Was  heißt  und  zu  welchem  Ende 
studiert  man  Universalgeschichte?",  in  der  er  am  Eingang  den  Hörern  dem 
philisterhaften  „Brotstudenten"  den  ewig  jugendlichen  „philosophischen 
Kopf"  gegenüberstellte  und  deren  Grundgedanken  durchdrungen  waren 
von  dem  stolzen  Selbstgefühl  des  aufgeklärten  Zeitalters,  dem  die  Fort- 
schritte bisheriger  Menschheitsentwicklung  zu  immer  höherer  Vollkommen- 
heit zu  führen  bestimmt  schien.  Feuerbachs  späterer  „Lehrer,  Freund 
und  Gegner"  Hufeland  lehrte  Naturrecht.  Als  Philosoph  galt  neben 
C.  E.  Schmid  K.  L.  Reinhold  als  Berühmtheit.  Dem  österreichischen 
Jesuitenkloster  entflohen,  nun  Wielands  Schwiegersohn,  war  er  einer 
der  einflußreichsten  Verkünder  der  Philosophie  Kants,  mit  dem  er  selbst 
in  regem  Briefwechsel  stand. ^  Es  war  Jenas  Glanzzeit,  berühmt  durch 
bedeutende  Männer  in  allen  Fakultäten,  so  der  Theologe  Griesbach, 
der  Naturwissenschaftler  Froriep.  Voran  aber  stand  die  Philosophische 
Fakultät,  deren  Ruhm  damals  alle  anderen  deutschen  Universitäten  über- 
sh-ahlte.  Fast  alle  führenden  Philosophen  haben  in  jenen  Jahren  dort 
gelernt  und  gelehrt:  Fichte,  der  Reinholds  Nachfolger  wurde.  Sehe  Hing 
und  Hegel,  Fries  und  Krause.  Auch  die  Brüder  Schlegel  haben 
dort  begonnen.  Waren  sie  auch  meist  nur  für  kurze  Zeit  dort,  so 
wollte  doch  jeder  gern  eine  Zeitlang  an  dem  regen  Austausch  geistigen 
Lebens  an  der  Jenaer  Universität  und  im  Kreise  ihrer  Freunde,  denen 
sich  zeitweilig  Alexander  und  Wilhelm  v.  Humboldt  mit  Caroline  zu- 
gesellten, teilhaben. 

Dem  jungen  Feuerbach  wurden  die  Professoren,  „die  Väter  auf 
der  Universität",  alsbald  zu  den  „besten  Freunden".     Mit  tiefer  Treue 


Nachgelassenen  Schriften  von  Änselm  Feuerbach  (Archäologe)  I  —  IV, 
Braunschweig  1853,  sowie  das  große  Werk  über  den  Maler  Änselm  Feuerbach, 
den  Enkel  des  Kriminalisten:  Julius  Allgeyer,  Änselm  Feuerbach.  In 
zweiter  Aufl.  in  2  Bänden  herausgegeben  von  Carl  Neumann,  Berlin  und 
Stuttgart  1904,  —  Nachricht  über  handschriftliches  Material:  Breuer, 
a.  a.  O.  pag.  V — VIII.  Daselbst  Angaben  über  sonstige  verstreute  biographische 
Mitteilungen.  An  Bildern  Feuerbachs  ist  am  bekanntesten  Kreuls  Porträt, 
das  freilich,  nach  Ludwig  Feuerbachs  Urteil,  „obwohl  ein  sehr  gutes 
Bild,  doch  mehr  den  Präsidenten  als  den  geistvollen  Menschen  darstellt". 
Wiedergaben  in  Bd.  1  von  Leben  und  Wirken  und  bei  Dahl  a.  a.  O. 
Ungleich  lebensvoller  ist  ein  Biid  aus  jüngeren  Jahren,  dessen  Wiedergabe 
der  ersten  Auflage  von  Radbruch,  Einführung  in  die  Rechtswissenschaft 
(V/issenschaft  und  Bildung  79),  Leipzig  1910,  vorangestellt  ist. 

^  K.  Biedermann,  Die  Universität  Jena  nach  ihrer  Stellung  und  Be- 
deutung in  der  Geschichte  des  deutschen  Geisteslebens.    Jena  1858.    S.  77  ff. 

-  Karl  Leonhard  Reinholds  Leben  und  literarisches  Wirken.  Heraus- 
gegeben von  Ernst  Reinhold.     Jena  1825. 


und  Dankbarkeit  hängt  er  an  seinem  Lehrer  Reinhold,  seinem  „Führer 
zum  Guten  und  väterlichen  Freund".  „Ihm  danke  ich  es  und  mit  mir 
unzählige  Jünglinge",  —  so  bekennt  er  bei  Reinholds  Weggang  nach 
Kiel  —  „daß  ich  besser  geworden  bin,  ihm  danke  ich  die  Ausbildung 
meines  Geistes  und  die  Schärfung  meiner  Denkkraft,  ihm  danke  ich  es 
endlich,  daß  ich  warmer  Freund  reeller  Wissenschaften,  Freund  des 
eigentlichen  angestrengten  Denkens  geworden  bin. "  ^  So  ward  Philosophie 
sein  Studium.  Kant  stählte  ihm  Seele  und  Verstand,  Rousseau  erwärmte 
die  Glut  des  Herzens.  Unruhig  und  begierig  nahm  er  die  Dinge  auf, 
brennend  vor  freudigem  Ehrgeiz,  in  heller  Begeisterung  dabei  mitten  im 
akademischen  Leben,  offenen  Sinnes  in  der  Hingebung  jugendlicher 
Freundschaft,  wenn  „die  Herzen  sich  wechselweise  ergossen,  die 
sich  schon  beim  ersten  Anblick  einander  zuschlugen".  Schwelgend 
in  der  Romantik  der  „Rudolphsburg"  und  den  Wäldern  des  Saale- 
tales, —  so  trinkt  er  in  vollen  Zügen  das  reiche  Leben  der  Studentenzeit. 
Früh  erwarb  er  den  Doktorhut,  schon  brachte  Niethammers  Journal 
die  ersten  Abhandlungen  aus  der  Feder  des  jungen  Philosophen,  da 
band  er  sein  Schicksal  an  die  Frau,  an  die  schöne  Mine  Tröster,  an 
deren  Seite  und  zugleich  nahe  den  verstehenden  Freunden  in  der  alten, 
nun  neugewonnenen  Thüringer  Heimat  zu  leben,  ihm  höchster  Wunsch 
an  das  Schicksal  schien.'  Nun  galt  es,  den  Vater  völlig  auszusöhnen, 
galt  es,  baldige  Heirat  möglich  zu  machen.  Darum  hieß  es  dem 
Lieblingsstudium  entsagen  und  ein  Brotfach  ergreifen:  Jurisprudenz! 
Nach  Jahren  hat  der  gefeierte  Rechtsgelehrte  dem  Sohn  Änselm,  dem 
Vater  des  liebenswerten,  unglücklichen  Malers,  von  der  schweren 
Entsagung,  aber  auch  von  der  Kraft  zielbewußten  Pflichtgefühls 
gesprochen,  die  der  21jährige  damals  erlebte.'^  Mit  dem  Ernst  der 
Arbeit  stellte  sich  die  Freude  auch  an  dem  neuen  Gegenstand  ein, 
die  Beschäftigung  mit  den  Quellen  selbst  zog  ihn  an,  bald  schien  ihm 
das  Corpus  iuris  kein  confusum  Chaos  mehr,  sondern  „ein  Produkt 
tiefster  Weisheit,  der  innigsten  Kenntnis  des  Menschen  und  seines 
Geistes".*    Freilich,  seinem  Schicksal  entgeht  keiner:  der  „schlüpfrige 


'  Feuerbach,  Leben  und  Wirken  I,  S.  8  und  9.  —  Doch  scheinen 
die  Meinungen  über  den  wissenschaftlichen  Wert  der  Reinholdschen  Vor- 
lesungen bei  älteren,  kritischen  Hörern  geteilt  gewesen  sein.  So  wird  von 
dem  Leipziger  Philologen  Gottfried  Hermann,  der  als  junger  Magister  bei 
Reinhold  Kant  studieren  wollte,  berichtet,  ihn  habe  dessen  Bestreben,  das 
System  Kants  zu  popularisieren  und  allgemein  faßlich  zu  machen  und  alle 
Schwierigkeiten  wegzuräumen,  enttäuscht.  Vgl.  Otto  Jahn,  Biographische 
Aufsätze.     Leipzig  1886,  S.  99. 

'  Fe  u  erb  ach,  Leben  und  Wirken  I,  S.  16. 

"  Ebendort  II,  S.  132  ff. 

*  Ebendort  I,  S.  26  f. 


10 

Pfad  des  akademischen  Lebens",  den  er  mit  der  Abkehr  von  der 
Philosophie  als  die  Torheit  jugendlicher  Unbesonnenheit  verlassen 
wollte,  war  ihm  gleichwohl  vorbestimmt.  Kurz  nach  seiner  juristischen 
Promotion  1799  wurde  er  Privatdozent.  Bald  hält  er  wohlbesuchte 
Kollegs:  Rechtsgeschichte,  Institutionen,  peinliches  Recht.  Schüler 
reihen  sich  um  ihn:  Gildemeister,  einer  seiner  „ersten  und  talent- 
vollsten Schüler",  Lehmann  aus  Göttingen  „ein  interessanter  Mensch, 
voller  Kenntnisse".^  In  2  Jahren  wird  er  Extraordinarius  und  alsbald 
Beisitzer  des  Schöppenstuhls  und  ordentlicher,  wenngleich  unbesoldeter, 
Professor  des  Lehnrechts.  Sein  Ruf  dringt  nach  auswärts.  Ein 
Monat  bringt  ihm  vier  Berufungen. 

Im  Frühjahr  1802  geht  er  als  Ordinarius  nach  Kiel,  dem 
„freundlichen,  munteren  Ort,  voll  liebenswürdiger,  guter,  treuherziger 
Menschen".  Seit  dem  Fackelzug  bei  Reinholds  Weggang  war  kein 
Hochschullehrer  so  geehrt  worden  wie  Feuerbach,  dem  die  Studenten, 
ähnlich  wie  Reinhold,  eine  Ehrenmedaille  prägten:  Praeceptori  optimo, 
quem  Jena  sibi  ereptum  dolet,  Kiloniae  donatum  gratulatur  f.  f.  pietas 
auditorii  Jenensis.^  Mit  Freuden  begann  er  die  Arbeit  der  Kieler  Zeit. 
In  Jena  war  er  bloß  Gelehrter,  hier  wird  er  Mensch.  „Nie  war  ich 
tätiger,  nie  habe  ich  mehr  gelernt  und  mehr  gewirkt  als  hier,  und 
doch  habe  ich  weniger  als  sonst  an  meinem  Pult  gesessen."^  Der 
freundliche  Ort  wirkt  auf  ihn  unvergleichlich  erheiternd,  die  Segelboote 
auf  der  grünen  Flut,  kriegerische  Fregatten  und  friedliche  Kauffahrtei- 
schiffe. Den  Wein  läßt  man  sich  hier  „trefflich  schmecken",  er  hat 
„von  dem  besten  Medoc  im  Keller".  Welche  Freude  für  den  Binnen- 
länder, wenn  er  „aus  dem  Wäldchen  auf  Düsterbrook  den  himmelblauen 
Wellen  in  ihrem  Spiel"  zusieht  oder  „selbst  in  einem  Segelboote  auf 
ihren  Spitzen  tanzt" !  Reinhold  nahm  den  einstigen  Jenenser  Schüler 
mit  Freuden  auf,  der  Kreis  um  Hegewisch,  den  „tätigsten  Schriftsteller 
in  Kiel",  und  um  Hensler  bringt  ihm  Anregung  und  Erholung,  bei 
dem  Curator,  Staatsminister  von  Reventlow,  einem  „ungemein  liebens- 
würdigen und  kenntnisreichen  Mann"  ist  er  häufiger  Gast.  „Der  ganze 
akademische  Senat  ist  nur  eine  Familie,  eine  Gesellschaft  von  Freunden . . . "  ^ 
Eine  Idylle,  die  ihn  wohltuend  und  verlockend  aufnahm  —  die  ihm 
aber  kein  dauernder  Gewinn  sein  konnte.  Da  war  er  doch  von  Jena 
eine  andere  geistige  Beweglichkeit  gewohnt  als  in  der  norddeutschen 
Kleinstadt,  eine  andere  Hörerschaft  als  die  „holsteinischen  Klötze", 
deren    „Nationalcharakter    zu    sehr    in    den    Körper    treibt:    die    viele 


'  Ebendort  I,  S.  55,  54. 

'  Ebendort  I,  S.  66. 

'  Ebendort  I,  S.  78. 

*  Ebendort  I,  S.  72,  73,  84,  92  f.,  75. 


11 

Krütze  (sie)  und  das  häufige  fette  Rindfleisch  muß  sich  endlich  auch 
den  Köpfen  mitteilen"!  Es  ward  ihm  zu  eng,  zu  unbefriedigend  in 
Kiel,  und  so  ging  er  schon  nach  zwei  Jahren  mit  Freuden  daran, 
seinen  „Katheder  von  den  Ufern  der  Ostsee  hinter  die  Donau  zu 
versetzen" :  durch  kurfürstliches  Dekret  wurde  er,  der  erste  Nichtbayer, 
der  erste  Protestant,  an  die  Universität  Landshut  berufen/ 

Die  Grundlagen  der  strafrechtlichen  Lehren  Feuerbachs  sind  bereits 
in  seinen  philosophischen  Jugendarbeiten  vorgezeichnet.  Früh  hat  er 
sich  schon  in  seiner  philosophischen  Epoche  Problemen  des  Rechts 
zugewandt,  so  wie  später  der  Kriminalist  auf  Jahre  hinaus  den  Philo- 
sophen der  Kantischen  Schule  nicht  verleugnen  mochte.  Als  echter 
Jünger  der  kritischen  Philosophie  müht  er  sich  von  Anfang  an  um 
die  Grundfrage  nach  dem  Wesen  des  Rechts,  fragt  er  vor  der 
Ableitung  einzelner  materieller  Rechtssätze,  ob  überhaupt  aus  der 
Vernunft  Recht  hervorgehen  kann.  Den  „Vater  des  Naturrechts" 
nannte  ein  zeitgenössischer  Rezensent  den  jungen  Feuerbach, ^  nicht 
ahnend,  daß  mit  solcher  Vertiefung  der  naturrechtlichen  Methode  — 
der  Bestand  des  Naturrechts  alsbald  in  Frage  gestellt  war. 

Der  Rechtsbegriff,  der  Feuerbach  vorschwebte,  sollte  autonom 
sein.  Recht  sollte  mehr  sein  als  eine  Ausstrahlung  der  Moral,  sollte 
nicht,  wie  er  es  von  seinem  Lehrer  Reinhold  gehört  hatte,  im  Verhältnis 
zum  Sittengesetz  heteronom  bleiben.  Reinhold  nannte  Recht  dasjenige, 
„was  durch  Freiheit  des  Willens  vermittelst  des  Sittengesetzes  möglich 
ist,"^  d.  h.  was  vom  Sittengesetz  weder  geboten  noch  verboten  ist.* 
Unter  diesen  allgemeinen  Begriff  fallen  innere  und  äußere  Rechte, 
„Gewissensrechte"  und  „Naturrecht".  Im  juristischen  Sinne,  im  Sinne 
des  Naturrechts,  habe  ich  nach  Reinhold  ein  Recht  gegen  jemand, 
wenn  dieser  mich  rechtswidrig  angreift,  „folglich  durch  das  von  dem 
anderen  übertretene  Sittengesetz". '^ 

In  zwei  Gruppen  teilt  Feuerbach  die  Versuche  ein,  das  Recht  aus 
dem  Sittengesetz  herzuleiten,  die  „absoluten"  Methoden,  nach  denen 
das  Recht  mit  den  sittlichen  Pflichten  des  Berechtigten  zusammenfällt 
und  seine  Kraft  aus  der  Wirksamkeit  des  Sittengesetzes  unmittelbar 
erhält   und   die    „relativen"    Methoden,    welche    das    Recht    auf    die 


'  Leben  und  Wirken  I,  S.  90  f. 

'^  Leben  und  Wirken  I,  S.  28. 

'  K.  L.  Reinhold,  Briefe  über  die  Kantische  Philosophie  II.  Bd. 
Leipzig  1792,  S.  193. 

*  K.  L.  Reinhold,  Beitrag  zur  genaueren  Bestimmung  der  Grund- 
begriffe der  Moral  und  des  Naturrechts.  Neuer  teutscher  Merkur  v.  J.  1792 
I.  Bd.     Weimar  1792.     6.  Stück,  S.  105  ff.,  vgl.  S.  120. 

^  Briefe  über  die  Kantische  Philosophie  II.  Bd.,  S.  153. 


12 

mittelbaren  Wirkungen  zurückführen,  welche  von  derjenigen  sittlichen 
Pflicht  ausgehen,  die  für  den  andern  gilt,  der  dem  Berechtigten  als 
Verpflichteter  gegenüber  steht.  ^ 

Die  Wirksamkeit  des  Sittengesetzes  besteht  nach  Feuerbach 
allein  darin,  daß  es  Pflichten  begründet.  Es  erlaubt  ein  Verhalten 
nur  insofern,  als  es  auf  seine  Wirksamkeit  verzichtet.  „Das  Sitten- 
gesetz als  tätig  erlaubt  nichts,  aber  es  erlaubt,  inwiefern  es  nicht 
tätig  ist,  sondern  als  ruhend  betrachtet  wird."^  Nicht  von  einem 
Berechtigen,  nur  von  einem  Nichtverbieten  kann  man  hier  sprechen. 
Man  kann  ein  solches  nicht  verbotenes  Verhalten  immerhin  recht 
nennen,  das  Recht  ist  mehr  als  ein  ethisches  aSi-icpopov  oder,  wie 
Feuerbach  es  ausdrückt,  etwas  anderes  als  nur  eine  Negation  des 
Sittengesetzes.  „Beruhigt  blicke  ich  in  mein  Inneres,  wenn  ich  finde, 
daß  das,  was  ich  tat,  recht  war;  aber  frei  und  mutig  blicke  ich  um 
mich  her,  wenn  ich  weiß,  daß  ich  ein  Recht  habe."^  Vollends 
bliebe,  wäre  das  Recht  inhaltlich  gleichbedeutend  mit  sittlich  zulässigem 
Verhalten,  jener  immer  wieder  erlebte  tragische  Zwiespalt  zwischen 
rechtlicher  Bindung  und  sittlicher  Pflicht  —  summum  ius  summa 
iniuria  —  schlechthin  unerklärlich. 

Ebenso  weist  Feuerbach  die  Unzulänglichkeit  der  relativen 
Methode  nach.  Nach  ihr  sollte  sich  aus  der  Verbindlichkeit  des  Ver- 
pflichteten das  Recht  als  die  Befugnis  des  andern,  des  Berechtigten 
ableiten  lassen.  Alles,  so  wird  geschlossen,  was  der  eine  leiden  muß, 
ist  des  anderen  Recht.  Ich  habe  zu  allem  Recht,  was  zu  dulden 
der  andere  verpflichtet  ist.  Recht  ist:  „Nicht-gehindert-werden-dürfen".* 
Aber  auch  auf  diesem  Wege  kommt  man  nicht  zu  einem  Rechts- 
begriff, der  inhaltlich  Wesentliches  enthält:  „denn  wie  kann  sein  (des 
andern)  Unrecht  meine  Handlung  rechtmäßig  machen?"^  Aus  der 
Pflicht  des  andern  folgt  noch  nicht  das  Recht,  die  Innehaltung  dieser 
Verpflichtung  zu  erzwingen.  Vielmehr  wird  eine  Pflicht  erzwingbar 
(„vollkommen")  erst  dadurch,  daß  ein  Recht,  sie  zu  erzwingen,  besteht. 
Es  ergibt  sich  somit,  „daß  die  Rechte  nicht  vollkommene  Pflichten, 
sondern  die  vollkommenen  Pflichten,  inwiefern  sie  vollkommen  sind, 
die  Rechte  voraussetzen".^ 


'  Feuerbach,  Versuch  über  den  Begriff  des  Rechts.  Niethammers 
Journal  II.  Bd.,  2.  Heft,  S.  138  ff.;  vgl.  S.  144  f.  Feuerbach,  Kritik  des 
natürlichen  Rechts . . .     Ältona  1796.     S.  94  ff.  und  S.  139  ff. 

■  Kritik  des  natürlichen  Rechts  S.  104. 

"  Ebendort  S.  114. 

*  Ebendort  S.  145. 

'"  Ebendort  S.  146. 

«  Ebendort  S.  174. 


13 

Huf  diese  Kritik  folgt  nunmehr  die  eigene  Lösung  Feuerbachs: 
Die  Ableitung  des  Rechts  aus  einer  gegenüber  dem  sittlichen 
Vermögen   selbständigen   Funktion   der  Vernunft. 

Das  Vermögen,  das  sich  auf  die  Willensbestimmung  bezieht, 
heißt  praktische  Vernunft.  Der  Wille  ist  das  „Vermögen,  sich  mit 
dem  Bewußtsein  eigener  Tätigkeit  zur  Hervorbringung  einer  Vorstellung 
zu  bestimmen".^  Die  Hervorbringung  der  Vorstellung  kann  als  not- 
wendig oder  nicht  notwendig  bestimmt  werden.  Diejenige  Funktion 
der  praktischen  Vernunft,  bei  der  die  Bestimmung  als  notwendige 
gegeben  ist,  ist  die  moralische,  entsprechend  dem  Wesen  der  Pflicht: 
Du  sollst;  diejenige,  bei  der  diese  Bestimmung  nicht  als  not- 
wendig gegeben  ist,  ist  die  juristische,  entsprechend  dem  Wesen 
des  Rechts:  Du  darfst.  Es  liegt  dieser  Deduktion  der  Gedanke 
zugrunde,  daß,  wie  das  Leben  des  Menschen  undenkbar  wäre,  wenn 
ihn  nicht  das  eigene  Gewissen  an  seine  Pflichten  mahnte,  ebenso 
notwendige  Voraussetzung  seines  Daseins  ist,  daß  er  bestimmte 
Handlungen  zu  tun  oder  zu  unterlassen  berechtigt  ist.  Mag  dies 
im  einzelnen  noch  so  verschieden  gestaltet  sein,  wir  können  uns 
des  Menschen  Verhältnis  zu  den  verschiedenen  Möglichkeiten  des 
Handelns  immer  nur  unter  der  Form  denken,  daß  er  Rechte  und 
Pflichten  hat. 

Mit  dieser  Deduktion  ist  eine  Form  gefunden,  unter  der  wir  uns  das 
Wesen  des  Rechts  als  etwas  Eigenartiges,  gegenüber  der  Moral  begrifflich 
Selbständiges  vorstellen  können.  Aber  dieser  von  der  Sittlichkeit 
unabhängige  Begriff  des  Rechts  läßt  nur  die  formale  Struktur  des 
Rechts  erkennen,  über  Inhalt  und  Wesen  des  Rechts  vermag  er  uns 
nichts  zu  sagen.  Erst  wenn  nachträglich  das  Recht  wiederum  zur 
Sittlichkeit  in  Beziehung  gesetzt  wird,  erhält  der  —  grundsätzlich  von 
der  Sittlichkeit  unabhängige  —  Begriff  des  Rechts  Leben  und  Farbe. 

Die  Vernunft  ist  ein  Begriff,  unter  dem  wir  eine  Fülle  von  Einzelheiten 
in  systematischer  Einheit  zusammenfassen.  Diese  vereinheitlichende 
Tendenz  zeigt  sich  bei  der  praktischen  Vernunft  in  einem  für  alles 
menschliche  Wollen  und  Handeln  gesetzten  höchsten  Zweck.  „Die 
Vernunft  setzt,  vermöge  ihrer  Form,  welche  systematische  Einheit  ist, 
dem  Willen  einen  höchsten  Zweck,  indem  sie  ihm  ein  absolutes, 
schlechthin  durch  sich  selbst  gültiges,  allgemeines  und  notwendiges 
Gesetz  vorschreibt."^  Zur  Erfüllung  der  aus  diesem  absoluten  Gesetz 
sich  ergebenden  Verbindlichkeiten  wählt  die  Vernunft  zwei  Mittel: 
sie  macht  diese  Erfüllung  in  der  Moral  dem  Menschen  zur  Pflicht 
und   sie   gibt   ihm   im   Recht   die  Möglichkeit,    diese   Pflichten  zu 

'  Ebendort  S.  248. 
=*  Ebendort  S.  251  ff. 


14 

erfüllen.  Um  dem  Dienst  sittlicher  Pflichterfüllung  leben  zu  können, 
muß  der  Mensch  frei  in  seinem  Tun  sein;  um  sich  allein  sittlicher 
Bindung  zu  unterwerfen,  muß  er  unabhängig  sein  von  äußerem  Zwang. 
Denn  allein  um  des  Sittengesetzes  willen  handelt  nur  derjenige,  dem 
es  freisteht,  auch  entgegengesetzt  zu  handeln.  Es  kommt  nicht  darauf 
an,  daß  „die  Pflichten  der  Erscheinung  nach  erfüllt  werden  (dies  gibt 
bloße  Legalität),  sondern  auch,  daß  das  bepflichtete  Subjekt  sich  frei 
zur  Erfüllung  derselben  bestimmt".^  Hier  liegt  die  Wurzel  des  Rechts 
im  Sinne  von  Freiheit.  „Gibt  die  Vernunft  das  Recht  zur  Freiheit, 
als  einer  Bedingung  der  Erreichung  des  höchsten  Zwecks,  so  muß 
sie  auch  dadurch  unmittelbar  um  dieses  Rechtes,  mittelbar  um  des 
Sittengesetzes  und  des  höchsten  Zwecks  willen  nicht  allein  die  Hand- 
lungen sanktionieren,  durch  welche  sich  das  Subjekt  für,  sondern  auch 
gegen  das  Sittengesetz  bestimmt."''  Z.  B.:  Warum  habe  ich  das 
Recht,  mir  das  Leben  zu  nehmen?  —  Hätte  ich  kein  Recht  dazu,  so 
wäre  Selbstmord  eine  Rechtswidrigkeit.  Ich  wäre  rechtlich  verpflichtet, 
mir  nicht  das  Leben  zu  nehmen  und  könnte  zur  Erfüllung  dieser 
Verpflichtung  durch  Zwang  angehalten  werden.  Dann  wäre  der 
Verzicht  auf  Selbstmord  keine  sittliche  Tat.  „Denn  ich  hätte  die 
Pflicht  nicht  durch  Freiheit,  sondern  durch  Nohvendigkeit  erfüllt.  Die 
Vernunft  muß  aber  Freiheit  in  Erfüllung  der  Pflichten  wollen.  Folglich 
muß  sie  mir  das  Recht  geben,  mich  zur  Erfüllung  der  Pflicht  nicht 
zwingen  zu  lassen,  sie  muß  mir  das  Recht  geben,  mir  das  Leben 
zu  nehmen."^ 

Aber  diese  Freiheitssphäre  darf  nicht  ohne  Schutz  bleiben.  Wenn 
dem  sittlich  Handelnden  in  dem  Verhalten  anderer  ein  Hindernis 
entsteht,  sanktioniert  das  Recht  einen  Zwang  gegen  diese  anderen  auf 
Beseitigung  des  Hindernisses.  Huf  diese  Weise  gelangt  Feuerbach  in 
der  „Kritik  des  natürlichen  Rechts"  zu  der  Ableitung  einer  zweiten,^ 
dem  Rechte  wesentlichen  Eigenschaft,  der  Erzwingbarkeit.  In  diesem 
Sinne  ist  Recht  ein  Zwangsrecht,  damit  „mir  die  Erreichung  des 
höchsten  Zwecks  durch  Erfüllung  meiner  Pflichten  möglich  werde,  in 
Beziehung  auf  andere  vernünftig  sinnliche  Wesen,  die  in  eine  Sphäre 
meiner  Handlungen  mit  Gewalt  eingreifen  können.  Dieses  kann  nicht 
anders  geschehen  als  dadurch,  daß  ich  dem  Zwang  der  anderen 
Zwang  entgegensetze."^ 


'  Feuerbach,  Über  die  einzig  möglichen  Beweisgründe  gegen  das  Dasein 
und  die  Gültigkeit  der  natürlichen  Rechte.     Leipzig  und  Gera  1795,  S.  95  ff. 
'  Über  die  einzig  möglichen  Beweisgründe ...  S.  96  L 

*  Kritik  des  natürlichen  Rechts  S.  291. 

*  Kritik  des  natürlichen  Rechts,  Vorrede  pag.  XXVII. 
^  Kritik  des  natürlichen  Rechts  S.  258. 


15 

So  kommt  Feuerbach  zu  dem  Ergebnis:  Das  Recht  ist  seinem 
Wesen  nach  etwas  Selbständiges  und  von  der  Moral  Unabhängiges. 
„Das  Naturrecht  hat  mit  der  Moral  nichts  gemein  als  ihre 
allgemeine  Quelle  —  die  Vernunft,  und  zwar  die  praktische 
Vernunft.  Im  übrigen  sind  sie  durchgängig  voneinander  ver- 
schieden."^ Aber  dieses  Recht,  das  etwas  anderes  ist  als  Sittlichkeit, 
wird  angewandt  um  des  Sittlichen  willen,  dient  der  Erfüllung 
sittlicher  Pflichten.     Denn    „Moralität  ist  Endzweck   der  Welt".- 

Eine  scholastische  Argumentation!  Und  doch  sind  diese  abstrakten 
Sätze  Grundlagen,  auf  denen  der  ganze  Bau  der  Feuerbachschen 
Lehren  ruht.  Die  Autonomie  des  Rechts  durchzieht  wie  ein  Grund- 
dogma sein  ganzes  Wirken.  Dieser  Gedanke  dient  uns  zur  Erklärung, 
ihm  selbst  zur  Rechtfertigung  für  die  übermäßige  Härte  seiner  straf- 
rechtlichen Bestimmungen,  die  eben  den  Anspruch  nicht  erheben 
wollten,  als  eine  sittlichen  Forderungen  genügende  Regelung  mensch- 
lichen Verhaltens  zu  gelten.  Bei  dem  Begriff  des  Rechts,  um  den 
es  hier  geht,  ist  nun  aber  nicht  so  sehr  gedacht  an  das  Recht  im 
objektiven  Sinn,  an  die  Norm,  den  Imperativ,  sondern  in  subjektivem 
Sinn  an  die  Befugnis,  an  die  Berechtigung  des  Einzelnen.  Hier  liegt 
die  rechtspolitische  Bedeutung  jener  abstrakten  Deduktion,  die  in  ihrem 
Kern  ein  Bekenntnis  zu  dem  Rechtsgedanken  der  Äufklärungszeit 
enthält,  jenem  zu  Unrecht  verschrieenen  „Htomismus",  nach  dem  das 
Recht  nicht  allein  als  absolute  Macht  über  der  Masse  der  Untertanen 
lastet,  sondern  jeder  Einzelne  zugleich  als  Träger  von  Rechten  und 
Pflichten  den  andern  wie  der  Gesamtheit  gegenüber  Befugnisse  und 
Ansprüche  geltend  machen  kann.  Derselbe  Gedanke,  der  im  Äntihobbes 
von  1796,  dem  Feuerbachschen  Seitenstück  zu  Friedrich  II.  Äntimachiavel, 
in  einer  Apologie  des  ius  resistendi  gegenüber  den  Ansprüchen  des 
unbeschränkten  Staatsabsolutismus  zum  Ausdruck  kam.  Solche  rechts- 
politischen Forderungen  fanden  —  auch  das  ist  von  grundsätzlicher 
Bedeutung  für  Feuerbachs  Entwicklungsgang  —  in  den  Lehren  der 
Kantischen  Philosophie  eine  formale  Stütze. 

Nicht  nur  rein  äußerlich  nimmt  Feuerbach  an  vielen  Stellen  auf 
Kant  Bezug."^  Die  wichtigsten  Bausteine  der  Beweisführung  sind  den 
Grundbegriffen  der  praktischen  Philosophie  Kants  entnommen:  die 
allgemeine  gesetzgebende  Bedeutung  der  Vernunft,  der  kategorische 
Imperativ  und  die  sittliche  Freiheit  sind  die  unentbehrlichen  Grundlagen 
für   Kant  wie   für   Feuerbach. ^    Selbst    der    Grundgedanke,    daß,    um 

'  Kritik  des  natüriichen  Rechts  S.  305.       '  Ebendort  S.  276. 
'  Kritik  des  natüriichen  Rechts  S.  XXV,  90,  112,  171,  174. 
*  Döring,  Feuerbachs  StraUheorie  und  ihr  Verhältnis  zur  Kantischen 
Philosophie.     Kant- Studien,  Erg.-Heft  III.     Berlin  1907.     S.  36. 


16 

sittliche  Pflichterfüllung  möglich  zu  machen,  wir  zum  Handeln  nicht 
gezwungen  werden  dürfen,  ist  echter  Kant.  Wenn  wir,  heißt  es  in 
der  „Kritik  der  praktischen  Vernunft",  alle  Konsequenzen  unseres 
Tuns  wüßten,  wenn  „Gott  und  Ewigkeit  mit  ihrer  furchtbaren  Majestät 
uns  unablässig  vor  Augen"  ständen  .  .  .,  „so  würden  die  mehresten 
gesetzmäßigen  Handlungen  aus  Furcht,  nur  wenige  aus  Hoffnung  und 
gar  keine  aus  Pflicht  geschehen,  ein  moralischer  Wert  der  Handlungen 
aber,  worauf  allein  der  Wert  der  Person  und  selbst  der  der  Welt  in 
den  Äugen  der  höchsten  Weisheit  ankommt,  würde  garnicht  existieren"/ 
Gleichwohl  hat  sich  Feuerbach  seine  Selbständigkeit  gegenüber  dem 
„Königsberger  Weisen"  zu  wahren  bemüht,  wiewohl  nach  seinen  eigenen 
Worten  „ihn  niemand  inniger  verehren,  niemand  mit  tieferer  Dankbarkeit 
die  Verdienste  erkennen  kann,  die  sich  dieser  große  Denker  um  Philosophie 
und  Menschheit,  um  Welt  und  Nachwelt  erworben  hat  .  .  . "  ^ 

Feuerbachs  rechtsphilosophische  Untersuchungen  weisen  in  der 
Tat  über  Kant  hinaus.  Dadurch,  daß  der  Rechtsbegriff  als  Recht  im 
subjektiven  Sinn,  als  Recht  des  einzelnen  Subjekts,  als  Berechtigung 
gefaßt  ist,  verstärkt  sich  zugleich  der  Gegensatz  von  Recht  und 
Moral.  Beide  erscheinen  ihrer  Struktur  nach  als  verschiedene  Funktionen 
der  praktischen  Vernunft:  rechtliches  Dürfen  und  sittliches 
Müssen.  Von  hier  aus  war  es  kein  weiter  Schritt  mehr,  den  Feuerbach 
in  seinen  kriminalistischen  Schriften  unbedenklich  vollzieht:  die  Trennung 
von  Recht  und  Moral  auch  in  objektiver  Hinsicht  auf  das  Inhaltliche 
zu  erstrecken  und  zwischen  rechtlichen  und  sittlichen  Geboten 
zu  scheiden,  welche  Pflichten  entgegengesetzten  Inhalts  be- 
gründen können. 

Nach  Kant  besteht  das  Recht  in  der  „Einschränkung  der  Freiheit 
eines  jeden  auf  die  Bedingung  ihrer  Zusammenstimmung  mit  der  Freiheit 
von  jedermann,  insofern  diese  nach  einem  allgemeinen  Gesetz  möglich  ist". ^ 

Ist  die  Freiheit  des  einzelnen  das  Ziel  dieses  Rechts,  so  tritt  es 
doch  vorwiegend  als  allgemein  ausgleichende  objektive  Norm,  nicht 
als  der  subjektive  Anspruch  des  einzelnen  in  die  Erscheinung. 
Kant  kennt  nur  Zwangsgesetze,  keine  Erlaubnisgesetze.*  Selbst  die 
Befugnis  zu  rechtlichem  Zwang  folgert  er  aus  der  Verpflichtung  des 
Handelnden  zur  Ausübung  dieses  Zwanges.^  Den  Begriff  der  recht- 
lichen Freiheit  kennt  er  nicht  als  Befugnis,   innerhalb   einer  lediglich 

'  Akademie-Ausgabe  Bd.  V,  S.  147,  Cassirer  Bd.  V,  S.  159. 

'^  Kritik  des  natürlichen  Rechts,  Vorrede  pag.  XXV. 

"  Über  den  Gemeinspruch:  Das  mag  in  der  Theorie  richtig  sein,  taugt 
aber  niclit  für  die  Praxis.     Cassirer  Bd.  VI,  S.  373. 

*  Zum  ewigen  Frieden.     Cassirer  Bd.  VI,  S.  432,  Note  1. 

'"  Rec.  V.  Hufelands  Versuch  über  den  Grundsatz  des  Naturrechts. 
Cassirer  Bd.  IV,  S.  346. 


17 

vom  Recht  gezogenen  Schranke  beliebig  zu  schalten  und  walten, 
sondern  er  spricht  von  rechtlicher  Freiheit  nur  im  staatsrechtlichen 
und  politischen  Sinne  als  dem  Prinzip,  „keinen  äußeren  Gesetzen  zu 
gehorchen,   als   denen  ich  habe  meine  Zustimmung  geben   können".^ 

Auch  als  ein  Jahr  nach  Feuerbachs  „Kritik  des  natürlichen 
Rechts"  Kants  „Metaphysische  Anfangsgründe  der  Rechtslehre" 
erschienen,"  blieb  die  Darstellung  des  Rechtsbegriffs  in  gleicher  Weise 
auf  das  objektive  Recht  beschränkt.  Überhaupt  war  diese  späte 
systematische  Rechtsphilosophie  des  73jährigen  Kant  wenig  fruchtbar, 
ein  Werk,  wie  es  der  Kriminalist  Grolman  nannte:  „eines  großen, 
aber  keineswegs  infalliblen  Greises".^  Grundsätzlich  ist  auch  hier  das 
subjektive  Recht,  die  Berechtigung  lediglich  gleichbedeutend  mit  einem 
Nichtverbotensein,*  gelegentlich  aber  auch  mit  Nichtgehindertwerden- 
dürfen.^  Es  ist  die  hergebrachte  Doktrin,  wie  sie  charakteristischer- 
weise auch  von  Reinhold  vertreten  war,  dem  Kant  selbst  drei  Jahre 
zuvor  brieflich  bezeugt  hatte,  daß  er  über  die  Prinzipien  des  Natur- 
rechts im  wesentlichen  mit  ihm  übereinstimme.^  Feuerbachs  Kritik 
an  Reinholds  Ableitung  des  Begriffes  Recht  hat  Kant  offenbar  nicht 
gekannt.  Spricht  er  doch  in  dem  gleichen  Brief  an  Reinhold  davon, 
daß  er  zwar  „wohl  allenthalben  Abhandlungen  aus  meinem  eigenen 
Fonds  herausspinnen"  könne,  sein  Älter  ihm  aber  Schwierigkeiten 
bereite,  sich  „in  die  Verkettung  der  Gedanken  eines  anderen  hinein- 
zudenken und  so  dessen  System,  bei  beiden  Enden  gefaßt,  reiflich 
beurteilen  zu  können". 

Hatte  die  „Grundlegung  zur  Metaphysik  der  Sitten"  gelehrt,  daß 
ein  ethisches  Gesetz  verlange,  das  Gebot  solle  lediglich  um  des 
Gebotes  willen,  allein  aus  ~  Pflichterfüllung  befolgt  werden,  so  zeigte 
die  „Metaphysik  der  Sitten",  daß  sich  das  Rechtsgesetz  damit  begnügt, 
daß  sein  Gebot  überhaupt,  gleichgültig  aus  welchen  Beweggründen, 
erfüllt   wird.^      So    beruht    bei    Kant   der   Gegensatz    von   Moralität 


*  Zum  ewigen  Frieden.     Cassirer  Bd.  VI,  S.  434  f.,  Note  1. 

^  1797.  Seit  der  3.  Aufl.  —  noch  im  gleichen  Jahre  —  zusammen 
mit  „Metaph.  Anfangsgründe  der  Tugendlehrc"  in  der  „Metaphysik  der 
Sitten"  vereinigt. 

*  Über  die  Begründung  des  Strafrechts  und  der  Strafgesetzgebung. 
Gießen  1799,  S.  218. 

*  Metaphys.  der  Sitten,  Äkademie-Äusgabe  Bd.  VI,  S.  222;  Cassirer 
Bd.  VII,  S.  23. 

'  Metaphys.  der  Sitten,  Äkademie-Äusgabe  S.  246;  Cassirer  S.  47. 

*  K.  L.  Reinholds  Leben  und  literarisches  Wirken  .  .  .  Herausgegeben 
von  Ernst  Reinhold.  Jena  1825,  S.  158.  Der  Brief  findet  sich  auch  in  den 
großen  Kantausgaben:  Akademie-Ausgabe  Bd.  XI,  S.  475  ff.  (Nr.  585)  und 
Cassirer  Bd.  X,  S.  235  ff.  (Nr.  345). 

'  Äkademie-Äusgabe  Bd.  IV,  S.  397;  Cassirer  Bd.  IV,  S.  253  f.  — 
Äkademie-Äusgabe  Bd.  VI,  S.  219;   Cassirer  Bd.  VII,  S.  19. 


18 

und  Legalität  auf  einem  Unterschied  der  Motivierung  der  Pflicht- 
erfüllung.^ Darüber  hinaus  ist  die  Autonomie  des  subjektiven 
Rechts  und  der  Sinn  und  die  Möglichkeit  eines  schneidend  scharfen 
Gegensatzes  rechtlicher  Freiheit  und  sittlicher  Pflicht  klarer 
und  vollkommener  bei  dem  jungen  Feuerbach  erkannt  und  zum 
Ausdruck  gebracht  worden.  Anders  dachte  offenbar  der  zeitgenössische 
Rezensent  der  Feuerbachschen  „Kritik  des  natürlichen  Rechts",  der  dieses 
Buch  zwar  rühmt  als  ein  Beispiel,  wie  man  Begriffe  erörtern  müsse,  aber 
meint:  „Die  nach  Ausgabe  dieser  Schrift  erschienene  Metaphysik  der 
Sitten  würde  dem  Verfasser  Gelegenheit  gegeben  haben,  sich  noch  die 
Seite  des  Begriffes  aufzuhellen,  die  ihm  dunkel  geblieben  war."' 

Daß  die  herausgestellten  Unterschiede  zwischen  den  Lehren  Kants 
und  Feuerbachs  zum  Problem  der  Selbständigkeit  von  Recht  und 
Sittlichkeit  mehr  sind  als  begriffliche  Spitzfindigkeiten,  zeigt  sich  in 
der  Art,  wie  beide  die  ihrem  Wesen  nach  von  einander  unabhängigen 
Größen  Recht  und  Sittlichkeit  zu  einander  in  Beziehung  setzen.  Kant 
lehrte:  Der  Staat  ist  zwar  seinem  Wesen  nach  eine  Institution  äußerer 
Gesetzgebung,  aber  einen  Staatsverband  zu  begründen  ist  sittliche 
Pflicht.^  In  der  „Metaphysik  der  Sitten"  wird  weiter  ausgeführt,  daß 
die  Staatengründung  für  den  Menschen  geradezu  eine  Notwendigkeit 
ist,  „wenn  er  nicht  allen  Rechtsbegriffen  entsagen  will".*  Grundsätzlich 
faßt  hier  Kant  die  Beziehung  zwischen  Recht  und  Sittlichkeit  in  dem 
Gedanken  zusammen,  daß  es  eine  sittliche  Pflicht  sein  kann,  allgemein 
den  Gesetzen  des  Staates,  nur  weil  sie  dessen  Gesetze  sind,  auch  ohne 
daß  sie  selbst  ein  ethisches  Gebot  zum  Inhalt  haben,  zu  gehorchen.^ 

^  E.  Kaufmann,  Kritik  der  Neukantischen  Rechtsphilosophie,  Tü- 
bingen 192L     S.  59  f. 

'  AUgem.  Lit.-Ztg.  Jena  u.  Leipzig  1798.  Bd.  IV,  Nr.  323,  Sp.  224  ff., 
insbes.  Sp.  234.  —  In  der  heutigen  Literatur  betonen  die  Priorität  Kants 
und  die  Abhängigkeit  Feuerbachs  von  Kant  in  der  Frage  der  Selbständig- 
keit von  Recht  und  Sittlichkeit:  Baumgarten,  Recht  der  Persönlichkeit 
und  Zweckgedanke...  Tübinger  Diss.  1907,  S.  131,  und  Landsberg, 
Geschichte  der  deutschen  Rechtswissenschaft  3,  II,  S.  61,  Note  9.  (Vgl.  aber 
ebendort  Text  S.  113.)  Für  die  Selbständigkeit  Feuerbachs,  unbeschadet 
des  allgemeinen  Einflusses  der  Kantischen  Philosophie  und  seine  Priorität 
im  Sinne  der  im  Text  gegebenen  Darstellung:  Fleischmann,  Anselm 
V.  Feuerbach,  Der  Jurist  als  Philosoph,  Erl.  Diss.  1906,  S.  70.  Döring, 
Feuerbachs  Straftheorie  und  ihr  Verhältnis  zur  Kantischen  Philosophie. 
Kant-Studien,  Erg.-Heft  III,  Berlin  1907,  S.  17.  Nagler,  Die  Strafe. 
Eine  juristisch-empirische  Untersuchung.     Berlin  1918.     S.  65. 

^  Idee  zur  allgem.  Geschichte  in  weltbürg.  Absicht.  Cassirer  Bd.  IV, 
S.  156.     Zum  ewigen  Frieden,  Cassirer  Bd.  VI,  S.  465. 

*  Akademie-Ausgabe  Bd.  VI,  S.  312.     Cassirer  Bd.  VII,  S.  118. 

'  Akademie-Ausgabe  Bd.  VI,  S.  219  f.  und  231.  Cassirer  Bd.  VII, 
S.  20  und  32. 


19 

Diese  Argumentation  Kants  schuf  der  Gehorsamspflicht  gegen  die 
Autorität  des  gegebenen  Staates  einen  ethischen  Unterbau  und  mündete 
damit  in  eine  Apologie  des  unbeschränkten  Staatsabsolutismus  —  in 
schroffem  Gegensatz  zu  den  rechtspolitischen  Forderungen  der  Auf- 
klärungszeit. Es  ist  derselbe  Gegensatz,  der  sich  darin  zeigt,  daß 
der  junge  Feuerbach  im  „Hntihobbes"  das  Zwangsrecht  der  Bürger 
gegen  das  Staatsoberhaupt  bei  einem  Bruch  des  imaginären  Unter- 
werfungsvertrages verficht,  während  Kant  den  Gedanken  von  einem 
Recht  zur  Revolution  unbedingt  zurückwies,  die  ihm  ihrem  Wesen  nach 
eben  stets  ein  Rechtsbruch  bleibt.^  In  der  Beurteilung  einzelner 
revolutionärer  Bewegungen  blieb  Kant  durch  diese  theoretische  Fest- 
stellung jedoch  keineswegs  gebunden,  hat  er  doch  selbst  die  Enhvicklung 
der  großen  französischen  Revolution  mit  einer  „an  Enthusiasmus 
grenzenden  Anteilnahme"   verfolgt.^ 

Das  Recht  ist  begrifflich  selbständig  gegenüber  der  Sittlichkeit, 
aber  es  ist  nur  da  um  der  Sittlichkeit  willen.  Dieser  doppelte  Gedanke 
bestimmte  Feuerbachs  Anschauungen  auf  dem  Gebiet  des  Strafrechts. 
Er  entspricht  in  seiner  negativen  Seite  dem  leidenschaftlichen  Kampf 
gegen  eine  Hinübernahme  der  ethischen  Begriffe  Schuld  und  Willens- 
freiheit in  die  strafrechtliche  Zurechnungslehre,  von  dem  sein  großes 
theoretisches  Werk,  die  „Revision"  von  1799/1800  erfüllt  ist.  Auf 
der  andern  Seite  dient  er  ihm  bereits  im  „Rntihobbes"  zur  Begründung 
seiner  eigenen  Strafrechtstheorie,  wobei  er,  auch  hier  bewährter  Dialektik 
folgend,  von  einer  Kritik  entgegenstehender  Meinungen  ausgeht.  Ein 
Äbschreckungsstrafrecht,  nach  dem  eine  Strafe  über  einen  Verbrecher 
verhängt  wird,  damit  andere  durch  diese  Strafe  von  ähnlichen  Taten 
abgeschreckt  werden,  wäre  eine  unsittliche  Rechtsanwendung.  Denn 
sie  würde  ein  Menschenschicksal  als  Mittel  für  einen  außer  ihm  selbst 
liegenden  Zweck  —  um  größerer  Furcht  der  anderen  willen  —  dienstbar 
machen.  Gebietet  doch  das  Sittengesetz  —  nach  Kants  „Grundlegung 
zur  Metaphysik  der  Sitten"  —  „Handele  so,  daß  du  die  Menschheit 
sowohl  in  deiner  Person,  als  in  der  Person  eines  jeden  andern,  jederzeit 
zugleich    als    Zweck,    niemals    bloß    als    Mittel    brauchest".''     In    der 


'  Feuerbach,  Äntihobbes  S.  80  ff.  sowie  die  Bemerkung  S. 51,  Note. 
Kant,  Über  den  Gemeinspruch:  Das  mag  in  der  Theorie  richtig  sein,  taugt 
aber  nicht  für  die  Praxis,  Cassirer  Bd.  VI,  S.  383.  Zum  ewigen  Frieden, 
Cassirer  Bd.  VI,  S.  469.  Metaphysik  der  Sitten,  Äkademie-Äusgabe  Bd.  VI, 
S.  320.  Cassirer  Bd.  VII,  S.  126  f.  Über  weitere  Probleme  der  staatsrechts- 
philosophischen Auffassung  Kants  im  Verhältnis  zum  Strafrecht  siehe  unten 
Kap.  III,  S.93. 

*  K.Vorländer,  Kants  Stellung  zur  französischen  Revolution.  Philos. 
Äbhdl.  f.  Herm.  Cohen,  Berlin  1912,  S.  247  ff.,  insbes.  S.  260  u.  265. 

"  Akademie-Ausgabe  Bd.  IV,  S.  429.     Cassirer  Bd.  IV,  S.  287. 


20 

„Metaphysik  der  Sitten"  heißt  es  dann  in  spezieller  Anwendung  auf 
das  Strafrecht:  Es  kann  nie  eine  Strafe  ein  Mittel  sein,  „ein  anderes 
Gute  zu  befördern  für  den  Verbrecher  selbst  oder  für  die  bürgerliche 
Gesellschaft,  sondern  muß  jederzeit  nur  darum  wider  ihn  verhängt 
werden,  weil  er  verbrochen  hat;  denn  der  Mensch  kann  nie  bloß  als 
Mittel  zu  den  Absichten  eines  andern  gehandhabt  und  unter  die 
Gegenstände  des  Sachenrechts  gemengt  werden,  wowider  ihn  seine 
angeborene  Persönlichkeit  schützt,  ob  er  gleich  die  bürgerliche  ein- 
zubüßen gar  wohl  verurteilt  werden  kann"/  Ganz  in  diesem  Sinne 
hält  Feuerbach,  der  später  ausdrücklich  diese  Worte  Kants  aufnahm,^ 
dem  Äbschreckungsstrafrecht  entgegen:  „Heißt  das  nicht  ein  vernünftiges 
Wesen  als  eine  Sache,  als  ein  beliebiges  Mittel  zu  einem  höheren 
Zweck  gebrauchen?  Wie  kann  die  Vernunft  ein  solches  sich  selbst 
widersprechendes  Recht  begründen?"^ 

Aber  auch  das  Ziel,  durch  den  Strafvollzug  im  Sinne  einer 
Spezialprävention  auf  die  Persönlichkeit  des  bestraften  Verbrechers 
selbst  zu  wirken,  lehnte  Feuerbach  als  Zweck  der  Strafe  ab.  Daß  es 
überhaupt  ein  „Zwangsrecht  zur  Prävention"  gebe,  eine  Befugnis,  „sich 
gegen  den  Beleidiger  in  Sicherheit  zu  setzen  und  ihm  entweder  die 
Lust  oder  die  Möglichkeit  zu  nehmen,  ferner  Beleidigungen  auszuüben,"* 
hat  auch  Feuerbach  ursprünglich  angenommen  und  erst  später  bestritten,'' 
wohl  aber  ist  ihm  von  vornherein  ein  derartiges  Recht  niemals 
Strafrecht.  Ein  Strafrecht,  das  der  Besserung  des  Bestraften  diente, 
wäre  kein  Strafrecht,  sondern  ein  Züchtigungsrecht.  „Der  Staat  ist 
aber  nicht  Vormund,  sondern  Beschützer,  nicht  Zuchtmeister,  sondern 
Verteidiger. " '' 

Diese  Fragen  kehren  später  in  dem  Streit  mit  dem  Kriminalisten 
Grolman  ausführlich  wieder.  Der  „Äntihobbes"  begnügt  sich  damit, 
die  Strafe  als  „ein  zugefügtes  sinnliches  Übel"  zu  definieren,  das  zum 
Unterschied  von  dem  „Präventionsübel"  stets  „eine  Androhung  oder 
ein  Strafgesetz"  voraussetzt.' 

Damit  werden  die  beiden  Anschauungen  fallen  gelassen,  welche 
die  Rechtfertigung  der  Strafe  herzuleiten  suchten  aus  der  Wirkung  der 
Vollziehung   der   Strafe,    sei   es    auf   die    Allgemeinheit,   sei  es   auf 


1  Äkademie-Äusgabe  Bd.  VI,  S.  331.     Cassirer  Bd.  VII,  S.  139. 
-  Revision  der  Grundsätze  und  Grundbegriffe  des  positiven  peinlichen 
Rechts  Bd.  I.    Erfurt  1799.    S.  48. 

'  Äntihobbes.    Ältona  1796.    S.  210. 

*  Äntihobbes  S.  205  f. 

'  Vgl.  unten  Kap.  II,  S.  50. 

"  Äntihobbes  S.  204. 

'  Ebendort  S.  204  und  207. 


21 

den  Bestraften.  Es  bleibt  Feuerbach  nur  der  andere  Weg,  den  Nach- 
weis für  die  Berechtigung  der  Strafe  zu  führen  durch  Hinweis  auf  die 
Wirkung  der  Strafdrohung.  Auf  diesem  Wege  gelangt  er  bereits 
am  Ausgang  seiner  philosophischen  Periode  im  „Antihobbes"  von  1798 
zu  der  für  ihn  charakteristischen  Strafrechtstheorie,  die  meist  als 
„psychologische  Zwangstheorie"  bezeichnet  wird.  v.  Bar  hat  sie 
„Theorie  des  positiven  Gesetzes"  genannt,^  ähnlich  wie  sie  ein  zeit- 
genössischer Berichterstatter  der  Allgemeinen  Literaturzeitung  als 
„gesetzliche  Straftheorie"  bezeichnete."  Binding  gab  ihr  den  Namen 
„Balancirtheorie".^ 

Der  Gedankengang  dieser  Theorie  ist  folgender:*  Das  Motiv  des 
Verbrechens  ist  Befriedigung  eines  Bedürfnisses.  Durch  Androhung 
eines  Übels  wird  der  Vorstellung  von  der  durch  die  Bedürfnisbefriedigung 
erzielten  Lust  ein  Unlustgefühl  wegen  des  zu  erwartenden  Schmerzes 
assoziiert.  Überwiegt  dieses,  so  wird  der  Täter  von  der  Begehung  des 
Verbrechens  abgehalten.  „Die  Tat  kann  nicht  begangen  werden,  ohne 
das  Übel  zu  leiden;  das  Übel  kann  nicht  vermieden  werden,  ohne  daß 
die  Tat  unterlassen  wird.  Es  wird  also  nicht  bloß  die  Vorstellung, 
die  dem  rechtswidrigen  Begehren  zum  Grunde  lag,  verdunkelt,  sondern 
das  Begehren  selbst  wird  an  einem  ganz  andern,  dem  vorigen  wider- 
sprechenden Gegenstande  festgehalten."'^  Es  ist  dieselbe  Theorie,  aus 
der  später  in   der  „Revision"   die  Zurechnungslehre   abgeleitet  wurde. 

So  ist  der  Zweck  des  Strafgesetzes  Verhinderung  von  Ver- 
brechen überhaupt.  Erzielt  wird  dies  dadurch,  daß  durch  die  gesetz- 
liche Straf drohung  alle  Bürger  als  mögliche  Verbrecher  von  der 
Begehung  verbotener  Taten  abgeschreckt  werden.  Die  Berechtigung 
der  abschreckenden  Strafdrohung  ergibt  sich  aus  eben  diesem  Zweck 
und  daraus,  daß  durch  sie  keiner  in  seinem  Recht  verletzt  wird,  „da 
das  Übel  nur  auf  den  Fall  einer  Verletzung  der  Freiheit 
bestimmt,  mithin  die  Freiheit,  insofern  sie  mit  der  Freiheit  aller 
besteht,  durch  die  Androhung  um  nichts  beschränkt,  kein  Recht 
also  dadurch  beleidigt  wird".''  Diese  Formulierung  will  besagen,  daß 
der  Staat   nicht    schlechthin   befugt   ist,  denjenigen  Übel  in  Aussicht 


'  V.  Bar,  Geschichte  des  deutschen  Straf  rechts  und  der  Straf  rechts- 
theoricn,  Berlin  1882,  S.  249. 

-  Revision  der  Fortschritte  des  Kriminalrechts.  Erg.-Bl.  z.  Allgem.  Lit.- 
Ztg.,  Jena  u.  Leipzig  1801,  Nr.  49,  Sp.  387.     Vgl.  unten  S.  25,  Hnm.  1. 

"  Binding,  Handbuch  des  Strafrechts  I.  Bd.,  Leipzig  1885,  S.  21. 

^  Ausführliche  Darstellung  dieser  Theorie,  ihrer  Argumente  und  eine 
kritische  Betrachtung  der  gegen  sie  vorgebrachten  Einwände  bei  Hepp, 
Kritische  Darstellung  der  Strafrechtstheorien,  Heidelberg  1829,  S.  80  ff. 

^  Antihobbes  S.  217  f. 

«  Antihobbes  S.  220  f. 


22 

zu  stellen,  die  irgendwelche  gesetzlich  bestimmte  Handlungen 
begehen,  sondern  daß  er  nur  Rechtsverletzungen  unter  Strafe 
stellen  darf.  Keineswegs  liegt  also  in  der  Verbotswidrigkeit  allein  die 
Strafwürdigkeit  einer  Handlung. 

Wird  das  Hauptgewicht  auf  die  Wirkung  der  gesetzlich  angedrohten 
Strafe  gelegt,  so  erscheint  die  Zufügung  der  Strafe  bei  der 
Bestrafung  des  einzelnen  Verbrechers  als  etwas  Sekundäres.  Sie 
hat  nur  den  Zweck,  „die  Androhung  selbst  wirksam  zu  machen".^ 
Wie  aber  läßt  sich  bei  diesem  bescheidenen  Zweck  die  Berechtigung 
der  Zufügung  der  Strafe  erweisen?  Dieser  Rufgabe  dient  schon  im 
„Äntihobbes"  die  „Einwilligungstheorie".  Durch  das  Gesetz  ist  die 
Ausübung  der  Tat  an  die  Bedingung  der  Bestrafung  geknüpft.  Wer 
die  Tat  willentlich  begeht,  willigt  mit  dem  Bedingten  in  die  Bedingung 
ein,  und  „ich  habe  durch  seine  Handlung  aus  eben  dem  Grunde  ein 
Recht,  die  Strafe  zu  exequieren,  aus  welchem  ich  das  Recht  habe, 
die  Erfüllung  eines  eingegangenen  gültigen  Vertrages  zu  fordern"." 
Ganz  im  Sinne  des  Hugo  Grotius,  der  aus  der  gleichen  obligationen- 
rechtlichen Analogie  den  Satz  ableitete:  qui  directe  vult  peccare,  per 
consequentiam  et  poenam  merere  voluerit.^ 

Diese  Einwilligungstheorie  entspricht  der  naturrechtlichen  Doktrin 
vom  Sozialkontrakt  mit  dem  Unterschied,  daß  bei  Feuerbach  der 
Vertragsschluß  in  der  Begehung  des  einzelnen  Verbrechens  fingiert 
wird,  während  nach  jener  Doktrin  im  ursprünglichen  Staatsvertrag 
jeder  Bürger  generell  von  vornherein  dem  Gemeinwillen  die  Befugnis 
zu  strafrechtlicher  Ähndung  von  Rechtsverletzungen  überträgt.  Auf 
diesem  Gedanken  beruhte  der  durch  Kants  Gegenargumentation 
berühmt  gewordene  Versuch  Beccarias,  die  Unrechtmäßigkeit  der 
Todesstrafe  durch  den  Hinweis  darauf  naturrechtlich  zu  erweisen,  daß 
kein  Bürger  über  sein  Leben  zugunsten  Dritter  verfügen  könne.* 


^  Äntihobbes  S.  226. 

2  Äntihobbes  S.  233. 

^  Jus  belli  ac  pacis.     Lib.  II,  cap.  XX,  §  2,  Abs.  3. 

^  Beccaria,  Über  Verbrechen  und  Strafen.  Übersetzt  v.  K.  Esselborn, 
Leipzig  1905,  S.  105  ff.  —  Kant,  Metaphysik  der  Sitten.  Akademie-Ausgabe 
Bd.  VI,  S.  334  f.;  Cassirer  Bd.  VII,  S.  142.  Kant  findet  in  der  „teilnehmender 
Empfindelei  einer  affektierten  Humanität"  entsprungenen  Behauptung  Beccarias 
„alles  Sophisterei  und  Rechtsvcrdrehung".  Im  „Sozialkontrakt  ist  gar 
nicht  das  Versprechen  enthalten,  sich  strafen  zu  lassen"  und 
der  Bürger  als  Subjekt  der  Gesetzgebung,  als  homo  noumenon  keineswegs 
identisch  mit  dem  Verbrecher  als  Gegenstand  strafrechtlicher  Beurteilung, 
dem  homo  phaenomenon.  —  Wie  wenig  eine  doktrinäre  Widerlegung  der 
rationalistischen  Begründung  Beccarias  die  wahre  Gültigkeit  seiner  Ideen 
in  Frage  zu  stellen  vermag,  dafür  zeugt  der  Umstand,  daß  er  selbst  weit 
mehr  Gewicht  auf  die  beredte   Darstellung   der  Innern  Gründe   gegen  die 


23 

Wie  die  begriffliche  Ableitung  des  autonomen  Rechtsgedankens  ist 
auch  Feuerbachs  Strafrechtstheorie  der  Ausdruck  bestimmter  rechts- 
politischer Überzeugungen.  Denn  sie  führte  folgerichtig  zu  einer 
Stärkung  der  Autorität  des  positiven  Gesetzes  und  damit  im 
Sinne  des  modernen  Rechtsstaates  zu  einer  gesicherten  Abgrenzung 
zwischen  der  Freiheitssphäre  des  Einzelnen  und  der  Macht  des  Staates. 
Wenn  Feuerbach  mit  aller  Leidenschaft  den  Kampf  gegen  schranken- 
lose richterliche  Ungebundenheit  führte  und  eng  bestimmte  Grenzen 
obrigkeitlichen  Ermessens  forderte,  so  folgte  er  gewiß  den  Konsequenzen 
seiner  Strafrechtstheorie,  zugleich  aber  bahnte  er  damit  dem  Staats- 
gedanken der  Äufklärungszeit  den  Weg. 

Nulla  poena  sine  lege!  Dieser  Grundsatz  unbedingter  rechtlicher 
Beschränkung  der  staatlichen  Strafgewalt  ergab  sich  Feuerbach  aus 
der  doppelten  Wurzel  seiner  dogmatischen  Strafrechtstheorie  und  seiner 
politischen  Rechtsüberzeugung.  Wenn  die  Bedeutung  der  Strafe  in 
erster  Linie  in  der  abschreckenden  Wirkung  der  gesetzlichen  Straf- 
drohung besteht,  wenn  die  Verhängung  der  Strafe  nur  diese  Wirksamkeit 
der  vom  Gesetz  angedrohten  Strafe  stärken  soll,  —  so  darf  im  Einzelfall 
nur  die  Strafe  verhängt  werden,  die  das  Gesetz  selbst  angedroht  hat. 
Daß  damit  das  Strafrecht  zugleich  den  Forderungen  der  Lehre  von 
der  „Teilung  der  Gewalten"  entspricht,  indem  gesetzgebende  und 
richterliche  Gewalt  nur  dann  in  Wahrheit  streng  getrennt  bleiben,  wenn 
der  Richter  an  das  allgemeine  Gesetz  ausnahmslos  gebunden  bleibt, 
hat  Feuerbach  selbst  mit  einem  Hinweis  auf  Hobbes  gezeigt,  wenn 
er  auch  nicht  wie  Hobbes  in  den  richterlichen  Beamten  allein  die 
Adressaten  der  strafgesetzlichen  Bestimmungen  sah.^  Mit  dieser 
positivistischen  Tendenz  zugunsten  einer  strengen  Bindung  des  Richters 
an  das  geschriebene  Gesetz  haben  die  Staatsrechtslehrer  der  Auf- 
klärungszeit und  auf  strafrechtlichem  Gebiet  Feuerbach  den  Rechts- 
garantien des  modernen  Staates  die  Wege  geebnet.  Freilich  wir  Heutigen 
erschrecken  über  die  allzu  ängstliche  Beschränkung  richterlichen 
Ermessens,  zu  der  das  Mißtrauen  gegen  den  absoluten  Staat  führte. 
„Les  juges  de  la  nation",  so  verlangt  es  Montesquieu,  „ne  sont  que 
la  bouche,  qui  prononce  les  paroles  de  la  loi,  des  etres  inanimes,  qui 


Todesstrafe  gelegt  hat  und  vor  allem  der  tiefe  Eindruck,  den  seine  Worte 
noch  nach  IV2  Jahrhunderten  aufs  neue  jedem  hinterlassen,  der  den  berühmten 
16.  Abschnitt  dieses  unvergänglichen  Buches  nachliest. 

'  Feuerbach,  Revision  Bd.  I,  S.  148  l  —  Vgl.  Hobbes,  De  cive  XIV, 
§  7  a.  E.,  Deutsche  Ausgabe  von  Frischeisen -Köhler  (Philos.  Bibl.  Bd.  158), 
S.  230.  Zu  dem  Satz:  Nulla  poena  sine  lege:  Binding,  Handbuch  des 
Strafrechts  I.  Bd.,  Leipzig  1885,  S.  17  ff.,  und  in  bezug  auf  das  Feuer- 
bachschc   Strafgesetzbuch  die  Darstellung  unten  Kap.  V. 


24 

n'en  peuvent  moderer  ni  la  force,  ni  la  vigueur."^  Aber  der  Grund- 
gedanke, daß  das  Gesetz  die  unübersteigbare  Schranke  staatlicher 
Strafgewalt  bildet,  bleibt  uns  ein  unverlierbares  Erbe  der  Äufklärungs- 
zeit,  und  wir  sehen  auch  heute  in  dem  Satz:  Nulla  poena  sine  lege 
das  „Bollwerk  des  Staatsbürgers  gegenüber  der  rücksichtslosen  Macht 
der  Mehrheit,  gegenüber  dem  Leviathan".    (Liszt.^) 

Dieser  Gedanke  der  strengen  Bindung  des  Richters  an  das  positive 
Gesetz  beherrschte  Feuerbachs  Stellung  zu  dem  Problem  der  straf- 
rechtlichen Zurechnung.  Nicht  richterliche  Willkür,  nicht  eigenes 
Ermessen  oder  besondere  Rücksicht  auf  die  Umstände  des  einzelnen 
Falles,  sondern  einzig  und  allein  die  Bestimmungen  des  Gesetzes  sollen 
Voraussetzung  und  Begrenzung  der  strafrechtlichen  Verantwortung 
bestimmen.  Auch  dieser  Gedanke  war  zugleich  eine  Konsequenz  der 
kriminalistischen  Doktrin  Feuerbachs  wie  seiner  staatsrechtlichen  Über- 
zeugung. Wenn  das  Wesen  der  Strafe  in  ihrer  Wirkung  als  angedrohtes 
Übel  besteht,  so  kann  die  Frage  nach  strafrechtlicher  Verantwortlichkeit 
grundsätzlich  nicht  gestellt  werden  im  Hinblick  auf  den  einzelnen,  dem 
die  Strafe  zugefügt  wird,  sondern  auf  die  Allgemeinheit,  die  durch  ihre 
Androhung  abgeschreckt  werden  soll.  Zurechnung  ist  für  Feuerbach 
daher  primär  ein  abstraktes  Problem,  eine  Beurteilung  generalisierter 
Tatbestände,  keine  Diagnose  einmaliger  konkreter  Tatsächlichkeiten. 
So  mag  der  Gesetzgeber  generell  die  Bedingungen  vorschreiben,  unter 
die  der  Richter  den  konkreten  Einzelfall  zu  subsumieren  hat.  Hatte  man 
sich  gegenüber  der  für  jene  Zeit  unerträglichen  Härte  der  überkommenen 
Strafgesetze  mit  einem  aus  der  italienisch -gemeinrechtlichen  Doktrin 
von  der  poena  extraordinaria  abgeleiteten  und  zum  Gewohnheitsrecht 
gewordenen  Gebrauch  geholfen,  der  dem  Richter  ein  System  von  außer- 
gesetzlichen Milderungsgründen  an  die  Hand  gab,  die  ihn  zur  Änderung 
des  gesetzlichen  Strafrahmens  berechtigten,  so  eröffnete  Feuerbach  einen 
leidenschaftlichen  Kampf  gegen  diese  Anarchie  des  positiven  Rechts.'* 

^  Esprit  des  lois.  Livre  XI,  Chap.  VI.  Edition  st^räotype  Didot, 
Paris  1816,  pag.  57. 

''  V.  Liszt,  Straf rechtl.  Aufsätze  u.  Vorträge  II,  Berlin  1905,  S.  80.  — 
Anders  Binding:  „Wer  indessen  Verständnis  für  das  Verbrecherleben  und 
dafür  besitzt,  daß  die  Gesetzgebung  demselben  nicht  in  alle  Schlupfwinkel 
zu  folgen  vermag,  wer  empfindet,  was  es  heißt,  schwere  Mißtaten  bloß  in 
Ermangelung  des  Gesetzesbuchstabens  straflos  zu  lassen,  der  muß  dem 
Richter  die  Verurteilung  auf  Grund  der  Analogie  nicht  nur  freigeben,  sondern 
sie  von   ihm   fordern."     (Handbuch  des  Strafrechts  I,   Leipzig  1885,  S.  28.) 

**  Über  diese  Lehre  siehe:  C.  Lippmann,  Historisch-dogmatische  Dar- 
stellung der  Lehre  von  der  richterlichen  Strafänderungsbefugnis.  Münchener 
Preisschrift  1863.  -  R.  Loening,  Über  geschichtliche  und  ungeschichtliche 
Behandlung  des  deutschen  Strafrechts.  Mit  Anmerkungen  zur  Geschichte  der 
deutsch.  Strafrechtswissenschait  seit  150  Jahren,  Z.Str.W.  Bd. 3,  1883,  S.219ff. 


25 

Gerade  aus  dem  Vorhandensein  bestimmter  Strafgesetze  (d.  h.  Strafgesetze 
mit  absolut -bestimmten  Strafgrößen)  im  Gegensatz  zu  unbestimmten 
Strafgesetzen  (mit  willkürlicher  Strafdrohung)  folgt,  so  lehrte  seine 
juristische  Dissertation  von  1799:  De  causis  mitigandi  ex  capite 
impeditae  libertatis,  daß  das  Gesetz,  wo  es  eine  bestimmte  Strafe 
androht,  will,  daß  eben  diese  unverändert  verhängt  wird.  Nicht  nach 
wohlerwogener  Billigkeit  oder  naturrechtlichen  Reflexionen,  sondern 
allein  den  Bestimmungen  des  Gesetzes  gemäß  hat  der  Richter  die 
Strafbarkeit  der  Tat  zu  beurteilen.  Mochte,  wem  das  Recht  nur  eine 
Ausstrahlung  des  Sittengesetzes  war,  bei  der  strafrechtlichen  Zurechnung 
auf  moralische  Erwägungen  Rücksicht  nehmen,  dem  Gedanken  der 
Autonomie  des  Rechts  entsprach  es,  die  Tat  allein  den  Bestimmungen 
des  Gesetzes  zu  subsumieren.  Damit  war  keineswegs  der  unerträglichen 
Härte  der  Carolina  das  Wort  geredet,  sondern  die  drängende  Notwendig- 
keit gesetzgeberischer  Reformen  nur  um  so  fühlbarer  gemacht.  Feuerbach 
wollte,  wie  es  ein  in  seinem  Sinn  abgefaßter  zeitgenössischer  Hufsatz 
in  der  Allgemeinen  Literaturzeitung  schildert,  keineswegs  „solange  die 
Carolina  besteht,  sacken  und  pfählen",  sondern  sein  Kampf  galt  der 
Doktrin,  welche  den  Notbehelf  der  Praxis  zum  Prinzip  erhob,  welche 
„human  wurde  auf  Kosten  der  Gerechtigkeit".  Er  wandle 
sich  dagegen,  daß  „jene  Milderungstheorie,  die  nach  seiner  Meinung 
zum  Notbehelf  für  gegenwärtige  Bedürfnisse  erfunden  ist,  sich  den 
Schein  allgemeiner,  notwendiger  Wahrheit  gebe"  und  verlangte,  daß 
„der  Richter  .  .  .  dem  Begnadigungsrecht  des  Oberherrn  in  seinem 
Urteil  die  Milderung  grausamer  Strafen  überlassen,  nicht  aber 
durch  ungerechte  Überschreitung  seines  Richteramtes  der 
Menschlichkeit  ein  Opfer  bringen  müsse". ^ 


'  Revision  der  Fortschritte  des  Criminalrechts  in  d.  letzten  drey  Quin- 
qucnnien.  Erg.-Blätter  zur  Allgemeinen  Literaturzeitung  I,  1,  Jena  u.  Leipzig 
1801,  Sp.  257  u.  414.  Von  wem  dieser  Aufsatz  stammt,  steht  nicht  fest,  — 
Landsberg  3,  I,  Noten  S.  318,  nennt  Grolmann  (sie!)  als  Verfasser. 
Dagegen  spricht  nicht  nur,  wie  Esselborn  (S.  241  der  unten  S.  31  an- 
gegebenen Schrift)  angibt,  die,  übrigens  keineswegs  konsequent  durch- 
geführte, falsche  Orthographie  (Grohlmann)  oder  der  Umstand,  daß  Grolman, 
der  von  sich  stets  mit  größter  Bescheidenheit  sprach,  hier  mit  Vorliebe  als 
der  „scharfsinnige  Gegner  Feuerbachs"  bezeichnet  wird,  sondern  vor  allem 
der  Inhalt  der  Abhandlung.  Im  allgemeinen  beschränkt  sich  der  Verlasser 
auf  bloßes  Referieren,  wo  er  aber  selbst  Partei  ergreift,  ist  eine  enge 
innere  Beziehung  zu  Feuerbach  unverkennbar.  So  namentlich  in 
dem  oben  im  Text  wiedergegebenen,  der  Grolmanschen  Auffassung  entgegen- 
gesetzten Bekenntnis  zu  der  Lehre  von  der  Bindung  des  Richters  an  das 
positive  Gesetz.  Dagegen,  daß  Feuerbach  selbst  der  Verfasser  ist,  spricht 
die  bei  ihm  sonst  ungebräuchliche  Bezeichnung  der  psychologischen  Zwangs- 
theorie als  „gesetzliche  Straftheorie"  (Sp.  387). 


26 

Mit  solchen  Folgerungen  war  Feuerbach  von  dem  naturrechtlichen 
Ausgangspunkt  seiner  Deduktion  abgerückt.  Bedeutet  doch  die  Souve- 
ränität des  positiven  Gesetzes  eine  Überwindung  der  naturrechtlichen 
Doktrin.  Hatten  die  jüngeren  Naturrechtler  und  unter  ihrem  Einfluß 
Kriminalisten,  wie  Stübel  und  Grolman,  die  Herrschaft  des  Naturrechts 
auf  subsidiäre  Geltung  gegenüber  dem  positiven  Recht  zu  beschränken 
gesucht,  so  wurde  Feuerbach  nicht  müde,  immer  wieder  zu  betonen, 
daß  auch  die  Lücken  der  positiven  Gesetzgebung  nur  dann  durch 
philosophisch  ermittelte  Naturrechtssätze  ergänzt  werden  dürfen,  wenn 
sich  ihre  Zulässigkeit  aus  dem  positiven  Recht  selbst  nachweisen  läßt. 
Ausführlich  erörtert  er  in  der  „Revision",  daß  nur  solche  allgemeine 
Prinzipien  zur  Ergänzung  des  positiven  Gesetzes  herangezogen  werden 
dürfen,  die  „in  dem  Willen  des  Gesetzgebers  enthalten,  mithin  still- 
schweigend von  demselben  sanktioniert  sind".^  Im  Willen  des  Gesetz- 
gebers ist  aber  nach  Feuerbach  nur  enthalten,  was  notwendig  mit 
seinen  Äußerungen  verbunden  ist,  d.  h.  die  zwar  unausgesprochenen, 
aber  gleichwohl  mit  den  Bestimmungen  des  positiven  Gesetzes  untrennbar 
verbundenen  Grundsätze.  Eine  Anweisung  zur  Interpretation  von  Gesetzen, 
die  auch  heute  in  unverminderter  Geltung  bleibt. 

Als  Feuerbach  sein  Landshuter  Lehramt  antrat,  nahm  er  die 
Frage  nach  dem  Verhältnis  von  Naturrecht  und  positivem  Recht,  von 
Philosophie  und  Empirie  zum  Gegenstande  seiner  akademischen  Antritts- 
vorlesung.^ Wohl  erfüllt  ihn  der  Glaube  an  die  Vernunft  als  letzte, 
allgemeingültige  Quelle  allen  Rechts,  als  den  höchsten  Maßstab 
aller  vergänglichen  Rechte,  aber  das  geltende  Recht  ist  allein  das 
positive  Gesetz,  das  um  irdischer  Rechtssicherheit  willen  erlassen 
werden  muß.  Denn  über  die  Auslegung  des  wahren  Naturrechts 
können  sich  die  Gelehrten  nicht  einigen,  das  Recht  aber  soll  „Frieden 
im  Handeln  begründen,  während  des  Krieges  der  Meinungen,  während 
des  Kampfes  der  Philosophen".^  Der  Rechtsgelehrte  soll  die  juristischen 
Begriffe  aus  dem  Gesetz  ableiten,  unmittelbar,  durch  Analogie,  durch 
Generalisieren  und  selbst,  wenn  er  aus  allgemeinen  Erwägungen  heraus 
Begriffe  bilden  muß,  die  nicht  im  Gesetz  enthalten  sind,  kann  die 
Philosophie  ihn  nur  vorläufig  zum  Wahren  „leiten",  die  Geltung  der 
gewonnenen  Hypothese  bestimmt  allein  das  Gesetz.  So  mag  er  „mit 
der  Fackel  der  Wissenschaft  das  Gesetz  beleuchten,  aus  dem  der 
Richter  dem  Untertan  seine  Rechte  zuerkennen  soll",*  und   selbst  als 


'  Revision  Bd.  I,  S.  185. 

*  Feuerbach,    Über  Philosophie  und  Empirie  in  ihrem  Verhältnisse 
zur  positiven  Rechtswissenschaft.     Landshuter  Antrittsrede  1804. 
^  Über  Philosophie  und  Empirie  a.  a.  O.,  S.  29. 
'  Ebendort  S.  31. 


27 

Ratgeber  für  den  Gesetzgeber  des  Staates  hat  ihn  die  Erfahrung  über 
Schäden  und  Bedürfnisse  der  überkommenen  Rechtspflege  in  seinen 
philosophischen  Erwägungen  zu  ergänzen.  Das  war  eine  deutliche 
Absage  an  die  Naturrechtler,  ein  Streitruf  „wider  die  Anmaßung  derer, 
welche  alles  Positive  in  der  positiven  Rechtswissenschaft  nur  als  eine 
untertänige  Magd  wollen  behandelt  wissen,  deren  höchste  Bestimmung 
es  sei,  der  Philosophie  die  Schleppe  nachzutragen,  ihren  herrschaft- 
lichen Befehlen  sich  in  Untertänigkeit  zu  beugen  und,  wenn  es  der 
Herrin  beliebt,  vor  ihren  Äugen  ganz  zu  verschwinden"/ 

Aber  nur  zu  oft  waren  in  Feuerbachs  Wirken  Fortschritt  mit 
Beharren,  neue  Erkenntnis  zugleich  mit  starrem  Festhalten  an  alten 
Irrtümern  allzumenschlich  verschwistert.  So  sehr  er  immer  wieder  den 
Richter  allein  auf  die  Bestimmungen  des  positiven  Rechts  verweist, 
er  selbst  hat  es  keineswegs  verschmäht,  in  naturrechtlichem  Sinne 
inhaltlich  bestimmte  Rechtssätze  aus  Vernunftideen  zu  entwickeln.  Mag 
er  der  Gedankenwelt,  von  der  er  ausgegangen  war,  unbewußt  noch 
einen  Tribut  gezollt  haben,  oder  hat  das  Pathos  der  naturrechtlichen 
Ideen  in  seinem  Temperament  empfänglichen  Boden  gefunden,  freilich 
nicht  als  Rechtfertigung  einer  absolutistischen  Staatsauffassung  wie  bei 
Hobbes,  sondern  im  Sinne  eines  unvergänglichen  Freiheitsbriefes  gegen 
despotische  Willkür?  Wir  müssen  dem  Tyrannen,  der  uns  unterdrückt, 
„die  Rechte,  die  er  kränkt,  beweisen,  wir  müssen  ihm  zeigen,  daß 
wir  über  diese  Rechte  nicht  bloß  meinen,  sondern  daß  wir  sie  wissen, 
daß  sie  nicht  bloß  erträumt,  sondern  wirklich,  daß  sie  nicht  das 
Produkt  des  menschlichen  Stolzes,  sondern  der  menschlichen 
Vernunft  sind" !' 

Nach  naturrechtlichem  Vorbild  leitet  Feuerbach  den  Rechtsstaat 
als  ideelle  Norm  —  nicht  als  reales,  historisch  entstandenes 
Gebilde  —  aus  dem  dreifachen  Vertrag,  dem  Bürgerlichen  Vertrag, 
dem  Unterwerfungsvertrag  und  dem  Verfassungsvertrag  ab."^  Diese 
Lehre  vom  Sozialkontrakt  will  nicht  ein  historischer  Erklärungsversuch, 
sondern  ein  rechtliches  Beurteilungsprinzip  sein,  nicht  behaupten,  daß 
die  historischen  Staaten  tatsächlich  durch  wirklich  abgeschlossene 
Verträge  entstanden  sind,  sondern  „daß  ein  rechter  Staat  sich  als 
durch  einen  Vertrag  seiner  Mitglieder  entstanden  denken  lassen  muß".* 
So  hat  die  Vorstellung  vom  Staatsvertrag  eine  normative  Bedeutung. 
Das   tritt   am    stärksten   bei   Kant  hervor,    der  dieser  Lehre  zugleich 


'  Ebendort  S.  25. 

""  Kritik  des  natürlichen  Rechts  S.  235. 

^  Äntihobbes   S.  10  u.  37.     Vgl.  Landsberg,  Geschichte  d.  deutschen 
Rechtswissenschaft  3,  II,  S.  115. 

*  G.  Radbruch,  Grundzüge  der  Rechtsphilosophie,  Leipzig  1914,  S.107. 


28 

eine  Vertiefung  nach  der  ethischen  Seite  hin  gab:  einen  Sozialkontrakt 
einzugehen  ist  ethische  Pflicht,  d.  h.  eine  Staatsordnung,  die  sich 
durch  Vertrag  entstanden  denken  läßt,  zu  begründen  und  zu  bewahren, 
ist  sittliches  Gebot.  Aber  schon  Rousseaus  Contrat  social  von  1762 
verstand  den  Vertragsgedanken  als  ideelle  Norm.^  Feuerbach  leitete 
aus  jener  imaginären  dreifachen  Vertragsform  zugleich  das  ius  resistendi 
der  Untertanen  —  und  die  Tatbestände  des  Hochverrats  ab.^ 

Waren  das  immerhin  Dinge  aus  seiner  philosophischen  Jugend- 
epoche, so  blieb  Feuerbach  auch  in  Fragen  von  grundsätzlicher 
Bedeutung  in  naturrechtlicher  Denkweise  befangen.^  Er  selbst  glaubte 
fest  daran,  daß  seine  Zurechnungslehre  den  Bestimmungen  und  dem 
Sinn  der  positiven  Gesetze  entspreche.  Aber  in  Wahrheit  war  sie 
allein  aus  seiner  Straftheorie  abgeleitet,  aus  der  Lehre,  daß  Sinn  und 
Zweck  eines  jeden  Strafgesetzes  in  der  Abschreckung  aller  Bürger 
durch  die  Drohung  liege.  Wenn  Feuerbach  hierbei  den  naturrecht- 
lichen Vertragsgedanken,  der  Verbrecher  hätte  durch  seine  Tat  in  die 
Erduldung  der  Strafe  eingewilligt,  mehr  und  mehr  dahin  abwandelte, 
er  habe  in  die  Strafe  einwilligen  müssen,  weil  der  Staat  zu  ihrer 
Androhung  berechtigt  war,  so  läßt  sich  die  Berechtigung  der  einzelnen 
staatlichen  Strafandrohung  wiederum  nur  naturrechtlich  durch  den  Hin- 
weis auf  die  letzten  Prinzipien  des  Rechts,  aus  der  Notwendigkeit  des 
wechselseitigen  Schutzes  der  Freiheit  aller  ableiten.*  Wenn  die  Wirkung 
der  Androhung  Zweck  des  Strafgesetzes  ist,  dann  mußte  nach  Feuerbach 
zurechnungsfähig  derjenige  sein,  auf  den  mit  der  Strafdrohung  gewirkt 


^  Liepmann,  Die  Rechtsphilosophie  des  Jean  Jacques  Rousseau, 
Berlin  1898,  S.  95.  —  M.  Salomon,  Kants  Originalität  in  der  Auffassung 
der  Lehre  vom  Staatsvertrage,  Ärch.  d.  öffentl.  Rechts  XXVIII,  Tübingen 
1912,  S.  97  ff.,  konstruiert  Kants  Originalität  aus  dem  Unterschied  zwischen 
der  „ideellen  Auffassung"  bei  Rousseau  und  der  Erhebung  zur  „Idee"  bei  Kant. 

-  Äntihobbes  oder  Über  die  Grenzen  der  höchsten  Gewalt  und  das 
Zwangsrecht  der  Bürger  gegen  den  Oberherrn  I,  Erfurt  1798.  Philosophisch- 
juridische Untersuchung  über  das  Verbrechen  des  Hochverrats,  Erfurt  1798. 

'  K.  Bergbohm,  Jurisprudenz  und  Rechtsphilosophie  I,  Leipzig  1892, 
S.  186,  Anm.  14,  weist  Feuerbach  „lauterste  Naturrechtsdoktrin"  nach,  als 
ein  Beispie!  dafür,  „welche  Wirkungen  der  Druck  einer  unwiderstehlichen 
Zeitidee  auf  die  hellsten  Köpfe  auszuüben  vermag". 

*  Feuerbach,  Antihobbes  S.  222  ff.;  Strafe  als  Sicherungsmittel, 
S.  100;  Revision  I,  S.  53  f.;  Lehrbuch  9.  Aufl.,  §  17,  S.  20  f.  Schon  Köstlin, 
Neue  Revision  der  Grundbegriffe  des  Criminalrechts,  Tübingen  1845,  S.  810  f., 
weist  auf  diese  Entwicklung  hin,  nach  der  Feuerbach  der  wirklichen  Ein- 
willigung die  rechtliche  Notwendigkeit,  sich  der  Strafe  zu  unterziehen, 
substituierte.  Wenn  der  Verbrecher  einwilligen  mußte,  dann  wurde  der 
Vertragsgedanke  mit  seiner  ideellen  Einwilligung  —  eine  „entbehrliche 
Zutat".  So  Seeger,  Die  Strafrechtstheorie  Kants  und  seiner  Nachfolger, 
Tübinger  Festschrift  für  Berner,  1892,  S.  30. 


29 

werden  kann.  Ob  aber  das  einzelne  positive  Gesetz  sich  diesen 
Standpunkt  zu  eigen  gemacht  hat,  ob  es  tatsächlich  die  Verhängung 
der  Strafe  um  der  abschreckenden  Wirkung  ihrer  Drohung  willen 
anordnet,  ob  es  die  strafrechtliche  Zurechnungsfähigkeit  als  ein  Urteil 
über  die  Bedingungen  verstanden  wissen  will,  welche  eine  abschreckende 
Wirkung  möglich  machen,  das  hat  Feuerbach  niemals  geprüft.  Er  hielt 
seine  Auffassung  vom  Wesen  der  Strafe  für  die  einzig  richtige  und 
allein  mögliche  und  schloß  hieraus  als  echter  Naturrechtler,  daß  sie 
von  jedem  positiven  Gesetz  vorausgesetzt  werden  muß.  Seine 
Zurechnungslehre  war  somit  ein  deduktiv  gewonnenes  Philosophem; 
daß  sie  vom  positiven  Gesetz  sanktioniert  sei,  blieb  —  eine  Fiktion!^ 
Als  hätte  Feuerbach  diese  schwache  Stelle  seiner  Argumentation  selbst 
empfunden,  hat  er  in  seiner  Landshuter  Antrittsrede  für  solche 
Elementarbegriffe  wie  Gesetz,  Verfassung,  Strafe,  Strafgesetz  nicht 
anders  wie  für  Vernunft,  Wille,  Verstand,  die  jedes  Gesetz  voraus- 
setzt, seinen  Positivismus  selbst  durchbrochen  und  den  forschenden 
Rechtsgelehrten  in  diesem  Fall  ohne  Rücksicht  auf  das  positive  Gesetz 
den  „wohltätigen  Händen  der  alles  ergründenden  und  erleuchtenden 
Philosophie"  anvertraut.'  Damit  ist  dem  Widerspruch  lediglich  ein 
theoretisches  Gewand  geschaffen.  Wenn  Feuerbach  bei  der  Frage, 
ob  vermindert  Zurechnungsfähige  der  vollen  Bestrafung  unterliegen, 
nicht  von  den  Bestimmungen  und  dem  Sinn  des  einzelnen  Gesetzes 
ausging,  sondern  es  darauf  abstellte,  wieweit  auf  diese  Personen  mit 
der  Strafdrohung  eingewirkt  werden  kann,  so  hielt  ihm  der  zeit- 
genössische Kriminalist  Tittmann  entgegen:  „Hier  ist  doch  in  der 
Tat  nicht  von  den  positiven  Bestimmungen  auf  das  Allgemeine,  sondern 
von  dem  Allgemeinen  (Was  kann  der  Zweck  des  Strafgesetzes  sein?) 
auf  das  Positive  (Kann  das  gegebene  Strafgesetz  auf  Kinder  der 
Gemütsart  angewandt  werden?)  geschlossen."^ 

Der  Einwurf  Tittmanns  ist  richtig.  Was  Feuerbach  bei  den  Gegnern 
leidenschaftlich  bekämpfte,  tat  er  selbst:  er  trug  ein  philosophisches 
Beurteilungsprinzip,  eine  aus  allgemeinen  Überlegungen  abgeleitete 
Doktrin  in  die  gesetzlichen  Bestimmungen  über  strafrechtliche  Zurechnung 
hinein.  Seine  Zurechnungslehre  und  seine  Strafrechtstheorie  stammten 
nicht  aus  dem  Gesetz,  sondern  waren  naturrechtlichen  Ursprungs,   — 


'  Loeninp,   Z.  Str.  W.  III,  S.  294. 

^  Über  Philosophie  und  Empirie  a.  a.  O.,  S.  67. 

'  Tittmann,  Über  die  Grenzen  des  Philosophierens  in  einem  System 
der  Strafrechtswissenschaft  und  Strafgeselzkunde,  Leipzig  1802,  S.  84.  — 
Mit  „Kindern  der  Gemütsart"  sind  Personen  gemeint,  die  gleich  Kindern 
als  vermindert  zurechnungsfähig  anzusehen  sind.  Die  Bemerkung  Tittmanns 
bezieht  sich  auf  Feuerbach,  Revision  I,  S.  186. 


30 

und  doch  kämpfte  Feuerbach  gerade  um  ihretwillen  für  eine  Stärkung 
der  Autorität  des  positiven  Rechts.  So  lebte  in  seinen  Lehren  neben 
positivistischen  Forderungen  der  Aufklärung  die  alte  naturrechtliche 
Denkweise  ungestört  weiter,  und  indem  seine  Ideen  ihre  beste  Stütze 
in  ihrer  methodischen  Verknüpfung  mit  der  Kantischen  Philosophie 
fanden,  erscheint  das  wissenschaftliche  Schaffen  des  jungen  Feuerbach 
als  ein  Spiegel  seiner  Zeit,  jener  reichen  Epoche,  in  der  drei  geistige 
Strömungen  einander  befruchteten  und  bekämpften,  einander  zu  stützen 
suchten  und  schließlich  überwanden:  Naturrecht,  Aufklärung  und 
Kritizismus. 


31 


Zweites  Kapitel 

Feuerbachs  Verhältnis  zu  zeitgenössischen 
Kriminalisten. 

Die  erste  Epoche  der  strafrechtlichen  Wirksamkeit  Anselm  von 
Feuerbachs  wird  eingeleitet  durch  eine  literarische  Auseinander- 
setzung mit  dem  hessischen  Kriminalisten  Karl  von  Grolman.^  Erneute 
Durchdringung  und  tiefere  Fundamentierung  der  eigenen  Lehren, 
meisterhafte  Dialektik  und  glanzvolle  Form  wissenschaftlicher  Kritik 
und  Apologie  erwuchsen  Feuerbach  mehr  und  mehr  als  dauernder 
Gewinn  aus  dieser  Fehde.  Zugleich  spiegelt  dieser  Streit  ein  echtes 
Stück  deutscher  Gelehrtengeschichte  wieder.  Immer  wieder  senken 
die  Gegner  bei  aller  Leidenschaft  und  Unnachsichtlichkeit,  mit  der  um 
die  sachlichen  Gegensätze  gestritten  wird,  vor  der  Persönlichkeit  des 
andern  die  Klingen.  „Noch  nie  ist  Rezensent,  so  begann  Feuerbach 
die  Polemik  mit  einer  Besprechung  von  Grolmans  »Grundsätzen  der 
Kriminalrechtswissenschaft«  in  der  Allgemeinen  Deutschen  Literatur- 
zeitung vom  9.  April  1798,  durch  eine  juristische  Schrift  freudiger 
überrascht  worden,  noch  keine  schien  ihm  so  sehr  das  Gepräge  des 
entschiedenen  Talents  an  sich  zu  tragen  und  zu  größeren  Erwartungen 
von  ihrem  Verfasser  zu  berechtigen,  als  die  gegenwärtige  .  .  .  Der 
Verfasser  hat  nicht  bloß  Philosophie  gelernt,  sondern  er  versteht  zu 
philosophieren."  Und  Grolman  nimmt  in  der  gleichen  Gesinnung 
den  Handschuh  auf:  „Aus  dem  Kampfe  der  Meinungen  tritt  erst  die 
Wahrheit  in  ihrem  vollen  Glänze  hervor.  Darum  habe  ich  mich 
herzlich  gefreut,  als  die  Resultate  meines  Nachdenkens  über  die  letzten 
Gründe  des  Strafrechts  Anfechtung  fanden.""  So  konnte  tiefe  persön- 
liche Freundschaft  die  Zeiten  wissenschaftlichen  Kämpfens  überdauern, 


'  Über  Grolman  vgl.  Brockhaus,  Zeitgenossen,  Neue  Reihe  III, 
9,  S.  3  ff.  Leipzig  1823.  K.  Esselborn,  K.L.W,  v.  Grolman  in  Gießen. 
In:  Beitr.  zur  Geschichte  der  Universitäten  Mainz  und  Gießen.  Archiv  für 
hessische  Geschichte  und  Altertumskunde,  herausg.  v.  Dieterich  und  Bader. 
Neue  Folge  Bd.  V.     Darmstadt  1907. 

^  Magazin  f.  Philosophie  und  Geschichte  des  Rechts  und  der  Gesetz- 
gebung Bd.  I.     Gießen  und  Darmstadt  1800.     S.  241. 


32 

und  als  nach  Jahren  Feuerbach  sein  reifes  Manneswerk  über  „Öffent- 
lichkeit und  Mündlichkeit  der  Gerechtigkeitspflege"  dem  Freunde 
widmete,   gedachte   er    nicht   ohne   stille   Wehmut    der    alten   Zeiten.^ 

Die  Anschauungen,  die  Feuerbach  in  den  Schriften  Grolmans 
bekämpfte,  lassen  sich  zusammenfassen  in  der  Lehre  von  der 
Spezialprävention,  die  in  der  Geschichte  der  deutschen  Strafrechts- 
wissenschaft nicht  zu  mindest  infolge  der  Feuerbachschen  Polemik  mit 
Grolmans  Namen  verknüpft  zu  werden  pflegt.  Allerdings  stammt  sie 
nicht  eigentlich  von  Grolman.  Er  selbst  nahm  „nur  allenfalls  das 
Prädikat  eines  eifrigen  Verteidigers  jener  Theorie"  in  Anspruch" 
und  erkannte  allzeit  gern  die  Priorität  eines  andern  Strafrechtlers, 
Chr.  C.  St  üb  eis,  an.  „Den  ersten  Versuch,  auf  die  reine  Präventions- 
theorie ein  System  des  Kriminalrechts  aufzubauen,  machte  Herr 
Professor  Stübel  zu  Wittenberg."^ 

Die  Lehre  von  der  Spezialprävention  sieht  Ziel  und  Zweck  der 
Strafe  in  der  Einwirkung  auf  das  Wesen  und  in  der  Beeinflussung 
des  künftigen  Verhaltens  des  einzelnen  zu  bestrafenden  Verbrechers. 
Ein  Gedanke,  ebenso  alt  wie  naheliegend!  Plato  und  Cicero  haben 
ihn  geäußert*  und  Senecas  Wort:  Nemo  prudens  punit,  quia  peccatum 
est,  sed  ne  peccetur  wurde  den  Anhängern  dieser  Anschauung  für 
alle  Zeiten  zum  Wahlspruch.^  Wenn  man  trotzdem  von  dieser  Lehre 
im  Sinne  einer  eigenen  Theorie  einer  Gruppe  deutscher  Kriminalisten 
spricht,  so  liegt  die  Berechtigung  hierfür  darin,  daß  hier  jener  Gedanke 
zur  Grundlage  eines  geschlossenen  strafrechtlichen  Systems  gemacht 
wurde.  Dieses  Verdienst  gebührt  als  erstem  Stübel.  Ihm  diente 
jener  Grundgedanke,  daß  im  einzelnen  Verbrecher  die  antisozialen 
Tendenzen  überwunden  oder  unschädlich  gemacht  werden  müssen,  zu 
einem   einheitlichen   Prinzip,    aus   dem   er  die   Berechtigung   der 


^  Feuerbach,  Betrachtungen  über  die  Öffentlichkeit  und  Mündlichkeit 
der  Gerechtigkeitspflege.  Gießen  1821,  Widmung,  —  Eine  kriminalistische 
Würdigung  des  Streites  zwischen  Feuerbach  und  Grolman  bei  C.  G.  v. 
Wächter,  Die  deutsche  Straf rechtswissenschaft  des  XIX.  Jahrh.  und  ihre 
Aufgaben.  In:  Schletters  Jahrbüchern  der  deutschen  Rechtswissenschaft 
und  Gesetzgebung  I.     Erlangen  1855.     S.  105  ff. 

'^  Magazin  für  die  Philos.  und  Geschichte  des  Rechts  und  der  Gesetz- 
gebung Bd.  I.     1800.     S.  241. 

'  Grolman,  Über  die  Begründung  des  Strafrechts.  Gießen  1799. 
S.  210.  Vgl.  auch  E.  Henke,  Grundriß  einer  Geschichte  des  deutschen 
peinl.  Rechts  u.  d.  peinl.  Rechtswissenschaft  II.  Tl.     Sulzbach  1809.     S.  359. 

*  Ziegler,  Über  die  Sicherungstheorien.  Gerichtssaal  14,  1862,  S.  3  ff. 
Insbes.  vgl.  den  Nachweis  S.  24,  Änm.  33. 

^  De  dementia  c.  16.  Vgl.  Grolman,  Grundsätze  der  Kriminalrechts- 
wissenschaft.    Gießen  1798.     S.  9. 


33 

Strafe  in  juristischem  Sinn  in  gleicher  Weise  wie  ihre  Zweckmäßig- 
keit in  kriminalpolitischer  Hinsicht  abzuleiten  suchte.^  Naturgemäß 
mußte  in  diesem  Präventionsrecht  die  Prognose  für  das  künftige 
Verhalten  des  Täters  und  damit  die  Beurteilung  der  Gefährlichkeit  des 
Täters  eine  entscheidende  Rolle  spielen.  Ein  solches  Urteil  war  aber 
nicht  auf  die  Tatsache  des  begangenen  Delikts  allein  zu  stützen, 
sondern  mußte  auf  die  Persönlichkeit  des  Täters,  auf  die  Gesinnung 
des  Verbrechers  zurückgreifen.  Durch  diese  Berücksichtigung  der 
Gesinnung  näherte  sich  die  strafrechtliche  Zurechnung  der  sittlichen 
Beurteilung  des  Täters. 

Alle  diese  Momente  sind  in  einheitlichem  Aufbau  in  S  t  ü b  e  1  s  „  System 
des  allgemeinen  peinlichen  Rechts"  (1795)  zum  Ausdruck  gekommen. - 
Die  Zurückführung  aller  strafrechtlichen  Lehren  auf  das  eine  Grundprinzip 
der  Spezialprävention  mußte  jener  Zeit  philosophischer  Abstraktionen 
als  erheblicher  methodischer  Vorzug  erscheinen.  Als  Problem  empfand 
man  dagegen  die  Frage,  in  welchem  Verhältnis  diese  Regeln,  die  als 
philosophische  Prinzipien  den  Anspruch  auf  naturrechtliche  Ällgemein- 
gültigkeit  erhoben,  zum  positiven  Recht  standen.  Hier  war  sich  Stübel 
offenbar  selbst  nicht  ganz  klar.  Grundsätzlich  soll  das  Naturrecht,  das 
den  allgemein  menschlichen,  von  staatlichen  Bindungen  unabhängigen 
Bedürfnissen  entspricht,  die  maßgebende  Rechtsquelle  sein.  Aber  im 
Staat  ist  durch  positive  Gesetze  bestimmt,  wie  die  —  an  sich  allgemein 
gültigen  —  Naturrechtssätze  „in  den  bürgerlichen  Verhältnissen  im 
einzelnen  anzuwenden  sind".^  So  beschränkt  sich  das  Naturrecht  auf 
subsidiäre  Geltung  und  auf  die  Aufgabe,  die  Gründe  und  Zwecke  der 
einzelnen  positiv -rechtlichen  Bestimmungen  aufzuzeigen.  Andererseits 
hat  Stübel  später  von  Fällen  gesprochen,   „in  welchen,  ungeachtet  sie 


•  Vgl.  Stübel,  System  des  allg.  peinl.  Rechts  IL  Bd.  Leipzig  1795, 
Vorerinnerung  pag.  IV.  —  R.  Schmidt,  Die  Aufgaben  der  Strafrechts- 
pflegc,  Leipzig  1895,  S.  27,  meint,  diese  Vereinheitlichung  sei  ein  Verdienst 
Grolmans  und  erkläre  sich  aus  dem  Einfluß  Kants  auf  Grolman.  Aber 
Grolman  hat  doch  wohl  diesen  Aufbau  schon  von  Stübel  übernommen. 
Es  liegt  dessen  „System  des  allg.  peinl.  Rechts"  von  1795  zugrunde, 
während  die  Darstellung  der  Strafrechtstheorie  Kants  in  der  „Metaphysik 
der  Sitten"  (Äkademie-Äusgabe  Bd.  VI,  S.331  ff.,  Cassirer  Bd.  VII,  S.  138  ff.) 
erst  zwei  Jahre  nach  diesem  Werk  Stübels  erschien.  Wenn  Kant  bereits 
vorher  gelegentlich  vom  Strafrecht  spricht,  etwa  im  Zusammenhang  mit  der 
Frage,  warum  Glückseligkeit  nicht  Zweck  der  Moral  sein  kann  (Kritik  der 
praktischen  Vernunft,  Akademie-Rusg.  Bd.  V,  S.  37,  Cassirer  Bd.  V,  S.  43), 
so  hat  er  damit  kaum  einen  Einfluß  auf  die  Strafrechtswissenschaft  ausgeübt. 

"^  Chr.  C.  Stübel,  System  des  allgemeinen  peinlichen  Rechts  mit 
einer  Anwendung  auf  die  in  Chursachsen  geltenden  Gesetze  besonders 
zum  Gebrauch  für  akademische  Vorlesungen   Bd.  I   und  IL     Leipzig  1795. 

"  System  Bd.  I,  S.  53. 


34 

unter  ein  vorhandenes  Strafgesetz  subsumiert  werden  können,  dennoch 
höhere  Gründe  die  Freisprechung  rechtlich  möglich  machen.  Diese 
höheren  Gründe  werden  aus  den  philosophischen  Rechtsprinzipien  und 
der  Politik  abgeleitet"!^  Jedenfalls  gehören  die  Voraussetzungen  der 
strafrechtlichen  Verantwortlichkeit  zu  den  allgemeinen  naturrechtlichen 
Prinzipien:  „Denn  die  Regeln  von  der  Zurechnung  und  der  Subsumtion 
der  einzelnen  Handlungen  unter  die  Gesetze  gehören  in  das  Gebiet 
der  Philosophie  und  werden  von  dem  Gesetzgeber  vorausgesetzt."^ 
Aus  der  naturrechtlichen  Idee  eines  allgemeinen  Schutzrechts 
gegen  jedwede  Bedrohung  des  Rechtsfriedens  leitet  Stübel  neben  der 
Befugnis  zur  Verteidigung  gegen  Angriffe  und  dem  Anspruch  auf 
Schadenersatz  ein  „moralisches  Präventionsrecht"  ab,  das  darin  zum 
Ausdruck  kommt,  daß  „die  Gewalt  denjenigen,  der  mich  beleidigen 
will,  überzeugt,  er  werde  durch  die  Ausführung  seiner  Absicht  mehr 
verlieren  als  gewinnen".^  Um  dieses  naturrechtlich  vorbestimmten 
Zieles  willen  hat  der  Staat  Strafgesetze  erlassen,  „zu  jedermanns 
Warnung  .  .  .,  damit  solchergestalt  die  bloße  Drohung  soviel  wirke  als 
die  wirkliche  Ausübung  der  Gewalt".^  Hat  die  Drohung  aber  nicht 
gefruchtet,  so  ist  die  „Vollziehung  der  Strafe  das  einzige  unentbehrliche 
Mittel,  dergleichen  Gesetze  in  Ansehung  zu  erhalten".^  Während 
Feuerbach  und  Grolman  über  die  Frage  stritten,  ob  das  Strafrecht 
generelle  oder  spezielle  Wirkungen  erstreben,  sich  an  die  Allgemeinheit 
oder  den  einzelnen  Bestraften  wenden  solle,  redet  hier  Grolmans 
Vorläufer  Stübel  selbst  der  generellen  psychologischen  Wirkung  der 
gesetzlichen  Strafdrohung,  wie  sie  später  Feuerbach  vertrat,  das  Wort.*" 
Indessen  hat  diese  Aufgabe  der  Strafe  bei  Stübel  für  den  inneren 
Aufbau  seiner  Lehren  im  Verhältnis  zur  Spezialprävention  nur  geringe 
Bedeutung.  Mag  um  dieser  psychologischen  Wirkung  willen  kriminal- 
politische Zweckmäßigkeit  immerhin  zur  Bestrafung  ein  Bewußtsein  der 
Strafbarkeit  wünschenswert  erscheinen  lassen,  zur  rechtlichen  Begründung 
der  Bestrafung  erscheint  dies  Stübel  überflüssig.  Ebenso  wie  es  nach 
dem  natürlichen  Schutzrechte  nicht  notwendig  ist,  vorher  bekannt  zu 
machen,  welche  Art  von  Gewalt  zur  Prävention  gegen  gefährliche 
Elemente  angewandt  wird,  kann  auch  in  der  bürgerlichen  Gesellschaft 

^  Stübel,  Das  Kriminalverfahren  in  den  deutschen  Gerichten  Bd.  III. 
Leipzig  ISn.    S.  148. 

^  System  Bd.  II,  Vorcrinncrung  pag.  IX. 
'  System  Bd.  I,  S.  50. 

*  Ebendort  S.  14. 

^  Ebendort  S.  124. 

*  Binding,  Normen  III,  S.  96  f.,  Note  15,  bezeichnet  Stübel  geradezu 
als  Vorläufer  Feuerbachs.  —  In  der  Formulierung  erinnern  jene  Worte  Stübels 
an  die  spätere  Warnungstheorie  Bauers.     Über  diese  unten  Kap.  III. 


35 

ein  Delinquent  mit  einer  Strafe  belegt  werden,  die  der  Täter  vorher 
nicht  gekannt  hatte  oder  die  vorher  gar  nicht  bekanntgemacht  worden 
ist.  Vor  allem  zeigen  sich  die  Konsequenzen  der  Lehre  von  der 
Spezialprävention  in  Stübels  Verbrechensauffassung.  Indem  die  Strafe 
der  Gefährlichkeit  des  Täters,  der  Wahrscheinlichkeit  künftigen  anti- 
sozialen Verhaltens  begegnen  soll,  wird  das  Verbrechen  in  erster  Linie 
als  Symptom  künftiger  Gefährlichkeit,  die  begangene  Rechtsverletzung 
als  Erkenntnisgrund  für  künftige  weitere  Rechtsverletzungen  betrachtet.^ 
„Wir  strafen  keineswegs  eine  verbotene  Handlung  deswegen,  weil  sie 
geschehen  ist,  sondern  weil  wir  ihre  Wiederholung  zu  befürchten  haben 
und  betrachten  sie  also  bei  der  Bestrafung  als  Drohung."-  So  lag 
in  der  Lehre  der  Spezialprävention  bereits  eine  theoretische  Aus- 
gestaltung des  Grundgedankens  des  modernen  Sicherungsstrafrechts 
v.  Li szt scher  Prägung,  das  die  begangene  Rechtsverletzung  zwar  als 
Voraussetzung  strafrechtlicher  Reaktion  beläßt,  mit  dieser  aber  nicht  die 
Tat,  sondern  den  Täter  treffen  will.  Die  Gefahren  eines  einseitig  über- 
triebenen symptomatischen  Verbrechensbegriffes  haben  später 
Feuerbach  als  willkommene  Angriffspunkte  gegen  die  Lehre  von  der 
Spezialprävention  gedient.  Auf  der  anderen  Seite  hätte  diese  Lehre, 
welche  die  strafrechtliche  Wirkung  auf  die  Persönlichkeit  des  einzelnen 
bestraften  Verbrechers  abstellte,  einer  sinnvollen  Ausgestaltung  erfolg- 
reicher Verbrechensbekämpfung  zur  theoretischen  Grundlage  werden 
können.  Wenn,  wie  zu  zeigen  sein  wird,  in  jenem  Streite  Feuerbach 
Sieger  blieb  und  seinem  Generalpräventionsgedanken  zunehmenden 
Einfluß  verschaffte,  so  trägt  dieser  Ausgang  nicht  wenig  zu  der  auf 
lange  Zeit  fühlbaren  Unfruchtbarkeit  auf  dem  Gebiet  rationeller  Behand- 
lung der  Verbrecher  und  sinnvoller  Ordnung  des  Gefängniswesens  bei. 
Was  Feuerbach  bei  seiner  Anschauung  einer  begrifflichen  Selb- 
ständigkeit von  Recht  und  Moral  in  den  Lehren  zeitgenössischer 
Kriminalisten  und  namentlich  Stübels  und  Grolmans  mit  besonderem 
Eifer  bekämpfte,  war  die  Verbindung  indeterministischer  Gedanken  mit 
der  strafrechtlichen  Zurechnungslehre.  Streng  genommen  hätten  sich 
Stübel  und  Grolman  vom  Standpunkt  ihrer  Spezialprävention  zu  einem 
konsequenten  Determinismus  führen  lassen  müssen.  Beruhte  doch 
ihre  Lehre  auf  dem  Gedanken,  daß,  wer  einmal  gegen  das  Gesetz 
verstoßen  habe,  dies  auch  fernerhin  tun  müsse,  womit  geradezu  die 
Determination  zu  einem  bestimmten  antisozialen  Verhalten  zur  Vor- 
aussetzung  strafrechtlicher  Reaktion  gemacht  wurde. '^     Und  das  Ziel, 


1  System  Bd.  I,  S.  15. 
'  Ebendort  Bd.  II,  S.  11. 

*  V.  Bar,   Geschichte  des  deutschen   Strafrechts  und   der  Strafrechts- 
theorien.    Berlin  1882.     S.  171. 

3* 


36 

durch  sinnlich  wirkende  Mittel  den  gefährlichen  Verbrecher  zu  beein- 
flussen, konnte  nur  erreicht  werden,  wenn  überhaupt  menschliches 
Verhalten  durch  Ursachen  bestimmt  werden  kann.  Jene  Kriminalisten 
ließen  sich  jedoch,  je  mehr  sie  zu  einer  Prognose  über  die  Gefährlich- 
keit des  Verbrechers  einer  Beurteilung  seiner  Gesinnung  bedurften,  zu 
Anschauungen  treiben,  die  einer  moralischen  Bewertung  menschlichen 
Tuns  entsprachen,  und  solchen  Reflexionen  lag  eine  indeterministische 
Betrachtungsweise  nicht  eben  fern.  Stübel  selbst  sind  gelegentlich 
Bedenken  gekommen,  die  strafrechtliche  Zurechnung  in  so  ent- 
scheidendem Maße  auf  eine  Beurteilung  der  Gesinnung  des  Täters  zu 
gründen,  da  wir  die  Gesinnung  anderer  nie  vollkommen  beurteilen 
können.  Aber  er  meint,  „wir  können  doch  wenigstens  mit  hoher 
Wahrscheinlichkeit  von  den  Äußerungen  bei  den  Unternehmungen  und 
Ausführungen  eines  Verbrechens  so  weit  auf  die  Gesinnung  des  Täters 
schließen,  als  nötig  ist,  um  zu  entscheiden,  ob  sie  mehr  oder  weniger 
für  den  Staat  gefährlich  sei".'  Ob  und  inwiefern  die  Handlung  eines 
Verbrechers  moralisch  gut  oder  böse  sei,  das  „liegt  ganz  außer  der 
Sphäre  des  peinlichen  Richters,  da  auch  ein  ganz  unmoralischer  Mensch 
ein  guter  und  tugendhafter  Bürger  sein  kann,  insofern  er  seine  Maximen 
und  Handlungen  nicht  auf  das  Vernunftgesetz  bezieht,  sondern  allein 
durch  positive  Gründe,  durch  sinnliche  Furcht  und  Hoffnung  zur 
Erfüllung  der  bürgerlichen  Gesetze  und  Pflichten  bestimmt  wird".^ 
Hier  klingt  wieder  die  Kantische  Unterscheidung  von  Legalität  und 
Moralität  als  eine  Verschiedenheit  der  Motive  zur  Pflichterfüllung  heraus. 
Will  die  Präventionstheorie  somit  keineswegs  die  sittliche  Schuld, 
sondern  allein  die  Notwendigkeit  und  Möglichkeit  strafrechtlichen  Ein- 
schreitens zur  Grundlage  der  strafrechtlichen  Verantwortung  machen, 
so  leitet  sie  doch  eben  diese  strafrechtlichen  Voraussetzungen  nicht 
aus  einer  Bewertung  der  begangenen  Tat,  sondern  aus  einer  Beurteilung 
des  Täters  ab.  Dabei  herrschte  die  Vorstellung,  daß  eine  begangene 
Rechtsverletzung  dann  von  einer  besonders  gefährlichen  Gesinnung  des 
Täters  zeuge,  wenn  er  sich  aus  freien  Stücken  zu  ihr  entschlossen  hat. 
Diese  Freiheit  der  Willensentschließung  ist  völlig  in  indeter- 
ministischem Sinne  gedacht.  Zu  ihrer  philosophischen  Rechtfertigung 
verweist  Stübel  auf  Reinhold,  der  neben  dem  Kantischen  reinen  Willen, 
der  der  sittlichen  Triebfeder  unabhängig  von  sinnlichen  Motiven  folgt, 
die  Möglichkeit  eines  in  gleicher  Weise  „freien"  unreinen  Willens 
annahm  und  somit  dem  Menschen  die  Fähigkeit  zusprach,  sich  mit 
der  „natürlichen  Freiheit  des  Willens"  sowohl  für  als  gegen  das  Gesetz 


'  Stübel,  System  Bd.  II,  S.  32. 
-  Ebendort  S.  37. 


37 

zu  bestimmen/  Der  freie  Willensentschluß,  der  nach  Stübel  ein 
Anzeichen  für  die  gefährliche  Gesinnung  des  Täters  ist,  besteht  für 
ihn  aus  drei  Elementen:  aus  dem  Bewußtsein,  daß  durch  die  Handlung 
ein  Gesetz  übertreten  wird,  einer  freien  Überlegung  über  Zwecke  und 
Folgen  der  Handlung  und  schließlich  der  eigentlichen  Willensbestimmung, 
dem  Entschluß.  Hieraus  folgt,  daß  es  für  Stübel  im  Grunde  nur  eine 
Schuldform  gibt:  Vorsatz.^  Gleichwohl  suchte  er  sich  mit  der  her- 
kömmlichen Zweiteilung  der  Schuldformen  abzufinden.  Vorsatz  im 
engeren  Sinne  ist  ihm  der  freie  Entschluß  mit  dem  ausdrücklichen 
Ziel  einer  Gesetzesübertretung,  Fahrlässigkeit  der  freie  Entschluß 
zu  einem  Handeln  mit  dem  Bewußtsein,  daß  daraus  wahrscheinlich 
eine  Gesetzesverletzung  entstehen  kann,  ohne  daß  diese  beabsichtigt 
ist.  Eine  Handlung  zu  unterlassen,  aus  der  nur  möglicherweise 
eine  Rechtsverletzung  entstehen  kann,  kann  dagegen  nach  seiner 
Ansicht  von  niemand  verlangt  werden;  tritt  diese  Folge  doch  ein, 
so  ist  das  ein  Zufall,  für  den  niemand  verantwortlich  ist. 

Der  Grad  der  persönlichen  Gefährlichkeit  und  ihm  entsprechend 
das  Maß  strafrechtlicher  Verantwortlichkeit  sind  für  Stübel  um  so  größer, 
je  mehr  die  Tat  als  der  freie  Entschluß  ihres  Urhebers  anzusehen  ist, 
je  weniger  äußere  Gründe  ihn  zu  seinem  Verhalten  determinierten. 
Hier  liegt  der  Kern  jener  Zurechnungslehre,  die  Feuerbach  wohl  noch 
mehr  ihrer  indeterministischen  Tendenz  als  ihrer  präventionstheoretischen 
Begründung  wegen  mit  aller  Energie  bekämpfte.  Wo  mangelhafte 
Erziehung,  körperliche  oder  geistige  Entwicklungsstörungen,  über- 
raschend sich  bietende  Versuchungen  oder  gewaltsame  Zwangslagen 
die  innere  Entschlußfreiheit  beeinträchtigen,  da  rührt  nach  Stübel  die 
Gesetzwidrigkeit  weniger  von  der  Gesinnung  des  Täters  her,  als  von 
einem  „zufälligen",  d.  h.  nicht  aus  der  Persönlichkeit  des  Täters  zu 
erklärenden  „ungewöhnlichen  Ereignis  ...  Es  bleibt  in  dem  Fall  zu 
hoffen  übrig,  daß  der  Verbrecher  unter  anderen  Umständen  anders 
gehandelt  haben  würde  und  daß,  wie  diese  Hindernisse  gehoben  werden 
können,  auch  die  Entschließung  desselben  eine  andere  Richtung  nehmen 
werde ".^  Hier  handelt  es  sich  nicht  um  eine  fehlerhafte  Gesinnung, 
auf  die  mit  Bestrafung  eingewirkt  werden  muß.     Darum  bedingt  eine 

^  Carl  Leonhard  Reinhold,  Beitrag  zur  genaueren  Bestimmung  der 
Moral  und  des  Naturrechts.  Der  neue  teutsche  Merkur  vom  Jahre  1792. 
Weimar  1792.  6.  Stück,  S.  103  ff.,  insbes.  S.  112  ff.  Derselbe,  Briefe  über 
die  Kantische  Philosophie  II.  Bd.  Leipzig  1792.  8,  Brief,  insbes.  S.  272. 
Die  Stellung  Feuerbachs  zu  dieser  Lehre  seines  Jenaer  Lehrers  sowie 
ihr  Verhältnis  zu  Kant  vgl.  unten  Kap.  III,  S.  82. 

^  Stübel,  System  Bd.  II,  S.  54,  auch  Feuerbachs  Schuldlehre  führte 
zu  dieser  Konsequenz.     Vgl,  unten  Kap.  III. 

"  System  Bd.  II,  S.  85. 


38 

Verminderung  der  Freiheit  des  Willensentsclilusses  eine 
Herabsetzung  der  strafrechtlichen  Zurechnungsfähigkeit. 
Huf  der  anderen  Seite  wird  eine  Tat  umso  ernstlicher  ihrem  Urheber 
zum  Verbrechen  zugerechnet,  je  geringer  der  äußere  Anlaß  zu  ihrer 
Begehung  war.  War  die  Versuchung  nur  gering,  hat  der  Täter  nicht 
einmal  die  leichte  Mühe  aufgebracht,  die  dazu  nötig  gewesen  wäre, 
die  Tat  zu  vermeiden,  so  enthüllt  er  dam.it  die  ganze  Fülle  seiner 
eigenen  verbrecherischen  Neigungen  und  ihn  trifft  um  seiner  erhöhten 
Gefährlichkeit  willen  von  Rechtswegen  die  schwerere  Strafe. 

Gegenüber  diesem  starken  Subjektivismus  in  der  strafrechtlichen 
Bewertung  verbrecherischen  Verhaltens  fehlen  jedoch  bei  Stübel  nicht 
die  traditionellen  objektiven  Momente,  von  denen  gemeinhin  die  Schwere 
der  begangenen  Tat  im  Strafrecht  abhängig  gemacht  wird:  die  Differen- 
zierung von  Versuch  und  Vollendung,  die  Bedeutung  des  verletzten 
Rechts,  Ort,  Zeit  und  Umstände  der  Ausführung  usw.  Immerhin  versucht 
Stübel,  den  Einfluß  dieser  objektiven  Momente  auf  die  strafrechtliche 
Zurechnung  aus  der  Bedeutung  zu  erklären,  die  sie  als  Anzeichen  für 
die  Gesinnung  des  Täters  haben.  Wer  eine  Verbindlichkeit  von 
besonderem  Wert  übertritt,  bew^eist  dadurch  eine  besonders  starke 
„Mißachtung  gegen  das  Rechtsgesetz ".  Und  wer  „an  öffentlichen  Orten 
oder  außer  denselben  in  dem  Angesichte  anderer  die  Gesetze  übertritt, 
der  gibt  zu  erkennen,  daß  er  auch  in  den  Äugen  seiner  Mitmenschen 
nicht  einmal  für  einen  guten  Bürger  gelten  wolle  und  die  Meinung 
anderer,  die  ihn  für  einen  gefährlichen  Menschen  halten  könnten, 
nicht  achte ".^ 

Ähnliche  Gedanken  wie  Stübel  vertrat  sein  Schwager  Tittmann. 
Freilich  ist  er  erst  später  zu  umfassenden  systematischen  Werken 
gekommen,  als  die  andern  Anhänger  der  Lehre  von  der  Spezial- 
prävention bereis  ihre  Anschauungen  unter  dem  Eindruck  der  Feuerbach- 
schen  Angriffe  zu  verändern  begannen.  Aber  auch  aus  seinen  früheren 
Schriften  lassen  sich  charakteristische  Züge  seiner  Lehren  erkennen. 
Auch  er  behandelt  die  Grundsätze  der  strafrechtlichen  Zurechnung  als 
philosophische  Prinzipien,  sie  dürfen  „auf  keine  Weise  der  Willkür 
positiver  Gesetze  überlassen  werden".^  Ist  ihm  doch  das  Naturrecht 
nicht  wie  bei  Stübel  grundsätzlich  auf  subsidiäre  Geltung  beschränkt, 
sondern  „der  Grund  alles  und  jedes  Rechts,  welchen  Namen  es  auch 
haben  mag,  und  wenn  sich  ein  Recht,  das  im  Staate  ausgeübt  wurde, 


'  Stübel,  System  Bd.  II,  S.  95. 

'  Tittmann,  Versuch  über  die  wissenschaftliche  Behandlung  des 
peinlichen  Rechts.  Leipzig  1798.  S.  38.  Eine  in  gezierter  Sprache 
geschriebene,  vornehmlich  methodologischen  Fragen  gewidmete  Schrift. 
Über  Tittmanns  spätere  Werke  vgl.  unten  S.  56. 


39 

nicht  durch  einen  Titel  jenes  Rechts  begründen  (rechtfertigen)  läßt, 
so  ist  es  eine  Anmaßung  eines  Rechts  und  Verletzung  der  Freiheit, 
von  der  kein  Mensch,  wenn  er  in  den  Staat  tritt,  mehr  aufopfern  kann, 
als  wie  nach  dem  natürlichen  Rechte  erlaubt  ist".^  Inhaltlich  entspricht 
Tittmanns  Zurechnungslehre  dem  auch  von  Stübel  vertretenen  indeter- 
ministischen Beurteilungsprinzip,  wonach  ein  minderer  Grad  der  Freiheit 
des  Entschlusses,  körperliche  und  geistige  Fehler,  Leidenschaft  und 
Trunkenheit,  Not  und  Gelegenheit  die  strafrechtliche  Verantwortlichkeit 
des  Täters  mildern.'  Ferner  läßt  er  eine  Strafmilderung  zu,  wenn  der 
Täter  ein  lediglich  auf  positive  Gesetzesbestimmungen  begründetes 
Verbot  nicht  gekannt  hat.^ 

Die  stärkste  Förderung  verdankt  die  Lehre  von  der  Spezial- 
prävention Carl  V.  Grolman.  Mit  unermüdlichem  Fleiß  und  Gewissen- 
haftigkeit hat  er  immer  aufs  neue  die  alten  Probleme  durchdacht  und 
an  den  Lehren  gefeilt  und  gebessert.  Doch  blieb  seinen  Schriften  die 
geistige  Kraft  und  die  suggestive  Dialektik  versagt,  die  den  Arbeiten 
seines  großen   Gegners  Feuerbach  innewohnt.     Die  Gründlichkeit   der 


'  Ebendort  S.  35. 

^  Diese  Anschauungen  ergeben  sich  für  diesen  Zeitpunkt  aus  einer 
a.  a.  O.  S.  192  if,  veröffentlichten  „tabellarischen  Übersicht  über  das  System 
des  peinlichen  Rechts",  einem  in  Stichworte  zusammengefaßten  Abriß  nach 
Art  der  gedruckten  Unterlagen  der  Vorlesungen. 

^  Bei  Handlungen,  welche  erst  durch  ausdrückliches  Verbot  zu  Delikten 
werden,  verlangt  Tittmann  eine  Publikation  des  Gesetzes.  „In  dieser  Hinsicht 
sollte  es  Bücher  geben,  nach  denen  schon  in  der  Schule  die  Verbote  bekannt- 
gemacht, nicht  aber  von  den  Kanzeln  abgelesen  würden,  wobei  der 
Zweck  gar  nicht  erreicht  wird,  indem  teils  die  Kirche  nicht  der  Ort  dazu 
ist,  teils  dem  gemeinen  Mann  der  Sinn  der  Gesetze  nicht  erklärt  werden 
kann,  den  er  doch  aus  der  für  ihn  unverständlichen  Gesetzessprache  zu 
verstehen  nicht  imstande  ist,  zumal  die  Gesetze  selbst  von  der  Kanzel 
gewöhnlich  immer  in  aller  Eile  abgelesen  werden."  Bei  diesen  Delikten 
ist  Unkenntnis  des  Gesetzes  Strafmilderungsgrund.  Dagegen  wird  voraus- 
gesetzt, daß  jeder  weiß,  daß  die  „übrigen  Handlungen,  z.  B.  Tötung  und 
Brandstiftung"  verboten  sind.  Es  ist  deshalb  auch  gar  nicht  nötig,  daß  die 
Gesetze  hierüber  publiziert  werden  —  man  kann  sie  doch  nicht  alle 
kennen.  „Es  ist  fast  unmöglich,  die  zahllose  Menge  von  Mandaten, 
Reskripten,  Befehlen,  Instruktionen  und  dickleibigen  Gesetzbüchern  bei 
einem  immerwährenden  Studio  derselben  ganz  kennen  zu  lernen,  selbst 
in  den  Spruchkollegien  wird  so  mancher  Streit  darüber  veranlaßt,  wie 
sollten  die  Bürger  die  Strafgesetze  kennen?"  Versuch  über  die 
wiss.  Behandlung  des  peinl.  Rechts  S.  52,  Note  14.  „Die  Geheimkunst 
des  Kriminalistenstandes",  —  so  nannte  auch  Binding  die  dem 
Pflichtigen  Volksgenossen  nicht  zuzumutende  schwierige  Kenntnis  der 
Strafgesetze  (Strafrechtl.  und  strafproz.  Äbhdl.  I,  S.  415)!  —  Tittmann 
widmete  jenem  Thema  eine  besondere  Schrift:  Über  den  Unterricht  des 
Volkes  in  Strafgesetzen  auf  Schulen.     Leipzig  1799. 


40 

Grolmanschen  Bücher,  die  Verbindung  fortgeschrittener  humaner  Tendenz 
mit  der  Beibehaltung  traditioneller  Institutionen  und  die  einflußreiche 
Stellung  des  Verfassers,  der  von  seinem  Gießener  Ordinariat  nach 
Darmstadt  auf  einen  leitenden  Posten  im  Staatsdienst  berufen  wurde, 
trugen  zur  Verbreitung  seiner  Lehren  bei,  an  der  die  Polemik  Feuer- 
bachs vielleicht  den  stärksten  Anteil  gehabt  hat.  Seine  „Grundsätze 
der  Kriminalrechtswissenschaft"  waren  seinerzeit  ein  vielgelesenes, 
einflußreiches  Buch.  In  ihrer  ersten  Auflage  1798  enthalten  sie  eine 
reine  Darstellung  der  Lehre  von  der  Spezialprävention,  bis  dann  später- 
hin, wie  zu  zeigen  sein  wird,  Grolmans  literarisches  Schaffen  mehr  und 
mehr  den  Einfluß  der  Auseinandersetzung  mit  Feuerbach  verrät. 

Auch  für  Grolman  bedarf  das  positive  Strafrecht  einer  Ergänzung 
durch  philosophisch  deduzierte  Grundsätze  des  Naturrechts.  Dieser 
doppelten  Quelle  strafrechtlicher  Sätze  suchte  er  dadurch  in  dem 
Aufbau  seiner  Wissenschaft  gerecht  zu  werden,  daß  er  diese  in  zwei 
Teile  spaltete:  Gesetzeskunde  und  Rechtswissenschaft.  Dabei  blieb  es 
freilich  eine  Selbsttäuschung,  daß  die  Gesetzeskunde  eine  selbständige 
Bearbeitung  des  positiven  Rechts  aus  seinem  spezifischen  Geist  heraus 
sein  sollte.  Grolman  vermochte  ebensowenig  wie  sein  Vorgänger  zu 
einer  von  naturrechtlichen  Korrekturen  freien  Darstellung  des  positiven 
Rechts  zu  kommen.^ 

Ähnlich  wie  Stübel  geht  Grolman  von  der  naturrechtlichen  Idee  eines 
allgemeinen  Schutzrechts  aus,  aus  dem  die  Befugnis  folgt,  die  Bürger  vor 
Rechtsverletzungen,  die  ihnen  drohen,  zu  schützen:  das  Präventionsrecht. 
Da  Grolman  in  der  Begehung  eines  Verbrechens  eine  Drohung  mit 
künftigen  weiteren  Rechtsverletzungen  erblickte,  so  folgte  für  ihn  aus 
dem  Präventionsrecht  die  Befugnis,  den  Urheber  eines  Verbrechens  von 
weiteren  Verbrechen  abzuschrecken  oder  solche  Handlungen  physisch 
unmöglich   zu  machen.     Dieser  Aufgabe  aber  dient   das  Straf  recht. 

Indem  von  dem  Urteil  darüber,  ob  der  Verbrecher  durch  seine 
Handlungsweise  künftige  Rechtsverletzungen  wahrscheinlich  gemacht 
hat,  die  Berechtigung  der  Strafe  abhängt,  erhält  das  Problem  der 
strafrechtlichen  Zurechnung  für  Grolman  eine  zentrale  Bedeutung. 
So  verweist  er  in  seinen  „  Grundsätzen "  die  Zurechnungslehre  in 
systematischer  Geschlossenheit  an  den  Anfang  des  Buches.  Dabei  zeigt 
sich,  daß  Grolman  ebenso  wie  Stübel  die  strafrechtliche  Beurteilung 
menschlichen  Verhaltens  mit  indeterministischer  Betrachtungsweise  ver- 
knüpft. „Zurechnen  (auf  eine  Rechnung  schreiben)  heißt:  erklären,  daß 
einer  für  etwas  einstehen  könne  und  müsse.""  Für  seine  Handlungs- 
weise kann  nach  Grolman  der  Mensch  nur  dann  einstehen,   wenn  es 

'  Loening,  Z.  Str.  W.  Bd.  3,  S.  287. 

^  Grundsätze  der  Kriminalrechtswissenschaft  1.  Aufl.     1798.     S.  13. 


41 

von  ihm  abhing,  ob  er  die  Tat  wollte  oder  nicht.  Eine  Zurechnung 
menschlichen  Handelns  zur  Schuld  oder  zum  Verdienst  wäre  gleicher- 
weise undenkbar,  wenn  der  Mensch  ein  reines  Vernunftwesen  wäre, 
das  seinem  Wesen  nach  gar  nicht  anders  als  vernünftig  handeln  kann, 
oder  wenn  er  zu  den  bloßen  Naturwesen  gehörte,  deren  Verhalten 
durch  Naturgesetze  zwangsmäßig  festgelegt  ist.  Aber  der  Mensch 
erlebt  in  seinem  Selbstbewußtsein  seine  doppelte  Natur:  das  Gefühl 
des  Könnens,  die  Unabhängigkeit  von  der  Sinnenwelt  der  äußeren 
Natur  wie  das  Bewußtsein  des  Sollens  in  der  Abhängigkeit  des 
Gewissens  von  sittlichen  und  rechtlichen  Pflichten.  Diese  Erfahrung  des 
Selbstbewußtseins  macht  Grolman  zur  Grundlage  der  Beurteilung  anderer 
Menschen.  Ihm  ist  der  Mensch  ein  „beschränktes  Vernunft- 
wesen", ein  Geschöpf,  begabt  mit  der  doppelten  Eigenschaft,  „den 
Forderungen  der  Vernunft  Genüge  zu  leisten  und  die  Tierheit  der 
Persönlichkeit  unterzuordnen,  aber  auch  sich  leidend  zu  verhalten, 
sich  als  Tier  nach  Gefühlen  bestimmen  zu  lassen  und  Sklave  seiner 
Leidenschaften  und  Lüste  zu  werden".^  Der  Gedanke  des  „beschränkten 
Vernunftwesens",  der  auch  bei  Feuerbach  wiederkehrt,*  geht  auf  die 
Argumentation  Kants  zurück,  mit  der  dieser  die  Möglichkeit  eines 
kategorischen  Imperativs  beweist.  Ein  kategorischer  Imperativ  wird 
dadurch  möglich,  daß  ich  mich  als  „Glied  der  Sinnenwelt  ansehen" 
kann  und  zugleich  „die  Idee  der  Freiheit  mich  zu  einem  Gliede  der 
intelligiblen  Welt  macht ".^  Was  aber  bei  Kant  eine  Zuweisung  zu 
verschiedenen  Denkordnungen  bedeutet,  konkretisiert  sich  bei  Grolman 
zu  bestimmten  menschlichen  Fähigkeiten,  wobei  er  zudem  jene  Alternative 
der  Zuordnung  zu  den  beiden  Gesetzlichkeiten  in  ein  willkürliches 
So-und-auch-anders-Handeln-Können  umdeutet.  Damit  ist  die  indeter- 
ministische Willensfreiheit  als  selbstverständliche  Wesenseigenschaft  des 
Menschen  statuiert.  „Hat  man  nun  ein  Recht,  zu  behaupten,  daß 
man  den  Menschen  solange  als  Menschen  betrachten  müsse,  bis  gezeigt 
werden  kann,  daß  er  seiner  Menschenwürde  verlustig  sei,  so  kann 
man  auch  mit  demselben  Recht  behaupten,  daß  man  im  Zweifel  jede 
Handlung  eines  Wesens,  welches  uns  als  Mensch  erscheint,  für  eine 
menschliche  halten,  mithin  vermuten  müsse,  daß  sie  willkürlich 
durch  den  Menschen  hervorgebracht  sei."'  Indem  Grolman  in  der 
strafrechtlichen  Zurechnung  das  begangene  Verbrechen  als  willkürliche 


*  Grundsätze.  1798.  S.  14.  —  Über  die  Begriffe  von  Dolus  und  Culpa. 
Bibl.  f.d.  peinl.  Rechtswissenschaft  u.  Gesetzkunde  I.Teil.   1798.   I.Stück,  S.20. 

'  Revision  Bd.  I,  S.  33. 

■''  Grundlegung  zur  Metaphysik  der  Sitten.  Äkademie-Äusgabe  Bd.  IV, 
S.  454,  Cassirer  Bd.  IV,  S.  313  f. 

•*  Wird  dolus  bei  begangenen  Verbrechen  vermutet?  Bibl.I,  2.  Stück,  S.74. 


42 

Tat  der  freien  Persönlichkeit  beurteilt,  bewegt  er  sich  völlig  in  den 
Bahnen  ethischer  Betrachtungsweise.  Ihm  selbst  ist  das  nicht  ent- 
gangen, doch  dünkt  ihm  dieser  Zusammenhang  „ganz  zufällig  .  .  .: 
Moralität  und  Inmoralität  sind  für  uns  hier  ganz  fremde  Wörter".^ 
In  der  Tat  war  der  Ausgangspunkt  Grolmans  nicht  die  Beurteilung 
der  sittlichen  Schuld,  sondern  die  strafrechtliche  Prognose  der  künftigen 
Gefährlichkeit.  Dabei  schloß  er,  genau  wie  Stübel,  daß  der  freie 
Entschluß  zum  Verbrechen  ein  besonders  deutliches  Symptom  anti- 
sozialer Gesinnung  sei,  daß  gerade  „willkürliche  illegale  Handlungen 
künftige,  ähnliche  wahrscheinlich  machen".^  Grolmans  und  Stübels 
indeterministische  Präventionstheorie  führt  ebenso  wie  das  deterministische 
moderne  Sicherungsstraf recht  zu  einer  „Ethisierung  des  Straf- 
rechts", indem  in  beiden  Fällen  die  Prognose  künftiger  Gefährlichkeit 
das  entscheidende  Gewicht  auf  eine  Beurteilung  der  Persönlichkeit  des 
Täters  verlegt,  eine  Berücksichtigung  der  Tat  unter  dem  Gesichtspunkt 
ihres  Verhältnisses  zum  Täter  aber  mit  der  sittlichen  Bewertung  mensch- 
lichen Verhaltens  zusammenfällt. 

Das  Maß  der  strafrechtlichen  Verantwortlichkeit  für  Übertretungen 
des  Gesetzes  ist  bei  Grolman  entsprechend  dem  Gedanken  der  Spezial- 
prävention abhängig  von  dem  Grad  der  Wahrscheinlichkeit  künftiger 
Rechtsverletzungen,  davon,  wie  gefährlich  man  die  durch  die  begangene 
Tat  dokumentierte  Bedrohung  des  Rechtsfriedens  einschätzt.  Dieser 
Gefährlichkeit  des  Verbrechers  entspricht  die  Stärke  des  inneren  Kampfes 
zwischen  der  Stimme  des  Gewissens  und  den  verbrecherischen  Neigungen. 
Gerade  an  dieser  Stelle  zeigt  sich  das  Widerspruchsvolle  in  der  Ver- 
bindung indeterministischer  Anschauungen  mit  dem  Gedanken  der 
Spezialprävention.  Die  Gefährlichkeit  des  Verbrechers  wird  nicht  in 
der  Stärke  verbrecherischer  Neigungen  und  der  Schwäche  des  redlichen 
Gewissens  gefunden,  sondern  in  jenem  geheimen  Agens  des  freien 
Willens,  das  dann  am  schärfsten  als  antisoziale  Willensbestimmung 
sich  kundtut,  wenn  die  Tat  trotz  starker  innerer  Hemmungen  zustande- 
kommt. Hiernach  würde  der  Musterknabe,  der  einmal  strauchelt, 
besonders  strafwürdig  sein,  denn  sein  verbrecherischer  Wille  war  so 
stark,  daß  er  selbst  ein  Höchstmaß  innerer  Rechtschaffenheit  zu 
erschüttern  vermochte."^ 


'  Grundsätze.    1798.    S.  17. 

'  Ebendort  S.  17. 

"  Diese  Entscheidung  würde  richtig  sein  vom  Standpunkt  eines  ethischen 
Subjektivismus,  der  jeden  mit  seinem  eigenen  Maß  mißt.  Vom  Standpunkt 
der  Gefährlichkeit  aus  wäre  umgekehrt  nicht  der  Tugendmensch,  sondern 
der  unzurechnungsfähige  Gewohnheitsverbrecher  am  meisten  strafwürdig,  — 
eine  Beurteilung,  die,  wie  zu  zeigen  sein  wird,  nicht  Grolmans,  sondern 
gerade  Feuerbachs  Zurechnungslehre  entsprechen  würde! 


43 

„Je  mehr  der  Mensch  kämpfen  mußte,  um  seine  Vernunft  zum 
Schweigen  zu  bringen  und  je  stärker  er  ihre  Stimme  unterdrückt  hat, 
desto  mehr  muß  er  willkürlich  gestimmt  sein,  seine  subjektiven 
gesetzwidrigen  Maximen  auf  Kosten  des  Gesetzes  durchzusetzen,  desto 
wahrscheinlicher  sind  von  ihm  künftige  Verbrechen,  desto  stärkeres 
Strafübel  muß  ihn  treffen."^ 

Drei  Momente  gibt  Grolman  als  Kennzeichen  der  Stärke  jenes 
inneren  Kampfes  und  als  Maßstab  für  die  Strafwürdigkeit  an.  Einmal 
die  Wichtigkeit  des  verletzten  Rechts,  ein  objektives  Moment,  das  wie 
bei  Stübel  subjektiviert  wird.  Der  traditionelle  Gedanke,  daß  das 
Bewußtsein  der  Rechtswidrigkeit  als  Voraussetzung  zur  Zurechenbar- 
keit verlangt,  aber  zugleich  mit  der  Zurechnungsfähigkeit  des  Täters 
präsumiert  wird,  wird  hier  von  Grolman  zu  einer  Fiktion  gesteigert. 
Er  nimmt  an,  daß  dem  willkürlich  Handelnden  die  übertretene  Ver- 
bindlichkeit nicht  nur  überhaupt,  sondern  auch  in  der  Stärke  vor- 
schwebt, die  ihrem  Werte  in  der  Rangordnung  der  Rechte  entspricht. 
Bei  einem  Mord  würde  Grolman  voraussetzen,  daß  der  Täter  nicht 
nur  das  Bewußtsein  hatte:  „Du  sollst  nicht  töten!",  sondern  auch 
die  Vorstellung,  daß  er  ganz  besonders  dazu  verpflichtet  ist,  nicht 
zu  töten.  Tut  er  es  dennoch,  so  hat  er  eben  ein  ganz  besonders 
starkes  Interesse  an  seiner  Tat,  das  selbst  die  Vorstellung  dieser 
besonders  ernsten  Verpflichtung  zu  paralysieren  vermochte.  „Es  ist 
unleugbar,  daß  die  gemeine  Menschenvernunft  oder  lieber  das  auch 
dem  rohesten  Menschen  beiwohnende  Rechtsgefühl  sich  dieser  Rück- 
sichten des  größeren  und  unersetzlicheren  Schadens  als  besonderer 
Äbratungsgründe,  als  Gegengewicht  zur  Überschreitung  der  Verbind- 
lichkeiten bedient  und  von,  den  formal  gleich  großen  Verbindlichkeiten 
die  eine  dringender  als  die  andere  ans  Herz  legt."^'  Darum  soll 
die  Übertretung  einer  besonders  heiligen  Rechtspflicht  auch  subjektiv 
einen  besonders  starken  verbrecherischen  Willen  beweisen,  —  der 
„Psychologie  und  aller  Erfahrung  widersprechend",  wie  Feuerbach 
späterhin  bemerkte.^  Das  zweite  Merkmal  für  die  Ermittlung  des 
Maßes  der  Strafbarkeit  ist  aus  dem  Vorhandensein  von  Momenten 
zu  entnehmen,  die  es  dem  Täter  hätten  erleichtern  können,  frei  der 
Stimme  der  Vernunft  zu  folgen.  Denn  je  ungestörter  die  Vernunft 
spricht,  ist  Grolmans  Vorstellung,  „um  so  mehr  muß  es  ihn  Anstrengung 
gekostet  haben,  seine  Vernunft  zu  betäuben".^  Der  Verbrecher  ist 
um  so  strafbarer,  je  mehr   er  sich  über  seine  Handlung,   ihre  Folgen 


'  Grundsätze.    1798.    S.  33. 
'  Grundsätze.    1798.    S.  35. 
»  Revision  Bd.  II,  S.  209. 
'  Grundsätze.    1798.    S.  34. 


44 

und  ihre  Rechtswidrigkeit  im  klaren  ist.  Nach  dem  Verhältnis  zwischen 
dem  Willen  des  Täters  und  seiner  Vorstellung  von  der  Rechtswidrigkeit 
seines  Tuns  bestimmt  Grolman  die  Differenzierung  des  Schuldbegriffs 
in  die  traditionellen  Formen  von  Vorsatz  und  Fahrlässigkeit.  Vorsatz 
ist  ihm  der  Entschluß  zur  Realisierung  eines  Zweckes  durch  vorher- 
gesehene Rechtswidrigkeit;  Fahrlässigkeit  Entschluß  zu  einer  Handlung 
„ohne  daß  der  Handelnde  der  Vermeidung  eines  rechtswidrigen  Erfolges 
gewiß  ist".^  Grolmans  Fahrlässigkeitsbegriff  ist  also  weiter  als  der 
Stübels,  der  Bewußtsein  der  Wahrscheinlichkeit  für  den  Eintritt  des 
rechtswidrigen  Erfolges  gefordert  hatte.  Wer  trotz  geringer  äußerer 
Motive  zum  Verbrecher  wurde,  ist  besonders  strafwürdig,  denn  — 
erschreckend  intellektualistisch  gedacht!  —  er  wurde  nur  wenig  an 
„der  ruhigen  Subsumtion  der  Handlung  unter  das  Gesetz"  gestört. ' 
Dagegen  gelten  Unmündige,  Kranke  und  in  leidenschaftlicher  Erregung 
Handelnde  nur  in  geringerem  Maße  als  strafrechtlich  zurechnungsfähig. 

Als  drittes  Merkmal  für  die  Stärke  des  inneren  Kampfes  und  die 
Gefährlichkeit  des  Willens  nennt  Grolman  den  Umfang  der  rechts- 
widrigen Tätigkeit.  Auch  dieser  Gedanke  wird  subjektiv  gedeutet: 
alle  Schwierigkeiten  der  Tat  beweisen  nur  die  Stärke  des  Willens,  der 
sie  überwand.  „Denn  jedes  dieser  Hindernisse  war  eine  Klippe  für  die 
strebende  Sinnlichkeit,  bei  welcher  die  Stimme  der  Vernunft  erwachte 
und  also  neue  Unterdrückung  forderte  oder  doch  erwachen  mußte, 
wenn  sie  nicht  ganz  ertötet  war."^ 

Wie  verhalten  sich  nun  diese  Regeln  über  Voraussetzung  und 
Umfang  der  strafrechtlichen  Verantwortlichkeit  zum  positiven  Gesetz? 
Wenn  das  Gesetz  das  Ausmaß  der  Strafe  richterlichem  Ermessen 
überläßt,  soll  der  Richter  die  Strafe  nach  jenen  Prinzipien  bemessen. 
Bei  Gesetzen  mit  absolut  bestimmten  Strafgrößen  soll  der  Richter  nach 
Grolman  stets  an  die  gesetzliche  Strafe  gebunden  sein  —  sofern  der 
Gesetzgeber  selbst  alle  möglichen  Variationen  des  Tatbestandes,  alle 
verschiedenen  „Bedingungen  des  Falles"  berücksichtigt  hat.  Ist  dies 
nicht  der  Fall,  dann  nimmt  Grolman  an,  „daß  der  Gesetzgeber  nur 
von  dem  gewöhnlichen  Fall  subjektiver  Gesetzwidrigkeit  redet".* 
Normale  subjektive  Gesetzwidrigkeit  wird  dabei  voller  Zurechnungs- 
fähigkeit im  Sinne  ungestörter  Freiheit  des  Willensentschlusses  gleich- 
gestellt. Alle  diejenigen  Momente,  die  auf  die  Strafwürdigkeit  von 
Einfluß   sind   und  als  Gründe   verminderter  Zurechnungsfähigkeit  oder 


'  Grundsätze.     1798.     S.  22.      Über    die    Begriffe    Dolus    und    Culpa 
a.  a.  O.  S.  26  ff. 

'  Grundsätze.    1798.    S.  38. 
'  Ebendort  S.  40. 
*  Ebendort  S.  68. 


45 

Anzeichen  erhöhter  Gefährlichkeit  den  Richter  bei  willkürlicher 
Strafdrohung  zu  besonders  milder  od-rr  strenger  Bestrafung  verpflichten, 
berechtigen  ihn  hier  zu  einer  Modifikation  der  gesetzlich  festgelegten 
Strafe.  Somit  führte  Grolmans  Lehre  zu  einer  neuen  Rechtfertigung 
der  überkommenen  Doktrin  von  der  richterlichen  Strafänderungsbefugnis, 
nach  der  eine  Variation  des  fingierten  gesetzlichen  „Normalfalls"  zu 
einer  willkürlichen  poena  extraordinaria  berechtigte,  und  zu  einer 
rationalistischen  Begründung  des  traditionellen  Systems  außerordent- 
licher Strafmilderungsgründe,  mit  dem  die  Praxis  die  unerträgliche 
Härte  der  antiquierten  Strafgesetze  zu  mildern  sich  abmühte.  Dagegen 
entspricht  der  Gedanke,  daß  die  Strafzumessungsgründe  innerhalb  des 
gesetzlichen  Strafrahmens  und  die  Strafänderungsgründe,  welche  den 
Übergang  zu  einem  außerordentlichen  Strafmaß  bedingen,  auf  den 
gleichen  Prinzipien  beruhen,  auch  heutiger  Rechtsauffassung,  wie  Adolf 
Merkels  Untersuchung  hierüber  lehrt.'  Nur  sind  wir  heute,  entgegen 
Grolman  und  hierin  seinem  großen  Gegner  Feuerbach  folgend,  streng 
an  das  positive  Gesetz  gebunden,  das  den  Übergang  zu  einem  außer- 
ordentlichen Strafrahmen  auf  bestimmte,  gesetzlich  festgelegte  Fälle 
beschränkt.  Gerade  Adolf  Merkel  hat  einen  Positivismus  von  besonderer 
Konsequenz  vertreten,  indem  er  darauf  hinwies,  daß,  wenn  unser 
Gesetz  grundsätzlich  darauf  verzichtet,  dem  Richter  bestimmte  Anhalts- 
punkte für  die  Strafbemessung  zu  geben,  es  zwar  das  Strafmaß  freier 
richterlicher  Überzeugung  überläßt,  daß  aber  darum  nicht,  wo  das 
Gesetz  die  Verbrechen  nach  der  Schwere  der  begangenen  Tat  klassifiziert, 
im  richterlichen  Strafmaß  allein  eine  Beurteilung  der  Gefährlichkeit  des 
Täters  zum  Ausdruck  kommen  darf. 

Noch  im  selben  Jahre,  in  dem  Grolmans  grundlegendes  Werk 
über  die  „Grundsätze  der  Kriminalrechtswissenschaft"  erschienen  war, 
eröffnete  Feuerbach  mit  einer  Rezension  dieses  Werkes  in  der 
Allgemeinen  Literaturzeitung  den  Kampf."  Schon  in  dieser  ersten 
Auseinandersetzung  sind  die  inneren  Gegensätze  in  voller  Schärfe 
herausgearbeitet.  Zugleich  erscheinen  die  Ansätze  zu  Feuerbachs 
eigenen  Lehren,  zwar  noch  nicht  in  voller  Abrundung  und  allseitiger 
systematischer  Geschlossenheit,  dafür  aber  in  der  kraftvollen  Lebendig- 
keit des  ersten  Wurfes.  Sein  rechtspolitischer  Positivismus  und  seine 
von  moralischen  Reflexionen  unbeeinflußte  deterministische  Zurechnungs- 
lehre sind  die  Ausgangspunkte  für  seine  Kritik  an  Grolmans  Lehren. 
Von   dem  einen   aus   sucht   er   zu   zeigen,   daß   Grolmans   Strafbegriff 


*  Merkel-Liepmann,   Lehre  von  Verbrechen  und  Strafe.     Stuttgart 
1912.     S.  314  H. 

*  Allgemeine  Literaturzeitung.    Jena  und  Leipzig  1798.    Bd.  II,  Nr.  113 
und  114,  Spalte  65  H. 


46 

nicht  aus  dem  Gesetz  selbst  abzuleiten  ist  und  daß,  wenn  er  gleichwohl 
richtig  wäre,  die  Geltung  von  Strafgesetzen  überhaupt  in  Frage 
gestellt  würde.  Selbst  wenn  es  ein  allgemeines  Verteidigungsrecht 
gegen  drohende  Rechtsverletzungen  gäbe,  so  wäre  dieses  nicht  identisch 
mit  dem  Strairecht  der  PCriminalgesetze.  Denn  die  Strafe  ist  ein  Übel, 
das  „ohne  Rücksicht  auf  die  Zukunft  bloß  der  Vergangenheit  wegen 
zugefügt  wird"/  Würde  man  trotzdem  nach  Grolmans  Vorgang  das 
Maß  künftiger  Gefährlichkeit  des  zu  Bestrafenden  zum  Prinzip  der 
strafrechtlichen  Zurechnung  machen,  so  träten  an  Stelle  des  Gesetzes, 
das  allgemein  an  einen  speziellen  Tatbestand  eine  bestimmte  Strafe 
als  Rechtsfolge  knüpft,  irgendwelche  allgemeinen  Regeln,  nach  denen 
der  Richter  die  Gefährlichkeit  des  Einzelnen  abschätzt.  Bereits  an 
dieser  Stelle  stellt  Feuerbach  der  Präventionstheorie,  welche  die 
Voraussetzungen  der  Strafbarkeit  von  dem  subjektiven  Urteil  des 
Richters  über  die  Gefährlichkeit  des  Delinquenten  abhängig  macht, 
die  Bindung  des  Richters  an  das  Gesetz  und  damit  die  Rechtsschutz- 
garantien des  Bürgers  gegenüber  den  Ansprüchen  der  allmächtigen 
staatlichen  Strafgewalt  entgegen.  Materiell  weist  Feuerbach  der 
Grolmanschen  Zurechnungslehre  ihre  indeterministische  Herkunft  nach 
und  zugleich  den  Widerspruch  zwischen  dieser  indeterministischen, 
moralisch  gefärbten  Zurechnung  und  dem  Sicherungszweck,  dem  sie 
dienen  soll.  Denn  gerade  der  unfrei  Handelnde  und  am  meisten  der 
Wahnsinnige  und  Rasende  in  ihrer  zwangsläufigen  Handlungsweise 
sind  für  die  Rechtssicherheit  gefährlich.  Die  Determiniertheit  zum 
Verbrecher,  nicht  ein  willkürliches  Handeln  und  eine  moralische 
Beurteilung  der  Gesinnung  müßte  die  Grundlage  der  strafrechtlichen 
Zurechnung  in  einem  konsequenten  Sicherungsrecht  bilden.  „Bei 
einem  Bösewicht,  dessen  ganzes  Leben  von  Jugend  auf  ein  Gewebe 
von  Verbrechen  war,  werden  alle  Schandtaten  endlich  zur  Gewohnheit 
und  so  zum  Bedürfnis,  daß  er  selbst  unwillkürlich  oder  nur  mit 
einem  sehr  geringen  Grad  der  Willkür  die  Gesetze  übertritt.  Ist 
dieser  etwa  weniger  gefährlich  als  ein  anderer,  der  jetzt  erst,  aber 
mit  voller  Willkür  Übertretungen  begeht?  Man  nehme  noch  andere 
Beispiele:  der  zum  Laster  erzogene  Mensch,  der  durch  sein  Tem- 
perament gleichsam  zum  Mörder  Geborene,  der,  welcher  durch 
unwiderstehlichen  Trieb  zu  Freveltaten  fortgerissen  wird  und  so  viele 
andere  Auswüchse  der  menschlichen  Natur,  von  welchen  uns  die 
Kriminalakten  so  häufige  Beispiele  liefern.""  In  allen  diesen  Fällen 
handelt  der  Täter  mehr  oder  weniger  unüberlegt  und  willkürlich  nach 
der   „Triebfeder   der  tierischen  Natur",   ist  aber   besonders   gefährlich 

'  Ebendort  Spalte  67. 
*  Ebendort  Spalte  72. 


47 

und  müßte  daher  gerade  vom  Standpunkt  der  Sicherungsstrafe  aus 
besonders  hart  bestraft  werden.  „Und  bei  wem  ist  die  Gefahr 
drohender  und  gewisser:  bei  dem  verständigen  Bösewicht  oder  bei 
dem  seiner  Vernunft  unheilbar  beraubten  Beleidiger?  Der  erstere 
kann  noch  auf  verschiedenen  Wegen  zum  guten  Bürger,  vielleicht 
auch  zum  guten  Menschen  werden,  dieser  ist  aller  moralischen 
Wirksamkeit  für  immer  entzogen,  er  ist  ganz  zum  schädlichen  Tier 
geworden  und  wir  müssen  ihn  vertilgen,  wenn  wir  uns  vor  ihm 
sichern  wollen."^  Wenn  also  nach  Grolman  Sicherung  vor  dem 
Verbrecher  Zweck  der  Strafe  ist,  so  wären  gerade  nach  seiner  Theorie 
diejenigen   am   meisten   strafbar,   die  er  für  unzurechnungsfähig  hielt. 

Während  Grolmans  Straf rechtstheorie  „bloß  auf  die  Zufügung  des 
Übels,  nicht  auf  die  Androhung  im  Gesetz  gerichtet"  ist,^  will 
Feuerbach  die  Prinzipien  der  Bestrafung  aus  dem  Gesetz  selbst  ableiten 
und  darum  ihre  wesentliche  Bedeutung  in  der  generellen  Androhung 
der  Strafe  durch  das  Gesetz,  nicht  in  der  speziellen  Verhängung  der 
Strafe  durch  den  Richter  suchen.  Darum  vindizierte  er  dem  Strafrecht 
die  Aufgabe,  durch  die  Strafdrohung  des  Gesetzes  den  verbrecherischen 
Neigungen  der  Bürger  entgegenzuwirken.  Die  Größe  der  angedrohten 
Strafe  wird,  um  abschreckend  wirken  zu  können,  der  Stärke  der 
verbrecherischen  Neigungen  entsprechen  müssen:  „je  stärker  die 
Triebfeder  ist,  die  zur  Tat  antreibt,  desto  größer  muß  das  Übel  sein, 
das  jene  Triebfeder  aufheben  soll."^  Nach  diesem  Prinzip  hat  nach 
Feuerbach  die  strafrechtliche  Zurechnung  die  Verantwortlichkeit  des 
Täters  zu  bemessen,  ohne  daß  er  ihr  damit,  wie  Grolman,  das  Recht 
zusprach,  gesetzlich  festgelegte  Strafen  zu  modifizieren.  Denn  nur 
dann  kann  die  Vollstreckung  der  Strafe  ihrer  Aufgabe,  den  Ernst  der 
gesetzlichen  Strafdrohung  zu  erhärten,  genügen,  wenn  in  jedem  Falle 
der  Übertretung  eines  Gesetzes  die  durch  dieses  Gesetz  angedrohte 
Strafe  verhängt  wird. 

Mit  einer  erneuten  Darstellung  dieses  Gedankens  erschien  Feuer- 
bach noch  im  gleichen  Jahre  in  der  von  Grolman  begründeten,  später 
von  ihnen  beiden  zusammen  mit  Älmendingen  herausgegebenen 
Bibliothek  für  die  peinliche  Rechtswissenschaft  und  Gesetzkunde. ^  Er 
geht  hier  davon  aus,  daß  Sprachgebrauch  und  Geschichte  deutlich  von 
der  Sicherung  vor  künftigen  Rechtsverletzungen  die  Strafe  als  Reaktion 
gegen  die  begangene  Tat  unterscheiden.    Die  Strafdrohung  bezweckt 


^  Ebendort  Spalte  71. 
^  Ebendort  Spalte  68. 
"  Ebendort  Spalte  72. 

*  Ist  Sicherung  vor  dem  Verbrecher  Zweck  der  Strafe?    Bibl.  f.  d.  peinl. 
Rechtswissenschaft  und  Gesetzkunde  I.  Teil,  2.  Stück,  S.  3  ff. 


48 

die  Vermeidung  von  Verbrechen  überhaupt  und  findet  hierin  ihre  Berech- 
tigung. Den  Vollzug  der  Strafe  nach  begangener  Tat  rechtfertigt  er  ähnlich 
wie  im  „Äntihobbes"  durch  den  Gedanken,  daß  der  Verbrecher  mit  der 
Begehung  seiner  Tat  in  die  Bestrafung  einwilligt,  die  der  Staat  im 
Gesetz  als  Bedingung  an  die  Ausübung  der  Tat  zu  knüpfen  berechtigt 
war.  Daraus  ergibt  sich,  daß  berechtigt  nur  die  Verhängung  eines 
vor  der  Tat  im  Gesetz  für  bestimmte  Handlungen  festgesetzten  Übels 
ist,  während  nach  dem  Präventionsrecht  das  Maß  der  gegenüber  dem 
einzelnen  Verbrecher  erforderlichen  Sicherung  niemals  eine  im  voraus 
im  Gesetz  bestimmte  Strafgröße  sein  kann.  Schärfer  als  im  „Äntihobbes" 
tritt  in  diesen  Ausführungen  Feuerbachs  der  repressive  Charakter  der 
Strafe  hervor:  „ein  Übel,  das  wegen  einer  begangenen  Verschuldung 
und  bloß  in  Beziehung  auf  diese  einem  Subjekt  zugefügt  wird."^ 
Es  ergibt  sich  hierbei  aus  den  Ausführungen  Feuerbachs,  daß  bei  ihm 
diese  Auffassung  vom  Wesen  der  Strafe  nicht  etwa  die  Folge  eines 
absoluten  Vergeltungsstrafrechts  ist,  sondern  daher  rührt,  daß  nur 
auf  diese  Weise  der  Zweck  des  Strafrechts,  die  generelle  Abschreckung 
aller  Bürger  durch  die  gesetzliche  Drohung  erreicht  werden  kann. 
Die  repressive  Strafe  Feuerbachs  und  die  präventive  Strafe  Grolmans 
verkörpern  keineswegs  einen  Gegensatz  absoluter  und  relativer  Straf- 
theorien, sondern  in  beiden  Fällen  ist  die  Bestrafung  ein  Mittel  zu 
bestimmten  kriminalpolitischen  Zwecken. 

Das  folgende  Jahr  brachte  Grolmans  Replik:  „Über  die  Begründung 
des  Strafrechts"."  Gern  erkannte  er  an,  daß  ihm  die  Kritik  Feuerbachs 
zu  einer  „richtigeren  und  besseren  Einsicht"  verholfen  und  daß  er 
namentlich  „die  ganze  Lehre  von  der  juristischen  Imputation  und  die 
darauf  sich  gründende  von  der  Abfassung  der  Strafgesetze  noch  nicht 
in  ihrer  vollen  Reinheit  dargestellt"  habe.^  In  der  Tat  ist  Feuerbachs 
Einfluß  unverkennbar.  Im  Gegensatz  zu  Grolmans  ursprünglicher 
Zurechnungslehre  erscheint  der  festgewurzelte  Hang  zum  Verbrechen 
nunmehr  als  Grund  erhöhter  Strafwürdigkeit  und  selbst  der  Gedanke 
der  psychologischen  Wirkung  der  angedrohten  Strafe  wird  mit  der 
Spezialprävention  verbunden.  „Zweck  der  Strafe  an  und  für  sich  ist 
bloß  und  für  alle  Ewigkeit:  Abhaltung  des  Strafbaren  von  künftigen 
illegalen  Handlungen,  aber  Zweck  der  Strafe  als  Drohung  des 
Gesetzes  ist  Abschreckung  aller."*  Aber  die  Berechtigung  der  Strafe, 
wie  es  Feuerbachs  „Einwilligungstheorie"  versuchte,  allein  daraus 
abzuleiten,  daß  sie  im  Gesetz  angedroht  war,  lehnt  er  nach  wie  vor  ab. 


'  Ebendort  S.  12. 

^  Über  die  Begründung  des  Strafrechts  und  der  Strafgesetzgebung  nebst 
einer  Entwicklung  der  Lehre  von  der  juridischen  Imputation.    Gießen  1799. 
»  Ebendort  S.  104,  Note  2  und  S.  196,  Note.     '  Ebendort  S.  116. 


49 

Die  dem  Verbrecher  zugefügte  Strafe  kann  nur  aus  dem  Zweck  dieser 
Zufügung  selbst  gerechtfertigt  werden.  „Weder",  meint  Grolman,  „willige 
ich  in  alles  ein,  was  mir  als  unabwendbare  Folge  meines  Tuns  angedroht 
ist,  noch  erlaubt  mir  der  Staat  etwa  ein  Verbrechen  zu  begehen,  unter  der 
Bedingung,  daß  ich  mich  bestrafen  lasse. "  Gerade  umgekehrt  wie  Feuer- 
bach zeigt  Grolman,  daß  die  Berechtigung  der  generellen  Strafandrohung 
sich  nur  aus  der  Zulässigkeit  der  Verhängung  der  Strafe  im  speziellen 
Fall  ableiten  läßt,  „daß  in  dem  Gesetze  selbst  die  Größe  der  Strafe,  wenn 
diese  anders  eine  gerechte  sein  soll,  bloß  und  allein  nach  dem  Zweck 
berechnet  sein  könne,  durch  welchen  dieselbe  als  zugefügtes  Übel 
nach  den  Grundsätzen  des  Rechts  gerechtfertigt  werden  kann".^ 

Wesentlich  enger  waren  die  Berührungspunkte  zwischen  Feuerbach 
und  Grolman  in  speziellen  Fragen  der  strafrechtlichen  Zurechnung. 
Wollte  die  psychologische  Zwangstheorie  gegenüber  der  sinnlichen 
Triebfeder  abschreckend  wirken,  so  hatte  Feuerbachs  Kritik  zugleich 
gezeigt,  daß  auch  Grolmans  Präventionsrecht  konsequenter  Weise  die 
Höhe  der  Strafe  von  der  Stärke  der  verbrecherischen  Neigung  abhängig 
machen  müßte.  So  erscheint  nunmehr  bei  Grolman  als  Symptom  beson- 
derer Gefährlichkeit  des  Verbrechers  neben  dem  freien  und  bewußten 
Entschluß  zum  Verbrechen  der  entgegengesetzte  Fall,  „daß  die  vor- 
handene Verwilderung  dieses  Menschen  eine  tief  eingewurzelte,  die 
illegale  Maxime  ein  festes  Gesetz  für  sein  Handeln  geworden  ist".^ 
Der  unverbesserliche  Gewohnheitsverbrecher,  der  mangelhaft  Erzogene, 
der  geistig  Beschränkte,  der  trunksüchtige  Verbrecher,  —  sie  alle  handeln 
regelmäßig  unüberlegt  und  fast  unwillkürlich  und  gerade  deshalb  stellt 
ihr  Tun  eine  besonders  ernste  Bedrohung  des  Rechtsfriedens  dar.  So 
tritt  die  festeingewurzelte  „illegale  Maxime",  d.  h.  die  Determiniertheit 
zum  Verbrechen  neben  die  sich  willkürlich  auswirkende  rechtswidrige 
Gesinnung  als  Grund  zu  erhöhter  Strafwürdigkeit.  Aber  auch  in  der 
Beurteilung  der  Gesinnung  bemüht  sich  Grolman,  den  einseitigen 
Subjektivismus  zu  mildern.  Nicht  die  Gesinnung  selbst  soll  aus  der 
Tat  erschlossen  werden,  „denn  keiner  kann  dem  andern  im  Herzen 
lesen",  sondern  das  Verbrechen  muß  für  gewisse  äußere  Erscheinungen 
„illegal"  gestimmter  Menschen  typisch  sein,  wofür  ihm  Fichtes  „Ver- 
wilderung  der  Sitten"   der   beste  Ausdruck   scheint.^     Schließlich   soll 

>  Ebendort  S.  111. 

^  Ebendort  S.  145. 

^  J.  G.  Fichte,  Grundlage  des  Naturrechts  nach  Prinzipien  der  Wissen- 
schaitslehre.  II.  Teil  oder  angewandtes  Naturrecht.  Jena  und  Leipzig  1797. 
S.  115.  „Wer  um  des  Schadens  willen  geschadet  hat,  hat  außer  der  inneren 
Bosheit,  darüber  der  Staat  nicht  Richter  ist,  eine  Wildheit  der  Sitten  und 
eine  ungewöhnliche  Sorglosigkeit  für  sich  selbst  gezeigt."  Vgl.  Grolman 
a.  a.  O.,  S.  126  ff.  sowie  S.  122. 

4 


50 

das  Gesetz  durch  relativ  bestimmte  Strafratimen  dem  Richter  den 
geeigneten  Spielraum  gewähren,  um  die  Strafe  nach  den  Grundsätzen 
der  Zurechnung  im  einzelnen  Fall  zu  bemessen. 

Im  gleichen  Jahr  wie  diese  Schrift  Grolmans  erschien  der  erste 
Band  der  Feuerbachschen  „Revision  der  Grundsätze  und  Grundbegriffe 
des  positiven  peinlichen  Rechts"/  Die  Darstellung  der  Gedankenwelt 
•dieses  Werkes  bleibt  einem  besonderen  Kapitel  vorbehalten.  Hier  soll 
zuvor,  ehe  das  Verhältnis  Feuerbachs  zu  anderen  kriminalistischen 
Gruppen  behandelt  wird,  von  der  weiteren  Entwicklung  der  Aus- 
einandersetzung mit  den  Anhängern  der  Lehre  von  der  Spezialprävention 
die  Rede  sein.  Die  „Revision"  brachte  eine  systematische  Darstellung 
einer  strafrechtlichen  Zurechnungslehre,  die  aus  dem  Gedanken  der 
generellen  Wirkung  der  gesetzlichen  Strafdrohung  abgeleitet  ist.  Wieder- 
um wird  ausgeführt,  daß  allein  die  Stärke  der  sinnlichen  Triebfeder, 
auf  die  mit  der  Strafdrohung  abschreckend  eingewirkt  werden  soll,  die 
Strafwürdigkeit  bestimmt.  Dieses  Prinzip  steht  in  unüberbrückbarem 
Gegensatz  zu  einer  moralischen  Beurteilung  menschlicher  Handlungs- 
weise und  Gesinnung.  Denn  gerade  der  Unfreiheit  im  Handeln,  welche 
eine  moralische  Verantwortung  herabsetzt,  entspricht  eine  Stärkung 
der  sinnlichen  Triebfeder  und  deshalb  muß  „z.  B.  ein  Verbrecher,  der 
durch  eine  böse  Erziehung  verderbt  ist  und  durch  tief  eingewurzelte, 
heftig  antreibende  sinnliche  Triebfedern  zu  Verbrechen  fortgerissen  wird, 
in  einem  höheren  Grade  strafbar  sein"."  Hatte  sich  diesen  Gedanken 
Grolman  inzwischen  auch  für  seine  eigene  Theorie  nutzbar  gemacht, 
so  rückt  nun  Feuerbach  in  einer  anderen  Frage  wieder  weiter  von 
Grolman  ab.  Im  Gegensatz  zu  seiner  früheren  Meinung  sieht  er  sich 
nämlich  durch  „bessere  Überzeugung"  genötigt,  ein  Zwangsrecht  des 
Staates  gegen  die  durch  Begehung  eines  Verbrechens  dokumentierte 
Bedrohung  des  Rechtsfriedens  auch  außerhalb  des  Strafrechts  zu  leugnen. 
Aus  der  Begehung  des  Verbrechens  folgt  lediglich  eine  Wahrscheinlich- 
keit der  Wiederholung  desselben:  der  Verbrecher  erscheint  künftiger 
Delikte  verdächtig.  Wenn  aber  „einmal  nicht  das  Verbrechen  selbst, 
sondern  nur  die  wahrscheinliche  Gefahr  Grund  der  Zufügung  des  Übels 
ist",  so  heißt  das,  „daß  der  Staat  das  Recht  habe,  alle  seine  ver- 
dächtigen Bürger  aufzugreifen  und  sie  aus  Gründen  der  moralischen 
Prävention  ein  wenig  zu  brandmarken  oder,  wenn  die  Gefahr  gar  zu 
groß  ist,  ihr  Leben  der  künftigen  Sicherheit  aufzuopfern".^  Der  Gedanke, 
der  Feuerbachs  leidenschaftlichen  Kampf  gegen  die  Präventionstheorie 
erst  voll  würdigen  läßt,   ist  hier  klar  zum  Ausdruck  gekommen.     Es 

>  Erfurt  1799. 

^  Revision  L  Bd.,  Einleitung  pag.  XXIL 

*  Revision  I,  S.  87. 


51 

ist  das  sichere  Gefühl  dafür,  daß  der  Rechtsschutzgedanke  im  Straf- 
recht dem  Sicherungszweck  nicht  geopfert  werden  darf  und  daß  allein 
ein  repressiver  Charakter  der  Strafe  die  feste  Abgrenzung  der  Sphäre 
des  Einzelnen  gegen  staatliche  Allmacht  gewährleistet,  indem  hier  die 
Bestrafung  an  die  offenkundige  Voraussetzung  einer  bestimmten,  dem 
gesetzlichen  Tatbestand  entsprechenden  äußeren  Handlung  gebunden 
ist.  Kein  Wunder,  daß  Adolf  Merkel  mit  fast  den  gleichen  Worten 
gezeigt  hat,  zu  welchen  Konsequenzen  eine  einseitig  symptomatische 
Verbrechensauffassung  führen  muß.  Würde  diese  Lehre  doch  „die 
Ordnung  der  gesetzlichen  Verbrechensbegriffe  als  nichts  anderes  gelten 
lassen,  denn  als  eine  Sammlung  von  Stichwörtern,  durch  welche  die 
Justiz  heute  diesen,  morgen  jenen  Besserungsbedürftigen  vor  das  Forum 
der  weltlichen  Gerechtigkeit  zitiert,  auf  daß  hier  seine  Willens- 
beschaffenheit einer  allgemeinen  Untersuchung  unterzogen  und  der 
richterlichen  Diagnose  entsprechend  eine  moralische  Kur  für  ihn 
angeordnet  werden  könne".* 

So  brannte  der  Kampf  zwischen  beiden  Kriminalisten  aufs  heftigste, 
und  Feuerbachs  temperamentvolle  Natur  bohrte  sich  immer  schärfer 
in  die  theoretischen  Grundlagen  der  Streitfrage.  Das  nächste  Jahr 
brachte  eine  neue  Abhandlung  „Über  die  Strafe  als  Sicherungsmittel"," 
in  der  gegenüber  den  vermittelnden  Annäherungsversuchen  Grolmans 
wieder  die  ganze  Schärfe  des  Gegensatzes  herausgearbeitet  wurde. 
Beide  meinen  mit  der  Strafe  etwas  anderes.  Feuerbach  will  auch  hier 
nicht  etwa  einen  Unterschied  von  absoluter  und  relativer  Straftheorie 
begründen,  sondern  ihm  sowohl  wie  Grolman  ist  die  Strafe  Zweckstrafe, 
nur  daß  sie  dem  verschiedenen  Zweck  entsprechend  jeweils  auch  ihrem 
Wesen  nach  verschieden  ist.  Für  Grolman  ist  „Realzweck"^  der 
Verhängung  der  Strafe  Sicherung  gegen  den  Verbrecher;  dieser 
Grund  der  Bestrafung  ist  ihm  wesentliches  Merkmal  der  rechtlichen 
Strafe.  Feuerbach  dagegen,  der  die  Zwecksetzung  der  Strafe  in  das 
Stadium  der  Androhung  verlegt,  sieht  den  Grund  der  Verhängung  der 
Sh-afe  lediglich  in  der  begangenen  Tat.  Das  ist  für  ihn  der  Sinn 
des  Satzes,  daß  die  Strafe  durch  die  begangene  Handlung  rechtlich 
verschuldet  sein  muß.  Zwar  ist  auch  für  Grolman  die  Tat  Voraus- 
setzung der  Strafe ,  aber  „  man  erinnere  sich  nur  an  den  Begriff  von 
rechtlicher  Verschuldung  und  an  den  Unterschied  zwischen  Sachgrund 
und  Erkenntnisgrund  und  man  wird  dann  von  selbst  finden,  daß 
durch   diese   Handlung   die    Strafe    nicht   verschuldet    wird,    daß    die 


'  Merkel-Liepmann,   Lehre  von  Verbrechen  und  Strafe  S.  321. 

'  Chemnitz  1800. 

"  Strafe  als  Sicherungsmittel  S.  43. 


52 

begangene  Handlung  der  Strafe  zwar  vorhergehen  müsse,  daß  sie  diese 
aber  nicht  rechtlich  begründe,  daß  sie  zwar  Erkenntnisgrund  für 
den  bösen  Willen  sei  (so  wie  dieser  wieder  Erkenntnisgrund  der 
zukünftigen  Verbrechen  ist),  daß  sie  aber  nach  richtigen  Begriffen 
weder  Sachgrund  noch  Rechtsgrund  sei."^  Eine  verklausulierte 
Rusdrucksweise,  die  den  Gedanken  der  „Revision"  erneut  zum  Ausdruck 
bringt,  daß  ein  Strafrecht,  dem  das  Verbrechen  lediglich  ein  Symptom 
der  künftigen  Gefährlichkeit  des  Täters  ist,  sich  nicht  verträgt  mit  dem 
Gedanken,  daß  allein  die  Ausführung  des  vom  Gesetz  mit  Strafe 
bedrohten  Tatbestandes  Grund  zur  Bestrafung  ist,  daß  um  der  Rechts- 
sicherheit der  Bürger  willen  die  gesetzlichen  Tatbestände  die  unüber- 
steigbare  Schranke  für  die  staatliche  Strafgewalt  bilden.  In  der  Bindung 
des  Richters  an  das  positive  Gesetz  geht  Feuerbach  so  weit,  daß  er 
selbst  den  Vorschlag  Grolmans,  einen  Strafrahmen  mit  gesetzlichem 
Maximum  und  Minimum,  verwirft.  Später  hat  er  im  bayerischen  StGB, 
von  1813  selbst  diesen  Weg  beschritten,  hier  aber  hält  er  Grolman 
entgegen,  daß  dann  immer  noch  die  Frage,  wann  ein  Fall  geringerer 
oder  größerer  Strafwürdigkeit  vorliege,  nicht  aus  dem  Gesetz  selbst 
zu  entnehmen,  sondern  aus  allgemeinen  Erwägungen  zu  ermitteln  wäre. 
Nicht  nach  irgendwelchen  außerhalb  des  Gesetzes  geltenden  Theorien 
hat  sich  das  Maß  strafrechtlicher  Zurechnung  zu  bestimmen,  sondern 
nur  aus  dem  Gesetz  selbst.  Einzig  und  allein  die  „positiv -rechtlichen 
Grundsätze  sind  der  unmittelbare  Gegenstand  des  positiven  Kriminal- 
rechts; die  Philosophie  ist  bloß  die  Magd,  welche  den  Weg 
beleuchtet.  Zur  Herrin  brauchen  wir  sie  nicht,  dazu  hat  sie  der 
Launen  zu  viel".^  Vollends  unerträglich  ist  das  Präventionsrecht 
dadurch,  daß  es  eine  Beurteilung  rechtswidriger  Gesinnung  zur  Grund- 
lage der  strafrechtlichen  Zurechnung  macht.  „Die  wechselseitige  Freiheit 
aller  wird  dadurch  nicht  um  eine  Linie  beschränkt,  daß  die  Gesinnung 
und  der  Wille  nicht  mit  dem  Rechtsgesetz  übereinstimmt.  Nur  durch 
Handlungen  wird  dem  rechtlichen  Zustand  widersprochen  .  .  .  Wer 
einen  Menschen  bloß  darum  zwingt,  weil  die  Maxime  desselben  nicht 
dem  Rechtsgesetz  gemäß  ist,  der  begeht  einen  Verrat  an  dem  ersten 
Rechte  der  Menschheit  und  handelt  nicht  vernünftiger  als  der  Tyrann, 
der  seine  Untertanen  dem  Henker  übergibt,  weil  seine  Grillen  nicht 
ihre  Gedanken  sind."^ 

Unter  der  Wucht  solcher  Angriffe,  in  denen  mehr  und  mehr  die 
revolutionäre  Forderung  nach  rechtlicher  Garantie  gegenüber  der  Gefahr 
der  Willkür  allmächtiger  Staatsgewalt  sich  durchsetzte,  fühlte  Grolman 

'  Ebcndort  S.  37. 
^  Ebcndort  S.  87. 
*  Ebendort  S.  26  f. 


53 

seine  Position  schwanken.  „Es  ist  mir  nicht  unbekannt,  daß  man 
ziemlich  allgemein  die  Sache,  für  w^elche  ich  gestritten  habe,  für 
verloren  hält .  .  . ,  indessen  wage  ich  es  dennoch ,  den  Kampfplatz 
noch  einmal  zu  beh-eten",  freilich  nicht  ohne  ein  bedenkliches  Gefühl 
von  Resignation:  wie  die  Entscheidung  auch  ausfallen  mag,  „in  solchem 
Kampfe  zu  unterliegen,  kann  nur  ehren  ".^  Cogitationis  poenam 
nemo  patitur  ist  auch  für  Grolman  „heiliges  Rechtsgesetz".  Aber 
im  Gegensatz  zu  Gedanken  und  Wünschen  sieht  er  in  der  rechts- 
widrigen Richtung  des  Willens  einen  Verstoß  gegen  das  Rechtsgesetz, 
das  sich  als  ein  Sollen  gerade  an  den  Willen  wendet.  Da  wir  nun 
die  lediglich  im  Innern  des  Menschen  sich  abspielenden  Willens- 
regungen nicht  bestrafen  dürfen,  so  beschränkt  Grolman  die  Bestrafung 
des  bösen  Willens  auf  die  Fälle,  in  denen  er  zur  bösen  Tat  geworden 
ist.  Hiermit  sind  im  Grunde  die  Feuerbachschen  Einwände  gegen 
Grolmans  Subjektivismus  zugegeben  und  nur  durch  eine  künstliche 
Konstruktion  der  Gedanke  aufrechterhalten,  daß  in  der  Bestrafung  der 
Tat  sich  die  Strafe  lediglich  gegen  die  rechtswidrige  Gesinnung 
des  Täters   richtet. 

Diese  literarische  Auseinandersetzung  konnte  in  der  wissenschaft- 
lichen Welt  nicht  ohne  Wirkung  bleiben.  Unschwer  lassen  sich  die 
Spuren  der  Polemik  zwischen  Feuerbach  und  Grolman  bei  den  zeit- 
genössischen Kriminalisten  nachweisen.  Wie  ein  Chorus  begleitete 
der  nassauische  Rechtsgelehrte  Harscher  von  Älmendingen  den 
Sh-eit  der  Beiden.  Aber  so  wie  sein  Lebensgang  wenig  glücklich 
verlief,  so  fehlte  auch  seinen  Schriften  trotz  kluger  Gedanken  die 
Freiheit  und  souveräne  Behandlung  des  Stoffes  wie  bei  Feuerbach 
und  Grolman.  Für  seine  nasäauische  Regierung  verhandelte  er  während 
der  Rheinbundzeit  mit  Grolman,  dem  Vertreter  des  größeren  Hessen, 
über  ein  gemeinsames  Vorgehen  beider  Länder  in  der  Frage  der  Ein- 
führung des  Code  civil.  Lange  Zeit  zählte  er  als  Dritter  zu  dem 
Grolman  -  Feuerbachschen  Freundschaftsbunde. 

Älmendingen  bekannte  sich  ursprünglich  „unter  gewissen  Modi- 
fikationen" zur  Präventionslehre. ^  Dabei  geht  er  dem  Problem  des 
Strafzwecks,  das  Feuerbach  immer  schärfer  zuspitzte,  zugunsten  einer 
vermittelnden  Stellung  aus  dem  Wege.  „Die  Form  der  Strafe  ist 
mithin  keine  andere,  als  die  eines  Übels  für  den  Bestraften,  der 
Endzweck  —  Sicherheit.     Der  Mittelzweck  derselben  —  oder  die  Art 


'  Grolman,  Sollte  es  denn  wirklich  kein  Zwangsrecht  zur  Prävention 
geben?  Magazin  f.  d.  Philos.  und  Gesch.  d.  Rechts  u.  d.  Gesetzgebung  Bd.  L 
Darmstadt  1800.     S.  241  H. 

^  Bibliothek  für  die  peinliche  Rechtswissenschaft  und  Gesetzkunde  II, 
1.  Stück,  S.  350,  Note. 


54 

und  Weise,  wie  der  Staat  durch  die  über  den  Verbrecher  verhängten 
Übel  seinen  Endzweck  erreicht  —  kann  mir  hier  gleichgültig 
sein."^  Soweit  dieser  Sicherungszweck  durch  das  Mittel  der  Spezial- 
prävention erreicht  werden  soll,  hängt  die  Höhe  der  Bestrafung  von 
der  Gefährlichkeit  des  Verbrechers  ab.  Die  strafrechtliche  Zurechnung 
soll  in  der  Beurteilung  der  Gefährlichkeit  wie  bei  Grolman  von  dem 
freien  und  bewußten  Entschluß  zum  Verbrechen  ausgehen,  zugleich 
aber  —  ein  Gedanke,  den  Älmendingen  offenbar  ebenso  wie  Grolman 
von  Feuerbach  übernommen  hat  —  diejenigen  Fälle  berücksichtigen, 
in  denen  umgekehrt  tief  eingewurzelte  verbrecherische  Neigungen  dem 
Täter  eine  freie  Wahl  unmöglich  machen  und  ihn  darum  besonders 
gefährlich  erscheinen  lassen.  „Der  rohe,  unaufgeklärte,  beinahe  aus 
bloßem  Instinkt  frevelnde  Missetäter  ist  nach  den  Regeln  der  rechtlichen 
Imputation  strafwürdiger  als  der  Mann  von  Aufklärung,  der  in  einem 
unbewachten  Äugenblick  oder  in  einer  verzweifelten  Lage  mit  vollem 
klaren  Bewußtsein  der  Widerrechtlichkeit  seiner  Tat  sich  zu  einem 
Verbrechen  hinreißen  ließ."^  Wer  infolge  „roher  Erziehung"  zum  Ver- 
brecher wird,  bei  dem  „würde  also  die  rechtliche  Imputation  in  eben 
dem  Grade  steigen  müssen,  in  welchem  die  moralische  abnimmt".'^ 
Daß  solche  Gedanken  mit  Grolmans  ursprünglichen  Lehren  in  Wider- 
spruch standen,  hat  Almendingen  bereits  in  einer  Besprechung  der 
1.  Auflage  der  Grolmanschen  „Grundsätze"  zum  Ausdruck  gebracht.^ 
Enger  als  Grolman  bindet  er  den  Richter  in  der  strafrechtlichen  Zu- 
rechnung an  die  gesetzlichen  Voraussetzungen  der  Bestrafung  und  er 
zeigt,  daß  es  bei  der  Beurteilung  der  Gefährlichkeit  des  Verbrechers 
nicht  auf  eine  sittliche  Bewertung  ankommt,  sondern  daß  gerade  um- 
gekehrt „der  rohe  sinnliche  Mensch,  der  ohne  Überlegung  mechanisch 
Strafgesetze  nur  darum  bricht,  weil  er  sich  zu  gewissen  sinnen- 
befriedigenden Handlungen  gewöhnt  hatte,  ohne  sie  unter  das  ihm 
innewohnende  Rechtsgesetz  zu  subsumieren,  gerade  der  gefährlichste 
ist,  zu  welchem  man  sich  eines  neuen  Verbrechens  am  ersten  versehen 
muß".^  Nicht  Bewußtsein  der  Rechtswidrigkeit,  nur  die  Möglichkeit 
der  Subsumtion  der  Tat  unter  das  Gesetz  gehört  nach  Almendingen 
zur  Zurechnungsfähigkeit.  Wo  diese  fehlt,  wo  ihr  „physische  Hinder- 
nisse"  entgegenstehen:    Trunkenheit,    Leidenschaft,    Blödsinn,    da    ist 


'  Versuch  über  das  Prinzip  des  Strafrechts.  Bibl.  für  peinl.  Rechts- 
wissenschaft und  Gesetzkunde  Bd.  I,  3.  Stück,  1799,  S.  3  ff.     Vgl.  S.  55. 

-  Ebendort  S.  51. 

'  Ebendort  S.  68. 

*  Bibl.  f.  peinl.  Recht  und  Gesetzkunde  I,  3.  Stück,  S.  290  ff.  und  II, 
1.  Stück,  S.  349  ff. 

"  Bibliothek ...  I,  3.  Stück,  S.  312. 


55 

keine  strafrechtliche  Zurechnung  denkbar,  während  „moralische 
Hindernisse":  vernachlässigte  sittliche  Erziehung,  Gewohnheit  zu 
sündigen,  gänzliche  Abstumpfung  des  moralischen  Sinnes  die  Gefähr- 
lichkeit der  Handlungsweise  des  Verbrechers  und  damit  seine 
Strafbarkeit  erhöhen. 

So  folgte  Älmendingen,  als  er  dem  Problem  der  strafrechtlichen 
Zurechnung  eine  eigene  Monographie  widmete,  Feuerbach,  dem  „mir 
unvergeßlichen  Schöpfer  meiner  besseren  Erkenntnis"/  Er 
hielt  nunmehr  die  Verhängung  der  Strafe  für  gänzlich  ungeeignet,  die 
rechtswidrige  Gesinnung  des  Verbrechers  zu  ändern  und  verlegte  darum 
die  Bedeutung  der  Strafe  in  die  generelle  Wirkung  der  gesetzlichen 
Strafdrohung.  Auch  ihn  führte  diese  Lehre  zu  einer  strengen  Bindung 
des  Richters  an  das  Gesetz.  Von  äußerlich  erkennbaren  Handlungen, 
nicht  von  einem  subjektiven  Urteil  über  Gefährlichkeit  und  Äbschreck- 
barkeit  des  Täters  hat  der  Richter  die  Bestrafung  abhängig  zu  machen: 
er  imputiert  „die  nackende  Tat".^  Wo  Furcht  und  Leidenschaften, 
wo  der  Druck  einer  Zwangslage  oder  das  Gefühl  der  Berechtigung 
zur  Tat  die  freie  Wahl  des  Entschlusses  beeinträchtigen,  da  mindert 
sich  allenfalls  die  moralische  Verantwortlichkeit,  auf  die  strafrechtliche 
Zurechnungsfähigkeit,  die  der  Richter  zu  prüfen  hat,  haben  diese 
Zustände  keinen  Einfluß.  Wo  es  ungerecht  und  zwecklos  erscheint, 
Handlungen,  die  aus  solchen  Motiven  entspringen,  mit  Strafen  zu 
bekämpfen,  da  mag  der  Gesetzgeber  sie  für  straflos  erklären  und 
ihre  Verhütung  der  höheren  Staatspolizei  überlassen!  Um  mit  den 
alten  Strafgesetzen  zu  erträglichen  Entscheidungen  zu  gelangen,  unter 
dem  Gesichtspunkt  einer  „Äccomodation  an  die  Carolina",''  gab 
Älmendingen  selbst  der  Grolmanschen  Lehre  den  Vorzug,  die  das 
überkommene  richterliche  Milderungsrecht  aufs  neue  stützte.  Dagegen 
waren  seine  und  Feuerbachs  Lehren  in  die  Zukunft  gerichtet:  sie 
forderten  eine  Gesetzgebung,  „welche  keine  richterliche  Willkür  zuläßt 
und  keine  Begnadigung  nötig  macht"  !* 

Besonders  schmerzlich  war  es  Grolman,  daß  unter  dem  Einfluß 
Feuerbachs  der  Begründer  der  Präventionstheorie,  Stübel,  „selbst 
öffentlich  die  Lehre  verwarf,  auf  welche  er  mich  geführt  hatte ".^ 
Stübel  hat  sich  später  mit  dem  Problem  der  Straftheorien  weniger 
befaßt     und     seine     ganze     Kraft     nunmehr     seinen     grundlegenden 


'  Darstellung  der  rechtlichen  Imputation.     Gießen  1803.     S.  91. 
■  Ebcndort  S.  24. 
"  Ebendort  S.  18. 
*  Ebendort  S.  190. 

^  Grolman,  Grundsätze  der  Kriminalrechtswissenschaft,  Nachtrag  zur 
Einführung  i.  d.  II.  Ru\l     In  der  III.  Aufl.  (1818)  pag.  XIII. 


56 

prozeßrechtlichen  Studien  und  gesetzgeberischen  Arbeiten  zugewandt.^ 
Aber  das  läßt  sich  erkennen,  daß  er  im  Gegensatz  zu  seinen  früheren 
Lehren  die  strafrechtliche  Zurechnung  nunmehr  auf  die  begangene 
Tat,  nicht  nur  auf  die  Willensrichtung  des  Täters  basierte.  „Gesetzt 
auch,  daß  jemand  ein  Verbrechen  unter  solchen  Umständen,  welche 
einen  weit  gefährlicheren  Willen  verraten  als  die  im  Gesetz  beschriebene 
Tatsache,  unternommen  habe,  so  kann  das  Gesetz  doch  keine  An- 
wendung haben,  wenn  die  nach  demselben  vorausgesetzte  Rechts- 
verletzung nicht  zugleich  erfolgt  ist."^  Zur  Zurechnungsfähigkeit 
verlangt  er  zwar  ebenso  wie  früher  bewußtes  Handeln,  Kenntnis  der 
Rechtswidrigkeit  und  Selbstbestimmung  des  Täters  zur  Tat,  aber  das 
sind  ihm  nicht  mehr  Symptome  für  die  Gefährlichkeit  der  Willens- 
richtung des  Täters,  sondern  im  Sinne  Feuerbachs  Bedingungen  für 
die  Wirksamkeit  der  gesetzlichen  Straf drohung.^ 

Nur  Tittmann  blieb  der  alten  Lehre  von  der  Spezialprävention 
treu.  Seine  im  gleichen  Jahr  wie  der  zweite  Band  der  Feuerbachschen 
„Revision"  erschienenen  „Grundlinien  der  Strafrechtswissenschaft"* 
ebenso  wie  die  später  erschienenen  Bände  seines  umfangreichen 
Handbuchs''  entsprechen  fast  völlig  den  Lehren  Stübels  und  Grolmans 
in  ihrer  ursprünglichen  Gestalt.  Die  Begründung  der  strafrechtlichen 
Zurechnung  auf  das  Urteil  über  die  Gesinnung  des  Täters  und  die 
indeterministische  Denkweise  in  der  Bewertung  menschlichen  Handelns 
sind  bei  ihm  unverändert  zum  Ausdruck  gekommen.  Die  strafrecht- 
liche  Zurechnung  bestimmt   sich  nach   dem  Urteil   darüber,   inwieweit 


^  Über  die  Mitarbeit  Stübels  an  den  Kommissionsarbeiten  für  ein 
sächsisches  StGB,  siehe  Landsberg,  Geschichte  der  deutschen  Rechts- 
wissenschaft 3,  Äbt.  II,  Noten  S.  69,  Nr.  61.  Für  das  Gebiet  des  Prozeß- 
rechts: Chr.  C.  St  übel.  Über  den  Tatbestand  der  Verbrechen,  die  Urheber 
derselben  und  die  zu  einem  verdammenden  Endurteil  erforderliche  Gewiß- 
heit des  erstem,  besonders  in  Rücksicht  der  Tötung  nach  gemeinen  in 
Deutschland  geltenden  und  chursächsischen  Rechten.  Wittenberg  1805.  — 
Das  Kriminalverfahren  in  den  deutschen  Gerichten  mit  besonderer  Rücksicht 
auf  das  Königreich  Sachsen  wissenschaftlich,  auch  zum  praktischen  Gebrauch 
dargestellt,  Bd.  1—5.     Leipzig  1811. 

-  Stübel,  Über  den  Tatbestand  der  Verbrechen  .. .    1805.     S.  14. 

^  Stübel,  Grundsätze  zu  der  Vorlesung  über  den  allgemeinen  Teil 
des  deutschen  und  chursächsischen  Kriminalrechts  nebst  einer  Einleitung 
und  Übersicht  der  ganzen  Kriminalrechtswissenschaft.  Wittenberg  (1803). 
§  50  f.,  S.  37  f. 

*  Leipzig  1800. 

^  Handbuch  der  Strafrechtswissenschaft  und  der  deutschen  Strafgesetz- 
kunde 1.  Handbuch  des  gemeinen  deutschen  peinlichen  Rechts.  I.  Teil 
Halle  1806,  II,  Teil  1807,  III.  Teil  1809.  —  Über  Tittmanns  Bemühungen  für 
Verbesserung  der  Strafgesetzgebung  siehe  Landsberg  3,  II,  Noten  S.  59, 
Nr.  1  und  S.  69,  Nr.  6L 


57 

„ein  gewisses  Subjekt  mehr  od.-  weniger  gefährliche  Gesin- 
nungen geäußert  habe  und  inwiefern  nun  die  Drohung  des  Straf- 
gesetzes auf  ihn  passe ".^  Dabei  ist  die  Tat  dem  Verbrecher  um  so 
mehr  zuzurechnen,  je  mehr  sie  seinem  freien  Entschluß  entsprach 
und  je  sorgfältiger  sie  überlegt  war.  Bei  aller  Fülle  von  Einzelheiten 
und,  vor  allem  älteren,  Literaturangaben  ist  auf  eine  tiefere,  grund- 
sätzliche theoretische  Begründung  zumeist  verzichtet.  Dabei  trifft  die 
Ablehnung  der  Feuerbachschen  Lehre  allerdings  die  empfindlichste 
Stelle  seiner  Argumentation,  den  Versuch,  die  Vollziehung  der  Strafe 
allein  aus  ihrer  Androhung  zu  rechtfertigen.  „Die  Androhung  der 
Strafe  nämlich,  sofern  sie  keine  leere  sei  und  Zufügung  des  Gedrohten 
wirklich  nach  sich  ziehen  soll,  darf  geschehen,  weil  das  Recht,  zu 
strafen,  vorhanden  ist,  und  liegt  mithin  der  Grund  der  Androhung 
in  diesem  Recht,  nicht  umgekehrt  der  Grund  dieses  Rechts 
in  der  Androhung.""  Ähnlich  wie  Grolman  kommt  Tittmann  zu 
einer  Neubelebung  der  alten  Doktrin  von  der  richterlichen  Straf- 
änderungsbefugnis.  Die  Gesetze  bestimmen  „in  der  Regel  bloß  das 
Gewöhnliche  eines  Verbrechens  als  das  allein  Bestimmbare,  das  Un- 
gewöhnliche dagegen  bleibt  unberührt".  Darum  muß  der  Richter  bei 
„ungewöhnlichen  Eigenschaften  eines  Verbrechens,  welche  höhere 
Zurechnung  veranlassen  und  bei  der  Strafbestimmung  unberechnet 
geblieben  sind",  die  gesetzliche  Strafe  verschärfen,  während  ein  Umstand, 
durch  welchen  dem  Verbrechen  „die  eine  oder  andere  der  bei  ihm 
von  dem  Strafgesetz  vorausgesetzten  Eigenschaften  abgeht",  zu  einer 
Strafmilderung  berechtigt.^  Die  reiche  Kasuistik  geltender  und  anti- 
quierter Milderungsgründe,  die  Tittmann  hier  bringt,  ist  kulturhistorisch 
nicht  ohne  Reiz.  Zu  den  Momenten,  denen  Tittmann  keinen  Einfluß 
auf  die  strafrechtliche  Zurechnung  mehr  zugesteht,  zählt  er  Reue  und 
freiwilliges  Geständnis,  Übergang  zur  herrschenden  Religion  des  Staates, 
favor  matrimonii  contrahendi  und  weibliches  Geschlecht.  „Ist  es 
Galanterie  oder  Nichtanerkennung  des  weiblichen  Geschlechts,  daß  alle 
Strafrechtslehrer  einstimmig  Frauenzimmer  gelinder  bestraft  wissen 
wollen?"*  Feuerbachs  heißen  Kampf  um  eine  strenge  Bindung  an  das 
Gesetz  erwähnt  Tittmann  mit  keinem  Wort.  Den  einen  Fall  aber, 
in  dem  bei  Feuerbach  die  alte  Doktrin  von  der  poena  extraordinaria 
und  der  Verdachtstrafe  nachwirkt,  zieht  Tittmann  als  Stütze  für  seine 
Lehre  von  der  richterlichen  Strafänderungsbefugnis  herbei:  jene  selt- 
same Anomalie  zu  dem  Positivismus  der  Feuerbachschen  Lehren,  die 


'  Handbuch  I,  S.  245. 

-  Handbuch  I,  S.  50. 

"  Handbuch  I,  S.  322  und  333. 

*  Grundlinien  des  Strafrechts,  S.  77,  Note  G. 


58 

Modifikation  der  gesetzlichen  Strafe  beim  Mangel  an  Tatbestand,  oder, 
wie  es  Tittmann  nicht  eben  klarer  nennt,  wegen  „Mangels  an  den 
im  Gesetz  angenommenen  Eigenschaften  der  Rechtsverletzung  an 
sich  selbst"/ 

Als  Grolman  daran  ging,  seine  „Grundsätze"  neu  zu  bearbeiten, 
konnte  vom  alten  Bau  vieles  nicht  mehr  unverändert  stehen  bleiben. 
Indessen  sind  keineswegs  alle  die  Folgerungen  zum  Ausdruck  gekommen, 
zu  denen  er  selbst  in  seinen  anderen  Schriften,  dem  Zwang  der  Feuer- 
bachschen  Argumentation  folgend,  sich  bekannte.  Es  fehlte  ihm,  seit 
er  1816  nach  Darmstadt  in  die  Hessische  Gesetzgebungskommission 
berufen  und  1819  zum  Staatsminister  ernannt  war,  an  der  Muße  und 
den  literarischen  Hilfsmitteln  seines  Gießener  Professorendaseins. ^  Das 
mag  erklären,  warum  das  Werk  durch  mannigfache  Änderungen  zwar 
an  innerer  Geschlossenheit  verlor  und  gleichwohl  noch  manchen  Zweifel, 
der  in  der  Diskussion  mit  Feuerbach  zu  Tage  trat,  unbeantwortet  ließ.^ 
Eins  ist  aber  unverkennbar:  das  Bestreben,  den  von  Feuerbach  immer 
wieder  aufgedeckten  Widerspruch  zwischen  einer  indeterministischen 
Beurteilung,  die  einer  sittlichen  Bewertung,  aber  nicht  einer  Prognose 
der  Gefährlichkeit  des  Täters  gerecht  wird,  und  den  Bedürfnissen  eines 
erfolgreichen  Sicherungsstrafrechts  zu  beseitigen.  Darum  soll  nicht 
mehr  das  Urteil  über  die  Gefährlichkeit  des  Täters  für  die  Höhe 
der  Bestrafung  entscheidend  sein,  sondern  die  Strafe  ist  so  zu  bemessen, 
daß  sie  das  Interesse  des  Täters  an  seinem  Verbrechen  zu  paralysieren 
vermag.  Das  kommt  dem  Feuerbachschen  Äbschreckungsstrafrecht 
erheblich  nahe,  nur  daß  Grolman  die  abschreckende  Wirkung  in  die 
Spezialprävention  verlegt.  Kann  man  doch  allgemein  gar  keine 
Proportion  zwischen  Äbschreckungsübel  und  dem  Interesse  am  Ver- 
brechen aufstellen.  „Denn  was  für  das  eine  Individuum  das  Ziel 
rastloser  Tätigkeit  ist,  vermag  kaum  das  andere  zu  bewegen,  und  nicht 
selten  ist  ein  Vorteil,  welcher  die  Mehrheit  der  Menschen  kaum  zu 
einer  gleichgültigen  Handlung  bestimmen  könnte,  in  dem  Individuum 
der  Erzeuger  der  scheußlichsten  Taten  und  darum  notwendig  der 
Gegenstand,  welcher  dessen  ganzes  sinnliches  Interesse  fast  einzig 
beschäftigte."*  Ahnlich  wie  früher  bei  der  Beurteilung  der  rechts- 
widrigen Gesinnung  erscheint   ihm    das  Interesse   an   der  Tat   um   so 


'  Handbuch  I,  S.  351.   Zu  dieser  Lehre  Feuerbachs  vgl.  Revision  II,  S.  5  ff, 

■^  Dem  folgenden  liegt  die  20  Jahre  nach  dem  Erscheinen  des  Buches 
herausgekommene  3.  Aufl.  (1818)  zugrunde.  Eine  4.  Aufl.  folgte  noch  1825. 
Auch  jetzt  war  er  zwar  nicht  mehr  von  den  „literarischen  Hilfsmitteln, 
wohl  aber  von  den  gewohnten  literarischen  Beschäftigungen  getrennt". 

'  Vgl.  Grundsätze  III.  Aufl.,  Vorwort  pag.  XVI. 

'  Grundsätze  III.  Aufl.,  S.  81. 


59 

größer,  je  mehr  innere  Hemmungen  bei  der  Tat  überwunden  werden 
mußten,  je  wichtiger  die  rechtliche  Verbindlichkeit  war,  die  übertreten 
wurde.  Dagegen  straucheln  nur  aus  Schwäche,  aus  geringem  ver- 
brecherischen Interesse  Unmündige  und  geistig  Minderwertige.  Das 
entspricht  noch  seiner  früheren  indeterministischen  Denkweise  und 
erscheint  zugleich  wie  eine  neue  rationalistische  Begründung  der 
traditionellen  Art,  menschliches  Handeln  zu  bewerten.  Dagegen  ent- 
spricht es  der  strafrechtlichen  Zurechnung  bei  Feuerbach,  wenn  Grolman 
da  ein  besonders  intensives  verbrecherisches  Interesse  annimmt,  wo  die 
Vorstellung  des  Verbotes  dauernd  unterdrückt  ist.  Denn  hiermit 
begründet  Grolman,  was  seine  frühere  Zurechnungslehre  nicht  zuließ, 
die  größere  Strafbarkeit  des  Gewohnheits-  und  Zustands- 
verbrechers. 

Überblickt  man  so  die  Entwicklung  der  Lehren  der  zeitgenössischen 
Kriminalisten,  so  ergibt  sich,  daß  in  historischem  Sinn  von  einem  Sieg 
der  Feuerbachschen  Ideen  gesprochen  werden  muß.  Was  dieses  Ergebnis 
erleichterte,  war  ein  zeitgeschichtliches  Moment.  Den  alten  Polizeistaat 
durch  den  Rechtsstaat  zu  überwinden,  die  Allmacht  des  absoluten  Staates 
durch  feste  Normen  zu  begrenzen,  war  jener  Epoche  tiefstes  Bedürfnis. 
Und  nun  zeigte  Feuerbach,  in  dessen  Sprache  etwas  von  dem  revolu- 
tionären Pathos  der  Ideen  der  Aufklärungszeit  wiederklingt,  daß  das 
Sicherungsstrafrecht  zu  einer  erneuten,  zwar  wohlgemeinten,  aber  ufer- 
losen Ausdehnung  der  staatlichen  Strafgewalt  führen  muß,  während  er 
selbst  durch  strenge  Bindung  des  Richters  an  das  Gesetz  die  Rechts- 
garantien des  einzelnen  zu  stärken  verhieß.  Dazu  kam  das  Persönliche: 
der  hinreißenden  Kraft  der  Feuerbachschen  Dialektik,  hinter  der  etwas 
von  dem  sprühenden  Geist  und  dem  leidenschaftlichen  Temperament 
ihres  Urhebers  zu  spüren  war,  haben  sich  die  Zeitgenossen  nicht  ent- 
ziehen können.  Lange  über  die  Zeit,  in  der  seine  Lehren  selbst  in  Geltung 
waren,  ist  sein  Wirken  fruchtbar  geblieben,  ja  als  in  dem  modernen 
Sicherungsstrafrecht  der  Lisztschen  Schule  der  alte  Gedanke  der 
Spezialprävention  eine  Neubildung  erfuhr,  ging  man  gleichwohl  über 
Grolmans  verstaubte  Theorie  schnell  hinweg,  um  immer  wieder  aufs 
neue  aus  den  lebenerfüllten  kriminal -psychologischen  Schöpfungen 
seines  großen  Gegners  Feuerbach  Anregungen  zu  gewinnen.'  Hier 
hat  die  Geschichte  nicht  nach  dem  Inhalt  vergangener  Theorien, 
sondern  nach  der  geistigen  Bedeutung  ihrer  Schöpfer  entschieden, 
und  dies  Ergebnis  ist  für  Grolman  dadurch  nicht  minder  tragisch, 
daß  sie  dabei  seinen  eigenen  Maßstab  verwandte:  sie  hat  nicht 
die  Tat,    sondern   den  Täter   beurteilt! 

*  Lands bcrg,  Geschichte  d.  deutschen  Rechtswissenschaft  3,  II,  S.  144. 


60 

Solche  philosophischen  Auseinandersetzungen  über  den  Zweck  der 
Strafe  und  das  Wesen  der  strafrechtlichen  Zurechnung  kennzeichnen 
nur  das  äußere  Gepräge  der  strafrechtlichen  Literatur  jener  Zeit. 
Allem  theoretischen  Streit  um  naturrechtliche  Deduktionen  und  gesetz- 
geberische Prinzipien  lag  ein  Gemeinsames  zu  Grunde,  ein  heißer 
Drang,  neue  bessere  Zustände  in  der  Strafrechtspflege  zu  schaffen 
und  der  ernste  Wunsch,  mit  den  systematischen  und  kritischen  Studien 
einem  idealen  neuen  Strafrecht  die  Wege  zu  bereiten.  Eine  „Wissen- 
schaft de  lege  ferenda",  wie  sie  Loening  genannt  hat,^  geltende 
Bestimmungen  des  positiven  Rechts  willkürlich  beiseiteschiebend,  aber 
durchdrungen  von  tiefer  Verantwortlichkeit  gegenüber  den  Forderungen 
des  Rechts,  das  gerechterweise  gelten  sollte.  Jeder  einzelne  Kriminalist 
fühlte  sich  zugesellt  der  großen  strafrechtlichen  Reformbewegung, 
einer  bedeutsamen  geistigen  Strömung,  in  der  nicht  wenig  von  der 
sieghaften  Zuversicht  der  Zeit  lebte,  die  glaubte,  daß  es  gelingen 
werde,  durch  neue  bessere  Gesetze  und  zweckmäßigere  Institutionen 
das  Menschengeschlecht  einer  Zeit  neuer  Wohlfahrt  und  Vervollkomm- 
nung entgegenzuführen.  Diese  Gesinnung  beseelte  und  stärkte  sie  alle, 
und  ein  erwachendes  Gewissen  für  die  Grausamkeiten  und  Sinnlosig- 
keiten der  überkommenen  Sb-afrechtspflege  bahnte  einen  nachhaltigen 
inneren  und  äußeren  Läuterungsprozeß  an.  Dem  Humanitätsgedanken 
der  Zeit  und  dem  Streben  nach  rationeller  Ordnung  des  Lebens  sollten 
auch   die  Gebiete   des   Strafrechts   nicht  fürder  verschlossen  bleiben.^ 

Diese  Gedankenwelt  war  der  geistige  Boden,  auf  dem  die  straf- 
rechtliche Literatur  jener  Zeit  erwuchs.  Hier  erstrebten  Grolman  und 
Feuerbach  bei  aller  Verschiedenheit  der  Wege,  die  sie  einschlugen, 
im  Grunde  gemeinsame  Ziele.  In  Feuerbachs  Wirken,  das  seinen 
krönenden  Abschluß  in  der  Schöpfung  des  ersten  neuzeitlichen  Landes- 
strafgesetzbuchs fand,   sind   mannigfache  Wünsche   der  Reformfreunde 


>  Z.  Str.W.  Bd.  3,  S.  321. 

^  Die  großen  Züge  der  geschichtlichen  Entwicklung  der  Rechtsstrafe 
siehe  bei  Merkel-Liepmann,  Lehre  von  Verbrechen  und  Strafe.  Stutt- 
gart 1912,  S.  27  ff,  und  238  ff.  —  Im  einzelnen:  v.  Liszt,  Strafrechtliche 
Aufsätze  und  Vorträge  Bd.  II,  S.  133  ff.  E.  F.  Klein  und  die  unbestimmte 
Verurteilung.  Hallenser  Rektoratsrede  1894.  —  Ed.  Hertz,  Voltaire  und 
die  französische  Strafrechtspflege  im  XVIII.  Jahrhundert.  Ein  Beitrag  zur 
Geschichte  des  Äufklärungszeitalters.  Stuttgart  1887.  —  L.  Günther,  Die 
Strafrechtsreform  im  Äufklärungszeitalter.  Gross'  Archiv  Bd.  28.  1907. 
S.  112  ff.  und  225  ff.  —  Derselbe,  Tomaso  Natale,  Marchese  di  Monterre- 
sato.  Ein  in  Deutschland  vergessener  Vorläufer  Beccarias.  Goltdammers 
Archiv  Bd.  48,  S.  1  ff.  —  Derselbe,  Französische  Revolutionäre  als 
Kriminalpolitiker  und  Gegner  der  Todesstrafe.  Frankfurter  Zeitung  64.  Jahrg., 
Nr.  809  (1.  Morgenblatt  v.  29.  X.  18). 


61 

erfüllt  —  und  enttäuscht  worden.  Es  kann  erst  später  nachgewiesen 
werden,  wie  seine  Lehren  zwar  dem  radikalen  Reformgeist  der  Aufklärung 
entstammten,  in  ihrer  speziellen  Ausprägung  aber  zu  einer  alsbaldigen 
Erstarrung  und  zu  einem  Strafrecht  von  rigoroser  Härte  führen  mußten.^ 
Neben  diesen  allgemeinen  Beziehungen  wirken  bei  allen  wichtigen  Einzel- 
problemen Einflüsse  aus  dem  Geiste  jener  Bewegung  und  den  Forderungen, 
die  ihre  Anhänger  erhoben.  So  blieb  Feuerbachs  Stellung  zu  der  Frage 
der  strafrechtlichen  Zurechnung  nicht  unberührt  von  den  Gedanken,  die 
von  den  Reformfreunden  mit  heiligem  Eifer  immer  aufs  neue  verkündet 
wurden.  Hatte  Feuerbach  in  seinen  rechtsphilosophischen  Erörterungen 
die  Selbständigkeit  des  Rechts  gegenüber  der  Moral  gefordert  und  im 
Gegensatz  zu  Grolmans  Präventionslehre  das  Widerspruchsvolle  einer 
moralischen  Beurteilungsweise  im  Strafrecht  nachgewiesen,  so  fand  er 
bei  den  Vorkämpfern  der  strafrechtlichen  Reformbewegung 
neue  Elemente  zu  einer  allein  strafrechtliche  Gesichtspunkte 
berücksichtigenden  Zurechnungslehre.  Die  leidenschaftlichen 
Angriffe  jener  Bewegung  galten  einem  Strafrecht,  in  dem  an  individueller 
Schuld  Vergeltung  geübt  wurde.  So  wie  über  ein  Jahrhundert  später 
die  Lisztsche  Schule  zeigte  man  damals,  welche  verhängnisvollen 
Wirkungen  dies  Vergeltungsstrafrecht  zeitigte  —  und  wie  beschämend 
oft  ihm  Erfolge  versagt  bleiben  mußten.  Das  führte  einmal  zu  einer 
Selbstbescheidung  des  Strafrechts,  das  die  Grenzen  seiner  Wirksamkeit 
zu  erkennen  begann:  immer  wieder  betonte  man,  Verbrechen  zu 
verhüten  sei  besser,  als  begangene  Delikte  zu  bestrafen.  Auf  der 
anderen  Seite  führte  jene  Kritik  dazu,  daß  man  sich  darüber  Rechen- 
schaft zu  geben  suchte,  was  mit  der  Strafe  erreicht  werden 
kann.  Nicht  ob  der  Täter  die  Strafe  verdiente,  sondern  ob  seine 
Bestrafung  zweckmäßig  war,  nicht  das  Maß  persönlicher  Schuld, 
sondern  ob  die  Strafe  wirken  kann,  wird  zur  Kernfrage  der  straf- 
rechtlichen Zurechnung.  Führt  auch  diese  ganze  Betrachtungsweise 
ihrem  Inhalte  nach  näher  an  Grolmans  als  an  Feuerbachs  Lehren 
heran,  so  entzog  sich  Feuerbach  um  nichts  weniger  jenem  formalen 
Prinzip:  nicht  in  der  sittlichen  Bewertung  der  Tat,  sondern  in 
der  Möglichkeit,  strafrechtliche  Ziele  zu  erreichen,  den  Sinn 
und  die  Berechtigung  der  Bestrafung  zu  suchen. 

Den  Führern  dieser  Bewegung  war  es  nicht  um  eine  systematische 
Verarbeitung  neuer  strafrechtlicher  Theorien  zu  tun,  sondern  sie  kämpften 
gegen  Not  und  Elend  mit  dem  ganzen  Ernste  sittlicher  Hingebung  und 
eben  diese  Wärme  und  Inbrunst  sicherte  ihnen  die  stärkste  Wirkung. 
Allen  voran,    an   erster    „ehrenvoller  Stelle"   nennt  Feuerbach  Cesare 


'  Vgl.  unten  Kap.  V. 


62 

Beccaria,  dessen  Name  Generationen  zum  Symbol  fortgeschrittener, 
humaner  Strafrechtspflege  wurde.  Hier  flössen  strafrechtliche  Anregungen 
zusammen  mit  den  großen  geistigen  Strömungen  der  Zeit.  Der  „un- 
sterbliche Präsident  von  Montesquieu"  hatte  Beccaria  stark  beeinflußt, 
Voltaire  wiederum  schärfte  unter  dem  Eindruck  des  Bieccariaschen 
Buches  über  Verbrechen  und  Strafen  (1764),  während  er  für  die 
Unschuld  des  hingerichteten  Calas  eintrat,  die  Waffen  zum  Kampf  gegen 
die  Todesstrafe.  Beccarias  „Verbrechen  und  Strafen"  ist  ein  klassisches 
Werk  geworden,  nicht  nur  in  der  strafrechtlichen  Literatur,  sondern 
in  der  Geschichte  des  neuzeitlichen  Kulturlebens  überhaupt.  Es  ist 
kein  wissenschaftliches  Werk  eines  zünftigen  Kriminalisten,  sondern 
der  geniale  Wurf  eines  Dilettanten,  elegant  in  der  Form,  suggestiv  in 
der  Sprache,  zwanglos  und  gefällig  in  der  Darstellung,  zwingend  und 
eindrucksvoll  in  der  Wirkung.* 

Sowie  die  Satzungen  der  menschlichen  Rechtsordnung  nicht  den 
Naturgesetzen  oder  göttlicher  Offenbarung  entstammen,  sondern  auf 
den  Gesellschaftsverträgen  der  Bürger  beruhen,  sieht  Beccaria  im 
Verbrechen  nicht  Sünde  und  schlechte  Absicht  des  Täters,  sondern 
den  der  Gesellschaft  zugefügten  Schaden.  Wo  kein  anderes  Mittel 
übrig  bleibt,  Verbrechen  zu  verhindern,  da  greift  der  Staat  zur  Strafe, 
nicht  um  Vergangenes  ungeschehen  zu  machen,  nicht  um  den  Ver- 
brecher zu  quälen,  sondern  um  ihn  „daran  zu  hindern,  seinen  Mit- 
bürgern neuen  Schaden  zuzufügen,  und  die  anderen  von  gleichen 
Handlungen  abzuhalten".^  „Die  Schwere  der  Sünde  hängt  von  der 
unerforschlichen  Bosheit  des  Herzens  ab:  diese  kann  von  beschränkten 
Wesen  ohne  Offenbarung  nicht  ergründet  werden;  wie  kann  man  also 
sie  zur  Norm  für  die  Bestrafung  der  Verbrechen  nehmen?"^  Vielmehr 
muß  die  Strafe  um  so  größer  sein,  je  mehr  das  Verbrechen  das 
öffentliche  Recht  gefährdet,  je  stärker  der  Anreiz  für  andere  ist,  der 
von  ihm  ausgeht.  „Fühlbare  Beweggründe"  soll  die  Strafe  schaffen, 
indem  mit  ihr  ein  Maß  von  Leiden  über  den  Täter  verhängt  wird, 
„das  den  aus  dem  Verbrechen  erwachsenden  Vorteil  überwiegt"  und 
dieses  Übel  muß  der  Begehung  des  Delikts  als  unausbleibliche  Kon- 
sequenz nachfolgen.^  Hier  fand  Feuerbach  Berührungspunkte  mit  seiner 
Abschreckungstheorie,  wiewohl  auch  er  mehr  in  dem  Geist  und  der 
Tendenz  als  in  den  einzelnen  theoretischen  Formulierungen  die  blei- 
bende Bedeutung  Beccarias  erkannte.     „Bestimmtheit  ist  keines  seiner 


*  Über  Verbrechen  und  Strafen  von  Ccsare  Beccaria.     Übersetzt  von 
K.  Esselborn,  Leipzig  1905. 

■  Beccaria -Esselborn  S.  102  f. 

'  Ebendort  S.  131. 

'  Ebendort  S.  69  und  103. 


63 

Verdienste,  er  resümiert  nicht  als  Philosoph,  sondern  nach  der  Ansicht 
seines  eigenen  gesunden  Verstandes,  und  schreibt  nicht  für  die  Schule, 
sondern   für   die  Welt."^ 

Nach  Beccaria  wirkte  in  Italien  in  seinem  Sinn  und  Geist  am 
stärksten  der  Ritter  Cajetan  Filangieri.  Auch  er  geht  bei  der 
strafrechtlichen  Zurechnung  von  dem  Zweck  der  Bestrafung  aus,  auch 
ihm  dient  die  Strafe  zugleich  den  Zwecken  der  Spezialprävention  und 
Generalprävention.  „Der  Endzweck  der  Gesetze,  wenn  sie  Verbrechen 
bestrafen,  kann  also  kein  anderer  sein,  als  den  Verbrecher  von  fernerer 
Beunruhigung  der  Gesellschaft  abzuhalten  und  andere  von  der  Nach- 
ahmung seines  Beispiels  durch  den  Eindruck  abzuschrecken,  den  die 
an  ihm  vollzogene  Strafe  auf  ihr  Gemüt  machen  soll.""  Solche 
kriminalistischen  Gesichtspunkte,  nicht  eine  Beurteilung  der  Schuld 
des  Täters,  begründen  die  Strafwürdigkeit.  „Die  Moralisten  mögen 
die  Grundsätze  prüfen,  nach  welchen  das  Gewissen  sich  richtet,  wir 
aber  wollen  nicht  vergessen,  daß  unser  Amt,  unendlich  von  jener 
ihrem  (sie!)  verschieden,  sich  bloß  darauf  einschränke,  anzugeben, 
was  die  Gesetze  über  diese  Handlungen  bestimmen  sollten.""^  Jenem 
doppelten  Zweck  der  Strafe  entspricht  ein  zwiefacher  Maßstab  in  der 
strafrechtlichen  Beurteilung:  die  Wichtigkeit  des  verletzten  Rechts  und 
der  Grad  der  „mehreren  oder  mindern  Bosheit,  welche  der  Übeltäter 
hat  blicken  lassen".^  So  geht  Filangieri  in  der  strafrechtlichen  Zu- 
rechnung zwar  aus  von  der  Rücksicht  auf  den  Zweck  der  Strafe, 
aber  auch  ihn  führt  der  Gedanke  einer  Spezialprävention  zu  einem 
Urteil  über  das  Verhältnis  von  Tat  und  Charakter,  das  einer  An- 
erkennung persönlicher  Schuld  nahekommt. 

Unter  den  Bahnbrechern  der  Gedanken  Beccarias  in  Deutschland  ist 
an  erster  Stelle  die  anziehende  Gestalt  Karl  Ferdinand  Hommels  zu 
nennen. '^  Mit  Weitblick  und  Unerschrockenheit  ist  er  früh  für  den  neuen 
Geist  in  der  Strafrechtspflege  eingetreten  und  bereits  ehe  er  Beccaria 
kannte,  hatte  er  die  Unhaltbarkeit  des  herrschenden  Systems  bloßgelegt, 
ohne  freilich  zunächst  mehr  als  das  mitleidige  Lächeln  verständnisloser 
Überlegenheit  zu  ernten :  „  Wenn  Landesverweisung,  wenn  die  Lebensstrafen 
abgeschafft  werden  sollten,  so  sei  des  Nachts  niemand  sicher,  über  die  Straße 


*  Feuerbach,  Revision  II,  S.  449. 

"^  System  der  Gesetzgebung.     Aus  dem  Italienischen  des  Ritters  Cajetan 
Filangieri  IV.  Bd.     Ansbach  1787,  S.  19. 
"  Ebendort  S.  256. 

*  Ebendort  S.  8. 

^  K.  V.  Zahn,  Karl  Ferdinand  Hommel  als  Strafrechtsphilosoph  und 
Strafrechtslehrer.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  strafpolitischen  Auf- 
klärung in  Deutschland.     Leipzig  1911. 


64 

zu  gehen,  aus  Furcht,  erschlagen  zu  werden!"  Man  hielt  solche 
Vorschläge  einfach  für  undiskutabel  und  meinte,  er  sei  nur  ein  junger 
Mann,  der  seinen  Geist  zeigen  wollte.^  Später  wurde  er  der  eifrigste 
Verkünder  der  Ideen  Beccarias,  „dieses  Weisen  .  .  .,  dieses  Sokrates 
unserer  Zeit,  dem  die  künftige  Welt  Bildsäulen  setzen  und  Altäre 
errichten  wird".^  Ganz  im  Sinne  der  Hufklärung  will  Hommel  nicht 
immer  nur  strafen,  sondern  durch  Wohlfahrtspflege  und  Unterricht  auf 
die  Menschen  wirken.  „Man  muß  erst  die  Schulmeister  bessern,  ehe 
man  Kinder  verbessern  will.  Wenn  es  in  dem  Gehirn  des  Lehrers 
wie  in  einer  Polterkammer  aussieht,  wie  will  er  den  Anflug  des  Staates 
in  Ordnung  bringen?  .  .  .  Man  nehme  reichen  Pfarrherren  den  sechsten 
Teil  ihrer  Pfründe  und  gebe  ihn  dem  Kinderlehrer,  damit  man  bessere 
Leute  bekomme."^ 

Huch  Hommel  und  sein  Gesinnungsfreund  Rössig,  der  Hommels 
Betrachtungen  über  Beccaria  herausgab,  wollen  nicht  Schuld  und  Sühne, 
sondern  den  gesellschaftlichen  Schaden  zum  Maßstab  der  Bestrafung 
machen.  „Es  kann  etwas  schädlich,  es  kann  etwas  sündlich  und  doch 
bürgerlich  kein  Verbrechen  sein.  Mensch,  Bürger  und  Christ  sind  drei 
unterschiedene  Begriffe."*  Eine  ethisch-religiöse  Zurechnung  zur  Schuld, 
das  hat  dann  Rössig  ausgeführt,  könnte  nur  in  einem  theokratischen 
Staate  gerechtfertigt  werden,  in  dem  die  Obrigkeit  als  unmittelbare  Stell- 
vertreterin Gottes  eingesetzt  ist,  —  „ein  Grundsatz,  den  kein  vernünftiger 
Gottesgelehrter  mehr  behaupten  wird".^ 

Noch  eine  andere  Seite  der  Hommelschen  Gedanken  berührt  das 
Problem  der  strafrechtlichen  Zurechnung:  sein  konsequenter  Deter- 
minismus. Unter  dem  Pseudonym  Alexander  von  Joch  hat  er  dem 
Verhältnis  zwischen  Determinismus  und  strafrechtlicher  Verantwortlich- 
keit ein  besonderes  Buch  „Über  Belohnung  und  Sh-afe  nach  türkischen 
Gesetzen"  gewidmet.^  Luthers  De  servo  arbitrio  kehrt  oft  in  diesem 
reizvollen  Werkchen  wieder,  indem  ein  barocker  Stil  wie  im  Spiel 
übermütiger  Laune  bis  hart  an  das  Groteske  getrieben  wird.  Kann 
der  Mensch  zwar  tun,  was  er  will,  so  kann  er  doch  nicht  zugleich 
das  eine  oder  das  andere  wollen.  Er  besitzt  —  entsprechend  den 
Lehren  der  deterministisch  gerichteten  englischen  Philosophie  —  die 
Freiheit    des   Handelns,    aber   nicht   die   Freiheit   des  Willens.^ 


'  K.  F.  Hommels  Philosophische  Gedanken  über  das  Kriminalrecht. . . 
Herausg.  v.  K.  G.  Rössig,  Breslau  1784.     S.  47  f. 
^  Ebendort  S.  169.       '  Ebendort  S.  98  f. 
*  Ebendort  S.  39  f.      '  Ebendort  S.  X. 
«  2.  Aufl.     Bayreuth  und  Leipzig  1772. 
'  Vgl.  das  unten  Kap.  III  zitierte  charakteristische  Wort  von  Hob  bes. 


65 

Auch  der  Willensentschluß  des  Menschen  ist  nur  ein  Glied  in  der 
endlosen  Kette  von  Ursachen  und  Wirkungen.  Trotzdem  können  wir 
ihm  seine  Handlungen  zurechnen.  „Gott  ist  notwendig  gut  und  doch 
muß  ich  ihn  loben.  Im  Gegenteil  hasse  ich  die  Kröte  und  doch  ist  sie 
notwendig  häßlich."^  Ebenso  kann  ich  das  Verhalten  eines  Menschen 
loben  oder  tadeln,  wiewohl  er  so  und  nicht  anders  handeln  mußte. 
Eine  Strafe  wäre,  wenn  der  Mensch  unabhängig  von  äußeren  Bedin- 
gungen so  oder  so  wollen  könnte,  zwecklos,  denn  sie  soll  ja  gerade 
seinem  Willen  eine  bestimmte  Richtung  geben.  In  der  Tat  folgt  der 
Mensch  in  seinem  Entschluß  dem  stärkeren  Trieb,  wie  die  Wagschale 
dem  schwereren  Gewicht.  Eine  solche  Stärkung  des  Triebes  zu  dem  vom 
Gesetz  verlangten  Verhalten  soll  die  Strafe  bewirken.  „Dieses  Gewicht  — 
im  Bilde  von  der  Wage  —  heißt  Strafe.  Es  wird  guten  Nutzen  haben 
und  bewirken,  daß  du  besser  acht  geben  wirst.  "^  Dabei  mag  Hommel 
ein  leiser  Zweifel  gekommen  sein,  ob  nicht  der  um  gemeinen  Nutzens 
willen  Bestrafte  sein  Schicksal  als  Ungerechtigkeit  empfinden  würde. 
Verweist  er  doch  die  Verurteilten,  „die  Anzahl  der  Unglücklichen, 
die  ein  Dichter  Schlachtopfer  des  Schicksals  nennen  würde",  auf  die 
ewige  ausgleichende  Gerechtigkeit,  die  sie  einst  im  Himmel  durch 
besseres  Los  für  ihr  irdisches  Leid  schadlos  halten  wird!^  Feuerbach 
entnahm  Hommel  wertvolle  Gesichtspunkte,  um  zu  zeigen,  daß  man 
die  strafrechtliche  Zurechnung  von  einer  indeterministischen  Bewertung 
sittlicher  Schuld  unabhängig  machen  müsse.  Gleichwohl  nannte  er  sich 
selbst  keinen  Deterministen,  glaubte  er  doch  im  Bereich  moralischer 
Beurteilung  des  freien  Willens  nicht  entraten  zu  können. 

Zu  den  Vorkämpfern  der  neuen  Richtung  gesellte  sich  auch  ein 
Theologe,  Johann  David  Michaelis.^  Auch  er  löst  das  staatliche 
Strafrecht  von  der  Voraussetzung  subjektiver  Verschuldung.  Wie  wir 
es  in  modernen  Untersuchungen  gewohnt  sind,  trennt  er  deskriptive 
und  teleologische  Strafbegriffe:  Mag  zu  dem  Wesen  der  Strafe  Ver- 
geltung vergangener  Handlungen  gehören,  ihr  Zweck  ist  General- 
prävention.^     Wie  bei    Hommel   ist   das   Mittel   hierzu   Abschreckung: 


'  Alexander  von  Joch,  Belohnung  und  Strafe  nach  türkischen 
Gesetzen    S.  205. 

-  Alexander  von  Joch,  a.  a.  O.  S.  129. 

'  Ebendort  S.  158. 

*  J.  D.  Michaelis,  Mosaisches  Recht  VI.  Teil.  Frankfurt  a.  M.  1775. 
Vorrede  pag.  1  —  190. 

^  Michaelis,  a.  a.  O.  S.  11.  —  Vgl.  E.  Kohlrausch,  Über  deskriptive 
und  normative  Elemente  im  Vergeltungsbegriff  des  Strafrechts  in  „Zur  Er- 
innerung an  I.  Kant",  Äbhandl.  herausgegeben  v.  d.  Universität  Königsberg. 
Halle  1904.  S.  269  ff.  —  M.  E.  Mayer,  Der  allgem.  Teil  des  deutschen 
Straf  rechts.     Heidelberg  1905.     S.  422  ff. 


66 

„Strafen  sind  andern  zum  Exempel  .  .  ."/  aber  eine  Abschreckung, 
niciit  durch  die  Vollziehung  der  Strafe,  sondern  wie  später  bei  Feuer- 
bach durch  die  Wirkung  der  gesetzlichen  Strafdrohung."  „Soll  der, 
der  seinen  Vorteil  bei  Begehung  eines  Verbrechens  sieht  oder  zu  sehen 
meint,  davon  abgehalten  werden,  so  muß  ihm  mehr  Übel  gedrohet 
werden,  als  der  vermeinte  Vorteil  beträgt  und  dies  selbst  nach  seiner 
eigenen  Rechnung,  d.  i.  ein  Übel,  das  er,  alles  in  Anschlag  gebracht, 
die  Gewißheit  des  vermeinten  Vorteils  und  die  Ungewißheit  des  Übels, 
doch  größer  schätzt  als  den  Vorteil."^  Konsequenterweise  führt  diese 
Lehre  Michaelis  zu  der  Forderung,  daß  die  gesetzliche  Strafdrohung 
in  allen  Fällen  in  vollem  Umfang  zur  Ausführung  gelangen  muß. 
Ganz  wie  bei  Feuerbach  soll  endlich  nicht  Schuld  oder  Bosheit  des 
Verbrechers,  nicht  die  „ohnehin  von  einem  nicht  in  das  Herz  sehen 
könnenden  menschlichen  Richter  fast  nie  mit  Gewißheit  auszumachende 
Schwärze  und  Weiße  des  Verbrechens",*  sondern  die  Stärke  der  zum 
Verbrechen  reizenden  „Triebe  oder  Bewegungsgründe"  das  Maß  der 
strafrechtlichen  Verantwortung  begründen.^ 

Einen  starken  Widerhall  fanden  die  neuen  Lehren  in  Frankreich. 
Dort  hatten  schon  vor  Beccaria  die  Enzyklopädisten*"  scharfe  Angriffe 
gegen  die  herrschende  Strafjustiz  geführt.  In  den  Sitzungen  der 
Nationalversammlung  gab  es  um  die  großen  Fragen  der  Strafrechts- 
reform ernste  Diskussionen.^  Für  die  fruchtbare  Förderung  einzelner 
dogmatischer  Probleme  dagegen  waren  die  französischen  Kriminalisten 
wenig  ergiebig.  Schon  Feuerbach  wirft  ihnen  ein  Zuviel  an  „Dekla- 
mationen und  Sentimentalischen  Ergießungen  des  Herzens"  und  ein 
Zuwenig  an  „kalter  Vernunft  und  trockener  Spekulation"  vor.  „Solidität 
und  philosophischen  Geist"  findet  er  noch  am  meisten  bei  Servin.*^ 
Wenn  uns  auch  heute  Servins  übermäßige  Fülle  naturrechtlicher 
Konstruktionen  und  abstrakter  Begriffsbildungen  ermüdet,  dem  zeit- 
genössischen  Göttinger   Philosophen   Feder    schien    sein  Werk    „Über 


^  Michaelis,  a.  a.  O.  S.  18. 

'^  Landsberg,  Geschichte  der  deutschen  Rechtswissenschaft  3.  Abt., 
L  Halbbd.,  S.  405  bezeichnet  Michaelis'  Lehre  geradezu  mit  dem  für  Feuerbach 
charakteristischen  Namen  Psychologische  Zwangstheorie. 

"  Michaelis,  a.  a.  O.  S.  18  f. 

*  Michaelis,  a.  a.  O.  S.  14. 
^  Michaelis,  a.  a.  O.  S.  64. 

*  Ä.  V.  Overbeck,  Das  Strafrecht  der  französischen  Enzyklopädie. 
Freiburger  Diss.  1902. 

'  Ch.  Lucas,  Recueil  des  d^bats  des  Ässembldes  Legislatives  de  la 
France  sur  la  question  de  la  peine  de  mort.  Paris  1831.  —  H.  Remy, 
Les  principes  g^n^raux  du  Code  p^nal  de  1791.     Paris  1910. 

*  Feuerbach,  Revision  II,  S.  453  und  458. 


67 

die  peinliche  Gesetzgebung"  das  „beste  philosophische  Buch  über  das 
peinliche  Recht"/  Auch  bei  Servin  ist  nicht  Vergeltung,  sondern  der 
Sicherungszweck  für  die  strafrechtliche  Ahndung  bestimmend.  „Die 
Gerechtigkeit  tut  niemals  etwas  Übels,  weil  es  das  nämliche  ist,  das 
sie  zu  bestrafen  hat,  sondern  um  andern  Missetaten  zuvorzukommen."* 
Daraus  ergibt  sich  die  Forderung,  „daß  das  Übel,  mit  dem  das  Gesetz 
droht,  genau  einen  Grad  stärker  sei  als  das  Gut,  das  man  sich  von 
dem  Verbrechen  verspricht".^  Liegt  hierin  eine  deutliche  Parallele  zu 
der  strafrechtlichen  Zurechnungslehre  Feuerbachs,  so  neigt  andererseits 
Servin  dem  Prinzip  der  Spezialprävention  zu  und  kommt  hier,  ähnlich 
wie  Filangieri  oder  Grolman,  dem  Gedanken  subjektiver  Verschuldung 
nahe.  Der  Täter  selbst  soll  durch  das  Strafübel,  das  er  erleiden  muß, 
vor  weiteren  Verbrechen  abgeschreckt  werden.  Richtet  sich  so  die  Strafe 
in  erster  Linie  gegen  den  Täter,  so  hat  die  Tat  für  die  strafrechtliche 
Zurechnung  vorwiegend  symptomatische  Bedeutung:  „Das,  was  eigent- 
lich eine  Missetat  bewirkt,  ist  der  sich  veroffenbarte  Wille,  zu  schaden."* 
Einen  nachhaltigen  Einfluß  auf  Feuerbachs  strafrechtliche  Lehren 
hat  der  Tübinger  Rechtslehrer  Chr.  Gottlieb  Gmelin  ausgeübt.  Die 
systematische  Entwicklung  der  Zurechnungslehre  in  Feuerbachs  „Re- 
vision" verwertet  eine  Reihe  von  Gedanken,  die  Gmelin  in  seinen 
„Grundsätzen  der  Gesetzgebung  über  Verbrechen  und  Strafe"^  ent- 
wickelt hatte.  Dieser  Einfluß  mag  durch  eine  gewisse  innere  Ver- 
wandtschaft gestärkt  worden  sein.  Ähnlich  wie  später  Feuerbach  und 
stärker  noch  als  er  verbindet  Gmelin  mit  seinem  Eintreten  für  eine 
Reform  der  Strafgesetzgebung  ein  starres  Festhalten  an  einzelnen 
Institutionen  des  alten  peinlichen  Rechts.  So  bleibt  er  entgegen 
Beccaria  Anhänger  der  Todesstrafe,*^  und  er  tritt  im  Gegensatz  zu 
dem  ganzen  Geiste  der  Aufklärung  für  ernstere  Bestrafung  der 
Fleischesdelikte  ein.  Selbst  die  „Bestrafung"  des  Selbstmörders  mit 
unehrlichem  Begräbnis  findet  in  ihm  noch  einen  Fürsprecher.  Ver- 
brechen zu  verhüten,  ist  nach  Gmelin  eine  der  wichtigsten  Pflichten 
des  Regenten.  Eines,  das  letzte  Mittel  ist  die  Strafe.  Sie  besteht 
nicht     „darin,    dem    Verbrecher    ein    Äquivalent    für    seine    Schuld 


^  Servin,  „Über  die  peinliche  Gesetzgebung".  Aus  dem  Franzö- 
sischen . . .  von  J.  E.  Grüner.  Mit  einer  Vorrede  von  Herrn  Hofrat  Feder. 
Nürnberg  1786.     S.  III. 

"^  Servin,  a.  a.  O.  S.  51. 

'  Ebendort  S.  33. 

'  Ebendort  S.  19. 

*  Tübingen   1785. 

^  Gmelin,  Grundsätze  der  Gesetzgebung  S.  76  ff.  enthält  eine  über- 
sichtliche Zusammenstellung  der  zeitgenössischen  Anhänger  und  Gegner 
der  Todesstrafe. 


68 

aufzuerlegen,  ihm  dasselbe  Übel  zuzufügen,  das  er  durch  moralische 
Häßlichkeit  seiner  Handlung  verdient  hat",  sondern  „das  Übel  der 
Strafe  soll  den  Willen  eines  jeden  vor  der  Begehung  dahin  bestimmen, 
daß  er  die  strafbare  Handlung  unterlasse"/  So  soll  das  Ziel  der  Straf- 
rechtspflege, Generalprävention,  erstrebt  werden  durch  Abschreckung, 
und  zwar  in  dem  alten  Sinn,  wie  ihn  auch  Hommel  noch  vertrat, 
durch  die  abschreckend  wirkende  Vollziehung  der  Strafe.  „Der  Ver- 
brecher muß  durch  die  Strafe  leiden,  damit  andere  in  der  Vorstellung 
dieser  Leiden  einen  hinlänglichen  Beweggrund  finden,  von  ähnlichen 
Verbrechen  abzustehen,  und  töricht  ist  es,  solche  Leiden  eine  Grau- 
samkeit zu  nennen  .  .  . "  ^  Hier  findet  die  Rücksichtslosigkeit  des 
absolutistischen  Polizeistaates  noch  einmal  eine  Apologie.  Wenn 
Feuerbach  im  Sinne  Kants,  der  auch  im  Verbrecher  die  menschliche 
Persönlichkeit  zu  respektieren  verlangte,  eine  Bestrafung,  damit  ein 
Exempel  statuiert  werde,  verwarf,  so  triumphierte  bei  Gmelin  noch 
die  allmächtige  Staatsräson.  Individual- ethischen  Einwürfen  hält  er 
Hagedorns  Vers   entgegen: 

Wenn  ihr  mit  Dieben  Mitleid  habt. 
So  habt  ihr  keines  mit  dem  Lande! 

Zugleich  führt  der  Äbschreckungsgedanke  Gmelin  zu  einer  Reihe 
von  Folgerungen,  wie  sie  auch  für  die  Feuerbachsche  Zurechnungslehre 
charakteristisch  sind.  So  wie  Feuerbach  das  Maß  der  Strafe  als  ein 
Äquivalent  gegenüber  der  zum  Verbrechen  drängenden  sinnlichen 
Triebfeder  zu  bestimmen  sucht,  soll  sie  auch  nach  Gmelin  „den 
Vorteil  überwiegen,  welchen  sich  der  Verbrecher  bei  der  Ausführung 
seiner  Missetat  verspricht".^  Ähnlich  wie  bei  Feuerbach  sind  angeborene 
Neigungen  und  schlechte  Erziehung  als  „Milderungsgründe  nicht  anzu- 
sehen, da  ohne  solche  Umstände  niemand  zur  Begehung  eines  Ver- 
brechens kommt  und  eben  deswegen  die  Strafen  verordnet  werden, 
um  solchen  Umständen  das  Gegengewicht  zu  halten".^ 

So  ergeben  sich  eine  Reihe  von  Parallelen  zwischen  den  Gedanken 
der  Anhänger  der  strafrechtlichen  Reformbewegung  und  Feuerbachs 
Lehren  von  Strafe  und  Zurechnung.  Der  Einfluß  jener  Richtung  auf 
Feuerbach  beschränkt  sich  dabei  keineswegs  auf  die  stets  wieder- 
holten Hinweise  darauf,  daß  die  Strafe  ein  Gegengewicht  gegen 
die  verbrecherischen  Neigungen  sein  soll.  Vielmehr  liegt  all  diesen 
Erörterungen  der  gemeinsame  Gedanke  zugrunde,  daß  nicht  Vergeltung 


'  Gmelin,  a.  a.  O.  S.  29  l 
^  Ebendort  S.  29  f. 
"  Ebendort  S.  41. 
*  Ebendort  S.  107. 


69 

begangenen  Unrechts,  sondern  Verhütung  künftigen  Verbrechens  Auf- 
gabe der  Strafe  ist.  Der  Emanzipation  des  Kulturlebens  aus  kirchlich- 
dogmatischen Banden,  wie  sie  das  Ziel  der  Aufklärung  war,  entspricht 
die  Tendenz,  auch  das  Strafrecht  allein  seinen  eigenen  Zwecken  unter- 
zuordnen. Nicht  die  Schuld  des  Verbrechers,  sondern  die  Zweck- 
mäßigkeit seiner  Bestrafung  vermag  die  staatliche  Kriminalstrafe 
zu  rechtfertigen.  Das  Problem  der  strafrechtlichen  Zurechnung 
konzentriert  sich  daher  nicht  auf  die  Frage:  „Hat  der  Täter 
schuldhaft  gehandelt?  Dann  muß  er  bestraft  werden!",  sondern 
lautet:  „Ist  es  zweckmäßig,  den  Verbrecher  zu  bestrafen?"  Diesem 
ganzen  Gedankengang  entspricht  das  Ziel  Feuerbachs,  dem  Recht 
eine  der  Sittlichkeit  gegenüber  selbständige  Geltung  zu  gewährleisten 
und  Prinzipien  einer  von  allen  Beimischungen  moralischer  Beurteilung 
freien,  rein  kriminalistischen  Zurechnungslehre  zu  gewinnen. 

Wie  in  der  Behandlung  einzelner  Fragen,  so  zeigen  die  Krimina- 
listen der  Aufklärung  in  der  staatsrechtlichen  Grundauffassung  innere 
Gegensätze.  Liegt  doch  in  dem  Prinzip,  daß  der  gesellschaftliche 
Schaden  und  die  antisozialen  Neigungen  des  Verbrechers,  nicht  seine 
individuelle  Schuld  zum  Maßstab  der  Bestrafung  dienen  soll,  ebenso 
die  Rechtfertigung  der  polizeistaatlichen  Doktrin,  die  um  gemeinen 
Nutzens  willen  über  das  Recht  des  Einzelnen  hinwegschreitet,  wie  der 
Kampf  gegen  die  Barbarei  und  Willkür  der  alten  Kriminaljustiz  zu  der 
Forderung  fester  Begrenzung  der  staatlichen  Strafgewalt  führen  mußte. 
Dabei  ist  zu  bedenken,  daß  die  Vorkämpfer  des  neuen  Strafrechts, 
von  denen  hier  nur  einzelne  mit  wenigen  Strichen  charakterisiert 
wurden,  nicht  systematisch  ausgebaute  Strafrechtstheorien  geben, 
sondern  die  Gewissen  der  Menschheit  aufrütteln  und  stärken  wollten. 
Der  soziale  Nutzen  der  Strafe  war  nicht  wie  bei  den  Apologeten 
des  Absolutismus  als  eine  Generalklausel  gedacht,  die  jedweden 
staatlichen  Eingriff  rechtfertigt,  sondern  bedeutete  in  einschränkendem 
Sinne  den  Maßstab,  an  dem  sich  der  Wert  der  im  Rahmen  des 
Rechts  verhängten  Strafe  bewähren  muß. 

Die  Frage,  wieweit  neben  der  Berücksichtigung  kriminalpolitischer 
Zweckmäßigkeit  eine  Beurteilung  des  sittlichen  Wertes  in  der  strafrecht- 
lichen Zurechnung  zum  Ausdruck  kommen  soll,  bildete  den  Gegenstand 
eines  erbitterten  Streites  zwischen  Feuerbach  und  Ernst  Ferdinand  Klein.^ 
Auch  Klein  war  für  die  Entwicklung  der  strafrechtlichen  Reformbewegung 


'  Eine  Darstellung  dieses  Streites,  allerdings  im  Unterschied  von  der 
im  folgenden  gegebenen  Darstellung  mehr  unter  Berücksichtigung  der 
beiderseitigen  Anschauung  über  das  Wesen  der  Strafe  im  allgemeinen, 
gibt  F.  C.  Th.  Hepp,  Darstellung  und  Beurteilung  der  deutschen  Straf- 
rechtstheorien II,  1,  2.  Aufl.     Heidelberg  1844.     S.  109  ff. 


70 

von  Bedeutung,  indem  er  neben  Suarez  von  Carmer  zur  Bearbeitung 
des  strafrechtlichen  Teils  des  Allgemeinen  Landrechts,  des  Gesetzbuchs 
der  aufgeklärten  Despotie  des  friderizianischen  Preußens,  berufen  wurde/ 
Auch  nach  Klein  gilt  die  Strafe  nicht  der  Wiedervergeltung,  sondern 
der  Verhütung  der  Verbrechen,  wenn  er  auch  die  historische  Bedeutung 
des  Genugtuungsbedürfnisses  für  die  Entwicklung  der  Rechtsstrafe 
zutreffender  zu  würdigen  wußte  als  Feuerbach  und  manch  einer  der 
zeitgenössischen  rationalistischen  Erklärer."  Als  sich  Klein  nach  seinem 
gesetzgeberischen  Wirken  literarischer  und  akademischer  Tätigkeit  als 
Professor  und  Universitätsdirektor  in  Halle  widmete,  gewann  er  bald 
den  Ruf  eines  einflußreichen  Kriminalisten.  Aber  seinen  Werken  fehlte 
die  philosophische  Vertiefung  der  Probleme  und  die  juristische  Schärfe 
und  Klarheit,  wie  sie  Feuerbachs  Schriften  eigneten.^  So  wie  das 
Allgemeine  Landrecht  wie  eine  ideale  Kodifikation  des  herrschenden 
naturrechtlichen  Lehrgebäudes  anmutet,  steckt  auch  Klein  viel  tiefer 
in  der  naturrechtlichen  Doktrin  als  Feuerbach,  der  in  der  strengen 
Bindung  des  Richters  an  das  staatliche  Gesetz  mit  den  Vorkämpfern 
des  konstitutionellen  Gedankens  den  Grundstein  der  bürgerlichen  Frei- 
heit pries.  Klein  trat  erneut  für  das  alte  Dogma  von  dem  zwiefachen 
Strafrecht  ein,  den  „natürlichen"  Verboten  und  solchen,  die  erst  durch 
staatliche  Anordnungen  Verbotscharakter  erhalten.^  Hand  in  Hand 
damit  geht  das  Bestreben,  dem  Richter,  weitherziger  wie  bei  Feuer- 
bach, einen  Spielraum  freien  Ermessens  einzuräumen  und  er  fragt 
erstaunt,  ob  denn  der  Gebrauch  des  gesunden  Menschenverstandes 
gänzlich  von  dem  Richterstuhle  verbannt  und  der  Richter  zu  einer 
bloßen  Referier-  und  Dekretiermaschine  umgebildet  werden  soll?^ 
Rus  solchen  Gedankengängen  heraus  lag  es  nahe,  auch  moralischer 
Bewertung  Einfluß   auf   die  strafrechtliche  Zurechnung  zu  verschaffen. 


'  Ä.  Stölzel,  Carl  Gottiieb  Suarez.  Berlin  1885.  S.  170  L  — 
Landsberg,     Geschichte     der     deutschen    Rechtswissenschaft     3.   Äbtlg., 

1.  Halbband,    S.  470  f. 

-  E.  F.  Klein,  Über  die  Natur  und  den  Zweck  der  Strafe.  Archiv 
des  Kriminalrechts  II,  1,  S.  74  ff.  —  Hierzu  v.  Bar,  Geschichte  des  deutschen 
Straf  rechts  und  der  Straf  rechtstheorien,  S.  172. 

^  E.  F.  Klein,  Grundsätze  des  gemeinen  deutschen  peinlichen  Rechts, 

2.  Aufl.,  Halbband,  1799,  sowie  zahlreiche  Aufsätze  in  dem  von  Klein  und 
Kleinschrod  1799  begründeten  Archiv  des  Kriminalrechts. 

*  Bei  den  Übertretungen  naturrechtlicher  Verbote  hat  der  Verbrecher 
nicht  einen  Anspruch  auf  Innehaltung  der  gesetzlichen  Festsetzung  der 
Strafgröße,  sondern  „er  muß  sich  bei  an  sich  unerlaubten  Handlungen 
jede  Strafe  gefallen  lassen,  welche  durch  seine  unerlaubte  Handlung  not- 
wendig geworden  ist".     Grundsätze,  S.  11. 

^  Archiv  II,  1,  S.  128. 


71 

Zwar  nicht  um  eine  rein  moralische  Bewertung  („moralische  Schätzung"), 
wohl  aber  um  die  mißbilligende  Beurteilung  einer  Pflichtverletzung 
(das  nennt  Klein  „moralische  Zurechnung")  handelt  es  sich  im  Straf- 
recht/ Es  würde  „das  Ansehen  der  Gesetze  untergraben  werden, 
wenn  man  sie  mit  einer  das  moralische  Gefühl  empörenden  Strenge 
anwenden  wollte".^ 

Mit  solchen  Gedanken  setzte  sich  Klein  zu  dem  Rigorismus 
Feuerbachs  in  Widerspruch.  Er  tat  das  nicht  ohne  die  Überheblichkeit 
des  Alters  gegenüber  der  Neuerungssucht  der  Jugend,  die  unaufhörlich 
an  der  Zerstörung  dessen  arbeitet,  „was  unsere  Vorfahren  aufgeführt 
haben"  und  er  hielt  es  zudem  als  „alternder  Mann"  für  „unerläßliche 
Pflicht",  dem  jungen  Schriftsteller  eine  unverblümte  „Sittenpredigt" 
wegen  der  „pomphaften  Weise"  zu  halten,  mit  der  Feuerbach  angeblich 
den  ersten  Band  seiner  „Revision"  in  der  Allgemeinen  Literatur-Zeitung 
angekündigt  hatte. ^  Feuerbach,  persönlichen  Angriffen  gegenüber  allzeit 
aufs  äußerste  empfindlich,  lieh  seinem  Unmut  die  schärfsten  Waffen 
seiner  unvergleichlichen  Dialektik,  und  seine  Worte  wirkten  nicht  minder 
suggestiv  dadurch,  daß  er  sich  zugleich  mit  einem  Appell  an  die 
„Urbanität  in  der  Gelehrtenrepublik"  gegenüber  einer  phrasenhaften 
Weichheit  im  Ausdruck  bei  Klein  das  Recht  vindizierte,  ohne  Ansehen 
der  Person  Irrtum  Irrtum  und  Wahrheit  Wahrheit  zu  nennen.  „Wem 
etwas  bloß  scheint,  der  tut  besser,  wenn  er  schweigt,  und  wer  sagt, 
daß  es  ihm  scheine,  wenn  er  überzeugt  ist,  daß  er  es  gewiß  wisse,  — 
der  lügt,  der  erniedrigt  sich  und  die  Wahrheit  unter  die  Schellenkappe 
der  Konvenienz  und  des  Trugs.  "^  Hatte  Feuerbach  aus  Klein  den 
Vorwurf  der  Niederträchtigkeit  und  Verfälschung  herausgehört,  so 
beklagte  sich  Klein  nunmehr  über  Feuerbachs  Vorwurf  der  Lügen- 
haftigkeit.^ Daß  solch  persönlicher  Streit  der  Förderung  des  Problems 
wenig  dienlich  war,  war  zu  erwarten.  Klein  versuchte,  dem  Problem 
der  strafrechtlichen  Zurechnung  dadurch  die  Spitze  abzubiegen,  daß 
er  die  Gegenwirkung  gegen  die  verbrecherischen  Neigungen  mit  sinn- 
lichen Übeln  als  Züchtigung  oder  Sicherungsmaßnahme  dem  eigentlichen 
Strafrecht  gegenüberstellte,  bei  dem  es  sich  darum  handelt,  Gesetzen 
Gehorsam  zu  leisten.    Hier  hat  der  Freiheitsbegriff  seine  Stätte,  indem 

'  Grundsätze,  a.  a.  O.  §  95,  S.  77. 

-  Archiv  II,  1,  S.  129. 

"  Archiv  II,  1,  S,  113  ff.  Die  gerügte  Ankündigung  Feuerbachs  im 
Intelligenzblatt  der  Allg.  Lit.-Ztg.  vom  Jahre  1799.  Nr.  35,  Sp.  274  enthält 
eine  kritische  Kennzeichnung  der  Mängel  der  bisherigen  Lehren  über  die 
strafrechtliche  Zurechnung,  ohne  die  Vorzüge  des  eigenen  Werkes  in  unzu- 
lässiger Weise  zu  rühmen. 

■*  Revision  II,  Vorrede  pag.  VII. 

*  Für  den  Herrn  Dr.  Feuerbach,  Archiv  II,  3,  S.  123  ff. 


72 

das  Recht  nicht  die  heroische  Freiheit  des  Sittengesetzes,  sondern  eine 
alltägliche  gemeine  Freiheit  in  Tun  und  Lassen  voraussetzt.  Aber  all 
diese  Dinge  sind  so  allgemein  und  wenig  bestimmt  behandelt,  daß  man 
aus  den  Darlegungen  immer  nur  ein  verschwommenes  Bild  bekommt. 
Die  Zweifel  bleiben,  und  Klein  führt  dafür  selbst  Beispiele  an,  z.  B.  den 
Hausdiebstahl:  die  große  Versuchung  mindert  die  Schuld,  aber  der 
Gesetzgeber  sucht  die  Strafe  zu  erhöhen,  „damit  die  Leichtigkeit, 
solche  Verbrechen  zu  begehen,  nicht  den  Reiz  dazu  vermehren 
möchte".^  In  diesem  Streit  zwischen  den  Forderungen  der  General- 
prävention und  den  Bedürfnissen  der  Spezialprävention  findet  Klein 
keine  rechte  Lösung,  wenn  er  den  ersteren  in  diesem  Fall  mehr 
zuneigt,  zugleich  aber  erklärt,  im  Grunde  sei  auch  die  Schuld, 
nämlich  der  Vertrauensbruch,  keineswegs  gering.  So  gelangt  er  immer 
nur  zu  allgemeinen  Erwägungen,  eine  wirkliche  Durchdringung  der 
Probleme,  ein  Versuch,  diese  Fragen  aus  einem  methodisch  geschlossenen 
Gedankengebäude  heraus  zu  entwickeln,  wie  es  Feuerbachs  wissenschaft- 
lichen Zielen  entsprach,  fehlt  bei  Klein.  Mag  er  mit  dieser  notgedrungenen 
Selbstbescheidung  den  fließenden  Übergängen  des  Lebens  oft  im  Grunde 
besser  gerecht  geworden  sein,  als  es  die  starren  Formen  dogmatischer 
Straftheorien  vermochten,  ihm  fehlten  bei  allem  Versuch  einer  Anleh- 
nung an  Kant  die  scharfen  Waffen,  welche  die  völlige  Beherrschung 
und  Verarbeitung  der  kritischen  Philosophie,  wie  sie  Feuerbach 
besaß,  bei  der  Vorliebe  jener  Zeit  für  philosophische  Methodik  allein 
gewähren  konnten."  Und  doch  war  sein  Wirken  gerade  für  die  Fragen 
der  Zurechnung  von  Bedeutung.  Sicherlich  hat  er  das  Ällgemein- 
interesse  für  das  Problem  der  ethischen  Werturteile  im  Strafrecht 
angeregt.  Er  hielt  im  Jahre  1802  in  der  Königlichen  Akademie  der 
Wissenschaften  zu  Berlin  eine  Vorlesung  „Über  die  Schätzung  des 
Menschen  und  seiner  Handlungen  in  politischer  und  moralischer  Hin- 
sicht als  Einleitung  in  die  Lehre  von  der  rechtlichen  Zurechnung".^ 
Für  das  folgende  Jahr  erließ  die  Königliche  Akademie  ein  Preisaus- 
schreiben über  die  Frage,  ob  und  wieweit  die  moralische  Schätzung 
der  Handlung  bei  Festsetzung  und  Anwendung  eines  Strafgesetzes 
zu  berücksichtigen  sei.  Unter  den  gedruckten  Äkademieschriften* 
findet  sich  eine  Beantwortung  von  dem  Kirchenrat  J.  H.  Gebhard, 
der  in  ruhigen  und  klaren  Worten  den  Gedanken  einer  strafrechtlichen 
Ähndung   sittlicher  Schuld  verwarf   und   im  Sinne  der  Aufklärung  die 

'  Archiv  IV,  3,  S.  22. 

^  Landsberg,  Geschichte  der  deutschen  Rechtswissenschaft  3, 1,  S.517. 
'  Archiv  IV,  4,  S.  44  ff. 

^  Drei  Preisschriften  d.  Königl.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin 
für  das  Jahr  1803.     Berlin  1804. 


73 

Aufgaben  der  staatlichen  StrafrechtspJlege  auf  die  Sicherung  des 
Zusammenlebens  der  Bürger  und  eine  durch  humane  und  vernünftige 
Gesetze  gewährleistete  mittelbare  Stütze  ihrer  inneren  Vervollkomm- 
nung beschränken  wollte.  Gebhard  erhielt  jedoch  nur  das  Äkzessit, 
während  der  Preis  dem  Quedlinburger  Domprediger  Fr.  Äug.  Boysen 
zuerkannt  wurde.  Dieser  wandte  sich  in  langatmigen  Ausführungen 
gegen  den  Rigorismus  einer  einseitig  kriminalistischen  Zurechnungs- 
lehre und  verlangte,  der  Staat  müsse  um  seiner  eigenen  und  des 
Verbrechers  Würde  willen  die  strafrechtliche  Beurteilung  von  einer 
moralischen  Würdigung  des  bösen  Willens  abhängig  machen.  Den 
Schwierigkeiten  einer  Klassifikation  moralisch  verwerflicher  und  in 
gleichem  Maße  sozial  schädlicher  Handlungen  vermochte  freilich  der 
Verfasser  nicht  gerecht  zu  werden,  und  wenn  er  die  Möglichkeit 
menschlicher  Fehlsprüche  um  des  hohen  Zieles  der  Verwirklichung 
überirdischer  Gerechtigkeit  willen  in  Kauf  nehmen  zu  können  glaubte, 
so  hat  schon  damals  die  Kritik  eine  solch  theokratische  Ethisierung 
staatlichen  Strafrechts  als  „mönchische  Einmischung  des  Staates  in 
Dinge,  die  nur  vor  die  Kompetenz  des  allwissenden  Richters  gehören", 
zurückgewiesen  und  der  Brutalität,  die  in  der  Überspannung  des  Prinzips 
der  moralischen  Beurteilung  liegt,  die  Frage  entgegengehalten:  „Wie 
kann  selbst  die  beste  Absicht  den  Frevel  heiligen,  mit  welchem  ein 
Mensch  auf  die  Gefahr  hin,  ungerecht  zu  sein,  in  das  Amt  des 
höchsten  Richters  einzugreifen  und  die  Rechte  des  Herzenskündigers 
zu  usurpieren  kein  Bedenken  trüge?"  ^ 


*  Neue  Leipziger  Litcraturzeltung  I.  Bd.    Leipzig  1805.    2.  Stück,  Sp.  28. 


74 


Drittes  Kapitel 

Die  systematische  Ausgestaltung  der 

Feuerbachschen  Zurechnungslehre  in  der 

Revision  der  Grundsätze  und  Grundbegriffe 

des  positiven  peinlichen  Rechts. 

Unter  den  Zeugnissen  der  deutschen  Rechtswissenschaft  vergangener 
Zeiten  steht  die  „Revision  der  Grundsätze  und  Grundbegriffe  des  positiven 
peinlichen  Rechts"  von  Anselm  von  Feuerbach  an  besonderer  Stelle. 
Eine  virtuose  Fähigkeit,  den  spröden  Stoff  abstrakter  Begriffe  plastisch 
zu  gestalten,  eine  Zuspitzung  der  Antithesen  von  dramatischer  Wucht 
und  bei  aller  Formalistik  der  Argumentation  der  sichere  Instinkt  des 
geborenen  Kriminalisten  sichern  diesen  beiden  Bänden  bei  aller  Be- 
dingtheit ihres  Gegenstandes,  bei  aller  Anfechtbarkeit  ihrer  Ergebnisse 
unvergänglichen  Wert. 

Versucht  man,  der  historischen  Bedeutung  dieses  Werkes  nahe- 
zukommen, so  erweist  es  sich  als  eine  systematische  Ausgestaltung 
und  erneute  Rechtfertigung  der  mannigfachen  Versuche  Feuerbachs, 
das  Problem  der  strafrechtlichen  Zurechnung,  der  Imputation, 
allein  nach  rein  kriminalistischen  Gesichtspunkten  zu  lösen. 
Das  Zurechnungsproblem  enthält  die  Frage  nach  der  Verantwortlichkeit 
für  bestimmte  menschliche  Handlungen.  Je  nach  dem  Gesichtspunkt, 
der  für  die  Voraussetzungen  und  die  Gestaltung  der  Verantwortung 
maßgebend  sein  sollte,  verband  man  mit  dem  Wort  Zurechnung, 
imputatio,  einen  verschiedenen  Begriff.  Ursprünglich  bedeutet  imputare 
jemand  etwas  anrechnen,  kaufmännisch  gesprochen:  jemand  —  buch- 
mäßig —  belasten.  So  heißt  es  z.  B.  1.  1,  §  4  D.  37,  3:  Praeterea 
si  matrem  aluit  pupilli  tutor,  putat  Labeo  imputare  eum  posse.  So 
bemerkt  Thomasius:  Imputare  nativa  significatione  terminus  arith- 
meticus  est  et  significat  in  rationes  referre,  auf  die  Rechnung  schreiben.^ 
Neben  dieser  wirtschaftlich-rechnerischen  Bedeutung  hatte  das  Wort  als- 
bald einen  allgemeinen  Sinn.    Darnach  bedeutet  imputatio  die  Erklärung, 


^  Fundamcnta  juris  naturac  et  gentium  ...  in  usum  auditorii  Thomasiani. 
Halle  u.  Leipzig  1713.    Lib.  I,  caput  VII,  §  XXIV.  —  Vgl.  Revision  I,  S.  151  ff. 


75 

daß  ein  Mensch  Ursache  einer  bestimmten,  im  einzelnen  gleichgültig 
wie  gearteten  Wirkung  sei.  Dann  engte  man  diesen  allgemeinen  Sinn 
wieder  ein  in  dem  Sinne,  daß  nur  einzelne  von  den  Wirkungen,  die  ein 
Mensch  verursacht  hat,  ihm  zuzurechnen  sind.  So  sagt  man:  „Ich  habe 
die  Handlung  zwar  getan,  aber  sie  kann  mir  nicht  imputiert  werden. "  ^ 
Und  zwar  beschränkt  man  dabei  herkömmlicherweise  die  Zurechnung 
auf  solche  Wirkungen  eines  Subjekts,  bei  denen  es  als  eine  Ursache 
gedacht  wird,  die  selbst  nicht  wieder  durch  andere  Ursachen  bedingt 
ist,  und  somit  frei  gehandelt  hat.  Diesen  engsten  Begriff  der  Zu- 
rechnung, die  Zurechnung  zur  freien  Handlung,  nennt  Feuerbach  die 
Zurechnung  im  engeren  und  eigentlichen  Sinn  oder  nach  dem  Vor- 
gang von  Darjes  moralische  Zurechnung  im  Gegensatz  zu  jenem 
weiteren  Begriff  der  physischen  Zurechnung.^ 

Dieser  Begriff  der  moralischen  Zurechnung,  nach  dem  die  freie 
Tat  eines  Menschen  ihrem  Urheber  als  persönliche  Schuld  zugemessen 
wird,  ist,  wie  das  Feuerbach  bereits  erkannt  hat,  aus  Ethik  und 
Theologie  zuerst  von  Samuel  Pufendorf  in  das  Strafrecht  eingeführt 
und  unter  der  Bezeichnung  imputatio  als  Zusammenfassung  der  sub- 
jektiven Voraussetzungen  der  strafrechtlichen  Verantwortung  verwertet 
worden.^  Pufendorf  hat  nach  dieser  Richtung  hin  die  wissenschaftliche 
Behandlung  des  Strafrechts  für  lange  Zeit  entscheidend  beeinflußt. 
Die  moralische  Huffassung  der  strafrechtlichen  Zurechnung  findet  sich 
dann  in  der  Wolf f sehen  Philosophie,  und  gerade  in  der  ausgedehnten 
Herrschaft  dieser  Richtung  hat  Feuerbach  einen  wesentlichen  Grund 
für  die  Ausbreitung  jener  Anschauung  gesehen.  In  der  Tat  spielen 
bei  Christian  Wolff  moralische  Gesichtspunkte  bei  der  Zurechnung 
strafrechtlich  relevanten  Verhaltens  eine  Rolle.  In  dem  strafrechtlichen 
System,  das  sein  Schüler  Regnerus  Engelhard  nach  Wolffs  verstreut 
geäußerten  kriminalistischen  Gedanken  bearbeitet  hat,  wird  das  Ver- 
brechen als  freie,  pflichtwidrige  Handlung  seinem  Urheber  zugerechnet.^ 


'  Revision  I,  S.  153. 

'^  J.  G.  Darjes,  Observationes  iuris  naturalis,  socialis  et  gentium.  Vol.  II. 
Jena  1754.     Obs.  XLII,  §  XVII.  -  Vgl.  Revision  I,  S.  153. 

'  Samuel  Pufendorf,  Elementorum  iurisprudentiae  universalis  libri  II 
(1660),  Liber  I,  Def.  I,  §  1—8.  —  De  iure  naturae  et  gentium,  libri  VIII  (1672), 
Liber  I,  Cap.  IX  de  actionum  moralium  imputatione.  —  De  officio  hominis 
et  civis  iuxta  legem  naturalem  libri  II  (1673),  Liber  i,  Cap.  I  de  actione 
humana.  —  Vgl.  dazu  v.  Bar,  Geschichte  des  deutschen  Straf  rechts  und 
der  Strafrechtstheorien.  Berlin  1882.  S.  171.  —  R.  Loening,  Die  Zu- 
rechnungslehre des  Ari.stoteles.     1903.    Vorwort  S.  X  f. 

*  R.  Frank,  Die  Wolffsche  Strafrechtsphilosophie  und  ihr  Verhältnis 
zur  kriminalpolitischen  Aufklärung  des  XVIII.  Jahrhunderts.  Göttingen 
1887.     S.  18  u.  23. 


76 

Allerdings  haben  solche  Gedanken  bei  WoHf  nur  theoretische 
Bedeutung.  Die  Staatsräson  und  das  Interesse  an  der  Erhaltung  der 
allgemeinen  Ruhe  und  Sicherheit  lassen  ihm  jedes  Mittel  berechtigt 
sein,  das  zu  gemeinem  Nutzen  für  tauglich  und  erforderlich  erachtet 
wird.'  Damit  treten  die  subjektiven  Momente  der  Zurechnung  zugunsten 
einer  objektiven,  der  Erfolgshaftung  nahekommenden  strafrechtlichen 
Bewertung  menschlichen  Tuns  zurück,  für  welche  die  Größe  des 
Schadens  für  Staat  und  Gesellschaft  das  Entscheidende  ist." 

Eine  Abkehr  von  dieser  Methode,  bei  der  strafrechtlichen  Zu- 
rechnung von  einer  moralischen  Beurteilung  freien  Handelns  auszugehen, 
bahnten  die  Anhänger  der  strafrechtlichen  Reformbewegung  an. 
Indem  sie  sich  allein  in  den  Fällen  zu  strafen  berechtigt  glaubten,  in 
denen  man  mit  der  Strafe  etwas  erreichen  kann,  in  denen  es  Zweck 
hat,  zu  strafen,  tritt  an  Stelle  der  Zurechnung  zur  Schuld  die 
Beurteilung  der  Zweckmäßigkeit  der  Bestrafung  als  Voraussetzung 
und  Rechtfertigung  strafrechtlicher  Ähndung.  In  dieser  Eliminierung 
des  Zurechnungsbegriffs  lag  zugleich  eine  Emanzipation  des  Strafrechts 
von  dem  Einfluß  ethischer  Werturteile.  Diesem  Ziele  strebte  Feuerbachs 
bisheriges  Schaffen  zu.  Nun  stellte  er  noch  einmal  die  grundsätzliche 
Frage:  „Ist  die  Imputation  ein  Grund  der  äußeren  Strafbarkeit 
oder  sind  es  andere  Gründe,  welche  die  äußere  Strafbarkeit 
begründen?"^ 

Der  Begriff  der  Zurechnung  ist  mit  dem  „rein  theoretischen 
Urteil",  daß  ein  Erfolg  die  Wirkung  einer  bestimmten  Ursache  oder 
der  freien  Handlung  eines  Subjekts  sei,  nicht  erschöpft.  Erst  wenn 
durch  ein  „pragmatisches  Urteil",  durch  die  Beziehung  des  fest- 
gestellten kausalen  Zusammenhangs  auf  ein  Pflichtgesetz  eine  Bewertung 
zum  Ausdruck  kommt,  wenn  also  festgestellt  ist,  ob  das  Subjekt,  das 
einen  bestimmten  Erfolg  verursacht  hat,  diesen  Erfolg  auch  verursachen 


'  Frank,  a.  a,  O.  S.  82.  —  Landsberg,  Geschichte  der  deutschen 
Rechtswissenschaft  3.  ÄbtL,  I.  Halbbd.,  S.  204. 

^  Das  Wesen  des  Verbrechens  besteht  nach  Wolff  darin,  daß  damnum 
datur  vel  injuria  infertur  universitati  vel  civitati  und  die  Schwere  des 
begangenen  Delikts  hängt  ab  ex  nucomento,  quod  affertur,  et  periculo, 
quod  inde  imminet.  —  Chr.  Wolff,  Jus  naturale  methodo  scientifica  per- 
tractatum.  Pars  octava,  Halle  u.  Magdeburg  1748.  §§  580  u.  625.  —  Über 
die  Bedeutung  ähnlicher  Äußerungen  bei  den  Vorkämpfern  der  eigentlichen 
strafrechtlichen  Reformbewegung  vgl.  oben  Kap.  II,  S.  69. 

*  Revision  I,  S.  166.  Leider  wirkt  Feuerbach  oft  selbst  dadurch  unklar, 
daß  die  Bedeutung  des  Wortes  Zurechnung  oder  imputatio  in  der  „Revision" 
schwankt.  Grundsätzlich  (so  an  dieser  Stelle)  versteht  er  darunter  Zurechnung 
zur  moralischen  Schuld  (Revision  I,  S.  159  und  170),  zuweilen,  dann  meist 
mit  dem  Zusatz  „im  uneigentlichen  Sinn",  Zurechnung  zum  strafbaren 
Verbrechen  (Revision  I,  S.  XX  und  176). 


77 

sollte,  kann  von  einer  Zurechnung  zur  Schuld  oder  zum  Verdienst 
gesprochen  werden.  Das  ist  von  Feuerbach  richtig  erkannt  und  im 
Grunde  nicht  anders  ausgedrückt,  als  wenn  Adolf  Merkel  die  Zu- 
rechnung als  die  Verbindung  eines  kausalen  Urteils,  das  den  Erfolg 
auf  den  Willen  des  Täters  zurückführt,  mit  einem  distributiven  Urteil, 
das  den  Wert  der  Handlung  dem  Täter  auf  die  Rechnung  setzt,  erklärt/ 
Bei  der  Untersuchung  der  entscheidenden  Frage,  ob  die  Zurechnung 
zur  Schuld  die  Grundlage  der  strafrechtlichen  Verantwortlichkeit  bilden 
solle,  geht  Feuerbach  von  der  Voraussetzung  aus,  daß  Zurechnung 
zur  persönlichen  Schuld  mit  der  Annahme  der  Willensfreiheit 
untrennbar  verbunden  ist.  „Soll  aber  das  Subjekt  selbst  für  schuldig 
oder  für  das  Gegenteil  gehalten  werden,  so  muß  die  Tat  aus  wirk- 
licher Freiheit  geschehen  sein,  weil  Freiheit  die  Bedingung  der 
Moralität  ist  und  ohne  diese  zwar  Legalität  und  Illegalität  (äußere 
Gesetzmäßigkeit  oder  Gesetzwidrigkeit),  aber  keine  Moralität  oder  Im- 
moralität  der  Handlung  vorhanden  sein  kann.""  Das  scheint  zunächst 
einleuchtend  und  entspricht  üblicher  vorwissenschaftlicher  Redeweise, 
man  sei  nur  für  das  verantwortlich,  was  man  ebensowohl  hätte  tun 
als  lassen  können.  Erst  Adolf  Merkel  hat  solche  Gedankengänge 
aus  strafrechtlichen  Überlegungen  verbannt  und  die  „kriminalistische 
Schuldlehre  aus  der  Umarmung  des  Indeterminismus  befreit".^  Daß 
es  auch  ohne  Annahme  einer  Wahlfreiheit  einen  Zweck  haben  könne, 
Menschen  zu  bestrafen,  hatten  bereits  die  Deterministen  der  Ruf- 
klärungszeit nachzuweisen  versucht.*  Feuerbach  selbst  erschien  eine 
Bestrafung,  die  nicht  auf  den  Menschen  determinierend  zu  wirken 
bestimmt  ist,  zwecklos  und  ungerecht.  „Die  Strafe,  wenn  sie  sich 
auf  den  Menschen,  insofern  er  freie  Ursache  ist,  bezöge,  würde  daher 
durchaus  ungereimt  sein  und  ihren  Zweck  auch  nicht  in  einem  Punkt 
berühren  .  .  .,"  denn  „insofern  das  Subjekt  freie  Ursache  ist,  insofern 
ist   es   allen    Einwirkungen   entzogen".^     Äußer   der    „Ungerechtigkeit 

'  Merkel-Liepmann,  Lehre  von  Verbrechen  und  Strafe  S.  80  H. 

■^  Revision  I,  S.  155. 

^  Merkel-Liepmann,  Lehre  von  Verbrechen  und  Strafe  S.  89  ff.  — 
Weiterhin:  Liepmann,  Einleitung  in  das  Strafrecht  S.  163  ff.  Graf  Dohna, 
Willensfreiheit  U.Verantwortlichkeit.  Heidelberg  1907.  —  Ahnliche  Gedanken- 
gänge bei:  G.  Heymans,  Einführung  in  die  Ethik  auf  der  Grundlage  der 
Erfahrung.  Leipzig  1914.  S. 98  If.  —  Vgl.  auch  Fr.  Jodl,  Allgemeine  Ethik. 
Herausgegeben  von  W.  Börner,  Stuttgart  und  Berlin  1918.  S.  291:  „In  der 
Tat  würden  wir  bei  einer  Regellosigkeit  in  der  moralischen  Welt  so  wenig 
bestehen,  wie  wir  auf  einem  Planeten  zu  leben  vermöchten,  auf  dem  gelegent- 
lich die  Schwerkraft  zu  wirken  aufhörte." 

^  Vgl.  die  charakteristischen  Äußerungen  Hommels  (oben  Kapitel  II, 
S.  65)  und  Feders  (unten  Kapitel  IV). 

'  Revision  II,  S.  131. 


78 

einer  eigenwilligen  Tyrannei"  läßt  sich  für  solche  unnütze  und  zweck- 
lose Strafe  kein  Grund  denken/  Nur  das  bestritt  Feuerbach,  daß  in 
einem  solchen  deterministischen  Strafrecht  eine  Beurteilung  nach 
ethischen  Wertmaßstäben,  eine  Zurechnung  zur  persönlichen  Schuld 
denkbar  wäre.  So  hieß  es  auch  bei  v.  Liszt  ursprünglich:  „Für  die 
deterministische  Huffassung  entfällt  aber  freilich  dem  Zurechnungsfähigen 
wie  dem  Nichtzurechnungsfähigen  gegenüber  der  von  der  klassischen 
Schule  überlieferte,  von  der  Willensfreiheit  untrennbare  Schuld- 
begriff und  mit  ihm  der  Begriff  der  Vergeltung."^  Erst  Merkel  hat 
gezeigt,  daß  die  Voraussetzungen,  unter  denen  wir  uns  und  andere 
für  Tun  und  Lassen  verantwortlich  machen,  nichts  mit  der  Annahme 
einer  Gesetzlosigkeit  menschlichen  Handelns  zu  tun  haben,  daß  wir 
in  den  Äußerungen  der  Menschen  lediglich  die  damit  kundgewordenen 
Eigenschaften  ohne  Rücksicht  auf  das,  was  möglicherweise  von  ihnen 
sonst  hätte  ausgehen  können,  beurteilen  und  daß  die  Gewißheit  der 
Verknüpfung  typischer  Handlungsweisen  mit  bestimmten  Persönlichkeiten 
Achtung  oder  Abscheu  vor  ihnen  nur  steigert.  „Das  Wort  Luthers: 
Hier  stehe  ich,  ich  kann  nicht  anders,  hat  ihm  in  der  Achtung  der 
Welt  keinen  Abbruch  getan,  und  niemand  hat  das  Wort  im  Sinne 
einer  Ablehnung  der  Verantwortung  gedeutet!"*'' 

Im  Gegensatz  hierzu  identifiziert  Feuerbach  die  Loslösung  des 
Strafrechts  von  der  Voraussetzung  persönlichen  Verschuldens  mit 
einer  Eliminierung  der  indeterministischen  Betrachtungsweise  aus  der 
strafrechtlichen  Zurechnung.  Gleichwohl  wollte  Feuerbach  nicht  als 
„Determinist"  gelten.*  Er  bekannte  sich  zu  Kants  Lehre  von  der 
sittlichen  Freiheit  und  war  der  Meinung,  daß  eben  diese  dazu 
nötige,  außerhalb  des  Reiches  der  Sittlichkeit  in  der  strafrechtlichen 
Zurechnung  den  Freiheitsbegriff  auszuschließen,  „also  in  dem  Gebiet 
der   Rechtslehre  .  .  .   Determinist   zu  sein".^ 

Die  Ethik  Kants  gipfelt  in  der  Autonomie  des  Willens.  „Die 
Autonomie  des  Willens  ist  das  alleinige  Prinzip  aller  moralischen 
Gesetze  und  der  ihnen  gemäßen  Pflichten"."    Der  autonome  Wille  ist 


1  Revision  II,  S.  308. 

^  V.  Liszt,  Strafrechtliche  Aufsätze  und  Vorträge  Bd.  II,  S.  86.  Später 
gab  auch  v.  Liszt  zu,  daß  „von  indeterministischer  wie  von  deterministischer 
Seite  die  Verantwortlichkeit  anerkannt  wird",  a.  a,  O.  S.  370.  Ebenso  Lehr- 
buch des  deutschen  Strafrechts  23.  Aufl.    1921.    S.  23  f.,  Note  1  und  S.  161. 

"  Merkel-Liepmann,  a.  a.  O.  S.  93. 

^  Revision  II,  S.  130  und  463,  sowie  ausdrücklich  I,  S.  319  f.,  Note. 

'"  Revision  II,  S.  133  f.,  Note. 

•*  Kritik  der  praktischen  Vernunft.  Akademie- Ausgabe  Bd.  V,  S.  33, 
Cassirer  Bd.  V,  S.  38.  Vgl.  zu  dem  folgenden:  C.  Gerhard,  Kants  Lehre 
von  der  Freiheit.     Philos.  Monatshefte  Bd.  XXII.    1886.    S.  1  ff. 


79 

in  doppeltem  Sinne  ein  freier  Wille,  in  negativem  Sinne,  insofern  er 
unabhängig  von  den  durch  den  begehrten  Gegenstand  hervorgerufenen 
Reizen  ist,  und  in  positivem  Sinne,  insofern  er  allein  durch  das 
Sittengesetz  selbst  bestimmt  wird:  Freiheit  im  Sinne  von  Unabhängigkeit 
von  sinnlichen  Triebfedern  und  Freiheit  im  Sinne  der  Selbstgesetzgebung 
der  reinen  praktischen  Vernunft.^  Wieweit  nun  der  Mensch  für  sein 
Tun  verantwortlich  ist,  zeigt  Kant  an  der  Lehre  vom  intelligiblen 
und  empirischen  Charakter.  Die  Kausalität  des  Menschen  läßt 
sich  nach  zwei  Seiten  betrachten,  „als  intelligibel  nach  ihrer  Handlung, 
als  eines  Dinges  an  sich  selbst,  und  als  sensibel  nach  den  Wirkungen 
derselben  als  einer  Erscheinung  in  der  Sinnenwelt"."  Die  Tat  eines 
Menschen  als  Erscheinung  läßt  sich  nur  erklären  als  notwendige  Folge 
seines  empirischen  Charakters.^  Hierbei  geht  man  auf  dessen  Quellen 
zurück:  schlechte  Erziehung,  üble  Gesellschaft,  bösartiges  Naturell, 
Leichtsinn  usf.^  Aus  diesem  empirischen  Charakter  mußte  diese 
konkrete  Tat  entspringen.  Aber  warum  hatte  der  Mensch  diesen 
empirischen  Charakter?  Hinter  dem  empirischen  Charakter  als  Er- 
scheinung steht  der  intelligible  Charakter  als  Ding  an  sich.  Die 
empirische  Kausalität  ist  eine  Wirkung  der  intelligiblen  Kausalität:  der 
intelligible  Charakter  ist  die  transzendentale  Ursache  des  empirischen, 
der  empirische  Charakter  das  sinnliche  Zeichen  des  intelligiblen.^  „Ein 
anderer  intelligibler  Charakter  würde  einen  anderen  empirischen  gegeben 
haben.  "*^  So  ist  die  Beschaffenheit  des  intelligiblen  Charakters  der 
letzte  Grund,  auf  den  die  Handlung  zurückgeführt  werden  kann.  Mit 
dieser  Feststellung  begnügt  sich  die  Kritik  der  reinen  Vernunft.^ 
Wieweit  man  aber  für  den  intelligiblen  Charakter  verantwortlich  ist, 
das  sucht  die  Kritik  der  praktischen  Vernunft  aufzuzeigen.  Hiernach 
ist  der  intelligible  Charakter,  der  als  Ding  an  sich  durch  keine  Ursache 
bedingt  ist,  durch  einen  Akt  der  Freiheit  des  intelligiblen  Subjekts 
erworben.  Diese  „intelligible  Tat"'^  besteht  in  der  freiwilligen 
Annahme  guter  oder  böser  Grundsätze,  die  für  das  Wesen 
des  Menschen  entscheidend  ist  und  ihn  für  die  Handlungsweisen, 
welche    notwendige    Folgen    dieses   Wesens    sind,    voll    verantwortlich 


'  Grundlegung  zur  Metaphysik  der  Sitten.  Äkademie-Äusgabe  Bd.  IV, 
S.  446,  Cassirer  Bd.  IV,  S.  305. 

-  Kritik  der  reinen  Vernunft.  Akademie- Ausgabe  Bd.  III,  S.  366, 
Cassirer  Bd.  III,  S.  377. 

'  Ebendort,  Akademie-Ausgabe  S.  372,  Cassirer  S.  384. 

*  Akademie-Ausgabe  S.  375,  Cassirer  S.  387. 

°  Akademie-Ausgabe  S.  370,  Cassirer  S.  382. 

®  Akademie-Ausgabe  S.  376,  Cassirer  S.  388. 

'  Akademie-Ausgabe  S.  376  f.,  Cassirer  S.  388  f. 

"  Gerhard,  a.  a.  O.  S.  29. 


80 

macht/  Dies  ist  die  Grundlage  der  Zurechnungslehre  bei  Kant. 
Für  alle  menschlichen  Handlungen,  mögen  sie  gut  oder  böse  sein, 
ethisch  oder  juristisch  bewertet  werden,  gilt  es  in  gleicher  Weise,  wenn 
er  sagt:  „Man  kann  also  einräumen,  daß,  wenn  es  für  uns  möglich 
wäre,  in  eines  Menschen  Denkungsart,  so  wie  sie  sich  durch  innere 
sowohl  als  äußere  Handlungen  zeigt,  so  tiefe  Einsicht  zu  haben,  daß 
jede,  auch  die  mindeste  Triebfeder  dazu  uns  bekannt  würde,  imgleichen 
alle  auf  diese  wirkende  äußere  Veranlassung,  man  eines  Menschen 
Verhalten  auf  die  Zukunft  mit  Gewißheit  so  wie  eine  Mond-  oder 
Sonnenfinsternis  ausrechnen  könnte  und  dennoch  dabei  behaupten,  daß 
der  Mensch  frei  sei."" 

Feuerbach  geht  bei  seiner  Argumentation,  die  versuchen  will,  die 
Unhaltbarkeit  indeterministischer  Beurteilung  im  Strafrecht  zu  beweisen 
und  damit  zugleich  die  Eliminierung  ethischer  Werturteile  in  der  straf- 
rechtlichen Zurechnung  zu  rechtfertigen,  von  Kant  aus.  Hat  er  sich 
doch  Kants  Philosophie  zu  der  seinigen  gemacht,  „nicht  weil  sie  die 
Kantische,  sondern  weil  sie  die  einzig  wahre  ist".^  Wenn  der  Straf- 
richter menschliches  Handeln  beurteilt,  erscheint  der  Mensch  als 
Gegenstand  der  Erfahrung  und  insofern  „müssen  wir  ihn  als  Natur- 
wesen betrachten,  das  dem  unabänderlichen  Naturgesetz  von  Ursache 
und  Wirkung  unterworfen  ist".^  Verbürgt  uns  aber  nicht  unser 
Selbstbewußtsein,  die  Vorstellung,  daß  wir  uns  nach  vorheriger  Wahl 
selbsttätig  zu  einem  Entschluß  bestimmen,  daß  wir  tatsächlich  in  der 
Wahl  und  Entschließung  frei  sind?  Diese  Frage  wird  —  das  Thema 
von  Schopenhauers  berühmter  Preisschrift  vorausnehmend  —  verneint. 
Denn,  sagt  Hommel,  auf  dessen  Determinismus  Feuerbach  sich  in 
diesem  Zusammenhang  stützt,  wenn  eine  Kugel  auf  einem  Brett  frei 
liegt  und  ich  das  Brett  in  die  Höhe  richte,  gerade  in  dem  Äugen- 
blick, in  dem  die  Kugel  sich  bewegen  möchte,  so  bin  ich  die  Ursache 
der  Bewegung,  nicht  die  Kugel.  „Weil  sie  aber  meine  Hand  nicht 
sieht,  muß  sie  glauben,  daß  ihr  Wille  das  Laufen  verursache."^  Alle 
menschlichen  Handlungen  können  als  zeitliche  Erscheinungen  nur  als 
Glieder  in  der  unendlichen  Kette  von  Ursachen  und  Wirkungen  erkannt 
werden,  eine  freie,  d.  h.  ursachlose  Handlung  wäre  unvorstellbar.  Aber 
ebenso  wie  die  Kausalität  für  unser  Erkenntnisvermögen  unentbehrlich 


^  Kritik  der  praktischen  Vernunft.  Äkademie-Äusgabc  Bd.  V,  S.  100, 
Cassirer  Bd.  V,  S.  109. 

^  Äkademic-Äusgabe  S.  99,  Cassirer  S.  108. 

^  Revision  I,  S.  319  f.,  Note. 

'  Revision  I,  S.  320. 

'"  Alexander  v.  Joch  (Hommel),  Über  Belohnung  und  Strafe  nach 
türkischen  Gesetzen   2.  Aufl.    1772.    S.  64. 


81 

ist,  führt  uns  die  praktische  Vernunft  zu  der  Annahme  des  katego- 
rischen Imperativs.  Dieser  stellt  sich  als  das  sittliche  Gesetz  dar, 
das  den  Anspruch  erhebt,  unbedingt,  d.  h.  bloß  um  seiner  selbst  willen 
befolgt  zu  werden.  Er  setzt  somit  einen  Willen  voraus,  der  sich  unab- 
hängig von  sinnlichen  Antrieben  nur  durch  das  Gesetz  selbst  bestimmen 
läßt:  d.  h.  sittliche  Freiheit.  Aber  kann  nicht  diese  gesetzmäßige 
Gesinnung  selbst  wieder  von  äußeren  Ursachen  abhängen,  wird  es 
nicht  ein  „bloßes  Werk  der  Natur  und  des  Geschickes  sein,  daß  wir 
moralisch  oder  unmoralisch  sind"?  Dann  wäre  „der  Begriff  des 
SoUens  ein  leerer  Begriff,  das  Sittengesetz  ein  Hirngespinst  und  der 
Begriff  der  Pflicht  ein  eitler  Name!"  Darum  setzt  das  Sittengesetz 
zugleich  ein  Vermögen  voraus,  „einen  Zustand  schlechthin  von  selbst 
anzufangen,  die  unbedingte  Ursache  einer  Erscheinung  zu  sein": 
transzendentale  Freiheit.^ 

Was  folgt  aus  diesem  philosophischen  Exkurs  für  das  Problem 
der  Zurechnung?  Nach  Feuerbach  dies,  daß  die  Idee  der  Freiheit 
zwar  Voraussetzung  sittlichen  Handelns  und  darum  Grundlage  mora- 
lischer Beurteilung  ist,  daß  sie  aber  außerhalb  des  Gebietes  des 
Sittlichen  und  namentlich  für  eine  juristische  Betrachtungsweise 
gegenstandslos  ist.  Die  Annahme  von  der  transzendentalen  Freiheit 
geschah  nur  im  Hinblick  auf  das  Sittengesetz,  das  verlangt,  daß  der 
Mensch  sich  freiwillig  zur  Pflichterfüllung  bestimmen  soll.  Das  Sitten- 
gesetz ist  also  der  Grund  der  Freiheit.  „Da  nun",  schließt  Feuerbach, 
„das  Begründete  nicht  weiter  gehen  kann  als  sein  Grund,  so  kann 
auch  der  Freiheitsbegriff  durchaus  nicht  über  das  Gebiet  des  Sitten- 
gesetzes hinaus  ausgedehnt  werden,  wenn  wir  uns  nicht  der  sonder- 
barsten iJ.£Ta^a7'c  v.z  To  a/.AO  -fi-toc  zuschulden  kommen  lassen  und  mehr 
annehmen  wollen,  als  der  Grund,  aus  welchem  wir  es  allein  annehmen 
können,  gestattet.""  Die  Rechtsgesetze  verlangen  nicht  eine  von  äußeren 
Antrieben  unabhängige  Befolgung,  sondern  sie  begnügen  sich  damit, 
daß  ihre  Gebote  überhaupt,  gleichgültig  aus  welchen  Motiven  heraus, 
erfüllt  werden.  Sie  setzen  nicht  Freiheit  sondern  staatliche  Macht, 
die  gegebenenfalls  ihre  Erfüllung  erzwingt,  voraus.  Wir  dürfen  daher 
bei  Befolgung  eines  sittlichen  Gebotes  von  Freiheit  reden,  während 
die  Verletzung  einer  Rechtspflicht  —  wenn  man  nicht  darin  zugleich 
ein  moralisches  Verhalten  erblickt,  —  nicht  voraussetzt,  daß  der  Täter 
in  Freiheit  gehandelt  hat.  Soweit  Feuerbachs  Stellung  zu  Kants  Lehre 
von  der  sittlichen  Freiheit.  Die  Lehre  vom  intelligiblen  Charakter 
berührt  die   „Revision"   nur  kurz.     Von  der  Wahl   der  Maxime   hängt 


'  Revision  II,  S.  100. 
-  Revision  II,  S.  107. 


82 

die  Gesetzmäßigkeit  oder  Gesetzwidrigkeit  unserer  Gesinnung  ab. 
Aber  das  ist  eine  Frage  moralischer  Bewertung.  Im  Strafrecht  ver- 
wirft Feuerbach  das  Bestreben,  Prinzipien,  „die  sich  bloß  auf  die 
Denkungsart  und  den  intelligiblen  Charakter  des  Menschen  beziehen, 
in  das  peinliche  Recht,  das  auch  nicht  ein  Wort  über  die 
Denkungsart  des  Menschen  zu  sagen  hat,  hinüberzupflanzen".^ 
Sucht  man  eine  kritische  Stellung  zu  dieser  Argumentation 
Feuerbachs  zu  gewinnen,  so  ergibt  sich  ein  Doppeltes.  Daß  der 
landläufige  Indeterminismus  sich  nicht  auf  Kant  berufen  dürfe, 
darin  hatte  Feuerbach  zweifellos  recht.  Wenn  Reinhold  glaubte, 
sein  „Äquilibrismus"  sei  „dem  Geiste  der  Kantischen  Philosophie 
vollkommen  angemessen"  und  widerspreche  lediglich  den  Buchstaben 
einiger  Äußerungen  der  Kritik  der  praktischen  Vernunft,  „wenn  man 
diese  falsch  auslegt",-  so  hat  das  Feuerbach  mit  Recht  als  ein  Miß- 
verständnis der  Kantischen  Freiheitslehre  bezeichnet.^  Denn  es  gibt  nicht 
ebenso  einen  „unreinen"  wie  einen  „reinen"  freien  Willen,  wie  Reinhold 
es  wollte,  sondern  sittliche  Freiheit  kann  nur  in  dem  Vermögen  bestehen, 
sich  unabhängig  von  sittlichen  Triebfedern  zu  dem  von  dem  Pflichtgesetz 
geforderten  Verhalten  zu  bestimmen.  Ein  „unreiner",  d.  h.  rechts- 
widriger Entschluß  liegt  demnach  außerhalb  der  Sphäre  sittlicher 
Freiheit.^  Auf  der  anderen  Seite  folgt  aber  hieraus  keineswegs 
eine  Beschränkung  von  Verantwortlichkeit  und  Zurechnung 
der  Schuld  auf  das  Gebiet  des  Sittlichen.  Hier  ist  Feuerbach  einem 
Trugschluß  zum  Opfer  gefallen.''  Der  Satz,  daß  das  Begründete 
nicht  weiter  ausgedehnt  werden  darf  als  der  Grund,  gilt  nur  für  einen 
Realgrund,  nicht  für  einen  bloßen  Erkenntnisgrund.  Das  Sitten- 
gesetz ist  aber  für  Kant  lediglich  die  ratio  cognoscendi  der  Freiheit. 
Ja,  umgekehrt  ist  vielmehr  die  Freiheit  die  ratio  essendi  des  Sitten- 
gesetzes, denn  —  wie  Kant  im  III.  Abschnitt  der  Grundlegung  zur 
Metaphysik  der  Sitten  zeigt  —  allein  auf  die  Idee  der  Freiheit,  die 
mit  dem  Begriff  eines  jeden  vernünftigen  Wesens  notwendig  verbunden 
ist,  kann  das  moralische  Prinzip  von  der  Autonomie  des  Willens 
gegründet  werden.*^  Das  Verhältnis  von  Freiheit  und  Verantwortlichkeit 
versucht  Kants  Lehre  vom  empirischen  und  intelligiblen  Charakter  zu 
verdeutlichen.     Ihr  Sinn  ist  der:    unsere  Handlungen  sind  notwendig, 


*  Revision  II,  S.  365. 

^  Rcinhold,   Briefe  über  die  Kantische  Philosophie  II.  Bd.,  S.  285. 
'  Revision  II,  S.  305. 

*  Revision  II,  S.  290.     Vgl.  Gerhard,  a.  a.  O.  S.  18  f. 

'"  Döring,  Feuerbachs  Straftheorien  und  ihr  Verhältnis  zur  Kantischen 
Philosophie.    Kant-Studien,  Erg.-Heft  3.    Berlin  1907.    S.  46. 

"  Äkademie-Äusgabe  Bd.  IV,  S.  446  ff.,  Cassirer  Bd.  IV,  S.  305  ff. 


83 

wir  selbst  aber  sind  frei,  wir  haben  für  unser  Tun  einzutreten,  nicht 
weil  wir  auch  anders  hätten  handeln  können,  sondern  weil  wir  so 
sind,  daß  wir  so  handeln  mußten.  Von  hieraus  hätte  man  unschwer 
zu  jenem  Merkeischen  Standpunkt  gelangen  können,  daß  die  Zurechnung 
zur  Schuld  nicht  die  Bejahung  der  Wahlfreiheit,  sondern  im  Gegenteil 
ihre  Verneinung  voraussetzt/  Liegt  doch  jener  Lehre  Kants  der 
Gedanke  zugrunde,  daß  der  Vorwurf  des  Gewissens  nicht  die  einzelne 
Tat  trifft  und  somit  den  Trost  läßt,  daß  wir  das  nächste  Mal  anders 
handeln  werden,  sondern  unser  ganzes  innere  Selbst  als  die  Ursache 
aller  unserer  Handlungen  belastet:  „Diese  unlautere  Handlung  ist  wie 
du  selbst,  aber  du  selbst  bist  nicht  wie  du  sein  solltest  und  könntest!"^ 
Das,  was  Feuerbach  gegen  diese  Lehre  Kants  vorbringt,  hat  denn 
auch  nichts  mit  einer  Kritik  der  Willensfreiheit  zu  tun,  sondern  ist 
nur  eine  Wiederholung  seiner  alten  Forderung,  daß  sittliche  Werturteile 
nichts  im  Strafrecht  zu  tun  hätten.  Dieser  Gedanke  war  ihm  seit 
seinen  ersten  rechtsphilosophischen  Versuchen  zum  Dogma  geworden, 
das  er  unermüdlich  verteidigte:  „Das  Gebiet  der  Moral  und  des  Rechts 
sind  beide  voneinander  getrennt,  beide  haben  ihre  eigentümlichen 
Prinzipien  und  darum  kann  ein  moralischer  Grund  weder  eine  recht- 
liche Möglichkeit  noch  eine  rechtliche  Notwendigkeit  begründen,  wie  es 
hier  angenommen  wird,  wo  aus  der  Immoralität  der  Tat  die  rechtliche 
Möglichkeit  und  Notwendigkeit  einer  bürgerlichen  Strafe  begründet 
werden  soU."^  Deutlicher  als  bei  den  rechtsphilosophischen  Speku- 
lationen tritt  hier  das  von  Feuerbach  mit  instinktiver  Sicherheit 
herausgefühlte  kriminalistische  Bedürfnis  nach  einer  —  in  der 
„Revision"  freilich  in  unerträglicher  Weise  übertriebenen  —  Elimi- 
nierung moralischer  Gesichtspunkte  aus  der  strafrechtlichen 
Zurechnung  hervor.  Es  ist  derselbe  Gedanke,  der  ihn  mit  aller 
Leidenschaft  den  Subjektivismus  Grolmans  bekämpfen  ließ:  die  Sorge 
vor  der  schiefen  Bahn  der  Gesinnungsstrafe.  Gibt  man  erst  einmal 
zu,  daß  persönliche  Schuld  das  Recht  des  Staates  zu  strafen  begründe, 
„so  läßt  sich  nicht  begreifen,  warum  man  ihm  nicht  auch  das  Recht  ein- 
räumen will,  auch  bloß  die  unmoralischen  Gesinnungen,  selbst 
wenn  sie  nicht  in  ungerechte  Handlungen  übergegangen  sein  sollten, 
und  die  Übertretung  bloß  unvollkommener  Pflichten  (d.  h.  Pflichten, 
die  nicht  vom  Recht  erzwingbar  gemacht  sind)  zu  bestrafen".^ 


'  Merkel-Liepmann,  Lehre  von  Verbrechen  und  Strafe  S.  99. 

*  Kuno  Fischer,  Geschichte  der  Philosophie  Bd.  V,  2.  Teil,  4.  Aufl. 
1899.  S.  94.  Vgl.  auch  desselben  Heidelberger  Rektoratsrede  1875,  Über 
das  Problem  der  menschlichen  Freiheit  S.  24. 

*  Revision  II,  S.  118  ff. 

*  Revision  II,  S.  120. 

6* 


84 

Indem  Feuerbach  aus  der  strafrechtlichen  Zurechnung  ethische 
Werturteile  verbannte,  trat  er  zugleich  der  herrschenden  Doktrin  ent- 
gegen, welche  in  den  Fällen  verminderter  Zurechnungsfähigkeit 
eine  Milderung  der  Strafe  verlangte.  Ihr  liegt  der  Gedanke  zugrunde, 
daß  die  Tat  eines  Menschen  ihm  in  dem  Maße  zur  Schuld  zuzurechnen 
ist,  indem  sie  sich  als  typisches  Abbild  seines  inneren  Wesens,  als 
unmittelbare  Verkörperung  seiner  Gesinnung  darstellt.  Alle  die  Momente 
dagegen,  die  nicht  dem  Charakter  des  Täters  entspringen,  sondern  von 
außen  her  die  Handlungsweise  des  Täters  bestimmen,  ohne  sein  eigenes 
Selbst  zur  Entfaltung  kommen  zu  lassen,  mögen  menschliche  Fehltritte 
entschuldigen.  Das  entspricht  der  Beurteilungsweise  von  Ethik  und 
Pädagogik  und  hat  auch  in  Kants  Metaphysik  der  Sitten  Eingang 
gefunden.  Von  geringer  Verschuldung  wird  hier  gesprochen,  wenn 
lebhafte  Affekte,  sinnliche  Triebfedern  von  ungewöhnlicher  Stärke  oder 
Mängel  der  Erziehung  die  Tat  zu  erklären  vermögen,  aber  „je  kleiner 
das  Naturhindernis,  je  größer  das  Hindernis  aus  Gründen  der 
Pflicht,  desto  mehr  wird  die  Übertretung  als  Verschuldung  zu- 
gerechnet".^ Der  sittlich  hochstehende,  aus  äußeren  Hemmungen 
herausgehobene  Ehrenmann  trägt  daher  die  stärkste  Verantwortung: 
sein  Fehltritt  wiegt  ungleich  schwerer,  als  wenn  der  verkommene 
Minderwertige  den  täglich  wachsenden  Versuchungen  zum  Opfer  fällt. 
Es  hat  den  Kampf  Feuerbachs  gegen  die  Übertragung  solcher  Gedanken- 
gänge in  das  Strafrecht  erleichtert,  daß  sie  zumeist  in  indeterministischem 
Gewände  auftraten.  Heutiger  vulgärer  Vorstellungsweise  entsprechend 
knüpfte  man  die  volle  Zurechenbarkeit  der  Tat  an  die  Bedingung,  daß 
sie  dem  freien  Willen  ihres  Urhebers  entsprungen  sei,  während  man 
im  Sinne  einer  Verminderung  der  Zurechnungsfähigkeit  von  geringer 
Strafwürdigkeit  sprach,  wenn  der  Täter  zwar  nicht  völlig  unfrei  galt, 
aber  zu  seinem  Entschluß  unter  mehr  oder  minder  starkem  Einfluß 
pathologischer  Zustände  oder  sozialer  Umstände  kam,  also  nicht  mit 
„voller  Freiheit"  gehandelt  hat."  Daß  mit  dieser  Lehre  aufs  engste 
das  Institut  des  richterlichen  Milderungsrechts  zusammenhing,  machte 


*  Metaphysik  der  Sitten.  Äkadcmie-Äusgabe  Bd.  IV,  S.  228,  Cassirer 
Bd.  VII,  S.  29. 

■  Vgl.  z.  B.  J.  Chr.  V.  Quistorp,  Grundsätze  des  deutschen  peinlichen 
Rechts  VI.  Aufl.,  herausgegeben  v.  E.  F.  Klein,  Bd.  I.  1810.  §  63,  S.  107.  — 
G.  R.  Kleinschrod,  System.  Entwicklung  der  Grundbegriffe  und  Grund- 
wahrheiten des  peinlichen  Rechts  2.  Aufl.,  I.Teil.  Erlangen  1799.  §  44  f., 
S.  102  ff.  —  C.  Ä.  Tittmann,  Handbuch  der  Strafrechtswissenschaft  und 
der  deutschen  Strafgesetzkundc  2.  Aufl.,  I.  Bd.  Halle  1822.  §  82,  S.  156  f.  — 
Eine  Charakterisierung  dieser  ganzen  Richtung  gibt  Ed.  Henke,  Grundriß 
einer  Geschichte  des  deutschen  peinlichen  Rechts  und  der  peinlichen  Rechts- 
wissenschaft II.  Teil.    Sulzbach  1809.    S.  336. 


85 

sie  für  Feuerbach  nur  noch  verdächtiger.  So  wußte  er  diese  Lehre 
mit  einem  ganzen  Arsenal  von  Gründen  zu  bekämpfen.  „Ich  frage 
zuerst,  wie  man  sich  denn  einen  erhöhten  oder  verminderten 
Grad  der  Freiheit  bei  Hervorbringung  gesetzwidriger  Handlungen 
denke?" ^  Freiheit  bedeutet  Unabhängigkeit  von  sinnlichen  Triebfedern, 
ist  demnach  ein  absoluter  Begriff,  bei  dem  Grade  von  verschiedener 
Stärke  unvorstellbar  sind.  „Ich  will  es  nicht  in  Anregung  bringen, 
daß  eine  Freiheit,  die  dem  Grade  nach  geschwächt,  vermindert  ist, 
ein  gerader  Widerspruch,  ein  viereckter  Zirkel  oder  ein  rundes  Vier- 
eck ist."^  Man  kann  von  einem  Spielraum,  einer  Möglichkeit,  sich 
für  das  Gesetz  zu  bestimmen,  sprechen,  aber  die  Kraft,  welche  die 
dem  Verbrecher  entgegenstehenden  äußeren  Hindernisse  überwindet, 
die  allgemein  als  Grund  besonderer  Strafwürdigkeit  gewertet  wird, 
nimmermehr  als  Freiheit  bezeichnen.  Die  Triebfeder,  der  sinnliche  Reiz 
bestimmte  vielmehr  den  Verbrecher  zu  seinem  Schritt  und  vermochte 
die  Gegengründe  zum  Schweigen  zu  bringen,  nicht  weil  der  Verbrecher 
darin  freie  Wahl  hatte,  sondern  weil  sich  die  Freiheit  —  verstanden 
als  das  Vermögen,  unabhängig  von  sinnlichen  Triebfedern  zu  handeln  — 
nicht  äußerte.  „Alle  nicht -moralischen  Handlungen  haben  ihren 
eigentlichen  Grund  schlechterdings  nicht  in  der  Freiheit,  sondern  in 
Naturursachen,  in  Leidenschaften,  Neigungen  und  Begierden, 
haben  ihren  Grund  nicht  in  einer  Äußerung,  sondern  in  einer  Nicht- 
äußerung  der  Freiheit."^ 

So  wiederholt  sich  in  immer  neuen  Wendungen  der  Grundgedanke 
Feuerbachs:  die  strafrechtliche  Zurechnung  hat  nichts  zu  tun  mit  einer 
Beurteilung  menschlichen  Handelns  nach  sittlichen  Maßstäben.  Die 
persönliche  Schuld  ist  nicht  Voraussetzung  und  Maß  der  staatlichen 
Strafe.  So  bleibt  nur  der  andere  Weg,  aus  dem  Wesen  und  Zweck 
der  Strafe  selbst  die  Grundlagen  zur  Beurteilung  der  Strafwürdigkeit 
zu  ermitteln.  „Denn  wenn  keine  ausdrücklichen  positive  Gesetze  uns 
über  die  Prinzipien  der  subjektiven  Gründe  der  Strafbarkeit  unter- 
richten, was  anders  könnte  uns  nötigen,  eine  solche  Lehre  in  dem 
peinlichen  Rechte  aufzustellen,  was  anders  könnte  uns  auf  die  ersten 
Grundsätze  derselben  leiten,  als  jene  Natur  und  jener  Zweck 
der  Strafe?"' 

Das  Zurechnungsproblem,  die  Frage  nach  den  Voraussetzungen 
der  strafrechtlichen  Verantwortlichkeit  hat  für  die  Rechtswissenschaft 
eine   doppelte  Bedeutung.     Der  Gesetzgeber   fragt   nach   den  Gründen 


'  Revision  II,  S.  285. 

■^  Revision  II,  S.  289. 

'  Revision  II,  S.  290  f. 

'  Revision  II,  S.  328  f. 


86 

der  Strafbarkeit  in  abstracto,  der  Richter  nach  den  Gründen  der 
Strafbarkeit  in  concreto.  Dieser  prüft  die  Strafbarkeit  eines  einzelnen 
Verbrechens,  jener  die  einer  generellen  Deliktsform,  dieser  beurteilt 
die  Handlungsweise  eines  bestimmten  Diebes,  jener  den  Diebstahl 
überhaupt,  dieser  hat  es  mit  einem  Faktum,  jener  mit  einem  Begriff 
zu  tun.  Woher  schöpfen  nun  Richter  und  Gesetzgeber  die  Prinzipien 
ihrer  Beurteilung?  „Von  positiven  Gesetzen  sind  wir  hier  fast  ganz 
verlassen  und  es  läßt  sich  kein  einziges  aufzeigen,  welches  auch  nur 
mit  einiger  Bestimmtheit  sich  über  die  Art  der  Anwendung  der  Straf- 
gesetze im  allgemeinen  erklärte."^  Also  müssen  diese  Prinzipien  aus 
allgemeinen  Erv^'ägungen  heraus  ermittelt  werden.  Ausnahmsweise  ist 
es  hier  Aufgabe  der  Philosophie,  dem  Juristen  inhaltlich  bestimmte 
Normen  zu  erschließen.  Aber  die  Rechtswissenschaft  darf  solche  all- 
gemeinen Prinzipien  nicht  ohne  weiteres  utilitatis  et  iucunditatis  gratia 
annehmen.  Als  Wissenschaft  vom  positiven  Recht  darf  sie  Grundsätze, 
welche  nicht  ausdrücklich  in  positiven  Gesetzen  enthalten  sind,  nur 
unter  der  Bedingung  akzeptieren,  „daß  jene  allgemeinen  Prinzipien  in 
dem  Willen  des  Gesetzgebers  enthalten,  mithin  stillschweigend 
von  demselben  sanktioniert  sind".^  Im  Willen  des  Gesetzes  aber  ist 
enthalten,  was  mit  einer  positiven  Verordnung  desselben  notwendig 
verbunden  ist,  „so  daß  sich  ein  Widerspruch  in  der  ausdrücklichen 
Verordnung  selbst  fände,  wenn  das  Gegenteil  angenommen  würde ".^ 
Wenn  also  der  Gesetzgeber  ein  Strafgesetz  erläßt,  so  hat  er  damit 
alle  Prinzipien  sanktioniert,  die  mit  dem  Wesen  des  Strafgesetzes  und 
der  Strafe  notwendig  verbunden  sind.  Hieraus  folgt:  „Nur  diejenigen 
Gründe  der  Strafbarkeit  sind  wahr,  welche  sich  aus  der  Natur 
des  Strafgesetzbuches  und  der  Strafe  ergeben."*  Das  Problem 
der  strafrechtlichen  Verantwortlichkeit  verlangt  somit  eine  Untersuchung 
über  die  Natur  der  Strafe  und  des  Strafgesetzes.  Diese  führt  Feuerbach 
zu  seiner  Straftheorie  vom  psychologischen  Zwang,  wie  sie  bereits  dem 
Antihobbes  zugrunde  liegt. 

Strafe  ist  ein  vorwissenschaftlicher  Begriff.     Über  ihr  Wesen  gibt 
der   allgemeine   Sprachgebrauch   Auskunft.     Nach   ihm   ist   Strafe   ein 


^  Revision  I,  S.  176. 

^  Ebendort  I,  S.  185. 

^  Ebendort  I,  S.  185. 

^  Ebendort  I,  S.  187.  Während  die  Formulierung  dieser  Argumentation 
in  mustergültiger  Weise  die  Methodik  der  Interpretation  des  positiven 
Rechts  zum  Ausdruck  bringt,  ist  Feuerbach  unbewußt  gerade  hier  natur- 
rechtlicher Denkweise  verfallen,  dem  Glauben,  daß  seine  eigenen  Straf- 
rechtsprinzipien mit  dem  Begriff  des  Strafgesetzes  als  solchen  notwendig 
verbunden  und  darum  bei  der  Erlassung  eines  jeden  Strafrechts  von  diesem 
vorausgesetzt  seien.    Vgl.  oben  Kap.  I,  S.  29. 


87 

Übel,  „welches  um  begangener  gesetzwidriger  Handlungen,  und  zwar 
bloß  um  dieser  willen  einem  Subjekt  zugefügt  wird:  malum  passionis 
ob  malum  actionis,  wie  die  älteren  Rechtslehrer  sagen".'  Dem  Wesen 
nach  unterscheidet  die  gemeine  Vorstellung  von  der  Strafe,  die  lediglich 
wegen  einer  in  der  Vergangenheit  erfolgten  Handlung  eintritt,  Übel, 
welche  ein  künftiges  Verhalten  erzwingen  wollen.  In  den  sogenannten 
natürlichen  Strafen  des  Lasters  und  in  den  Strafen,  die  wir  der 
göttlichen  Gerechtigkeit  zuschreiben,  sehen  wir  lediglich  die  Wirkung 
vergangener  Taten,  ebenso  wie  in  der  Belohnung  nur  die  Folge  eines 
in  der  Vergangenheit  liegenden  lobenswerten  Verhaltens.  Ist  dagegen 
die  begangene  Tat  nur  ein  Symptom  für  die  zu  erwartende  künftige 
Handlungsweise  eines  Menschen  und  füge  ich  ihm  Übel  zu,  um  da- 
durch auf  sein  künftiges  Verhalten  einzuwirken,  so  sprechen  wir  von 
Züchtigung,  Verteidigung  oder  Sicherung,  aber  nicht  von  Strafe.  ÄU 
diese  Dinge  hielt  Feuerbach  immer  wieder  dem  Grolmanschen 
Präventionsrecht  entgegen.  Mit  jener  Definition  ist  die  Strafe  ihrer 
Gattung  nach  bestimmt.  Es  fragt  sich  nun,  welche  besondere  Art 
von  Strafe  ist  die  bürgerliche  Strafe,  mit  der  allein  es  das  Straf- 
recht zu  tun  hat,  diejenige,  welche  „von  der  bürgerlichen  Gesellschaft 
(der  höchsten  Gewalt)  den  Bürgern  zugefügt  wird".^ 

Die  Frage  nach  dem  Wesen  der  bürgerlichen  Strafe  ist  eine 
Rechtsfrage:  Wie  muß  die  Strafe  beschaffen  sein,  welche  der  Staat 
von  Rechts  wegen  seinen  Bürgern  auferlegt? 

Der  Staat  beruht  auf  der  Idee  des  Rechts.  Diese  besteht,  indem 
hier  Feuerbach  die  Kantische  Begriffsbestimmung  aufnimmt,  darin, 
„daß  die  Freiheit  eines  jeden  mit  der  Freiheit  alier  bestehe,  daß 
jeder  die  freie  Ausübung  seines  Rechts  habe  und  keiner  die  Rechte 
des  andern  beeinträchtige".^  Aufs  neue  fordert  Feuerbach  auch  hier 
um  der  Idee  des  Rechts  willen  eine  scharfe  Sonderung  juristischer 
und  ethischer  Werte.  Moralische  Vergeltung  kann  nicht  Aufgabe  des 
Staates  sein,  denn  sie  beruht  nicht  auf  dem  Prinzip  des  Rechts  als 
dem  rechten  Einklang  der  Freiheit  des  einzelnen  mit  der  Freiheit 
aller,  sondern  sie  ist  eine  Forderung  der  sittlichen  Weltordnung  als 
einer  Harmonie  zwischen  Glückswürdigkeit  und  Glückseligkeit:  ein 
sittlicher  Fehler  soll  zur  Schmälerung  des  Glückes,  Schuld  soll  zur 
Strafe  führen.  Solche  Harmonie  zwischen  Verschuldung  und  Schicksal 
anzubahnen,  ist  nach  Feuerbach  nicht  Aufgabe  des  Rechts.  Da  Zu- 
rechnung zur  Schuld  die  Voraussetzung   einer  moralischen  Vergeltung 


'  Revision  I,  S.  5. 
-  Revision  1,  S.  23. 

'  Revision  I,  S.  26.    Kant,  Metaphysik  der  Sitten.    Äkademie-Äusgabe 
Bd.  VI,  S.  230,  Cassirer  Bd.  VII,  S.  31. 


88 

ist,  so  scheidet  mit  dieser  auch  jene  aus  dem  Bereich  des  Strafrechts 
aus.  Es  ergibt  sich,  „daß,  wo  wir  eine  Beurteilung  nach  dieser 
moralischen  Idee  voraussetzen,  die  Handlung,  welche  nach  derselben 
beurteilt  wird,  nur  als  eine  Verletzung  der  inneren  moralischen 
Gesetze,  nicht  aber  der  äußeren  Rechtsgesetze  betrachtet  werden 
kann  und  mithin  die  Tat  nicht  als  eine  Rechtsverletzung,  sondern 
als  immoralische  Handlung  bestraft  wird"/ 

Hiermit  war  nun  insofern  nichts  Neues  gesagt,  als  die  Forderung, 
der  Staat  solle  sein  Strafrecht  in  den  Dienst  sittlicher  Vergeltung  stellen, 
in  dieser  Allgemeinheit  damals  von  niemand  vertreten  wurde.  Ruch 
die  anderen  Kriminalisten  gingen  davon  aus,  daß  das  Strafrecht  staat- 
lichen und  sozialen  Aufgaben  zu  dienen  hat.  Um  dieser  kriminal- 
politischen Zwecke  willen  aber  verlangten  sie  in  mehr  oder  minder 
hervortretender  Weise,  daß  die  strafrechtliche  Verantwortlichkeit  von 
dem  Verschuldungsprinzip  abhängig  sein  sollte.  So  sehr  namentlich 
bei  den  Anhängern  der  Präventionstheorie,  bei  Stübel  und  Grolman, 
aber  auch  bei  Filangieri  und  Servin,  der  Zweckgedanke  im  Vorder- 
grund steht,  so  kommen  eben  diese  Kriminalisten,  weil  sie  von  einer 
Beurteilung  der  antisozialen  Gesinnung  des  Täters  ausgehen,  der 
Zurechnung  zur  Schuld  sehr  nahe.  Feuerbach  dagegen  verwirft 
auch  eine  solche  mittelbare  Verwertung  des  Schuldgedankens  im 
Strafrecht.  Einmal  wäre  es  „lächerlichste  Anmaßung",  zu  glauben, 
es  sei  menschlichen  Richtern  gegeben,  Schuld  und  Vergeltung  in 
rechtem  Maß  abzuwägen:  „Nur  von  einem  allwissenden  Herzens- 
kündiger,  von  dem  unbeschränkten  Vernunftwesen  .  .  .  dürfen  wir  die 
Einführung  dieser  sittlichen  Ordnung  erwarten.""  Wie  es  Feuerbach 
Grolman  entgegenhielt,  entspricht  zudem  die  Höhe  der  Schuld  keines- 
wegs immer  dem  staatlichen  Strafbedürfnis.  Je  mehr  der  Verbrecher 
durch  Triebe  und  Leidenschaften,  durch  schlechte  Erziehung  und  Ge- 
wohnheit zum  Verbrechen  determiniert  ist,  um  so  geringer  erscheint 
seine  persönliche  Schuld  — ,  aber  um  so  gefährlicher  er  selbst. 
Hier  steht  das  Bedürfnis  des  Staates,  mit  energischen  Strafen  einzu- 
greifen, in  umgekehrtem  Verhältnis  zur  Schuld  des  Täters.  „Es  steigt 
also  da  die  Gefahr  für  das  Recht,  wo  die  eigentliche  moralische 
Häßlichkeit  der  Tat,  die  Schuld  verringert  wird.  Daher  muß  die 
moralische  Strafe  die  Beleidigungen  begünstigen  und  der  sittlichen 
Ordnung  die  rechtliche  aufopfern,  weil  sie  jenen  Triebfedern  nicht 
gehörig  widerstehen,  ihnen  kein  überwiegendes  Gegengewicht  entgegen- 
setzen kann.""^    Hier  liegen  in  der  Tat  tiefe  Gegensätze  zwischen  dem 


'  Revision  I,  S.  27. 
^  Revision  I,  S.  34. 
^  Revision  I,  S.  32. 


89 

Schuldprinzip  und  dem  Sicherungsgedanken,  wie  sie  am  Problem  des 
Gewohnheitsverbrechers  und  Rückfälligen  am  stärksten  zutage  treten. 
Während  „oberflächliches  Sichabfinden"  gemeinhin  den  Rückfall  als 
schulderhöhenden  Umstand  charakterisiert,  hat  Merkel  gezeigt,  daß 
nur  der  Gedanke  der  Sicherung  vor  dem  Täter  —  unter  der  Annäherung 
an  den  Standpunkt,  den  wir  dem  Irrsinnigen  gegenüber  einnehmen  — 
staatliche  Eingriffe  von  gesteigerter  Intensität  in  diesen  Fällen  recht- 
fertigen kann,  wo  eine  Vergeltung  für  die  Tat  die  Waffen  senken  muß : 
„Je  tiefer  ein  Gewohnheitsverbrecher  sinkt  oder  auch  von  Anfang  an 
steht,  um  so  weniger  wird  die  Frage  nach  dem  Maße  der  in  einer 
einzelnen  Handlung  sich  begründenden  sittlichen  Verschuldung 
uns  einen  Weg  zeigen  können  .  .  ."^ 

Will  der  Staat  dem  Recht  —  in  jenem  formalen  Sinn  Kants  und 
Feuerbachs  als  Garantie  der  wechselseitigen  Freiheit  aller  verstanden  — 
dienen,  so  muß  er  dafür  sorgen,  daß  „keine  Beleidigungen  im  Staate 
geschehen".  Und  da  trotz  Erziehung  und  Aufklärung  nicht  allen  eine 
bürgerliche  Gesinnung  angewöhnt  werden  kann,  so  ist  es  im  besonderen 
Aufgabe  des  Staates,  „daß,  wer  unbürgerliche  (rechtswidrige) 
Neigungen  hat,  psychologisch  verhindert  werde,  sich  nach 
diesen  Neigungen  wirklich   zu   bestimmen".* 

Diese  anspruchsvolle  Aufgabe,  auf  psychologischem  Wege  Ver- 
brechen überhaupt  zu  verhindern,  dünkt  Feuerbach  nicht  allzu 
schwer.  Er  erklärt  sich  das  Zustandekommen  des  verbrecherischen 
Entschlusses  deterministisch  als  die  Wirkung  der  „sinnlichen  Trieb- 
feder" :  auf  das  Begehrungsvermögen  wirkt  die  Vorstellung  eines 
Erfolges,  die  mit  einem  Lustgefühl  verbunden  ist,  ein  bis  zum  Eintritt 
des  Erfolges  schmerzvoll  empfundenes  Bedürfnis.  Der  Staat  muß  nun 
versuchen,  „durch  die  Sinnlichkeit  selbst  auf  die  Sinnlichkeit  zu  wirken 
und  die  Neigung  durch  entgegengesetzte  Neigung,  die  sinnliche  Trieb- 
feder zur  Tat  durch  eine  andere  sinnliche  Triebfeder  aufzuheben".^ 
Da  der  Mensch  dem  stärkeren  Trieb,  der  Vorstellung,  die  mit  einem 
lebhafteren  Lustgefühl  verbunden  ist,  folgt,  so  muß  mit  der  Vorstellung 
von  dem  erstrebten  verbotenen  Erfolg  eine  stärkere,  unlustbetonte 
Vorstellung  assoziiert  werden.  „Die  Übertretungen  werden  daher 
verhindert,  wenn  jeder  Bürger  gewiß  weiß,  daß  auf  die  Übertretungen 
ein  größeres  Übel  folgen  werde,  als  dasjenige  ist,  welches  aus  der 
Nichtbefriedigung  des  Bedürfnisses  nach  der  Handlung  (als  einem 
Objekt  der  Lust)  entspringt."* 


*  Merkel-Liepmann,  Lehre  von  Verbrechen  und  Strafe  S.  99. 

*  Revision  I,  S.  39  und  43. 

*  Revision  I,  S.  44. 

*  Revision  I,  S.  46. 


90 

Diese  Vorstellung  darf  in  den  Bürgern  nicht,  wie  es  das  alte  Äb- 
schreckungsstrafrecht  versuchte,  das  seine  Anziehungskraft  in  diesem 
Punkte  noch  auf  manche  Kriminalisten  der  Äufklärungszeit  nicht  ein- 
gebüßt hatte  (Hommel,  Gmelin),  dadurch  hervorgerufen  werden,  daß 
der  einzelne  Delinquent  „exemplarisch"  —  umb  mer  forcht  willen!  — 
besh-aft  wird.  Solches  Verfahren,  das  den  einzelnen  zum  Mittel  fremder 
Zwecke  mißbraucht,  hatte  der  jünger  Kants  immer  wieder  als  mit  dem 
Recht  der  Persönlichkeit,  die  auch  im  Verbrecher  zu  respektieren  ist, 
unvereinbar  verworfen.  Darf  die  Vollziehung  der  Strafe  nicht  der 
Abschreckung  der  anderen  dienen,  so  bleibt  als  einziges  Mittel,  die 
verbrecherischen  Neigungen  der  Bürger  psychologisch  zu  beeinflussen, 
„daß  die  Verknüpfung  des  Übels  mit  dem  Verbrechen  durch  das 
Gesetz  angedroht  sein  müsse".  Das  Gesetz  droht  die  Strafen 
allen  Bürgern  als  rechtlich  notwendige  Folge  von  Verbrechen  an.  Es 
sagt:  „Wer  diese  Handlung  tut,  soll  Strafe  leiden.  Niemand,  der  sie 
tut,  darf  der  Strafe  entgehen."^ 

Aber  das  Gesetz  ist  nur  dann  eine  ernsthafte  Drohung,  die 
determinierend  auf  die  Bürger  wirkt,  wenn  die  Bedingung,  die  es  an 
die  Begehung  des  Verbrechens  knüpft,  tatsächlich  in  allen  Fällen,  in 
denen  ein  Verbrechen  begangen  wird,  eintritt.  Es  muß  immer,  aber 
auch  nur  dann,  wenn  ein  Verbrechen  begangen  ist,  die  angedrohte 
Strafe  verhängt  werden.  Hierin  erschöpft  sich  für  diese  Lehre  die 
kriminalistische  Bedeutung  des  Strafvollzugs.  Er  dient  lediglich  dazu, 
die  Ernstlichkeit  der  gesetzlichen  Strafdrohung  zu  erhärten,  dem  Gesetz 
Genüge  zu  leisten,  das  verlangt,  daß  jeden  die  bestimmte  Strafe  trifft, 
der  es  übertritt.  Die  Rechtfertigung  eines  Strafvollzugs,  dem  eine 
solch  sekundäre  Rolle  im  Strafrecht  zugedacht  ist,  bleibt  nach  wie  vor 
der  schwächste  Punkt  der  Feuerbachschen  Theorie  —  so  wie  in  der 
späteren  gesetzgeberischen  Ausgestaltung  der  Feuerbachschen  Lehren 
sich  seine  Theorie  am  unfruchtbarsten  auf  dem  Gebiet  des  Strafvollzugs 
erwies.  Auch  die  „Revision"  bleibt  bei  der  naturrechtlichen  Ein- 
willigungstheorie," nach  welcher  der  Verbrecher  in  die  Strafe  als 
Bedingung  für  die  Begehung  des  Unrechts  einzuwilligen  genötigt  ist. 
Aber  das  hatte  diese  Lehre  voraus:  sie  entsprach  der  Forderung 
Feuerbachs  nach  strenger  Bindung  des  Richters  an  das  Gesetz  und 
fester  Begrenzung  der  staatlichen  Strafgewalt.  Hat  der  Verbrecher  die 
vom  Gesetz  mit  Strafe  bedrohte  Handlung  begangen,  so  kann 
und  muß  der  Richter  allein  die  vom  Gesetz  für  die  Handlung 
angedrohte  Strafe  verhängen. 


'  Revision  I,  S.  49. 

''  Vgl.  oben  Kap.  I,  S.  22  und  S.  28. 


91 

Von  dieser  letzten  Überlegung  aus  gewinnt  die  Feuerbachsche 
Straftheorie  ihre  besondere  Bedeutung.  Will  sie  bewußt  alle  ethischen 
Werturteile  und  Forderungen  ausschalten,  so  ist  gleichwohl  die  formale 
Struktur  dieses  Strafrechts,  die  ausnahmslose  Verknüpfung  bestimmter 
Tatbestände  mit  feststehenden  Strafgrößen  —  Vergeltung.  „So  wie 
in  der  moralischen  Welt  Verminderung  der  Glückseligkeit  mit  der 
Immoralität  nach  der  Idee  von  Glückswürdigkeit  notwendig  verbunden 
ist,  so  ist  es  unter  der  Voraussetzung  eines  solchen  drohenden  Gesetzes 
nach  einer  rechtlichen  Ordnung  notwendig,  daß  auf  das  Verbrechen 
das  Übel  folge  .  .  .  Das  Gesetz  sagt  kategorisch:  Das  Verbrechen 
soll  mit  dem  Übel  verknüpft  sein;  es  ist  daher  notwendig  und  nach 
einer  rechtlichen  Ordnung  an  dasselbe  geknüpft."^  Ferner:  „Um  zu 
wissen,  daß  ein  Mensch  jenes  Übel  verdiene,  brauche  ich  nur  zu 
wissen,  daß  er  ein  solches  Gesetz  übertreten  hat,  keineswegs  aber, 
ob  und  daß  er  noch  künftig  Rechte  verletzen  werde.  "^  Indem  so 
Zweckerwägungen  und  Nützlichkeitsgedanken  von  jedem  bestimmenden 
Einfluß  auf  die  Verhängung  der  Strafe  ausgeschaltet  werden,  liegt  in 
dieser  Lehre  etwas  von  dem  Rigorismus  absoluter  Strafrechtstheorien. 
Die  starke  Gebundenheit  dieses  Strafrechts,  das  allein  der  an  die 
Gesamtheit  gerichteten,  abstrakt  gefaßten  gesetzlichen  Drohung  zu 
dienen  bestimmt  ist,  wurde  von  Feuerbach  mit  einer  Unerbittlichkeit 
verfochten,  in  der  etwas  von  dem  Pathos  des  kategorischen 
Strafimperativs   Kants  wiederklingt. ^ 

Für  Kant  ist  das  Strafgesetz  ein  kategorischer  Imperativ,  d.  h.  es 
muß  allein  um  seiner  selbst  willen  befolgt  werden:  „Richterliche  Strafe. . . 
kann  niemals  bloß  als  Mittel,  ein  anderes  Gute  zu  befördern  für  den 
Verbrecher  selbst  oder  für  die  bürgerliche  Gesellschaft,  sondern  muß 
jederzeit  nur  darum  wider  ihn  verhängt  werden,  weil  er  verbrochen 
hat."*  Für  das  Ausmaß  der  Strafgröße,  die  solcherweise  als  unentrinn- 
bare Folge  an  die  Übertretung  des  Gesetzes  geknüpft  ist,  gilt  das  Prinzip 
der  Gleichheit  zwischen  Schuld  und  Strafe   „im  Stande  des  Züngleins 


'  Revision  I,  S.  55. 

^  Ebcndort. 

^  Zu  Kants  Strafrechtstheorie:  H.  Seeger,  Die  Strafrechtsphilosophic 
Kants  und  seiner  Nachfolger  im  Verhältnis  zu  den  allgemeinen  Grundsätzen 
der  kritischen  Philosophie.  Ehrengabe  für  Berner,  Tübingen  1892. —  Döring, 
Feuerbachs  Straftheorien  und  ihr  Verhältnis  zur  Kantischen  Philosophie. 
Kant-Studien,  Erg.-Heft  III.  Berlin  1907.  —  M.  Salomon,  Kants  Strafrecht 
in  Beziehung  zu  seinem  Staatsrecht.  Z.  Str.  W.  33,  S.  1  H.  —  Vgl.  auch 
desselben  Idee  der  Strafe.  In:  Philos.  Äbhandl.  für  Herm.  Cohen.  Berlin 
1912.    S.  223  ff. 

''  Metaphysik  der  Sitten.  Äkademic-Äusgabe  Bd.  VI,  S.  331,  Cassirer 
Bd.  VII,  S.  139. 


92 

an  der  Wage  der  Gerechtigkeit",  ius  talionis.  Darum  Todesstrafe  für 
den  Mord!  „Hat  er  aber  gemordet,  so  muß  er  sterben.  Es  gibt  kein 
Surrogat  zur  Befriedigung  der  Gerechtigkeit.  Es  gibt  keine  Gleich- 
artigkeit zwischen  einem  noch  so  kummervollen  Leben  und  dem  Tode, 
also  auch  keine  Gleichheit  des  Verbrechens  und  der  Wiedervergeltung, 
als  durch  den  am  Täter  gerichtlich  vollzogenen  .  .  .  Tod."^  In  dem 
unerhörten  Rigorismus,  in  dem  hier  gestraft  wird,  bloß  weil  das  Gesetz 
der  Gerechtigkeit  es  will,  und  somit  jede  Rücksicht  auf  Zweckgedanken, 
auf  die  „Schlangenwindungen  der  Glückseligkeitslehre"  aus  dem  Straf- 
recht verbannt  wird,  sieht  Kant  die  höchste  Anerkennung  der  Würde 
der  menschlichen  Persönlichkeit,  die  selbst  den  Verbrecher  als  Mittel 
für  die  Zwecke  irdischer  Nützlichkeit  zu  gebrauchen  verbietet. 

Hiermit  war  freilich  nur  bewiesen,  daß  Strafe,  wenn  sie  verhängt 
wird,  Vergeltung  sein  müsse.  Warum  der  Staat  berechtigt  und  ver- 
pflichtet sei,  überhaupt  zu  strafen,  ist  mit  keinem  Worte  dargetan. 
Eben  diesen  Nachweis  vermißten  die  zeitgenössischen  Kriminalisten 
bei  Kant,  und  schon  Grolman  meinte,  als  der  erste  Teil  der  Meta- 
physik der  Sitten  1797  unter  dem  Titel  „Metaphysische  Anfangsgründe 
der  Rechtslehre"  erschien,  Kant  habe  es  offenbar  vergessen,  „sein  Prinzip 
der  Wiedervergeltung  zu  deduzieren,  sodaß  also  jeder,  der  nicht  schon 
vorher  Kants  Meinung  war,  keinen  anderen  Grund  finden  kann,  seine 
vorige  Überzeugung  aufzugeben,  als  Kants  Autorität".'  In  dem 
kriminalpolitischen  Wert  des  Vergeltungsstrafrechts  kann  seine 
Berechtigung  im  Sinne  Kants  nicht  gefunden  werden,  weil  ja 
gerade  nach  ihm  in  der  völligen  Unberührtheit  von  menschlichen 
Zweckmäßigkeitserwägungen  der  Rechtscharakter  der  Strafe  sich 
bewähren    soll.     Müßte    doch    bei    einer    Auflösung    der    bürgerlichen 


'  Ebendort.     Äkademie-Äusgabe  S.  333,  Cassircr  S.  140  ff. 

^  Grolman,  Kants  metaphysische  Anfangsgründe  der  Rechtslehre. 
Bibl.  f.  d.  peinl.  Rechtswissenschaft  I,  1,  S.  123  ff.,  insbes.  S.  130.  —  Als 
charakteristisches  Zeichen  für  die  Ablehnung,  welche  Kants  Straf- 
rechtslehre bei  zeitgenössischen  Juristen  fand,  siehe  die  kritischen 
Äußerungen  in  den  Ergänzungsblättern  zur  AUg.  Lit.-Ztg.  I,  1,  Nr.  33, 
Jena  u.  Leipzig  1801,  Spalte  255  und  Neue  Leipziger  Literaturzeitung  I,  1, 
Leipzig  1805,  Spalte  4.  Der  Verfasser  dieser  letzten  Rezension  bezeichnet 
Spalte  6  Feuerbach  als  den  Urheber  der  oben  Grolman  zugeschobenen 
kritischen  Anzeige  in  der  Bibl.  f.  d.  peinl.  Rechtswissenschaft,  wobei  er 
übersieht,  daß  sich  deren  Verf.  ausdrücklich  als  Anhänger  des  Präventions- 
rechts bekennt  (S.  128  a.  a.  O.).  —  Im  Gegensatz  zu  diesen  zeitgenössischen 
Meinungen  über  Kant  steht  die  Beurteilung  Bindings:  „Gibt  es  doch  kein 
besseres  Zeugnis  für  den  erhabensten  Apostel  der  Gerechtigkeit,  für  Kants 
Charakter  als  seine  großartige  Straflheorie  in  ihrem  eklatanten  Widerspruch 
zu  seiner  Lehre  von  der  Entstehung  des  Rechts  aus  der  Willkür."  Strafr. 
u.  strafproz.  Abhandlungen  I.    München  und  Leipzig  1915.    S.  64. 


93 

Gesellschaft  „der  letzte  im  Gefängnis  befindliche  Mörder  vorher  hin- 
gerichtet werden,  damit  ...  die  Blutschuld  nicht  auf  dem  Volke  hafte.  "^ 
Wenn  Kant  gleichwohl  in  anderen  Zusammenhängen  von  der  Wirksam- 
keit der  Strafe  spricht,^  so  sah  er  doch  Wesen  und  Aufgaben  der 
Rechtsstrafe,  deren  Rigorismus  er  mit  unvergleichlichem  Pathos  zum 
Ausdruck  zu  bringen  wußte,  keineswegs  darin,  daß  sie  etwa  im  Sinne 
einer  Generalprävention  seelische  Wirkungen  auf  die  Allgemeinheit  aus- 
übt.^ Einer  Ableitung  der  Kantischen  Strafrechtstheorien  aus  seinem 
Staatsrecht  steht  die  Doppelzüngigkeit  der  Kantischen  Staatsrechts- 
philosophie hindernd  im  Wege.  Der  Staat  als  Idee,  als  regulatives 
Prinzip,  an  dessen  Maßstabe  sich  der  Wert  des  rechten  Staates 
erweisen  muß,  ist  nach  Kant  getreu  dem  Ideal  der  Aufklärung  der 
konstitutionelle  Staat,  der  sich  durch  einen  Vertrag  freier  Bürger 
entstanden  denken  läßt  und  dessen  Gesetzen  jeder  Bürger  seine  Zu- 
stimmung hätte  geben  können.*  Der  Staat  in  der  Erscheinung  dagegen, 
wie  er  als  reales  Gebilde  seinen  Untertanen  gegenübertritt,  ist  bei 
Kant  mit  der  Autorität  des  absoluten  Staates  umkleidet,  über  dessen 
unerf erschlichen  Ursprung  zu  „vernünfteln"  den  Untertanen  verboten 
ist,  denn  —  nicht  im  Sinne  einer  historischen  Erklärung,  sondern 
eines  Anspruchs  auf  Anerkennung  ihrer  absoluten  Geltung,  nicht  als 
„Geschichtsgrund  der  bürgerlichen  Verfassung",  sondern  im  Sinne 
einer  „Idee  als  praktischen  Vernunftprinzips":    „Alle  Obrigkeit  ist  von 


*  Metaphysik  der  Sitten.  Akademie-Ausgabe  Bd.  VI,  S.  333,  Cassirer 
Bd.  VII,  S.  141. 

''  Gelegentliche  Verwertung  des  Abschreckungsgedankens  bei 
Kant:  Kritik  der  praktischen  Vernunft,  Akademie- Ausgabe  Bd.  V,  S.  30, 
Cassirer  Bd.  V,  S.  34  und  Metaphysik  der  Sitten,  Akademie- Ausgabe 
Bd.  VI,  S.  235  f.,  Cassirer  Bd.  VII,  S.  37.  An  der  ersten  Stelle  wird  zur 
Erläuterung  der  sittlichen  Freiheit  davon  gesprochen,  daß  man  sich  durch 
Androhung  der  Todesstrafe  zwar  gemeinhin  von  scheinbar  unwiderstehlichen 
Gelüsten  abschrecken  läßt,  von  einer  sittlichen  Tat  aber  trotz  Androhung 
der  Todesstrafe  nicht  abhalten  zu  lassen  braucht.  Im  zweiten  Fall  wird  die 
Straflosigkeit  im  Notstandsfall  —  Brett  des  Carneades  —  damit  begründet, 
daß  gegenüber  dem  sichern  Tod  die  ungewisse  Androhung  künftiger  Strafe 
wirkungslos  sein  müsse. 

'  Diese  Anschauung  vertritt  R.  Schmidt,  Die  Aufgaben  der  Straf- 
rechtspfiege,  Leipzig  1895,  S.  25:  „...wirklich  schwebte  Kant  die  Hervor- 
rufung solcher  wertvollen  psychischen  Eindrücke  darum  nicht  weniger 
lebhaft  vor,  weil  er  auf  sie  nicht  ausdrücklich  hinzuweisen  für  notwendig 
fand."  Gegen  R.  Schmidt  auch  Th.  Sternberg,  Das  Verbrechen  in  Kultur 
und  Seelenleben  der  Menschheit  (Koblers  Recht  Bd.  IX).  Berlin  1912. 
S.  59,  Anm.  42. 

*  Metaphysik  der  Sitten,  Akademie-Ausgabe  Bd.  VI,  S.  315,  Cassirer 
Bd.  VII,  S.  122.  Über  den  Gemeinspruch:  Das  mag  in  der  Theorie  richtig 
sein,  taugt  aber  nicht  für  die  Praxis.     Cassirer  Bd.  VI,  S.  380  f. 


94 

Gott."^  Einem  solchen  absoluten  Staat,  dessen  Institutionen  in  ihrer 
Geltung  unabhängig  sind  von  ihrem  Wert  und  Nutzen  für  die  einzelnen 
Bürger,  würde  allerdings  ein  absolutes  Strafrecht  entsprechen,  in  dem 
die  Rechtsverletzung  allein  um  deswillen  bestraft  wird,  weil  das  staat- 
liche Gebot  übertreten  ist.^  Aber  damit  ist  keine  methodische  Ableitung 
der  Vergeltungslehre  aus  den  Prinzipien  der  kritischen  Philosophie, 
sondern  bestenfalls  eine  historische  Erklärung  für  die  Strafauffassung 
Kants  gewonnen.  Kant  selbst  war  offenbar  des  Glaubens,  daß  der 
Vergeltungsgedanke  in  der  Idee  der  Gerechtigkeit  gegründet  sei, 
die  in  überirdischer  Erhabenheit  über  menschliche  Schicksale  hinweg- 
schreitet; „denn  wenn  die  Gerechtigkeit  untergeht,  hat  es  keinen 
Zweck  mehr,  daß  Menschen  auf  Erden  leben". ^  Wenn  Kant  über 
die  entscheidende,  ungelöste  Frage,  inwiefern  denn  der  irdische  Staat 
zum  Richter  ewiger  Gerechtigkeit  berufen  und  die  Übertretung  positiver 
Gesetze  in  jedem  Fall  der  Verletzung  wahren  Rechts  gleichzuachten 
sei,  ohne  Bedenken  hinwegglitt,  so  lag  hierin  offenbar  eine  ihm  selbst 
unbewußte  Nachwirkung  jener  naturrechtlichen  Tradition,  für  welche 
die  geltenden  positiven  Gesetze  nur  die  unvollkommene  Form  des 
ewig  gültigen,  in  der  Vernunft  offenbarten  Rechts  waren. 

Nur  von  der  Erkenntnis  dieser  Bruchstelle  der  Kantischen  Straf- 
rechtsphilosophie aus  vermag  man  der  Bedeutung  der  Feuerbachschen 
Strafrechtstheorie  in  ihrem  Verhältnis  zu  Kants  Vergeltungslehre 
gerecht  zu  werden.  Er  gab  jener  rechtlichen  Vergeltungstheorie,  die 
straft,  nur  weil  das  Gesetz  übertreten  ist,  das,  was  ihr  bei  Kant 
fehlte:  die  Rechtfertigung  durch  ihre  Verbindung  mit  dem 
Zweckgedanken. ^     Indem   die   Strafe   nur  verhängt  wird,   weil   das 


^  Metaphysik  der  Sitten.  Äkademie-Äusgabe  Bd.  VI,  S.  318  f.,  Cassirer 
Bd.  VII,  S.  125. 

'  Über  die  innere  Beziehung  zwischen  absoluter  Strafrechtstheorie 
und  „  überindividualistischer ",  „  transpersonaler "  Staatsauffassung  vgl.  G, 
Radbruch,  Die  politische  Prognose  der  Strafrechtsreform.  ÄschaHenburgs 
Monatsschrift  V,  S.  1  ff.  Derselbe,  Einführung  in  die  Rechtswissenschaft, 
Leipzig  1910,  S.  49,  sowie  Grundzüge  der  Rechtsphilosophie,  Leipzig  1914, 
S.  125.  —  Radbruch  bezeichnet  das  Verhältnis  der  Vergeltungslehre  Kants 
zu  seiner  —  in  obiger  Darstellung  in  normativem  Sinne  verstandenen  — 
individualistischen  Staatslehre  als  „ungelöstes  Problem".  (Äschaffenburg  V, 
S.  3,  Änm.  1.) 

^  Metaphysik  der  Sitten.  Äkademie-Äusgabe  Bd.  VI,  S.  332,  Cassirer 
Bd.  VII,  S.  139. 

*  Weniger  glücklich  war  Ed.  Henkes  Versuch  einer  „Versöhnung" 
der  Strafrechtstheorien,  indem  er  die  absolute  Vergeltungsstrafe  mit  dem 
Gedanken  der  Besserung  des  Verbrechers  in  Verbindung  bringen  wollte, 
ohne    damit    irgendwelchen    pädagogischen    Erwägungen    Einfluß    auf    die 


95 

Gesetz,  das  sie  androht,  verletzt  ist,  das  Gesetz  sie  aber  androht, 
damit  keine  Rechtsverletzungen  begangen  werden,  behält  die  Strafe 
ihren  absoluten,  durch  Nützlichkeitserwägungen  nicht  zu  beeinflussenden 
Vergeltungscharakter  —  und  dient  doch  kriminalpolitischer  Zweck- 
mäßigkeit. Am  stärksten  hat  Reinhold  Köstlin  dieses  Verdienst  der 
Lehre  Feuerbachs  gerühmt,  in  dem  er,  „wenn  er  gleich  oder  vielmehr 
gerade  weil  er  die  Feuerbachsche  Lehre  für  eine  in  ihrer  TotaHtät 
schneidend  einseitige  und  unwahre  erkennt,  gleichwohl  den  kühnen 
und  großartigen  Begründer  einer  neuen  Epoche  für  die  Philosophie 
des  Strafrechts"  grüßte.  Feuerbach  war  es,  der  nach  Köstlins  Meinung 
mit  der  Theorie  vom  psychologischen  Zwang  das  punctum  saliens  in 
der  kriminalistischen  Bedeutung  der  kritischen  Philosophie  traf  und  „die 
wahre  Konsequenz  der  Kantischen  Gedanken  energisch  aussprach  und 
zum  System  ausführte".^  In  der  Tat  wird  der  Rigorismus  des  Kanti- 
schen Vergeltungsstrafrechts  erst  in  der  durch  Feuerbach  gewiesenen 
irdischen  Zweckbestimmung  erträglich.  Auf  Erden  eine  staatliche  Ord- 
nung an  überirdische  Gesetze  zu  binden,  übersteigt  die  menschlicher 
Natur  weise  gesetzten  Grenzen  und  führt,  wie  die  blutige  Geschichte 
chiliastischer  Träume  bisher  vergebens  gelehrt  hat,  zu  einem  er- 
schreckenden Höllensturz  in  nackte  Gewalt.  Glaubte  Kant,  die 
unverlierbare  Würde  der  menschlichen  Persönlichkeit  nimmermehr 
irdischer  Zweckbestimmung  unterordnen  zu  dürfen,  so  führte  gerade 
ihn  sein  Dogma  von  der  absoluten  Strafgerechtigkeit,  die  souverän 
über  Leben  und  Schicksal  des  empirischen  Trägers  der  menschlichen 
Persönlichkeit  hinwegschreitet,  zu  dem  Pharisäerwort,  mit  dem  seit  je 
das  Recht  des  Gewissens  dogmatischem  Fanatismus  und  die  Persön- 
lichkeit des  Einzelnen  mißverstandener  Staatsräson  geopfert  wurde: 
„Es   ist    besser,    daß    ein   Mensch    sterbe,    als    daß    das   ganze  Volk 


Gestaltung  der  moralischen  Vergeltungsstrafe  zuzubilligen.  Er  scheut  sich 
nicht  zu  sagen,  „so  sehr  die  gegenwärtigen  Stimmiührer  in  der  Rechts- 
wissenschaft auch  hohnlächeln  werden,  daß  die  Trennung  des  Rechts  von 
der  Moral,  worauf  man  sich  in  unseren  Tagen  so  viel  zugute  tut,  eine 
schmachvolle,  bis  in  den  Grund  verderbliche  sei,  welche  die  Rechtswissen- 
schaft zu  ewigem  Tode  verdammt".  Über  den  Streit  der  Strafrechtsschulen. 
Regensburg  1811.     S.  67  f. 

'  R.  Köstlin,  Neue  Revision  der  Grundbegriffe  des  Kriminalrechts. 
Tübingen  1845.  S.  2  und  3.  Vgl.  auch  S.  804—819.  —  Neuerdings  wird 
diese  Bedeutung  des  Verhältnisses  zwischen  Kant  und  Feuerbach  hervor- 
gehoben bei:  E.  Baumgarten,  Das  Recht  der  Persönlichkeit  und  der 
Zweckgedanke  in  Theorie  und  Praxis  des  deutschen  Strafrechts  . . .  Tübinger 
Diss.  1907.  S.  95,  116  f.  —  Döring,  Feuerbachs  Straftheorie  und  ihr 
Verhältnis  zur  Kantischen  Philosophie.  Kant- Studien,  Erg.-Heft  3.  Berlin 
1907.  S.  47.  —  Landsberg,  Geschichte  der  deutschen  Rechtswissenschaft 
3,  IL    Berlin  und  München  1910.    Noten  S.  62,  Nr.  23. 


96 

verderbe!"^  Verbietet,  wie  uns  Kant  gelehrt  hat,  die  Achtung  vor 
der  Persönlichkeit  im  Verbrecher,  jede  irgendwie  nützliche  Maßregel 
ihm  gegenüber  durch  den  bloßen  Hinweis  auf  ihre  Zweckmäßigkeit 
zu  rechtfertigen,  so  hat  Kant  selbst  in  grotesker  Überspannung  jener 
Lehre  verkannt,  daß  die  Strafe,  die  irdische  Richter  über  Menschen 
verhängen,  ihre  Legitimation  nur  in  ihrer  sozialen  Brauchbarkeit  finden 
kann.^  So  heißt  es  schon  bei  Hugo  Grotius:  Sed  haec  in  hominibus 
punientibus  vera  sunt:  nam  homo  ita  homini  alteri  ipsa  consanguinitate 
alligatur,  ut  nocere  ei  non  debeat  nisi  boni  alicuius  consequendi  causa. 
In  deo  alia  res  est  .  .  .^ 

Erscheint  so  die  Feuerbachsche  Strafrechtstheorie  für  die  fruchtbare 
Ausgestaltung  Kantischer  Gedanken  von  entscheidender  Bedeutung,  so 
verdankt  sie  selbst  wiederum  ihren  engen  Beziehungen  zu  Elementen 
der  kritischen  Philosophie  einen  guten  Teil  ihres  eigenen  Ansehens 
und  Einflusses.  Darüber  hinaus  hat  diese  Annäherung  an  Kant  ganz 
allgemein  Feuerbachs  kriminalistisches  Denken  beeinflußt  und  dazu 
beigetragen,  daß  die  mit  so  unvergleichlichem  jugendlichem  Feuer 
vorgetragenen  fortschrittlichen  Ideen  alsbald  zu  einer  neuen  Stärkung 
der  Autorität  des  absoluten  Staates  und  zu  einer  Erstarrung  in 
dogmatischer  Enge  führten.  Die  rücksichtslose  Härte  des  von  ihm 
befürworteten  Strafensystems,  in  dem  in  steigendem  Maße  infamierend 
wirkende  Freiheitsstrafen  und  als  Krönung  die  Todesstrafe  eine  uner- 
bittliche Stufenleiter  scharf  differenzierter  Strafgrößen  bildeten,  erscheint 
wie  eine  Konkretisierung  des  Kantischen  Vergeltungsgedankens.  Wenn 
er  hier  gerade  diejenigen  enttäuschte,  in  deren  Reihen  er  selbst  einst 
in  starker  Begeisterung  für  die  Gedanken  der  Aufklärung  erglühte, 
wenn  er  sich  selbst  später  dem  Eindruck  der  Aussichtslosigkeit  und 
Härte  des  neu  geschaffenen  Strafensystems  nicht  entziehen  konnte, 
so  mag  er  sich  im  Sinne  Kants  mit  dem  Hinweis  abgefunden  haben, 
daß  der  Wert  der  Strafe  unabhängig  von  ihrem  Nutzen  für  den 
Bestraften  sei. 

Einer  wirksamen  Fortbildung  des  Gedankens,  das  Vergeltungs- 
strafrecht Kants  der  Doktrin  von  der  gesetzlichen  Zwangstheorie  dienst- 
bar zu  machen,  stand  Feuerbachs  Dogma  von  der  radikalen  Trennung 
rechtlicher  und  moralischer  Beurteilung  entgegen.    Schon  früh  hat  sich 


^  Metaphysik  der  Sitten.  Äkademie-Äusgabe  Bd.  VI,  S.  331  f.,  Cassirer 
Bd.  VII,  S.  139. 

^  Liepmann,   Einleitung  in  das  Strafrecht  S.  199. 

'  De  iure  belli  ac  pacis  libri  tres.  Lib.  II,  cap.  XX,  §  IV,  2.  —  Vgl. 
als  Gegenstück  zu  der  Überspannung  des  individualistischen  Prinzips  bei 
Kant:  Georg  Jellinek,  Die  sozialethische  Bedeutung  von  Recht,  Unrecht 
und  Strafe  2.  ÄuH.    Berlin  1908.    S.  105  ff. 


97 

die  Erkenntnis  Bahn  gebrochen,  daß  Feuerbachs  Strafrecht  dadurch, 
daß  es  in  der  Zurechnung  zum  Verbrechen  ausschließlich  krimina- 
listischen Gesichtspunkten  folgte  und  allgemeingültige  ethische 
Werturteile  zugunsten  des  Maßstabes  der  kriminellen  Gefährlichkeit 
unberücksichtigt  ließ,  sich  des  besten  Teils  seiner  Wirkungskraft 
beraubte.  Thibaut,  der  Zivilrechtler,  gleich  Feuerbach  von  der  Über- 
zeugung durchdrungen,  „daß  ein  vernünftiges  Kriminalrecht  nur  allein 
von  dem  Hauptgrundsatz  der  Nötigung  durch  psychologischen  Zwang 
ausgehen  kann",  tadelte  sein  System,  weil  es  nicht  „der  gemeinen 
Meinung  etwas  nachgibt"  und,  indem  es  herrschenden  Werturteilen 
entgegengesetzt  ist,  den  Delinquenten,  den  es  bestraft,  als  Märtyrer 
erscheinen  läßt.  Denn  „gegen  die  herrschende  Meinung  strafen, 
ist  keine  Wohltat,  sondern  vielmehr  eine  der  Nation  selbst  zugefügte 
Strafe,  ein  aufgedrungenes  verhaßtes  Glück  und  insofern  ein  Gegen- 
stand, worauf  die  Rechte  und  Verbindlichkeiten  des  Regenten  nur  in 
sehr  wenig  Fällen  gerichtet  sein  können".^  So  hat  der  bedeutendste 
Versuch,  Feuerbachs  Lehre  von  der  psychologischen  Wirkung  der 
gesetzlichen  Strafdrohung  fortzuentwickeln,  zu  einer  Umbildung  gerade 
dieser  Seite  seiner  Theorie  geführt,  indem  man  das  Hauptgewicht 
weniger  auf  die  Abschreckung  der  sinnlichen  Triebfeder,  als  auf  den 
Appell  an  das  moralische  Gewissen  legte:  Bauers  Warnungstheorie. 
Bauer,  der  freilich  keineswegs  „dem  unverwelklichen  Lorbeerkranze 
Feuerbachs,  welchem  auch  ich  so  sehr  viel  schuldig  bin,  undankbarer- 
weise auch  nur  das  kleinste  Blättchen  entreißen  wollte",^  sah  in  der 
gesetzlichen  Strafdrohung  nicht  nur  eine  Abschreckung  mit  sinnlichen 
Übeln,  sondern  eine  ernste  Mahnung,  die  sich  an  Pflichtgefühl  und 
Besonnenheit  richtet  und  darum  ihre  beste  Kraft  aus  der  Überein- 
stimmung mit  den  Normen  des  sittlichen  Verhaltens  schöpfen  muß. 
„Die  warnende  Stimme  des  Gesetzgebers  will  durch  die  Vorstellung 
des  mit  der  Handlung  verknüpften  Strafübels  dem  Menschen  außer 
den  Beweggründen  der  Sittlichkeit,  des  Rechts,  der  Religion  und  der 
Ehre  noch  einen  wichtigen  Abratungsgrund  mehr  geben  und  ihm 
dadurch  die  pflichtmäßige  Beherrschung  seiner  sinnlichen  Antriebe 
erleichtern."'^ 

Sieht    man    von    der    speziellen    Prägung    des    Feuerbachschen 
Gedankens    ab,    nach    dem    die    Wirkung    der    Sb-afe    sich    in    der 


^  Änton  E.  J.  Thibaut,  Beiträge  zur  Kritik  der  Feuerbachschen  Theorie 
über  die  GrundbegriHc  des  peinlichen  Rechts.    Hamburg  1802.    S.  24  u.  100  f. 

^  Ä.  Bauer,  Noch  ein  Wort  über  die  Straftheorien,  Äbhandl.  aus  dem 
Strafrecht  u.  Strafprozeß  Bd.  I.    Göttingen  1840.    S.  1  ff.,  S.  118. 

'  R.  Bauer,  Die  Warnungstheorie  nebst  einer  Darstellung  und  Beur- 
teilung aller  Straf rcchtstheorien.    Göttingen  1830.    S.  38. 


98 

Abschreckung  durch  die  gesetzliche  Strafdrohung  erschöpfen  soll, 
so  bleibt  aus  der  Verbindung  Feuerbachscher  Ideen  mit  der  Ver- 
geltungslehre Kants  der  Kern,  daß  die  Vergeltungsstrafe  ihre 
Rechtfertigung  in  ihrer  Bedeutung  für  die  Generalprävention 
findet.  Der  Vergeltungsidee,  so  wie  sie  sich  bei  Feuerbach  findet, 
als  reiner  Rechtsvergeltung,  für  die  das  Recht  sich  allein  seinen 
eigenen  Maßstab  schafft,  wird  diese  Bedeutung  nur  derjenige  zusprechen, 
der  in  der  Tendenz  des  Rechts,  sich  in  seiner  Geltung  mehr  und  mehr 
von  anderen  Werten  zu  isolieren,  den  Grundwert  des  Rechts  sieht 
und  der  These  huldigt,  die  Rechtswidrigkeit  einer  Handlung  gründe 
sich  unabhängig  von  ihrem  inneren  sozialen  und  kulturellen  Unwert 
allein  darauf,  daß  sie  vom  Staat  verboten  sei/  Aus  dieser  formalen 
Rechtsidee  heraus,  die  zu  einer  einseitigen  Überspannung  des  Rechts- 
positivismus führen  müßte,  hat  Richard  Schmidt  aufs  neue  auf  die 
Bedeutung  Feuerbachs  verwiesen,  der  „die  einzelne  Bestrafung  zur 
Einzelanwendung  eines  die  Autorität  der  Rechtsordnung  sichernden 
Vergeltungsprinzips  erhob,  das  sich  die  Rechtsordnung  zu 
ihrer  eigenen   Sicherung   selbst  geschaffen   hatte"." 

Was  aber  schon  Thibaut  und  Bauer  der  psychologischen  Zwangs- 
theorie im  speziellen  entgegengehalten  hatten,  gilt  auch  in  dem  all- 
gemeineren Zusammenhang:  einer  wirkungsvollen  Generalprävention 
vermag  ein  Vergeltungsstrafrecht  nur  dann  zu  dienen,  wenn  es  den 
Feuerbachschen  Gedanken  strengster  Isolierung  rechtlicher  und  ethischer 
Werturteile  aufgibt.  Rdolf  Merkels  Untersuchungen  haben  die  Be- 
ziehungen zwischen  Zweckgedanken,  rechtlicher  Vergeltung 
und  ethischen  Werturteilen  deutlich  herausgestellt.  „Vergeltungs- 
strafe ist  Zweck  strafe  und  mißt  sich  an  den  Bedingungen  ihres 
Zweckes."^  „Überall  ist  es  aber  für  die  Erreichung  der  staatlichen 
Zwecke  wichtig,  daß  die  Art  ihrer  Verfolgung  nicht  dem  Gerechtig- 
keitssinne des  Volkes  widerstreite."  Gerechtigkeit  bedeutet  „die 
Wahrheil  der  in  unseren  Handlungen  zu  praktischem  Ausdruck 
gelangenden  Urteile".  Bei  der  Rechtsstrafe  kommt  es  dabei  auf  eine 
dreifache   Wahrheit    an:    auf    die    richtige    Entscheidung    der    quaestio 


'■  Vgl.  K.  Bin  ding,  Grundriß  des  gemeinen  deutschen  Strafrechts  I, 
Einl.  und  allgem.  Teil.  5.  Aufl.  Leipzig  1897.  S.  58  f.  —  E.  Bcling,  Lehre 
vom  Verbrechen.    Tübingen  1906.    S.  145  ff. 

-  Richard  Schmidt,  Die  Aufgaben  der  Straf rechtspflege.  Änselm 
Feuerbach  zum  Gedächtnis.  Leipzig  1895.  S.  65.  (Im  Original  gesperrt!)  — 
Als  weitere  moderne  Apologie  Feuerbachscher  Lehren,  hier  mit  stärkerer 
Betonung  des  psychischen  Zwanges  im  Gegensatz  zu  eigentlichen  Vergeltungs- 
theoricn,  sei  erwähnt:  A.  Coendcrs,  Richtlinien  aus  den  Lehren  Feuerbachs 
für  die  moderne  Strafrechtsform.    Tübingen  1914. 

'  Merkel-Liepmann,  Lehre  von  Verbrechen  und  Strafe  S.  212. 


99 

facti,  auf  die  richtige  Subsumtion  der  Tat  unter  das  Gesetz  und  neben 
solcher  faktischen  und  juristischen  Wahrheit  des  Urteils  auf  die 
„ethische  Wahrheit  des  Gesetzes,  das  die  Strafe  androht,  das  ist: 
auf  die  Übereinstimmung  desselben  mit  den  herrschenden 
ethischen  Anschauungen  und  Werturteilen".^  Finden  doch, 
wie  Merkel  in  anderem  Zusammenhang  ausführte,  die  Rechtsnormen 
für  ihre  verpflichtende  Kraft  ihre  stärkste  Stütze  in  dem  „Bündnis 
mit  den  im  Volke  lebenden  moralischen  Kräften",  während  es  um- 
gekehrt „kein  moralisches  Ansehen  für  das  Recht  und  demgemäß 
keine  verpflichtende  Kraft  seiner  Vorschriften  gibt,  welche  von  seinem 
Einklang  mit  den  im  Volke  sich  geltend  machenden  moralischen 
Kräften  unabhängig  wäre"." 

Hat  somit  das  Streben  Feuerbachs  nach  einer  ethisch  indifferenten, 
rein  kriminalistischen  Zurechnungslehre  ihm  den  Blick  für  den  tieferen 
Sinn  der  kriminalpolitischen  Bedeutung  der  Vergeltungsidee  getrübt,  so 
hat  er  den  Wert  eines  solchen  Strafrechts  als  Garantie  des  Rechts- 
staatsprinzips um  so  klarer  erkannt.  Lag  doch  seinem  Kampf  gegen 
Grolmans  Präventionsrecht  die  Einsicht  zugrunde,  daß  das  Vergeltungs- 
recht, in  dem  nach  fester  Regel  einem  Kanon  bestimmter  Tatbestände 
ein  System  gesetzlich  normierter  Strafgrößen  entspricht,  ein  Damm 
gegen  willkürliche  Ausdehnung  staatlicher  Strafgewalt  sein  und  damit 
zum  Eckstein  bürgerlicher  Freiheit  werden  kann.'' 

Aus  dem  Begriff  der  Strafe  als  eines  allgemein  angedrohten 
Übels,  mit  dem  Feuerbach  zugleich  dem  Vergeltungsgedanken  wie  den 
Forderungen  kriminalpolitischer  Zweckmäßigkeit  zu  entsprechen  glaubte, 
suchte  er  das  Wesen  der  Zurechnungsfähigkeit  zu  bestimmen.  In 
jedem  Strafgesetz  kommt  nach  Feuerbachs  Theorie  der  Wille  des  Gesetz- 
gebers zum  Ausdruck,  daß  durch  die  Vorstellung  eines  bestimmten 
Übels  jeder,  der  eine  Neigung  zu  einer  Rechtsverletzung  hat,  von  der 
Verwirklichung  seiner  verbrecherischen  Absichten  abgeschreckt  wird. 
Soll   der  Richter   nach   dem  Willen   des   Gesetzgebers   die  Strafbarkeit 


'  Ebendort  S.  228. 

-  R.  Merkel,  Elemente  der  allgem,  Rechtslehre.  In:  Holtzendorffs 
Enzyklopädie  der  Rechtswissenschaft  5.  Äull.  Leipzig  1890.  Bd.  I,  S.  12  f. 
Vgl.  auch  desselben  Juristische  Enzyklopädie.    Berlin-Leipzig  1885.    S.  13. 

"  Siehe  oben  Kap.  II,  S.  50  f.  —  Vgl.  die  Polemik  Merkels  gegen  die 
Gefahren  des  symptomatischen  Verbrechensbegriffs.  Merkel-Liepmann,  a.  a.  O, 
S.321,  und  ähnlich  Richard  Schmidt,  a.a.O.  S.  134  ff.  Als  Beispiel  dafür, 
daß  auch  vom  Boden  des  modernen  Sicherungsrechts  aus  an  eine  einseitige 
Überspannung  des  Präventionsgedankens  nicht  gedacht  werden  darf,  vgl. 
v.  Liszt,  der  an  der  „Überlieferung  des  Zeitalters  der  Aufklärung", 
der  rechtlichen  Begrenzung  der  staatlichen  Strafgewalt  allzeit  festhielt.  StGB. 
„Magna  Charta  des  Verbrechers"!    Aufsätze  u.  Vorträge  II,  S.60u.  80. 

7* 


100 

einer  Handlung  beurteilen,  so  muß  er  in  gleicher  Weise  wie  der  Gesetz- 
geber vorgehen:  er  muß  diejenige  Strafe  verhängen,  durch  deren 
Androhung  allgemein  ein  dem  speziellen  Verbrecher  entsprechender 
Täter  von  der  gleichen  Handlung  abgeschreckt  werden  kann,  denn 
allein  dies  ist  die  Strafe,  die  das  Gesetz  gemeint  hat.  „Die  Gründe 
der  Strafbarkeit  in  abstracto  sind  zugleich  die  Gründe  der  Strafbarkeit 
in  concreto,  oder  aus  denselben  Gründen,  nach  welchen  der  Gesetz- 
geber die  Strafbarkeit  beurteilt,  nach  denselben  Gründen  muß  sie 
auch  der  Richter  beurteilen."^ 

Jeder  strafrechtlichen  Beurteilung  geht  die  Prüfung  der  Frage 
voraus,  ob  der  Täter  überhaupt  für  sein  Tun  strafrechtlich  verantwort- 
lich zu  machen  ist,  eine  Untersuchung  der  „absoluten  Gründe 
der  Strafbarkeit",  der  strafrechtlichen  Zurechnungsfähigkeit.  Diese 
Voraussetzungen  strafrechtlicher  Verantwortlichkeit  ermittelt  Feuerbach, 
indem  er  die  Natur  des  Strafgesetzes  analysiert.  Es  können  für  ihn 
nur  solche  Bedingungen  sein,  die  durch  die  Natur  des  Strafgesetzes 
notwendig  bestimmt  sind,  welche  das  Strafgesetz  seinem  Wesen  nach  „in 
der  Person,  welche  es  mit  der  Strafe  bedroht,  notwendig  voraussetzt".^ 
Nach  seiner  Theorie  ist  „absolut  notwendiger  Zweck"  eines  jeden  Straf- 
gesetzes, Verbrechen  durch  Gegenwirkung  gegen  die  rechtswidrigen 
Triebfedern  zu  verhindern,  indem  für  den  Fall  der  Ausführung  des 
Verbrechens  ein  Übel  angedroht  wird.  Wesentlicher  Zweck  des  Straf- 
gesetzes ist  Abschreckung.  Es  ist  nur  für  den  Fall  gegeben,  wo 
es  diesen  Zweck  erreichen,  wo  es  abschrecken  kann,  wo  also  „die 
psychische  Möglichkeit  seiner  Wirksamkeit  zur  Verhinderung  der  Tat 
begründet  ist"."^  Da  die  Strafe  nur  in  dem  Fall  verhängt  werden 
darf,  für  den  sie  angedroht  ist,  so  folgt,  daß  die  Voraussetzungen 
der  strafrechtlichen  Verantwortlichkeit  „diejenigen  Eigenschaften  der 
Person  als  Ursache  der  strafbaren  Handlung  sind,  durch  welche  die 
psychische  Wirksamkeit  des  Strafgesetzes  begründet  ist".^  Damit 
identifiziert  Feuerbach  die  Zurechnungsfähigkeit  mit  Äbschreck- 
barkeit,^  —  nicht  um  durch  die  Bestrafung  den  Bestraften  oder 
vermutliche  künftige  Verbrecher  abzuschrecken,  sondern  um  dem 
Gesetz  zu  entsprechen,  das  nur  diejenigen  mit  Strafe  bedroht,  die 
es    abschrecken    kann.      Um    die    einzelnen    Momente,    welche    die 


'  Revision  I,  S.  196. 

*  Revision  II,  S.  37. 
^  Revision  II,  S.  40. 

*  Revision  II,  S.  41. 

^  Diese  Formulierung  stammt  von  Finger,  Lehrbuch  des  deutschen 
Strafrechts  Bd.  I,  1904,  S.  14.  Von  ihm  hat  sie  G.  Erich  in  Äschaffenburgs 
Monatsschrift  Bd.  X,  S.  385  ff.,  übernommen. 


101 

Rbschreckbarkeit  begründen,  zu  ermitteln,  bedarf  es  einer  Unter- 
suchung über  die  Wirksamkeit  der  gesetzlichen  Strafe.  Das  Straf- 
gesetz will  nach  Feuerbach  durch  die  Erzeugung  von  bestimmten 
Vorstellungen  das  Begehrungsvermögen  beeinflussen.  Soll  die  Vor- 
stellung des  drohenden  Strafübels  mich  von  einer  Handlung  abhalten, 
so  muß  ich  das  Strafgesetz  kennen,  muß  wissen,  daß  die  Handlung 
unter  dies  Strafgesetz  fällt,  und  es  muß  eine  Handlung  sein,  die  aus 
meinem  Begehrungsvermögen  entspringt.  Drei  Momente  sind  es  hier- 
nach, welche  die  Wirkung  des  Strafgesetzes  bedingen  und  infolge- 
dessen Voraussetzungen  der  Verhängung  der  Strafe  sind:  erstens 
Kenntnis  des  Strafgesetzes;  zweitens  Subsumtion  der  Tat  unter  das 
Strafgesetz;  drittens  willentliche  Begehung  der  Tat.  Alle  Menschen, 
bei  denen  diese  Momente  vorausgesetzt  werden  können,  sind  zu- 
rechnungsfähig. Wer  eine  Tat  begangen  hat,  während  diese  Umstände 
bei  ihm  vorliegen,  ist  für  sein  Verhalten  verantwortlich  im  Sinne 
des  Strafrechts.  „Die  Bestimmung  des  Begehrens  zur  Übertretung 
eines  Strafgesetzes  mit  dem  Bewußtsein  der  Übertretung  ist  der 
höchste  und  letzte  Grund  aller  äußeren  Strafbarkeit. "  ^ 

Will  man  in  dieser  Formulierung  die  Bildung  eines  Schuldbegriffs 
erblicken,  so  wäre  eine  Handlung  verschuldet,  wenn  der  Täter  durch 
die  Drohung  des  Strafgesetzes  nicht  gehindert  wurde,  seine  Tat  aus- 
zuführen, obwohl  er  sich  hätte  abschrecken  lassen  können. 

Dieses  Verfahren,  das  Zurechnungsfähigkeit  auf  Hbschreck- 
barkeit  und  Verschulden  auf  Sichnichtabschreckenlassen 
zurückführt,  hat  bereits  bei  Feuerbach  selbst  zu  einer  Reihe  von 
Schwierigkeiten  geführt,  die  ihn  zu  neuen  Konstruktionen  nötigten. 
So  ist  ihm  das  Bewußtsein  der  Rechtswidrigkeit  auch  bei  solchen 
Handlungen  vorhanden,  die  ohne  Überlegung  einem  Affekt,  einer 
momentan  besonders  starken  Regung  entspringen.  „Daß  aber  die 
Bedingung  zur  Strafbarkeit  der  Handlungen  aus  dem  tierischen 
Begehren  (wir  wollen  sie,  um  kurz  zu  sein,  künftig  nicht -willkürliche 
Handlungen  nennen)  in  der  Tat  eintreten  können,  daß  auch  bei  einer 
solchen  Willensbestimmung  das  Bewußtsein  der  Handlung  als  enthalten 
unter  einer  Strafdrohung  möglich  sei,  wird  kein  aufmerksamer  Beob- 
achter, am  wenigsten  der  Psychologe  leugnen  können."'  In  einer 
beispiellosen  Überschätzung  der  psychologischen  Wirkung  des  straf- 
gesetzlichen Verbots  meinte  er,  die  Furcht  vor  der  angedrohten  Strafe 
sei  so  stark,  daß,  wenn  sich  das  Begehren  auf  ein  verbotenes  Tun 
richtet,  die  Phantasie  unmittelbar  die  Vorstellung  des  Verbotes  in  dem 


'  Revision  II,  S.  66. 
"  Revision  II,  S.  161. 


102 

Täter  auf  dem  Wege  der  Ideenassoziation  hervorruft  und  damit  „die 
Vorstellung  der  Strafe  an  die  Vorstellung  der  Tat  knüpft  und  den 
Lockungen  des  Verbrechens,  dem  Stachel  des  gegenwärtigen  Bedürf- 
nisses, welcher  zur  Übertretung  fortreißt,  ihre  künftigen  Drohungen 
gegenüberstellt"/ 

Willentliches  Handeln  umfaßt  nach  Feuerbach  nicht  nur  willkür- 
liches, überlegtes  Tun,  sondern  alles  Handeln,  das  sich  auf  das 
Begehrungsvermögen  zurückführen  läßt,  also  auch  ein  unwillkürliches 
Handeln,  eine  Tat  aus  Leidenschaft  oder  in  Trunkenheit.  Ähnlich  wie 
Stübel  stellt  sich  hier  Feuerbach  die  Schwierigkeit  entgegen,  vom  Stand- 
punkt reiner  Willensschuld  der  Fahrlässigkeit  gerecht  zu  werden. 
Während  beim  vorsätzlichen  Handeln  die  Rechtsverletzung  bewußt 
vom  Täter  bezweckt  ist,  führt  das  fahrlässige  Handeln,  ohne  daß  der 
Täter  das  will,  zu  einem  rechtswidrigen  Erfolge.  Gleichwohl  versucht 
Feuerbach  auch  die  Fahrlässigkeit  als  Willensschuld  zu  konstruieren. 
Bei  einem  fahrlässigen  Verhalten  hat  sich  der  Täter  bereits  vor  der 
Begehung  seiner  eigentlichen  Tat  über  eine  Verbindlichkeit  hinweg- 
gesetzt, eine  obligatio  ad  diligentiam,  welche  ihm  auferlegt,  bei  seiner 
Handlungsweise  vorsichtig  zu  sein,  damit  sie  keine  Rechtsverletzung 
zur  Folge  hat,  und  alle  Handlungen  zu  unterlassen,  „aus  welchen 
ein  gesetzwidriger  Erfolg  nach  Naturursachen  entspringen  kann"." 
In  diesem  Vorstadium  hat  der  fahrlässig  Handelnde  willentlich  und 
vorsätzlich  eine  Verbindlichkeit  übertreten.  Die  Fahrlässigkeit  wird 
damit  erklärt  aus  einem  actus  voluntatis  remotus.'^  Voraussetzung 
ist,  daß  es  dem  Täter  bei  Anwendung  des  schuldigen  Fleißes  möglich 
war,  den  rechtswidrigen  Erfolg  zu  vermeiden.  Ob  das  Maß  des 
schuldigen  Fleißes  ein  objektives  oder  subjektives  sein  soll,  dieses 
Problem  hat  Feuerbach  nicht  berührt.  In  der  objektiven  Ausdehnung 
des  Gebietes  fahrlässigen  Tuns  geht  er  ziemlich  weit.  Sein  Culpa- 
Begriff  umfaßt  einmal  die  Fälle  des  alten  dolus  indirectus,  in  denen 
das  ältere  gemeine  Recht  unbeabsichtigte  Folgen  vorsätzlichen 
Handelns  als  dolose  Rechtsverletzungen  bestrafte.^  Feuerbach  zeigte, 
daß  hier  der  rechtswidrige  Erfolg  nur  fahrlässig  und  allein  die 
gefährdende  Handlung  vorsätzlich   herbeigeführt  sei   und  setzte  darum 


*  Revision  II,  S.  163.  Zu  der  Frage,  wieweit  Feuerbach  selbst  die 
Konsequenzen  aus  dieser  Theorie  zog,  nach  der  Bewußtsein  der  Straf- 
gesetzwidrigkeit zur  Strafbarkeit  gefordert  werden  müßte,  siehe  die 
Ausführungen  unten  Kap.  V. 

^  Revision  II,  S.  64. 

^  Ebendort  II,  S.  53. 

^  Über  die  Entwicklung  dieser  Lehre  siehe  die  Darstellung  unten 
Kap.  IV,  S.  132  ff.  und  155. 


103 

der  alten  Bezeichnung  dolus  indirectus  den  Terminus  culpa  dolo 
determinata  entgegen.^  Gemeint  ist  damit  eine  Idealkonkurrenz 
zwischen  einer  vorsätzlichen  Handlung  und  dem  durch  diese  Handlung 
fahrlässig  herbeigeführten  Erfolg.  Nach  der  anderen  Richtung  hin 
glaubte  er  auch  die  Fälle  unbewußter  Fahrlässigkeit  als  vorsätzliche 
Übertretung  der  allgemeinen  Diligenzpflicht  konstruieren  zu  können. 
Denn  jene  „Verbindlichkeit  zum  gehörigen  Fleiß"  erstreckt  sich  auch 
auf  „innere  Handlungen"  und  verpflichtet  dazu,  das  „Erkenntnis- 
vermögen" anzustrengen,  damit  der  Täter  nicht  aus  mangelndem 
Verständnis  für  die  Tragweite  seiner  Handlungen  Rechtsverletzungen 
begeht!  So  straft  Feuerbach  in  all  den  Fällen  wegen  fahrlässiger 
Begehung  eines  Delikts,  in  denen  die  Rechtsverletzung  eine  Folge 
der  Handlungsweise  des  Täters  ist,  ohne  daß  er  sich  dieser  Möglich- 
keit bewußt  war,  weil  er  sich  keine  genügende  Kenntnis  vom  Gesetz 
verschafft,  weil  er  sich  das  Wesen  der  Handlung  und  ihre  Subsumtion 
unter  das  Gesetz  nicht  genügend  klargemacht  oder  weil  er  etwaige 
Folgen  seiner  Tat  nicht  entsprechend  in  Rechnung  gesetzt  hatte." 
Eine  solche  Konstruktion  der  unbewußten  Fahrlässigkeit  als  willent- 
liche Übertretung  der  allgemeinen  Diligenzpflicht  ist,  wie  Kohlrausch 
gezeigt  hat,  eine  Abkehr  von  dem  Prinzip  der  individuellen  Ver- 
schuldung zugunsten  der  Erfolgshaftung.  Denn  während  hier  die 
Schuld  darin  besteht,  daß  der  Täter  es  unterläßt,  sich  die  zur 
Einhaltung  der  Rechtsordnung  allgemein  erforderlichen  Kenntnisse 
anzueignen  und  sich  somit  auf  die  generelle  Gefährdung  erstreckt, 
ist  die  Strafe  je  nach  dem  speziellen  rechtswidrigen  Erfolg  —  Tod, 
Körperverletzung,  Brandstiftung  usw.  —  verschieden.^ 


*  Gleichwohl  nahm  Feuerbach  genau  wie  die  alte  Doktrin  vom  dolus 
indirectus  an,  wenn  der  Urheber  einer  an  sich  verbrecherischen 
Handlung  sich  der  Folgen  seines  Tuns  bewußt  ist,  seien  ihm  diese  Folgen 
zum  Vorsatz  zuzurechnen.  Kritik  des  Kleinschrodischen  Entwurfs  1804, 
Teil  II,  S.  42  f. 

'^  Betrachtungen  über  dolus  und  culpa  überhaupt  und  den  dolus  indirectus 
insbesondere,  von  D.  Feuerbach,  Bibliothek  f.  d.  peinl.  Rechtswissenschaft 
u.  Gesetzeskunde  Bd.  II,  Göttingen  1800.  S.  193  ff.,  insbesondere  S.  216  ff. 
und  in  bezug  auf  dolus  indirectus  S.  241  ff.  Ausführliche  Darstellung  und 
Würdigung  der  Fahrlässigkeitslehre  Feuerbachs  bei  Fr.  Exner,  Das  Wesen 
der  Fahrlässigkeit.    Wien  1910.    S.  15  f. 

^  E.  Kohlrausch,  Die  Schuld.  In:  Die  Reform  des  Reichsstrafgesetz- 
buchs. Hcrausg.  von  Aschrott  und  v.  Liszt.  Bd.  I,  S.  180  ff.,  vgl.  S.  208  f. 
Binding  nennt  Feuerbachs  Culpa-Begriff  „eine  der  interessantesten 
Verwirrungen  des  auch  in  seinen  Irrtümern  der  großen  Ein- 
wirkungen auf  die  Geister  sicheren  Genies".  Normen  IV,  1. 
Leipzig  1919.     S.  217. 


104 

Sind  jene  drei  Momente,  Kenntnis  des  Gesetzes,  Subsumtion 
und  willentliche  Begehung  der  Tat  gegeben,  so  hat  der  Richter  die 
Handlung  dem  Täter  zum  Verbrechen  zuzurechnen.  Verstößt  der 
Täter  gegen  ein  Gesetz  mit  absolut  bestimmter  Strafdrohung,  so  hat 
der  Richter  diese  Strafe  zu  verhängen,  ist  ihm  ganz  oder  innerhalb 
eines  Strafrahmens  freie  Hand  im  Ausmaß  gelassen,  so  bedarf  er 
eines  Prinzips  für  die  Bemessung  der  Strafbarkeit,  für  die  relativen 
Strafbarkeitsgründe.  Aber  auch  in  diesen  Fällen  ist  der  Richter 
an  das  Gesetz  gebunden.  Er  darf  nur  das  aussprechen,  was  im 
Willen  des  Gesetzgebers  liegt;  das  Prinzip,  nach  dem  das  Maß  der 
strafrechtlichen  Verantwortlichkeit  des  Einzelnen  zu  beurteilen  ist, 
muß  nach  Feuerbach  aus  der  generellen  gesetzlichen  Strafdrohung 
abgeleitet  werden.  Das  Strafgesetz  soll  durch  die  Androhung  eines 
Übels  die  Bürger  von  möglichen  Rechtsverletzungen  abhalten,  die  in 
dieser  Möglichkeit  liegende  Gefahr  abwenden.  Läßt  der  Gesetz- 
geber den  Strafrahmen  offen,  so  will  er  gleichwohl  für  den  Einzelfall 
nicht  mehr  und  nicht  weniger  an  Übeln  in  Aussicht  stellen,  als  zur 
Abwendung  der  durch  eine  solche  Tat  begründeten  Gefahr  erforderlich 
ist.  Will  der  Richter  also  die  Höhe  der  Strafe  im  Sinne  des  Gesetz- 
gebers bestimmen,  so  muß  sein  Maßstab  für  die  Festsetzung  der  Strafe 
die  Gefährlichkeit  der  Handlung  sein.  Nicht,  um  dadurch  auf  den 
Täter  in  besonderer  Weise  einzuwirken,  sondern  wiederum  nur,  um 
auf  diese  Weise  diejenige  Strafgröße  zu  ermitteln,  welche  der  Gesetz- 
geber für  die  der  konkreten  Tat  entsprechenden  Fälle  angedroht  hat. 
Die  Strafbarkeit  einer  Handlung  ist  daher  um  so  größer,  je  größer  die 
durch  sie  für  den  rechtlichen  Zustand  begründete  Gefahr  ist.  Eine  Strafe 
ist  rechtmäßig,  „wenn  ohne  ihre  Androhung  jene  Gefahr  nicht  abgewendet 
werden  kann,  wenn  sie  also  mit  der  Größe  der  Gefahr  in  einem 
richtigen  Verhältnis   steht". ^ 

Indem  Feuerbach  die  Gefährlichkeit  des  verbrecherischen 
Verhaltens  zur  Grundlage  der  strafrechtlichen  Beurteilung  machte, 
stimmte  er,  was  er  selbst  nicht  leugnen  konnte,  im  Grunde  doch 
wieder  mit  Grolmans  Präventionstheorie  überein. ^  Das  zeigt  sich  am 
stärksten  bei  der  Behandlung  der  subjektiven  Momente,  aus  denen 
die  kriminelle  Gefährlichkeit  geschlossen  werden  soll.  Nicht  anders 
wie  für  Grolman  handelt  es  sich  hier  um  die  Frage  nach  der  Gefahr 
künftiger  Rechtsverletzungen.  Da  es  für  Feuerbach  darauf  ankam, 
ein  Strafübel  zu  bestimmen,  durch  dessen  Androhung  determinierend 
auf  den  Täter  eingewirkt  werden  sollte,  so  hätte  er  konsequenterweise 


'  Revision  II,  S.  204. 

-  Revision  II,  S.  208  und  440. 


105 

die  Gefährlichkeit  ausschließlich  nach  der  Persönlichkeit  des  Täters 
bestimmen  müssen,  der  abgeschreckt  werden  soll.  Indessen  wird  man 
diese  Folgerung  bei  Feuerbach  vergeblich  suchen.  Vielmehr  berück- 
sichtigt er  neben  der  Gefährlichkeit  des  Täters  die  Schwere 
der  Tat  und  ihre  gefährlichen  Folgen  für  die  Rechtsordnung.  Hierin 
kommt  wiederum  die  enge  Beziehung  seiner  Straftheorie  zum  Vergel- 
tungsgedanken und  sein  tiefes  Mißtrauen  gegen  ein  reines  Sicherungs- 
strafrecht zum  Ausdruck,  das  die  strafrechtliche  Ahndung  allein  nach 
der  Prognose  für  die  künftige  Haltung  des  Täters  bemißt,  zum  Ausdruck. 
Die  symptomatische  Verbrechensauffassung  Grolmans,  der  auch 
die  objektive  Erscheinung  des  Verbrechens  lediglich  ein  Indiz  für  die 
Wahrscheinlichkeit  künftiger  Rechtsverletzungen  des  Täters  ist,  verwirft 
er  darum  auch  an  dieser  Stelle.  „Die  Wahrscheinlichkeit  kann  bei 
Hochverrat  und  dem  Falsum  gleich  groß  sein.  Sind  darum  Hochverrat 
und  Falsum  gleich  strafbar?"^ 

Nach  Feuerbach  bemißt  sich  die  objektive  Beurteilung  der 
Gefährlichkeit  des  verbrecherischen  Verhaltens  nach  der  Bedeutung 
des  verletzten  Rechts  für  das  Staatsganze.  Das  setzt  eine 
Klassifikation  der  Rechte  nach  ihrem  sozialen  Wert  voraus.  Hier 
folgte  Feuerbach  naturrechtlicher  Denkweise,  indem  er  versuchte,  die 
einzelnen  abstrakten  Verbrechensbegriffe  nach  a  priori -Gesichtspunkten 
zueinander  in  ein  bestimmtes  Wertverhältnis  zu  bringen."  An  die 
Spitze  stellte  er  diejenigen  Rechte,  welche  für  die  Existenz  des  Staates 
unumgänglich  notwendig  sind.  In  dieser  Beziehung  sind  die  schwersten 
Delikte  ein  unmittelbarer  Angriff  auf  die  Existenz  des  Staates  selbst: 
Hochverrat,  eine  Tat  gegen  die  Ausübung  des  staatlichen  Herrschafts- 
rechtes :  Rebellion,  und  eine  Verletzung  des  Anspruchs  auf  Anerkennung 
der  Würde  des  Staates:  Crimen  laesae  majestatis.  An  zweiter  Stelle 
stehen  Privatrechte,  wobei  Privatrechte  des  Fiskus  und  der  Krone 
denen  anderer  Personen  im  Werte  voranstehen.  Unter  den  Privat- 
rechten stehen  am  höchsten  die  ursprünglichen  Rechte  auf  Leben,  auf 
Gesundheit  und  freien  Gebrauch  des  Körpers  und  der  geistigen  Kräfte. 
Dann  kommen  die  erworbenen  Rechte:  Eigentum  und  vertraglich 
begründete  Ansprüche  auf  Leistungen,  und  an  letzter  Stelle  steht 
wiederum   ein   ursprüngliches  Recht:   der  Anspruch   auf  äußere  Ehre. 

'  Revision  II,  S.  208  f.  —  Über  diese  Inkonsequenz  bei  Feuerbach  siehe 
O.  Tesar,  Die  symptomatische  Bedeutung  des  verbrecherischen  Verhaltens. 
V.  Liszts  Seminarabhandlungen  Neue  Folge  V,  3,  S.  237.  —  Bemerkens- 
wert ist,  daß  A.  Bauer  Feuerbach  vorwarf,  er  beurteile  das  verbrecherische 
Verhalten  allzu  streng  nach  der  Stärke  der  sinnlichen  Triebfeder  und  berück- 
sichtige dabei  zuwenig  die  objektive  Bedeutung  der  Tat.  Die  Warnungs- 
theorie.   Göttingen  1830.    S.  125. 

-  Locning,  Z.  Str.  W.  Bd.  3,  S.  304. 


106 

Geringer  als  eine  Verletzung  dieser  Rechte  ist  ein  Polizeivergehen  zu 
bewerten.  Dieses  ist  eine  Handlung,  deren  Unterlassung  die  Zwecke 
des  Staates  nicht  bedingt,  sondern  lediglich  erleichtert,  und  die  nur 
durch  das  staatliche  Verbot  von  einer  indifferenten  Handlung  zur 
Rechtsverletzung  wird.  Bei  der  Beurteilung  der  Gefährlichkeit  der 
Rechtsverletzung  und  ihrer  Strafbarkeit  kommt  es  ferner  auf  die  Art 
und  Weise  an,  wie  die  Tat  bewirkt  ist.  Bei  derselben  Tat  ist  der 
Anstifter  strafbarer  als  der  Täter,  weil  er  der  gefährlichere  ist.  Denn 
der  Täter  hätte  nicht  ohne  Einfluß  des  Anstifters  gehandelt,  der 
Anstifter  aber  hätte,  wenn  dieser  Täter  nicht  zur  Ausführung 
geschritten  wäre,  andere  Mittel  gefunden,  um  den  Erfolg  herbei- 
zuführen. Als  Mittel  zur  Anstiftung  ist  am  gefährlichsten  und  daher 
am  meisten  strafbar:  Drohung  und  Zwang,  danach  Befehl,  dann  Rat, 
in  dem  auch  eine  Art  Zwang  liegen  kann  und  am  wenigsten  Auftrag. 
Der  Gehilfe  ist  weniger  strafbar  als  der  Urheber.  Die  Abgrenzung 
von  Mittäterschaft  und  Beihilfe  geschieht  sowohl  nach  subjektiven 
als  nach  objektiven  Gesichtspunkten.  Der  Mittäter  hat  den  Willen, 
unmittelbar  das  Gesetz  zu  übertreten,  während  der  Wille  des  Gehilfen 
auf  Unterstützung  des  Urhebers,  also  nur  auf  eine  mittelbare  Rechts- 
verletzung gerichtet  ist.  Jener  setzt  eine  „positiv  wirkende  Ursache", 
dieser  eine  bloße  „conditio  sine  qua  non".^  Unter  mehreren  Gehilfen 
ist  der  socius  principalis,  ohne  den  die  Tat  nicht  geschehen  konnte, 
gefährlicher  als  der  den  Erfolg  lediglich  befördernde  socius  minus 
principalis.  Schließlich  ist  der  Versuch  als  eine  Handlung,  welche 
unmittelbar  auf  Hervorbringung  eines  rechtswidrigen  Erfolges  gerichtet 
ist,  ohne  daß  dieser  Erfolg  erzielt  wurde,  weniger  gefährlicher  als  das 
vollendete  Delikt.  Innerhalb  des  Versuches  werden  verschiedene 
Grade  der  Strafbarkeit  nach  der  Gefährlichkeit  abgestuft,  d.  h.  nach 
der  Wahrscheinlichkeit  der  Vollendung  des  Verbrechens,  auf  das  der 
Verbrecher  bei  der  Versuchshandlung  hinzielt. 

Ungleich  wichtiger  sind  die  Momente,  welche  in  der  Persönlichkeit 
des  Täters  liegen,  die  subjektiven  Gründe  der  relativen  Strafbarkeit. 
Gerade  hier  zeigt  die  kriminalistische  Zurechnungslehre  Feuerbachs 
ihren  Gegensatz  zu  einer  Beurteilung  der  Schuld  des  Täters.  Auch 
hier  handelt  es  sich  ihm  darum,  diejenige  Strafgröße  zu  ermitteln, 
die  zwar  nicht  ausdrücklich  vom  Gesetzgeber  angegeben  ist,  die  sich 
aber  gleichwohl  aus  der  gesetzlichen  Strafdrohung  notwendig  ergibt. 
Die  gesetzliche  Strafdrohung  will  determinierend  auf  die  sinnliche 
Triebfeder  wirken,  indem  sie  dem  verbrecherischen  Motiv  die  Vor- 
stellung eines  Übels  assoziiert.  Soll  diese  entscheidenden  Einfluß 
ausüben  können,   so  muß  sie  sich  der  Stärke  des  Verbrechensmotivs, 

'  Revision  II,  S.  263. 


107 

der  Größe  der  durch  dieses  begründeten  Gefahr  anpassen.  Maßgebend 
für  den  Umfang  strafrechtlicher  Verantwortlichkeit  ist  daher  die  Stärke 
der  zum  Verbrechen  drängenden  sinnlichen  Triebfeder.  „Die 
Gefahr  künftiger  Rechtsverletzungen  ist  um  so  größer,  je 
stärker,  herrschender  und  fester  die  sinnlichen,  zum  Ver- 
brechen hindrängenden  Triebfedern  sind,  desto  größer  also 
die   Strafbarkeit. "^ 

So  gründet  Feuerbach  seine  strafrechtliche  Zurechnungslehre  nicht 
auf  die  Annahme  der  Willensfreiheit,  sondern  umgekehrt  auf  die 
Sinnlichkeit,  d.  h.  auf  die  Triebe  und  Motive  des  Menschen,  auf  die  mit 
den  Mitteln  der  Strafjustiz  erfolgreich  eingewirkt  werden  kann.^  i\uch 
auf  willkürliche  und  klare  Überlegung  kommt  es  nicht  an,  denn  der 
wirklich  Kriminelle  überlegt  sich  weniger  das  Ziel  als  die  Mittel  seiner 
Handlung.  Je  stärker  und  unwiderstehlicher  es  ihn  zur  Tat  drängt, 
um  so  weniger  wird  er  sich  seinen  Schritt  überlegen,  —  aber  um  so 
gefährlicher  ist  er.  Gerade  da,  wo  die  sittliche  Schuld  gering  ist,  wo 
äußere  Umstände  und  innere  Veranlagung  den  Täter  hemmungslos  auf 
die  Bahn  des  Verbrechens  treiben,  wo  der  Mensch  zum  Kriminellen 
determiniert  scheint,  ist  er  besonders  gefährlich  und  darum  nach 
Feuerbach  in  stärkerem  Maße  strafwürdig.  Denn  nicht  die  Schuld, 
sondern  ob  die  Strafe  wirken  soll  und  kann  ist  Voraussetzung 
der  strafrechtlichen  Verantwortlichkeit.  Nicht  nach  der  sittlichen  Schuld, 
sondern  nach  dem  strafrechtlichen  Bedürfnis  hat  sich  die  Reaktion 
gegen  das  Verbrechen  zu  bestimmen.  „Der  Verbrecher  muß  um  so 
mehr  strafbar  sein,  je  stärker  die  Antriebe  zum  Verbrechen  sind, 
je  zahlreicher  und  herrschender  sie  sind,  je  weniger  er  fähig,  den- 
selben zu  widerstehen,  je  mehr  er  entweder  durch  seine  natürliche 
Anlage  oder  durch  andere  äußere  Naturursachen,  durch  Erziehung, 
Gewohnheit,  böses  Beispiel  usw.,  der  Herrschaft  der  Sinnlichkeit 
hingegeben  ist.""^ 

Die  Stärke  der  sinnlichen  Triebfeder,  die  den  Maßstab  für  die 
Größe  der  zu  verhängenden  Strafe  bildet,  dokumentiert  sich  nach 
drei  Richtungen,  nach  ihrer  Intensität,  nach  ihrer  Festigkeit  und 
nach  ihrem  Umfang.^ 

'  Revision  II,  S.  334.  Hier  kommt  die  Annäherung  an  die  sympto- 
matische Verbrcchensauffassung   Grolmans   am   stärksten   zum  Ausdruck. 

^  V.  Bar,  Geschichte  des  deutschen  Stralrechts  und  der  Strafrechts- 
theorien.   Berlin  1882.    S.  171  und  249. 

'  Revision  II,  S.  336. 

■*  Die  Einteilung  Feuerbachs  ist  wenig  glücklich  und  führt  im  einzelnen 
zu  Widersprüchen.  Er  betont  darum  immer  wieder,  nicht  die  Beurteilung 
eines  dieser  einzelnen  Faktoren,  sondern  nur  eine  Gesamtbeurteilung 
der  verbrecherischen  Neigung  nach  allen  angegebenen  Richtungen  sei  für 
die  strafrechtliche  Zurechnung  von  Bedeutung. 


108 

Die  Intensität  der  sinnlichen  Triebfeder  kann  nur  aus  ihren 
Wirkungen  erschlossen  werden.  Sie  wird  um  so  größer  sein,  je  mehr 
sie  ihr  entgegenwirkende  Kräfte  überwunden  hat.  Demnach  muß  sie 
stärker  sein,  wenn  sie  Gemütskräfte,  Verstand  und  Überlegung  zum 
Schweigen  zu  bringen  vermochte,  als  wenn  sie  bloß  irgendwelche  aus 
Vorstellungen  und  Gefühlen  abgeleiteten  Gegenmotive  gegen  die  Tat, 
wie  Ängstlichkeit  oder  den  Gedanken  an  die  Möglichkeit  der  Ent- 
deckung, zu  überwinden  hatte.  Schwieg  bei  der  Tat  die  Stimme  der 
Vernunft  und  Überlegung,  so  geschah  das  Verbrechen  rein  aus  der 
sinnlichen  Triebfeder  heraus:  unwillkürlich.  Wenn  der  Mensch,  der 
die  Fähigkeit  besitzt,  willkürlich  und  überlegt  zu  handeln,  gleichwohl 
unwillkürlich  „durch  bloß  tierische  Antriebe"  sich  bestimmen  läßt,  so 
ist  das  für  Feuerbach  ein  Zeichen,  „daß  die  Gewalt  der  Sinnlichkeit 
und  der  durch  diese  begründete  Antrieb  zu  der  Handlung  so  lebhaft 
und  heftig  war,  daß  er  die  Selbsttätigkeit  des  Verstandes  beschränkte, 
seine  Wirksamkeit  zur  Reflexion  über  die  Handlung,  zu  der  die  Begierde 
antrieb,  unterdrückte".^  Hieraus  schließt  Feuerbach  bei  unwillkürlichem, 
blindem  Handeln  auf  eine  verbrecherische  Neigung  von  besonders 
starker  Intensität  und  folgert  daraus,  daß  „Verbrechen,  welche  durch 
das  bloß  tierische  Begehren  hervorgebracht  wurden,  der  Intensität  der 
Triebfeder  nach  in  einem  höheren  Grade  strafbar  sind  als  Verbrechen, 
die  in  der  Willkür  und  Überlegung  ihren  Grund  hatten".^  i\ls  fast 
unwillkürlich  zustandegekommene  Handlungen  zeugen  von  besonders 
intensiver  verbrecherischer  Neigung  Delikte,  die  gewohnheitsmäßig 
oder  unter  dem  Eindruck  leidenschaftlicher  Affekte  begangen  sind. 
Unter  den  willkürlich  herbeigeführten  Rechtsverletzungen  bestimmt 
sich  die  Größe  der  Strafbarkeit  nach  der  Bedeutung  der  gegen  die 
Ausführung  der  Tat  wirkenden  Äbratungsgründe  und  Naturhindernisse, 
denn  je  größeren  Gegenmotiven  und  Hindernissen  zum  Trotz  die  Tat 
vollbracht  wurde,  um  so  intensiver  war  die  verbrecherische  Triebfeder. 
Der  Täter  ist  um  so  strafbarer,  je  zahlreicher  und  klarer  ihm  die 
Gegengründe  vor  Äugen  gestanden  haben,  je  mehr  Gründe  er  hatte, 
die  Tat  zu  unterlassen.  Darum  ist  bei  einem  entehrenden  Delikt 
der  Ehrsüchtige,  bei  einem  gefährlichen  der  Furchtsame,  bei  einem 
grausamen  der  Mitleidige  und  aus  mancherlei  Gründen  die  Frau  bei 
vielen  Delikten  besonders  strafbar! 

Die  Gefährlichkeit  der  sinnlichen  Triebfeder  ist  ferner  um  so  größer, 
je  fester  und  dauernder  sie  ist,  je  weniger  leicht  eine  Änderung 
der  Willensdisposition  erwartet  werden  kann.  Infolgedessen  steigt  die 
Strafbarkeit  entsprechend  der  Festigkeit  und  Unverbesserlichkeit 

'  Revision  II,  S.  386  f. 
'  Revision  II,  S,  338. 


109 

der  sinnlichen  Triebfeder.  Von  einer  besonders  festen  und  mit  dem 
Charakter  des  Täters  dauernd  verbundenen  Triebfeder  kann  man  nicht 
reden,  wenn  momentane  Reize  zur  Tat  besonders  stark  und  dringend 
waren.  Daher  ist  die  Strafbarkeit  gering  bei  Delikten,  die  begangen 
werden  aus  Gelegenheit,  aus  Armut  und  Not,  aus  Furcht  oder  aus 
Leidenschaft  —  unter  diesem  Gesichtspunkt,  während  um  der  Intensität 
der  sinnlichen  Triebfeder  eben  diese  Umstände  eine  besonders  harte 
Bestrafung  notwendig  machen  können. 

In  erhöhtem  Maße  offenbart  sich  Festigkeit  und  Unwandelbarkeit 
der  sinnlichen  Triebfeder,  wenn  sie  die  guten,  der  verbrecherischen  Tat 
entgegenwirkenden  Triebe  dauernd  unterdrückt.  So  macht  Gewohnheit 
die  von  der  Tat  abhaltenden  Kräfte  wirkungslos,  schlechte  Erziehung 
läßt  den  Hang  zum  Bösen  fast  unausrottbar  im  Menschen  erstarken, 
körperliche  und  geistige  Veranlagung  lassen  die  verbrecherische 
Neigung  fast  „unverbesserlich"  erscheinen.  „Wer  aus  Gewohnheit 
Verbrechen  begeht,  der  handelt  gleichsam  aus  Instinkt  und,  seine 
Begierde  zu  befriedigen,  ist  ihm  zur  anderen  Natur  geworden."^ 
„Wer  durch  Erziehung  verdorben  ist,  der  ist  von  Grund  aus  verdorben. 
Das  Böse,  das  aus  dieser  Quelle  in  uns  gekommen  ist,  hat  sich  mit 
unserm  ganzen  Wesen  so  innig  verwebt,  daß  es  durch  die  Vernunft 
beschränkt,  aber  nie  ganz  vertilgt  werden  kann.""  Dem  geistig 
Minderwertigen  „mangelt  die  Fähigkeit,  gehörig  zu  überlegen  und  zu 
vergleichen,  ihm  mangelt  die  Kraft  über  sich  selbst,  über  die  Mittel, 
sich  zu  verbessern,  über  das  Neigen  der  Begierde  und  die  aus  ihrer 
Befriedigung  entspringenden  Folgen  nachzudenken  .  .  .  Soll  daher  die 
Strafe  als  zureichende  Ursache  zur  Unterlassung  des  Verbrechens 
gedacht  werden,  so  muß  sie  zugleich  von  der  Größe  sein,  daß  sie 
die  Nichtexistenz  jener  Kräfte  ersetzen  kann".^  Bei  all  diesen 
Menschen  ist  die  sittliche  Schuld  gering.  Aber  die  verbrecherische 
Neigung  wohnt  fest  und  inkorrigibel  in  ihnen.  Ihre  sinnliche  Triebfeder 
erscheint  besonders  gefährlich  und  ist  deshalb  vom  Gesetz  mit  einer 
besonders  hohen  Strafdrohung  bedacht.  Noch  ist  hier  das  Handeln 
gewollt,  d.  h.  es  entspringt  dem  Begehrungsvermögen.  Aber  dies 
ist  so  disponiert,  daß  die  Kräfte,  die  der  verbrecherischen  Neigung 
entgegenwirken  könnten,  kaum  zur  Entfaltung  kommen.  Sollen  sich 
diese  Menschen  gleichwohl  entgegen  ihrer  starken,  fast  widerstands- 
losen verbrecherischen  Neigung  zu  gesetzmäßigem  Verhalten  bestimmen, 
so  bedürfen  sie  der  Gegengründe,  die  in  ganz  besonderem  Maße  auf 
sie  einwirken.     Die  Vorstellung  von   dem  rechtswidrigen   Erfolg   muß 


»  Revision  II,  S.  415. 
'  Ebendort  II,  S.  417. 
"  Ebendort  II,  S.  423. 


110 

sich  mit  dem  Bilde  eines  besonders  heftigen  Übels  verbinden;  ihnen 
muß  eine  ausnehmend  harte  Strafe  in  Aussicht  gestellt  werden.  Und 
lediglich  diese  ihnen  angedrohte  Strafe  hat  der  Richter  zu  verhängen. 

Hier  kommt  am  schärfsten  die  schneidende  Härte  dieser  rein 
kriminalistischen  Zurechnungslehre  zum  Ausdruck,  in  der  die  Zu- 
rechnung zur  Schuld  und  das  Äbschreckungsbedürfnis  zu  entgegen- 
gesetzter Beurteilung  führen.  Nur  in  einer  Beziehung  von  unter- 
geordneter Bedeutung  nimmt  auch  Feuerbach  eine  gewisse  Parallelität 
zwischen  moralischer  Beurteilung  und  kriminalistischem  Strafbedürfnis 
an:  bei  der  Berücksichtigung  der  Motive.  Mitleid,  Liebe  und  Pflicht- 
gefühl führen  nur  ausnahmsweise  zu  Verbrechen.  Sie  begründen 
darum  nur  eine  geringe  Gefahr  für  den  Rechtsfrieden,  wenn  einmal 
durch  sie  ein  Mensch  sich  zu  einer  Rechtsverletzung  hat  bestimmen 
lassen.  Haß  und  Neid,  Rachsucht  und  Eigennutz  aber  gehören  zu 
den  typischen  Verbrechensmotiven  und  verlangen  daher  eine  Drohung 
mit  einem  besonders  empfindlichen  Strafübcl. 

Alle  diese  Überlegungen,  das  faßte  Feuerbach  am  Schlüsse  noch 
einmal  zusammen,  gehen  von  dem  Strafbedürfnis,  von  der  Gefährlich- 
keit aus.  Sie  wollen  aber  nicht  —  und  hierin  liegt  der  entscheidende 
Unterschied  von  der  Präventionstheorie  —  feststellen,  welche  Strafe 
erforderlich  ist,  um  auf  den  speziellen  konkreten  Verbrecher 
einzuwirken,  sondern  gehen  davon  aus,  welches  Strafübel  der 
Gesetzgeber  allgemein  solchen  Tätern  zur  Abschreckung  androht. 
„Welche  Strafe  —  um  diese  Frage  handelt  es  sich  für  Feuerbach 
bei  dem  Problem  der  strafrechtlichen  Zurechnung  —  würde  der 
Gesetzgeber  gedroht  haben,  wenn  er  dieses  spezielle  Ver- 
brechen, so  wie  es  unter  den  vorliegenden  individuellen 
äußeren  und  inneren  Bestimmungen  gegeben  ist,  durch 
eine    bestimmte    Strafe    hätte    bedrohen   wollen?"^ 

Zu  diesen  Lehren  Feuerbachs  seien  dem  Begriff  der  Zurechnungs- 
iähigkeit  noch  einige  kritische  Bemerkungen  gewidmet.  Aus  dem 
Grundsatz,  daß  die  Strafe  durch  die  Drohung  des  Gesetzes  abschreckend 
wirken  soll,  folgert  Feuerbach,  daß  strafrechtlich  zurechnungsfähig 
nur  derjenige  sei,  auf  den  das  Gesetz  mit  seiner  Drohung  wirken 
kann.  Zurechnungsfähigkeit  wird  zur  Bestrafungsmöglichkeit. 
Dieses  Ergebnis  hängt  mit  seinem  Bestreben  zusammen,  aus  dem 
Strafrecht  alle  indeterministischen  Beurteilungsweisen  zu  verbannen. 
Denn  wenn  man  von  der  einzelnen  konkreten  Tat  ausgeht  und  dabei 
annimmt,  daß  jede  begangene  Tat,  eben  weil  sie  begangen  wurde, 
begangen  werden   mußte,    so   erscheint   es   sinnlos,    eine   Grenze   zu 


^  Revision  II,  S.  442.    (Im  Original  gesperrt!) 


111 

ziehen  zwischen  Handlungen,  für  die  der  Täter  verantwortlich  zu 
machen  ist  und  solchen,  die  ihm  nicht  zur  Last  fallen.  Wohl  aber 
kann  man  fragen,  ob  die  Strafe  wirken  kann  oder  nicht.'  Auf  Grund 
ähnlicher  Gedanken  ist  auch  v.  Liszt  zu  entsprechenden  Ergebnissen 
gekommen.  Er  hatte  hierin,  ohne  daß  er  sich  dessen  bewußt  war, 
einen  weiteren  Vorläufer  in  Gustav  Geib,  nach  dem  gleichfalls  die 
strafrechtliche  Zurechnungsfähigkeit  in  der  „Möglichkeit  der  Erreichung 
des  Zwecks  der  Strafgesetze"  und  darum  in  der  „Bestimmbarkeit  des 
Menschen  durch  äußere  Momente  .  .  .  insbesondere  durch  die  Aussicht 
auf  Strafe"  bestehen  soll."  Liszt  schließt  von  seinem  deterministischen 
Standpunkt  aus,  es  könne  nur  Notwendigkeit  oder  Unmöglichkeit,  aber 
nicht  bloße  Möglichkeit  schuldhaften  Handelns  geben  und  darum  müsse 
Bestrafung  immer  für  diejenigen  eintreten,  auf  welche  die  Strafe  wirken 
kann.  Die  Strafe  soll  determinieren,  durch  Motive  das  Verhalten 
beeinflussen.  Zurechnungsfähigkeit  ist  daher  Empfänglichkeit  für  die 
durch  die  Strafe  bezweckte  Motivsetzung,  normale  Bestimmbarkeit 
durch  Motive,  normale  Determinierbarkeit.^  In  seiner  Rede  über  die 
strafrechtliche  Zurechnungsfähigkeit  auf  dem  III.  Internationalen  Psy- 
chologen-Kongreß von  1896  hat  er  dann,  allerdings  unter  ausdrück- 
licher Ablehnung  praktischer  Verwertbarkeit,  hieraus  die  Konsequenz 
gezogen,  daß  umgekehrt  der  unverbesserliche  Gewohnheitsverbrecher, 
auf  den  die  Strafe  keinen  Eindruck  macht,  eben  deshalb  unzurechnungs- 
fähig ist.*  Die  Berührungspunkte  mit  der  Zurechnungslehre  Feuerbachs 
zeigen  sich  in  doppeltem:  in  der  Eliminierung  von  Willensfreiheit 
und  Schuld  und  in  der  Identifizierung  von  Zurechnungsfähig- 
keit und  Bestrafungsmöglichkeit.^  Dagegen  unterscheiden  sich 
beide  dadurch,  daß  Feuerbach  die  Wirkung  der  Strafe  als  General- 
prävention, Liszt  aber  als  Spezialprävention  auffaßt.  Infolgedessen  iden- 
tifiziert Feuerbach  Bestrafungsfähigkeit  mit  Äbschreckbarkeit,  weil  nach 
ihm  diejenige  Strafe  verhängt  werden  soll,  welche  das  Gesetz  angedroht 
hat,  um  durch  diese  Drohung  abschreckend  zu  wirken,  v.  Liszt  aber 
mit  Determinierbarkeit  in   dem   Sinne,    daß   die   verhängte   Strafe   auf 


'  E.  Kohlrausch,  Sollen  und  Können  als  Grundlage  der  strafrecht- 
lichen Zurechnung.    In:  Festgabe  für  Güterbock.    Berlin  1910.    S.  14  f, 

-  G.  Geib,  Lehrbuch  des  deutschen  Strafrechts  II.  Bd.  Leipzig  1862. 
S.  57.  Auf  diese  Zurechnungslehre  Geibs  weisen  hin:  Merkel-Liepmann, 
Lehre  von  Verbrechen  und  Strafe  S.  66,  und  Kahl  in  der  Vergleichenden 
Darstellung,  Ällg.  Teil  Bd.  I,  S.  11. 

'  V.  Liszt,  Aufsätze  II,  S.  43,  45  und  85.  —  Derselbe,  Lehrbuch  des 
deutschen  Straf  rechts  23.  Aufl.    1921.    S.  165. 

*  Aufsätze  II,  S.  222  und  227. 

*  Kennzeichnung  und  Kritik  dieser  Doktrin  bei  M.  E.  Mayer,  Der 
allgemeine  Teil  des  deutschen  Strafrechts.    Heidelberg  1915.    S.  202  f. 


112 

den  Bestraften  wirken  kann.  Feuerbach  berücksichtigt  die  Stärke  der 
sinnlichen  Triebfeder  und  kommt  damit  zu  einer,  der  ethischen  Beur- 
teilung entgegengesetzten  Bewertung,  v.  Liszt  betrachtet  dagegen,  um 
die  individuellen  Bedürfnisse  der  Spezialprävention  zu  beurteilen,  die 
antisoziale  Gesinnung  des  Täters  und  er  gelangt  damit,  indem  die 
Tat  um  so  strafbarer  wird,  je  mehr  sie  sich  aus  dem  Charakter 
des  Täters  erklärt,  ähnlich  wie  die  Anhänger  der  Spezialprävention, 
welche  Feuerbach  entgegentraten,  zu  einer  „Ethisierung  des  Straf- 
rechts ".^  Dadurch  wird  bei  v.  Liszt  die  Schuld  zu  einem  wesentlichen 
Moment  der  Zurechenbarkeit  der  einzelnen  Handlung.  In  diesem  Sinne 
liegt  es  als  Konsequenz  einer  nur  die  zukünftigen  Wirkungen  der  Strafe 
beachtenden  Präventionstheorie,  „im  Rahmen  eines  folgerichtigen 
Sicherungsstrafrechts"  nahe,  mit  Radbruch  die  grundsätzliche  Frage 
aufzuwerfen,  ob  nicht  überhaupt  zwar  die  „Zurechenbarkeit  der 
Tat  dem  Kreise  jener  Merkmale  des  Verbrechens,  auf  denen  die 
Strafwürdigkeit  beruht,  die  Zurechnungsfähigkeit  des  Täters 
aber  dem  davon  ganz  unabhängigen  Kreise  derjenigen  Verbrechens- 
merkmale, welche  die  Möglichkeit  und  Zweckmäßigkeit  einer  Strafe 
bedingen",  angehört.^  Soll  man,  wenn  die  Wirklichkeit  der  Schuld 
in  jedem  einzelnen  Fall  erwiesen  sein  muß,  ihre  Möglichkeit  im 
Sinne  der  traditionellen  Zurechnungsfähigkeit  noch  zum  Gegenstand 
besonderer  Prüfung  machen?^ 

Hier  muß  zugegeben  werden,  daß  da,  wo  wir  Maßnahmen  nur 
um  des  Sicherungszweckes  willen  verhängen,  der  Gesichtspunkt 
maßgebend  ist,  ob  wir  diese  Maßregeln  im  gegebenen  Fall  für 
wirksam  halten  oder  nicht.  Das  gilt  nicht  nur  von  der  Behandlung 
Kranker,  sondern  ist  ein  Gesichtspunkt,  der  z.  B.  gegenüber  kriminellen 
Jugendlichen  mehr  und  mehr  Anerkennung  findet,  indem  hier  die 
Verhängung  von  Strafen  oder  Erziehungsmaßnahmen  davon  abhängig 
gemacht  werden  soll,  ob  das  Gericht  Erziehungsmaßregeln  für  aus- 
reichend oder  Strafe  für  erforderlich  hält,  um  den  Jugendlichen  an 
ein  gesetzmäßiges  Leben  zu  gewöhnen.^  Überall  aber,  wo  wir  strafen, 
bedarf  der  Kreis  der  durch  die  staatliche  Reaktion  Betroffenen  einer 
Beschränkung  auf  diejenigen,  denen  man  aus  ihrem  Tun  einen  Vorwurf 
zu  machen  berechtigt  ist.  Denn  die  Strafe  trifft  die  Tat  nicht  nur 
als  gefährliche  antisoziale  Handlung,  sondern  als  Pflichtverletzung, 
als  Unrecht.     Wollte   der  Staat  unterschiedslos   alle   sozialgefährlichen 


'  Aufsätze  II,  S.  377. 

^  G.  Radbruch,  Fr.  v.  Liszts  Strafrechtslehrbuch,  Deutsche  Litcratur- 
zeitung  1919,  Nr.  36,  Sp.  683  ff.,  vgl.  Sp.  688. 

-'  G.  Radbruch,  Über  den  Schuldbegriff,  Z.Str.W.  Bd.  24.  1904.  S.  333  ff. 
*  §  4  d.  Entw.  z.  Jugendgerichtsgesetz.    1920.    Begründung  dazu  S.  10. 


113 

Handlungen  bestrafen  ohne  Rücksicht  darauf,  ob  der  Täter  in  seiner 
geistigen  Verfassung  krankhaft  gestört  oder  in  seiner  Entwicklung 
zurückgeblieben  ist,  so  hätte  er  in  dieser  moralisch  indifferenten 
Sphäre  sich  selbst  des  Rechts  begeben,  dem  Verbrecher  aus  seiner 
Tat  den  Vorwurf  der  Pflichtverletzung  zu  machen.  Hier  gerade  zeigt 
es  sich,  daß  das  staatliche  Strafrecht  die  beste  Stütze  seiner  ver- 
pflichtenden Kraft  —  wie  es  Merkel  lehrte  —  in  seinem  Einklang 
mit  ethischen  Anschauungen  findet.  Der  Gedanke,  daß  das  staatliche 
Gebot  eine  innere  Pflicht  für  den  Bürger  enthält,  fällt  in  sich  zusammen, 
wenn  der  Staat  den  Zurechnungsfähigen  und  den  Verantwortungslosen 
in  gleicher  Weise  allein  nach  kriminalistischen  Nützlichkeitsrücksichten 
behandelt.  Nicht,  daß  sich  das  sittliche  Gefühl  empört,  wenn  ein 
Kranker  nach  dem  strengen  Maßstab  des  Gesunden  bestraft  wird,  ist 
das  Entscheidende,  sondern  daß  dem  Verbrecher  aus  seiner  Handlung 
kein  Vorwurf  gemacht  werden  kann,  wenn  sie  genau  so  zu  beurteilen 
wäre,  wie  das  Tun  eines  Unzurechnungsfähigen.^ 

Hiergegen  macht  die  Radbruchsche  Argumentation  zugunsten  des 
Liszt-Feuerbachschen  Begriffes  der  Zurechnungsfähigkeit  geltend,  daß 
selbstverständlich  die  Schuld,  aber  gerade  deshalb  nicht  noch  neben 
ihr  die  Möglichkeit  der  Schuld  Voraussetzung  der  Strafbarkeit 
bildet.  Der  Einwand,  daß  das  Wirkliche  immer  möglich  war,  besagt 
aber  nichts  gegen  die  Zurechnungsfähigkeit  als  Begrenzung  der  straf- 
rechtlichen Verantwortlichkeit,  wenn  man  nach  Franks  Vorgang  die 
Zurechnungsfähigkeit  nicht  als  Voraussetzung,  sondern  als  Element 
der  Schuld  auffaßt.  Sieht  man  in  ihr  mit  Kohlrausch  eine  Vor- 
aussetzung der  Schuld,  dann  teilen  sich  allerdings  die  Wege.^  Vom 
Standpunkt  einer  individualisierten  Zurechnungsfähigkeit  aus,  wie 
sie  Bin  ding '^  verstanden  wissen  will,  erscheint  dann  jener  Vorwurf 
berechtigt.  Denn  wenn  man  die  einzelne  spezielle  Tat  und  den  ein- 
zelnen konkreten  Täter  isoliert  betrachtet,  so  hat  man  nur  zwischen 
indeterministischen  Spekulationen  und  einer  glatten  Tautologie  die  Wahl, 
indem  derjenige,  dem  eine  Tat  zugerechnet  wird,  eben  darum  als 
zurechnungsfähig  gilt.  Hier  wäre  in  der  Tat  die  Zurechnungsfähigkeit 
nur  eine  Wiederholung  des  Wirklichen  in  der  Dimension 
des  Potentiellen.  Der  Fehler  liegt  darin,  daß  man  ein  objektives 
Möglichkeitsurteil  —   ein   solches   liegt   der   Zurechnungsfähigkeit 


'  Liepmann,  Einleitung  in  das  Strafrecht  S.  107. 

^  R.  Frank,  Über  den  Aufbau  des  Schuldbegriffs.  Gießener  Fest- 
schrift 1907.  S.519  ff.  —  E.  Kohlrausch,  Die  Schuld.  In:  Liszt-Aschrott, 
Die  Reform  des  Reichsstrafgesetzbuchs.    Berlin  1910.    S.  180  f. 

'  K.  Binding,  Die  Normen  und  ihre  Übertretung  II.  Bd.,  1.  Hälfte, 
2.  Aufl.    1914.    S.  200  f. 

8 


114 

zugrunde  —  niemals  fällen  kann  auf  Grund  einer  isolierten  Einzel- 
betrachtung, sondern  nur  auf  Grund  einer  Generalisierung. ^  Nicht 
an  jeden  einzelnen  Menschen,  sondern  an  einen  abstrakten  Durch- 
schnittstyp (diese  Normalität  ist  zumeist  keine  Norm  im  Sinne  eines 
heroischen  Vorbildes)  denkt  der  Gesetzgeber,  und  er  richtet  seine 
Gebote  an  diejenigen  Menschen,  welche  einem  allgemeinen  Durch- 
schnittsmaß von  Pflichtgefühl,  von  intellektuellen  Fähigkeiten,  von 
Energie  und  Selbstbeherrschung  entsprechen.  Von  einem  solchen 
Mann  wird  erwartet,  daß  er  die  staatlichen  Gebote  innehält,  den 
Anforderungen  der  Rechtsordnung  zu  genügen  ist  seine  Pflicht. 
Zurechnungsfähigkeit  bedeutet  ein  Urteil  darüber,  daß  der  einzelne 
Delinquent  jenem  generellen  Durchschnittsbilde  entspricht,  daß  er  in 
seiner  Individualität  die  allgemeinen  Eigenschaften  besitzt,  die  der  Staat 
in  seinen  Bürgern  voraussetzt  und  daß  ihm  darum  aus  seinem  Tun 
ein  Vorwurf  gemacht  werden  kann." 

Im  Gegensatz  zu  diesen  Überlegungen  könnte  man  aus  der 
jüngsten  strafrechtlichen  Entwicklung  den  Eindruck  gewinnen,  als  sei 
die  Schranke  zwischen  Veranhvortlichkeit  und  Unzurechnungsfähigkeit 
im  Fallen  begriffen  und  als  gehöre  die  Zukunft  dem  Gedanken  Liszts 
und  Feuerbachs,  man  solle  Ob  und  Wie  der  Bestrafung  allein  davon 
abhängig  machen,  wie  die  Strafe  wirken  kann.  Die  italienische 
Schule,  die  den  konsequenten  Sicherungsgedanken  am  radikalsten 
zur  Anerkennung  zu  bringen  trachtet,  versucht  die  Scheidewand  der 
Zurechnungsfähigkeit  zugunsten  eines  unbegrenzten  staatlichen  Ver- 
teidigungsrechts zu  durchbrechen,  das  eine  soziale  Verantwortlichkeit 
für  alle  von  Menschen  überhaupt  vermeidbaren  Handlungen  begründet.^ 


^  J.  V.  Kries,  Über  den  Begriff  der  objektiven  Möglichkeit.  Viertel- 
jahrsschrilt  f.  wissensch.  Philos.  Bd.  12,  S.  179  ff.,  287  ff.,  393  ff. 

-  Über  die  Zurechnungsfähigkeit  auf  Grund  einer  Generalisierung 
vgl.  Liepmann,  Einleitung  in  das  Strafrecht.  Berlin  1900.  S.  168  f.  — 
Derselbe,  Äbschn.  „Zurechnung"  in:  Religion  in  Geschichte  und  Gegen- 
wart. 1913.  Ferner  E.  Kohlrausch,  Sollen  und  Können  als  Grundlagen 
der  strafrechtlichen  Zurechnung.  In:  Festschrift  für  Güterbock.  Berlin  1910. 
S.  1  ff.,  vgl.  S.  24  f.  —  P.  Natorp,  Willensfreiheit  und  Verantwortlichkeit 
in  Phil.  Äbh.  f.  H.  Cohen,  Berlin  1912,  S.  203  ff.,  begründet  den  der  Zu- 
rechnung zugrunde  liegenden  Vorwurf  des  Änderskönnens  auf  eine  Beur- 
teilung der  dem  Täter  bekannten  Bedingungen  —  also  eine  Generalisierung 
auf  dem  Standpunkt  ex  ante. 

**  Enrico  Ferri,  Das  Verbrechen  als  soziale  Erscheinung.  Deutsche 
Ausgabe  von  G.  Kurella.  Leipzig  1896.  S.  274  ff.  —  Derselbe  noch 
neuerdings:  Die  Reform  der  Strafjustiz  in  Italien.  Z.  Str.  W.  41.  1920. 
S.  473  ff.  —  Vgl.  hierzu  a  18,  Vorentwurf  zu  einem  italienischen  Straf- 
gesetzbuch, 1921,  und  die  Ausführungen  der  Denkschrift,  Deutsche  Aus- 
gabe, S.  227  ff.  —  Über  die  Widersprüche,  in  welche  die  italienische  Doktrin 


115 

Aber  was  noch  frappanter  ist:  unabhängig  von  allen  theoretischen 
Erörterungen  über  die  Zurechnungsfähigkeit  lehrt  die  Wirklichkeit  des 
Strafvollzuges,  daß,  wenn  man  erst  einmal  Ernst  damit  gemacht  hat, 
der  Freiheitsstrafe  jede  infamierende  Wirkung  zu  nehmen  und  über  die 
unsagbar  schwere  Strafe  der  Freiheitsentziehung  hinaus  auf  alle  absicht- 
liche Verstärkung  ihres  Übelscharakters  zu  verzichten  —  Forderungen 
innerer  Gerechtigkeit  wie  kriminalpolitischer  Zweckmäßigkeit  — ,  anderer- 
seits aber  einen  energischen  Schutz  der  Gesellschaft  vor  sozialgefährlichen, 
wenngleich  schuldlos  handelnden  Personen  durchzuführen,  dann  mehr 
und  mehr  die  Grenzen  zwischen  der  Strafe  Zurechnungsfähiger  und  der 
Verwahrung  Unzurechnungsfähiger  schwinden  und  beide  Institutionen 
sich  in  ihrer  äußeren  Ausgestaltung  wie  in  ihrer  psychologischen 
Wirkung  ähneln/  Wozu  dann,  so  könnte  man  fragen,  eine  Differen- 
zierung der  Voraussetzungen,  wenn  die  Folge  in  beiden  Fällen  die 
gleiche  ist,  wozu  die  Sonderstellung  der  Zurechnungsfähigen,  wenn  in 
jedem  Fall  nach  der  gleichen  wirksamen  Maßnahme  gegriffen  wird? 
Gleichwohl  wird  auch  in  Zukunft  Verurteilung  zum  Zuchthaus 
etwas  anderes  bedeuten  als  Einweisung  in  eine  Irrenanstalt,  wird  der 
Fürsorgezögling  nicht  das  Gefühl  haben  müssen,  als  Verbrecher  bestraft 
zu  sein.  Sicherungs-  und  Erziehungsmaßnahmen  gelten  einem  sozial- 
gefährlichen Zustand,  Strafe  setzt  stets  eine  bestimmte  antisoziale  Tat 
voraus.  In  bezug  auf  den  Unzurechnungsfähigen  trägt  der  Staat  die 
Verantwortung:  erweist  sich  sein  Zustand  als  gefährlich,  so  hat  der 
Staat  dafür  zu  sorgen,  daß  er  keinen  Schaden  anrichtet.  Er  braucht 
nicht  zu  warten,  bis  er  ein  bestimmtes  Unheil  angerichtet  hat.  In 
vielen  Fällen  wird  freilich  erst  hierdurch  sein  gefährlicher  Zustand 
offenbar,  aber  dann  pflegt  es  meist  nicht  an  Vorwürfen  zu  fehlen  — 
nicht  gegenüber  dem  unzurechnungsfähigen  Gemeingefährlichen,  sondern 
gegenüber  dem  Staat  und  der  Nachlässigkeit  der  Polizei,  die  wieder 
einmal  wartete,  bis  das  Kind  in  den  Brunnen  gefallen  war.  Anders 
gegenüber  dem  Zurechnungsfähigen.  Er  trägt  selbst  dem  Staate  gegen- 
über die  Verantwortung,  seine  gefährlichen  Neigungen  zu  bekämpfen 
ist  seine  Sache  —  bis  er  sich  zur  offenkundigen  Tat  hinreißen  läßt. 
Jetzt  „macht",  wie  der  Sprachgebrauch  mit  feiner  Psychologie  sagt, 
der  Staat  „ihn  verantwortlich",  d.  h.  das,  was  er  selbst  hätte  tun  sollen, 


durch  ihr  Bestreben,  ethische  Werturteile  aus  dem  Strafrecht  zu  eliminieren, 
selbst  gerät,  siehe  Liepmann,  Die  Reform  des  deutschen  Strafrechts 
(Hamburgische  Schriften  Heft  2).    1921.    S.  5  ff. 

'  Ein  deutlicher  Beweis  für  die  Schwierigkeiten  einer  Differenzierung 
in  der  inneren  Struktur  und  Wirkungsweise  von  Freiheitsstrafe  und 
Sicherungsverwahrung  ist  das  Buch  von  Exner,  Die  Theorie  der  Siche- 
rungsmittel.    Liszts  Seminarabhandlungen  3.  Folge  1,  1.    Berlin  1914. 

8* 


116 

zwingt  ihm  der  Staat  nunmehr  auf,  da  er  sich  nicht  selbst  im  Zaume 
hält,  sperrt  ihn  der  Staat  ein.  So  hat  im  Verhältnis  zum  Unzurechnungs- 
fähigen der  Staat  jederzeit  das  Recht  und  die  Pflicht,  Maßnahmen  zum 
Schutze  der  Gesellschaft  zu  ergreifen,  während  er  dem  Zurechnungs- 
fähigen den  Schutz  der  Gesellschaft  vor  den  eigenen  Begierden  selbst 
überläßt.  Darum  ist  dem  Unzurechnungsfähigen  gegenüber  jede  Maß- 
nahme moralisch  indifferent,  während  die  Verhängung  derselben 
Maßregel  der  Freiheitsentziehung  dem  Zurechnungsfähigen  gegenüber 
ein  Schuldurteil,  den  Vorwurf  der  Pflichtverletzung,  des  Vertrauens- 
bruches bedeutet.  Das  ist  nicht  ein  Dogma  und  eine  Forderung,  die 
sagt,  daß  es  so  aufgefaßt  werden  sollte.  Vielmehr  ergibt  sich  dies 
Bild  aus  der  Erfahrung  auf  Grund  der  Tatsache,  daß  in  einem  Fall 
die  Beurteilung  des  gefährlichen  Zustandes,  im  anderen  aber  der 
Nachweis  einer  bestimmten  vom  Gesetz  bezeichneten  antisozialen  Tat 
die  Voraussetzung  der  strafrechtlichen  Reaktion  bildet.  Ein  strafrecht- 
liches Einschreiten  ist  dem  Unzurechnungsfähigen  gegenüber  auch 
ohne  daß  eine  bestimmte  Tat  vorliegt  und  nicht  bei  jeder  verbotenen 
Handlung,  dem  Zurechnungsfähigen  gegenüber  dagegen  nur,  aber 
auch  stets  geboten,  wenn  er  ein  Delikt  begangen  hat.  Wenn  aber 
das  Recht  beide  Gruppen  von  Individuen  verschieden  behandelt,  so  hat 
es  einen  guten  Sinn,  durch  gesetzliche  Kennzeichnung  allgemeiner 
Eigenschaften  den  Kreis  derer  zu  bestimmen,  an  die  sich  die 
staatlichen  Pflichtgebote  wenden.  Das  führt  zu  einer  Ablehnung 
des  Gedankens,  es  handele  sich  bei  der  Zurechnungsfähigkeit  nur 
um  die  Prüfung  der  Frage,  ob  und  wie  die  Strafe  wirken  kann, 
und  damit  zu  einer  Preisgabe  des  Begriffes  der  Zurechnungsfähigkeit 
im  Sinne  Erfolg  versprechender  Bestrafungsmöglichkeit,  wie  es  Liszt 
und  Feuerbach  gelehrt  haben. 


in 


Viertes  Kapitel 

Die  Reformbedürftigkeit  der  bayerischen 
Kriminalgesetzgebung. 

Die  kritische  Durchdringung  der  strafrechtlichen  Lehren  und  ihre 
theoretische  Neugestaltung  waren  das  Ziel  der  ersten  Epoche  der 
kriminalistischen  Wirksamkeit  Änselm  von  Feuerbachs.  Es  folgte 
die  zweite  Periode  seines  Schaffens,  die  unmittelbare  praktische  Rrbeit 
an  der  Weiterbildung  des  Strafrechts  selbst:  die  Jahre  der  Reform- 
arbeiten an  der  bayerischen  Kriminalgesetzgebung,  die  ihren 
Abschluß  in  dem  Strafgesetzbuch  von   1813  fanden. 

Niemals  wird  man  einer  gesetzgeberischen  Reformarbeit  durch 
bloßen  Vergleich  des  alten  mit  dem  neuen  Gesetz  gerecht.  Ganz 
besonders  dann  nicht,  wenn  der  Neuordnung  eine  starke  und  einfluß- 
reiche Bewegung  voranging,  wie  die  Reformbewegung  der  Äufklärungs- 
zeit.  Vieles  von  dem  Neuen  war  Gemeingut  der  Kriminalisten  geworden, 
seit  langem  hatten  Gewohnheit  und  Gerichtsgebrauch,  dem  Gedanken 
der  Humanität  folgend,  das  geschriebene  Recht  modifiziert.  Die  straf- 
rechtliche Doktrin  jener  Zeit  trug  als  „Wissenschaft  de  lege  ferenda" 
ihr  Gesicht  der  Zukunft  zugewandt  und  geriet  mehr  und  mehr  unter 
die  Führung  ausgesprochener  Reformfreunde,  deren  theoretische 
Erörterungen  der  Aufstellung  von  praktischen  Forderungen  für  die 
Neugestaltung  der  künftigen  Strafgesetzgebung  galten.  Indem  die 
Gesetzgebungen  der  Äufklärungszeit  solche  Forderungen  zu  verkörpern 
suchten,  entstand  ein  enger  Zusammenhang  zwischen  der  Gesetzgebung 
und  jener  wissenschaftlichen  Entwicklung,  während  ihnen  eine  organische 
Verbindung  mit  den  früheren  Gesetzen  fehlte.  Deshalb  kann  nur  ein 
Vergleich  mit  den  Forderungen  der  zeitgenössischen  Wissenschaft  — 
nicht  der  Fortschritt  allein  gegenüber  dem  früheren  Rechtszustand  ein 
Wertmaßstab  für  die  Beurteilung  der  Reformarbeit  sein.  Und  schließlich 
haben  die  bisherigen  Gesetze  auch  darum  wenig  Bedeutung  für  die 
Entwicklung  der  neuen  Gesetzgebung,  weil  die  Forderungen  der  jungen 
Strafrechtswissenschaft,  befruchtet  von  den  Gedanken  der  Naturrechts- 
lehrer und  von  dem  Glauben  an  ihre  absolute  Vernunftgemäßheit 
getragen,   einen  allgemeingültigen,  kosmopolitischen  Charakter  zeigten. 


118 

All  diese  Umstände  erklären  es,  daß  für  die  historische  Betrachtung 
von  Feuerbachs  Gesetzgebungswerk  der  Zustand  der  bisherigen 
Gesetzgebung  von  geringer  Bedeutung  ist.  Die  gleichen  Strömungen, 
aus  denen  heraus  seine  theoretischen  Arbeiten  erwachsen  sind,  bilden 
den  Zusammenhang,  in  den  sein  Wirken  auch  in  dieser  Epoche  hinein- 
gestellt werden  muß.  Nur  als  Hintergrund,  von  dem  sich  sein  Gesetz- 
gebungswerk abhebt,  erscheinen  das  frühere  bayerische  Kriminalrecht 
und  die  bisherigen  Reformversuche  von  Bedeutung.  Aber  in  dieser 
Begrenzung  liegt  zugleich  die  Notwendigkeit,  bei  einer  historischen 
Würdigung  des  strafrechtlichen  Schaffens  Änselm  v.  Feuerbachs 
an  diesen  Dingen  nicht  vorbeizugehen.  Denn  die  Reformbedürftigkeit 
des  bayerischen  Kriminalrechts  ward  für  ihn  zum  Hnreiz,  seine 
Lehren  für  die  praktische  Gesetzgebung  zu  verwerten,  der  Stein,  an 
dem  sich  der  Funken  seines  Geistes  entzündete.  „Nicht  den  Richtern, 
sondern  allein  den  Gesetzen,  welchen  sie  dienen  sollen,"  schob 
er  die  Verantwortung  für  die  „großen  Gebrechen  des  Criminalwesens" 
in  Bayern  zu,  die  eine  gründliche  Reform  der  Strafgesetzgebung  zu 
den  dringendsten  Bedürfnissen  des  Staates  machten.^ 

Das  alte  bayerische  Kriminalrecht  zeigt  einen  ausgesprochen 
konservativen  Charakter."  Man  suchte  in  der  Entwicklung  des  ge- 
schriebenen Rechts  die  Tradition  bis  auf  Kaiser  Ludwig  zurückzuführen, 
der  seine  Söhne  in  einem  Rechtsbuch  die  in  Bayern  geltenden 
Gewohnheitsrechte  aufzeichnen  ließ  (1346).  Noch  lange  mag  die 
bayerische  Strafjustiz  von  der  Praxis  jenes  mittelalterlichen  Herzogs 
Heinrich  des  Reichen  beherrscht  gewesen  sein,  von  dem  der  Chronist 
rühmte:  „Der  Herzog  last  kainen  Räuber  leben,  wo  der  betretten  wird. 
Man  henket  auch  die  Wölff  als  wol  in  dem  Land  als  die  Räuber  oder 
Dieb."^  Während  im  Rechtsbuch  sich  noch  keine  Bestimmungen  über 
die  Folter  finden,  sah  sich  die  folgende  Kodifikation,  die  Reformation 
des  Landrechts  von  1518,  bereits  genötigt,  einem  übermäßigen 
Gebrauch  der  inzwischen  aufgekommenen  Tortur  entgegenzutreten; 
niemand  sollte  ohne  „genügsame  Anzeige"  verhaftet  oder  auf  die 
Folter  gespannt  und  in  allen  zweifelhaften  Fällen  vor  Erkennung  der 
Tortur  beim  Herzog  oder  dem  Hofgericht  angefragt  werden.  Wie 
überall  in  Deutschland  war  die  Carolina  in  Bayern  nicht  formell  gültiges 
positives  Recht,  aber  sie  gewann  durch  ihren  inneren  Wert,  ihr 
Bestreben  nach  begrifflicher  Klarheit  und  den  Willen,  mit  den  Mißbräuchen 


'  Leben  und  Wirken  Bd.  I,  S.  137. 

-  Zum  folgenden:  F.  J.  Lipowsky,  Geschichte  des  bayerischen 
Kriminalrechts.  München  1803.  (Von  Feuerbach  oft  benutzte  Quelle.)  — 
Jos.  R.  V.  Mussinan,  Bayerns  Gesetzgebung.    München  1835. 

*  Oeffelc,  Script,  rer.  boic.  pag.  312,  zitiert  bei  Lipowsky,  S.  29  f. 


119 

einer  unzulänglichen  Strafjustiz  aufzuräumen,  einen  mehr  tatsächlichen 
als  rechtlichen  Einfluß.^  Während  sie  mit  ihren  verstümmelnden  Strafen 
in  Norddeutschland  von  vornherein  als  grausam  empfunden  wurde, 
bedeutete  sie  für  Süddeutschland,  z.  B.  gegenüber  der  Nürnberger  Praxis, 
eine  Milderung  des  herrschenden  Strafensystems,"  so  sehr  sich  auch 
der  bayerische  Geschichtsschreiber  Lipowsky  bemüht,  zu  beweisen,  daß 
die  schon  vor  der  CCC  entstandenen  bayerischen  Gesetze  „ebensoviel 
Gutes  enthalten"."'  Durch  die  Malefiz-Ordnung  Maximilians  I.  wurde 
1616  die  Carolina  ausdrücklich  neben  bayerischem  Recht  als  subsidiär 
geltendes  Gesetz  anerkannt.  Die  Malefiz-Ordnung  enthielt  eine  Reihe 
wohlgemeinter  Bestimmungen:  die  Strafen  des  Ertrinkens  und  Lebendig- 
verbrennens sollten  abgeschafft,  wer  zum  dritten  Mal,  aber  nur  5  Gulden 
gestohlen  hat,  von  der  Todesstrafe  des  a  162  CCC  verschont  bleiben. 
Auch  durfte  grundsätzlich  ohne  Befehl  der  kurfürstlichen  Justiz -Kollegien 
kein  Landgericht  auf  peinliche  Frage  erkennen. 

Erst  der  Codex  Juris  Bavarici  Criminalis  von  1751  macht  end- 
gültig auch  der  subsidiären  Geltung  der  Carolina  ein  Ende.  Freilich 
nur  in  formellem  Sinne,  denn  dieses  Gesetz,  das  noch  zur  Zeit 
Feuerbachs  in  Bayern  galt,  stand  inhaltlich  in  vielem  der  Carolina 
nahe.  Es  war  entstanden  zu  einer  Zeit,  in  der  das  große  Ringen 
zwischen  einem  Strafrecht  mittelalterlicher  Gebundenheit  und  den 
Forderungen  der  kühnen  Reformfreunde  noch  nicht  allenthalben 
entbrannt  war.  Weithin  beherrschten  die  aus  dem  Mittelalter  über- 
lieferten, in  scholastischer  Enge  und  dogmatischer  Starrheit  erhärteten 
Denkformen  das  Geistesleben.  Staatliche  und  kirchliche  Autorität 
regierten  unbeschränkt.  Das  Strafrecht  stand  unter  dem  Einfluß 
Benedict  Carpzovs,  in  dessen  Wirken  die  Gebundenheit  und  der 
Rigorismus  jener  Zeit  ihren  erschütterndsten  Ausdruck  fanden.  Und 
doch  war  die  Morgenröte  der  neuen  Zeit  nicht  mehr  fern.  Mit  „allzu 
raschem  Trompetenton"  hatte  nach  Malblank*  Christian  Thomasius 
das  „Signal  zum  Erwachen"  gegeben.  Entgegen  den  positiven  Gesetzen 
bekämpfte  er  Hexenwahn,  Inquisition  und  Folter,  seine  Argumente  auf 
die  Bibel  und  die  Vernunft  stützend.''  Kress,  Boehmer  und  Leyser 
suchten  durch  erneute  Durchdringung  des  alten  Materials  eine  mehr 
kontinuierliche    als    reformatorische    Entwicklung    zu    fördern.      1748 


*  V.  Bar,  Handbuch  des  deutschen  Strafrechts  I.  Geschichte  des 
deutschen   Strafrechts   und   der   Strafrechtstheorien.    Berlin   1882.    S.  128  f. 

''  V,  Bar,  a.  a.  O.  S.  121  und  129. 

•''  Lipowsky  S.  90. 

■•  Malblank,  Geschichte  der  peinl.  Gerichtsordnung  Kaiser  Karl  V. 
Nürnberg  1783.    S.  233. 

^  Landsberg,  Gesch.  der  deutschen  Rechtswissenschaft  3,  1,  S.  71  ff. 


120 

erschien  Montesquieus  Esprit  des  lois,  auf  dessen  geistvolle  An- 
regungen späterhin  die  Reformfreunde  immer  wieder  zurückgriffen. 
Die  Zeit  stand  unmittelbar  bevor,  da  die  Männer  der  Aufklärung, 
wie  es  in  der  überströmenden  Sprache  jener  Zeit  hieß,  „die  Fackel 
der  Philosophie  in  schaudervolle  Martergewölbe  und  auf  die  vom  Blute 
dampfenden  Schaffotte"   trugen/ 

So  war  die  Jahrhundertmitte  die  Wende  zweier  Zeiten.  In  solchem 
Äugenblick  mußte  es  für  das  Schicksal  und  den  Wert  einer  Gesetz- 
gebung entscheidend  sein,  wem  ihr  Antlitz  zugewandt  war.  Zukunfts- 
reiche Gedanken  zeigten  die  gesetzgeberischen  Bestrebungen  in  dem 
erstarkenden  Preußen  des  jungen  Friedrich,  wo  Coccejis  Entwürfe 
versuchten,  den  Forderungen  der  öffentlichen  Meinung  und  den  Leit- 
sätzen der  fortgeschrittenen  Doktrin  gerecht  zu  werden  und  nicht  nur 
formell  das  ältere  gemeine  Recht  zu  beseitigen,  sondern  auch  materiell- 
rechtlich Neues  zu  schaffen.'  Anders  in  Bayern.^  Hier  war  1745  der 
Kurfürst  Maximilian  111.  Joseph  zur  Regierung  gelangt.  Die  Macht- 
politik seiner  Vorgänger,  die  weit  über  die  Kräfte  des  Landes  ging, 
unglückliche  Kriege,  feindliche  Besatzung  im  eigenen  Land  ließen  ihn  sein 
Reich  verarmt  und  verwüstet  vorfinden.  Der  Staat  war  überschuldet. 
Bettler,  Landstreicher  und  entlassene  Soldaten  durchzogen  wie  nach 
dem  30jährigen  Krieg  in  Scharen  das  Land,  eine  Quelle  des  ständig 
zunehmenden  Verbrechertums.  Der  Kurfürst  hatte  den  besten  Willen, 
den  Leiden  seines  Volkes  zu  steuern,  nach  dem  Worte  eines  Zeit- 
genossen „ein  Ehrenmann,  der  gut  denkt  und  das  Gute  will",  wie 
ihn  spätere  Historiker  rühmten:  „der  liebenswürdigste  und  gutmütigste 
Fürst,  den  sein  Volk  so  innig,  wie  er  das  Volk  liebte".*  Doch  fehlten 
ihm  Energie  und  Kraft  zu  großen  Entschlüssen.  So  kennzeichnet  sein 
Leben  und  seine  Politik  eine  Kette  von  Halbheiten.  In  seine  Erziehung 
teilten  sich  der  Jesuit  Daniel  Stadler  und  der  Wolffianer  Johannes 
Hdam  Ickstatt.  In  der  Politik  schwankte  er  beständig  zwischen 
Frankreich  und  Österreich,  später  zwischen  einer  Annäherung  an 
Friedrich  IL  und  einem  Bündnis  mit  dessen  Gegnern.  So  konnte 
auch  die  Strafrechtspflege  von  ihm  keine  durchgreifenden  Reformen 
erwarten.  Vielmehr  schien  ihm  gerade  angesichts  der  Notlage  der 
Gegenwart,  welche  ein  energisches  Einschreiten  gegen  das  bedrohlich 
zunehmende    Verbrechertum     verlangte,     jede     unerprobte    Neuerung 


*  Lipowsky,  a.  a.  O.  S.  130. 

■  Projekt  des  Corpus  Juris  Fridericianum  1749  u.  1751.  —  Hälschner, 
Geschichte  des  Brandenburg-Preußischen  Strafrechts.    Bonn  1855.    S.  172  ff. 

*  Zu   dem  folgenden:    M.   Doeberl,    Entwicklungsgeschichte  Bayerns 
II.  Bd.    München  1912.    S.  254  ff. 

'  .V.ussinan,  Bayerns  Gesetzgebung  S.  50. 


121 

bedenklich.  Gleich  der  Vergangenheit  sah  er  alles  Heil  in  vielen 
und  strengen  StraJen  und  in  einer  in  den  Bahnen  des  bestehenden 
Rechts  sich  bewegenden,  sicher  und  gleichmäßig  arbeitenden  Rechts- 
pflege. Darum  sollte  auch  die  Gesetzgebung  nur  das  vorhandene 
Recht  klar  herausarbeiten  und  in  eine  Fassung  bringen,  die  eine 
gleichmäßige  und  zuverlässige  Handhabung  gewährleistete. 

Für  eine  solche  konservative  Reform  fand  der  Kurfürst  die 
geeignete  Persönlichkeit  in  seinem  Kanzler  Alois  v.  Kreittmayr,^ 
dem  Schöpfer  der  „Neuverbesserten  Kurbayerischen  Gerichtsordnung" 
von  1753  und  des  „Neuen  Kurbayerischen  Landrechts"  von  1756. 
Von  ihm  stammt  auch  der  Codex  Juris  Bavarici  Criminalis 
von   1751.^' 

Eine  originale  Schöpfernatur  war  Kreittmayr  keineswegs.  Zu 
reformatorischen  Neuordnungen  fehlten  ihm  Kraft  und  Schwung.  Die 
Äufklärungsgedanken  blieben  ihm,  wiewohl  er  gelegentlich  Thomasius' 
Namen  nennt,  im  Grunde  in  gleicher  Weise  fremd,  wie  späterhin 
die  Anfänge  der  kritischen  Philosophie.  Doch  besaß  er  eine  große 
Belesenheit  und  sichere  Kenntnisse  in  der  Literatur  des  positiven 
Rechts.  Ein  gesunder  Instinkt  für  das  praktisch  Gebotene  befähigte 
ihn,  mit  seinen  Bestimmungen  den  Bedürfnissen  der  damaligen  Rechts- 
pflege in  weitem  Maße  entgegenzukommen.  Durch  plastische,  sinn- 
fällige Bezeichnungen,  eher  volkstümlich  als  gelehrsam,  wußte  er 
abstrakte  Rechtsfragen  in  ausführlichen  Anmerkungen  zu  erläutern 
und  an  zahlreichen,  dem  Leben  entnommenen  Beispielen  zu  ver- 
anschaulichen. So  rühmte  C.  v.  Menz,  den  freilich  auch  innerlich 
manch  antiquierte  Anschauung  mit  Kreittmayr  verband,  noch  1827 
den  Kanzler,  „der  mit  seinem  vielen  Wissen  stets  die  höchste 
Lebensweisheit  verband  und  immer  das  Leben  so  richtig  und  treffend 
ergriff".   (!)^ 

Solche  formalen  Vorzüge  vermögen  gleichwohl  nicht  über  den 
inneren  Charakter   des  Werkes   hinwegzutäuschen.     Kreittmayr  gehört 


*  Vgl.  über  ihn:  J.  Ä.  Kalb,  Biographie  des  kurfürstl.  bayerischen 
Staatskanzlers  Ä.  W.  v.  Kreittmayr.  München  1825.  —  Berner,  Die  Stral- 
gesetzgebung  in  Deutschland.  Leipzig  1867.  S.  1  ff.  —  Bechmann,  Der 
kurbayerische  Kanzler  A.  v.  Kreittmayr.  Münchener  Äkademierede  1896.  — 
Eisenhart,  Ällgem.  deutsche  Biographie  Bd.  17,  S.  102  ff.  —  Landsberg, 
Geschichte    der    deutschen   Rechtswissenschaft   3.  Abt.,   I.  Halbbd.,   S.  222. 

■  München  1751:  Gedruckt  bei  joh.  Jak.  Yötter,  kurfürstl.  Hof-  und 
Landschaftsbuchdrucker.  —  Dazu:  Anmerkungen  über  den  Cod.  Jur.  Bavar 
Crim.  von  einem  unbenannten  Authorc  (Kreittmayr).    München  1752. 

•'  C.  V.  Menz,  Einige  Stücke  und  Beiträge  aus  dem  Gebiet  der  Erfahrung 
im  Fache  der  Gesetzgebung.  In:  Zu  Rheins  Beiträge  zur  Gesetzgebung  und 
prakt.  Jurisprudenz  I.  Bd.,  S.  188. 


122 

ganz  der  Zeit  an,  die  sich  gerade  damals  ihrem  Ende  zuwandte.  Erhob 
sein  Kodex  auch  formell  den  Anspruch  einer  selbständigen  Kodifikation, 
so  versuchte  er  doch  fast  nirgends,  materiellrechtlich  über  den  Stand- 
punkt des  älteren  Rechts,  der  Carolina  und  Carpzovs  hinauszukommen. 
Er  bietet  ein  Bild  einer  „von  der  bedeutsamen  reformatorischen  Bewegung 
des  Strafrechts  unberührt  gebliebenen,  sich  nur  auf  das  gemeine  Recht 
in  seiner  bisherigen  Gestalt,  die  ältere  Landesgesetzgebung  und  heimische 
Praxis  stützenden  Gesetzgebung".^ 

Kreittmayrs  Kodex  ist  ein  strafrechtliches  Spiegelbild  des  voll- 
endeten Fürstenabsolutismus. ^'  In  harten  Strafen  sieht  er  allein 
das  Mittel  zur  Bekämpfung  der  Verbrechen,  in  denen  ihm  die  Hint- 
ansetzung über  den  obrigkeitlichen  Willen  als  besonders  ver- 
werflich erscheint.  Im  Prozeß  fehlt  es  an  einer  klaren  Abgrenzung  der 
Rechtssphäre  des  Beschuldigten  gegenüber  den  allmächtigen  Organen 
der  staatlichen  Strafjustiz. 

Im  Strafensystem  hatte  die  Carolina,  so  grausam  sie  den 
Männern  der  Aufklärung  erscheinen  mußte,  für  ihre  Zeit  eine  gewisse 
Milderung  erstrebt.  Entgegen  der  „Gewohnheit  etlicher  Gegend" 
bestimmte  sie  dem  Totschläger  die  gegenüber  dem  Rade  des  Mörders 
mildere  Schwertstrafe  (a  137).  Weitere  Milderungen  brachte  für  Bayern 
die  Malefiz- Ordnung  Maximilians  I.  von  1616.  Kreittmayrs  Kodex 
bricht  diese  mildernde  Tendenz  jäh  ab.'^  Seine  Strafdrohungen  sind 
„in  Drakos  Geist  gedacht,  geschrieben  mit  Blut"  (Feuerbach).*  Rädern, 
Verbrennen,  Vierteilen  ohne  vorherige  Tötung  des  Hinzurichtenden 
findet  sich  als  ordentliche  Kapitalstrafe,  Schleifen  zur  Richtstatt,  Zungen- 
reißen, „härteres  oder  langsameres  genus  mortis"  sind  qualifizierte 
Todesarten  des  Gesetzes.  Nur  zur  „Vermeidung  unnötiger  Kosten" 
soll  es  künftig  unterlassen  werden,  die  Stücke  des  gevierteilten  Körpers 
auf  offener  Straße  aufzuhängen!  (cap.  1,  §  5  und  6).°  Dabei  ist  von 
der  Todesstrafe  reichlichst  Gebrauch  gemacht.  Der  Hochverräter  wird 
„auf  die  Richtstatt  geschleift,  lebendig  alldort  gevierteilt  oder  mit  Pferden 
zerrissen  und  all  sein  Hab  und  Gut  dem  Fisco  heimgeschlagen" 
(cap.  VIII,  §  1).    Die  Entwendung  einer  Hostie  wird  mit  dem  Feuertod 


'  Hälschner,  Geschichte  des  Brandenburg -Preußischen  Strafrechts. 
Bonn  1855.    S.  173. 

"  V.  Bar,  Geschichte  des  deutschen  Stralrechts  und  der  Strafrechts- 
theorien  S.  155. 

^  Eine  Milderung  gegenüber  der  CCC  besteht  darin,  daß  der  Codex 
die  Strafe  des  Fingerabhauens  beim  Meineid,  die  CCC  a  107  als  „gemeine 
gewöhnliche  Leibstraff  nit  ändern"  will,  gänzlich  abschafft. 

'  Leben  und  Wirken  Bd.  1,  S.  130. 

'  Wo  der  Codex  ohne  Zusatz  zitiert  ist,  ist  der  erste,  materiell- 
rechtliche  Teil  gemeint. 


123 

(cap.  II,  §  1 7)  bestraft.  Die  Schwertstrafe  steht  nicht  nur  auf  Totschlag, 
Notzucht  und  Entführung  (cap.  III,  §  1  und  cap.  VI,  §§  7  und  8), 
sondern  bedroht  den  Falschmünzer  (cap.  IX,  §  1),  den  mehrfach  rück- 
fälligen Ehebrecher  (cap.  V,  §  2)  oder  denjenigen,  der  einem  anderen 
nachsagt,  er  hätte  ein  Kapitalverbrechen  begangen  (cap.  Vlll,  §  11). 
Ruf  „großem  Diebstahl"  (20  fl.)  oder  „gefährlichem  Diebstahl"  (Einbruch 
und  Bandendiebstahl)  steht  der  Strang  (cap.  II,  §§  3  und  5),  auf  Blut- 
schande der  Feuertod  (cap.  VI,  §  1). 

Die  grausame  Härte  des  Gesetzes  wird  besonders  bei  den 
Bestimmungen  über  den  Kindesmord  offenbar.  Das  Mittelalter,  dem 
der  Kindesmord  als  Folge  des  außerehelichen  Geschlechtsverkehrs  unter 
dem  Einfluß  des  kanonischen  Rechts  besonders  sündhaft  erschien, 
behandelte  ihn  als  qualifizierten  Fall  der  gemeinen  Tötung.^  Außer- 
dem hatte  man  ausdrückliche  Bestimmungen  gegen  Verheimlichung 
der  Niederkunft,  die  sich  aus  der  Schutzbedürftigkeit  des  nasciturus 
bei  heimlicher  Schwangerschaft  erklären.  Zu  Schwarzenbergs  Zeit 
wurden  die  Kindesmörderinnen  „gewöhnlich  lebendig  begraben  und 
gepfählt"  (CCC  a  131),  während  den  gemeinen  Mörder  nur  das  Rad 
traf  (a  137).  In  der  Carolina  selbst  läßt  sich  ein  deutliches  Schwanken 
zwischen  dem  Hbschreckungsprinzip  und  dem  Streben  nach  einer 
privilegierenden  Behandlung  des  Kindesmords  nachweisen.  „Aber 
darinnen  Verzweiflung  zu  verhüten,  mögen  dieselben  Übeltäterinnen, 
in  welchem  Gericht  die  Bequemlichkeit  des  Wassers  dazu  vorhanden 
ist,  ertränkt  werden,  wo  aber  solch  Übel  oft  geschähe,  wollen 
wir  die  gemeldete  Gewohnheit  des  Vergrabens  und  Pfählens  um  mehr 
Furcht  willen  solcher  boshaftigen  Weiber  auch  zulassen  ..."  (a  131). 
Im  18.  Jahrhundert  war  der  Kindesmord,  von  dem  „sich  die  Empfind- 
samkeit der  Zeit  gewaltsam  ergriffen  fand",  geradezu  ein  literarischer 
Lieblingsgegenstand. "'^  Man  erkannte,  daß  man  dem  Übel  nicht  mit 
harten  Strafen  allein  begegnen  konnte,  sondern  vor  allem  die  Mutter 
vor  Beleidigung  und  Schande  schützen  mußte.  Findelhäuser  wurden 
errichtet  und  erweckten  das  Interesse  menschenfreundlicher  Reformer. 
Zugleich  begann  man  einzusehen,  wie  der  Entschluß  der  unehelichen 
Mutter  durch  ihre  physiologische  Situation  und  vor  allem  durch  ihre 
innere  Notlage,  ihre  Angst  vor  Schande,  bestimmt  wird.  Friedrich 
der  Große  schaffte  1740  die  Strafe  des  Säckens  ab  und  Beccaria 
ward  späterhin  (1764)  zum  beredten  Verteidiger  jener  unglücklichen 
Frauen:    ,,Wie  sollte  die,  welche  die  Wahl  hat  zwischen  der  Schande 


'  V.  Liszt,  Vergleichende  Darstellung  des  deutschen  und  ausländischen 
Strafrechts.    Besonderer  Teil  Bd.  V,  S.  106  ff. 

^  L.  Günther,  Die  Strafrechtsreform  im  Hufkiärungszeitalter.  Gross' 
Archiv  Bd.  28,  S.  246  ff. 


124 

und  dem  Tod  eines  für  Leiden  noch  unempfindlichen  Wesens,  nicht 
diesen  dem  unausbleiblichen  Elend  vorziehen,  dem  sie  und  der  unglück- 
liche Sprößling  ausgesetzt  sein  werden?!"^ 

Kreittmayr  blieb  von  solcher  Enhvicklung  unberührt.  Rückständiger 
noch  als  die  tastenden  Versuche  der  Carolina  bedroht  er  den  Kindesmord 
mit  der  Strafe  für  gemeinen  Totschlag  und  bemerkt  mit  unverständigem 
Staunen,  daß  „manchen  Rechtsgelehrten  die  Ordinari-Sfa-aff  hart  zu  sein" 
scheine.^  Der  Lehre  Carpzovs  folgend,  daß  die  Verheimlichung  der 
Schwangerschaft  eine  Präsumtion  für  den  Vorsatz  des  Kindesmords 
bedeute,^  soll  jede  ledige  Weibsperson,  die  heimlich  niederkommt  und 
deren  Kind  tot  aufgefunden  wird,  mit  der  Entschuldigung,  sie  habe 
ein  totes  Kind  geboren,  „nicht  angehört,  sondern  für  eine  Kindes- 
mörderin gehalten  und  mit  dem  Schwert  am  Leben  bestrafft  werden" 
(cap.  VII,  §  21).  Hier  sei,  meint  Kreittmayr,  das  bisherige  Recht 
„mehr  in  favorem  als  in  odium  feminarum"  abgeändert,  denn  — 
eine  erschreckende  Spitzfindigkeit!  —  nach  den  alten  bayerischen 
Gesetzen  forderte  man  ausdrückliches  Leugnen  der  Schwangerschaft, 
jetzt  aber  brauche  bis  zur  Niederkunft  die  Frau  ihren  Zustand  nicht 
zu  offenbaren!^  In  verhängnisvoller  Weise  hat  sich  der  Gedanke 
eines  solchen  Mißtrauens  gegenüber  der  unglücklichen  Mutter,  die 
ihren  Zustand  verheimlicht  hat,  lange  behauptet  und  noch  in  Feuer- 
bachs  Strafgesetzbuch  zu  einer  gesetzlichen  Sanktionierung  von 
Verdachtstrafen    beim    Kindesmord    geführt. 

In  solch  harten  Strafdrohungen  spricht  sich  neben  dem  Einfluß 
kirchlicher  Vorstellungen  über  die  Sündhaftigkeit  unmoralischer 
Handlungen  der  Äbschreckungscharakter  des  Kreittmayrschen 
Strafensystems  aus,  der  in  Verbindung  mit  einem  unnachsichtlichen 
Vergeltungsdrang  jeden  Terrorismus  rechtfertigte.  Von  solchen 
Voraussetzungen  aus  muß,  wie  es  Fe  u  erb  ach  Kreittmayr  vorwarf, 
„ein  Gesetzgeber  seine  unbedachtsame  Strenge  in  immer  wachsender 
Progression  zum  Extrem  aller  möglichen  Grausamkeiten  hinaufsteigern, 
damit  der  vorige  Stachel,  gegen  welchen  sich  immer  die  Gemüter 
abstumpfen,  eine  neue  schneidende  Spitze  bekomme".  Dabei  blieb 
solch  blutige  Strafjustiz  im  Kampf  gegen  das  Verbrechertum  letzten 
Endes  ein  untaugliches  Mittel:  die  Zahl  der  Verbrechen  nahm  zu, 
„so  wie  sich  die  Galgen   und  Räder  an  den  Landstraßen  mehrten"!^ 


'  Cesare   Beccaria,   Über  Verbrechen  und  Strafen.    Übersetzt  von 
K.  Esselborn.    Leipzig  1905.    S.  153. 

-  Anmerkungen  über  den  Cod.  Jur.  Bav.  Crim.  Änm.  a  zu  cap.  III,  §  19. 

'  Pract.  Nov.  Rer.  Crim.  Qu.  15,  Nr.  51. 

*  Anm.  zum  Codex,  Änm.  c  zu  cap.  VII,  §  21. 

'-  Leben  und  Wirken  Bd.  I,  S.  132. 


125 

Mit  solch  drakonischen  Strafen  wetteiferte  ein  System  rigoroser 
kriminalpolitischer  Sicherungsmittel.  So  modern  der  Gedanke  eines 
den  Straf  Sanktionen  angegliederten  Systems  sichernder  Maßnahmen 
anmutet,  sie  waren  bei  dem  Mangel  jeglicher  rationeller  Vollzugs- 
vorschriften und  dem  trostlosen  Tiefstand  der  alten  Zucht-  und 
Werkhäuser  nicht  viel  anders  als  eine  Legitimierung  reiner  Kampf- 
maßnahmen gegen  das  Verbrechertum,  wobei  die  wenigen,  im  Interesse 
der  Rechtssicherheit  gezogenen  Schranken  der  Strafjustiz  fielen  und 
der  des  Verbrechens  Verdächtigte  selbst  ohne  die  bescheidenen 
Rechtsgarantien  des  alten  Strafrechts  den  allmächtigen  Staatsorganen 
gegenüberstand.  Dabei  wurden  die  verhängten  Maßnahmen  von  den 
Betroffenen  kaum  minder  einschneidend  empfunden  als  die  eigentlichen 
Kriminalsh-afen.  Ist  doch  die  Freiheitsstrafe,  die  im  Mittelpunkt  des 
modernen  Strafensystems  steht,  ursprünglich  als  —  wichtigste  — 
„bloße"  Sicherungsmaßnahme  verhängt  worden.  Die  Carolina  kennt 
neben  der  Sicherungshaft  von  unbestimmter  Dauer  (Straff  oder  Ver- 
sorgung a  176)  nur  ausnahmsweise  die  Androhung  der  Freiheitsstrafe 
subsidiär  neben  Geldstrafe  (a  157).  Kreittmayr  betont  zwar  aus- 
drücklich, „Gefängnuss  dient  nicht  nur  zur  Verwahr,  sondern  auch 
zur  Straff"  (Änm.  zum  Codex  Tl.  I,  cap.  I,  §  9e),  doch  ist  auch  bei 
ihm  im  Gesetz  Freiheitsstrafe  nur  in  wenigen  und  nicht  bedeutenden 
Fällen  angedroht.  Häufiger  war  die  Verhängung  von  Gefängnis  als 
„poena  extraordinaria",  wie  man  ja  überhaupt  aus  dem  gesetzlichen 
Strafensystem  des  Codex  Juris  Bavarici  allein  kein  zutreffendes  Bild 
der  damaligen  Strafrechtspflege  erhält. 

Am  schärfsten  prägt  sich  der  rigorose  Charakter  jenes  Sicherungs- 
rechts auf  dem  Gebiet  aus,  wo  —  man  kann  sagen:  durch  Jahrhunderte 
hindurch  —  die  staatliche  Ordnung  in  schwerem  Kampfe  mit  einer 
gewohnheitsmäßigen,  schwer  faßbaren  Form  chronischer  Kriminalität 
begriffen  war:  begünstigt  durch  die  nur  dünne  Besiedelung  des  platten 
Landes,  die  staatliche  Zerrissenheit,  die  machtlose,  schlecht  organisierte 
Exekutive  erwuchs  den  Territorien  in  dem  berufsmäßigen  Bettler-  und 
Vagabundentum  eine  unversiegbare  Quelle  ständiger  Beunruhigungen.^ 
Diesen  Leuten  trat  man  mit  äußerster  Rücksichtslosigkeit  entgegen. 
Kreittmayrs  Codex  bringt  einen  Katalog  solcher  Persönlichkeiten,  der 
nicht  ohne  kulturhistorisches  Interesse  ist:  Bettler,  Vaganten,  Stationierer, 
Wallfahrter,  Pilger,  Gartenknechte,  abgedankte  Soldaten,  fahrende  Schüler, 
verstellte  Pfaffen,  Klausner,  Eremiten,  Pfannenflicker,  Spielleut,  Schergen, 
Freileut,  Schinder  u.  dgl.  (Tl.  1,  cap.  IX,  §  1).    Werden  solche  Personen 


'  Vgl.  R.  Schmidt,  Die  Aufgaben  der  Strafrechtspflege.    Leipzig  1895. 
S.  178  H. 


126 

„aui  dem  Bettel -Vagiren  oder  Müssiggang  betreten",  so  werden  sie,  falls 
sie  nicht  Bayern  sind,  gegen  geschworene  Uriehde  und  Huibrennung 
des  Buchstabens  B  des  Landes  verwiesen.  Werden  sie  ein  zweites  Mal 
in  Bayern  aufgegriffen,  so  werden  sie  „als  Verächter  des  Chur-  und 
landesfürstlichen  hohen  Gebotes"  —  hier  wird  die  besondere  Bewertung 
des  Verbrechens  als  Verletzung  obrigkeitlichen  Willens  offenbar  —  „von 
dem  Leben  zum  Tode,  und  zwar  die  Mannsbilder  mit  dem  Strang,  die 
Weibsbilder  aber  mit  dem  Schwert  hingerichtet..  ."  (ebendort).  Eine 
Brutalität,  die  in  gar  keinem  Verhältnis  zu  der  oft  nur  geringen 
kriminellen  Energie  ihrer  einzelnen  Opfer  stand  und  die  sich  nur 
als  Konsequenz  des  untauglichen,  aber  immer  wieder  unternommenen 
Versuchs  erklärt,  Massenerscheinungen  allein  mit  strengen  Strafen 
zu  begegnen.  Dabei  trat  man  im  Prozeß  diesen  Leuten  von  vorn- 
herein mit  einem  noch  stärkeren  Mißtrauen  als  anderen  Verdächtigen 
entgegen.  Die  Folter  durfte  ihnen  gegenüber  auch  bei  Nicht -Kapital- 
verbrechen angewandt  werden  (Tl.  II,  cap.  VIII,  §  6).  Werden  sie 
„an  abseitigen  Orten",  mit  Dietrichen,  Leimruten,  Gewehr  od.  dgl. 
„oder  sonst  etwas  mehr  als  andere  gemeine  Bettler  und 
Müßiggänger  verdächtig"  befunden,  so  werden  sie  ohne  Anfrage 
auf  die  Reck  gezogen.  Bekennen  sie.  hier  nichts,  so  „sind  selbe 
ebenfalls  ohne  weiteren  Prozeß  und  Anfrage  wenigist  auf  Jahr  und  Tag 
wegen  des  verbotenen  Bettels  und  Müßiggangs  in  das  Arbeitshaus 
mit  Determinierung  deren  alldort  zu  empfangenhabender  Carbatsch- 
Streichen  zu  liefern"  (Tl.  1,  cap.  XI,  §  5).  Ein  Hinwegsetzen  über 
anerkannte  Grundsätze  des  damaligen  Strafrechts  glaubte  man  den 
„verschreyt-  und  in  öffentlichen  Charten  beschriebenen  Dieben  oder 
Räubern  oder  dergleichen  fürchterlich-  und  gefährlichen  Leuten" 
gegenüber  —  also  da,  wo  man  einmal  einer  wirklich  ernsthaften 
Kriminalität  gegenüberstand,  zu  rechtfertigen:  Während  sonst  die 
ausgestandene  Tortur  vor  jedem  Verdacht  reinigte  und  zum  völligen 
Freispruch  führen  mußte,  sind  diese  Leute  „auch  post  Torturam  nicht 
zu  entlassen,  sondern  in  dem  Arbeitshaus  lebenslänglich  oder  doch 
auf  lange  Jahre  einzusperren,  weil  solches  nicht  so  viel  zur  Straff 
als  guter  Disziplin  anzusehen  ist"   (Tl.  II,  cap.  VIII,  §22). 

Solch  harte  Strafjustiz,  in  der  etwas  wiederklingt  von  dem  Pathos 
des  vollendeten  Fürstenabsolutismus,  wurde  noch  begünstigt  durch  die 
Ansprüche  klerikaler  Intoleranz.  Der  Kurfürst  stellte,  seiner  allgemeinen 
Politik  einer  „ausschließlichen  Katholizität"  des  Landes  entsprechend, 
das  weltliche  Recht  völlig  in  den  Dienst  der  katholischen  Kirche, 
Nicht  nur  wird  der  Abfall  vom  Katholizismus  zum  Heidentum  und 
Judentum  mit  Schwert  und  Güterkonfiskation  bestraft  (Tl.  I,  cap.  VII, 
§  4),  sondern  —  im  Zeitalter  Friedrichs  des  Großen  und  Voltaires  — 


127 

aufs  neue  die  Ketzerei  strafrechtlicli  geahndet.  Diejenigen,  die  den 
„Christ -katholischen  Glaubensartikeln  widerige  Meinungen  wissentlich 
hegen  und  verfechten",  sollen  zunächst  von  der  Geistlichkeit  unter- 
richtet werden.  Bleiben  sie  darnach  „halsstarrig",  so  sind  sie  „des 
Landes  gegen  geschworene  Urfehd  auf  ewig  zu  verweisen  oder  ein- 
zusperren und  mit  geringer  Kost  so  lang  in  Verwahr  zu  halten,  bis  sie 
ihren  Fehler  erkannt,  abgelegt  und  widerrufen  haben"  (Tl.  I,  cap.  VII, 
§  5).  Nun  aber  die  qualifizierten  Fälle:  „Aufwieglerische"  Ketzerei 
wird  mit  dem  Schwert  und  Verbrennen  des  Leichnams,  „leichtfertige" 
Ketzerei  willkürlich  gestraft  (ebendort).  Darüber,  ob  eine  Handlung  oder 
Äußerung  gegen  die  Lehren  der  katholischen  Kirche  verstößt  und  eine 
offenbare  Ketzerei  darstellt,  entscheidet  das  geistliche  Gericht  der  Kirche. 
Einer  ähnlichen  Gedankenwelt  entstammen  die  Bestimmungen  über 
die  Bestrafung  von  Zauberei  und  Hexentum.  Während  die  Carolina 
dieses  Verbrechen  zu  säkularisieren  suchte  und  die  ordentliche  Strafe 
des  Feuertodes  auf  die  Fälle  beschränkte,  wo  die  Zauberei  einen 
objektiven  Schaden  verursacht  hatte  (a  109),  bedrohten  die  Sächsischen 
Konstitutionen  das  Teufelsbündnis  als  solches  —  also  ein  rein  geistiges 
Delikt  —  mit  dem  Feuertod,  die  Schadenszufügung  durch  Zauberei 
aber  mit  dem  Schwert.^  Carpzov,  bei  dem  die  fanatische  Härte 
seiner  strafrechtlichen  Wirksamkeit  nicht  zuletzt  auf  seinem  Glauben 
beruhte,  mit  der  Strafjustiz  die  sittlichen  und  religiösen  Grundlagen 
des  Volkslebens  stützen  zu  müssen,  folgte  der  sächsischen  Praxis  und 
verhalf  ihr  zu  nachhaltigem  Einfluß."  Doch  lebte  späterhin,  wie  die 
Tübinger  Konzilien  zeigen,  in  der  Praxis  die  Tendenz  auf,  im  Gegensatz 
zu  Carpzov  zu  der  milderen  Auffassung  der  Carolina  zurückzugehen: 
„cui  inhaerere  potius  convenit  quam  textui  vim  inferre."^  Kreittmayr 
dagegen  folgt  in  Wort  und  Sinn  völlig  Carpzovs  Vorbild.  Teufels- 
bündnis wird  mit  lebendiger  Verbrennung,  Schadenszufügung  durch 
Zauberei  mit  dem  Schwert,  abergläubische  Possen  und  Künste  mit 
geringerer  Strafe  geahndet  (Tl.  I,  cap.  VII,  §  7).* 


^  Schletter,  Die  Konstitutionen  Kurfürst  Augusts  von  Sachsen. 
Leipzig  1857.    S.  315  ff. 

-  Vgl.  Nov.  Pract.  Qu.  49,  Nr.  23  ff. 

°  M.  Grass,  CoUationes  iur.  civ.  Rom.  Tübingen  1723.  In:  R.  Hegler, 
Die  prakt.  Tätigkeit  der  Juristenfakultäten.    Freiburg  1899.    S.  25. 

*  Mit  kindlichem  Anthropomorphismus  wird  in  den  Anmerkungen  zu 
dieser  Bestimmung  die  Huldigung  vor  dem  Teufel  bei  versammeltem  Hexen- 
tanz am  Sonntag  früh  in  der  Kirche  geschildert.  Kreittmayr  steht  hier  ganz 
in  der  Gedankenwelt  Carpzovs  und  des  Frölichschen  Carolinenkommentars. 
Für  die  lebendige  Darstellung  jener  märchenhaften  Vorgänge  aber  war  seine 
Quelle  der  protestantische  Kirchenrat  Joh.  Georg  Wal  eh.  Dessen  Philoso- 
phisches Wörterbuch  brachte  noch  in  späteren  Auflagen  neben  realistischen. 


128 

So  wurden  denn  noch  einmal  Ketzerei  und  Hexenwahn  gesetzlich 
sanktioniert.  Ein  halbes  Jahrhundert  nachdem  Thomasius  Ketzerei 
als  Irrtum,  als  Fehler  des  Intellekts,  nicht  des  Willens  erklärt  und 
gezeigt  hatte,  daß  man  zwar  von  einer  geistigen  Wirkung  des  Teufels, 
Verführung  zu  schlechtem  Lebenswandel,  der  alle  Menschen  unterliegen, 
reden  kann,  daß  aber  Bündnisse  und  Buhlschaften  mit  dem  Teufel 
ein  Ding  der  Unmöglichkeit  sind/  Und  jener  bayerische  Stiftsdechant 
und  Pfarrer  zum  heiligen  Peter  in  Neuburg,  Leonhard  Mayr,  der  sein 
Sterberegister  vom  Jahre  1630,  in  das  er  wieder  den  Namen  von  so 
mancher  hingerichteten  Hexe  aufnehmen  mußte,  schloß  mit  den  Worten: 
„Sic  annus  finem  habuit,  faxit  Deus,  ut  finem  quoque  habeat  ille 
modus  procedendi  plurimum  suspectus"^ —  er  wäre  durch  Kreittmayr 
aufs  neue  enttäuscht  worden.  Alle  Bedenken  und  Proteste  der  Zeit, 
in  der  bereits  die  Morgenluft  der  Hufklärung  fühlbar  wurde,  bewegen 
ihn  nur  zu  der  Warnung:  „nicht  alles,  was  dem  menschlichen  schwachen 
Verstände  unergründlich  scheint,  gleich  für  Hexenwerk  und  Aberglauben 
anzusehen"  (cap.  VII,  §  7).  Innerlich  stand  er  selbst  jedenfalls  kaum 
über  den  Vorurteilen  orthodox  kirchlicher  Kreise.  Er  selbst  war  im 
Jesuitenkolleg  erzogen,  sieben  seiner  Schwestern  nahmen  den  Schleier, 
„ob  gezwungen  oder  ungezwungen,  fügt  der  Biograph  hinzu,  ist  ganz 
begreiflich  unbekannt  geblieben".^  So  entsprach  es  seinen  eigenen 
Anschauungen,  wenn  neben  der  Allgewalt  des  Staates  die  Ansprüche 
der  Kirche  im  Gesetz  voll  zur  Geltung  kamen.  Auch  hier  ein  An- 
knüpfen an  das  Gegebene,  kein  zukunftsreiches  Fortführen  der  Gesetz- 
gebungsreform, eine  Zurückhaltung,  wie  sie  Kreittmayr  geradezu  als 
Verdienst  angerechnet  wurde :  „Ein  Gesetzesverfasser  dürfe  durch- 
aus und  unter  gar  keiner  Bedingung  dem  herrschenden  Zeit- 
geist vorspringen  oder  vorgreifen."'* 


aus  Bodinus,  Torreblanca  und  Fausts  Leben  geschöpften  Schilderungen  der 
Walpurgisnacht  auf  dem  Blocksberg  als  Apologie  gegen  die  seit  den  Tagen 
des  Erasmus  einsetzende  Kritik  einen  „historischen  Beweis",  in  dem  aus  den 
Wirkungen  des  Teufels  auf  seine  Existenz  geschlossen  wird.  Diese  Wirkungen 
sollten  sein:  übereinstimmende  Aussagen  geständiger  Hexen  und  biblische 
Erzählungen,  die  sich  nicht  rationalistisch,  nur  magisch  erklären  lassen.  — 
Joh.  G.  Wa  Ichs  Philos.  Lexikon,  fortgesetzt  u.  vermehrt  von  J.  Chr.  Hennings, 
4.  Aufl.    Leipzig  1775.    S.  1918  H. 

^  An  haeresis  sit  crimen?  (1697),  De  crimine  magiae  (1701).  —  Dazu: 
Landsberg,  Geschichte  der  deutschen  Rechtswissenschaft  3,  I,  S.  85u.  91. 

-  Aus  den  Akten  mitgeteilt  in:  Lipowsky,  Geschichte  des  bayerischen 
Kriminalrechts  S.  210. 

'  Kalb,  Biographie  des  kurfürstl.  Staatskanzlers  v.  Kreittmayr  5.2. 

*  Kalb,  a.a.O.  S.  11.  —  Vgl.  Berners  Spott:  „In  unsrcs  guten 
Kreittmayrs  Kopf  spukt  noch  die  ganze  Walpurgisnacht!"  Strafgesetz- 
gebung in  Deutschland.    Leipzig  1867.    S.  6. 


129 

Gehört  somit  Kreittmayrs  Werk,  kulturhistorisch  betrachtet,  einer 
schon  zu  seiner  Zeit  dem  Ende  nahen  Epoche  an,  so  stellt  es  auch 
rein  strafrechtlich  einen  Ausläufer  einer  vergangenen  Zeit  dar.  Seine 
Zurechnungslehre  spiegelt  noch  einmal  die  strafrechtlichen  Lehren 
des  17.  Jahrhunderts  wieder,  die  in  Benedict  Carpzov  ihren  stärksten 
Ausdruck  gefunden  hatten.  Diese  späte  Kodifikation  Carpzovscher 
Gedanken  ist  ein  Beweis  für  den  Einfluß  Carpzovs  auf  die  Entwicklung 
des  deutschen  Strafrechts,  der,  an  Ruhm  und  Ansehen  nur  Bartolus 
vergleichbar,  über  ein  Jahrhundert  lang  Doktrin  und  Praxis  als  Autorität 
beherrschte.^  Und  indem  Feuerbach  berufen  war,  Kreittmayrs  Codex 
durch  ein  neues  Gesetzbuch  zu  ersetzen,  bilden  dessen  Arbeiten  für 
die  bayerische  Strafrechtsreform  die  große  geschichtliche  Scheide 
zwischen  der  Gedankenwelt  Carpzovs  und  den  Anfängen  des  modernen 
Strafrechts. 

Untersucht  man  Begriff  und  Formen  der  strafrechtlichen 
Schuld  bei  Kreittmayr,  so  ist  die  Frage  vor  allem  die,  ob  man  über- 
haupt im  alten  Strafrecht  in  Fällen,  in  denen  einer  verschiedenen 
inneren  Beziehung  des  Täters  zur  Tat  und  zu  ihrem  Erfolg  entsprechend 
die  Straffolgen  differenziert  wurden,  diese  Differenzierung  tat- 
sächlich auf  verschiedene  Formen  der  Verschuldung  zurückführte. 
Für  die  Abgrenzung  der  Tatbestände,  die  entwicklungsgeschichtlich 
zur  Rufstellung  bestimmter  Schuldformen  geführt  haben,  waren  zwei 
Momente  von  Bedeutung.  Einmal  die  Notwendigkeit,  die  vom  Gesetz 
vorgesehenen  Möglichkeiten  der  Bestrafung  den  Bedürfnissen 
des  Einzelfalls  anzupassen  und  sodann  die  Beweisschwierigkeiten, 
mit  den  Mitteln  und  den  Zielen  des  Inquisitionsprozesses  das  Innen- 
leben des  Täters  aufzudecken.  Nur  wenn  man  sich  klar  gemacht  hat, 
welche  Stellung  das  alte  gemeine  Recht  diesen  beiden  Problemen 
gegenüber  einnahm,  kann  man  die  schwankende  Abgrenzung  und  die 
mangelnde  Differenzierung  der  strafrechtlichen  Schuldhaftung  verstehen. 

Das  ältere  gemeine  Recht  war  beherrscht  von  dem  Gegensatz 
zwischen  der  von  dem  Gesetz  für  einen  idealen  Normalfall  angedrohten 
poena  ordinaria  und  der  vom  Richter  der  Individualität  des  einzelnen 
Falles  entsprechend  modifizierten  poena  extraordinaria.  Ein  Prinzip, 
das  dazu  half,  unzeitgemäße  Grausamkeiten  veralteter  Strafgesetze 
gewohnheitsrechtlich  außer  Kraft  zu  setzen,  das  aber  wegen  seiner 
Gefahr  für  die  Autorität  des  positiven  Rechts  von  den  Kritikern  der 
Äuiklärungszeit  und  namentlich  von  Feuerbach  nicht  weniger  scharf 
als   die   alten   Gesetze   selbst   bekämpft   wurde.  ^     Kreittmayr   überließ 

'  Stintzing,    Geschichte  der  deutschen   Rechtswissenschaft  2.  Äbtlg. 
München  und  Leipzig  1884.    S.  61. 
-  Vgl.  oben  Kap.  I,  S.  24  f. 


130 

die  Modifikation  der  gesetzlich  vorgesehenen  Strafe  nicht  völlig  richter- 
licher Willkür,  indem  er  ein  Abgehen  von  der  „ordinari  Straff"  nur 
bei  ausdrücklicher  gesetzlicher  Anordnung  oder  per  analogiam  juris 
zuließ  (Tl.  I,  cap.  I,  §  13).  Dieser  Bindung  des  Richters  an  das 
positive  Gesetz  entsprach  eine  Stärkung  der  Autorität  des  erkennenden 
Gerichts:  die  gemeinrechtlich  übliche  Äktenversendung  an  höhere 
Kollegien  wurde  verboten,  statt  dessen  sollten  die  Richter  selbst 
zweifelhafte  Fälle  „ex  aequitate  et  analogia  juris  ihrem  besten  Wissen 
und  Gewissen  nach  ohne  Änfrag"  entscheiden  und  lediglich  hinterher 
an  den  geheimen  Rat  berichten,  der  dann  eine  eventuelle  Gesetzes- 
änderung erwägt.^  Von  diesen  Prinzipien  galt  als  wichtigste  Ausnahme 
die  Bestimmung,  daß  bei  einer  strafwürdigen  Handlungsweise  eines 
Bettlers  und  Vagabunden,  die  nicht  unter  einen  bestimmten  Tatbestand 
des  Gesetzes  fällt,  der  Fall  „zu  denen  churfürstlichen  Dikasteriis  ein- 
berichtet und  die  Decision,  wie  derselbe  zu  bestrafen  sein  möchte, 
von  dort  erwartet  werden"   sollte  (Tl.  I,  cap.  II,  §  10). 

Auch  über  diesen  Sonderfall  hinaus  bot  das  Gesetz  mannigfachen 
Anlaß,  die  Strafe  den  Bedürfnissen  des  Einzelfalls  entsprechend  zu 
modifizieren.  In  vielen  Fällen  ist  vom  Gesetz  eine  willkürliche,  d.  h. 
absolut  unbestimmte  Strafe  angedroht,  sodaß  der  Richter  zwar,  ob  er 
strafen  soll,  dem  Gesetz,  wie  hoch  aber,  eigenem  Ermessen  entnehmen 
muß.  Dazu  kennt  das  Gesetz  eine  große  Zahl  von  Milderungsgründen, 
die  in  den  Fällen,  in  denen  eine  bestimmte  Strafgröße  angedroht  ist, 
zur  willkürlichen  poena  extraordinaria  berechtigen.  Nimmt  man  hinzu, 
daß  für  zahlreiche  Delikte  als  ordentliche  Strafe  die  Todesstrafe  angedroht 
war,  und  Kreittmayr,  eine  alte  Kontroverse  „in  mitiorem"  entscheidend, 
bei  willkürlicher  Strafe  die  Todesstrafe  ausschloß,  so  ist  klar,  daß  auch 
nach  dem  Kreittmayrschen  Gesetzbuch  für  die  Urteilstätigkeit  des 
Richters  die  Frage  von  höchster  Bedeutung  war,  ob  die  bestimmte 
ordentliche  Strafe  oder  die  nach  Größe  und  Art  vom 
Ermessen  des  Richters  abhängige  poena  extraordinaria 
anzuwenden    sei. 

Dieser  Fragestellung  erwuchs  eine  weitere  besondere  Bedeutung 
aus  dem  Verhältnis  prozessualer  Besonderheiten  zur  Anwendung 
der  poena  extraordinaria.  Kreittmayr  huldigte  dem  alten  Inqui- 
sitionsprozeß, der  von  dem  Gegensatz  zwischen  einem  grenzenlosen 
Mißtrauen  gegen  den  Beschuldigten  und  einer  weitgehenden  Vorsicht 
von  unendlicher  Naivität,  die  einen  allgemeingültigen  Nachweis  absoluter 
Wahrheit  zur  Verurteilung  forderte,  durchzogen  war.  Hierin  liegt  die 
psychologische  Wurzel  der  Tortur  und  der  ganzen  Ausprägung,  die  der 


*  Mandatum  praemissum  zum  Codex  Juris  Bav.  Crim. 


131 

Inquisitionsprozeß  und  sein  Beweisrecht  bei  den  italienischen  Juristen 
in  den  Formen  erhalten  haben,  die  in  Deutschland  rezipiert  wurden. 
So  knüpfte  man  die  Verhängung  der  gesetzlich  angedrohten  Strafe  an 
die  Erfüllung  gesetzlicher  Beweisregeln,  in  denen  man  eine  Garantie 
objektiver  Wahrheit  zu  sehen  glaubte  —  und  konnte  sich  doch  nicht 
entschließen,  wenn  jene  Beweisregeln  nicht  erfüllt  waren,  den  Ver- 
dächtigen frei  laufen  zu  lassen.  So  entstand  das  absurde  Kompromiß 
der  milderen  poena  extraordinaria  als  Verdachtstrafe.  Diese  Lehre 
der  italienischen  Doktrin  behielt  ihren  unheilvollen  Einfluß  durch  das 
ganze  ältere  gemeine  Recht. ^  Ihre  Nachwirkung  ist  noch  bei  Feuer- 
bach fühlbar.  Bei  Kreittmayr  sind  Folter-  und  Verdachtstrafe  in 
vollem  Umfang  in  Geltung.  Dem  a  22  CCC  entsprechend  ist  zur 
Verurteilung  zur  ordentlichen  Strafe  —  „sonderbar  da  es  an  Leib 
und  Leben  gehen  soll"  —  „ein  vollständiger  sonnenklarer 
Beweis  von  Nöten,  welcher  auf  zweierlei  Weis,  nämlich  die  Bekenntnis 
des  Delinquenten  oder  desselben  gänzliche  Überweisung  (d.  h.  durch 
zwei  klassische  Zeugen)  bewirket  wird"  (Tl.  II,  cap.  V,  §  1).  Andere 
Umstände,  aus  denen  sich  die  Tat  „rechtlich  vermuten"  läßt,  Indizien 
führen  nur  zur  peinlichen  Frage  oder  —  zur  „extraordinari  Straff". 
Dieser  prozessualen  Regelung  entspricht  die  materiellrechtliche  Bestim- 
mung, daß  ein  Mangel  im  Beweis  zur  Verwandlung  der  ordentlichen 
in  die  willkürliche  außerordentliche  Strafe  berechtigt  (Tl.  I,  cap.  I,  §  24). 
Die  Schlußbestimmung  des  materiellen  Teils  (Tl.  I,  cap.  XII,  §  11) 
bedroht  allgemein  den  Verdacht  eines  Verbrechens  mit  außerordentlicher 
Strafe.  So  führte  polizeistaatliche  Ängstlichkeit  im  Verein  mit  jener 
beweisrechtlichen  Naivität  zu  der  grotesken  Schöpfung:  dem  Ver- 
brechen,   eines  Verbrechens   verdächtig   zu    sein! 

Im  übrigen  ist  der  Inquisitionsprozeß  bei  Kreittmayr  besonders 
rigoros  ausgestaltet.  Das  ehrliche  Bestreben  der  Carolina,  durch  bis 
ins  einzelne  gehende  Anweisungen  an  den  Richter,  der  im  Inquisitions- 
prozeß zugleich  Defensor  sein  sollte,  die  Verteidigung  des  Angeklagten 
sicherzustellen,  da  „mancher  aus  Einfalt  und  Schrecken  nit  fürzuschlagen 
weiß,  ob  er  gleich  unschuldig  ist"  (a  47),  ist  hier  keineswegs  fortgesetzt. 
Die  Pflichten  des  Richters,  für  die  Verteidigung  des  Angeklagten  zu  sorgen, 
sind  eng  begrenzt,  ein  Entlastungsbeweis  aufs  äußerste  erschwert.  Dem 
Angeklagten  soll  der  Inhalt  der  einzelnen  Zeugenaussagen  vorenthalten 
werden  (Tl.  II,  cap.V,  §  20).  Ausdrücklich  wird  davor  gewarnt,  den 
„rechtlichen  Favor"  beim  Entlastungsbeweis  zu  weit  auszudehnen, 
d.  h.  dem  von  Carpzov  befürworteten  Gedanken  zu  sehr  nachzugeben, 

*  Liepmann,  Gedanken  über  den  Rechtsirrtum.  Z.  Str.W.  39,  S.  533. 
Auf  diese  Abhandlung  sei  hier  auch  für  die  unmittelbar  folgende  Dar- 
stellung verwiesen. 


132 

daß  der  Nachweis  von  Momenten,  die  zugunsten  des  Angeklagten 
spreclien,  nicht  an  die  strengen  Voraussetzungen  des  formalen  Schuld- 
beweises geknüpft  sei.^  „Zwanzig  Unschuldige  auf  dem  Schaffot  oder 
im  Zuchthaus"  scheinen  nach  einem  Wort  Feuerbachs  dem  Urheber 
solcher  Bestimmungen  lieber  zu  sein,  als  wenn  „ein  Schuldiger  den 
Händen  der  Gerechtigkeit  entschlüpft"!^ 

In  welcher  Weise  haben  nun  diese  Momente  auf  die  Ausgestaltung 
der  Zurechnungsprinzipien  und  Schuldformen  gewirkt?  Kreittmayr  hat 
bereits  im  Gegensatz  zu  Carpzov  einen  allgemeinen  Teil:  „Von  denen 
Criminalverbrechen  und  Straffen  überhaupt",  aber  trotzdem  sind  auch 
bei  ihm  wichtige  Fragen  der  Zurechenbarkeit,  vor  allem  die  Abgrenzung 
des  Dolusbegriffes  in  der  seit  den  Postglossatoren  üblichen  Weise  bei 
den  Tötungsdelikten  behandelt.  „Ein  Verbrechen  wird  begangen",  heißt 
es  in  den  einleitenden  allgemeinen  Bestimmungen  (Tl.  I,  cap.  I,  §  3), 
„da  man  gegen  das  Gesetz  etwas  tut  oder  unterlasset,  und  zwar  ent- 
weder aus  gefährlichem  bösem  Fürsatz  oder  aus  merklichem  Versehen, 
zu  Latein  dolo  vel  culpa  ..."  Und  die  Anmerkungen  fügen  hinzu: 
„.  .  .  wo  keins  von  beiden  ist,  da  ist  auch  kein  Verbrechen,  folglich 
keine  Straff."  Wie  es  scheint,  eine  klare  und  eindeutige  Ausprägung 
des  Verschuldungsprinzips.  Und  doch  zeigt  eine  nähere  Untersuchung, 
daß  bei  Kreittmayr  keineswegs  Vorsatz  und  Fahrlässigkeit  als 
selbständige   Schuldformen  gedacht   sind. 

Eine  Legaldefinition  des  Vorsatzes  findet  sich  im  Codex  Juris 
Bavarici  Criminalis  nicht.  In  den  Anmerkungen  bestimmt  Kreittmayr 
den  Vorsatz  als  die  „böse  Meinung,  dem  andern  Schaden  zu 
tun",  und  er  versteht  darunter  sowohl  die  Fälle,  in  denen  der  Täter 
„das  ausgeübte  Verbrechen  schon  vorgehabt",  als  auch  die,  in  denen 
er  „in  böser  Meinung,  Schaden  zu  tun,  etwas  unternimmt,  woraus 
die  verübte  Übeltat  gemeiniglich  zu  erfolgen  pflegte,  ob  man  schon 
selbe  in  specie  nicht  vorgehabt  hat"  (Anm.  zu  Tl.  I,  cap.  I,  §  3b). 
Diese  Begriffsbestimmung  entspringt  einer  Lehre,  die,  von  Carpzov 
stark  beeinflußt,  in  der  Entwicklung  freilich  schon  über  ihn  hinaus 
gediehen  war.  Carpzov  ging  nicht  von  einer  allgemeinen  Unter- 
suchung der  Zurechenbarkeit  zur  Schuld  aus,  sondern  er  fragte 
nach  dem  Umfang  der  Strafbarkeit.  Auf  homicidium  simplex 
dolosum  steht  als  poena  ordinaria  für  Totschlag  das  Schwert.  Ein 
solcher  vorsätzlicher  Totschlag  ist  normalerweise  ex  voluntate  et  animo 
occidendi  begangen.  Quid  autem,  si  animus  occidendi  desit?  . . .  Anne 
delinquens  poena  mortis  sive  gladi  puniri  debeat?'^    Ungezählte  Morde 

'  Carpzov,  Pract.  Nov.  Rcr.  Crim.  Qu.  115,  Nr.  75. 

■'  Leben  und  Wirken  I,  S.  13L 

»  Pract.  Nov.  Rcr.  Crim.  Qu.  1,  Nr.  15. 


133 

blieben  ungesühnt  mit  Hilfe  der  Ädvokati,  „quorum  Studium  plerumque 
est  lites  ac  inquisitiones  protrahere",  wenn  die  ordentliche  Strafe  auf 
die  Fälle  beschränkt  bliebe,  in  denen  eine  unmittelbare  Tötungsabsicht 
nachgewiesen  ist/  Carpzov  entscheidet  daher  jene  Frage  dahin,  daß 
derjenige,  der  einem  andern  eine  Verletzung  beibringt,  welche  allgemein 
geeignet  war,  den  Tod  herbeizuführen,  auch  wenn  er  den  Tod  des 
andern  nicht  gewollt  hatte,  geradeso  mit  der  poena  ordinaria  bestraft 
werden  müßte,  wie  wenn  er  den  Tod  beabsichtigt  hätte:  ac  si  habeat 
animum  occidendi."  Wer  auf  einen  andern  mit  einer  lebensgefährlichen 
Waffe  losgeht,  lediglich  um  ihn  zu  verwunden,  wird  mit  der  Strafe 
des  vorsätzlichen  Totschlägers  bestraft,  wenn  der  andere  an  seinen 
Verletzungen  stirbt.  Mit  dieser  Entscheidung  rezipierte  Carpzov  die 
bei  den  Postglossatoren  durch  den  Einfluß  des  Baldus  zur  Herrschaft 
gebrachte  Doctrina  Bartoli.^ 

Hierbei  handelt  es  sich  für  Carpzov  zunächst  keineswegs  darum, 
den  Begriff  des  Tötungsvorsatzes  inhaltlich  zu  erweitern,  als  viel- 
mehr die  Anwendbarkeit  der  poena  ordinaria  auf  Fälle  auszudehnen, 
in  denen  der  durch  Menschenhand  verursachte  Tod  eines  andern  nicht 
beabsichtigt  —  oder  aber  diese  Absicht  nicht  nachweisbar  war. 
Diesen  Gedanken  drückt  er  auch  in  der  Weise  aus,  daß  in  diesen 
Fällen  der  gleiche,  aber  als  solcher  nicht  beweisbare  animus 
occidendi  präsumiert  wird.  Der  gleiche  Vorsatz  ist,  ohne  an  Inhalt 
und  Umfang  geändert  zu  sein,  um  seiner  Unerweislichkeit  halber  ein 
dolus  praesumtus.  Wer  mit  dem  Schwert  den  andern  anfällt  und 
ihn  tödlich  trifft,  dem  wird  nicht  geglaubt,  daß  er  ihn  nicht  töten 
wollte  und  er  wird  deshalb  so  bestraft,  als  ob  er  ihn  animo  occidendi 
getötet  hätte.  Quia  seit  aut  sattem  scire  debebat,  certo  et  destinato 
modo  vulnus  praesertim  gladio  vel  simili  instrumento  ad  homicidium 
perpetrandum  apto  dari  non  posse,  in  effectu  negari  nequit,  quin  talis 
habeat  animum  occidendi  .  .  .* 


*  Qu.  1,  Nr.  42.  Auch  Stintzing,  Geschichte  der  deutschen  Rechts- 
wissenschaft II.  Abt.,  1884,  S.  77,  legt  entscheidendes  Gewicht  auf  diese 
Begründung  der  Carpzovschen  Doluslehre.   —   '  Qu.  1,  Nr.  28. 

'■'  Vgl.  hierüber  Engclmann,  Die  Schuldlehre  der  Postglossatoren. 
Leipzig  1895.  S.77  ff.  —  Bartolus  (Digest,  ad  nov.  ad  1.  Corn.  de  sie,  1.  divus, 
Nr.  7):  Si  quidem  delictum,  quod  principaliter  facere  proposuerat,  tendit  ad 
illum  finem,  qui  secutus  est,  et  tunc  inspicimus  eventum.  Baldus  spricht 
ausdrücklich  davon  (Lectura  in  Codice  IVmandati  1.  si  mandati),  daß  derjenige, 
der  einen  andern  in  der  Absicht,  ihn  nur  zu  verwunden,  mit  einer  Waffe 
verletzt,  die  aptum  ad  inferendum  mortem  ist,  zu  bestrafen  sei:  ac  si  habuis- 
set  animum  occidendi.    (Zitiert  bei  Engelmann  S.  79  f.) 

*  Qu.  1,  Nr.  28.  Lobe,  Die  allgemeinen  strafrechtlichen  Begriffe  nach 
Carpzov,  Leipzig  1894,  S.  13,  sieht  hierin  keine  Dolus-Präsumtion,  sondern 
meint,  hier  werde  das  Bewußtsein  der  Möglichkeit  des  Erfolges  beim  Gebrauch 
gefährlicher  Werkzeuge  lediglich  „angenommen". 


134 

Mit  diesen  Lehren  hätte  sich  Carpzov  begnügen  können,  um  die 
Schwertstrafe  auch  für  die  tödlich  verlaufenen,  generell  gefährlichen 
vorsätzlichen  Verletzungen  zu  rechtfertigen.  Wenn  er  weiterhin  ver- 
sucht, den  Tötungsvorsatz  auch  inhaltlich  begrifflich  auf  jene  Fälle 
zu  erweitern,  so  ist  das  ein  Beweis  dogmatischer  Unklarheit  in  den 
grundlegenden  Fragen  der  Zurechnungslehre.  Sonst  hätte  er  erkennen 
müssen,  daß  Präsumtion  des  animus  occidendi  und  Erweiterung  des 
Dolus -Begriffes  sich  ausschließen.  Denn  wenn  eine  erweiterte  Dolus- 
Form  jene  Yerletzungsfälle  umfaßt,  braucht  nicht  der  enge  animus 
occidendi  präsumiert  zu  werden.  Indessen  sah  sich  Carpzov  zur 
Erweiterung  des  materiellen  Dolus-Begriffes  durch  die  Doktrin  gedrängt, 
daß  bei  Kapitalverbrechen  dolus  requiratur  nee  lata  culpa  dolo  aequi- 
paretur.^  Um  dieses  —  auch  von  Kreittmayr  vertretenen  —  Satzes 
willen  bemühte  sich  Carpzov  nachzuweisen,  daß  er  nicht  etwa  in 
Fällen,  wo  in  Wahrheit  fahrlässige  Tötung  vorliegt,  dolus  fingiere, 
sondern  daß  tatsächlich  derartige  lebensgefährliche  Verletzungen 
unter    den    Begriff    der    vorsätzlichen  Tötung    zu    subsumieren    seien. 

Die  Gedankengänge,  die  Carpzov  zur  Lösung  dieser  Aufgabe 
heranzog,  lassen  sich  auf  den  Satz  des  kanonischen  Rechts  zurück- 
führen: Versanti  in  re  illicita  imputantur  omnia,  quae  sequuntur  ex 
delicto.^  Hiermit  war  im  kanonischen  Recht  freilich  kein  allgemeines 
Zurechnungsprinzip  ausgesprochen,  sondern  nur  ein  Maßstab  für  die 
Frage  gegeben,  wann  ein  homicidium  Irregularitätsgrund  sei,  d.  h.  wann 
derjenige,  der  den  Tod  eines  Menschen  verursacht  hat,  nicht  mehr 
der  geistlichen  Würden  der  katholischen  Kirche  teilhaftig  sein  darf.^ 
Jene  Regel  hat  sich  mit  fortschreitender  Rechtsentwicklung  aus  einem 
Privilegierungs-  in  ein  Qualifizierungsmoment  verwandelt.*  Gegenüber 
einer  unbegrenzten  Erfolgshaftung  bedeutet  sie  eine  Ausnahme  zugunsten 
des  Handelnden,  indem  sie  die  Zurechenbarkeit  des  Erfolges  von  einem 
subjektiven  Moment  abhängig  machte,  von  der  rechtswidrigen  Absicht 
oder  der  Nachlässigkeit  bei  der  vorausgegangenen  Handlung,  während 


'  Qu.  1,  Nr.  51. 

■  Vgl,  Bernard  Papiensis,  Summa  decretalium  (Editio  Laspeyres 
1860)  Lib.  V,  Tit.  10,  §5:  „ . . .  distingue,  an  ille,  qui  casu  occidit,  instabat 
licito  operi  et  adhibuit  illam  diligcntiam,  quam  debuit,  an  non;  primo  casu 
non  imputatur  sibi  sed  casui  et  fato  et  fortunae . . . ,  alioquim  si  vel  non 
instabat  operi  licito  vel  non  adhibuit  illam  diligentiam,  quam  debuit,  sibi 
dcbet  imputari." 

•"*  Vgl.  Hinschius,  System  des  katholischen  Kirchenrechts  Bd.  I. 
Berlin  1S69.  S.  41  f.  —  Löffler,  Die  Schuldformen  des  Strafrechts  Bd.  I. 
Leipzig  1895.    S.  136  ff.  —  Binding,  Normen  IV.  Bd.,  S.  115. 

'  Das  Folgende  nach  KoUmann,  Die  Lehre  vom  Versari  in  re  illicita 
im  Rahmen  des  Corp.  Jur.  Can.     Z.  Str.  W.  35,  S.  46  ff. 


135 

sie  vom  Standpunkt  ausschließlicher  Schuldhaftung  eine  vom  Geist 
der  Kasualhaftung  bedingte  Anomalie  darstellt. 

Aus  dem  Gedanken,  daß  man  für  alle  Folgen  einer  schuldhaften, 
verbotenen  Handlungsweise  einstehen  muß,  läßt  sich  auf  zwei  Wegen 
ein  erweiterter  Dolus -Begriff  ableiten.  Entweder  man  sieht  von  einer 
psychologischen  Beziehung  zum  speziellen  Erfolg  überhaupt  ab  und 
sucht  den  Dolus  allein  in  dem  inneren  Verhältnis  zu  der  voran- 
gegangenen Handlungsweise,  man  stellt  lediglich  fest,  der  Täter  hat 
überhaupt  dolos  gehandelt:  Dolus  generalis.  Oder  aber  man 
setzt  die  eingetretene  Folge  als  Konsequenz  der  beabsichtigten  Handlung 
mit  dem  Willen  zu  dieser  Handlung  in  Beziehung:  Dolus  indirectus. 
Von  diesen  Lösungsmöglichkeiten  ist  die  zweite  in  der  geschichtlichen 
Entwicklung  ungleich  stärker  ausgeprägt  v/orden.^  So  trat  auch  bei 
Carpzov  zu  dem  dolus  directus  im  Sinne  des  alten  animus  occidendi 
ein  neuer  materiell  anders  gearteter  Dolus -Begriff,  die  Beziehung  des 
Willens  auf  die  Folgen  des  unmittelbar  Gewollten:  Dolus  indirectus. - 

Der  Mann,  dessen  Gedankenarbeit  Carpzov  hier  übernahm,  war 
der  Spanier  Covarruvias,  der  gelehrt  hatte:  wer  die  verursachende 
Handlung  will,  der  will  damit  auch  zugleich  alle  Folgen,  die  sich 
normalerweise  unmittelbar  aus  ihr  ergeben;  wer  einen  anderen  absicht- 
lich schwer  verletzt,  der  hat  auch  den  Tod  gewollt,  wenn  jener  an 
seinen  Wunden  gestorben  ist.^  Auf  Grund  dieser  Doktrin  stellte 
Carpzov  neben  den  Dolus  directus  (quando  quis  animum  habet  occidendi) 
den  Dolus  indirectus  als  zweite  Form  des  materiellen  Dolus -Begriffes: 
indirecte  autem  et  per  accidens  fertur  voluntas  in  homicidium,  quoties 


*  Es  findet  sich  auch  der  dolus  generalis  bei  Carpzov  (Qu.  1,  Nr.  29). 
Jedoch  ist  für  die  Entwicklung  des  gemeinrechtlichen  Dolus -Problems  und 
seine  Ausprägung  bei  Kreittmayr  der  dolus  indirectus  ungleich  wichtiger. 
Über  die  Entstehung  und  die  (geringe)  Bedeutung  des  dolus  in  gcnere 
im  italienischen  Recht  vgl.  Engelmann,  Schuldlehre  der  Postglossatoren 
S.  75  und  103  f. 

'  Hälschncr,  System  des  preußischen  Strafrechts  I.  Bonn  1858. 
S.  131  f.  —  Lobe,  Die  allgemeinen  strafrechtlichen  Begriffe  nach  Carpzov 
S.  12  f.,  bestreitet  einen  wesentlichen  Unterschied  zwischen  dolus  generalis 
und  dolus  indirectus.  Die  obige  Darstellung  sieht  im  dolus  indirectus 
eine  —  mittelbare  —  Beziehung  des  Willens  zum  Erfolg,  während  beim 
dolus  generalis  entweder  überhaupt  keine  Beziehung  des  Willens  zum  Erfolg 
oder  nur  zu  einem  generalisierten  Erfolg  (dolus  cum  obiecto  generali)  ver- 
langt wird.   Vgl.  auch  Engelmann,  Schuldlehre  der  Postglossatoren  S.  104f. 

^  Covarruvias,  Relcct. Clement,  p.ll  de  homic.  Init  Nr.  1:  ...voluntas 
cnim  percutientis  fertur  in  percussionem  et  in  omne  id,  quod  immediate 
et  per  se,  non  per  accidens  ex  eo  fuerit  secutum  et  sie  in  homicidium 
ex  percussione  per  se  et  immediato  secutum.  Zitiert  bei  Engelmann, 
a.  a.  O.  S.  108,  Änm.  7. 


136 

fertur  in  id,  ex  quo  immediate  et  per  se,  non  per  accidens  homicidium 
sequitur.^  So  braucht  Carpzov  bei  absichtlicher  lebensgefährlicher 
Verletzung  den  Tötungsvorsatz  nicht  mehr  zu  präsumieren,  denn  der 
Täter  wollte  —  zwar  unmittelbar  nur  die  Verletzung,  mit  ihr  aber 
„mittelbar''  den  Tod.  Darum  trifft  ihn  wie  jeden  andern  Totschläger 
die  Schwertstrafe.  Das  war  Ausgangspunkt  und  Ziel  der  Carpzovschen 
Untersuchung:  Verissima  ergo  manet  haec  nostra  sententia,  quod 
nimirum  poena  gladii  seu  ultimo  supplicio  afficiendus  sit  non  solum 
ille,  qui  animo  occidendi  aliquem  interfecit  sed  et  qui  doloso  ac  pravo 
animo  percussit  gladio  nolens  ipsum  occidere,  si  mors  subsecuta  fuerit." 
Huch  Leyser  geht  an  die  ganze  Frage  vom  Standpunkt  des 
kriminalpolitischen  Strafbedürfnisses  heran:  diejenigen,  welche  die  ordent- 
liche Strafe  nur  bei  animus  occidendi  directus  zulassen,  saepe  homicidis 
elabendi  occasionem  praebent.^  Dabei  verläßt  Leyser  Carpzovs  Stand- 
punkt insofern,  als  er  an  Stelle  des  Ausdrucks  dolus  indirectus,  „ut  male 
appellatur",  dievoluntasnocendi  setzte.  Darin  lag  eine  Einschränkung, 
indem  hiernach  der  Tod  nicht  als  vorsätzlich  verursacht  galt,  wenn  er 
die  Folge  harmloser  Gesetzesverletzungen  war:  verbotene  Feiertags- 
arbeit, übermütiges  Abfeuern  einer  Kanone,  Spielerei  mit  Waffen  am 
unrechten  Ort  und  so  fort.^  Nur  wenn  der  Tod  die  Folge  einer 
Handlungsweise  war,  die  mit  einer  allgemein  auf  Schädigung  gerichteten 
Absicht  begangen  war,  die  keine  Beziehung  zu  dem  speziellen  Delikts- 
tatbestand zu  haben  braucht,  gilt  der  Tod  als  vorsätzlich  verursacht.  In 
ähnlicher  Weise  findet  sich  diese  Vorsatzform  bei  Samuel  Boehmer, 
der  den  Carpzovschen  Voraussetzungen  ähnlich  wie  Leyser  einen  animus 
laedendi  hinzufügte.^  Später  hat  Boehmer  den  Begriff  erheblich  um- 
gestaltet. Dabei  macht  sich  eine  Verschiebung  des  Ausgangspunktes 
geltend.  Es  handelt  sich  nun  nicht  mehr  um  eine  bloße  Frage  der 
Strafbarkeit,  sondern  Boehmer  geht  von  einem  einheitlichen  Zurechnungs- 
prinzip, der  Willensschuld,  aus.  Wer  beabsichtigt,  einen  andern  auf 
eine  Weise  zu  schädigen,  von  der  er  weiß  —  non  enim  sufficit  cogitare 
debuisse  — ,  daß  sie  den  Tod  des  andern  herbeiführen  kann,  der  will 
eventualiter   den  Tod.'' 


'  Qu.  1,  Nr.  3L 

ä  Qu.  1,  Nr.  62. 

^  Leyser,  Mcditationes  ad  Pandectas.  Specimen  597,  Nr.  17. 

■*  Ebendort  Specimen  603,  Nr.  3. 

"  Jo.  Sam.  Fr.  Boehmer,  Elementa  Jurisprudentiae  Criminalis  Sect.  I, 
§  43  und  II,  §  202.     Zitiert  nach  der  3.  Aufl.  1743  (L  Aufl.  1732). 

"  Jo.  Sam.  Fr.  Boehmer,  Observationes  selectae  ad  B.  Carpzovii 
Prac.  Nov.  Rcr.  Crim.  Frankfurt  a.M.  1759.  Observ.  II  ad  quaest.  1,  Nr.  62.  — 
Mcditationes  in  CCC.  Halle -Magdeburg  1770.  §  V— VIII  zu  a  137.  — 
V^i.  o.aru:  Löiiler,  Schuldformen  S.  172  ff.  —  Im  Gegensatz  zu  den  Elementa 


137 

Von  Leyser  und  der  auf  ihn  zurückgehenden,  in  Boehmers 
ersten  Schriften  vertretenen  Auffassung  vom  dolus  indirectus  übernahm 
Kreittmayr  seinen  Vorsatzbegriff.  Auch  er  behandelt  das  Für  und 
Wider  dieser  Lehre  bei  den  Tötungsdelikten  und  bringt  den  Vorsatz 
in  seiner  doppelten  Form,  als  animus  Decidendi  directus:  „was  jener 
sei,  begreift  jedermann  leicht!",  und  als  dolus  indirectus.  Dolus 
indirectus  ist  der  „böse  Wille,  dem  andern  ohngeacht  der  dabei  ob- 
schwebenden  Todesgefahr  Schaden  zu  tun"  (Änm.  zu  Tl.  I,  cap.  111,  §  2  a). 
Der  vorsätzliche  Totschlag  besteht  für  ihn  nicht  „schon  in  einer 
ungebührlichen  Handlung,  wodurch  ein  Totschlag  begangen  wird, 
welcher  leicht  hätte  vorgesehen  werden  können  und  sollen".  Kreittmayr 
bringt  in  Anlehnung  an  Leyser  folgendes  Beispiel:  „Es  schießet  einer 
auf  dem  Capuziner- Graben  allhier  gegen  obrigkeitlichen  Verbot  auf 
die  Schwalben,  trifft  dabei  unglücklicher  Weis  einen  Vorbeigehenden 
und  schießt  ihn  tot."  Carpzov  würde  hier  vorsätzlichen  Totschlag 
annehmen,  meint  Kreittmayr,  weil  der  Täter  „in  re  illicita  versirt". 
Aber  nach  Leyser,  dessen  Doktrin  Kreittmayr  folgt,  ist  er  nur 
homicida  culposus,  „weil  er  zwar  ungebührlich  gehandelt,  jedoch  dem 
Vorbeigehenden  zumal  auf  eine  Tods  gefährliche  Weis  Schads  zu  tun, 
die  böse  Meinung  nicht  gehabt  hat."  Vorsätzliche  Tötung  im 
Sinne  eines  dolus  indirectus  würde  vorliegen,  wenn  er  „mit  Fleiß  auf 
den  Entleibten  schießen  und  denselben  nur  hätte  lähmen  oder  ver- 
wunden wollen"   (Hnm.  zu  Tl.  1,  cap-  111,  §  2a). 

Eine  ähnliche  entwicklungsgeschichtliche  Vergangenheit  wie  der 
Dolus  indirectus  weist  die  Culpa  auf.  Auch  hier  ist  allmählich  aus 
einer  Formel,  die  eine  Berechtigung  —  nicht  wie  beim  dolus  indirectus 
zur  erweiterten  Anwendung  —  sondern  zur  Modifikation  der  poena 
ordinaria  zum  Ausdruck  bringen  sollte,  eine  selbständige  Schuldform 
entstanden.  Noch  bei  Carpzov  bedeutet  die  Culpa  nichts  anderes 
als  eine  Legitimation  für  die  Anwendung  der  arbiträren  poena  extra- 
ordinaria  in  Fällen,  in  denen  die  Verhängung  der  für  die  „normale", 
vorsätzliche  Begehung  des  Delikts  angedrohten  ordentlichen  Strafe  zu 
hoch  erschien  und  in  keinem  Verhältnis  zur  wirklichen  Schuld  stand.  ^ 
Bei  Kreittmayr  lassen  sich  deutlich  Spuren  dieser  Auffassung  nach- 
weisen,   während    andere    Stellen    auf    eine    beginnende    Anerkennung 

wird  in  diesen  späteren  Schriften  Boehmers  an  Stelle  der  Möglichkeit 
des  Bewußtseins  des  Erfolges  (objektiv)  das  Bewußtsein  der 
Möglichkeit  des  Erfolges  (subjektiv)  zum  dolus  indirectus  verlangt. 
'  Liepmann,  Rechtsirrtum,  a.a.O.  S. 531.  —  Ausführliche  Darstellung 
der  Carpzovschen  Fahrlässigkeitsfälle  bei  Binding,  Normen  IV,  1.  Hbtl., 
S.  158  H.,  der  in  Carpzov  zwar  den  „Schöpfer  der  gemeinrechtlichen  Praxis 
auf  diesem  Gebiet"  sieht,  über  das  Wesen  der  Fahrlässigkeit  jedoch 
tiefere  Aufschlüsse  bei  ihm  vermißt  (S.  164). 


138 

einer  begrifflich  selbständigen  Fahrlässigkeitsschuld  schließen 
lassen.  Verbrechen  werden  begangen,  heißt  es  Tl.  I,  cap.  I,  §  3,  dolo 
vel  culpa  und  die  Anmerkungen  ergänzen:  wo  keins  von  beiden  ist, 
da  ist  auch  kein  Verbrechen.^  Nach  dem  Vorgang  der  Carolina 
(a  134,  146,  180)  werden  eine  Reihe  von  Delikttatbeständen  aufgezählt, 
die  in  bezug  auf  die  subjektiven  Voraussetzungen  in  ihrer  Terminologie 
zwar  schwanken,  aber  das  gemeinsam  haben,  daß  hier  ausdrücklich 
eine  andere,  geringere  Form  der  Schuld  als  die  des  Vorsatjes  verlangt 
wird:  Totschlag  „aus  Unbehutsamkeit"  (Tl.  I,  cap.  111,  §  3),  „Apotheker 
und  Materialisten,  welche  unvorsichtiger  Weis  Gift  verhandeln"  (cap.  111, 
§  14),  Äbtreibung  „mehr  aus  Versehen  als  bösen  Fürsatz"  (cap.  111, 
§  20),  „verwahrloste  Brünsten,  welche  sich  nicht  aus  bösen  Fürsatz, 
sondern  aus  Verschulden  zutragen"  (cap.  VlII,  §  8).  Wenn  man  auch 
unschwer  in  diesen  Tatbeständen  Vorläufer  der  Fahrlässigkeitsdelikte 
erblicken  kann,  so  zeigt  doch  die  schwankende  Terminologie,  daß  die 
Frage  nach  dem  Wesen  und  den  Graden  der  Fahrlässigkeitsschuld 
noch  nicht  als  einheitliches  Problem  gesehen  ist.  Wie  nahe  Kreittmayr 
im  Grunde  auch  hier  noch  Carpzov  steht,  zeigt  der  Umstand,  daß  alle 
diese  Fälle  nicht  mit  einer  bestimmten  gesetzlichen  Strafe  bedroht  sind, 
sondern  —  entsprechend  der  CCC  —  lediglich  willkürlicher  Bestrafung 
überlassen  bleiben.  Hier  wirkt  die  Fahrlässigkeitsstrafe  in  Form  der 
Carpzovschen  poena  extraordinaria  nach,  obwohl  allgemein  bei  Kreittmayr 
die  Culpa   als   gesetzlicher  Strafmilderungsgrund  nicht  anerkannt  ist. 

Wer  aus  gemeinrechtlichen  Bestimmungen  Prinzipien  der  Zu- 
rechnungslehre abzuleiten  sucht,  muß  sich  vor  der  Gefahr  hüten, 
in  den  alten  gesetzlichen  Regelungen  Lösungen  für  Probleme  zu  sehen, 
die  erst  die  moderne  Strafrechtsdoktrin  gestellt  hat.  Zeigte  sich  schon 
bei  den  Bestimmungen  über  Dolus  und  Culpa,  daß  es  sich  ursprünglich 
weniger  um  eine  Differenzierung  selbständiger  Schuldformen  handelte, 
als  vielmehr  um  den  Versuch,  bestimmte  Fälle  der  poena  ordinaria, 
andere  der  willkürlichen  poena  extraordinaria  zuzuweisen,  so  ist  auch 
bei  einer  Darstellung  der  Bedeutung  des  Rechtsirrtums  bei  Kreitt- 
mayr besondere  Vorsicht  notwendig.  Insbesondere  darf  man  aus  der 
Behandlung  des  Rechtsirrtums  Rückschlüsse  auf  das  Wesen  des  Vor- 
satzbegriffes nur  ziehen,  wenn  nachgewiesen  ist,  daß  der  Gesetzgeber 
die  Irrtumsfälle  in  konsequenter  Anwendung  des  Vorsatzbegriffes 
geregelt  hat.  Von  einer  Irrtumslehre  darf  nur  dort  geredet  werden, 
wo  die  einzelnen  Bestimmungen  aus  einer  bestimmten  Doktrin  heraus 
einheitlich  gestaltet  sind. 


'  In   cap.  1,  §  30  wird  culpa  im   Sinne  einer  genus- Bezeichnung  für 
Schuld  überhaupt  verwandt. 


139 

Auf  den  ersten  Blick  scheint  das  bei  Kreittmayr  der  Fall  zu 
sein.  „Wem^  es  an  genügsamen  Verstand  und  freien  Willen  ermangelt, 
der  ist  keines  Verbrechens  fähig."  Aus  einer  solchen  Doktrin  ergibt 
sich  folgerichtig  der  Satz,  daß  unvernünftiges  Vieh,  unmündige  Kinder, 
unsinnige  Leute  kein  Verbrechen  begehen  können.  Verstand  und  Wille 
als  Voraussetzungen  der  Zurechnungsfähigkeit  —  dem  scheint  eine 
Zurechenbarkeit  im  Sinne  einer  bewußten  Willensschuld  zu  ent- 
sprechen: was  „aus  Irrtum,  Unwissenheit  .  .  .  geschieht,  wird 
für  kein  Verbrechen  geachtet"   (Tl.  I,  cap.  I,  §  4). 

Aber  die  näheren  Bestimmungen  des  Gesetzes  widersprechen 
solch  trügerischer  dogmatischer  Aufmachung.  Irrtum  (sc.  über  die 
Identität  der  Tat)  hebt  alle  Strafe  auf,  „wenn  der  Irrende  in  facto 
licito  et  inculposo  versiret"  (cap.  I,  §  30).  Eine  Verallgemeinerung 
des  a  145  CCC,  der  Straflosigkeit  zuläßt,  „so  einer  in  rechter  not- 
wehr  einen  unschuldigen  wider  seinen,  des  täters  willen  entleibt"! 
Wer  aber  umgekehrt  eine  strafbare  Handlung  zu  begehen  glaubt,  bei 
dem  vermag  ein  error  in  obiecto  allerhöchstens  Strafmilderung  zu 
bringen,  ihn  aber  auch  in  den  Fällen  nicht  von  Strafe  zu  befreien, 
in  denen  wir  von  einem  Putativdelikt  sprechen  würden.  „.  .  .  z.  e.  es 
beschlaft  einer  seine  Schwester  in  der  Meinung,  es  seye  die  Magd. 
Dieser  wird  nicht  poena  incestus,  sondern  milder  gestraft,  wenn  er 
den  angeblichen  Irrtum  wahrscheinlich  dartun  kann"  (Änm.  c  zu  Tl.  1, 
cap.  I,  §  30).  Nun  aber  die  Fälle  der  Unwissenheit  (sc.  der  Rechts- 
widrigkeit), die  eigentliche  Domäne  des  Rechtsirrtums!  Dabei  ist  die 
wichtigste  Frage:  welches  Wissen  setzt  die  Bestrafung  mit  der 
ordentlichen  Strafe,  also  offenbar  die  Ähndung  für  vorsätzliches 
Handeln  voraus?  „Es  ist  aber  hierzu  nicht  nötig,  die  besondere 
Gattung  derselben  Sh-aff  zu  wissen,  sondern  es  ist  genug,  dass  die 
innerliche  Boss-  und  Straffmässigkeit  der  Tat  nicht  unbekannt 
sei  oder  sein  könne"  (Tl.  I,  cap.  I,  §  31).  Kenntnis  des  positiven 
Strafgesetzes  wird  also  nicht  verlangt.  Zwar  heißt  es  in  der  Präambel, 
man  habe  dies  Gesetz  „zu  Jedermanns  Wissenschaft  in  öffentlichen 
Druck  legen  lassen",  aber  die  Anmerkungen  zu  dieser  Präambelstelle 
erklären,  der  Codex  sei  „lediglich  für  die  Obrigkeiten  zu  mehreren 
Unterricht,  nicht  aber  für  die  Malefikanten  geschrieben,  als 
welchen  ihres  Orts  genug  sein  kann,  dass  ihnen  die  Straffmässigkeit 
ihrer  bösen  Thal  nicht  unbekannt  seye  oder  seyn  könne,  ohne  dass 
sie  die  besondere  Gattung  der  Straff,  womit  jedes  Verbrechen  denen 
peinlichen  Rechten  nach  belegt  ist,  zu  wissen  vonnöten  haben,  massen 
Richter    und    Rechtsgelehrte    das    Genus    Poenae    oft    selbst 


*  In  dem  vorliegenden  Text  heißt  es  „Wenn...";  offenbar  Druckfehler. 


140 

schwer  zu  erraten  wissen  und  sich  ihren  Meinungen  vieimahl 
nicht  hierüber  vereinigen  können,  mithin  wann  auf  Seiten  der  Misse- 
thäteren  zu  ihrer  Bestraffung  allmahl  eine  so  genaue  Wissenschaft 
erforderlich  wäre,  wohl  gar  selten  oder  vielleicht  niemahl  die  gesetz- 
mässige  Straff  gegen  gemein-  oder  unstudierte  Leute  würde  vorgenommen 
werden  können"/  Fehlt  diese  Kenntnis  der  Innern  Büß-  und  Straf- 
mäßigkeit der  Tat,  so  entfällt,  müßte  man  annehmen,  Vorsatz  und, 
abgesehen  von  den  wenigen  kulposen  Deliktstatbeständen,  jede  Straf- 
barkeit. Statt  dessen  aber  führt  solche  Unkenntnis  lediglich  zur 
Zulassung  der  milderen  poena  ordinaria!  So  hat  der  Rechtsirrtum 
bei  Kreittmayr  die  Bedeutung  einer  Modifikation  der  poena  ordinaria. 
Dem  entspricht  die  Stellung  dieser  Bestimmung  inmitten  anderer  Straf- 
änderungsgründe, deren  dogmatische  Sonderbehandlung  als  einzelne 
Momente  der  Schuld,  der  Rechtswidrigkeit  oder  als  bloße  Strafbarkeits- 
bedingungen herauszuarbeiten  erst  der  späteren  Strafrechtswissenschaft 
vorbehalten  blieb.  All  solche  Momente  erwähnte  das  ältere  gemeine 
Recht  lediglich  als  Gesichtspunkte,  die  den  Bedürfnissen  des  einzelnen 
Falles  entsprechend  zu  einem  Abgehen  von  der  festen  Strafgröße  der 
ordentlichen  Strafe  berechtigten,  also  in  der  Regel  den  Delinquenten  mit 
der  Todesstrafe  verschonten.  Jugend  und  hohes  Alter,  Schwäche  des 
Körpers  und  verminderte  Zurechnungsfähigkeit  („denen  der  Verstand 
nur  halb  verruckt  ist",  §  17),  Gähheit  und  Übereilung,  ebenso  wie  langer 
Anstand  (d.  h.  ein  Verstreichen  einer  längeren  Zeit  nach  der  Tat,  ohne 
daß  sie  bereits  verjährt  ist)  oder  „Befehl  der  Oberen''  zur  Tat,  unver- 
schuldete Haft  vor  dem  Urteil.  Ebenso  wie  diese  Fälle  ist  auch  der 
Rechtsirrtum  lediglich  ein  gesetzlich  anerkannter  Strafänderungsgrund. 
Aber  selbst  von  der  ordentlichen  Strafe  befreit  der  Rechtsirrtum 
nicht  in  allen  Fällen.  Nur  „Unwissenheit  in  Sachen,  welche  von 
Rechtswegen  zu  ignorieren  erlaubt  ist,  entschuldigt  wo  nicht 
von  aller,  doch  von  der  Ordinari- Straff"  (Tl.  I,  cap.  I,  §  31).  Die 
Anmerkungen  grenzen  diese  Einschränkung  näher  ab.  Hier  wird 
unterschieden:  „die  Unwissenheit  ist  facti  vel  iuris'".  Ohne  auf  den 
Unterschied  beider  Formen  des  Irrtums  einzugehen,  fährt  Kreittmayr 
fort:  „Jene  (d.  h.  ignorantia  facti)  wird  niemand  imputiert,  wer  mit 
behöriger  Vorsicht    verfahrt    und    keine    böse    Meinung    dabei    hat."^ 

'  Änm.  e  ad  Mandatum  Electorale  praemissum. 

-  Die  oben  S.  139  besprochenen  Irrtumsfälle  handeln  davon,  daß  ent- 
weder der  Täter,  während  er  tatsächlich  recht  handelt,  irrtümlich 
einen  verbotenen  Erfolg  herbeiführt  (Irrtum  des  in  echter  Notwehr 
befindlichen  Täters)  oder  umgekehrt  glaubt,  ein  Delikt  zu  begehen, 
während  der  objektive  Tatbestand  gar  nicht  vorliegt.  Hier  aber  begeht 
der  Täter  wirklich  ein  Delikt  und  ist  sich  infolge  eines  Irrtums  über 
einen  tatsächlichen  Vorgang  der  Rechtswidrigkeit  seines  Tuns  nicht  bewußt. 


141 

Error  iuris  „kann  in  Sachen,  welche  Jure  naturae  verboten 
sind,  niemal,  im  übrigen  aber  nur  von  jenen  vorgeschützt  werden, 
quibus  Jus  ignorare  licet"/  Kreittmayr  folgt  hier  einer  neuzeitlichen 
mildernden  Tendenz,  die  Fälle  auszudehnen,  in  denen  ein  Verbots- 
irrtum berücksichtigt  werden  kann.  Er  will  „sogar  in  capitibus  Juris 
naturae  magis  abstrusis  et  intricatis,  wie  z.  B.  bei  dem  Crimine 
sodomiae,  incestus  und  dergleichen  sich  zuweilen  ereignet,  die  Igno- 
rantiam  Juris  bei  einfältigen  Leuten  pro  Casu  mitiganti  passieren 
lassen"  (Änm.  a  zu  Tl.  1,  cap.  1,  §  31).  Solche  Billigkeitsmodifikation 
war  um  so  notwendiger,  weil  es  überaus  bestritten  war,  ob  im  einzelnen 
Fall  eine  Norm  dem  positiven  oder  dem  Naturrecht  angehörte.  Blut- 
schande unter  Aszendenten  galt  als  vom  Naturrecht  verboten,  zwischen 
Verwandten  der  Seitenlinie  im  zweiten  Grade  war  sie  nur  vom  positiven 
Recht  untersagt,  aber  „wie  weit  nun  das  Verbot  des  natürlichen  Rechts 
in  der  Blutschande  gehe,  ist  und  bleibt  ein  philosophischer  Disput, 
welcher  vor  Ende  der  Welt  wohl  schwerlich  wird  ausgemacht  werden!" 
(/\nm.  d  zu  Tl.  I,  cap.  VI,  §  5).  In  solchen  Bestimmungen  kommt 
zweierlei  zum  Ausdruck.  Einmal,  daß  Rechtsunkenntnis  und  Verbots- 
irrtum nicht  schuldausschließend,  sondern  lediglich  straf- 
mildernd wirken.  Und  sodann  die  die  Entwicklung  vom  16.  bis 
ins  18.  Jahrhundert  kennzeichnende,  gewohnheitsrechtlich  rezipierte 
römisch -italienische  Doktrin,  daß  nur  bei  bestimmten  Delikten 
und  nur  zugunsten  bestimmter  Personen  ein  Verbotsirrtum 
berücksichtigt  wird." 

In  stärkerem  Maße  noch  als  bei  der  Abgrenzung  von  Dolus  und 
Culpa  spiegeln  hier  Kreittmayrs  Bestimmungen  die  Lehren  Carpzovs 
wieder.  Carpzov  sah  ebenso  wie  in  der  Culpa  im  Rechtsirrtum  nicht 
eine  besondere  Schuldart,  sondern  einen  Strafmilderungsgrund. 
Gegenüber  der  unzeitgemäßen  Strenge  überkommener  Strafgesetze 
wurde  dieser  Gedanke  zu  einem  „Sicherheitsventil  gegen  zu  harte 
Bestrafung"."'  Die  Aufnahme  dieser  Doktrin  in  das  Gesetzbuch 
Kreittmayrs  erscheint  daher  als  notwendige  Ergänzung  zu  den  harten, 
vom  Geist  der  neuen  Zeit  unberührten  Strafdrohungen  des  Codex 
Juris  Bavarici  Criminalis. 


^  Die  privilegierten  Personenklassen  des  römischen  Rechts  1. 9  D  XXII,  6. 

"  Vgl.  zu  dieser  Lehre:  Liepmann,  Rechtsirrtum,  a.  a.  O.  S.  399  f.  — 
Binding,  Normen  2.  Aufl.,  Bd.  III,  S.  246  iL,  sieht  (anders  wie  die  obige 
Darstellung)  in  den  Bestimmungen  des  Codex  Juris  Bav.  Crim.  eine  erste 
allgemeine  Bezugnahme  auf  die  „damals  allgemein  anerkannte  Lehre:  error 
iuris  nocet,  error  facti  non  nocet",  lindet  aber  von  dieser  Annahme  aus 
selbst,  daß  jenes  Gesetz  sich  „einigermaßen  widerspricht"  (S.  248). 

'  Liepmann,  a.  a.  O.  S.  539. 


142 

So  läßt  es  eine  nähere  Prüfung  des  Strafensystems  und  der 
kriminalistisch -dogmatischen  Ausgestaltung  erklärlich  erscheinen,  daß 
dieses  Werk  nach  der  bald  nach  der  Jahrhundertmitte  immer  stärker 
zutage  tretenden  Wandlung  der  Anschauungen  auf  allen  Gebieten  des 
öffentlichen  Lebens  und  damit  auch  des  Strafrechts  alsbald  veraltet  war. 
Diese  Entwicklung  wurde  gefördert  durch  die  politischen  Verhältnisse. 
Offenbarten  sich  allgemein  in  der  französischen  Revolution  und  in 
ihren  Rückwirkungen  auf  die  andern  kontinentalen  Staaten  Wirkungen 
der  neuen  Geistesrichtung,  so  brachte  vollends  die  napoleonische  Ära 
den  deutschen  Ländern  mit  einer  Loslösung  von  der  Zentralmacht 
des  Reiches  eine  starke  Konsolidation  der  eigenen  inneren  Kräfte, 
die  durch  die  Überwindung  der  alten  Standesmächte  die  modernen 
Staaten  entstehen  ließ.^  In  Bayern  fand  diese  Entwicklung  ihren 
äußeren  Ausdruck  in  der  Rheinbundpolitik  und  in  der  Königskrone 
des  Jahres  1806.  Im  Innern  wirkte  Graf  Maximilian  v.  Montgelas, 
der  „dirigierende  Minister"  des  aufgeklärten  und  freisinnigen  ersten 
Königs  Maximilian  Joseph,  für  den  Ausbau  des  Staates.  Auf  fast 
allen  Gebieten  staatlicher  Wirksamkeit  wurden  nach  neuzeitlichen 
Grundsätzen  aufgebaute  Verwaltungseinrichtungen  geschaffen,  von 
denen  viele  ein  Jahrhundert  überdauert  haben.  Von  dieser  Ent- 
wicklung blieb  die  Gesetzgebung  nicht  unberührt.  Dem  mehrfach 
ausgesprochenen  Wunsche  Napoleons  folgend,  beschäftigte  man  sich 
lange  und  noch  in  Feuerbachs  Münchener  Zeit  hinein  mit  dem 
Gedanken,  den  Code  civil  in  Bayern  einzuführen.  Vor  allem  ver- 
langte die  neue  Zeit  dringend  eine  gründliche  Reform  des  Strafrechts, 
nachdem  inzwischen  die  Anhänger  der  strafrechtlichen  Reformbewegung 
allenthalben  ihren  Gedanken  Eingang  verschafft  hatten  und  unter  ihrem 
Einfluß  in  Österreich,  Preußen  und  Frankreich  neue  Strafgesetzbücher 
entstanden  waren. 

Für  die  Reform  des  Strafrechts  zog  die  Regierung  zunächst  den 
Würzburger  Kriminalisten  Gallus  Alois  Caspar  Kleinschrod  heran. 
Daß  man  die  Bearbeitung  des  neuen  Strafgesetzentwurfs  nur  einem 
Manne  anvertraute,  in  dem  sich  die  Gedanken  der  neuen  Richtung 
verkörperten,  lag  im  Wesen  der  Hufgabe.  Zugleich  ist  aber  damit 
seine  Bedeutung  selbst  umgrenzt.  Kein  kühner  Neuerer,  kein 
schöpferischer  Reformator,  erscheint  Kleinschrod  als  ein  getreues 
Spiegelbild  der  herrschenden  Strömungen  der  strafrechtlichen  Äuf- 
klärungsbewegung ,  weniger  ein  Führer  als  ein  Glied  der  neuen 
Richtung.    Seinen  Schriften  eignet  nichts  mehr  von  der  Brutalität  des 


'  M.  Do eb er  1,  Entwicklungsgeschichte  Bayerns  IL  Bd.   München  1912. 
S.  381  ff. 


143 

Carpzov-Kreittmayrschen  Strafenregisters.  Unverkennbar  durchzielit 
sein  Wirken  ein  milder  Geist  fortgeschrittener  Humanität.  Eine 
vorwiegend  pragmatisctie  Tendenz  läßt  ihn  befriedigende  Lösungen 
von  Einzelfragen  einer  konsequenten  Deduktion  philosophischer  Begriffe 
und  Leitsätze  vorziehen.  Mit  geschickter  Hand  weiß  er  als  Eklektiker 
aus  der  Fülle  der  Anregungen  jener  reichen  strafrechtlichen  Äuf- 
klärungsliteratur  wertvolle  Bausteine  zu  dem  Mosaik  seiner  „systema- 
tischen Entwicklung"  zusammenzutragen.^  Sicherlich  war  ein  solcher 
Synkretismus  um  eine  Welt  entfernt  von  der  Art,  in  der  Grolman 
und  Feuerbach  voller  Leidenschaft  und  mit  dem  Anspruch  auf 
apodiktische  Gewißheit  ihre  Strafrechtssätze  aus  naturrechtlichen  und 
philosophischen  Prinzipien  deduzierten.  Und  doch  hat  auch  Kleinschrod 
einen  Schritt  in  der  Methode  getan,  nach  der  jene  die  Fragen  des  Straf- 
rechts auf  philosophische  Probleme  zurückführten.  Kleinschrod  versuchte 
die  aus  der  Interpretation  des  positiven  Rechts  gewonnenen  Bestimmungen 
mit  den  Forderungen  der  Theorie  zu  vergleichen,  „das  positive  Recht 
in  Verbindung  mit  den  allgemeinen  Wahrheiten  vorzutragen"." 

Kleinschrods  äußerer  Lebensgang  verlief  in  ruhigen  Bahnen.^ 
Als  Sohn  eines  würzburgischen  Beamten  erregte  er  durch  seinen  Fleiß 
und  seine  Interessen  früh  die  Aufmerksamkeit  des  Fürstbischofs  Frei- 
herrn V.  Erthal,  der  ihm  in  jungen  Jahren  eine  Professur  verschaffte. 
Als  im  Jahre  1795  der  Bischof  von  Bamberg,  dem  Bedürfnis  der  Zeit 
folgend  und  im  Gedächtnis  an  seinen  Vorgänger  Georg  v.  Limburg, 
der  einst  die  Anregung  zu  Schwarzenbergs  Bambergensis  gegeben 
hatte,  das  Bamberger  Strafrecht  reformieren  ließ,  wurde  Kleinschrod 
zur  Mitarbeit  herangezogen.  Dies  war  für  die  bayerische  Regierung 
der  Anstoß,  ihm  im  Jahre  1800  die  Ausarbeitung  des  neuen  Strafgesetz- 
entwurfs anzuvertrauen.  Schon  im  nächsten  Jahre  legte  Kleinschrod 
seine  Arbeit  im  Manuskript  vor,  das  von  dem  Rat  am  obersten 
Gerichtshof  Joh.  Bapt.  Schieber  und  dem  geistlichen  Rat  Professor 
Jos.  Socher  durchgesehen  und  nach  entsprechenden  Verbesserungen 
im  Jahre  1802  als  Entwurf  eines  peinlichen  Gesetzbuchs  für 
die   kurpfalzbayerischen   Staaten   veröffentlicht  wurde.* 


'  Systematische  Entwicklung  der  Grundbegriffe  und  Grundwahrheiten 
des  positiven  peinlichen  Rechts.  1.  Aufl.  Erlangen  1793,  2.  Aufl.  1799, 
3.  Aufl.  1805.    Im  folgenden  im  Zweifel  nach  der  2.  Aufl.  zitiert. 

-'  System,  Entw.  Tl.  I,  Vorrede. 

'  Über  Kleinschrod:  Neuer  Nekrolog  der  Deutschen,  hcrausgeg. 
von  Fr.  Aug.  Schmidt,  2.  Jahrg.  1824,  II.  Heft.  Ilmenau  1826.  S.  999  ff.  — 
Teichmann,  in  Allg.  deutsche  Biographie  Bd.  16,  S.  109  ff.  —  Landsberg, 
Geschichte  der  deutschen  Rechtswissenschaft  3.  Abt.,   I.  Halbbd.,  S.  462  ff. 

*  Als  Ergebnis  der  Revisionsarbeit  Schiebers  und  Socher s:  Mate- 
rialien zur  peinlichen  Gesetzgebung  in  Bayern  1.  Teil.    München  1802. 


144 

Die  Arbeiten  Kleinschrods  an  der  Reform  des  bayerischen 
Strafrechts  und  das,  was  er  zu  der  Entwicklung  der  strafrechtlichen 
Zurechnungslehre  beigetragen  hat,  weisen  auf  Einflüsse  aus  einer 
doppelten  Richtung  hin.  Man  sieht  eine  starke  Abhängigkeit  von 
Gl  ob  ig  und  Hu  st  er  und  bemerkt  einen  Einfluß  der  zeitgenössischen 
psychologischen  Literatur. 

Ernst  Y.  Globig  und  Georg  Huster,  zwei  sächsische  Geheim- 
räte, waren  die  Preisträger  in  jenem  berühmten  Preisausschreiben, 
das  die  Ökonomische  Gesellschaft  in  Bern  auf  die  Initiative  von 
„zweien  unbekannten  Freunden  der  Menschheit"  im  Jahre  1777  für 
die  beste  Bearbeitung  der  Frage  nach  der  heilsamsten  Einrichtung 
der  peinlichen  Gesetzgebung  veranstaltet  hatte.  Durch  weitere  Schriften 
und  durch  ihre  persönliche  Berühmtheit  gewannen  sie  großen  Einfluß 
und  wurden  insbesondere  für  die  Entwicklung  des  Preußischen 
Rechts  von  Bedeutung.^  Trajans:  satius  impunitum  relinqui  facinus 
nocentis  quam  innocentem  damnare  war  das  Motto  ihrer  Bearbeitung 
und  anders  als  die  aus  Ärgwohn  und  Ängstlichkeit  entsprungene 
brutale  Rücksichtslosigkeit  des  alten  Strafrechts  sollte  nach  ihrer 
Meinung  der  peinliche  Gesetzgeber  als  ein  rechter  Arzt  die  Krankheit 
des  Staates  „mit  desto  größerer  Behutsamkeit  behandeln,  je  mehr 
Schaden  aus  einer  übereilten  Kur  entstehen  könne ".^ 

Ein  Bemühen,  die  Strafgewalt  des  Staates  durch  Verringerung 
und  Vereinfachung  der  kriminellen  Tatbestände  zu  begrenzen,  ein 
Streben  nach  bestimmt  gefaßter,  klarer  strafrechtlicher  Gesetzgebung 
ist  deutlich  erkennbar.  Im  einzelnen  freilich  läßt  sich  nur  in  bedingtem 
Sinne  von  einem  Fortschritt  sprechen. '^  Sie  huldigen  noch  dem  Äb- 
schreckungsprinzip  und  glauben  durch  Abschreckung  um  so  mehr 
erreichen  zu  können,  je  mehr  die  Strafe  eine  „Wiedervergeltung  des 
zugefügten  Schadens"  ist.*  Im  Gegensatz  zu  Beccaria  leiten  sie  aus 
naturrechtlichen  Prinzipien  ein  Recht  zu  einem  allerdings  sparsamen 
Gebrauch  der  Todesstrafe  ab.  Das  Prinzip  der  Talion  läßt  sie  sogar 
verstümmelnde  Körperstrafen  bei  Körperverletzungen  befürworten,  ein 
Gedanke,  den  sie  freilich  alsbald  selbst  aufgaben.^  Vermeintliche 
kriminalpolitische   Gesichtspunkte    führen   sie   zu   dem   Gedanken   von 

'  Hälschner,  Geschichte  des  Brandenburg-Preußischen  Strafrechts. 
Bonn  1855.    S.  199. 

-  E.  V.  Globig  und  G.  Huster,  Abhandlung  von  der  Kriminal- 
gesetzgebung.   Zürich  1783.    S.  10. 

^  V.  Bar,  Geschichte  d.  Strafrechts  u.  d.  Strafrechtstheorien  S.  236  f. 

*  Gl  ob  ig  und  Huster,  Abhandl.  v.  d.  Kriminalgesetzgebung  S.  56. 

*  Globig  und  Huster,  Abhandl.  v.  d.  Kriminalgesetzgebung  S.  196. — 
Vgl.  auch  S.  94,  Der  revidierte  Standpunkt:  Vier  Zugaben  zu  der  gekrönten 
Schrift  von  der  Kriminalgesetzgebung.    Altenburg  1785.    S.  93  f. 


145 

der  Publizität  des  Strafvollzugs.  Allgemeine  Fragen  der  strafrecht- 
lichen Dogmatik  erfahren  wenig  Förderung.  Vorsatz  ist  das  Bewußt- 
sein, daß  „die  Handlung  schädlich  und  den  Gesetzen  zuwider  sei", 
„Nachlässigkeit"  besteht  in  einem  „mehr  oder  weniger  verminderten 
Bewußtsein  des  Verbrechens".^  Huf  solche  Differenzierung  wird  aber 
nur  geringes  Gewicht  gelegt:  „Gesetzt  aber,  man  könne  das  wahre 
Maß  der  Schuld  bei  jedem  .  .  .  Verbrechen  ergründen,  so  würde  solches 
doch  bei  weitem  den  Nutzen  nicht  haben,  den  einfache  und  beständige 
Verhältnisse  (gemeint  ist:  zwischen  Strafe  und  angerichtetem  Schaden) 
in  dem  Gemüt  des  gemeinen  Mannes  hervorbringen."" 

Der  psychologische  Einschlag  der  damaligen  kriminalistischen 
Literatur,  wie  er  bei  Kleinschrod  in  einem  zunehmenden  Interesse  für 
die  subjektiven  Momente  der  strafrechtlichen  Verantwortlichkeit  und 
die  Voraussetzungen  der  Verschuldung  offenbar  wird,  entspricht  einer 
allgemeinen  Popularisierung  psychologischer  Lehren  durch  einflußreiche 
Schriften  zahlreicher  Eklektiker.  Hier  waren  Ausflüsse  von  Wolffs 
Rationalismus  wirksam  im  Verein  mit  dem  Positivismus  der  Engländer 
und  der  neugewonnenen  naturwissenschaftlichen  Erkenntnis.^  Ein 
Führer  dieser  Richtung  war  der  auch  von  Kleinschrod  häufig  zitierte 
Joh.  Hch.  Feder.  Feder  wollte  den  praktischen  Wissenschaften, 
Pädagogik  und  Politik,  dienen,  indem  er  sie  auf  die  Erfahrungen 
über  die  menschliche  Natur  hinwies,  wie  sie  in  Biographien,  Selbst- 
bekenntnissen und  ethnographischen  Studien  vorliegen.  Seine  Haupt- 
untersuchungen galten  dem  Wirken  und  der  Bedeutung  des  mensch- 
lichen Willens.*  Aus  seinen  Erörterungen  spricht  eine  ausgesprochen 
deterministische  Tendenz,  die  sich  als  Konsequenz  eines  bereits 
das  Jahrhundert  von  Descartes  bis  Leibniz  kennzeichnenden  Über- 
wiegens  des  Denkens  über  den  Willen  ergibt.^  Dabei  ist  Willens- 
freiheit von  Feder  in  der  von  den  damaligen  Kriminalisten  mit  Vorliebe 
übernommenen  Formulierung  des  Thomas  Hobbes  gedacht:  nicht 
im  Wollen  sind  wir  frei,  sondern  darin,  daß  wir  handeln  können, 
wie  wir  wollen.''     Die  Willenskraft  ist  nach  Feder  abhängig  von   der 


'  Vier  Zugaben  . . .  S.  249.  —  ''  Ebendort  S.  247. 

'  Max  Dessoir,  Geschichte  der  neueren  deutschen  Psychologie  1.  Bd., 
2.  Aufl.    Berlin  1910.    S.  249  ff. 

*  Hch.  Feder,  Untersuchungen  über  den  menschlichen  Willen  Tl.  1 — 3, 
2.  Aufl.    Göttingen  und  Lemgo  1785. 

■'  Vgl.  Wilh.  Windelband,  Geschichte  der  Philosophie  Bd.  1,  5.  Aufl. 
Leipzig  1911.  S.  156. 

"  „Eine  Freiheit,  die  Freiheit  von  Notwendigkeit  wäre,  kommt  weder 
dem  Willen  des  Menschen,  noch  dem  der  Tiere  zu.  Verstehen  wir  aber 
unter  Freiheit  die  Fähigkeit  nicht  des  Wollens,  sondern  des  Aus- 
führ ens,  dann  besitzen  eine  solche  Freiheit  sicherlich  beide,  Mensch  und 

10 


146 

Vorstellungskraft.  Aber  der  Wille  ist  nicht  an  einzelne  bestimmte 
Antriebe  „gefesselt '".  Man  kann  auch  anders  handeln,  als  man  sich 
ursprünglich  entschlossen  hatte,  so  oft  man  Lust  dazu  hat,  aber  dann 
hat  „diese  Lust  allemal  ihren  Grund  in  einer  neuen  Vorstellung".^ 
Dieser  Determinismus  bedeutet  nicht  eine  Verneinung,  sondern  eine 
Begründung  der  strafrechtlichen  Verantwortlichkeit.  „Will  man 
weiter  einwenden,  daß  es  für  denjenigen,  der  nur  einmal  so  gehandelt, 
gewollt  und  gedacht  hat,  hypothetisch  unmöglich  war,  anders  zu 
wollen,  zu  empfinden  und  zu  urteilen,  so  ist  die  Antwort,  daß  die 
Strafe  eben  dieser  hypothetischen  Unmöglichkeit  für  ein  anderes 
Mal  abhelfen  soll.  Es  wird  nicht  gestraft,  um  das  Geschehene 
ungeschehen  zu  machen,  sondern  um  die  Beweggründe  wider 
das  Böse  für  die  Zukunft  zu  beleben  und  zu  vermehren.""  Freiheit 
des  Handelns  dagegen  im  Sinne  der  Fähigkeit,  sich  nach  Vor- 
stellungen und  Überlegungen  zu  bestimmen,  dem  durch  diese  Reize 
hervorgerufenen  Willen  entsprechend  tätig  zu  werden,  ist  Voraussetzung 
jeder  moralischen  Beurteilung  menschlichen  Verhaltens.^ 

Neben  den  Einwirkungen  Feders  begegnen  uns  bei  den  Kriminalisten 
die  Namen  der  Kantianer  Reinhold  und  C.  C.  E.  Schmid.  Der  nach 
Dessoirs  Wort  „zu  Unrecht  vergessene"  Ehrhard  Schmid  war  nicht 
nur  als  Popularisator  Kants  neben  Reinhold  einer  der  einflußreichsten 
Bahnbrecher  des  Kritizismus,  sondern  er  suchte  auch  auf  psycholo- 
gischem Gebiet  durch  Zeitschriften,  die  er  herausgab,  die  Fülle  des 
Tatsachenmaterials  zu  sichten  und  auf  einleuchtende  Regeln  und 
Begriffe  zurückzuführen  und  in  eigenen  Werken  die  Methoden  der 
herrschenden  Vermögens-  und  Ässoziationspsychologie  zu  verwerten.* 
Er  faßte  die  Schuld  im  formalen  Sinne  des  Kritizismus  als  Mangel 
an  Ächtung  vorm  Gesetz  auf,  schied  aber  schärfer  als  Kant  selbst 
zwischen  zwei  Schuldformen:  Bosheitssünden  „wider  Wissen  und  Ge- 
wissen" und  Nachlässigkeitssünden,  bei  denen  man  ohne  Kenntnis  des 
Gesetzes  oder  in  falscher  Beurteilung  des  Falles  —  also  unbewußt  — 


Tier,  in  gleicher  Weise,  soweit  sie  überhaupt  möglich  ist."  —  Thomas 
Hobbes,  Qrundzüge  der  Philosophie  I.Teil.  Lehre  vom  Körper  (1655). 
Deutsche  Ausgabe  von  M.  Frischeisen -Köhler.  Phiios.  Bibliothek  Bd.  157. 
Leipzig  1915.    Kap.  25  (S.  176). 

'  Feder,  Untersuchungen  über  den  menschlichen  Willen  Tl.  I,  S.  48. 
Vgl.  S.  27  ff.  und  49. 

-'  Feder,  a.  a.  O.  Tl.  III,  S.  538. 

'  Feder,  a.a.O.  Tl.  III,  S.  417  f. 

*  C.  C.  E.  Schmid,  Empirische  Psychologie  I.Teil.  Jena  1791.  Vgl. 
M.  Dessoir,  Geschichte  der  neueren  deutschen  Psychologie  l.Bd.,  2.  Aufl., 
S.  145  und  289  f.,  sowie  Abriß  einer  Geschichte  der  Psychologie  (Ebbing- 
haus-Meumann,  Psychologie  in  Einzeldarstellungen  IV).    1911.    S.  158. 


147 

rechtswidrig  handelt.'  Gerade  auf  diese  Stelle  nahm  Kleinschrod  bei 
der  Darstellung  von  Vorsatz  und  Fahrlässigkeit  Bezug,"  obwohl  er  es 
sonst  grundsätzlich  ablehnte,  von  der  Kantischen  Philosophie  Gebrauch 
zu  machen,  deren  „Einfluß  auf  Rechtsgelehrsamkeit  überhaupt  noch 
so  unbestimmt,  so  zweifelhaft,  so  schwankend  ist".^ 

Die  wechselseitigen  Beziehungen  zwischen  Strafrecht  und  Psycho- 
logie zu  einer  besonderen  Wissenschaft  zu  erheben,  war  das  Ziel 
Joh.  Chr.  Gottlieb  Schaumanns.  Zwar  verdankt  die  junge  Kriminal- 
psychologie ihm  mehr  Namen  und  Programm,  als  inhaltliche 
Bereicherung,  aber  dafür  bringen  seine  „Ideen  zu  einer  Kriminal- 
psychologie, Friedrich  Wilhelm  IL,  dem  weisen  Gesetzgeber  und  milden 
Richter  gev,feihet"  ^  ein  anderes:  mit  aller  Empfindsamkeit  der  Zeit 
ist  hier  in  Briefen  an  einen  jungen  Juristen  das  Bild  des  idealen 
Richters  gezeichnet,  der,  beseelt  von  Liebe  und  Ächtung  auch  gegen- 
über dem  Verdächtigen,  mit  dem  Leben  vertraut,  voll  Erfahrung  und 
Menschenkenntnis,  der  Bürger  wie  der  Verbrecher  Vertrauen  gewinnt 
und  aus  tiefem  Verstehen  der  Handlungsweise  des  Täters  zu  dessen 
eigenen  Besten  die  Strafe  auswählt.  Eine  reizvolle  Apotheose  des 
ausgehenden  Inquisitionsprozesses  und  zugleich  über  alle  zeitlichen 
Prozeßformen  hinaus  ein  Vorbild  des  gerechten  Strafrichters. 

Kleinschrods  Arbeit  an  einem  Strafgesetzentwurf  waren  theore- 
tische Untersuchungen  vorangegangen.^  Aus  ihnen  ergibt  sich  deutlich, 
welche  Fortschritte  die  Strafrechtswissenschaft  in  der  dogmatischen 
Ausgestaltung    der    grundlegenden    Prinzipien    gegenüber    dem,    noch 


'  C.  C.  E.  Schmid,  Versuch  einer  Moralphilosophie  3. Aufl.  Jena  1795. 
S.  620  f.  Schmid  führt  die  „Nachlässigkeitssünden"  ähnlich  wie  Feuerbach 
auf  Vorsatz  zurück:  ich  habe  „nicht  Fleiß  genug  angewendet...,  um  die 
Forderungen  der  Pflicht . . .  gewiß  und  lebhaft  zu  denken  . . ."  (ebendort).  — 
Kant,  Metaphysik  der  Sitten:  „Eine  unvorsätzliche  Übertretung,  die 
gleichwohl  zugerechnet  werden  kann,  heißt  bloße  Verschuldung  (culpa). 
Eine  vorsätzliche  (d.  h.  diejenige,  welche  mit  dem  Bewußtsein,  daß  sie 
Übertretung  sei,  verbunden  ist)  heißt  Verbrechen  (dolus)."  Akademie- Ausgabe 
Bd.  VI,  S.  224,   Cassirer  Bd.  VII,  S.  24. 

*  Kleinschrod,  System.  Entwicklung  der  Grundbegriffe  und  Grund- 
wahrheiten des  peinl.  Rechts  Tl.  I,  1.  Aufl.,  1794,  S.  44,  Anm.:  „Fast  auf 
dieselbe  Art  definiert  C.  C.  E.  Schmid   die  Nachlässigkeitssünden."     In  der 

2.  Aufl.,  1799,  S.  65,  Anm.  spricht  er  infolge  veränderter  Formulierung  des 
eigenen  Standpunktes  von  Übereinstimmung  mit  Schmid  in  der  Hauptsache, 
.„jedoch  mit  andern  Worten". 

^  Syst.  Entwicklung,  Vorrede. 
'  Halle  1792. 

'"  Systematische  Entwicklung  der  Grundbegriffe  und  Grundwahrheiten 
des  positiven  peinlichen  Rechts  Tl.  I— III,  Erlangen  1793-94,  2.  Aufl.  1799, 

3.  Aufl.  1805.  Abhandlungen  aus  dem  peinlichen  Rechte  und  peinlichen 
Prozesse  Tl.  I— III.    Erlangen  1797—1805. 

10* 


148 

von  Kreittmayr  rezipierten,  älteren  gemeinen  Recht  gemacht  hatte. 
Zugleich  liegt  auf  diesem  Gebiet  weit  mehr  als  in  seinem  Straf- 
gesetzentwurf die  wissenschaftliche  Bedeutung  Kleinschrods.  Diese 
Entwicklung  hat  namentlich  zur  Ausgestaltung  der  Lehre  von  der 
strafrechtlichen  Zurechnung  Erhebliches  beigetragen,  indem  nunmehr 
die  subjektiven  Voraussetzungen  strafrechtlicher  Verantwortlichkeit  in 
ihrer  Eigenbedeutung  erkannt  und  differenziert  wurden.^  Hatten  sich 
früher  aus  der  stets  wiederkehrenden  Frage,  ob  die  Tat  mit  der 
poena  ordinaria  oder  mit  willkürlicher  Strafe  zu  ahnden  sei,  nur 
tastende  Anfänge  einer  Scheidung  in  verschiedene  Schuldarten  ergeben, 
so  trennt  Kleinschrod  bewußt  zwischen  den  Voraussetzungen  der 
Zurechnung  zur  Schuld  und  den  kriminalpolitischen  Bedürfnissen 
der  Strafbarkeit.  Der  wechselseitigen  Bedeutung  beider  Prinzipien 
sucht  er  mit  der  Formel  gerecht  zu  werden,  ob  gestraft  werden  soll, 
bestimme  die  Voraussetzung  einer  Verschuldung,  die  Höhe  der 
Ähndung  aber  ergebe  sich  aus  Zweck  und  Wesen  der  Strafe.  „Wir 
setzen  die  Schuld  als  eine  Bedingung,  ohne  welche  nicht  gestraft 
werden  kann.  Ist  diese  erwiesen,  dann  muß  die  Größe  der  Strafe 
nach  den  Gesichtspunkten,  die  bisher  vorkamen  (d.  h.  aus  dem  Wesen 
der  Strafe  entwickelt  sind),  vom  Gesetzgeber  bestimmt  werden."^  Daß 
diese  Formel  keine  endgültige  Lösung  enthält,  sondern  selbst  ein 
kompliziertes  Problem  darstellt,  geht  aus  Kleinschrods  Darstellung 
unmittelbar  hervor.  Denn  Schuld  und  Strafbarkeit  lassen  sich  nicht 
völlig  isoliert  ermitteln.  Die  Höhe  der  Schuld  ist  abhängig  auch 
von  objektiven  Momenten,  von  der  Bedeutung  des  verletzten  Rechts 
für  die  „gemeine  Ordnung",  von  dem  „bürgerlichen  Schaden"  und 
von  dem  Maß  der  Strafbarkeit,  mit  dem  die  Rechtsordnung  die 
antisoziale  Bedeutung  der  Tat  bewertet.  Umgekehrt  ist  auch  das  Maß 
der  Strafbarkeit  von  der  Höhe  der  Schuld  abhängig,  und  zwar 
glaubte  Kleinschrod,  anders  als  Feuerbach,  einen  Parallelismus  zwischen 
dem  Maß  der  Schuld  und  dem  Bedürfnis  nach  strafrechtlicher  Ahndung 
annehmen  zu  können:  „Schwächung  der  Innern  Zurechnung  muß  auf 
den  Grad  der  äußern  Strafbarkeit  Einfluß  haben.  Zudem  ist  derjenige 
für  die  Sicherheit  der  Gesellschaft  nicht  so  gefährlich ,  dessen  Tat  nicht 
voll  kann  zugerechnet  werden."^  Doch  finden  sich  bei  Kleinschrod 
Fälle  genug,  in  denen  diese  Harmonie  nicht  ohne  weiteres  her- 
stellbar  ist.     Leichte   Gelegenheit   und   große  Versuchung  vermindern 


'  Vgl.  die  Anerkennung  dieser  Vorzüge  bei  Henke,  Grundriß  einer 
Geschichte  der  deutschen  peinlichen  Rechtswissenschaft  Tl.  II.  Sulzbach 
1809.    S.  337. 

-  Syst.  Entwicklung  2.  Aufl.,  Tl.  IL,  S.  31. 

*  Syst.  Entwicklung  Tl.  II,  S.  153  f. 


149 

die  Zurechenbarkeit.^  Bleibt  dieser  Zustand  aber  dauernd  bestehen, 
wie  beim  Dienstboten,  dem  die  Güter  des  Hausherrn  leicht  zugänglich 
sind,  so  fordert  die  Gefahr  ständig  wiederkehrender  Eigentumsdelikte 
erhöhten  strafrechtlichen  Schutz.  Ebenso,  wenn  in  einer  Zeit,  in  der 
Delikte  bestimmter  Rrt  häufig  und  von  sehr  vielen  begangen  werden, 
durch  aufmunterndes  Beispiel  und  die  skrupellose  Selbstverständlichkeit, 
mit  der  das  Gesetz  immer  wieder  von  neuem  übertreten  wird,  die  Ver- 
suchung des  einzelnen  erhöht  wird.  Hier  hilft  sich  Kleinschrod  durch 
den  Gedanken  der  motivierenden  Kraft  der  gesetzlichen  Strafdrohung, 
der  bei  Feuerbach  die  Grundlage  der  Strafrechtstheorie  bildet.  Nach 
Kleinschrod  soll  der  Staat  jenen  Personen,  die  durch  starke  Motive 
auf  die  Bahn  des  Verbrechens  gedrängt  werden,  härtere  Strafen 
androhen:  die  Vorstellung  dieses  Übels  wirkt  jenen  Motiven  entgegen, 
damit  entfällt  die  Herabminderung  der  Verantwortlichkeit,  und  die  Straf- 
barkeit entspricht  der  Zurechenbarkeit  der  Tat."  Ruch  die  Erhöhung 
der  Rückfallstrafen  sucht  er  auf  ähnliche  Weise  durch  den  Ab- 
schreckungsgedanken zu  rechtfertigen,^  während  er  beim  Gewohn- 
heitsverbrecher, der  die  böse  Tat  „nicht  mehr  lassen  kann  und 
wider  Willen  zu  seiner  Lieblingsneigung  fortgerissen  wird",*  den 
Gegensatz  zwischen  geringer  Verschuldung  und  stärkster  krimineller 
Gefährlichkeit  als  unausgleichbar  anerkennt  und  hier  das  geringe 
Repressivbedürfnis  dem  Sicherungsgedanken  unterordnet:  „Seine  Strafe 
ist  zwar  gering  anzusetzen,  aber  in  eine  verhältnismäßige  Einschränkung 
seiner  Freiheit  zu  verwandeln,  welche  so  lange  dauern  muß,  bis  man 
vom  Verbrecher  nichts  mehr  zu  fürchten  hat."^ 

Voraussetzung  der  Schuld  ist  Zurechnungsfähigkeit,  diese 
wiederum  auf  der  Freiheit  des  Handelns  begründet.  Feuerbach 
rechnete  Kleinschrod  zu  seinen  indeterministischen  Gegnern.  Im 
Grunde  ließ  Kleinschrod  die  Frage  nach  der  Motivation  des  Willens 
offen  und  begnügte  sich  mit  der  bei  Feder  und  andern  Vorbildern 
nachwirkenden  Hobbesschen  Freiheit  des  Handelns.  „Ohne  in 
theoretische,  hier  überflüssige  Untersuchungen  einzugehen,  ob 
es  absolute  Freiheit  gebe,  können  wir  uns  damit  begnügen,  daß 
der  Mensch  nicht  nur  ein  vernünftiges,  sondern  auch  ein  Sinneswesen 
sei,  und  der  Erfahrung  gemäß  nicht  nur  dem  Gesetz  gemäß,  sondern 
auch  entgegen  handeln  kann."'^  Im  einzelnen  aber  zog  er  aus 
dieser  Handlungsfreiheit  alle  die  Konsequenzen,  die  Feuerbach  bei 
den    Indeterministen    bekämpfte,    so    vor    allem    die    Lehre    von    der 


'  Syst.  Entwicklung  Tl.  I,  S.  294. 

-  Syst.  Entwicklung  Tl.  I,  S.  290  ff. 

"  Ebendort  Tl.  II,  S.  167.   —  '  Ebendort  Tl.  I,  S.  300. 

'  Ebendort  Tl.  II,  S.  167.  —  "  Ebendort  Tl.  I,  S.  102. 


150 

verminderten  Zurechnungsfähigkeit.  Ähnlich  wie  auch  der 
Determinist  Feder  keineswegs  die  verschiedene  kausale  Bedeutung 
der  Motive,  die  verschiedene  „Stärke  des  Willens"  verkannte/  schloß 
Kleinschrod  aus  geringen  äußeren  Anlässen  bei  der  Begehung  des 
Verbrechens  auf  besonders  schwere  Schuld  in  der  Person  des  Täters, 
während  starke  Motive  entschuldigend  wirken:  „Je  stärker  also  die 
Reize  und  Beweggründe  zu  einer  Handlung  sind,  desto  geringer  ist 
ihre  Freiheit  und  Zurechnung.""  Hierauf  beruht  nach  Kleinschrod 
die  geringe  subjektive  Schuld  des  unverbesserlichen  Gewohnheits- 
verbrechers und  die  Minderung  der  Verantwortlichkeit  für  Handlungen, 
die  einem  starken  Affekt,  einer  übermächtigen  Leidenschaft  entsprungen 
sind.  Denn  hier  läßt  sich  nur  in  geringem  Grade  von  menschlicher 
Handlungsfreiheit  sprechen.  Ähnlich  liegen  die  Fälle,  in  denen 
„natürliche  Dummheit"  oder  vernachlässigte  Erziehung  die  „Geistes- 
kräfte einschränken".  „Menschen  dieser  Art  können  das  Gute  und 
Böse  einer  Handlung  nicht  hinreichend  unterscheiden"  und  sind  nicht 
imstande,  „ihre  Leidenschaften  zu  bemeistern ...  Je  größer  also 
die   Stupidität  ist,    desto  geringer   die   Zurechnung".^ 

Mit  solchen  Gedanken  vertrat  Kleinschrod  die  damals  herrschende 
auf  ethischer  Betrachtung  fußende  Zurechnungslehre,  der  Feuerbach 
seine  auf  völliger  Trennung  von  Recht  und  Moral  beruhende,  streng 
deterministische,  rein  strafrechtliche  Zurechnungslehre  entgegenzusetzen 
suchte.  Kleinschrod  erkannte  den  großen  Gegner  bereits  in  jener  ersten 
kurzen  Darstellung  bei  Gelegenheit  der  Besprechung  von  Grolmans 
Grundsätzen  der  Kriminalrechtswissenschaft  in  der  Jenaer  Literatur- 
zeitung* und  er  bemühte  sich,  dem  „einsichtsvollen  Rezensenten" 
gegenüber  den  eigenen  Standpunkt  zu  wahren:  „Rechtliche  Handlungen 
hören  dadurch,  daß  sie  dieses  werden,  nicht  auf,  moralische  zu  sein." 
Darum  „können  wir  auch  im  Kriminalrecht  die  moralische  Imputation 
nicht  entbehren".''  In  der  dritten  Auflage  seines  Werkes  setzte  sich 
Kleinschrod  ausführlich  mit  der  Zurechnungslehre  der  Feuerbachschen 
„Revision"  auseinander.  Wenn  man  die  ethische  Beurteilung  aus  dem 
Recht  ausschaltet  und  den  Menschen  in  der  Zurechnung  „bloß  als 
Naturmenschen  behandelt",  dann  sei  auch  die  Feststellung  der  „psy- 
chologischen Wirksamkeit  der  Gesetze"  überflüssig  und  es  kann  ohne 
weiteres   „die   tierische  Züchtigung   stattfinden,   sobald  man  weiß,   daß 


'  Unters,  über  den  menschl.  Willen  Tl.  III,  S.  46L 
'  Syst.  Entwicklung  Tl.  I,  S.  124. 
'  Syst.  Entwicklung  Tl.  I,  S.  237. 

*  Allgemeine  Literaturzeitung.    Jena  und  Leipzig  1798.    Bd.  II,  Nr.  113 
und  114,  Sp.  65  ff.  —  Vgl.  oben  Kap.  II,  S.  45  ff. 
'  Syst.  Entwicklung  2.  ÄuJl.,  Tl.  I,  S.  120. 


151 

ein  Mensch  eine  gesetzwidrige  Tat  beging".^  Feuerbach  habe  aber 
selbst  diese  Konsequenz  gar  nicht  gezogen,  sondern  verlange  zur 
Zurechnungsfähigkeit  „Bewußtsein  des  Strafgesetzes,  Beziehung  der 
Handlung  unter  dasselbe  und  das  Vermögen,  sich  zur  Handlung  zu 
bestimmen".  Das  sei  letzten  Endes  nichts  anderes  als  die  „Willkür" 
und  Handlungsfreiheit,  die  Kleinschrod  zur  Zurechnungsfähigkeit  vor- 
aussetzt.^ 

Geisteskrankheit  schließt  die  Zurechnungsfähigkeit  aus.  „Wahn- 
sinnige" sind  nicht  fähig,  „richtige  und  bestimmte  Begriffe  sich  zu  bilden 
und  den  Willen  durch  die  Vernunftgründe  zu  bestimmen"."'  Das  gilt 
naturgemäß  nicht  für  die  scheinbar  normalen  Stadien  des  temporären 
Irreseins,  die  berühmten,  schon  von  Justinian  so  benannten,  dilucida 
intervalla.'*  Aber  Kleinschrod  nimmt  auch  hier  nur  verminderte  Zu- 
rechnungsfähigkeit an:  „Denn  ist  auch  jemand  nur  eine  Zeitlang  oder 
in  Ansehung  eines  Gegenstandes  wahnsinnig,  so  kann  man  doch  nie 
ganz  gewiß  behaupten,  daß  er  einen  vollkommen  gesunden  Geist  habe."'' 

Einer  milden  Auffassung  huldigt  Kleinschrod  auch  in  den  Fällen, 
in  denen  die  Handlung  zwar  in  einem  Stadium  vorübergehender  Unzu- 
rechnungsfähigkeit ausgeführt,  diese  Unzurechnungsfähigkeit  selbst  aber 
von  dem  Täter  freiwillig  herbeigeführt  ist:  Äctionesliberae  in  causa, 
Handlungen,  die,  wie  man  auch  sagte,  auf  ein  früheres  Stadium  voller 
Zurechnungsfähigkeit  zurückbezogen  werden  können:  Äctiones  in  liber- 
tatem  relatae.  Das  ältere  gemeine  Recht  bestrafte  nach  dem  Vorgang 
der  italienischen  Doktrin  und  unter  dem  Einfluß  Carpzovs  und 
Boehmers  die  Ebrietas  affectata,  mit  der  ordentlichen  Strafe  des 
vorsätzlich  begangenen  Delikts.*'  „Wer  sich  gar  fürsetzlicher  Weis", 
heißt  es  bei  Kreittmayr,  „in  der  bösen  Absicht,  um  die  Tat  desto 
beherzter  vollbringen  zu  können,  mit  Fleiß  betrinkt . . . ,  verdienet  keine 
Strafmilderung  und  wird  diesfalls  für  nüchtern  gehalten."^ 

Anders  Kleinschrod.  Er  nimmt  bei  den  actiones  liberae  in  causa 
nur  Fahrlässigkeit  an  und  lehnt  eine  Bestrafung  wegen  vorsätzlichen 
Handelns  auch  für  die  Fälle  ab,  in  denen  der  Täter  den  Zustand  der 
Unzurechnungsfähigkeit   in   der   Absicht   herbeigeführt   hat,    um    desto 


'  Syst.  Entwicklung  3.  Aufl.,  Tl.  I,  S.  1 10. 

'  Syst.  Entwicklung  3.  Aufl.,  Tl.  I,  S.  109. 

"  Syst.  Entwicklung  2.  Aufl.,  Tl.  I,  S.  199. 

M.  9  C  VI,  22. 

••  Syst.  Entwicklung  Tl.  I,  S.  201. 

''  Carpzov,  Nov.  Pract.  Qu.  146,  Nr.  58.  —  Bochmcr,  Obscrv.  ad 
Carpzovii  Pract.  Rer.  Crim.  Obs.  I  ad  quaest.  146  sowie  Mcditationes  in  CCC, 
§  9  f.  zu  a  179.  —  Über  die  Behandlung  des  Problems  bei  den  italienischen 
Juristen  vgl.  Engelmann,  Schuldlehre  der  Postglossatoren  S.  31  f. 

'  Cod.  Jur.  Bav.  Crim.  Tl.  I,  cap.  I,  §  19. 


152 

leichter  ein  Verbrechan  zu  begehen.  Denn  der  Täter  gibt  ja  selbst 
die  Karten  aus  der  Hand:  „man  ist  nicht  gewiß,  ob  die  Tat  auch  so 
ausgefallen  wäre,  wenn  der  Wille  vollkommene  Freiheit  behalten  hätte"/ 
Nur  „der  Entschluß,  dies  Verbrechen  zu  begehen  und  die  freiwillige 
Beraubung  des  Gebrauchs  seiner  Vernunft  sind  ohne  Zweifel  dolos". 
Bei  der  Ausführung  aber  kann  der  Täter  „nicht  mehr  frei  bestimmen, 
ob  er  handeln  wollte  oder  nicht,  er  vermochte  es  nicht,  die  Äbratungs- 
gründe  einzusehen.  Er  handelte  ohne  Bewußtsein,  bloß  nach  tierischem 
Instinkt.    Wer  kann  eine  Handlung  dieser  Art  dolos  nennen?" " 

Ein  ähnlicher  Gedankengang  kehrte  im  späteren  preußischen  Recht 
wieder.  Savigny  sah  in  der  Behandlung  der  actiones  liberae  in  causa 
als  vorsätzliche  Rechtsverletzungen  einen  Widerspruch,  denn  wenn 
der  Täter  unzurechnungsfähig  ist,  kann  er  „die  früher  beabsichtigte 
Handlung  nicht  infolge  des  früheren  Entschlusses  vollziehen",  —  oder 
aber  er  kann  das,  dann  ist  er  eben  nicht  unzurechnungsfähig.^  Unter 
seinem  Einfluß  nahm  man  damals  allgemein  in  solchen  Fällen  Fahr- 
lässigkeit an,^  während  heute  die  herrschende  Meinung  Vorsatz 
bejaht,  wenn  der  Täter  vor  oder  durch  Herbeiführung  eines  die  Zu- 
rechnungsfähigkeit ausschließenden  Zustandes  eine  Ursache  für  einen 
rechtswidrigen  Erfolg  gesetzt  und  dabei  den  Erfolg  vorausgesehen  hat.° 


'  Syst.  Entwicklung  Tl.  I,  S.  136. 

■■'  Ebendort  S.  45. 

'  Goltdammer,  Materialien  zum  Strafgesetzbuch  für  die  preußischen 
Staaten  Tl.  1.    Berlin  1851.    S.  353. 

*  Vgl.  Urteile  des  Obertribunals  in  Goltdammers  Ärch.  VIII,  S.  407  f. 
und  IX,  S.  70  f.  —  Hälschner,  System  des  preußischen  Strafrechts  Tl.  I. 
Bonn  1858.  S.  116.  —  Berner,  Lehrb.  des  deutschen  Strafrechts  6.  Aufl. 
Leipzig  1872.  S.  129  f.  —  Beide  Autoren  änderten  später  ihre  Ansicht 
zugunsten  der  heute  herrschenden  Meinung.  Vgl.  Hälschner,  Das  gemeine 
deutsche  Strafrecht  I.  Bd.  Bonn  1881.  S.  212.  —  Berner,  Lehrbuch  des 
deutschen  Strafrechts  17.  Aufl.    Leipzig  1895.    S.  86. 

^  V.  Liszt,  Lehrbuch  23.  Aufl.  1921.  S.  167.  —  Frank,  Strafgesetz- 
buch 11.  14.  Aufl.  1919.  §51,  IV.  —  Olshausen,  9.  Aufl.  1912.  §51, 
Nr.  IIa.  —  Ebermayer,  Strafgesetzbuch.  1920.  Anm.  8  zu  §  51.  — 
RQ.  22,  418.  —  Gegen  diese  Ansicht:  Katzenstein,  Die  Straflosigkeit 
der  Actio  libera  in  causa,  Liszts  Scminarabhandlg.,  Neue  Folge  1,  1.  Hier 
wird  in  dem  kausalen  Handeln  im  zurechnungsfähigen  Vorstadium  nur  eine 
Vorbereitungshandlung  im  Sinne  der  objektiven  Versuchsauffassung  gesehen 
(S.  50).  Der  Täter  kann  nicht  „als  Werkzeug  seiner  eigenen  Tat"  betrachtet 
werden  (S.  59).  —  Gegen  Katzenstein:  v.  Bar,  Gesetz  und  Schuld  II, 
S.  104  ff.  und  110,  der  Strafbarkeit  annimmt,  wenn  es  keines  Willensaktes 
mehr  bedarf,  sondern  der  Täter  im  Zustand  der  Unzurechnungsfähigkeit 
lediglich  den  bereits  in  Bewegung  gesetzten  Naturkausalismus  ablaufen 
läßt,  da  eben  hierdurch  die  auslösende  Handlung  über  das  Stadium  der 
Vorberci'ungshandlung  hinausgewachsen  erscheint. 


153 

Die  psychologische  Vertiefung  der  strafrechtlichen  Probleme  zeigt 
sich  in  der  Differenzierung  und  dogmatischen  Ausgestaltung  der 
Schuldarten.  Hier  liegt,  abgesehen  von  den  Ergebnissen,  auf 
methodischem  Gebiet  der  große  Unterschied  zwischen  dem  neueren 
und  dem  älteren  gemeinen  Recht.  Dabei  haben  die  damaligen 
Kriminalisten  selbst  das  Wesentliche  dieses  Gegensatzes  nicht  gesehen: 
daß  nämlich  die  Bestrafung  fahrlässiger  Vergehen  unter  ihren  Händen 
von  einer  Modifikation  der  gesetzlichen  poena  ordinaria  zu  einer  nicht 
minder  gesetzlichen,  einer  andern  Schuldart  entsprechenden  Strafe 
wurde.  Noch  bei  der  Abfassung  des  bayerischen  Strafgesetzbuches 
von  1813  verschloß  sich  Feuerbach  in  dieser  Frage  der  bessern 
Einsicht  Gönners.^  Gleichwohl  trat  damals  in  der  dogmatischen 
Ausgestaltung  der  kriminalistischen  Begriffe  die  Fahrlässigkeit  als 
selbständige  Schuldform  neben  den  Vorsatz. 

Nach  Kleinschrod  handelt  vorsätzlich,  wer  sich  zu  einer 
unerlaubten  Handlung  bestimmt  und  einsieht,  daß  „dieselbe  gesetz- 
widrig sei",  fahrlässig,  wer  ohne  dies  Bewußtsein  handelt,  wiewohl 
er  es  hätte  haben  können  und  sollen. ■  Vorsatz,  der  bewußt  rechts- 
widrige Wille.  Daraus  folgt,  daß  es  zur  Begriffsbestimmung  des 
Vorsatzes  gehört,  das  Maß  der  zum  Bewußtsein  der  Rechtswidrig- 
keit erforderlichen  Kenntnisse  zu  begrenzen.  Und  umgekehrt:  der 
Rechtsirrtum  hat  nicht  mehr,  wie  bisher,  die  Bedeutung  eines  Straf- 
milderungsgrundes, sondern  er  stellt  die  Zurechenbarkeit  zum 
Vorsatz  in  Frage.  Auch  hier  werden  Strafbarkeitsvoraussetzungen 
zu  Schuldelementen:  „Wenn  es  wahr  ist,  was  in  der  Natur  der  Sache 
liegt  (!),  daß  die  Kenntnis  des  Strafverbots  und  das  Bewußtsein,  daß 
man  unrecht  handle,  zur  Essenz  des  Vorsatzes  gehört,  so  ergibt  sich 
daraus  die  natürliche  Folge,  daß  Unwissenheit  und  Irrtum  einen  großen 
Einfluß  haben  müssen,  die  Zurechnung  zu  bestimmen."'^  Dabei 
genügt  zur  Annahme  des  Vorsatzes  bei  Kleinschrod  nicht  eine  Kenntnis 
der  „Innern  Büß-  und  Strafmäßigkeit"  der  Handlung  (Kreittmayr). 
Braucht  der  Täter  auch  nicht  das  einzelne  Strafgesetz,  das  er  über- 
tritt und  die  Höhe  der  verwirkten  Strafe  zu  kennen,  so  muß  er  doch 
wissen,  daß  seine  Tat  von  den  positiven  Gesetzen  verboten  ist. 
Daß  die  Tat  „natürlich  unerlaubt"  ist,  war  nur  eine  der  Veranlassungen, 
warum  die  Gesetze  eine  Strafe  dagegen  verordnet  haben,  die  Bestrafung 
des  Vorsatzes  hat  „ihren  nächsten  Grund  darin,  weil  das  positive  Recht 
dem  Urheber  eines  Vergehens  ein  Übel  droht  und  dieser  desungeachtet 
mit  Verachtung   der  Drohung   seine  zügellose  Willkür   dem  Gehorsam 


'  Vgl.  unten  Kap.  V. 

''  Syst.  Entwicklung  Tl.  1,  S.  36. 

'  Ebendort  Tl.  I,  S.  246. 


154 

gegen  die  Gesetze  vorzog".^  So  ist  Bewußtsein  der  Strafgesetzwidrigkeit 
zum  Vorsatz  notwendig.  Bei  der  formalen  Enge  des  alten  Beweisrechts 
kann  nach  Kleinschrod  der  Vorsatz,  da  der  bewußt  rechtswidrige  Wille 
eine  innere  Tatsache  ist,  nur  durch  das  Geständnis  des  Verbrechers 
bewiesen  werden.'-  Hier  rührt  Kleinschrod  an  Probleme,  deren  gesetz- 
geberische Ausgestaltung  in  seinem  Entwurf  ihm  selbst  erhebliche 
Schwierigkeiten  machte  und  die  in  anderer  Form  bei  der  Entwicklung 
von  Feuerbachs  Vorsatzlehren  eine  Rolle  spielten. 

Neben  dem  Vorsatz  steht  die  Fahrlässigkeit,  die  unbewußt 
rechtswidrige  Verwirklichung  eines  verbotenen  Tatbestandes.  Etwa  zur 
gleichen  Zeit  hatte  der  Hallenser  Kriminalist  Ernst  Friedrich  Klein 
in  ähnlicher  Weise  dem  bewußt  rechtswidrigen  Willen  eine  zweite, 
selbständige  Schuldform  zur  Seite  gestellt,  wobei  er  versuchte,  die 
formale  Einheit  beider  Arten  als  Willens  schuld  zu  wahren.''  Nach 
ihm  besteht  eine  Schuld  entweder  darin,  daß  jemand  etwas  unter- 
nimmt, von  dem  er  weiß,  daß  er  es  nicht  tun  sollte:  positiv  böser 
Wille.  Vorsatz.  Oder  es  fehlt  dem  Täter  der  Entschluß,  „die  zur 
Vermeidung  gesetzwidriger  Handlungen  erforderliche  Fähigkeit  und 
Aufmerksamkeit  auszubilden  oder  anzustreben":  ein  Mangel  des  guten 
Vorsatzes,  negativ  böser  Wille,  Fahrlässigkeit.^  Kleinschrod 
konstruiert  die  Fahrlässigkeit  als  Wissensfehler.  „Der  Unwissende 
hält  eine  Handlung  für  erlaubt,  die  es  nicht  ist,  der  Unbedachtsame 
hält  sich  zu  keiner  weiteren  Vorsicht  verbunden,  als  er  wirklich 
anwendet,  der  Nachlässige  untersucht  nicht,  welchen  Fleiß  dieses 
oder  jenes  Geschäft  erfordere,  er  hält  den  von  ihm  angewandten 
Fleiß  für  hinlänglich.  So  wird  man  bei  allen  Arten  von  Culpa, 
z.  B.  Unvorsichtigkeit,  Unbedachtsamkeit,  Nachlässigkeit,  zu  große 
Sicherheit,  Ungeschicklichkeit,  Schwachheit  usw.  einen  Trugschluß, 
einen  Irrtum  entdecken." '  Der  Schuldcharakter  eines  solchen  Irrtums, 
seine  Vorwerfbarkeit  liegt  darin,  daß  die  Sicherheit  des  sozialen  Zu- 
sammenlebens der  Menschen  ein  bestimmtes  Durchschnittsmaß  an 
Kenntnissen  und  Einsicht  voraussetzt.  Darum  ist  „jeder  Mensch 
schuldig,  die  allgemein  bekannten  physischen  und  moralischen  Wir- 
kungen seiner  Tat  in  Betracht  zu  ziehen  und  diese  so  einzurichten, 
damit  er  niemand  beschädige"." 


'  Syst.  Entwicklung  Tl.  I,  S.  40  f.    —    '  Ebendort  S.  60. 

'  Vgl.  Binding,   Normen  IV,  1,  S.  186  f. 

*  E.  F.  Klein,  Grundsätze  des  gemeinen  deutschen  peinlichen  Rechts 
2.Äufl.  Halle  1799.  §120,S.99f.  —  Derselbe,  Vom  Unterschiede  zwischen 
Dolus  und  Culpa  in  Beziehung  auf  Verbrechen  und  Strafe.  Ärch.  des 
Kriminairechts  I,  2.  Stück,  S.  56  ff. 

■  Syst.  Entwicklung  Tl.  I,  S.  66.  —  ''  Syst.  Entwicklung  Tl.  I,  S.  68. 


155 

Sind  so  Vorsatz  und  Fahrlässigkeit  als  selbständige  Schuldformen 
ausgebildet,  so  kann  auch  die  Entscheidung  über  das  strittige  Grenz- 
gebiet zwischen  beiden,  den  dolus  indirectus  nur  aus  der  Analyse 
der  Schuldbegrifie  heraus  erfolgen.  Dabei  knüpfte  die  Doktrin  zunächst 
an  die  spätere  Fassung  Boehmers  an,  in  der  dieser  an  Stelle  des  dolus 
indirectus  im  Sinne  der  Leyserschen  voluntas  nocendi,  wie  ihn  Kreitt- 
mayr  rezipierte,  den  dolus  eventualis  setzte/  Eine  bedeutsame  Rolle 
spielte  die  berühmte  Abhandlung  Nettelbladt-Glaentzers."  Gegen 
die  traditionelle  Anschauung,  welche  die  bewußt  herbeigeführten  Folgen 
einer  beabsichtigten  Handlung  als  „indirekt"  oder  „eventuell"  mit- 
gewollt behandelte,  polemisierte  als  erster  der  Kieler  Kriminalist 
Christiani,^  indem  er  auf  die  psychologischen  Mängel  dieser 
Konstruktion  hinwies.  „Die  Erfahrung  lehrt,  daß  der  Mensch  sehr  oft 
eine  Tat  wolle,  ohne  zugleich  die  Folgen  derselben  zu  wollen,  selbst 
dann,  wenn  solche  mit  großer  Wahrscheinlichkeit  vorausgesehen 
werden."'*  Das  Mädchen,  das  sich  dem  Verführer  hingibt,  denkt 
wohl  an  die  Folgen  ihres  Tuns,  aber  sie  will  und  billigt  alles  andere 
als  ihr  Eintreten,  der  Student  auf  der  Mensur  denkt  wohl  an  die 
Möglichkeit  eines  tragischen  Ausgangs,  aber  er  würde  den  Gedanken 
entsetzt  zurückweisen,  zum  Mörder  seines  Gegners  werden  zu  wollen. 
Tritt  die  unerwünschte  Folge  dann  ein,  so  kann  ihretwegen  der  Täter 
nicht  wegen  dolus,  sondern  nur  wegen  culpa  lata  zur  Verantwortung 
gezogen  werden. 

Kleinschrod  nimmt  in  dieser  Kontroverse  eine  vermittelnde 
Stellung  ein  und  nähert  sich  im  Ergebnis  der  Art,  in  der  die  heute 
herrschende  Meinung  die  Grenze  zwischen  dolus  eventualis  und 
bewußter  Fahrlässigkeit  zieht.''  Er  unterscheidet  zwei  Fälle.  Erstens: 
„Jemand  entschließt  sich  zu  einer  Handlung.  Er  sieht  ein,  es  könne 
hieraus  ein  Verbrechen  entstehen.  Es  ist  ihm  gleichgültig,  ob  es  erfolgt 
oder  nicht,  er  will  das  Verbrechen,  wenn  es  auch  erfolgen  sollte. 
Hier  ist  offenbar  wahrer  Dolus,   und  zwar  ein   eventueller   da."*^ 

'  Vgl.  oben  S.  136. 

^  Diss.  de  homicidio  ex  intentione  indirecta  commisso.    1753. 

'  Die  Chimäre  des  Totschlags  aus  indirektem  Vorsatze.  Kielsches 
Magazin  vor  die  Geschichte,  Staatsklugheit  und  Staatenkunde  Bd.  I. 
Kiel  1783.    S.  345  ff. 

'  Ä.  a.  O.  S.  351. 

''  Vgl.  z.  B.  den  Standpunkt  bei  M.  E.  Mayer,  Der  allgemeine  Teil 
des  deutschen  Strafrechts.    Heidelberg  1915.    S.  251  und  266. 

'•  Syst.  Entwicklung  Tl.  I,  S.  38.  Während  bei  Boehmcr  dolus 
eventualis  und  indirectus  synonym  gebraucht  werden,  ist  der  Sinn  von 
Kleinschrods  Argumentation,  nachzuweisen,  daß  dolus  eventualis  ein  dolus 
directus  ist.  Er  folgt  hier  Eschenbach,  Progr.  de  dolo  indirccto  homi- 
cidarum.    Rostock  1787.    §  5.    Vgl.  Kleinschrod,  Syst.  Entwickl.  Tl.  I,  S.  55. 


156 

Hat  er  dagegen  infolge  Unüberlegtheit  nicht  an  die  Folge  seines 
Vorhabens  gedacht  oder  glaubt  er,  „seine  Handlung  so  einrichten 
zu  können,  daß  jene  nicht  daraus  entsteht",  handelt  er  „mit  aller 
Vorsicht,  das  zu  Jürchtende  Ereignis  zu  vermeiden...",  so  „kann 
unmöglich  die  Folge  als  dolos  betrachtet  werden".^  So  bildet  der 
heutigen  Doktrin  entsprechend  letzten  Endes  das  Maß  der  Sympathie 
für  die  Folgen  des  Vorhabens  die  Grenze  zwischen  Vorsatz  und 
Fahrlässigkeit.^  Dabei  bemühte  sich  Kleinschrod  auch  in  diesen, 
unserer  bewußten  Fahrlässigkeit  entsprechenden  Fällen  gemäß  seiner 
Anschauung  vom  Wesen  der  Fahrlässigkeit  die  Schuld  in  einem 
Irrtum  des  Täters  zu  begründen:  auch  hier  irrte  der  Täter,  denn 
„er  glaubte,  durch  seine  Vorsicht  die  Folgen  vermeiden  zu  können, 
was  aber  nicht  möglich  war".^ 

Zeigt  so  Kleinschrod  in  der  theoretischen  Bearbeitung  der  straf- 
rechtlichen Probleme  eine  entschiedene  Wendung  zu  der  Dogmatik 
des  modernen  Strafrechts,  so  bleibt  sein  Entwurf  eines  peinlichen 
Gesetzbuchs  für  die  kurpfalzbayerischen  Staaten,  München 
1802,  in  auffallendem  Maße  hinter  den  Lehren  seines  Verfassers  zurück. 
Die  theoretische  Trennung  von  Schuld  und  Strafbarkeit  ist  im 
Gesetzentwurf  nicht  zum  Ausdruck  gekommen.  Ganz  im  Sinne  des 
alten  gemeinen  Rechts  kennt  sein  Entwurf  nur  gesetzliche  Straf- 
drohungen und  Bestimmungen  darüber,  wann  die  gesetzliche  Strafe 
wegfällt,  gemildert  oder  verschärft  wird.  In  kasuistischer  Regelung 
erscheinen  in  buntem  Wechsel  Notwehr  und  Jugend,  weibliches 
Geschlecht  und  pathologische  Zustände,  Armut  und  Irrtum  lediglich 
als  Strafänderungsgründe,  und  auch  aus  der  schwankenden  Termino- 
logie, nach  der  z.  B.  Kinder  „kein  Verbrechen  zu  begehen  fähig" 
sind  (§  214),  während  der  in  der  Notwehr  Handelnde  lediglich  „nicht 
als  Verbrecher  gestraft"  werden  kann  (§  184),  läßt  sich  im  Zu- 
sammenhalt aller  Bestimmungen  kein  einheitliches  Prinzip  ableiten. 
Bei  der  Zurechnungsfähigkeit  überrascht  eine  auffallende  Strenge 
gegenüber  Kindern  unter  sieben  Jahren,  die  „mit  einer  mittleren  oder 
leichteren  Züchtigung  im  Gericht  belegt  werden"  können,  wenn 
„die  Bosheit  das  Alter  übertrifft"   (§  216).*     Dabei   hatte  Kleinschrod 


*  Syst.  Entwicklung  Tl.  I,  S.  56. 

'^  Im  Gegensatz  zu  dieser  Lehre  suchte  der  Vorentwurf  1909,  §  59, 
Abs.  2  die  Grenzziehung  von  dem  Grade  der  beim  Täter  vorhandenen 
Gewißheit  des  Erfolges  abhängig  zu  machen. 

'  Syst.  Entwicklung  Tl.  I,  S.  56. 

''  Diese  Bestimmung,  die  im  Wortlaut  eine  Reminiszenz  an  CCC  164 
und  den  in  zivilrechtlicher  Beziehung  gemeinten  Satz  der  römischen  Quellen: 
malitia  supplet  aetatem  enthält,  ist  eine  gesetzliche  Sanktionierung  der 
Carpzovschen  Praxis,  die  selbst  Kreittmayr  nicht  ins  Gesetz  aufnahm, 


157 

selbst  mit  lebhaften  Worten  auf  die  für  die  Verantwortung  noch 
zu  schwache  jugendliche  Psyche  hingewiesen/  wie  sich  auch  bei 
seinem  Vorbild  Feder  manche  gute  Beobachtung  über  das  Weiche, 
Schwankende,  den  wechselnden  Eindrücken  Hingegebene  jugendlicher 
Seelen  findet.^  Bei  den  Jugendlichen  zwischen  sieben  und  vierzehn 
Jahren  wird  die  Bestrafung  nicht  mehr  von  dem  subjektiven  Urteil 
des  Richters  über  die  Strafwürdigkeit  des  jungen  Delinquenten  abhängig 
gemacht,  sondern  im  Gesetz  selbst  ist  die  Strafe  auf  die  Hälfte  bis 
ein  Drittel  der  Strafe  für  den  völlig  zurechnungsfähigen  Erwachsenen 
herabgesetzt  und  an  die  Voraussetzung  geknüpft,  daß  der  Richter 
festgestellt  hat,  daß  der  Jugendliche  „die  gehörige  Kenntnis  habe, 
daß  er  die  Strafbarkeit  der  Tat,  ehe  er  sie  beging,  hätte  einsehen 
können"  (§217f).  Hier  wirkt  bereits  das  Discernement  des  franzö- 
sischen Rechts,  das  sich  in  traditioneller,  wenn  auch  keineswegs  un- 
angefochtener Weise  bis  ins  Reichsstrafgesetzbuch  (§  56)  erhalten  hat.^ 
Die  theoretische  Ausgestaltung  der  Schuldformen  erwies  sich 
für  eine  gesetzgeberische  Regelung  ungeeignet.  Vorsätzlich  handelt, 
wer  „einsieht,  daß  seine  Handlung  von  den  Gesetzen  unter  Strafe 
verboten  sei  und  dieser  Wissenschaft  ungeachtet  die  Tat  vollbringt" 
(§  25).  Aber  diese  Kenntnis  der  positiven  Strafbarkeit  war  natur- 
gemäß in  unzähligen  Fällen  nicht  vorhanden  oder  nicht  zu  beweisen. 
Darum  wird  jedoch  der  Vorsatzbegriff  nicht  erweitert,  sondern  jene 
Kenntnis  als  vorhanden  fingiert:  „Da  Wir  alle  Sorge  tragen  werden, 
daß  Unsere  Gesetze  zur  Kenntnis  aller  Unserer  Untertanen  gelangen, 
so  soll  der  Regel  nach  niemand  sich  durch  Unwissenheit  der  Gesetze 
entschuldigen  können"  (§  276).  Zwei  Fälle  hebt  der  Entwurf  besonders 
hervor,  in  denen  die  „vorgeschützte  Unwahrheit  als  unbegründet  zu 
verwerfen"  ist  (§  277).  Einmal  beim  error  affectatus,  wenn  sich  jemand 
„die  Gesetze  absichtlich  nicht  bekannt  macht,  um  nach  zügelloser 
Willkür  handeln  zu  können".    Für  diese  Bestimmung  findet  sich  eine 


sondern  nur  in  den  Anmerkungen,  gegen  den  Wortlaut  das  Gesetzes,  als 
Erziehungsmaßregel:  damit  „keine  böse  Gewohnheit  Wurzel  fasse!"  erwähnte 
(Änm.  zum  Cod.  Jur.  Bav.  Crim.  zu  Tl.  I,  cap.  I,  §  4  c). 

'  Syst.  Entwicklung  Tl.  I,  S.  161  ff. 

-  Feder,  Unters,  über  den  menschlichen  Willen  2.  Aufl.,  1787,  Tl.  II, 
S.  293  ff.  und  304. 

■'  Diese  Bestimmung  geht  zurück  auf  den  Code  p^nal  von  1791, 
Titre  V,  al.  —  R.  Garraud,  Traitö  th^oretique  et  pratique  du  Droit  p^nal 
Fran^ais  3.  ed.,  1913,  Tome  I,  pag.  721.  Während  die  Voraussetzung  des 
Discernements  im  Code  p^nal  im  Zusammenhang  steht  mit  der  freien 
Beweiswürdigung  durch  die  Jury,  bildet  sie  in  dem  formalen  Beweis- 
recht des  Kleinschrodschen  Entwurfs  eine  Anomalie.  —  Vgl.  auch  Remy, 
Les  principes  gdn(!raux  du  code  pdnal  de  1791.    Paris  1910.    Pag.  135  ff. 


158 

Begründung  in  den  theoretischen  Erörterungen  Kleinschrods,  zu  der 
ihn  weniger  die  Analyse  seiner  SchuIdbegriHe  als  kriminalpolitische 
Bedürfnisse  führen:  „ein  Mensch  solcher  Rrt  ist  für  das  öffentliche 
Wohl  ebenso  gefährlich  als  derjenige,  der  die  Gesetze  kennt  und  sie 
überschreitet"/  Entsprechend  seiner  Beurteilung  der  actiones  liberae 
in  causa  hätte  er  allerdings  auch  in  diesem  Falle  Fahrlässigkeit 
annehmen  müssen.  Der  zweite  Hauptfall  der  Präsumtion  der  Rechts- 
kenntnis betrifft  Handlungen,  die  „nach  den  ersten  Gründen  der  Vernunft 
und  Sittlichkeit  unerlaubt"  sind,  wenn  der  Täter  die  nötige  Erziehung 
genossen  hat."  Auch  diese  Ausnahme  hatte  er  sich  in  der  Theorie 
offengehalten  und  sie  soll  nach  dem  Entwurf  (§  277)  gellen  bei 
solchen  Handlungen,  „deren  Stratlsarkeit  jeder  gemeine  Menschen- 
verstand einsehen  muß".  So  sind  hier  wieder  Gedanken  aus  dem 
Naturrecht  und  seiner  Ausgestaltung  bei  den  Kanonisten,  die  Lehre 
vom  error  iuris  Divini  ac  naturae  in  die  Vorsatzlehre  hineingenommen. 

Auch  die  Abgrenzung  von  Vorsatz  und  Fahrlässigkeit  ver- 
mochte er  nicht  klar  und  eindeutig  in  seinem  Entwurf  zum  Ausdruck 
zu  bringen.  Nur  wenn  die  Folgen  eines  an  sich  erlaubten  Ver- 
haltens den  Tatbestand  eines  Verbrechens  bilden,  hängt  der  dolus 
(eventualis)  davon  ab,  ob  der  Täter  „in  dasselbe  einwilligte,  wenn  es 
erfolgen  sollte"  (§  35).  Bei  der  vorsätzlichen  Begehung  eines  Delikts 
dagegen  werden  dem  Täter  alle  „notwendigen  Folgen  dieser  Handlung 
als  vorsätzlich  zugerechnet",  andere  Folgen,  also  z.  B.  nur  mögliche 
Folgen  der  Haupttat  dann,  „wenn  der  Urheber  der  Haupthandlung 
diese  Folgen  vorsah  und  deren  Dasein  befördern  wollte"  (§§  28,  29). 
Die  formale  Trennung  zwischen  den  Folgen  erlaubten  und  verbotenen 
Tuns  und  die  Ausdehnung  der  Haftung  im  zweiten  Falle  auf  alle 
notwendigen  Folgen,  unabhängig  vom  Willen  und  Bew^ußtsein  des 
Täters,  erklären  sich  als  eine  Nachwirkung  des  kanonistischen  Satzes 
vom  Versari  in  re  illicita,  die  sich  auch  noch  im  Feuerbachschen 
Strafgesetzbuch  an  ähnlicher  Stelle  wiederholt. 

Das  Strafensystem  des  Entwurfs  bricht  endgültig  mit  der 
Brutalität  des  Kreittmayrschen  Gesetzes.  Qualifizierte  Todesarten  und 
verstümmelnde  Strafen  sind  verschwunden.  Aber  im  einzelnen  macht 
sich  auch  hier  die  Unzulänglichkeit  Kleinschrods  geltend,  seine  theo- 
retischen Lehren  für  die  praktische  Gesetzgebung  zu  verwerten.  Die 
Berechtigung  der  staatlichen  Strafe  führt  Kleinschrod  anfangs  auf  ein 
ursprüngliches  staatliches  Notwehrrecht, ^  später  auf  die  dem  Staate 
von    dem    Gemeinwillen    aufgetragene    Verpflichtung,    die    öffentliche 

'  Syst.  Entwicklung  Tl.  I,  S.  249. 

-  Ebendort. 

'  Syst.  Entwicklung  1.  Aufl.,  Tl.  II,  S.  17  L 


159 

Ordnung  zu  erhalten,  zurück/  Der  Erreichung  dieses  Zieles  dienen 
die  drei  traditionellen  Zwecke  der  Strafe:  Besserung,  Abschreckung, 
Sicherung.  Dabei  will  Kleinschrod  nicht  eine  Idealstrafe  konstruieren, 
durch  die  alle  drei  Zwecke  vereinigt  werden,  sondern  sie  sollen  alter- 
nativ, dem  jeweiligen  besonderen  Reaktionsbedürfnis  dienend,  angewandt 
werden:  Der  jugendliche  Rechtsbrecher  und  der  aus  Irrtum  Fehlende 
bedürfen  der  Belehrung,  deren  Wirksamkeit  durch  ein  gelindes  Strafübel 
zu  steigern  ist.  Wer  aus  Bosheit  handelt,  verdient  eine  abschreckende 
Strafe.  Derjenige,  von  dem  auch  in  Zukunft  weitere  Verbrechen  zu 
befürchten  sind,  erhält  eine  Strafe,  die  vorwiegend  den  Charakter  einer 
Sicherheitsmaßnahme  zum  Schutze  der  Gesellschaft  trägt."  Doch  hat 
Kleinschrod  ebensowenig  wie  v.  Liszt,  an  dessen  Trias:  Abschreckung 
der  Augenblicksverbrecher,  Besserung  der  besserungsfähigen  Zustands- 
verbrecher, Unschädlichmachung  der  Unverbesserlichen,  man  hier 
unversehens  erinnert  wird,^  daran  gedacht,  die  äußerste  Konsequenz 
aus  einer  solchen  Auffassung  zu  ziehen  und  die  Art  der  Strafe  allein 
von  der  Auffassung  des  Richters  über  die  Persönlichkeit  des  Täters, 
unabhängig  von  der  Art  und  der  Schwere  der  begangenen  Tat 
bestimmen  zu  lassen.  Vielmehr  sind  bei  ihm  solche  Überlegungen 
nur  Hinweise  für  den  Gesetzgeber,  die  verschiedene  Bedeutung 
bestimmter  Handlungsweisen  für  die  Beurteilung  der  Persönlichkeit 
in  den  Strafdrohungen  entsprechend  zu  berücksichtigen.  Damit  nähert 
sich  hier  Kleinschrod  der  symptomatischen  Verbrechensauf- 
fassung Grolmans.  Doch  wandte  sich  Kleinschrod  bereits  in  der 
zweiten  Auflage  seiner  systematischen  Entwicklung  gegen  den  „zu 
subjektiven  Maßstab"  Grolmans  und  lehnte  es  ab,  die  Strafbarkeit 
nach  der  durch  die  Tat  dokumentierten  „willkürlichen  Gesetzwidrigkeit" 
abzustufen:  „Ich  halte  vielmehr  dafür,  daß  man  nur  durch  einen 
objektiven  Maßstab,  durch  die  Beziehung  der  Handlung  auf  das  Wohl 
der  ganzen  Gesellschaft,  die  Größe  der  Strafe  finden  könne."*  Bei 
der  Klassifizierung  solcher  objektiven  Maßstäbe  folgte  er  später 
Feuerbach. ^ 

Nur  bescheidene  Ansätze  jener  Differenzierung  der  Straf- 
zwecke sind  in  Kleinschrods  Entwurf  zum  Ausdruck  gekommen. 
Belehrung  hielt  er  für  angebracht  bei  dem  Versuch  des  Selbstmordes 


'  Syst.  Entwicklung  2.  Aufl.,  Tl.  II,  S.  23. 
^  Syst.  Entwicklung  Tl.  II,  S.  123  ff. 

*  V.  Liszt,  Der  Zweckgedanke  im  Strafrecht,  Aufs.  I,  S.  163  ff. 

*  Syst.  Entwicklung  2.  Aufl.,  Tl.  II,  S.  32  f. 

'  Syst.  Entwicklung  3.  Aufl.,  Tl.  II,  S.  35.  —  Vgl.  auch  O.  Tcsar, 
Die  symptomatische  Bedeutung  des  verbrecherischen  Verhaltens,  v.  Liszts 
Seminar abhandlungen,  Neue  Folge  V,  3,  S.  117  H. 


160 

und  Religionsdelikten,  darum  läßt  er  den  Selbstmörder  straflos  und 
sichert  ihm  ein  ehrbares,  jedoch  stilles  Begräbnis  (§§  970,  971)  und 
mildert  die  Strafen  für  Religionsdelikte  (Gefängnis).  Als  Abschreckung 
ist  beim  Diebstahl  von  5  — 10  Gulden  eine  „mittlere  Züchtigung  im 
Gefängnis"  gedacht  (§  1045).  Völlig  unter  dem  Gesichtspunkt  des 
Sicherungszwecks  steht  die  Behandlung  der  Todesstrafe.  Globig 
und  Huster  folgend,  sucht  er  die  Anwendung  der  Todesstrafe  auf  die 
Fälle  zu  beschränken,  wo  sie  zur  Erhaltung  der  staatlichen  Sicherheit 
unentbehrlich  erscheint.^  Solange  „Zuchthäuser,  Festungen  und  Ge- 
fängnisse einen  Missetäter  so  fest  verwahren  können,  daß  er  ganz 
außer  Stande  ist,  fernere  Anfälle  gegen  seine  Mitmenschen  zu  unter- 
nehmen, so  ist  keine  Notwendigkeit,  also  kein  Recht  da,  das  Leben 
dieses  Menschen  zu  vernichten"."  Dies  Bestreben,  die  Todesstrafe 
aus  den  regelmäßigen  Requisiten  der  Strafjustiz  zu  verbannen,  war 
eine  Folge  jenes  leidenschaftlichen  Kampfes  gegen  die  Todesstrafe, 
der  seit  Beccaria  und  Voltaire  Geister  und  Herzen  aller  Auf- 
klärungsmänner bewegte.  Indem  Kleinschrod  aber  die  Todesstrafe 
für  Hochverräter,  Mörder,  Totschläger,  Aufruhrer,  Brandstifter  als 
außerordentliches  Sicherungsmittel  zuließ,  schuf  er  die  Gefahr, 
daß  die  Todesstrafe  von  einer  an  festumrissene  Voraussetzungen 
gebundenen  Rechtsfolge  zu  einem  willkürlichen  Machtmittel  der 
geschwächten  Staatsgewalt  wird.  Dabei  wirkte  auch  eine  Über- 
schätzung der  Wirksamkeit  der  Todesstrafe  als  eines  Schutzes  für 
die  gefährdete  Staatsautorität  in  Zeiten  revolutionärer  Erschütterungen 
mit:  „Ludwig  XVI.  wäre  wahrscheinlich  noch  am  Leben,  wenn  im 
Anfange  der  Revolution  einige  Hauptanstifter  derselben  hingerichtet 
worden  wären. "^  Die  „Fälle  der  äußersten  Notwendigkeit"  (§  128) 
sind  sehr  dehnbar  gefaßt:  starker  Anhang  der  Verbrecher,  der  eine 
Befreiung  der  Gefangenen  befürchten  läßt,  erhebliche  Zunahme  schwerer 
Verbrechen,  „.  .  .  oder  überhaupt,  wenn  ein  Missetäter  dieser  Art  so 
beschaffen  ist,  daß  jede  andere  Strafe  nicht  im  Stande  ist,  den  Staat 
und  Unsere  getreuen  Untertanen  gegen  ihn  in  Sicherheit  zu  setzen" 
(§  130).  Hiermit  ist  tatsächlich  die  Husmerzung  der  Todesstrafe  aus 
dem  ordentlichen  Recht  illusorisch  und  ihre  Anwendung  in  einer 
für  die  damalige  Zeit  unerträglichen  Weise  von  richterlicher  Willkür 
abhängig  gemacht.  Die  Todesstrafe  als  Strafe  verbannt,  als  außer- 
ordentliches Sicherungsmittel  zugelassen,  erscheint  geradezu  als  Prämie 
für  die  Unzulänglichkeit   der   staatlichen  Polizei  und  Strafrechtspflege. 


*  Vgl.   Globig   und   Hu  st  er,    Abhandlung   von    der   Kriminalgesetz- 
gcbung  S.  64  ff. 

-  Syst.  Entwicklung  Tl.  III,  S.  17. 

'  Abhandlungen  a.  d.  pcinl.  Recht  Tl.  III,  1.  Abt.,  S.  63. 


161 

Deren  Schwäche  und  Ohnmacht,  nicht  die  Schwere  der  Tat  und  das 
eigene  Verschulden  muß  der  Delinquent  mit  dem  Tode  büßen/  Zu 
diesen  Konsequenzen  führte  bei  Kleinschrod  der  Gedanke,  die  Todes- 
strafe sei  zwar  als  reguläre  Strafe  zu  verbannen,  als  außerordentliches 
staatliches  Sicherungsmittel  aber  zulässig.  Ein  Dualismus,  der  auf 
Beccaria  selbst  zurückging.  Auch  Beccaria  wollte  die  Todesstrafe 
zulassen  „in  einer  Zeit  der  Anarchie,  wenn  Unordnung  an  Stelle 
der  Gesetze  tritt",  wenn  ein  Verbrecher,  „obwohl  der  Freiheit  beraubt, 
noch  solche  Verbindungen  und  solche  Macht  hat,  daß  er  hierdurch 
die  Staatssicherheit  gefährdet .  .  ."" 

Indem  die  Todesstrafe  ihre  alte  zentrale  Bedeutung  als  —  man 
kann  sagen  —  normale  Strafe  verlor,  gewann  die  Freiheitsstrafe 
erhöhte  Bedeutung.  Kleinschrod  berichtet,  daß  „der  größte  Teil 
der  Strafen  heutzutage  (1797)  in  der  Verdammung  zum  Zuchthause 
besteht".^  Mit  dieser  Entwicklung  hatte  aber  die  Ausgestaltung  des 
Sh-afvollzugs  in  den  alten  Zucht-  und  Werkhäusern  keineswegs  Schritt 
gehalten.  Hier  lag  noch  alles  im  Argen.  Gerade  um  diese  Zeit 
hatten  die  ersten  Versuche  begonnen,  in  Deutschland  das  Interesse 
auf  die  Mängel  im  Vollzug  der  Freiheitsstrafen  hinzulenken:  1780 
war  in  Leipzig  die  erste  deutsche  Ausgabe  von  John  Howards 
berühmtem  Buch  über  Gefängnisse  und  Zuchthäuser  erschienen,  dem 
alsbald  die  Berichte  von  Wächter^  und  Wagnitz^''  folgten.  Klein- 
schrods  Stellung  zu  diesen  Dingen  ist  höchst  charakteristisch:  eine 
unverkennbare  Müdigkeit  hält  ihn  ab,  die  bessere  Erkenntnis  in 
reformatorische  Taten  umzusetzen.  Er  glaubt  selbst,  daß  „Zucht-  und 
Arbeitshäuser  bei  einer  zweckmäßigen  Einrichtung  die  beste  Wirkung 
haben  müssen,  daß  man  sie  zu  den  wirksamsten  Mitteln  gegen 
Verbrechen  erheben  kann".^  Da  ihm  aber  die  Kraft  zu  einer  sinn- 
vollen Umgestaltung   des   Systems   der   Freiheitsstrafen  fehlte  —  eine 


'  Vgl.  die  Kritik  Kleins  im  Ärch.  des  Kriminalrechts  IV,  4,  S.  149  L, 
der  die  „innere  Gefährlichkeit  der  Handlung"  selbst  zur  Todesstrafe 
erforderlich  und  genügend  hält  und  meint,  der  Verbrecher  könne  gegenüber 
Kleinschrods  Regelung  einwenden,  „es  müsse  doch  wohl  an  der  Regierung 
liegen,  wenn  es  so  viele  Unzufriedene  gebe",  warum  solle  er  „für  die  Torheit 
derjenigen  büßen,  welche  ...  zu  denselben  Ausschreitungen  hingerissen 
würden?" 

-  Beccaria-Essclborn,  S.  107. 

*  Über  die  Strafe  der  öffentlichen  Arbeiten.  G.  A.  Kleinschrods  Ab- 
handlungen aus  dem  peinl.  Recht  und  Prozeß  I.  Tl.    Erlangen  1797.    S.  233. 

*  Über  Zuchthäuser  und  Zuchthausstrafen.    Stuttgart  1786. 

■'  Historische  Nachrichten  und  Bemerkungen  über  die  merkwürdigsten 
Zuchthäuser  in  Deutschland.    Halle  1V91-1794. 

•^  Über  die  Strafe  der  öffentlichen  Arbeiten,  a.  a.  O.  S.  235. 

11 


162 

Aufgabe,  die  freilich  nicht  in  einem  Strafgesetzbuch-Entwurf  allein  zu 
lösen  war  — ,  griff  er  angesichts  der  Unzulänglichkeit  der  bestehenden 
Zuchthäuser  gern  zu  einem  Ersatz  für  Zuchthaus  und  Gefängnis:  zur 
Strafe  der  öffentlichen  Arbeit,  die  als  schwerste  Strafe  für  die 
Beurteilung  des  Entwurfs  entscheidende  Bedeutung  hat.  Ruch  hier 
führten  theoretische  Lehren  zu  verhängnisvollen  gesetzgeberischen 
Versuchen. 

Den  Äbschreckungsgedanken,  der  das  alte  gemeine  Strafrecht 
beherrscht  hatte,  lehnte  Kleinschrod  ab.  Nach  dieser  Maxime  brauche 
man  nur  jedes  Delikt  „schwer  und  auffallend  zu  bestrafen,  um  desto  mehr 
zu  schrecken.  Es  würde  aller  Unterschied  zwischen  den  Verbrechen 
aufhören  und  wir  kämen  dann  auf  die  einfachste  Gesetzgebung  der  Welt, 
die  des  Drako  nämlich,  der  alle  Verbrechen  mit  dem  Tode  bestrafte".^ 
Aber  darf  der  Äbschreckungszweck  auch  nicht  Größe  und  Gattung  der 
Strafe  bestimmen,  so  kann  doch  die  Art  des  Vollzugs  so  gehandhabt 
werden,  daß  die  Strafe  möglichst  abschreckend  wirkt.  Gestützt  auf  diese 
formale  Unterscheidung,  sucht  der  Entwurf  eine  Anregung  Globigs 
und  Husters  zu  verwirklichen,  die  selbst  konsequente  Anhänger  des 
alten  Abschreckungsprinzips  waren:  die  Publizität  des  Strafvollzugs. 
Nach  Globig  und  Huster  sollte  die  Gefängnisstrafe  gxtramuran  vollzogen 
werden,  die  Gefängnisse  an  öffentlichen  Plätzen  errichtet,  „nur  mit  Gittern 
vermacht,  allen  Vorbeigehenden  zum  Beispiel  sein".^'  Auch  in  den 
strafrechtlichen  Reformbestrebungen  der  französischen  National- 
versammlung wurde  als  Konsequenz  des  Abschreckungsprinzips  die 
Forderung  nach  der  Publizität  des  Vollzugs  der  Freiheitsstrafen  in  den 
verschiedensten  Formen  erhoben.^  Dieser  Gedanke  führte  dazu,  daß 
auch  nach  der,  in  Frankreich  noch  während  der  Revolutionszeit  wieder 
rückgängig  gemachten,  Aufhebung  der  Brandmarkung  die  schweren 
Freiheitsstrafen  infolge  der  entehrenden  öffentlichen  Zurschaustellung 
stigmatisierend  wirken  mußten. 

'  Syst.  Entwicklung  Tl.  II,  S.  130. 

^  Gl  obig  und  Hustcr,  Abhandlung  von  der  Kriminalgesetzgebung. 
Zürich  1783.    S.  60  und  75. 

^  Nach  den  Ausführungen  des  Berichterstatters  Le  Pelletier  de  Saint- 
Fargeau  sollten  die  Strafen  drei  Eigenschalten  haben:  le  premier,  d'etre 
durables;  le  sccond,  d'etre  publiques;  le  troisifeme,  d'etre  toujours  rappro- 
ch^es  du  lieu  oü  le  crime  a  ^clatä.  Der  Code  pönal  von  1791  und  der  von 
1810  behielten  daher  die  Ausstellung  am  Pranger  bei,  die  erst  1848  auf- 
gehoben wurde.  In  dem  Aufhebungsdekret  der  vorläufigen  Regierung  hieß 
es:  „. . .  la  peine  de  l'exposition  publique  dögrade  la  dignitö  humaine,  flötrit 
h  jamais  le  condamnö  et  lui  6te,  par  le  sentiment  de  son  infamie,  la  possi- 
bilitö  de  la  rehabilitation.  —  H.  Remy,  Les  Principes  göndraux  du  codc 
pönal  de  1791.    Paris   1910.    Pag.  47  und  121. 


163 

Bei  Kleinschrod  wird  als  Grundsatz  den  Vorschriften  über  die 
^Anwendung  der  Strafen  überhaupt"  die  Bestimmung  vorangestellt, 
daß  „jede  Strafe  öffentlich  vollzogen  werden"  soll  (§  159).  Vor  dem 
Antritt  der  Zuchthaus-,  Arbeitshaus-  und  öffentlichen  Ärbeitsstrafe  soll 
der  Verurteilte  am  Ort  der  Tat  am  Pranger  ausgestellt  werden  (§  162). 
Bei  der  schwersten  Strafe  sollen  die  Arbeiten  der  Sträflinge  nach 
Kleinschrods  Absicht  „an  öffentlichen  Plätzen  und  im  Angesicht  des 
Publikums"  verrichtet  werden.  Denn  „wann  läßt  sich  wohl  eine 
größere  Abschreckung  gedenken,  als  wo  der  Verbrecher  durch  eine 
ausgezeichnete  Kleidung  entstellt,  mit  Ketten  und  Schande  überhäuft, 
vor  den  Äugen  des  Staates  ein  mühseliges  Leben  führen  und  durch 
Arbeiten  seine  Mitbürger  belehren  muß,  daß  nicht  Ruhe  und  Gemäch- 
lichkeit, sondern  Schande  und  Arbeit  unausbleibliche  Folge  der 
Verbrechen  sei?"^ 

Hier  sind  Gedanken  wirksam,  die  einer  mittelalterlichen  Strafjustiz 
zu  entstammen  scheinen  und  ein  schweres  Hemmnis  für  eine  rationelle 
Entwicklung  des  Strafvollzugs  werden  mußten.  Publizität  des  Straf- 
vollzugs ist  eine  Erscheinung  niederer  Kulturstufen."  Die  bewußt 
erstrebte  infamierende  Wirkung  des  Strafvollzugs  machte  alle  Bemü- 
hungen, erzieherisch  und  aufrichtend  auf  den  Verbrecher  zu  wirken, 
unmöglich;  umsonst  erwartete  Kleinschrod  von  dem  „mühseligen,  mit 
Schande  beladenen  Leben"  eine  bessernde  Wirkung.''  Zudem  mußte 
der  Makel  der  Schande  nach  Verbüßung  der  eigentlichen  Strafe  jede 
Möglichkeit  für  den  Bestraften,  sich  wieder  emporzuarbeiten,  unter- 
binden. Hatte  Gl  ob  ig  wenigstens  auf  die  Pflicht  des  Staates  zu 
materieller  Unterstützung  des  aus  der  Strafe  Entlassenen  hingewiesen, 
„wenn  derselbe  durch  die  erlittene  Ahndung,  durch  die  Dauer  seines 
Arrestes  in  Armut  geraten  und  der  Mittel  seiner  vorigen  Hantierung 
beraubt  wäre",*  so  begnügt  sich  Kleinschrod  mit  dem  Hinweis  auf  den 
Ouistorpschen  Vorschlag,  ins  Gesetz  eine  Straf drohung  gegen  den- 
jenigen aufzunehmen,  der  einem  andern  eine  verbüßte  Strafe  vorhält 
und  dem  Rat  an  den  Entlassenen,   an  einen   andern  Ort  zu  ziehen.' 


*  Über  die  Strafe  der  öffentlichen  Arbeiten,  a.  a.  O.  S.  237. 

^  G.  Jellinek,  Die  sozialethische  Bedeutung  von  Recht,  Unrecht  und 
Strafe  2.  Aufl.    Berlin  1908.    S.  137. 

*  Über  die  Strafe  der  öffentlichen  Arbeiten,  a.  a.  O.  S.  239. 

*  Globig  und  Huster,  Vier  Zugaben  zu  der  gekrönten  Schrift  von 
der  Kriminalgesetzgebung.    Altenburg  1785.    S.  78. 

*  Kleinschrod,  Über  die  Strafe  der  öffentlichen  Arbeiten,  a.a.O. 
S.  259.  —  Quistorp  in  seinem  Ausführlichen  Entwurf  zu  einem  Gesetz- 
buch in  peinlichen  und  Strafsachen,  Rostock  und  Leipzig  1782,  I. Teil,  §55, 
S.65  f.,  verlangt:  „Würde  daher  jemand  einem  andern  die  überstandenc 
Leibes-  oder  eine   andere  Strafe  schimpflicherweisc  vorrücken 

11* 


164 

In  den  Entwurf  ist  jener  Vorschlag  als  besondere  Vorschrift  nicht 
aufgenommen.^  So  erkannte  Feuerbach  die  Konsequenz  aus  dieser 
Strafgattung  des  Entwurfs:  eine  Rehabilitation  war  nach  der  Strafe 
der  öffentlichen  Arbeit  ausgeschlossen.  „Gewiß,  der  Elende,  den  das 
Publikum  in  dem  Zustand  seiner  Erniedrigung  immer  umhergehen  sah, 
bei  welchem  das  Andenken  an  seine  Schandtat  täglich  gleichsam 
wieder  verjüngt  wurde,  —  der  wird  nie  hoffen  können,  von  der 
Gesellschaft  wieder  als  ihr  Mitglied  anerkannt  zu  werden:  von  ihr 
ausgestoßen,  wird  er  in  neuen  Verbrechen  seine  Erhaltung  suchen 
müssen. " "  Feuerbach  hat  aus  dieser  richtigen  Erkenntnis  den  unheil- 
vollen Schluß  gezogen,  die  Irreparabilität  dieser  infamierenden 
Strafe  zum  Prinzip  zu  erheben:  die  Kettenstrafe  des  Strafgesetzbuchs 
von  1813  konnte  nie  anders  als  auf  „lebenslang"  erkannt  werden  (a  8).'^ 
Treten  so  in  Kleinschrods  Entwurf  bei  einzelnen  Strafarten 
besondere  Strafzwecke  in  den  Vordergrund,  so  ist  im  ganzen 
sein  Strafrecht  beherrscht  von  der  Repression  für  schuldhaft 
begangene  Handlungen.  Dieses  repressive  Prinzip  bildet  bei 
zwei  Personengruppen  einen  Gegensatz  zum  Sicherungszweck  des 
Strafrechts  bei  den  vermindert  Zurechnungsfähigen  und  den 
gemeingefährlichen     Gewohnheitsverbrechern.       Kleinschrods 


oder  ihm  deshalb  seinen  sonstigen  Anteil  an  diesen  oder  jenen  Rechten 
ungebührlicherweise  bestreiten,  so  soll  derselbe  nicht  allein  dem 
Befinden  nach  zur  Leistung  einer  gerichtlichen  Abbitte  angehalten, 
sondern  auch  überdies  mit  einer  zum  Besten  der  Armut  des  Orts  zu  ver- 
wendenden Geldbuße  von  10  Talern  oder  in  deren  Ermangelung  mit 
achttägigem  Gefängnis  bei  Wasser  und  Brot  bestrafet  werden."  Ein  noch 
für  die  heutige  Zeit  beachtenswerter  Vorschlag!  —  Vgl.  auch  Globig  und 
Huster,  Vier  Zugaben  zu  der  gekrönten  Schrift...    Ältenburg  1785.    S.  116. 

'  Vgl.  dagegen  die  weitgehende  Fassung  des  §  1324,  unter  dem  das 
Vorhalten  verbüßter  Straftaten  fallen  könnte:  „Wer  die  Handlungen 
seines  Mitmenschen  mit  dem  bösen  Vorsatz  lieblos  beurteilt,  um  den 
Charakter  desselben  verdächtig  zu  machen  und  ihm  alles  Zutrauen  und 
alle  Ächtung  seiner  Mitmenschen  zu  entziehen,  macht  sich  einer  Schmähung 
schuldig,  welche  ebenfalls  zu  den  wörtlichen  Injurien  gehört."  Zugunsten 
der  Angehörigen  des  Verbrechers  enthält  der  Entwurf  die  inhaltsleere 
Bestimmung,  es  sollten  „unsere  Gerichte  die  Familie  des  Verbrechers  in 
besonderen  Schutz  nehmen  (?),  wenn  diese  deswegen  an  ihrem  guten  Namen 
gekränkt  wird,  weil  eines  ihrer  Mitglieder  als  Missetäter  gestraft  wird"  (§  176). 

*  Kritik  des  Kleinschrndschcn  Entwurfs  III,  S.  187  f. 

'  In  Dänemark  erwirkte  im  Jahre  1802  die  Dänische  Kanzlei  die 
Abschaffung  der  Festungsbaustrafe.  In  der  „Vorstellung"  an  den 
König  führte  die  Kanzlei  aus,  durch  die  Öffentlichkeit  des  Vollzugs  werde 
beim  Verbrecher  „jedes  Gefühl  des  Guten,  was  noch  in  seiner  Seele  auf- 
kommen möchte,  unterdrückt ...  Er  verzweifelt  daran,  jemals  wieder  die 
Achtung  der  Menschen,  die  Zeugen  seiner  Schande  waren,  gewinnen  zu 
können".     Blätter  für  Polizei  und  Kultur  II.  Bd.    1802.    S.  819. 


165 

Entwurf  will  hier  die  durch  das  Vergeltungsbedürfnis  geforderte  und 
begrenzte  Strafe  durch  geeignete  polizeiliche  Maßregeln  ergänzen. 
Den  vermindert  Zurechnungsfähigen  kann  „eben  sein  beschränkter 
Verstand,  der  ihn  schon  einmal  zum  Verbrechen  antrieb",  besonders 
gefährlich  erscheinen  lassen/  Bei  ihnen  soll  zwar  „nach  dem  Grade 
der  Dummheit  die  Zurechnung  des  Verbrechens  abnehmen",  aber 
„die  Polizei  darauf  Bedacht  nehmen,  daß  sie  für  die  Zukunft  einer 
genauen  Hufsicht  anvertraut  und  mit  den  Pflichten  des  Menschen 
und  Bürgers  bekanntgemacht  werden"   (§  272 — 274). 

Entsprechend  lauten  die  für  den  Gewohnheitsverbrecher  vorgesehenen 
Bestimmungen:  Wer  „ein  Verbrechen  so  oft  wiederholt,  daß  er  die 
Gewohnheit,  es  zu  begehen,  nicht  mehr  unterdrücken  kann",  ist  nach 
Verbüßung  der  den  einzelnen  Handlungen  entsprechenden  Strafen  „der 
besonderen  Aufsicht  der  Polizei  zu  unterwerfen",  die  seine  Beschäftigung 
bestimmen  und  erforderlichenfalls  eine  besondere  Beaufsichtigung  oder 
eine  zweckmäßige  Freiheitsbeschränkung  anordnen  kann  {§  399 — 402). 
Lassen  diese  Bestimmungen  im  Vergleich  mit  dem  rigorosen  Sicherungs- 
recht im  Kreittmayrschen  Gesetz  eine  Tendenz  wohlwollender  Fürsorg- 
lichkeit erkennen,  so  fehlten  für  eine  humane,  aber  rationelle  Kriminal- 
politik alle  Voraussetzungen  an  Einrichtungen  und  Persönlichkeiten. 
Vom  Standpunkt  des  Gesetzgebers  treten  hier  die  drei  denkbaren 
Lösungsversuche  des  Problems  des  Unverbesserlichen  unmittelbar 
hintereinander  in  die  Erscheinung:  in  seinen  theoretischen  Arbeiten 
ordnete  Kleinschrod  das  geringe  Repressivbedürfnis  dem  Sicherungs- 
zweck unter,-  im  Entwurf  treten  Strafe  und  Sicherungsmaßnahme 
kumulativ  nebeneinander,  und  Feuer b ach  hat  dann  den  Versuch 
gemacht,  allein  mit  einer  von  den  Schlacken  moralischer  Zurechnung 
bereinigten  Strafe  auszukommen. 

Gegenüber  Kreittmayrs  Gesetzbuch  war  Kleinschrods  Entwurf  ein 
erheblicher  P'ortschritt.  Hier  waltete  der  Geist  der  aufgeklärten 
Despotie:  auch  hier  eine  schrankenlose  Staatsgewalt,  aber  gebunden 
durch  ein  Verantwortungsgefühl  für  das  Wohl  und  Wehe  des  einzelnen 
Untertanen.  Ein  unverkennbarer  Einfluß  der  Reformbewegung,  eine 
Milderung  der  Strafdrohungen,  eine  Begrenzung  des  Umfangs  krimi- 
nellen Unrechts,  aber  in  wichtigen  Fragen,  Todesstrafe,  Strafvollzug, 
ein  ängstliches  Schwanken  und  Zurücklenken  zum  Überkommenen. 
So  verband  der  „würdige  Kleinschrod",  wie  ihn  Feuerbach  zu  nennen 
liebte,  freundliche  Empfänglichkeit  für  die  neuen  Ideen  mit  konservativ 
gerichteter  Denkart.    Dagegen  war  die  große  politische  Forderung  der 


'  Syst.  Entwicklung  Tl.  II,  S.  164. 

-  Syst.  Entwicklung  Tl.  II,  S.  167.     Vgl.  oben  S.  149. 


166 

Zeit  nach  der  „Gleichheit  aller  vor  dem  Gesetz"  im  Entwurf  erfüllt 
und  damit  mit  den  alten  Standesprivilegien  gebrochen.  Bei  Kreittmayr 
wurden  gegenüber  Standespersonen  „Leib-  und  Schandstrafen "  in 
Geld-,  Arrest-  u.  dgl.  Strafen  abgeändert  (Tl.  I,  cap.  I,  S.  25).  Noch 
Beccaria  war  schwankend  und  wollte  bei  politischen  Delikten,  welche 
„nur  quasi -maleficia  darstellen,  ...  in  weitgehendem  Maße  den  Stand 
der  Personen  berücksichtigen,  weil  der  Stock,  der  einen  Packträger 
bessern  kann,  einen  Adeligen,  einen  ehrenhaften  Kaufmann  und  jedwede 
Person  bürgerlichen  Standes  erniedrigt  und  vernichtet  und  deren  ganze 
Familie  der  traurigsten  Schande  preisgibt."^  Ähnlich  wie  Gl  ob  ig 
und  Huster-  sieht  Kleinschrod  bei  dem  Verbrecher  aus  gebildeten 
Kreisen  eine  stärkere  Schuld,  aber  zugleich  eine  erhöhte  Empfindsamkeit 
für  Strafe  und  eine  leichtere  Erziehbarkeit,^  sodaß  die  gleiche  Strafe 
Avie  für  den  gemeinen  Mann  der  erhöhten  Zurechenbarkeit  gerecht  wird. 
„Wer  den  Geist  unserer  Zeiten  nur  ein  wenig  studiert,  wird  finden, 
daß  die  Notwendigkeit,  diese  Grundsätze  geltend  zu  machen,  so  groß 
sei,  als  sie  noch  nie  war.  Dieser  wird  es  den  ersten  Grundsätzen 
moderner  Politik  angemessen  erklären,  daß  das  Schwert  der  Gerechtigkeit 
die  festgesetzte  Strafe  an  allen  gleich  vollziehe  und  keine  Ausnahme 
gestatte,  die  dem  ganzen  Strafsystem  so  schädlich  werden  kann,  da 
sie  den  Neid  des  gemeinen  Mannes  gegen  die  höheren  Stände  noch 
vermehret."^  So  kennt  Kleinschrods  Entwurf  keinerlei  privilegierende 
Surrogatstrafe. 

Der  fühlbarste  Fehler  des  Kleinschrodschen  Entwurfs  waren  seine 
formalen  Mängel.  Die  Voraussetzungen  der  strafrechtlichen  Reaktion 
waren  unklar  und  unbestimmt.  Oft  rührte  die  Vieldeutigkeit  und  die 
Unsicherheit  aus  dem  ängstlichen  Bestreben,  in  reicher  Kasuistik  die 
mannigfachen  psychologischen  Variationen  menschlichen  Verhaltens 
erschöpfend  zu  regeln.  Häufig  fehlte  dem  Verfasser  die  Gabe,  alt- 
väterliche Ermahnungen  in  knappe  Befehlsform  zu  verwandeln.^  Aber 
solche  formalen  Unzulänglichkeiten  stellten  den  rechtspolitischen  Wert 
gerade  dieses  Reformwerkes  in  Frage.  Denn  was  die  Zeit  ersehnte, 
war  ein  klares  bestimmtes  Gesetzbuch,  nachdem  durch  Generationen 
hindurch  richterliche  Willkür  gegenüber  veralteten  Sü-afgesetzen  zu  einer 
Anarchie  des  positiven  Rechts  geführt  hatte. 


'  Beccaria-Esselborn  S.  180. 

^  Äbhandl.  von  der  Kriminalgesetzgebung  S.  102  f. 

=*  Syst.  Entwicklung  Tl.  II,  S.  178  l 

*  1794.    Syst.  Entwicklung  1.  Aufl.,  Tl.  II,  S.  156. 

*  Vgl.   Landsberg,   Geschichte  der  Rechtswissenschaft  3.  Abteilung. 
II.  Halbband,  S.  129. 


167 

Kleinschrods  Entwurf  hatte  nach  seines  Verfassers  eigenen  Worten 
„das  Glück  und  Unglück,  von  einer  Menge  berufener  und  unberufener 
Kritiker  beurteilt,  rezensiert,  gelobt  und  getadelt  zu  werden."  Aber 
die  „imponierendste,  mit  großem  Aufwand  von  Witz  und  Bitterkeit 
gewürzte  Kritik  ist  die  des  Herrn  Hofrats  und  Professors  Feuerbach.  .."^ 

Diese  Kritik  Feuerbachs  sollte  für  das  Geschick  der  bayerischen 
Strafgesetzgebung  wie  für  seinen  eigenen  Entwicklungsgang  entscheidend 
werden.  Nach  den  theoretischen  Studien  der  vergangenen  Jahre  ist 
hier  versucht,  die  strafrechtlichen  Lehren  im  einzelnen  den  praktischen 
Hufgaben  der  Gesetzgebung  dienstbar  zu  machen.^'  Aber  nicht  minder 
wie  dort,  steht  auch  hier  hinter  dem  Werk  die  Persönlichkeit.  Die 
„scharfe  und  beißende  Schreibart"  und  die  „unbesiegliche  Gewohnheit", 
die  Gegner  „im  eigentlichen  Sinne  niederzuschlagen",  worüber  sich 
Kleinschrod  beklagte,^  waren  ein  Ausfluß  seiner  kampflustigen  Natur 
und  ein  Zeichen  des  leidenschaftlichen  Eifers,  im  Bewußtsein  des 
Wendepunkts  der  deutschen  Strafgesetzgebung  an  entscheidender  Stelle 
mitzuarbeiten.  „Unter  den  Begebenheiten,  so  beginnt  seine  Kritik, 
welche  das  Menschengeschlecht  in  seinem  Streben  zum  Bessern 
aufhalten,  welche  die  Ketten  des  Vorurteils  enger  zusammenziehen 
und  es  durch  diese  mit  verjüngter  Liebe  an  das  Alte  fesseln,  unter 
diesen  Begebenheiten  stehen,  nicht  im  untersten  Rang,  mißlungene 
Reformationen."  Der  Geist  des  Beharrens  bei  dem  Überkommenen 
zieht  aus  jeder  verunglückten  Neuerung  triumphierende  Nutzanwendung, 
aber  jenes  Älles-beim-Rlten-Lassen,  in  „Tagen  der  Finsternis  eine 
magische  Kraft",  „gleicht  in  den  Zeiten  des  Lichts  dem  Gemurmel 
eines  Truggespenstes,  das  am  hellen  Mittag  spukt."* 

So  wie  Feuerbachs  eigene  Erfolge  nicht  zum  wenigsten  auf  seiner 
bestechenden  Dialektik  und  der  formalen  Überlegenheit  seiner  Argumen- 
tation beruhten,  macht  er  hier  die  formalen  Mängel  des  Entwurfs 
zum  Ausgang  seiner  Kritik.  Können  sie  doch  die  Wirksamkeit  des 
Gesetzes  selbst  in  Frage  stellen.  Ein  Strafgesetz  muß  vollständig  und 
volkstümlich,  klar  und  bestimmt  sein.  Der  Gesetzgeber  soll  eine 
bündige,   knappe   Sprache   reden,   nicht  wie   Kleinschrod  in   lehrhafter 


*  Äbhandl.  aus  dem  peinl.  Recht  und  Prozeß  3.  Tl.,  I.Abt.,  S.  3  und  5. 

*  Kritik  des  Kleinschrodischen  Entwurfs  zu  einem  peinlichen  Gesetz- 
buch für  die  kurpfalzbayerischen  Staaten,  von  P.  Joh.  Anselm  Feuerbach. 
Drei  Teile.  Gießen  1804.  Auch  erschienen  als  Bd.  II,  2  und  3  und  Bd.  III,  1 
der  Bibliothek  für  die  peinliche  Rechtswissenschaft  und  Gesetzeskunde, 
herausgegeben  von  Harscher  v.  Almendingen,  Karl  Grolman  und 
P.  J.  A.  V.  Feuer bach. 

••'  Kleinschrod,  Abhandl.  3.  Tl.,  I.Abt.,  S.  5  f. 

■*  Kritik  des  Kleinschrodischen  Entwurfs  Tl.  I,  Vorrede  pag.  III  und  IV. 


168 

Weise  „in  Schlüssen  deduzieren"  und  „Präzision  und  Deutlichkeit 
einem  mißverstandenen  Streben  nach  Verständlichkeit"  opfern.  Philo- 
sophischer Geist  solle  sich  mehr  in  der  Tiefe  und  Wahrheit  des 
Gedankens  als  indem  „philosophischen  Gewand"  doktrinärer  Ausdrucks- 
weise dokumentieren.^  Um  des  Gedankens  der  Rechtssicherheit  willen 
fordert  Feuerbach  strikte  Präzisierung  der  gesetzlichen  Voraussetzungen 
der  Strafbarkeit.  Darum  sieht  er  in  Kleinschrods  Entwurf  mit  seinen 
umständlich  differenzierten  Tatbeständen  („schwere,  leicht  ausführbare 
Drohungen",  „besonders  gefährliche  Aufrufe",  „bald  vorübergehende" 
Freiheitsentziehung)  und  den  häufigen  Abstufungen  in  „geringe", 
„mittlere"  und  „schwere  Fälle"  eine  „feierliche  Constitutionsakte 
für  das  Reich  einer  unbedingten  richterlichen  Willkür".^ 
Diesen  Mangel  an  Bestimmtheit  der  gesetzlichen  Strafen  empfand 
Feuerbach  besonders  stark  bei  der  Verwendung  der  Todesstrafe  als 
außerordentliches  Sicherungsmittel.  Nicht,  weil  er  diese  Strafe  verdient 
hat,  trifft  den  Mörder  und  Hochverräter  die  Todesstrafe.  Kleinschrod 
hat  die  Todesstrafe  als  einen  „Akt  der  Gerechtigkeit  aufgehoben  und 
als  einen  Akt  der  Willkür  konstituiert .  .  .  Man  hat  sich  bei  so  vielen 
Gelegenheiten  des  Wortes  Justizmord  bedient.  Kann  es  für  diese 
Tötungen  einen  passenderen  Namen  geben?"  ^ 

Bei  der  inhaltlichen  Prüfung  des  Entwurfs  wollte  Feuerbach  fern 
von  allem  Schulensh-eit  als  „Repräsentant  und  Vermittler  aller  Parteien" 
nur  das  Unumstößliche  und  Unbestrittene  der  Beurteilung  zugrunde 
legen. "^  Er  vermißte  bei  Kleinschrod  das  „erste  Erfordernis  einer 
Criminalgesetzgebung",  daß  die  gesetzlichen  Bestimmungen  ein  einheit- 
liches, planmäßiges  leitendes  Prinzip  erkennen  lassen.  Das  fehlt 
Kleinschrods  sorgsamem  Eklektizismus,  der  mit  all  seiner  ausführlichen 
Breite  in  den  einzelnen  Bestimmungen  doch  den  Eindruck  einer  Leere 
und  Gedankenarmut  erweckt  und  ausgesprochene  klare  Stellungnahmen 
vermeidet.  So  ward  Feuerbach,  der  es  niemals  liebte,  eigene  Gedanken 
zugunsten  eines  Eingehens  auf  fremde  Denkweise  zurücktreten  zu 
lassen,  durch  die  Schwächen  des  Entwurfs  selbst  dazu  gedrängt,  in 
der  Kritik  seine  eigenen  Vorschläge  zur  Geltung  zu  bringen.  Diese 
kritische  Arbeit  wurde  mehr  und  mehr  zu  einer  Apologie  der  eigenen 
Anschauungen  Feuerbachs.  Er  hat  sie  selbst  später  neben  der 
„Revision"  als  wichtigste  Quelle  für  die  Motive  zu  seinem  großen 
Werk,  dem  Bayerischen  Strafgesetzbuch  von  1813,  bezeichnet.''    Durch 


'  Kritik,  a.  a.  O.  Tl.  I,  S.  20  f. 

-  Ebendort  Tl.  III,  S.  13. 

'  Ebeiidort  Tl.  II,  S.  165  und  181. 

'  Ebendort  Tl.  I,  S.  39. 

'  Leben  und  Wirken  Bd.  I,  S.  239. 


169 

die  suggestive  Kraft  scharf  pointierter  Kritik  und  die  geistige  Über- 
legenheit gegenüber  Kleinschrods  Unzulänglichkeit  hat  diese  Schrift  in 
hohem  Mafk  dazu  geholfen,  die  Wirkung  der  Feuerbachschen  Ideen 
auszubreiten  und  zu  vertiefen. 

Kleinschrod  nahm  eingehend  zu  den  mannigfachen  kritischen 
Angriffen  gegen  seinen  Entwurf  Stellung,  am  ausführlichsten  gegen- 
über Feuerbach.^  Er  tat  dies  mit  sachlicher  Ruhe  und  ohne  persön- 
liche Ausfälle  gegen  die  Gegner,  die  ihm  gegenüber  oft,  wie  es 
der  Biograph  in  seinem  Nachruf  beklagte,  die  Formen  verletzt  hatten, 
„welche  für  die  freie  Bewegung  der  Geister  in  dem  Gelehrtenstaate 
unumgänglich  erforderlich  sind"."  Aber  seine  Repliken  hatten  wenig 
Erfolg.  Er  vermied  es  ängstlich,  auf  irgendwelche  grundsätzlichen 
Auseinandersetzungen  einzugehen,  sondern  begnügte  sich,  mit  philo- 
logischer Gründlichkeit  Paragraph  für  Paragraph  gegenüber  dem  Gegner 
einzeln  zu  rechtfertigen.  Von  besonderem  Interesse  ist  eine  spätere 
Kritik  Globigs,  der  zwei  Jahrzehnte  zuvor  Kleinschrod  selbst  stark 
beeinflußt  hatte. "^  Aus  Globigs  Schrift  sprechen  eine  gewisse  Müdigkeit 
und  Skepsis  gegenüber  weitergehenden  Reformen  und  zugleich  eine 
starke  Sympathie  für  Kleinschrod.  Eine  „absolute  Vollkommenheit" 
läßt  sich  doch  nicht  erreichen,  darum  wäre  es  „sehr  schade,  jenen 
Enhvurf,  der  durch  seltene  Vollständigkeit  und  zweckmäßige  Kürze  (!) 
sich  vor  andern  Werken  dieser  Art  auszeichnet,  bloß  darum,  weil 
manches  daran  zu  verbessern  ist,  ganz  bei  Seite  zu  legen".* 
Globig  sucht  einem  vermittelnden  Standpunkt  zwischen  den 
moralischen  Zurechnungsprinzipien  Kleinschrods  und  der  „schneidenden 
Imputationslehre  des  Herrn  Feuerbach"  Anerkennung  zu  verschaffen, 
weniger  im  Sinn  einer  neuen  Theorie  als  dadurch,  daß  er  in  einzelnen 
Fällen  die  strafrechtliche  Beurteilung  in  stärkerem  Maße  als  Kleinschrod 
von   objektiven  Momenten   abhängig    macht.     Die  Humanisierung   des 


^  G.  Ä.  Kleinschrod,  Revision  der  Kritiken  über  meinen  Entwurf 
zum  peinlichen  Gesetzbuch  für  die  kurplalzbayerischen  Staaten.  Äbhandl. 
aus  dem  peinl.  Recht  und  dem  peinl.  Prozeß  3.  Tl.,  1.  Äbt.  Erlangen  1805. 
S.  1  ff.  Von  den  zahlreichen  Kritiken  seien  außer  den  im  Text  besprochenen 
erwähnt:  Jos.  Karl  Schmid,  Über  die  Unzulänglichkeit  des  Kieinschrodischen 
Entwurfs.,.,  Ulm  1803,  ein  zu  völliger  Unfruchtbarkeit  verdammter  Versuch, 
die  Strafe  nach  einem  einheitlichen  naturrechtlichen  Urprinzip  unabänderlich 
zu  bestimmen,  und  Salchow,  Beiträge  zur  Kritik  des  Kieinschrodischen 
Entwurfs...,  Jena  1804.  Die  „einzige  umständliche  Beurteilung  des  ganzen 
Entwurfs".    (So:    Kleinschrod,  a.  a.  O.  S.  203.) 

-  Neuer  Nekrolog  der  Deutschen.  Herausgegeben  von  Fr.  Aug,  Schmidt, 
2.  Jahrg.  1824,  2.  Heft.    Ilmenau  1826.    S.  1005. 

^  E.  v.  Globig,  Kritik  des  Entwurfs  eines  peinlichen  Gesetzbuchs  für 
Bayern.    Regensburg  1806, 

'  E.  v.  Globig,  Kritik  des  Entwurfs  usw.,  Vorrede  pag.  IV, 


170 

Strafrechts  dürfe  in  dem  an  die  drakonische  Kreittmayrsche  Strafjustiz 
gewöhnten  Volk  nur  allmählich  erfolgen.  Die  Zulässigkeit  der  Todes- 
strafe allein  als  Notwehrmittel  „militärischer  Gewalt"  erscheint  Globig 
viel  zu  eng.  Er  will  sie  wieder  als  allgemeine  schwerste  Kapitalstrafe 
zugelassen  haben,  wiewohl  er  selbst  „in  seiner  Jugend"  für  Beccarias 
Gedanken  eingenommen  war.^ 

Indessen  vermied  die  Geschichte  hier  den  Weg  des  Kompromisses. 
Globigs  Befürchtung,  „daß  die  Gesetzkommission  zu  München  den  von 
allen  Seiten  kritisierten  Kleinschrodschen  Entwurf  nicht  mehr  zum 
Grunde  legen  wolle,  sondern  an  einem  neuen  Entwurf  arbeiten  lasse,"* 
traf  zu.  Mit  der  Ausarbeitung  dieses  neuen  Entwurfs  hatte  die 
bayerische  Regierung  Feuerbach  selbst  beauftragt.  Rn  diese  Tatsache 
knüpft  die  letzte  der  durch  die  Diskussion  über  Kleinschrods 
Entwurf  angeregten  Schriften  an.  Der  Wetzlarer  Kriminalist  Tobias 
Werner  will  nicht  „als  Schutzredner  der  Kleinschrodschen Verirrungen", 
sondern,  weil  nun  die  Feuerbachschen  Lehren  ihren  Einzug  in  die 
Gesetzgebung  halten  werden,  zu  der  Kritik  Feuerbachs  in  einzelnen 
praktischen  Fragen  vornehmlich  des  Besonderen  Teils  „metakritisch" 
Stellung  nehmen.'* 

Noch  ein  anderes  Mal  schien  Kleinschrod  zum  Schöpfer  eines 
deutschen  Landesstrafgesetzbuchs  berufen.  Er  erhielt  den  Huftrag,  das 
österreichische  Strafgesetzbuch  von  1803  für  das  junge  Großherzogtum 
Würzburg  zu  bearbeiten.^  Er  legte  einen  Entwurf  vor  —  da  machten 
die  schnell  wechselnden  politischen  Verhältnisse  mit  der  Herrschaft 
Napoleons  der  Selbständigkeit  Würzburgs  ein  Ende.  Das  Großherzogtum 
wurde  dem  Königreich  Bayern  einverleibt,  just  zu  der  Zeit,  als  das 
neue  Strafgesetzbuch  von  1813  in  allen  bayerischen  Landesteilen 
eingeführt  wurde.  So  mußte  Kleinschrod,  nicht  ohne  persönliche  Tragik 
einer  verborgenen  geschichtlichen  Konsequenz  folgend,  zum  zweiten 
Male  Feuerbach  weichen. 


'  Ä.  a.  O.  S.  54  und  56.  .Auf  dieser  „Jugendanschauung"  fußte  Klein- 
schrods Beschränkung  der  Todesstrafe.    Vgl.  oben  S.  160. 

'-'  Ä.  a.  O.  Vorrede,  pag.  III  f. 

^  Jak.  Tob.  Werner,  Metakritik  über  Feuerbachs  Kritik  des  Klein- 
schrodischen  Entwurfs.    Frankfurt  und  Leipzig  1808. 

*  Teichmann,  in  Allgemeine  deutsche  Biographie  Bd.  16,  S.  110. 


171 


Fünftes  Kapitel 

Das  Bayerische  Strafgesetzbuch  von  1813. 

Die  Entstehung  des  Bayerischen  Strafgesetzbuchs  fällt  in  bewegte 
Zeiten.  Oft  mögen  politische  Nöte  und  Verwicklungen  den  Erfolg 
jener  Jahre  in  Frage  gestellt  haben,  in  denen  Feuerbach  seine  besten 
Kräfte  der  Arbeit  an  der  Reform  des  bayerischen  Strafrechts  widmete, 
bis  das  Befreiungsjahr  1813  auch  diesem  Werk  den  Abschluß  brachte/ 
Damit  vollendete  sich  eine  Periode  im  Schaffen  Feuerbachs,  die  von 
den  Kämpfen  des  jugendlichen  Sturmes  und  Dranges  hinüberleitet 
in  die  Zeit  gereifter  Festigung  und  bereits  ein  beginnendes  Erstarren 
in  dogmatischer  Verengung  erkennen  läßt.  Die  Kritik  des  Klein- 
schrodschen  Entwurfs,  noch  in  der  Kieler  Zeit  geschrieben,  erschien 
1804,  nachdem  Feuerbach  unter  glänzenden  Bedingungen  an  die 
Landshuter  Universität  berufen  war  und  brachte  ihm  noch  im  gleichen 
Jahr  den  Auftrag  der  Regierung,  unter  Benutzung  aller  eingegangenen 
gutachtlichen  und  kritischen  Arbeiten  und  der  Erfahrungen  anderer 
Staaten  selbst  einen  neuen  Entwurf  auszuarbeiten.  Im  Hochgefühl 
jugendlichen  Schaffens  machte  sich  der  29  jährige  an  die  Arbeit. 
„Eine  sehr  mühselige  und  z.  T.  sehr  gefahrvolle  Ehre,  es  läßt  sich 
dabei  viel  Ruhm  erwerben,  aber  auch  viel  Ruhm  verlieren",  schreibt 
er  im  Weihnachtsbrief  1804  dem  Vater."  Herbst  1806  hoffte  er,  den 
ersten  Teil  seines  Codex  der  Regierung  zu  übergeben.  Da  störten 
die  unruhigen  politischen  Verhältnisse  die  stille  Muße  des  Ärbeitens. 
Das  Landshuter  Universitätsleben,  das  ihm  ursprünglich  in  solch 
verlockendem  Lichte  erschienen  war,  dünkte  ihm  mehr  und  mehr 
unbefriedigend.'^  Er  fühlte  sich  in  seiner  Lehrtätigkeit  durch  die  Ein- 
führung amtlicher  Studienpläne   beengt,   er  mußte  Neid  und  Mißgunst 


'  Vgl.  zu  diesem  Abschnitt:  Edm.  Baumgarten,  Das  Bayerische 
Strafgesetzbuch  von  1813  und  Änselm  v.  Feuerbach,  Gerichtssaal  81,  S.  98  ff. 

'  Leben  und  Wirken  Bd.  I,  S.  101. 

'  Interessant  sind  die  Eindrücke  Savignys  von  dem  Geist  der  Lands- 
huter Universität  der  Jahre  1808—1810  („Deutschheit  wird  nicht  genannt 
und  nicht  gefühlt"!)  in  seinen  Briefen  an  den  Pfarrer  und  Konsistorialrat 
Bang,  den  Sohn  seines  Marburger  Lehrers  und  Pfarrers  in  Goßfeldcn, 
bei  Enneccerus,  Fr.  C.  v.  Savigny  u.  die  Richtung  der  neueren  Rechts- 
wissenschaft.   Marburg  1879.    S.  57  ff. 


172 

spüren  und  sah  sich  durch  das  Verhalten  seines  Fakultätskollegen, 
des  Prozessualisten  v.  Gönner  geradezu  provoziert.  Im  Herbst  1805 
kam  es  zum  offenen  Konflikt,  und  Feuerbach  verließ  fluchtartig 
Landshut.  Doch  gelang  es  Friedrich  v.  Zentner,  dem  späteren 
Justizminister,  einem  Rheinländer,  den  Graf  Montgelas  über  die 
Rücksichten  auf  Alter  und  Tradition  hinweg  als  Mitarbeiter  zu  den 
innerpolitischen  Reformarbeiten  berufen  hatte,  Feuerbach  weiterhin  für 
Bayern  zu  erhalten.  Feuerbach  wurde  am  16.  Dezember  1805  nach 
München  berufen  und  im  nächsten  Jahr  zum  Ordentlichen  Geheimen 
Referendar  des  neu  konstituierten  Ministerial-Justizdepartements  ernannt. 

So  traten  an  Stelle  der  Stille  der  Studierstube  ein  großes  Amt  und 
ein  Schaffen  ins  Weite.  Gern  ward  der  Professor  zum  Ministerialrat. 
Noch  im  Weihnachtsbrief  von  1804  hatte  er  sich  dankbar  der  Lands- 
huter  „Ruhe  und  literarischen  Muße,  wie  sie  mir  noch  nie  zu  Teil 
geworden  ist",  gefreut,  die  ihn  fast  allein  den  Wissenschaften  leben 
läßt.^  Im  April  1805,  als  er  mehrmals  zu  Besprechungen  im  Justiz- 
departement nach  München  gerufen  wurde,  „von  den  ersten  Männern 
...geachtet,  geliebt  und  ausgezeichnet",  von  Montgelas  selbst  „mit 
Aufmerksamkeit  behandelt",  erscheinen  ihm  der  bunte  Strom  des  Lebens 
und  die  „glänzende  Knechtschaft  des  Weltmanns"  in  blendendem  Licht. 
Noch  will  er  bei  der  Ruhe  akademischer  Unabhängigkeit  bleiben  und, 
dem  Vater  die  Salomonische  Warnung :  „Alles  ist  eitel"  vorwegnehmend, 
sich  nur  freuen  an  solchem  Schaffen  und  Änerkanntwerden,  „solange 
das  Herz  sich  noch  freuen  kann".^  Nach  der  Enttäuschung  in  Landshut 
greift  er  mit  Freuden  zu.  Er  glaubt  der  Gefahr  entronnen  zu  sein, 
„an  Leib  und  Seele  ein  dürrer  juristischer  Pedant  zu  v/erden",  als 
trockner  Gelehrter  kleinste  Bruchstücke  am  Mosaik  der  Wissenschaft 
zusammentragend.  Jetzt  tritt  er  aus  „der  Schule  in  die  Welt,  auf  ein 
Feld  des  Kampfes  und  der  Ehre,  jetzt  sind  für  das  Leben  neue  Kräfte 
zu  üben,  neue  Bahnen  zu  brechen,  neue  Aussichten  zu  öffnen",  so 
ruft  er  begeistert  dem  fürsorglichen  Freund  Jacobi,  dem  späteren 
Präsidenten  der  bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften,  zu.^  Ähnlich 
schreibt  er  dem  Vater:  „Bei  dem  Umgange  mit  lauter  schweinsledernen 
Bänden  assimiliert  sich  nach  und  nach  Seele  und  Leib  der  schweins- 
ledernen Natur."  Wie  anders  jetzt:  unmittelbar  im  Leben  stehend,  mit 
menschlichen  Sorgen  und  Hoffnungen  vertraut,  „gepflegt  und  gehegt 
von  der  Liebe  der  ersten  Männer  an  Geist  und  Herz  .  . .  fange  ich  an, 
unter  den  Menschen  für  sie  wieder  aufzuleben".    Und  das  Beglückende 


'  Leben  und  Wirken  Bd.  II,  S.  100  ff. 

^  Brief  an  den  Vater.     Leben  und  Wirken  Bd.  II,  S.  104. 

'  Leben  und  Wirken  Bd.  II,  S.  124. 


17S 

des  Wirkens  im  großen  /^mt:  „Meine  Arbeiten  gehen  unmittelbar  auf 
das  Wohl  von  Millionen!"^ 

In  dieser  Stellung  hatte  Feuerbach  in  der  Gnadeninstanz  und  in 
denjenigen  Kriminalsachen,  in  denen  es  sich  um  Bestätigung  von 
Todesurteilen  oder  die  Entscheidung  in  Kompetenzstreitigkeiten  handelte, 
den  Vortrag  vor  dem  König.  Hier  enthüllte  sich  seinem  Blick  das 
Schicksal  mancher  „merkwürdiger  Verbrecher",  denen  er  später  in 
seiner  „Rktenmäßigen  Darstellung",  jener  reifen  Frucht  kriminal- 
psychologischer Studien,  ein  bleibendes  Denkmal  setzte.  Seine  Haupt- 
aufgabe aber  war  die  „Legislation  in  Civil-  und  Criminalsachen".  Als 
erste  Tat  konnte  er  im  Februar  1806  dem  König  eine  Verordnung  über 
die  Aufhebung  der  Folter  vorlegen,  welche  dieser  nach  einem  ein- 
gehenden Vortrag  Feuerbachs  am  7.  Juli  unterzeichnete,  angeblich  mit 
den  Worten:  „Möge  es  Feuerbach  verantworten,  wenn  nun  die  Ver- 
brecher der  Strafe  entgehen!"-  „Aus  weiser  Vorsicht",  sagt  Feuerbach 
selbst,  wurde  diese  Verordnung  nicht  veröffentlicht,  sondern  nur  den 
Gerichten  zur  Nachachtung  mitgeteilt.'" 

Mit  allen  Kräften  arbeitete  Feuerbach  jetzt  an  seinem  Entwurf 
zum  Strafgesetzbuch.  Im  Dezember  1807  war  bereits  ein  erster,  das 
materielle  Strafrecht  umfassender  Teil  soweit  fertiggestellt,  daß  er  zur 
Grundlage  von  Kommissionsberatungen  im  Justizministerium  dienen 
konnte.  Als  Ergebnis  dieser  Beratungen  erschien  1810  der  Entwurf 
des  Gesetzbuchs  über  Verbrechen  und  Vergehen  für  das 
Königreich  Bayern.^  Dieser  Entwurf  wurde  in  einer  weiteren,  aus 
den  vereinigten  Sektionen  der  Justiz  und  des  Innern  gebildeten  Geheimen 
Ratskommission  durchberaten.  Den  Vorsitz  führte  der  Minister  Graf 
V.  Reigersberg.  Unter  den  acht  anderen  Mitgliedern  befand  sich 
neben  Feuerbach  der  Oberappellationsgerichtspräsident  Graf  Ärco, 
der  Freiherr  von  Aretin  und  späterhin  Feuerbachs  ehemaliger 
Fakultätskollege  und  Hauptgegner  aus  Landshut,  v.  Gönner,  der 
im  Dezember  1812  als  Äppellationsgerichtsdirektor  nach  München 
kam.  Die  Sitzungen  dauerten  vom  10.  September  1810  bis  Ende 
Dezember  1812.  Am  7.  Januar  1813  wurde  der  Entwurf  in  der  aus 
diesen  2.  Kommissionsberatungen  hervorgegangenen  Form  im  Plenum 
des  Geheimen  Rats    dem   König  vorgetragen,    am   16.  Mai   publiziert. 


'  Leben  und  Wirken  Bd.  II,  S.  126. 

*  Ä.  Geyer,  Kleinere  Schriften.    München  1889.    S.  564,  ohne  weitere 
Quellenangabe. 

'  Vgl.:    Die  Aufhebung  der  Folter  in  Bayern,  in:  Themis  oder  Beiträge 
zur  Gesetzgebung  von  P.  J.  Ä.  Feuerbach.    Landshut  1812. 

*  Kritische  Bemerkungen  zu  diesem  Entwurf   bei  Tafinger,   Über  die 
Idee  einer  Kriminalgesetzgebung.    Tübingen  1811.    S.  277  ff. 


174 

Am  1.  Oktober  1813  trat  das  Strafgesetzbuch  für  das  Königreich 
Bayern   in  Kraft/ 

Seit  diesem  Tage  war  zum  ersten  Male  ein  neuzeitliches  Landes- 
strafgesetzbuch in  Deutschland  in  Geltung.  Eine  selbständige  Schöpfung, 
ein  Werk,  das  am  Anfang  einer  neuen  Epoche  steht,  geboren  aus  einer  Zeit 
tiefgreifender  Umwälzungen  und  kultureller  Wandlungen  und  gerade  darum 
in  seinem  Wert  und  in  seiner  Bedeutung  für  die  weitere  Entwicklung  nur  zu 
verstehen  aus  den  besonderen  Umständen,  unter  denen  es  entstanden  ist. 
Was  zunächst  die  äußere  Weiterentwicklung  des  in  diesem  Gesetzbuch 
kodifizierten  Strafrechts  anlangt,  so  sind  der  allgemeine  Einfluß  auf 
die  Strafrechtsentwicklung  in  Deutschland  und  der  spezielle  Gang  der 
Rechtsentwicklung  in  Bayern  zu  trennen.  Hier  stand  zunächst  eine 
gesetzliche  Beschränkung  wissenschaftlicher  Kritik  und  literarischer 
Bearbeitungen  einer  organischen  Fortentwicklung  des  neuen  Rechts 
hindernd  im  Wege.  Die  Regierung  veranlaßte  eine  amtliche  Ausgabe 
der  Motive  in  Form  von  Anmerkungen  zum  Gesetzbuch,^  welche  den 
Anspruch  erhoben,  durch  ihre  absolute  Vollständigkeit  im  Zusammen- 
hang mit  der  vom  Gesetz  erstrebten  begrifflichen  Präzision  alle 
Kommentare  überflüssig  zu  machen.  Aus  dem  Gedanken  heraus,  man 
könne  nur  auf  diese  Weise  die  Gefahr  einer  Rechtsungleichheit  bannen, 
wurde  die  Veröffentlichung  privater  Kommentare  ausdrücklich  verboten 
und  Wissenschaft  und  Praxis  angewiesen,  sich  allein  an  den  Gesetzes- 
text und  die  amtlichen  Anmerkungen  zu  halten.  Mit  der  Abfassung 
dieses  offiziellen  Werkes  betraute  der  König  den  Protokollführer  in  den 
Sitzungen  der  Geheimen  Ratskommission  E.  v.  Kobell  und  Feuerbachs 
alten  Gegner  v.  Gönner. 

Hierin  lag  nicht  nur  eine  persönliche  Kränkung  Feuerbachs, 
sondern  auch  eine  sachlich  bedenkliche  Lösung.  Hatte  Feuerbach 
dafür  gekämpft,  richterliche  Willkür  durch  bestimmt  gefaßte  gesetzliche 
Bestimmungen  auszuschließen,  so  wollte  er  doch  keine  völlige  Isolierung 
der  Rechtspflege  von  wissenschaftlicher  Jurisprudenz.  Freilich  lag  diese 
Gefahr  für  die  Anhänger  der  Aufklärungszeit  nahe.  Hatte  der  alte 
Polizeistaat  die  Regelung  aller  nur  denkbaren  Rechtsfälle  der  staatlichen 
Gesetzgebung  vorbehalten  wollen,  so  suchte  die  Aufklärung  um  des 
Schutzes  des  Bürgers  willen  die  ungeschriebene  Weiterbildung  des 
Rechts  möglichst  auszuschalten.    Nach  der  Doktrin  der  Gewaltenteilung 


'  Zur  Entstehungsgeschichte  des  Gesetzes  ist  außer  den  Angaben  in 
Feuerbachs  Leben  und  Wirken  zu  vergleichen:  Anmerkungen  zum 
Strafgesetzbuch  für  das  Königreich  Bayern  Bd.  I,  München  1813,  Einleitung 
S.12ff.  und  Jos.v.Mussinan,  Bayerns  Gesetzgebung,  München  1835,  S.96ff. 

'^  Anmerkungen  zum  Strafgesetzbuch  für  das  Königreich  Bayern.  Nach 
den  Protokollen  des  königl.  Geheimen  Rats,  3  Bände.    München  1813—1814. 


175 

wollten  Montesquieu  und  Beccaria  den  Richter  auf  die  formale 
Aufgabe  logischer  Subsumtion  beschränken.  Feuerbach  wandte  sich 
in  der  Kritik  des  Kleinschrodschen  Entwurfs  dagegen,  um  dieses 
Prinzips  willen  jede  wissenschaftliche  Bearbeitung  positiver  Gesetze 
verbieten  zu  wollen:  „Gewiß,  Beccaria  hätte  gelacht,  wenn  er  sich  so 
verstanden  gefunden  hätte  .  .  ."^  Ist  das  Gesetz  auch  „kein  Werk 
der  Wissenschaft,  so  ist  es  doch  für  die  Wissenschaft:  wie  es  selbst 
von  Wissenschaft  ausgegangen  ist,  so  soll  auch  von  ihm  künftig  eine 
Wissenschaft  ausgehen"."  Und  in  den  Landshuter  Fakultätskämpfen 
konnte  er  nicht  Worte  der  Entrüstung  genug  finden  gegenüber  einer 
vom  amtlichen  Lehrplan  begünstigten  Methode  mechanischen  Einpaukens 
von  Gesetzesbestimmungen  und  offiziell  abgestempelten  Lehrmeinungen. 
Damit  würde  „die  Universität,  soweit  sie  auch  Rechtsgelehrte  bilden 
soll,  zu  einem  Hör-  und  Schreibinstitut  organisiert,  wo  einer  für  Bezahlung 
Worte  sagt,  die  von  anderen  mit  den  Ohren  aufgefangen,  mit  der 
Feder  aufs  Papier  gebracht  und  dann  schwarz  auf  weiß  in  dem  Pult 
zur  Ruhe  getragen  werden".  Das  kann  nur  dazu  führen,  daß  „der 
zwecklose  Finger-  und  Ohrenfleiß  den  Geist  der  Jünglinge  tötete  und 
das  Chaos  eines  verworrenen  Vielerlei  oberflächliche  Seichtigkeit,  mit 
dieser  den  leeren  Dünkel  der  Vielwisserei  hervorbrachte".^  Gleichwohl 
hat  Feuerbach,  als  sein  eigenes  Werk  Gesetz  geworden  war,  von  jeder, 
auch  einer  amtlichen  Kommentierung  des  Gesetzes  abgeraten.  Er 
glaubte,  vor  einer  „Enthüllung  der  inneren  Absichten  der  Strafgesetz- 
gebung" warnen  zu  müssen,  denn  „ein  Volk,  welches  von  dem 
Gesetzgeber  selbst  aufgefordert  ist,  über  seine  Gesetze  zu  raisonnieren, 
wird  nicht  immer  diesen  Gesetzen  gut  gehorchen".* 

Man  wird  hier  weniger  einen  Gesinnungswechsel  als  vielmehr  die 
Rücksicht  auf  taktische  Erwägungen  anzunehmen  haben.  Lag  es  ihm 
doch  vor  allem  daran,  zu  verhindern,  daß  ein  mit  alleiniger  Autorität 
offiziell  veröffentlichtes  Werk  aus  fremder  Hand,  unbeeinflußt  von  dem 
geistigen  Urheber  des  Gesetzes,  unter  Mitwirkung  seines  alten  Gegners 
Gönner  entstanden,  die  Praxis  des  bayerischen  Strafrechts  beherrschen 
sollte.  Sein  Protest  hieb  umsonst.  Man  kann  das  im  Gedanken  an 
Feuerbach  bedauern,  wird  aber  zugeben  müssen,  daß  diese  Anmerkungen 
den  Bestimmungen  des  Feuerbachschen  Gesetzbuchs  in  der  Hauptsache 
gerecht  zu  werden  sich  bemühen.  An  manchen  Stellen  sind  durch 
sie    die    Schroffheiten    des    Feuerbachschen    Abschreckungsstrafrechts 


*  Kritik  des  Kleinschrodischen  Entwurfs  2.  Teil,  S.  21,  Änm. 
^  Ebendort  1.  Teil,  S.  30. 

^  Brief  an  Jacobi,  1805.     Leben  und  Wirken  Bd.  I,  S.  112  f. 

*  Ebendort  S.  238. 


176 

erfolgreich  gemildert,  —  so  namentlich  durch  die  von  den  Anmerkungen 
in  das  Gesetz  hineininterpretierte  Anerkennung  der  verminderten 
Zurechnungsfähigkeit.  ^ 

Die  Unterbindung  freier  wissenschaftlicher  Auslegung  des  Gesetzes 
mag  die  Tatsache  erklären,  daß  der  literarische  Niederschlag  dieser 
Gesetzgebung,  wie  es  schon  Feuerbachs  getreuem  Helfer  Mittermaier 
auffiel,^  gering  blieb.  Nur  vereinzelt  wurde  das  neue  Gesetz  zur 
systematischen  Grundlage  allgemeiner  strafrechtlicher  Untersuchungen 
gemacht,  wobei  hinzukam,  daß  die  Literatur  dem  gemeinen  Recht 
zu  dienen  sich  bestrebte,  Feuerbachs  Werk  aber  zwar  nicht  der 
Bedeutung,  aber  der  Geltung  nach  ein  partikulares  Gesetz  blieb. 
Der  dänische  Richter  Oersted  legte  das  Gesetz  seiner  Untersuchung 
über  die  „Grundregeln  der  Strafgesetzgebung"  zugrunde.^  Bei  aller 
Kritik  im  einzelnen  und  obwohl  Oersted  Feuerbachs  Eliminierung 
ethischer  Grundsätze  aus  dem  Strafrecht  ablehnte,  sah  er  in  jenem 
Gesetz  „die  reifste  Frucht  der  Einsicht  und  Kunst  unserer  Zeit  im 
Criminalgesetzgebungsfach"*  und  bekannte  sich  zu  diesem  Urteil  auch 
noch  in  späteren  Schriften.^  Auch  der  Jenenser  Kriminalist  Martin 
legte  auf  enge  Beziehungen  seiner  Darstellung  des  gemeinen  Kriminal- 
rechts zu  dem  neuen  Gesetz  großen  Wert.  Sein  Lehrbuch  sollte  zugleich 
die  eigene  Stellungnahme  gegenüber  dem  Feuerbachschen  Lehrbuch, 
das  für  ihn  einst  Ausgangspunkt  seiner  eigenen  wissenschaftlichen 
Tätigkeit  war,  klarstellen.''  Später  widmete  Äbegg  dem  Feuerbachschen 
Gesetzbuch  eine  kurze  Darstellung.'  Von  der  Wirkung  des  Gesetzes 
in  der  praktischen  Strafrechtspflege  berichten  nur  allmählich  vereinzelte 
Aufsätze  über  spezielle  Fragen,  unter  denen  Untersuchungen  über  die 
automatische    Erhöhung    der    Rückfallstrafen    nach    dem    Bayerischen 


*  Hierüber  unten  S.  190. 

*  Neues  Archiv  VI,  S.  174.  —  Über  das  Verhältnis  zwischen  Mitter- 
maier und  Feuerbach  siehe  neuerdings  v.  Lilienthal  und  Wolfgang 
Mittermaier,  K.  J.  Ä.  Mittermaier  als  Gelehrter  und  Persönlichkeit. 
Z,  Str.  W.  Bd.  43,  S.  157—181  und  die  dort  angegebene  Literatur, 

^  R.  S.  Oersted,  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  Moral  und 
Gesetzgebungsphilosophie  1.  Bd.    Kopenhagen  1818. 

*  R.  a.  O.  Vorrede  pag.  XV. 

"  Ausführliche  Prüfung  des  neuen  Entwurfs  zu  einem  Strafgesetzbuch 
für  das  Königreich  Bayern.    Kopenhagen  1823.    S.  1. 

*  Martin,  Lehrbuch  des  Teutschen  gemeinen  Kriminalrechts  mit 
besonderer  Rücksicht  auf  das  neue  Strafgesetzbuch  für  das  Königreich 
Bayern.    Heidelberg  1825.    Vgl.  Vorrede  pag.  VIII. 

'  Äbegg,  Die  verschiedenen  Strafrechtstheorien  in  ihrem  Verhältnis 
zueinander  und  zu  dem  positiven  Recht  und  dessen  Geschichte.  Neustadt 
a.  d.  O.  1835.    S.  165  ff. 


177 

Strafgesetzbuch  von  1813  besonders  hervortreten.^  Einen  ausführlicheren 
Eindruck  von  dem  damaligen  bayerischen  Strafrecht  vermittelt  die 
schnell  anschwellende  literarische  Diskussion  über  die  späteren  gesetz- 
geberischen Reformprojekte. ^'  Auch  hat  Mittermaier  zu  vielen  Fragen 
des  damals  geltenden  bayerischen  Strafrechts  Stellung  genommen."^ 
Die  wichtigste  Quelle  dafür,  wie  die  bayerische  Praxis  das  Feuerbach- 
sche  Gesetz  aufnahm  und  weiterverarbeitete,  bildeten  die  Aufsätze 
des  Münchener  Oberappella tionsgerichtsrats  Arnold  im  Archiv  des 
Kriminalrechts,  Neue  Folge,  Jahrgang  1843  und  1844.*  Arnold  war 
unter  Feuerbach  Assessor  am  Änsbacher  Rppellationsgericht  gewesen. 
Er  besaß  aus  vielen  Gerichtssitzungen  und  Privatgesprächen  eine 
persönliche  Kenntnis  von  Feuerbachs  eigenen  Anschauungen  und  wußte 
seine  tiefe  Hochachtung  für  seine  Persönlichkeit  mit  einer  ruhigen  und 
kritischen  Stellung  gegenüber  seinem  Gesetzbuch  zu  verbinden. 

Größer    als    das    literarische    Echo    war   —   im    Augenblick    des 
Erscheinens    des    Gesetzes    jedenfalls    —    seine    Einwirkung    auf    die 


'  V.  Schellhass,  Von  der  Wiederholung  der  Verbrechen  nach  erlittener 
Strafe.  Neues  Arch.  d.  Kriminalrechts  II. Bd.  1818.  S.578ff.  —  v.d.  Pfordtcn, 
Die  Lehre  vom  Rückfall.  Zu  Rheins  Zeitschrift  für  Theorie  und  Praxis  des 
bayerischen  Zivil-,  Kriminal-  u.  öffentlichen  Rechts  II.  Bd.  1835.  S.  151  ff.  — 
K.  v.  Menz,  Über  Rückfall  und  dessen  Bestrafung  nach  dem  königl.  Bayer. 
Strafgesetzbuch  von  1813.  Archiv  des  Kriminalrechts.  Neue  Folge,  Jahrgang 
1848.    S.  420  ff. 

*  Schriften  zur  späteren  bayer.  Strafrechtsreform:  Welsch,  Revision 
der  Gesetzgebung  und  Rechtspflege  in  Bayern  1.  Heft.  München  1819.  — 
Oersted,  Ausführliche  Prüfung  des  neuen  Entwurfs  zu  einem  Strafgesetz- 
buch für  das  Königreich  Bayern.  Kopenhagen  1823.  —  Vergleichende  Kritik 
des  Entwurfs  des  Strafgesetzbuchs  für  Bayern  mit  dem  Bayerischen  Straf- 
gesetzbuch von  1813,  besonders  zum  Gebrauch  der  Landstände.    Nürnberg 

1823.  —  Kammerer,  Prüfung  des  Entwurfs  zum  neuen  Strafgesetzbuch 
in  Hinsicht  der  Verbrechen,  Vergehen  und  Übertretungen  durch  Angriff 
auf  Ehre.  Nürnberg  1823.  —  Mittermaier,  Der  neue  Entwurf  des  Straf- 
gesetzbuchs f.  d.  Königreich  Bayern.    Neues  Archiv  des  Kriminalrechts  VI. 

1824.  S.  173  ff.  und  351  ff.  —  v.  Wendt,  Grundriß  zu  vergleichender  Dar- 
stellung des  Kriminalrechts.  Nürnberg  1825.  —  v.  Menz,  Einige  Winke 
und  Beiträge  aus  dem  Gebiete  der  Erfahrung  im  Fache  der  Gesetzgebung. 
Zu  Rheins  Beiträge  zur  Gesetzgebung  und  praktischen  Jurisprudenz  I.  Bd. 
München  1827.  S.  77  ff.  —  Windwart  zu  Amberg,  Blick  auf  den 
gegenwärtigen  Zustand  der  Gesetzgebung  Bayerns.  Zu  Rheins  Zeitschrift 
für  Theorie  u.  Praxis  d.  bayer.  Zivil-,  Kriminal-  u.  öffentlichen  Rechts  I.  Bd. 
München  1835.    S.  1  ff. 

*  Vgl.  die  Zusammenstellung  von  Mittermaiers  kritischen  Arbeiten 
zum  Bayerischen  Strafgesetzbuch  von  1813:  Neues  Archiv  des  Kriminal- 
rechts VL  Bd.,  S.  175,  Anm.  8. 

*  Arnold,  Erfahrungen  aus  dem  Bayerischen  Strafgesetzbuch  vom 
Jahre  1813  und  Betrachtungen  hierüber.  Archiv  des  Kriminalrcchts,  Neue 
Folge  1843,  S.  96  iL,  240  ff.,  377  ff.,  512  ff.;    1844,  S.  190  ff. 

12 


178 

Gesetzgebungsarbeiten  anderer  Länder/  Oldenburg  führte  das 
Bayerische  Strafgesetzbuch  mit  nur  wenigen  Änderungen  ein  und  in 
Weimar  und  Württemberg  übte  es  starken  Einfluß  auf  neue  Ent- 
würfe aus.  In  Schweden  bildete  die  Übersetzung  des  Feuerbachschen 
Gesetzes  durch  den  Staatsrat  Ozenius  den  Ausgangspunkt  neuer 
Reformpläne.  In  der  Schweiz  wies  Escher  auf  das  bayerische 
Vorbild  für  das  neue  Züricher  Strafgesetzbuch  hin,  nachdem  es  bereits 
seinen  Einfluß  auf  die  Gesetzgebungsarbeiten  von  St.  Gallen  und  Basel 
ausgeübt  hatte."  War  auch  der  unmittelbare  Einfluß  trotz  solcher 
Anfänge  angesichts  der  schnellen  Wandlungen  in  allen  Gebieten 
geistigen  und  politischen  Lebens  der  Zeit  zwischen  den  Freiheitskriegen, 
Vormärz  und  dem  48  er  Jahr  nicht  von  langer  Dauer,  so  hat  das 
Feuerbachsche  Gesetzbuch  durch  seine  formale  Eigenart,  seine  innere 
Struktur  und  legislative  Technik  die  gesamte  Entwicklung  der  deutschen 
Strafgesetzgebung  entscheidend  bestimmt.^  Weit  über  Deutschlands 
Grenzen  hinaus  schloß  sich  noch  1886  das  Argentinische  Straf- 
gesetz dem  Feuerbachschen  Werke  teilweise  wörtlich  an.* 

In  Bayern  selbst  waren  die  gesetzgeberischen  Arbeiten  auf  dem 
Gebiete  des  materiellen  Strafrechts  mit  dem  Erlaß  des  Gesetzes 
keineswegs  zum  Abschluß  gelangt.  Schon  unmittelbar  nach  diesem 
Zeitpunkt  setzte  eine  fruchtbare  Novellengesetzgebung  ein,  die  mit  der 
Diebstahlsnovelle  vom  25.  März  1816  auch  für  grundsätzliche  Bestim- 
mungen einschneidende  Veränderungen  brachte.^    Nicht  in  allen  Fällen 


*  Ausführliche  Nachweise  bei  Günther,  Wiedcrvcrgeltung  Bd.  III, 
S.  134,  Änm.  303. 

-  Mittermaier  im  Neuen  Archiv  des  Kriminalrechts  Bd.  VI,  S.  173  f. 
und  351,  Note. 

'  Die  Motive  zum  ersten  Entwurf  des  Kriminalgesetzbuchs 
für  die  Preußischen  Staaten,  Gesetzrevision  I.  Pensum,  I.  Bd.,  als 
Manuskript  gedruckt,  Berlin  1827,  Vorrede  pag.  IV  f.,  rühmen  die  Vorzüge 
des  Feuerbachschen  Strafgesetzbuchs,  mit  dem  eine  neue  Periode  für  die 
Kriminalgesetzgebung  begonnen  habe.  Allgemein  anerkannt  seien  „seine 
streng  systematische  Ordnung,  die  Schärfe  der  darin  aufgestellten  Begriffe, 
das  Streben,  Bestimmtheit  der  Strafen  ohne  Beeinträchtigung  des  richter- 
lichen Ermessens  zu  erreichen,  die  stetig  fortschreitende  Stufenfolge  der 
angedrohten  Strafübel  usw.".  ~  Es  ist  daher  kaum  anzunehmen,  daß  der 
Einfluß  des  Feuerbachschen  Strafgesetzbuchs  nur  ein  negativer  gewesen  ist 
und,  wie  Bin  ding  meint,  infolge  der  von  Feuerbach  verschuldeten 
„Verderbnis  des  gemeinrechtlichen  Dolus -Begriffes"  die  Landesstrafgesetz- 
gebung  „auf  25  Jahre...  ins  Stocken  geriet".  —  Binding,  Die  Schuld  im 
deutschen  Strafrecht,  1919,  S.  32.     Norm.cn  Bd.  III,  S.  257. 

*  Löffler,  Schuldformen  des  Straf  rechts  I,  S.  242,  Änm.  4. 

^  (Lithographierte)  Sammlung  der  wichtigsten  königlichen  Reskripte 
in  Beziehung  auf  das  Strafgesetzbuch  für  das  Königreich  Bayern  von  1813 
I.  Bd.  (bis  1816).     Dazu  (gedrucktes)  Alphabetisches  Sachregister  über  alle 


179 

Unzulänglichkeiten  des  Gesetzes,  sondern  die  Weiterentwicklung  der 
kulturellen  und  politischen  Verhältnisse,  die,  nach  Oersteds  Wort, 
„unmäßige  Reformiersucht ""^  der  Regierung  und  die  durch  die  Unter- 
bindung freier  Auslegung  und  wissenschaftlicher  Interpretation  des 
Gesetzes  verstärkten  Schwierigkeiten,  das  geltende  Recht  in  seiner 
Anwendung  organisch  fortzuentwickeln,  haben  diese  Unbeständigkeit 
der  damaligen  Gesetzgebung  verschuldet.  Dazu  kam  als  besonders 
ungünstiges  Moment:  Kurz  nach  dem  Inkrafttreten  des  Gesetzes  schied 
sein  Schöpfer  aus  dem  Ministerium  aus.  Rls  Äppellationsgerichtspräsident 
in  Bamberg,  dann  in  Ansbach,  blieb  Feuerbach  ohne  Einfluß  auf  den 
Fortgang  der  Gesetzgebungsarbeiten,  während  sein  alter  Widersacher 
V.  Gönner  berufen  wurde,  um  an  der  legislativen  Fortentwicklung  des 
Feuerbachschen  Strafgesetzbuchs  mitzuarbeiten.  So  erklärt  es  sich,  daß 
das  mit  solch  gründlicher  Sorgfalt  ausgearbeitete  Gesetz  in  vielen  Bestim- 
mungen alsbald  veraltet  schien.  Über  hundert  Novellen  sollen  in  den 
ersten  vier  Jahren  erlassen  worden  sein,  und  Savigny  fand  in  diesem 
wenig  glücklichen  Zustand  einer  „so  plötzlichen  Rechtsabwechslung" 
ein  willkommenes  Argument  für  seine  These,  daß  seine  Zeit  „keinen 
Beruf  zur  Abfassung  eines  Gesetzbuchs"   habe." 

Bereits  1819,  im  Zusammenhang  mit  der  Bayerischen  Verfassung 
von  1818,  beschloß  die  Regierung  die  Abfassung  eines  neuen  Straf- 
gesetzbuchs.^ Im  Jahre  1822  wurde  ein  Entwurf  veröffentlicht,  dessen 
Verfasser  v.  Gönner  war.  Der  Entwurf  brachte  erhebliche  Milderungen 
des  Gesetzes.  Er  erscheint  nicht  wie  ein  neues  Gesetz,  sondern  läßt 
als  Grundlage  Feuerbachs  Werk  unverkennbar  bestehen.  Die  Regierung 
neigte  vorübergehend  dazu,  Feuerbach  selbst  mit  einer  Revision  seines 
Gesetzes  zu  betrauen.  Im  August  1824  wurde  er  aufgefordert,  einen 
neuen  Entwurf  auszuarbeiten.  Doch  scheint  es  mehr  die  persönliche 
Initiative  v.  Zentners  gewesen  zu  sein,  die  auch  diesmal  Feuerbachs 


Verordnungen  und  Reskripte  in  Strafsachen.  —  (Lithographierte)  Reskripten- 
Sammlung  über  das  königl.  Bayerische  Strafgesetzbuch  Bd.  II.  1817/18.  — 
Sammlung  der  Erläuterungen  und  Reskripte  über  das  Strafgesetzbuch  für 
das  Königreich  Bayern  2.  Aufl.  Nördlingcn  1825.  —  E.  Rottmann,  Das 
bayerische   Strafrecht  in  seiner  gegenwärtigen   Gestaltung.    Erlangen  1849. 

'  Oersted,  Abhandlungen  a.  a.  O.,  Vorwort  pag.  XV. 

•^  Zeitschrift  für  geschichtliche  Rechtswissenschaft  Bd.  III.    1817.   S.15f. 

^  Vgl.  zu  dem  Folgenden:  Mussina n.  Bayerns  Gesetzgebung, 
München  1835.  —  Windwart  zu  Ämberg,  Blick  auf  den  gegenwärtigen 
Zustand  der  Gesetzgebung  Bayerns.  In:  Zu  Rheins  Zeitschrift  für  Theorie 
und  Praxis  des  bayerischen  Zivil-,  Kriminal-  und  öffentlichen  Rechts  I.  Bd. 
München  1835.  S.  1  ff.  —  Wächter,  Beilagen  zu  den  Vorlesungen  über 
deutsches  Strafrecht,  Einleitung  und  Allg.  Teil.  Leipzig  1881.  S.  151  If.  — 
V.  Liszt,  Lehrbuch  23.  Aufl.    1921.    S.  60. 

12* 


180 

Mitarbeit  zurückzugewinnen  suchte.  Feuerbach  ging  zunächst  mit  allem 
Eifer  an  die  Arbeit.  Als  ihm  aber  Zentner  den  Rat  gab,  sich  bei 
Ansprüchen  auf  Vergütung  für  diese  Arbeit  nicht  auf  einen  offiziellen 
Auftrag  zu  berufen,  sah  der  stets  empfindliche  Mann  hierin  eine 
erneute  Zurücksetzung  und  lehnte  seitdem  jede  weitere  Mitwirkung  an 
den  Reformarbeiten  schroff  ab.  Alle  Manuskripte  und  Entwürfe,  so 
schrieb  er  dem  Ministerialrat  v.  Spies,  der  sich  erneut  dafür  einsetzen 
wollte,  daß  Feuerbachs  Einfluß  auf  die  Gesetzgebung  erhalten  blieb, 
habe  er  verbrannt  und  zerstreut.  Indessen  fand  sich,  wie  sein  Sohn, 
der  Philosoph  Ludwig  Feuerbach,  berichtet,^  bei  seinem  Tode  ein 
ausgearbeiteter  Entwurf  vor,  dessen  Inhalt  Mittermaier  später  ver- 
öffentlicht hat.''' 

Auch  V.  Gönners  Entwurf  wurde  nicht  Gesetz,  ebensowenig 
wie  eine  Revision  dieses  Entwurfs  aus  dem  Jahre  1827,  den  Gönners 
Mitarbeiter  Schmidtlein  bearbeitet  hatte.  1831  und  1832  beschäftigte 
sich  die  Ständeversammlung  wiederum  mit  der  Neuschaffung  eines 
Strafgesetzbuchs.  Diesmal  hatte  Stürz  er  den  Entwurf  hergestellt. 
Auch  in  diesem  Entwurf  waren  noch  „die  ursprünglichen  Typen  der 
V.  Fcuerbachschen  Arbeit  allenthalben  erkennbar".^  Aber  auch  diesmal 
kam  man  nicht  zum  Ziel. 

So  kam  das  Jahr  1848,  und  die  neue  Zeit  empfand  das  Bedürfnis 
nach  einer  Reform  des  nunmehr  veralteten  und  unzeitgemäßen  Gesetzes 
besonders  lebhaft.  Zunächst  beseitigten  neue  Novellen  die  schlimmsten 
Härten  des  Feuerbachschen  Abschreckungsstrafrechts,  aber  zugleich 
nahm  man  auch  die  Arbeiten  für  ein  neues  Gesetzbuch  auf.  Doch 
kam  das  neue  Strafgesetzbuch  für  Bayern  erst  1861  zustande,  dem 
somit  nur  ein  Dezennium  an  Lebensdauer  beschieden  war. 

Das  Werk  Anselm  von  Feuerbachs  bedeutet  einen  Wendepunkt 
in  der  Entwicklung  des  deutschen  Strafrechts.  Von  den  beiden  grund- 
legenden Prinzipien  der  Strafrechtspflege,  dem  Sicherungszweck  und 
dem  Rechtsgedanken,  dem  Schutz  der  staatlichen  Gemeinschaft  vor 
dem  Verbrecher  und  der  Garantie  der  Rechtssicherheit  des  Bürgers  gegen- 
über der  staatlichen  Strafgewalt,  hat  das  Bayerische  Strafgesetzbuch  das 
zweite  zur  Herrschaft  gebracht.  Ein  wirkliches  Strafrecht  will  dies 
Gesetzbuch  schaffen,  nicht  lediglich  eine  Summe  von  Verboten  für  den 
Untertan  und  Instruktionen  für  den  Richter  bringen.  Es  begründet  nicht 
nur  den  Anspruch  des  Staates  auf  Bestrafung  des  schuldigen  Rechts- 
brechers, sondern  gewährt  auch  dem  Verbrecher  ein   Recht  darauf^ 


'  Lb.n  und  Wirken  Bd.  II,  S.  251. 

*  Archiv  des  Kriminal- echts.     Neue  Folge  1847.    S.  587  ff. 

^  Windwart    zu   Amberg,   a.  a.  O,  S.  5. 


181 

nur  wegen  solcher  Handlungen  und  nur  mit  solchen  Strafen  verfolgt 
zu  werden,  wie  sie  das  Gesetz  bestimmt.  Ein  Abweichen  vom  Gesetz 
darf  daher  ebensowenig  zulässig  sein  wie  eine  Änderung  des  Gesetzes 
zu  Ungunsten  des  Beschuldigten,  nachdem  die  Tat  begangen  ist.  Dieser 
Grundsatz,  welcher  die  Abgrenzung  der  freien  Sphäre  gegenüber  der 
Willkür  und  Allgewalt  des  Staates  gewährleistet,  entstammt  jener  langen 
Entwicklung,  in  der  sich  der  Gedanke  bestimmter  unverlierbarer  Rechte 
des  Einzelnen  gegenüber  der  allmächtigen  Staatsgewalt  durchsetzte.  In 
den  Artikeln  der  Magna  Charta  (a39)  der  englischen  Königsgewalt 
abgerungen,  kehrt  er  wieder  in  den  Bills  of  rights  der  amerikanischen 
einzelstaatlichen  Verfassungen,  um,  von  Lafayette  übermittelt,  in 
Zusammenhang  mit  den  Gedanken  Montesquieus  aus  den  Verhand- 
lungen der  französischen  Nationalversammlung  herauszuklingen,  bis  er 
im  a  8  der  Erklärung  der  Menschen-  und  Bürgerrechte  von  1789 
seinen  Ausdruck  fand.^  Bei  Feuerbach  vereinigte  sich  dieses  staats- 
rechtliche Axiom  mit  dem  Gedanken  seiner  Strafrechtsdoktrin,  daß  der 
Verbrecher  durch  seine  Tat  die  Drohung  des  Strafgesetzes  verletzt 
habe,  seine  Bestrafung  deshalb  die  vorherige  Ankündigung  der 
gesetzlichen  Strafdrohung  voraussetze."  Zugleich  prägte  Feuerbach 
die  Formulierung  jenes  Satzes  in  die  traditionell  gewordenen  Worte: 
Nulla   po^ena   sine   lege.^ 

Mit  einem  ausdrücklichen  Bekenntnis  zu  diesem  Grundsatz  beginnt 
der  Eingangsartikel  des  Bayerischen  Strafgesetzbuchs.  „Wer  eine 
unerlaubte  Handlung  oder  Unterlassung  verschuldet,  für  welche  ein 
Gesetz  ein  gewisses  Übel  gedrohet  hat,  ist  diesem  gesetzlichen  Übel 
als  seiner  Strafe  unterworfen"  (a  1).*  Der  rechtlichen  Begrenzung  der 
staatlichen  Strafgewalt  zu  dienen,  vermochte  nur  ein  Gesetz,  das  wie 
dieses  durch  klare  Fassung  der  gesetzlichen  Tatbestände  in  knappem 


'  G.  Jellinek,  Die  Erklärung  der  Menschen-  und  Bürgerrechte. 
3.  Aufl.  1919.  —  Ä.  Schottlaender,  Die  geschichtliche  Entwicklung  des 
Satzes  Nulla  poena  sine  lege.  Breslau  1911.  Strafrechtl.  Abhdlg.  132.  —  Gegen- 
über Redslob,  Die  Staatstheorien  der  französischen  Nationalversammlung 
von  1789,  Leipzig  1921,  S.  92  ff.,  der  den  inneren  Zusammenhang  zwischen 
den  amerikanischen  Bills  of  rights  und  der  Erklärung  der  Menschen-  und 
Bürgerrechte  bestreitet,  weist  Walter  Jellinek  nach,  daß  das  Verbot 
rückwirkender  Strafgesetze  in  beiden  Strömungen  in  gleicher  Weise  als 
eine  Beschränkung  der  gesetzgebenden  Gewalt  erscheint.  (Vorwort  zur 
3.  Äull.  der  angeführten  Schrift  von  Georg  Jellinek,  pag.  IX.) 

-'  Binding,  Handbuch  des  Strafrechts  I.  Bd.  Leipzig  1885.  S.  17  ff.  — 
Vgl.  die  Darstellung  oben  Kap.  1,  S.  23. 

^  Lehrbuch   1.  Aufl.    1801.    S.  20,  §  24. 

^  a  2  des  Promulgationspatents  zum  Bayer.  Strafgesetzbuch  bestimmt, 
daß  bei  Verschiedenheit  des  Gesetzes  zur  Zeit  der  Begehung  und  Aburtei- 
lung die  Tat  nach  dem  milderen  Gesetz  zu  beurteilen  ist. 


182 

Befehlston  verbotenes  und  erlaubtes  Tun  allgemein  erkennbar  abgrenzte 
und  damit  wirklich  ersichilich  machte,  welche  Handlungen  mit  Strafe 
bedroht  sein  sollten.  Solche  formalen  Vorzüge  bestimmten  den 
rechtspolitischen  Wert  dieses  Gesetzgebungswerkes.  Denn,  nach 
einem  Wort  Montesquieus :  Les  formalites  de  la  justice  sont  necessaires 
ä  la  liberte.^ 

„Die  Bestimmtheit  der  gesetzlichen  Voraussetzungen  ist 
die  Grundbedingung  jeder  Gesetzgebung,  weil  sie  die  Grundbedingung 
aller  Gewißheit  ist.  Was  ist  aber  widersprechender,  als  eine  Gesetz- 
gebung ohne  Gewißheit?"^  Diese  Worte  Feuerbachs  bildeten  den 
Leitstern  für  die  formale  Bearbeitung  seines  Gesetzes.  Klarheit  und  Be- 
stimmtheit seiner  Bestimmungen  erscheinen  als  erstes  als  Vorzüge  dieses 
Werkes.  Durch  ein  Doppeltes  wird  dieser  Vorzug  erstrebt:  durch  eng 
umrissene  Verbrechensbegriffe   uiid  durch   feste  Strafrahmen. 

Für  ein  System  klarer  Verbrechensbegriffe  leistete  Feuerbach  durch 
sein  Lehrbuch  die  Vorarbeiten.  Während  zu  den  allgemeinen  Lehren 
wenig  Neues  gesagt  ist,  liegt  die  große  Bedeutung  dieses  Werkes, 
das  in  immer  erneuten  Auflagen  fast  ein  halbes  Jahrhundert  hindurch 
Generationen  junger  Kriminalisten  in  ihr  Studium  einführte,  in  der 
Herausarbeitung  der  einzelnen  Tatbestände.''  Mit  sicherem  Gefühl  ist 
Zusammengehöriges  vereint,  Allgemeinbedeutendes  zu  Oberbegriffen 
erhoben  und  überall  mit  glücklichem  Erfolg  eine  straffe,  eindeutige 
Formulierung  erstrebt.  Indem  Feuerbach  dieses  System  begrifflich 
scharf  geprägter  Tatbestände  in  das  Gesetz  einarbeitete,  konnte  er 
damit  zugleich  eine  sichere  Abgrenzung  der  Voraussetzungen  straf- 
rechtlicher Reaktion  gewährleisten.  Ein  Gedanke,  der  in  dem  Satz 
des  französischen  Staatsmannes  Bigot  -  Preameneu  zum  Ausdruck 
gekommen  war:  Les  definitions  sont  de  veritables  dispositions  et 
meme  les  dispositions  fundamentales  de  la  loi.* 

Für  die  Erkenntnis  der  Bedeutung  dieses  Satzes  hat  Feuerbachs 
Gesetzbuch  erzieherisch  gewirkt.  Gönners  Entwurf  von  1822  zeigte 
eine    Scheu    vor    „Definitionen,    welche    mehr    der    Doktrin    als    der 


*  Esprit  des  lois.    Livrc  29,  cap.  I,  Ed.  stdröotype.    Tome  IV,  pag.  23L 

*  Kritik  des  Kleinschrodischen  Entwurfs  3.  Teil,  S.  11. 

''  Die  1.  Auflage  von  Feuerbachs  „Lehrbuch  des  gemeinen,  in  Deutsch- 
land geltenden  Peinlichen  Rechts"  erschien  1801  in  Gießen  bei  Georg 
Friedrich  Heyer.  Den  wichtigsten  Einschnitt  stellt  die  9.  Auflage  von  1826 
dar.  Die  11.  Auflage,  1832,  ist  die  „Ausgabe  letzter  Hand".  Nach  Feuer- 
bachs Tode  besorgte  Mittermaier  noch  dreimal,  1836,  1840  und  1847,  mit 
eigenen  Zusätzen  versehene  Neuausgaben.  Weitere  bibliographische  Notizen 
bei  Landsberg,  Geschichte  der  deutschen  Rechtswissenschaft  3.  Abt, 
IL  Halbbd.,  Noten  S.  62  f.,  Note  26  zu  Kap.  14. 

^  Feuerbach,  Leben  und  Wirken  Bd.  I,  S.  216. 


183 

Gesetzgebung  angehören"/  So  strich  er  die  gesetzliche  Dolus- 
Definition,  —  aber  die  Kritik  machte  ihre  Bedenken  geltend  mit 
dem  Hinweis  auJ  Feuerbachs  Gesetz,  in  dem  „ein  gesetzlicher 
Anhalt  über  den  Begriff  des  Vorsatzes  gegeben  und  hiermit  die 
schwankenden  Lehren  der  Rechtslehrer  hierüber  entfernt  wurden".^ 
Wieweit  soll  nun  der  Richter  an  diese  scharf  geprägten  gesetz- 
lichen Bestimmungen  gebunden  sein?  In  seinen  Jugendschriften  hatte 
sich  Feuerbach  im  Kampf  gegen  die  in  schrankenlose  richterliche 
Willkür  ausartende  Anarchie  der  alten  peinlichen  Gesetze  für  einen 
strengen  Positivismus  eingesetzt.  Jetzt  gilt  es,  als  Gesetzgeber  die 
rechte  Mitte  einzuhalten.  Das  Gesetz  darf  keine  richterliche  Willkür 
begünstigen  oder  möglich  machen,  muß  aber  dem  vernünftigen  richter- 
lichen Ermessen  innerhalb  bestimmter  Grenzen  die  gehörige  Freiheit 
lassen.'  Bewußt  vermeidet  er  es,  dem  Vorbild  der  Strafgesetzgebung 
der  französischen  Revolution  zu  folgen,  wo  man  im  Code  penal  von 
1791  aus  Mißtrauen  gegen  die  schrankenlose  Strafgewalt  des  ancien 
regime  und  unter  dem  Eindruck  der  Gefahren,  deren  sich  die  junge 
Freiheit  zu  wehren  hatte,  mit  „antiker  Strenge"  die  Verbrechen  mit 
absolut  bestimmten  Strafen,  welche  jeglichen  Einfluß  richterlichen 
Ermessens  ausschlössen,  bedrohte.^  Das  Bayerische  Strafgesetz  huldigt 
grundsätzlich  dem  System  der  relativ -bestimmten  Strafen,  nach  dem 
dem  Richter  die  Wahl  der  Strafe  zwischen  einem  gesetzlich  festgelegten 
Maximum  und  Minimum  zusteht.  Aber  in  der  Durchführung  dieses 
Prinzips  sind  dem  Richter  enge  Grenzen  gesetzt.  In  vielen  Fällen 
sind  Todesstrafe  oder  lebenslängliche  Freiheitsstrafe  als  einzige  Strafe 
angedroht,  und  wo  dem  Richter  ein  gewisser  Spielraum  gelassen  ist, 
bleibt  in  der  Regel  nur  eine  Strafart  angedroht  und  dem  Richter 
lediglich  eine  Differenz  in  der  zeitlichen  Dauer  von  regelmäßig  vier 
Jahren,  innerhalb  deren  er  die  Strafe  abstufen  darf.  In  der  Kritik  zum 
Klcinschrodischen  Entwurf  war  noch  ein  Spatium  von  sechs  Jahren 
befjrwortet.^     Zugleich   mußte  dies  Bestreben  nach  enger  Begrenzung 


'  Entwurf  des  Strafgesetzbuchs.    München  1822.    Einleitung  S.  7. 

*  Vergleichende  Kritik  des  Entwurfs  mit  dem  Strafgesetzbuch.  Nürn- 
berg 1823.  S.  30.  Übrigens  hat  auch  Feuerbach  in  seinem  nachgelassenen 
Neuentwurf  die  Dolus -Definition  gestrichen.  Lehrbuch,  14.  Aufl.,  §  54, 
Note  III  des  Herausgebers  Mittermaier  (S.  101). 

'  Leben  und  Wirken  Bd.  I,  S.  215. 

*  Leben  und  Wirken  Bd.  I,  S.  215.  —  v.  Bar,  Geschichte  des  Straf- 
rechls  und  der  Strafrechtstheorien.  Berlin  1882.  S.  167.  —  H.  Remy,  Les 
principes  g^n^raux  du  Code  pönal  de  1791.  Paris  1910.  5.32  11.  Der  Code 
pönal  von  1810  führte  dann  das  Prinzip  des  gesetzlichen  Slrafmaximums 
und  -minimums  ein. 

'  Kritik  des  Kleinschrodischen  Entwurfs  3.  Teil,  S.  125. 


184 

der  Strafrahmen  zu  einer  reichen  Kasuistik  des  Gesetzes  führen,  indem 
Modifikationen  bestimmter  Delikte  zu  Spezialtatbeständen  erhoben  wurden. 
War  das  freie  Ermessen  des  Richters  beschränkt,  so  blieb  der  Gnade 
des  Königs  ein  gewisser  Spielraum.  So  bestimmt  a  96,  daß,  „wenn 
wegen  Menge  und  Wichtigkeit  zusammentreffender  mildernder  Umstände 
die  gesetzliche  Strafe  in  zu  ungleichem  Verhältnis  mit  der  eigentüm- 
lichen Strafbarkeit  des  besonderen  Falles  zu  stehen  scheint",  der  Richter 
zwar  nicht  selbst  zu  einer  Modifikation  der  gesetzlichen  Strafe  befugt  ist, 
wohl  aber  von  Amts  wegen  einen  Begnadigungsantrag  einreichen  soll. 
In  dieser  Frage  waren  die  Meinungen  der  Äufklärungsmänner  geteilt. 
Während  Beccaria  im  Strafrecht  der  Zukunft  das  Begnadigungsrecht 
ausgeschlossen  haben  wollte,  trat  Montesquieu  für  eine  Beschränkung 
richterlicher  Freiheit  und  ein  „mit  Klugheit"  angewendetes  Begnadigungs- 
recht des  Staatsoberhauptes  ein.^  Bei  ihm  folgte  aus  dem  Prinzip 
der  Teilung  der  Gewalten  derselbe  Gedanke,  der  bei  den  heutigen 
„Klassikern"  in  der  Anschauung  wiederkehrt,  ein  unbestimmtes  Straf- 
urteil des  Richters  sei  eine  unerträgliche  Gefährdung  der  Rechtssicherheit, 
eine  vorläufige  Entlassung  aus  der  Strafhaft  als  Gnadeninstitut  aber 
unbedenklich.-  Feuerbach  glaubte,  durch  die  engen  Voraussetzungen 
des  a  96  die  Begnadigung  auf  wenige  Ausnahmefälle  beschränkt  zu 
haben,  in  denen  ein  Abweichen  von  dem  Gesetz  als  ein  „kleineres 
Übel,  das  den  Übergang  zur  besseren  Gesetzgebung  bereitet",^  erschien. 
Das  Feuerbachsche  Strafgesetzbuch  hat  schon  für  seine  Zeit  die 
richterliche  Freiheit  in  allzu  enge  Fesseln  geschlagen.  Alsbald  machte 
sich  das  Bedürfnis  nach  Erweiterung  des  Spielraums  richterlichen 
Ermessens  fühlbar.  Bei  dem  Projekt  einer  Einführung  des  Bayerischen 
Strafgesetzbuchs  in  Weimar  warnte  man  vor  dem  Fehler,  die  Richter- 
gewalt zu  ängstlich  zu  beschränken.*  In  Bayern  selbst  brachte  de 
Diebstahlsnovelle  vom  25.  März  1816,  a  Vll,  die  Anerkennung  des 
Gedankens,  daß  bei  qualifizierten  Diebstählen  der  Richter  die  gesetzliche 
Strafe  „bei  besonders  mildernden  Umständen"  auf  die  Hälfte  herab- 
setzen darf.  Eine  Regelung,  die  auf  den  Einfluß  des  Code  pcnal 
von  1810  zurückgeht,  der  in  a  463  die  Gerichte  ermächtigte,  allgemein 


^  Beccaria-Esselborn,  S.  122.  —  Montesquieu,  Esprit  des  lois. 
Livre  VI,  cap.  16,  Edition  st^r^otype  An  XII  (1803),  Tome  I,  pag.  212.  — 
Vgl.  Günther,  in  Gross'  Archiv  28,  S.  169  f. 

-  Birkmeyer,  Z.  Str.  W.  16,  S.  116;  Goltdammers  Archiv  48,  S.  74; 
Gerichtssaal  67,  S.  414.  —  Wach,  Reform  der  Freiheitsstrafe.  Leipzig  1820. 
S.  39f.  —  Schoetensack,  Unbestimmte  Verurteilung.  (Krit.  Beitr.  VI.) 
Leipzig  1909.    S.  32  und  53  f. 

'  Lehrbuch  7.  Aufl.  1820.  §  63,  Änm.  1,  S.  66.  —  Vgl.  auch  Revision 
Bd.  I,  Einleit.  pag.  XXVII;  Anmerkungen  z.  Strafgesetzbuch  Bd.  I,  S.  236  f. 

*  Neues  Archiv  des  Kriminalrechts  II,  S.  56. 


185 

bei  Gefängnis  und  Geldstrafe,  si  les  circonstances  paraissent  attenuantes, 
unter  den  gesetzlichen  Strafrahmen  herunterzugehen,  falls  der  an- 
gerichtete Schaden  nicht  mehr  als  25  fr.  betrug.^  Feuerbach,  der 
sich  später  bei  praktischen  Erfahrungen  in  der  Strafrechtspflege  dem 
Eindruck  einer  zu  weitgehenden  Härte  seines  Gesetzes  nicht  verschließen 
konnte  —  er  hat  es  selbst  nach  Arnolds  Bericht  unbefangen  zu- 
gegeben^ —  nahm  in  seinen  unveröffentlichten  Neuentwurf  eine 
Bestimmung  auf,  nach  der,  noch  über  den  Code  penal  hinausgehend, 
in  allen  Fällen  der  Richter  zur  Milderung  der  gesetzlichen  Strafe 
berechtigt  sein  soll,  „wenn  im  ungewöhnlichen  Falle  so  viele  und 
so  starke  mildernde  Gründe  zusammentreffen,  daß  die  gesetzliche  Strafe 
mit  der  Schuld  des  Täters  außer  Verhältnis  erscheint".^  Gönners 
Entwurf  von  1822  kannte  solch  allgemeine  Bestimmung  nicht,  suchte 
aber  bei  den  einzelnen  Delikten  durch  Differenzierung  der  Straf- 
drohung auch  in  der  Wahl  der  Strafgattung  dem  Richter  größere 
Freiheit  zu  gewähren.  So  drängte  die  Entwicklung  über  die  engen 
Schranken  im  Feuerbachschen  Strafgesetzbuch  hinaus.  Doch  fanden 
sich  auch  ängstliche  Stimmen,  welche  in  diesem  Fortschritt  ein 
„Zurückfallen  in  die  Willkür  der  älteren  Criminal- Gesetzgebung" 
befürchteten.*  Aus  solcher  Furcht  vor  richterlicher  Willkür  hat  der 
Entwurf  von  1831  wiederum  dem  a  96  des  Strafgesetzbuchs  von  1813 
entsprechend  beim  Zusammentreffen  einer  größeren  Zahl  von  Milderungs- 
gründen den  Richter  lediglich  auf  die  Gnade  des  Königs  verwiesen. 
Erst  der  Referent  in  der  Kammer  trat  dafür  ein,  die  Milderung  einer 
vom  Recht  selbst  als  unverhältnismäßig  hart  erkannten  Strafe  als 
eine  Angelegenheit  der  Rechtspflege  dem  Ermessen  des  Richters  zu 
überlassen.^ 

Die  gesetzgeberische  Ausgestaltung  der  Zurechnungslehre 
stellt  sich  als  Niederschlag  der  Theorien  dar,  die  in  Feuerbachs 
„Revision"  entwickelt  sind.  Eine  fruchtbare  Ausgestaltung  jener  Lehren, 
eine  Bereicherung  durch  die  Anregungen  der  neuen  Aufgabe  und  der  aus 
ihr  sich  ergebenden  veränderten  Gesichtspunkte,  hat  diese  Arbeit  ihm 
nicht  gebracht.  Allenthalben  finden  wir  in  den  grundlegenden  Bestim- 
mungen des  Gesetzes  einen  getreuen  Niederschlag  von  Gedanken  aus 

'  Vgl.  Ortolan,  El($incnts  du  Droit  pdnal,  V.  ed.  par  A.  Desjardins, 
1886,  Tome  I,  pag.  505,  und  P.  Cuche,  Trait^  de  Science  et  de  Legislation 
P^nitentiaires,  Paris  1905,  pag.  17.  Durch  Novellen  von  1832  und  1863 
wurde  a  463  auf  die  schwere  Kriminalität  entsprechend  ausgedehnt. 

■''  Neues  Archiv.    1843.    S.  97. 

'  Mittermaier  im  Neuen  Archiv,  1847,  S.  588. 

*  Vergleichende  Kritik  des  Entwurfs  und  des  Bayerischen  Strafgesetz- 
buchs.   Nürnberg  1823.    S.  6. 

'"  Mussinan,   Bayerns  Gesetzgebung,  S.  331  f. 


186 

der  „Revision"  und  dem  Lehrbuch.  Aber  während  dort  die  Geschlossen- 
heit eines  philosophisch  fundierten  gedanklichen  Systems  über  eine  im 
einzelnen  oft  unzureichende  Begründung  hinwegtäuscht,  wird  hier  seine 
Unzulänglichkeit  den  Anforderungen  einer  modernen  Entwicklung  der 
Strafrechtspflege  gegenüber  in  vielen  Punkten  offenbar.  Die  Einseitigkeit 
des  Genera Ipräventions-Gedankens  bewirkte  es,  daß  Feuerbach 
sich  mehr  und  mehr  verschloß  gegenüber  der  Frage,  wie  denn  eigentlich 
seine  Strafen  auf  den  Verbrecher  selbst  wirkten.  Seine  Strafrechtstheorie 
vom  psychologischen  Zwang  ließ  ihn  die  Bedeutung  dieser  Frage  gegen- 
über dem  Gedanken  der  abschreckenden  Wirkung  der  Strafdrohung 
immer  wieder  zurückdrängen. 

Bei  der  für  jene  Zeit  charakteristischen  Vorliebe  für  theoretische 
Doktrinen  empfand  man  mit  besonderem  Stolz  als  Eigentümlichkeit 
dieses  Gesetzes,  daß  es  aus  rein  theoretischen  Prinzipien  bearbeitet 
war  und  sich  in  seinen  grundsätzlichen  Bestimmungen  aus  einer 
einheitlichen  Gedankenwelt  heraus  ableiten  ließ.^  Wenn  auch  das 
Gesetz  die  Worte  „dem  Übertreter  zur  Abschreckung",  die  der  Entwurf 
Feuerbachs  der  Definition  der  Strafe  hinzugefügt  hatte  (a  b  Entwurf 
und  a  1  Strafgesetzbuch),  wegläßt  und  die  Anmerkungen  jede  aus- 
drückliche Beziehung  zu  einer  bestimmten  Strafrechtstheorie  ablehnen, 
„damit  sich  der  Gesetzgeber  nicht  in  doktrinelle  Streitigkeiten 
einmische","  so  ist  doch  Feuerbachs  Abschreckungstheorie 
unverkennbar  im  Gesetzbuch  zum  Ausdruck  gekommen.  Die  Strenge 
der  Strafen,  die  häufige  und  meist  absolute  Androhung  von  Todes- 
sh-afe  und  lebenslänglicher  Freiheitsstrafe  gingen  weit  über  Kleinschrods 
Entwurf  hinaus.  „Humane  Strenge"  glaubte  Feuerbach  Kleinschrods 
ungerechter  und  gefährlicher  Schonung  der  Verbrecher  entgegensetzen 
zu  müssen,  denn  die  Strafe  soll  nach  ihm  „ein  abschreckender 
Beweggrund  sein"  und  daher  so  beschaffen,  „daß  der  Regel  nach 
die  bloße  Gefahr  der  künftigen  Erduldung  derselben  in  der  Vorstellung 
und  dem  Gefühl  stärker  wirke,  als  die  Vorstellung  des  von  dem  Ver- 
brechen erwarteten  noch  so  großen  Genusses  oder  Vorteils".^  Von 
diesem  Abschreckungsgedanken  aus  erklärt  sich  jene  unbiegsame 
Strafskala,  die  jedes  Variieren  der  Strafart  nach  der  Individualität  des 
Täters  ausschloß.  Das  waren  Momente,  welche  diesem  Werke  der 
Aufklärungszeit  einen  Charakter  bedenklicher  Härte  verliehen.  Das 
trat  bereits  in  der  „Revision"  in  dem  schroffen  Gegensatz  zwischen 
juristischer  und  sittlicher  Zurechnung  zutage  und  steht  auch  hier 
in   engem    Zusammenhang   mit   der   von   Feuerbach   mit   Leidenschaft 


'  Mussinan,   Bayerns  Gesetzgebung.    München  1835.    S.  100  f. 

*  Anmerkungen  Bd.  I,  S.  66, 

'  Kritik  des  Kleinschrodischen  Entwurfs  3.  Teil,  S.  139  f. 


187 

durchgeführten  Isolierung  des  Rechts  von  der  Moral.  Doch 
hat  diere  Tendenz  zugleich  zu  einer  wohltätigen  Säkularisation  des 
Strafrechts  geführt,  indem  der  Versuch  gemacht  wurde,  mit  dem 
überkommenen  System  strafrechtlicher  Sanktionierung  ethischer  und 
religiöser  Werte  zu  brechen.  Da  der  Kriminalgesetzgebung  allein  die 
Ähndung  der  Verletzung  von  Rechten  des  Staates  und  der  Bürger 
vorbehalten  wird,  bleibt  sie  vor  der  Versuchung  bewahrt,  wie  sie  es 
jahrhundertelang  unter  dem  Einfluß  kirchlicher  Enge  und  obrigkeitlicher 
Bevormundung  getan  hat,  „das  moralisch  Böse  mit  peinlichen 
Übeln  zu  vergelten".^  Feuerbach  scheidet  alle  Handlungen,  welche 
nicht  Rechtsverletzungen  sind,  sondern  lediglich  „wegen  ihrer  nach- 
teiligen Folgen  für  die  öffentliche  Ordnung  oder  wegen  ihres  mittel- 
baren Einflusses  auf  Sicherheit,  Sittlichkeit  und  Wohlstand  dem  Staate 
nicht  gleichgültig  sein  können",^  aus  dem  Kriminalrecht  aus  und  weist 
sie  dem  Gebiet  der  Polizei  zu.^  So  kennt  sein  Gesetzbuch  keine 
„Verbrechen  gegen  die  Sittlichkeit  und  die  Religion".  Fleischesdelikte 
werden  nur  insoweit  mit  Strafe  bedroht,  als  ihnen  als  einer  Verletzung 
von  Rechten  der  Person  (sub  Beschädigungen  und  andere  Mißhandlungen 
gegen  die  Person)  ein  besonderer  krimineller  Gehalt  innewohnt:  Notzucht 
a  190,  Entführung  a  201,  Verführung  eigener  Kinder  und  Jugendlicher 
a  206  und  378,  oder  durch  betrügerische  Vorspiegelungen  a  372  ff. 
Ehebruch  a  401  wird  als  Bruch  des  durch  die  Ehe  begründeten 
Vertrages  betrachtet''  und  erscheint  ebenso  wie  Bigamie  a  297  unter 
„Beeinträchtigung  fremder  Rechte  durch  Untreue"  neben  Treulosigkeit 
des  Bevollmächtigten  a  399  und  des  Vormundes  a  295.  Ausgemerzt 
ist  die  Bestrafung  der  Blasphemie.  Während  Kreittmayr  noch  einmal 
Hexenwahn  und  Ketzerverfolgung  gesetzlich  sanktionierte  und  Klein- 
schrods  Entwurf  eine  —  wenn  auch  milde  —  Bestrafung  einer  Lästerung 
oder  Verspottung  Gottes  oder  der  Heiligen  vorsieht  (§  1399  ff.),  kennt 
Feuerbachs  Gesetzbuch  nur  eine  Beleidigung  eines  Religionsdieners 
während  seiner  Amtsverrichtung  oder  einer  Gemeinde,  im  Sinne  einer 
Störung  des  Gottesdienstes  a  424.  Denn  —  hier  zeigt  sich  der  echte 
Sohn  der  Aufklärung  —  „daß  die  Gottheit  injuriiert  werde,  ist  unmöglich, 
daß  sie  wegen  Injurien  sich  an  Menschen  räche,  ist  undenkbar,  daß 
man  sie  durch  Strafe  ihrer  Beleidiger  versöhnen  müsse,  ist  Torheit".^ 
Indessen  blieb   eine   solche  weise   Selbstbeschränkung   des  Strafrechts 


'  Kritik  des  Kleinschrodischen  Entwurfs  I.Teil,  S.  66  f. 
^  Anmerkungen  z.  Strafgesetzbuch  f.  d.  Königreich  Bayern  Bd.  I,  S.  23. 
"  Lehrbuch   l.  Aufl.,  §27  (S.  22)   und   §503  ff.  (S.  407  ff.);    Lehrbuch 
9.  Aufl.,  §  21  ff.  (S.  24  ff.)  und  §  449  ff.  (S.  377  ff.). 

*  Lehrbuch  1.  Aufl.,  §  413,  S.  329  f.;   9.  Aufl.,  §  373  ff.,  S.  308  ff. 

*  Lehrbuch  1.  Aufl.,  §  344,  S.  265;  9.  Aufl.,  §  303,  S.  250. 


188 

nicht  unangefochten.  Mitter  maier  sprach  von  „Modeansichten", 
durch  die  das  Gesetz  selbst  die  Religion  demoralisiere,  indem  es 
derartige  unmoralische  Handlungen  für  nicht  wichtig  genug  hält,  um 
sie  mit  Strafe  zu  bedrohen.^'  „Viel  zu  voreilig",  meinte  Henke,  noch 
ehe  Feuerbachs  Gesetz  in  Kraft  trat,  „hat  man  in  unseren  aufgeklärten 
Zeiten  Verbrechen  wider  die  Religion  als  dem  Staate  gleichgültig  aus 
der  Liste  der  strafwürdigen  Handlungen  ausgetilgt.  Es  ist  hier  nicht 
die  Absicht,  Ketzerverfolgungen  und  die  Greuel  der  Inquisition  zu 
rechtfertigen  und  zurückzuwünschen,  sondern  nur  die  Lauigkeit  zu 
tadeln,  womit  man  Atheismus,  Blasphemie,  Verachtung  des  öffent- 
lichen Kultus  usw.  als  der  bürgerlichen  Strafe  fremd  betrachtet, 
während  man  doch  inkonsequent  genug  den  Meineid  straft. "  ^  Die 
Entwürfe  von  1827  und  1831  stellten  dann  auch  die  Äußerung  von 
Grundsätzen  und  Gesinnungen  in  öffentlicher  Rede,  Lehre  und  Schrift, 
welche  wider  die  Grundlage  der  Religion  und  Sittenlehre  gerichtet 
waren,  sowie  jede  ärgerniserregende  Beleidigung  „gegen  das  höchste 
Wesen"  erneut  unter  Strafe.* 

Der  Äbschreckungsgedanke  und  der  Grundsatz  der  Trennung 
von  Recht  und  Moral  liegen  auch  den  einzelnen  besonderen  Be- 
stimmungen über  die  Zurechnung  zugrunde.  Dabei  ist  gesctiieden 
zwischen  Bestimmungen  über  die  Zumessung  der  Strafe  innerhalb 
des  gesetzlichen  Strafrahmens  und  der  Angabe  derjenigen  Momente, 
welche  ein  Abgehen  von  der  gesetzlich  angedrohten  Strafe 
selbst  zur  Folge  haben.  Gründe,  welche  „die  Sh-afbarkeit  aufheben", 
sind  Unzurechnungsfähigkeit  und  Ausschluß  der  Rechts- 
widrigkeit, insbesondere  die  aus  der  Materie  der  Tötung  endgültig 
in  den  allgemeinen  Teil  übernommene  Notwehr. 

Bei  dem  Ausmaß  der  besonderen  Sh'afe  innerhalb  des  gesetzlichen 
Strafrahmens  „soll  der  Richter  teils  auf  die  Beschaffenheit  der  zu 
bestrafenden  Handlung  an  und  für  sich,  teils  auf  die  Größe  der  Gesetz- 
widrigkeit des  Willens  Rücksicht  nehmen"  (a  90).  In  der  näheren 
Ausführung  dieser  beiden  Momente  kehren  die  gleichen  Gesichtspunkte 
wieder,  die  Feuerbach  in  der  „Revision"  bei  der  Darstellung  der 
„objektiven     und     subjektiven     Gründe     der     relativen     Strafbarkeit" 


'  Mittcrmaier,  Über  die  Grundfehler  der  Behandlung  des  Kriminal- 
rechts in  Lehr-  und  Strafgesetzbüchern.    Bonn   1819.    S.  32. 

*  Ed.  Henke,  Über  den  Streit  der  Strafrechtstheorien.  Regensburg 
1811.    S.  89  f. 

*  Feuerbach,  Lehrbuch  XIV.  Aufl.,  §  303,  Note  V  des  Herausgebers 
Mittermaier,  S.  491.  —  Über  die  „romantisch-orthodoxe  Rückströmung"  des 
Religionsstrafrechts  der  Reaktionszeit  vgl.  Kohlrausch,  Die  Beschimpfung 
von  Rcligionsgesellschaften.    Tübingen  1908.    S.  33  f. 


189 

entwickelt  hatte:  die  Bedeutung  des  verletzten  Rechts,  die  Größe  der 
Gefahr  und,  auf  der  subjektiven  Seite,  alle  Umstände,  welche  auf  eine 
mehr  oder  weniger  starke  Intensität,  Festigkeit  und  Inkorrigibilität 
der  sinnlichen  Triebfeder  schließen  lassen  (a  91  —  94).^  Dabei  wird 
in  gleicher  Weise  eine  besonders  starke  und  darum  in  steigendem 
Maße  der  Abschreckung  bedürftige  Determination  zum  Verbrechen 
angenommen  bei  dem,  der  trotz  nur  geringer  äußerer  Veranlassung 
und  starker  innerer  Hemmungen  dennoch  ein  Verbrechen  beging,  wie 
bei  dem  unverbesserlichen  Gewohnheitsverbrecher  (a  92).  Eine  Milderung 
der  normalen  gesetzlichen  Strafe  ist  vorgesehen  innerhalb  gesetzlich 
genau  festgelegter  Strafskalen  für  Jugendliche  zwischen  8  und  12 
und  zwischen  12  und  16  Jahren  (a  98  und  99).  Unzurechnungs- 
fähig gelten  Kinder  unter  8  Jahren  sowie  Rasende,  Wahnsinnige  und 
andere  Geisteskranke,  welche  ihren  „Verstandesgebrauch"  eingebüßt 
haben  (a  120).  Unzurechnungsfähig  ist  auch,  wer  in  unverschuldeter 
Verwirrung  sich  seiner  Handlung  und  ihrer  Strafbarkeit  nicht  bewußt 
war  (a  121).  Diese  Fälle,  die  ausführlich  vom  Gesetz  aufgezählt 
werden,  ergänzen  die  allgemeine  Regel  des  a  119,  daß  eine  Handlung 
straflos  bleibt,  wenn  sie  weder  zum  Vorsatz  noch  zur  Fahrlässigkeit 
zugerechnet  werden  kann.  Dieser  Satz  bringt  zwar  den  Gedanken: 
„Keine  Strafe  ohne  Schuld"  unverkennbar  zum  Ausdruck,  gibt  aber 
auf  die  Frage,  wann  denn  nun  eine  Handlung  einer  Person  weder  zum 
Vorsatz  noch  zur  Fahrlässigkeit  zugerechnet  werden  kann,  keine 
Rnhvort  und  ist  für  die  Bestimmung  des  Wesens  der  Unzurechnungs- 
fähigkeit ohne  Wert.  So  bleibt  es  bei  dem  Zustand,  den  Feuerbach 
selbst  Kleinschrod  gegenüber  gerügt  hatte,  daß  dem  Richter  lediglich 
einzelne  psychologische  Tatbestände,  Beispiele  von  Gemütszuständen, 
welche  die  Strafbarkeit  ausschließen,  vom  Gesetz  gegeben  werden.^ 
Durch  diese  Regelung  fühlten  sich  namentlich  die  Ärzte  beschwert, 
da  die  Aufzählung  einzelner  Krankheitsformen  und  die  einseitig  intellek- 
tualistische  Ausdrucksweise  des  Gesetzes  sich  als  zu  eng  und  einseitig 
erwiesen,  um  eine  Handhabe  für  eine  befriedigende  Beurteilung  zweifel- 
hafter Fälle  zu  bieten.  So  verlangte  J.  B.  Friedreich  eine  Änderung 
des  a  120  in  dem  Sinne,  daß  allgemein  jedes  Individuum  unzurechnungs- 
fähig sei,  „welches  zur  Zeit  der  Tat  sich  in  einem  psychisch  unfreien 
Zustand  befand",  und  er  ging  in  der  Bevorzugung  einer  solchen 
allgemeinen  Formel  so  weit,  daß  er  die  gesetzliche  Festlegung  einer 
bestimmten  Grenze  der  Strafmündigkeit  ablehnte  und  die  Zurechnungs- 
fähigkeit auch  bei  Kindern  in  jedem  einzelnen  Fall  von  dem  Vorhandensein 


'  Vgl.  oben  Kap.  III,  S.  106  ff. 

-  Kritik  des  Kleinschrodischcn  Entwurfs  I.Teil,  S.  11. 


190 

der  vom  Sachverständigen  zu  prüfenden  „psychischen  Selbstbestimmung" 
abhängig  gemacht  wissen  wollte.^ 

Eine  solche  Formulierung  wäre  freilich  nicht  im  Sinne  Feuer- 
bachs gewesen,  der  jede  Verbindung  von  strafrechtlicher  Zurechnungs- 
fähigkeit und  Willensfreiheit  bekämpft  hat.  Mit  dieser  Stellungnahme 
Feuerbachs  hängt  es  zusammen,  daß  das  Bayerische  Gesetzbuch  von 
1813  sich  dem  Gedanken  einer  gesetzlichen  Anerkennung  des  straf- 
mildernden Einflusses  der  verminderten  Zurechnungsfähigkeit 
verschloß.  Entgegen  einer  nahezu  einmütigen  Anerkennung  der 
geminderten  Zurechnungsfähigkeit  durch  die  kriminalistische  Literatur 
hat  Feuerbach  mit  aller  Energie  und  Zähigkeit  an  seiner  Opposition 
festgehalten,  ähnlich  wie  ein  halbes  Jahrhundert  später  Friedrich  Berner 
in  seinem  Kampf  gegen  die  Äbstufbarkeit  des  Begriffs  der  Zurechnungs- 
fähigkeit die  überwiegende  Mehrzahl  der  Strafrechtler  gegen  sich  hatte.* 
Feuerbachs  Stellungnahme  erklärt  sich  nur  aus  dem  ganzen  Entwicklungs- 
gang seiner  strafrechtlichen  Lehren.  Im  gemeinen  Strafrecht  gehörten 
die  Fälle  der  geminderten  Zurechnungsfähigkeit,  bei  denen  besondere 
physische  oder  psychische  Zustände  die  volle  Verantwortlichkeit  des 
Täters  beeinträchtigen,  zu  den  vielen  Momenten,  aus  welchen  der 
Richter  aus  Gründen  der  Billigkeit  oder  um  staatlicher  und  kriminal- 
politischer Zweckmäßigkeit  willen  das  Recht  herleitete,  von  der  gesetzlich 
angedrohten  Strafe  abzugehen.  Eine  klare  Absonderung  jener  verant- 
wortungsmindernden  Zustände  von  anderen  Strafänderungsgründen, 
die  ihre  methodische  Sonderstellung  als  Modifikation  der  Zurechnungs- 
fähigkeit erkennen  ließe,  fehlte  allgemein.  Dieses  Bild  zeigte  Kreitt- 
mayrs  Codex  (Tl.  I,  cap.  I,  §  17),  während  Kleinschrod  ähnlich, 
wie  es  das  Preußische  Allgemeine  Landrecht  versuchte,^  eine 
begriffliche  Scheidung  zwischen  Prinzipien  der  Zurechenbarkeit  und 
denjenigen  Momenten,  welche  die  Strafbarkeit  beeinflußten,  durch- 
zuführen sich  bemühte.  Indem  Feuerbach  aus  den  Bedürfnissen  der 
Rechtssicherheit  heraus  das  ganze  System  richterlicher  Strafänderungs- 
gründe bekämpfte,  trat  er  damit  auch  dem  Milderungsgrund  einer 
geminderten   Zurechnungsfähigkeit    entgegen.     Für   eine    gesetzliche 


'  J.  B.  Fried  reich,  in:  Zu  Rheins  Zeitschrift  für  Theorie  und  Praxis 
des  bayerischen  Zivil-,  Kriminal-  und  öffentlichen  Rechts  I.  Bd.  1835. 
S.  108  ff.  und  II.  Bd.,  S.  70  ff. 

■  Eingehende  Literaturangaben  bei  Kahl,  Geminderte  Zurechnungs- 
fähigkeit. Vergleichende  Darstellung  des  deutschen  und  ausländischen 
Stratrechts.    Ällg.  Teil  Bd.  i,  S.  9. 

*  Ä.  L.  R.  2.  Teil,  XX.  Titel,  §  16  ff.  „Moralität  der  Verbrechen" 
und  §  58  ff.  „Milderung  der  Strafe".  -  Vgl.  Hälschner,  Geschichte  des 
Brandenburg  -  Preußischen  Strafrechts.    Bonn  1855.    S.  210  f. 


191 

Anerkennung  einer  entsprechenden  Strafminderung,  welche  die  Bedenken 
seiner  positivistischen  Stellungnahme  hätte  zerstreuen  können,  ließ  ihm 
seine  Straftheorie  keinen  Raum.  Denn  wenn  die  Höhe  der  Strafe 
abhängig  ist  von  der  Stärke  der  sinnlichen  Triebfeder,  die  den  Täter 
zum  Verbrechen  drängt,  dann  bedarf  gerade  der  Mensch  der  Androhung 
eines  besonders  starken  Übels  zur  Abschreckung,  den  besondere 
Umstände  in  stärkerem  Maße  zur  Tat  determinieren,  denen  gegenüber 
seine  Hemmungen  unzulänglich  sind,  d.  h.  gerade  der  Täter  im  Zustand 
geminderter  Zurechnungsfähigkeit.  Es  handelt  sich  hier  um  die  Fälle,  in 
denen  geringe  moralische  Verantwortlichkeit  einer  erhöhten  kriminellen 
Gefährlichkeit  gegenüber  steht,  und  hier  hat  Feuerbach  seiner  These 
von  der  Isolierung  des  Rechts  von  der  Moral  entsprechend  die  Stärke  der 
Strafdrohung  unbedenklich  dem  erhöhten  Bedürfnis  nach  Abschreckung 
angepaßt.  Gegenüber  der  von  dem  Gegner  gebrauchten  Terminologie 
einer  „verminderten  Freiheit"  stützt  er  seine  Opposition  auf  das  doppelte 
Argument  einer  Eliminierung  der  Willensfreiheit  aus  der  strafrechtlichen 
Zurechnungslehre  und  des  Hinweises  auf  das  Widerspruchsvolle  einer 
graduellen  Abstufung  der  Freiheit,  die  nur  als  absoluter  Begriff  denk- 
bar sei.  Diesen  Gedankengang  hat  er  in  seiner  „Revision"  entwickelt 
und  in  dem  Eingang  des  maßgebenden  Kapitels  (Bd.  11,  cap.  IX)  diese 
Problemgruppe  als  einen  Gegenstand  bezeichnet,  der  „mehr  als  irgend 
ein  anderer  im  Gebiet  des  peinlichen  Rechts  von  dem  wichtigsten  Einfluß 
für  das  Leben  und  Handeln  ist,  der  mit  dem  Wohl  des  Staates,  selbst 
mit  dem  Interesse  der  Menschheit  auf  das  innigste  verbunden  ist".^ 
Leider  hat  Feuerbach  trotz  dieser  wuchtigen  Worte  die  eigentliche 
Bedeutung  der  Frage  der  verminderten  Zurechnungsfähigkeit  für  die 
Gesetzgebung  und  Rechtspflege  nicht  gesehen.  Er  stand  ihr  als  einem 
philosophischen  Problem  gegenüber,  und  er  hat  sich  von  dem  inneren 
Zusammenhang  dieser  Frage  mit  dem  theoretischen  System  seiner 
Strafrechtsdoktrin  nie  ganz  frei  machen  können.  Darum  mußte  ihm 
ein  tieferes  Verständnis  für  die  neuen  Aufgaben  der  jungen  Kriminal- 
psychologie und  Psychiatrie  versagt  bleiben.  So  kannte  Feuerbachs 
Lehrbuch  den  Begriff  der  verminderten  Zurechnungsfähigkeit  nicht,  und 
das  Strafgesetzbuch  läßt  jede  Sonderbehandlung  von  Fällen,  die  jenem 
problematischen  Zwischengebiet  zwischen  voller  Zurechnungsfähigkeit 
und  Unzurechnungsfähigkeit  angehören,  vermissen.  Im  Gegensatz 
hierzu  unternahmen  es  die  offiziellen  Anmerkungen,  den  Richter 
anzuweisen,  bei  Handlungen,  die  etwa  im  Rausch  oder  unter  der 
Einwirkung  eines  starken  Affekts  begangen  sind,  wenn  „die  Zurechnung 
zum   Dolus    nicht   offenbar   vorliegt",    gleichwohl    aber    die   Tat   nicht 


'  Revision  Bd.  II,  S.  274. 


192 

„zu  Fahrlässigkeit  zuzurechnen"  ist,  auf  mildere  Strafe  zu  erkennen. '^ 
Die  Praxis  griff  diesen  Hinweis  freudig  auf,  wobei  man  in  a  106  eine 
formale  Stütze  für  diese  Strafmilderung  zu  sehen  glaubte.  In  a  106 
handelt  es  sich  um  jene,  wie  zu  zeigen  sein  wird,  durchaus  nicht 
einwandfreie  Bestimmung,  wonach  bei  einem  Mangel  am  Tatbestand 
sich  die  für  den  gesamten,  vollständigen  Tatbestand  angedrohte  Strafe 
reduziere,  und  man  wandte  diese  Bestimmung  auch  auf  einen  Mangel 
am  subjektiven  Tatbestand,  nämlich  eine  Verminderung  der  Zu- 
rechnungsfähigkeit, an.^  Gönners  Entwurf  versuchte  dann  eine 
gesetzliche  Sanktionierung  dieser  Übung  zu  schaffen,  indem  er  bestimmte, 
daß,  wenn  „die  Zurechnung  zwar  nicht  ganz  ausgeschlossen,  jedoch 
in  solchem  Grade  gemindert  ist,  daß  die  gesetzliche  Strafe  der  Tat 
außer  Verhältnis  mit  der  Strafbarkeit  des  besonderen  Falles  stehen 
würde",  die  Gerichte  zu  einer  Herabsetzung  der  Strafe  nach  Maßgabe 
der  Strafminderung  beim  Versuch  ermächtigt  seien  (a  86). 

Es  kann  nicht  wundernehmen,  daß  diejenigen  Kritiker  des 
Entwurfs,  die  in  ihren  Grundansichten  Feuerbach  nahestanden,  der 
Bedeutung  dieser  Bestimmung  nicht  gerecht  wurden  und  von  ihr  im 
Zusammenhang  mit  der  allgemeinen  Tendenz  des  Entwurfes  zu  einer 
Erweiterung  der  gesetzlichen  Strafrahmen  die  Gefahr  erneuten  Mißbrauchs 
richterlicher  Willkür  befürchteten.^  Feuerbach  selbst  gab  „durch 
die  Macht  der  Erfahrungen",  wie  Rrnold  erzählt,  in  den  letzten  Jahren 
seines  Lebens  selbst  zu,  daß  „geminderte  Zurechnungsfähigkeit  eine 
geminderte  Strafe  zur  Folge  haben  müsse".*  Sein  Neuentwurf  enthielt  die 
Bestimmung,  daß  der  Richter  zu  einer  Milderung  der  Strafe  befugt  sei, 
wenn  physische  oder  psychische  Krankheit,  welche  die  Fähigkeit,  „nach 
Willkür  die  mit  Strafe  bedrohte  Handlung  zu  unterlassen",  beeinträchtigt, 
in  hohem  Maße  vorhanden  ist,  ohne  geradezu  alle  Zurechnung  aus- 
zuschließen.^ Doch  trat  in  den  neuen  Auflagen  seines  Lehrbuches 
diese  Wandlung  nirgends  zutage,  sodaß  er  selbst  diese  Sinnesänderung 
niemals  öffentlich  kundgegeben  hat.  Dies  ist  wohl  weniger  aus  einer 
Scheu  vor  dem  Eingeständnis  eigener  Irrtümer  zu  erklären,  als  vielmehr 
als  ein  Anzeichen  dafür,  daß  Feuerbach  selbst  die  Empfindung  hatte, 
daß  mit  der  Preisgabe  dieser  einen  Position   sein   ganzes  System  ins 

'  Anmerkungen  Bd.  I,  S.  299  f. 

^  Seuffiirt,  in:  Blätter  für  Rechtsanwendung  zunächst  in  Bayern 
in.  Bd.    1838.    S.  4.  -  Arnold,  in:   Neues  Archiv.    1843.    S.  109. 

'  Oersted,  Ausführliche  Prüfung  des  neuen  Entwu  fs  zu  einem  Straf- 
gesetzbuch für  das  Königreich  Bayern.  Kopenhagen  1823.  S.  101  u.  222.  — 
Ebenso:  Vergleichende  Kritik  des  Entwurfs  fies  Strafgesetzbuchs  mit  dem 
Strafgesetzbuch  von  1813.    Nürnberg  1823.    S.  42. 

'  Arnold,   Neues  Archiv.    1853.    S.  245,  Anm.  6. 

^Mittermaier,   Neues  Archiv.    1847.    S.  588. 


193 

Wanken  geriet,  sodaß  die  offizielle  Aufnahme  des  Prinzips  der  ver- 
minderten Zurechnungsfähigkeit  zu  einer  neuen  „Revision"  seiner 
„Grundwahrheiten  und  Grundbegriffe"  hätte  führen  müssen.  Dazu 
vermochte  er  sich  aber  wohl  um  so  weniger  zu  entschließen,  als  er  jene 
allgemeinen  Prinzipien  des  Strafrechts  auf  deduktivem  Wege  gewonnen 
hatte,  während  jetzt  in  zunehmendem  Maße  in  seinen  Studien  zur 
Prozeßreform  die  philosophische  Methodik  verlassen  wurde  und  die 
Erscheinungen  des  Lebens  in  ihrer  Unmittelbarkeit  und  Plastik  mehr 
und  mehr  sein  Interesse  beherrschten.  So  waren  seine  Stellung  zu 
grundsätzlichen  Problemen  des  materiellen  Strafrechts  und  sein  Ver- 
hältnis zum  Strafgesetzbuch  selbst  verhältnismäßig  bald  nach  den 
eigenen  grundlegenden  Taten  veraltet.  Und  als  er  die  Mitarbeit  an 
der  Reformarbeit  der  20  er  Jahre  so  brüsk  abbrach,  mag  neben  der 
berechtigten  Empfindung  erlittener  Kränkung  und  Zurücksetzung  vielleicht 
im  tiefsten  Grunde  ein  —  wrenn  auch  uneingestandenes  —  Gefühl  der 
Resignation  wirksam  gewesen  sein,  daß  er  doch  nur  eine  Flickarbeit 
an  dem  eigenen  Werk  hätte  vollbringen  können  und  daß  die  not- 
wendigen Reformen  auf  den  Zusammenhang  mit  einem  Strafrecht 
ganz  anderer,  ihm  selbst  wesensfremder  Prägung  hinweisen  mußten. 
„Überdies,  schreibt  er  dem  Ministerialrat  v.  Spies,  hat  jeder  Mensch 
seine  Zeit,  ich  hatte  die  meinige,  andere  haben  jetzt  die  ihrige. 
Rn  dem  Ulyssesbogen  der  Gesetzgebung,  mit  welchem  ich  zwar  nicht 
jedes,  doch  manches  Ziel  getroffen,  werden  jetzt  rüstigere  Arme  und 
bessere  Schützen  sich  versuchen."^  Aber  Feuerbachs  Temperament 
war  nicht  dazu  angetan,  solch  tragischen  Ausgang  in  entsagungsvoller 
Selbstbesinnung  hinzunehmen.  Das  eigene  Gefühl  dafür,  daß  seinem 
Werk  gerade  in  solchen  Punkten  fühlbare  Unzulänglichkeiten  anhafteten, 
die  mit  seinen  einst  mit  so  viel  leidenschaftlicher  Kraft  verfochtenen 
Grundansichten  aufs  engste  verknüpft  waren,  ließ  ihn  die  erlittene 
Zurücksetzung  um  so  schmerzvoller  empfinden,  als  er  nun  sehen  mußte, 
wie  sein  alter  Widersacher  v.  Gönner  einen  immer  stärkeren  Einfluß 
auf  die  bayerische  Gesetzgebung  erlangte.  Kein  Spott  ist  ihm  scharf 
genug,  die  Arbeit  der  bayerischen  „Solone"  mit  grimmigem  Hohn  zu 
brandmarken,  wo  jetzt  „Tagelöhnerjungen,  die  sich  bisher  nur  mit 
dem  Steintragen  und  Kalkrühren  beschäftigt  haben",  sich  am  Bauen 
versuchen,  bis  daß  das  Haus  einstürzen  wird:''  „.  .  .  also  mein  freund- 
schaftlicher Rat,  so  schreibt  er  am  25.  November  1835  an  den 
Ministerialrat  v.  Spies,  der  sich  bemühte,  Feuerbachs  Einfluß  auf  die 
gesetzgeberische  Reformarbeit  noch   weiterhin  sicherzustellen;   manum 


'  Leben  und  Wirken  II,  S.  252. 
'  Leben  und  Wirken  II,  S.  253. 

13 


194 

de  tabula,  welches  jetzt  vielmehr  besser  so  ausgedrückt  wird:  fallen 
Sie  dem  Rumpelkasten,  mit  welchem  einige  blinde  Karrengäule  dem 
Abgrunde  zurennen,  nicht  in  die  Räder,  sondern  springen  Sie  auf 
die  Seite!" ^ 

Die  große  Bedeutung,  die  Feuerbach  der  begrifflichen  Klärung  und 
der  prägnanten  Formulierung  der  Zurechnungsprinzipien  in  seinen 
theoretischen  Arbeiten  und  seiner  gesetzgeberischen  Tätigkeit  beigemessen 
hat,  hat  einen  tiefen  Sinn.  Denn  nur  wenn  es  gelang,  daß  Wissen- 
schaft und  Gesetzgebung  „die  subjektiven  Bedingungen  der  Strafbarkeit" 
in  verständlicher  Weise  klar  begrenzten,  war  die  Innehaltung  jenes 
Satzes  gewährleistet,  der  das  Wesen  des  modernen  Strafrechts  kenn- 
zeichnet: Keine  Strafe  ohne  Schuld.  Das  Gesetz  bekennt  sich  in 
a  1 1 9  ausdrücklich  zu  diesem  Satz  und  läßt  Feuerbachs  Bemühen  um 
die  Wirksamkeit  dieses  Prinzips  allenthalben  in  der  Aufnahme  seiner 
theoretisch  entwickelten  Voraussetzungen  und  Formen  der  strafrechtlichen 
Schuld  erkennen.  Und  doch  findet  sich  mitunter  ein  verhängnisvolles 
Schwanken  auf  Gebieten,  deren  unmittelbaren  Zusammenhang  mit 
jenem  Axiom  ihm  selbst  offenbar  nicht  klar  war.  Die  Bedeutung  der 
berühmten  Schuldpräsumtionen  Feuerbachs  kann  erst  im  Zusammen- 
hang mit  der  Vorsatzlehre  dargestellt  werden.  Auffallend  ist  eine 
Inkonsequenz  in  der  Verwirklichung  der  prozessualen  Seite  jenes 
Schuldprinzips,  der  Forderung:  Keine  Verurteilung  ohne  Beweis 
der  Schuld.  Eine  restlose  Durchführung  dieses  Prinzips  ist  nur 
möglich,  wenn  der  Nachweis  der  Wahrheit  allein  gegründet  wird  auf 
die  in  freier  Beweiswürdigung  gewonnene  subjektive  Überzeugung  des 
Richters.  Solange  man  aus  dem  naiven  Glauben  an  die  Möglichkeit 
einer  Erkenntnis  absoluter  objektiver  Wahrheit  und  der  Forderung 
einer  unbedingten  Gewißheit  der  Schuld  eine  Verurteilung  von  dem 
Vorhandensein  bestimmter,  gesetzlich  festgelegter  Beweismittel  abhängig 
machte,  stand  man  immer  wieder  ratlos  gegenüber  einer  Überzahl  von 
Fällen,  in  denen  zwar  der  gesetzlich  vorgeschriebene,  formale  Beweis 
nicht  vollständig  war,  gleichwohl  aber  die  Schuld  des  Verdächtigen 
nicht  bezweifelt  werden  konnte.  Da  man  diese  Leute  nicht  laufen 
lassen  wollte,  half  man  sich  mit  dem  Kurpfuschermittel  der  Verdacht- 
strafe, indem  man  sie  —  wie  mit  schlechtem  Gewissen  —  mit  einer 
milderen  poena  extraordinaria  bestrafte.  Dieser  Zustand  beherrschte 
den  gemeinrechtlichen  Inquisitionsprozeß,  für  den  durch  a  22  CCC  die 
formale  Beweistheorie  der  italienischen  Juristen  in  Deutschland  offiziell 
Anerkennung   gefunden   hatte. ^     Im   späteren   gemeinen  Recht   wurde 


*  Leben  und  Wirken  II,  S.  257. 

*  Liepmann,  Gedanken  über  den  Rechtsirrtum  im  Strafrecht.   Z. Str.W. 
Bd.  39,  S.  533. 


195 

das  Problem  der  Verdachtstrafe  insofern  modifiziert,  als  einmal  durch 
die  Aufhebung  der  Tortur  die  Notwendigkeit  einer  Erweiterung  des 
Beweisrechts  offenbar  wurde  und  allmählich  die  Doktrin  unter  dem 
Einfluß  positivistischer  Tendenzen  sich  gegen  die  poena  extraordinaria 
wandte  und  statt  einer  geringeren  Strafe  Sicherheitsmaßregeln  gegen 
den  eines  Verbrechens  Verdächtigen,  aber  nicht  restlos  Überführten, 
verlangte.^ 

Das  Bayerische  Strafgesetzbuch  von  1813  huldigt  noch  dem 
Inquisitionsprozeß,  aber  Feuerbach  hat  doch  versucht,  das  Beweisrecht 
in  dem  Sinne  zu  erweitern,  daß  beim  Zusammentreffen  besonderer 
vom  Gesetz  in  eingehender  Kasuistik  und  mit  aller  Vorsicht  geschilderter 
Indizien  eine  zur  Verurteilung  genügende  „überzeugende  Gewißheit" 
(II.  Tl.,  a  328)  zugelassen  wird.  Doch  waren  die  Anschauungen  über 
das  formale  Beweisrecht  so  stark  eingewurzelt,  daß  die  Kommissionen 
entgegen  Feuerbachs  Stimme  die  Einschränkung  in  das  Gesetz  brachten, 
daß  zur  Todesstrafe  ein  solcher  Indizienbeweis  niemals  ausreiche 
(a  330).  Feuerbach  hatte  sich  mit  klaren  Worten  gegen  eine  solche 
Inkonsequenz  ausgesprochen.  Ist  eine  Tatsache  nicht  erwiesen,  so  ist 
damit  juristisch  kein  Grund  für  die  Existenz  der  bedrohten  Handlung 
vorhanden  und,  so  schloß  er  in  seinem  Lehrbuch,"  die  Strafe  bei 
unvollkommenem  Beweis  ebenso  wie  die  Verhängung  von  Sicherheits- 
maßregeln rechtswidrig.  „Wer  macht  denn  den  Richter  zum  Polizei- 
meister? Wer  gab  ihm,  der  doch  nur  Kriminalgesetze  anzuwenden 
hat,  das  Recht,  Verfügungen  zur  künftigen  Sicherheit  des  Staates  zu 
treffen?"^      Hat   sich    aber    das    Gericht    in    einwandfreier  Weise    von 


'  G.  Ä.  Kleinschrod,  Über  die  Wirkung  eines  unvollkommenen 
Beweises  in  peinl.  Sachen.  Abhandlungen  aus  dem  peinl.  Recht  und  peinl. 
Prozeß  I.Teil.  Erlangen  1797.  S.  1  ff.  Über  Lossprechung  von  der  Instanz 
im  peinl.  Prozeß.  Ebendort  S.  165  ff.  —  E.  L.  R.  Eisenbarts  Preisschrift 
im  Archiv  des  Kriminalrechts  III.  Bd.,  l.St.  1800,  S.  65  ff.  und  2.  St.  1801, 
S.  Iff.  Gegen  spezielle  Sicherheitsmittel  gegenüber  einzelnen  Verdächtigen, 
unbeschadet  der  allgemeinen  vorbeugenden  Tätigkeit  der  Polizei:  Zachariae, 
im  Archiv  d.  Kriminalrechts  111.  Bd.,  4.  St.,  S.  1  ff.  —  Ein  kurzer,  die  praktischen 
Folgerungen  ablehnender  Hinweis  auf  den  Zusammenhang  dieser  Frage  mit 
Unmittelbarkeit  der  Beweisaufnahme  und  Geschworenengericht  bei  Klein, 
im  Archiv  d.  Kriminalrechls  III.  Bd.,  2.  St.,  S.  64  ff.,  der  einer  der  eifrigsten 
Verfechter  des  Sicherungsrechts  war.  —  Vgl.  auch  J.  N agier,  Verbrechens- 
prophylaxe u.  Strafrecht.  Krit.  Bcitr,  XIV,  Leipzig  1911,  S.  17,  u.  K.  Fuhr, 
Strafrechtspflege  u.  Sozialpolitik,  Berlin  1892,  S.  1  ff. 

*  Lehrbuch  1.  Aufl.,  §  91,  S.  70. 

^  Ebendort  S.  71,  Änm.  In  den  späteren  Auflagen  des  Lehrbuchs  fehlt 
diese  Polemik  gegen  die  Sicherheitsmaßnahmen.  Vgl.  VIII.  Aufl.  §  83,  S.  84  f. 
und  XIV.  Aufl.,  §  83,  S.  153.  In  der  „Revision"  I,  S.  64  f.  bekannte  er  sich 
sogar  ausdrücklich  für  das  Sicherungsrecht  bei  unvollkommenem  Beweist 

13* 


196 

der  Schuld  des  Angeklagten  überzeugt,  dann  schafft  jene  Einschränkung 
des  a  330  den  merkwürdigen  Zustand,  bei  dem,  wie  er  später  einmal 
ausführte,  „ein  Mörder,  von  welchem  die  Justiz  selbst  in  einem 
furchtbar  feierlichen  Strafakte  öffentlich  verkündet,  daß  sie  ihn  des 
Mordes  für  schuldig  erkannt  habe,  gleichwohl  nicht  die  durch  den  Mord 
verdiente  Strafe  leide  und  auch  dieses  nur  von  Rechts  wegen ".^  Um 
so  auffallender  ist  es,  daß  bei  Feuerbach  selbst  in  einer  Bestimmung 
des  materiellen  Teils  sich  der  Einfluß  jener  alten  Tradition  der  Verdacht- 
strafe geltend  machte.  In  a  106  findet  sich  der  gesetzliche  Niederschlag 
eines  Gedankens,  der  bereits  in  der  „Revision"  einen  Gegensatz  zur 
positivistischen  Tendenz  dieser  Schrift  darstellt:  die  außerordentliche 
Strafe  bei  Mangel  am  Tatbestand.  Wenn  der  Tatbestand  in  dem 
einen  oder  anderen  Punkte  mangelhaft  oder  ungewiß  ist,  soll  hiernach 
die  gesetzliche  Strafe  gemildert  werden  in  dem  Verhältnis,  in  dem  das 
fehlende  Tatbestandsmerkmal  zu  der  Summe  aller  Tatbestandsmerkmale 
steht.  Das  war  der  Gedanke  des  a  106.  Bestimmte  z.  B.  a  172  für 
Äbtreibung  8  Jahre  Arbeitshaus,  so  entfielen  nach  dieser  Vorstellung 
von  diesen  8  Jahren  4  Jahre  auf  das  Tatbestandsmerkmal  des  Abortiv- 
mittels,  2  Jahre  auf  das  Tatbestandsmerkmal  der  Schwangerschaft, 
2  Jahre  auf  den  Dolus.  Fehlt  eines  dieser  drei  Tatbestandsmerkmale, 
so  soll  sich  die  Strafe  um  die  entsprechende  Anzahl  von  Jahren 
mindern.^  Die  Sinnlosigkeit  dieser  Berechnung  liegt  auf  der  Hand. 
„Schwangerschaft"  und  „Dolus"  sind  nicht  selbständige  mit  Strafe 
bedrohte  Tatbestände,  sondern  stets  bleibt  die  gesamte  Strafe  eine 
Rhndung  des  ganzen  Delikts.  Der  Täter  wird  auch  bei  „Mangel  am 
Tatbestand"  für  das  ganze  Delikt  bestraft,  nur  sind  in  diesem  Fall 
wesentliche  Tatbestandsmerkmale  nicht  erfüllt  oder  nicht  erwiesen.  So 
wird  hier  ein  Angeklagter  bestraft  wegen  einer  Tat,  deren  er  nicht  völlig 
überführt,  sondern  nur  aus  bestimmten  Gründen  verdächtig  ist.  So 
sehr  sich  die  Anmerkungen  zum  Gesetz  bemühen,  die  Bestimmung 
mit  den  Argumenten  der  Feuerbachschen  Konstruktion  des  Begriffs 
„Mangel  am  Tatbestand"  zu  rechtfertigen  und  den  Vorwurf  einer 
Verdachtstrafe  zu  entkräftigen, ^  so  fand  diese  Regelung  doch  allgemeine 


'  Feuerbach,  Aktenmäßige  Darstellung  merkwürdiger  Verbrechen. 
3.  Aufl.  1849.  S.  357.  —  Grundlegend  für  die  wachsende  Erkenntnis  der 
Sinnlosigkeit  des  überkommenen  Beweissystems,  das  aus  Mißtrauen  gegen 
den  Indizienbeweis  der  Willkür  der  Verdachtstrafen  verfiel,  wurde  Chr.  C. 
Stübel,  Über  den  Tatbestand  der  Verbrechen  .. .    Wittenberg  1805. 

■  Mittermaie r,  Über  den  Einfluß  des  Mangels  am  Tatbestande  auf  das 
Strafurteil.    Neues  Archiv  des  Kriminalrechts  III,  1820,  S.  394  f. 

^  Anmerkungen  zum  Strafgesetzbuch  für  das  Königreich  Bayern  I.  Bd. 
München  1813,  S.  246. 


197 

Hblehnung.  Mi  tt  er  maier  wies  nach,  daß  die  Strafe  nur  dem 
Verbrechen  in  seinem  gesamten  Tatbestand  entspreche  und  daß  zu 
geringerer  Strafe  keineswegs  ein  geringerer  Grad  von  Gewißheit  der 
Voraussetzungen  der  strafrechtlichen  Reaktion  ausreiche/  In  Olden- 
burg, wo  das  Bayerische  Strafgesetzbuch  eingeführt  wurde,  übernahm 
man  den  a  106  nicht,  in  Weimar  warnte  man  ausdrücklich  vor 
diesem  Vorbild.-  v.  Gönners  Entwurf  von  1822  kannte  gleichfalls 
diese  Bestimmung  nicht  mehr.  Später  zeigte  Arnold  die  Entbehrlichkeit 
dieser  Bestimmung.  Denn,  da  nur  die  bewiesene  Tat  strafbar  ist, 
so  kann  eine  Handlungsweise  nur  als  vollendete  Ausführung  aller 
tatbestandsmäßigen  Handlungen  eines  Delikts  oder  als  Versuch  zu 
dieser  bestraft  werden."^  Feuerbach  selbst  hat  den  Gedanken  nie  völlig 
aufgegeben,  wohl  aber  späterhin  versucht,  ihm  eine  abschwächende 
Formulierung  zu  geben.  So  spricht  er  in  den  letzten  Auflagen  seines 
Lehrbuchs^  nicht  mehr  von  fehlenden  und  ungewissen  Tatbestands- 
merkmalen, sondern  vom  Fehlen  besonderer,  durch  das  Gesetz  oder 
die  Auslegung  erforderter  Eigenschaften  des  Tatbestands.  Doch 
ist  hiermit  der  Begriff  eher  unklarer  geworden.  Die  Fälle,  an  die 
Feuerbach  hier  denkt,  erweisen  sich  in  Wirklichkeit,  wie  Mittermaiers 
Anmerkung  zeigt,  als  Verbrechensversuch  (z.  B.  ein  räuberischer 
Überfall,  bei  dem  der  Täter  nichts  zum  Wegnehmen  findet),  oder  es 
fehlen  lediglich  Eigenschaften,  welche  richtigerweise  gar  nicht  zum 
gesetzlichen  Tatbestand  gehören  sollten,  wie  die  Verheimlichung  der 
Schwangerschaft  beim  Kindesmord.  Der  a  106  ist  erst  durch  a  8  des 
Gesetzes  vom  29.  August   1848  aufgehoben  worden. 

Die  Forderung:  Keine  Strafe  ohne  Schuld  wird  ergänzt  durch 
den  Gedanken,  daß  als  Bedingung  strafrechtlicher  Reaktion  stets  die 
Verwirklichung  eines  objektiven  Tatbestandes  erforderlich  ist,  sodaß 
nur  eine  schuldhafte  Handlung  eine  Bestrafung  rechtfertigen  kann. 
In  der  Grolmanschen  Präventionstheorie  hatte  Feuerbach  die  symptoma- 
tische Verbrechensauffassung  bekämpft,  nach  der  die  objektive  Handlung 
nicht  selbständige  und  wesentliche  Voraussetzung  der  Strafe  ist,  sondern 
lediglich  ein  Anzeichen  für  die  durch  die  Strafe  in  erster  Linie  zu 
treffende  verbrecherische  Gesinnung.  Mit  einer  Gesinnungsstrafe 
aber  verliert  die  Strafjustiz  den  festen  Boden  des  Rechts  und  verfällt 

'  Mittermaier,  Neues  Archiv  III,  S.  394  ff.     Gegen  Feuerbach  auch 
Klcinschrod,  Abhandlungen  S.Teil,  I.Abt.,  S.  94  f. 
-  Neues  Archiv  Bd.  II,  1818,  S.  60. 

*  Arnold,  Erfahrungen  aus  dem  Bayerischen  Strafgesetzbuch  v.  1813. 
Archiv  des  Kriminalrechts.    Neue  Folge,  Jahrg.  1843,  S.  110  ff.  und  240  fl. 

*  XIV.  Aufl.,  herausgeg.  von  Mittermaier,  Gießen  1847,  §  99,  S.  191. 
Die  VII.  Aufl.,  1820,  zeigt  noch  die  alte  Fassung. 


198 

der  Gefahr  der  Despotie  und  Klassenjustiz,  der  bei  der  Unmöglichkeit, 
einem  Menschen  sein  Innenleben  und  seine  Gesinnungen  nachzuweisen, 
derjenige  zum  Opfer  fällt,  dem  man  die  vom  Recht  verpönte  Gesinnung 
zutraut.  „Kann  eine  Überzeugung,  eine  dem  Staat  gefährliche  Meinung, 
ein  der  Staatsreligion  gefährlicher  Glaube  bestraft  werden  ? "  fragt  Feuerbach. 
„Niemand  wird  diese  Fragen  bejahen."  Denn  der  Gesetzgeber  „kann 
nichts  den  Strafsanktionen  unterwerfen,  was  nicht  mittelbar  oder  unmittelbar 
eine  Rechtsverletzung  in  sich  enthält,  kein  Faktum,  was  nicht  äußerlich 
erkennbar  ist  und  dessen  Existenz  nicht  in  concreto  vollständig  bewiesen 
werden  kann".^  Diesen  Gedanken  hat  das  Bayerische  Strafgesetzbuch 
durch  seine  gesamte  Anlage  durchgeführt,  indem  nicht  nur  die  typischen 
Gesinnungsdelikte,  wie  Ketzerei  und  Aberglaube,  schwanden,  sondern 
durchweg  im  Besonderen  Teil  durch  scharfe  Herausarbeitung  der 
Tatbestände  aller  und  namentlich  der  gegen  den  Staat  gerichteten 
einzelnen  Delikte  der  Richter  in  die  Lage  gesetzt  wurde,  aus  dem 
Verhalten  des  Täters  ganz  bestimmte  Handlungen  als  strafbares 
Unrecht  zu  eliminieren.  Hierin  liegt  die  große  historische  Mission 
Feuerbachs  als  Gesetzgeber.^  Erst  wenn  man  sich  die  Bedeutung 
dieser  Tat,  für  die  ein  Vorbild  allenfalls  im  Code  penal  vorlag,  klarmacht 
und  bedenkt,  welch  gewaltiger  Schritt  von  dem  bisher  in  Bayern 
geltenden  Recht  des  Kreittmayrschen  Codex  und  dem  altväterlichen, 
durch  die  Fülle  besorglicher  Regeln  und  Ratschläge  unklaren  Entwurf 
Kleinschrods  getan  ist,  wird  man  es  verstehen,  daß  auch  diesem 
Gesetz  Reste  jener  ängstlichen  Auffassung  nicht  fehlen,  welche  in  dem 
Bestreben,  die  verbrecherische  Tätigkeit  in  einem  möglichst  frühen 
Stadium  zu  bekämpfen,  mit  Strafdrohungen  schon  in  einem  Punkte 
einsetzt,  wo  objektiv  eine  kriminelle  Betätigung  noch  nicht  erfolgt  ist. 

Dieser  Gefahr  unterliegt  ein  Strafrecht  um  so  eher,  je  mehr  es 
auf  dem  Gebiete  der  Teilnahme  und  des  Versuchs  die  Straf- 
barkeit von  subjektiven  Momenten  abhängig  und  dabei  auch  ein 
solches  Verhalten  zum  Gegenstand  strafrechtlicher  Ahndung  macht, 
das  in  keinem  unmittelbaren  Zusammenhang  mit  der  Ausführung 
einer  verbrecherischen  Handlung  selbst  steht.  So  wird  nach  dem 
Bayerischen  Strafgesetzbuch  ein  Komplott,  die  bloße  Verabredung 
und  gegenseitige  Verpflichtung,  ein  Verbrechen  zu  begehen,  auch 
wenn  es  gar  nicht  zur  Ausführung  des  Verbrechens  kommt,  als  Versuch 
dieses  Delikts  bestraft  (a  52  und  50).  Die  Bestrafung  des  Versuchs 
hat    für   Feuerbach    eine    hohe    kriminalpolitische   Bedeutung,    sie   ist 


'  Revision  II.  Bd.,  S.  13  und  vorhergehende. 

^  Vgl.    Landsberg,     Geschichte    der    deutschen    Rechtswissenschaft 
3.  Abt.,  II.  Halbbd.,  S.  129. 


199 

bestimmt,  „gleichsam  dem  Verbrecher  den  Weg  abzugraben,  die  Keime 
des  Verbrechens  in  ihrer  ersten  Entwicklung  zu  ersticken".'  Infolge- 
dessen bestraft  Feuerbach  nicht  nur  den  nächsten  Versuch,  bei  dem 
der  Täter  teilweise  in  der  Ausführung  begriffen  ist,  sondern  auch  den 
entfernteren  Versuch,  d.  h.  bloße  Vorbereitungshandlungen  (a  60 
und  62).  Beiden  Fällen  sucht  er  mit  einer  subjektiv  gerichteten 
Begriffsbestimmung  gerecht  zu  werden,  nach  der  ein  Versuch  anzunehmen 
ist,  „wenn  eine  Person,  in  der  Absicht,  ein  Verbrechen  zu  begehen, 
äußerliche  Handlungen  vorgenommen  hat,  welche  auf  Vollbringung 
oder  Vorbereitung  desselben  gerichtet  sind"  (a  57).  Dagegen  bewahrte 
Feuerbach  die  Auffassung,  daß  jede  Vollendung  eines  Delikts  die 
Verletzung  eines  Rechts  voraussetzt,  vor  einer  Ausdehnung  der  Straf- 
barkeit auch  die  Fälle  des  untauglichen  Versuchs.  Denn  wenn 
zur  Vollendung  eine  wirkliche  Rechtsverletzung  gehört,  so  muß  von 
einem  Versuch  verlangt  werden,  daß  aus  ihm  „die  Übertretung  wirklich 
entspringen  konnte".^  So  wie  die  Carolina  in  a  178  „etliche  scheinliche 
wercke,  die  zu  volbringung  der  missethatt  dienstlich  sein  mögen", 
verlangt,  fordert  Feuerbach,  daß  die  Versuchshandlung  „nach  ihrer 
äußeren  Beschaffenheit  mit  dem  beabsichtigten  Verbrechen  in  ursächlichem 
Zusammenhang  steht,  objektiv  gefährlich  ist"."'  Ein  Begriffsmerkmal, 
das  noch  im  Lis zischen  Lehrbuch  wiederkehrt!*  „Wer",  heißt  es  bei 
Feuerbach,  „von  dem  Verbrechen  der  Mitteilung  eines  vermeintlichen 
Gifts,  von  dem  Versuch  der  Tötung  eines  Leichnams  u.  dgl.  spricht, 
verwechselt  das  Moralische  mit  dem  Rechtlichen,  die  Gründe  der 
Sicherungspolizei  mit  dem  Recht  zur  Strafe  und  muß  auch 
jenen  Bayern  eines  strafbaren  Versuchs  der  Tötung  schuldig  erkennen, 
der  nach  einer  Kapelle  wallfahrte,  um  da  seinen  Nachbar  totzubeten ! "  "^ 
Infolgedessen  fügte  Feuerbach  der  subjektiven  Fassung  des  Versuchs- 
begriffs in  seinem  Entwurf  zum  Strafgesetzbuch  die  Einschränkung 
hinzu,  daß  der  Versuch  straflos  bleiben  sollte,  „wenn  die  äußere 
Handlung  mit  dem  dadurch  beabsichtigten  Verbrechen  in  gar  keinem 
Zusammenhang  war,  sodaß  dieses  nach  dem  Lauf  der  Natur  schlechterdings 
nicht  daraus  entstehen  konnte"  (a  60  Abs.  2  des  Entwurfs).  Doch 
drang  Feuerbach  mit  dieser  Ansicht  nicht  durch  und  die  Anmerkungen 
begründen  das  damit,  daß  in  strafrechtlicher  Beziehung  kein  Unterschied 
zu  machen  sei  zwischen  demjenigen,  der  sich  in  der  Wahl  der  Mittel 


'  Kritik  des  Kleinschrodischen  Entwurfs  2.  Teil,  S.  102. 
■  Kritik  des  Kleinschrodischen  Entwurfs  I.Teil,  S.  67. 
•''  Lehrbuch  7.  Aufl.,  1820,  §  42,  S.  45;  desgl.  9.  Aufl.,  1826,  §  42,  S.  42. 
'  Lehrbuch  23.  Aufl.,  1921,  §  46,  I,  3,  S.  201  f. 

'  Lehrbuch  7.  Aufl.,  1820,  §  42,  Anm.  a  (S.  46);  desgl.  9.  Aufl.,  1826, 
§  42,  Anm.  c  (S.  42  f.). 


200 

vergriffen  habe  und  dem,  der  durch  andere  äußere  Umstände  an  der 
Vollbringung  des  Verbrechens  gehindert  sei.^ 

So  stand  das  Gesetz  nach  jeder  Richtung  auf  dem  Boden  der 
subjektiven  Versuchsauffassung.  Doch  blieb  die  Opposition  nicht  aus. 
Bei  der  Neuregelung  des  Weimarer  Strafgesetzbuchs  warnte  man 
vor  dem  bayerischen  Vorbild  einer  so  weiten  Ausdehnung  der  Straf- 
barkeit des  Versuchs,  bei  der  „auf  Zweckmäßigkeit  der  Mittel  gar  nicht 
und  nur  auf  die  Absicht  gesehen  werden  soll"."  Die  bayerische 
Rechtspflege  erfuhr  täglich  die  Schwierigkeiten  des  gesetzlich  festgelegten 
subjektiven  Versuchsbegriffs  und  bemühte  sich,  die  extremen  Fälle 
untauglicher  Versuchshandlungen  auszuscheiden,  indem  man  regelmäßig 
freisprach,  wenn  das  Mittel  von  der  Art  war,  „daß  dessen  Anwendung 
nur  ein  Produkt  des  reinen  Unverstandes  ist".^  Noch  zahlreicher  waren 
die  Stimmen,  welche  sich  gegen  die  Strafbarkeit  der  Vorbereitungs- 
handlungen wandten.  1818  erschien  Mittermaiers  kurzer  und 
wichtiger  Aufsatz  über  den  Anfangspunkt  der  Strafbarkeit  der  Versuchs- 
handlungen.* Mittermaier  zeigt  hier,  daß  in  dem  Stadium  des  entfernten 
Versuchs,  in  dem  es  sich  nur  um  ein  Ausspähen  der  Gelegenheit, 
um  Beschaffung  und  Zurüstung  der  Mittel  handelt,  in  der  Handlung 
des  Täters  nichts  strafrechtlich  Relevantes  liegt  und  eine  Bestrafung 
nur  eine,  zudem  keineswegs  unumstößlich  feststehende,  Absicht  zum 
Gegenstand  hat.  Er  beschränkt  deshalb  die  Strafbarkeit  auf  dasjenige 
Stadium,  in  dem  mit  der  Anwendung  der  Mittel  bereits  begonnen  ist, 
da  man  vorher  von  der  Übertretung  eines  Gesetzes  nicht  reden  kann. 
Auch  die  Praxis  empfand  die  Härte  einer  zu  weit  ausgedehnten 
Strafbarkeit,  die  sich  nur  dadurch  mildern  ließ,  daß  der  Nachweis 
des  Vorsatzes  bei  bloßen  Vorbereitungshandlungen  in  vielen  Fällen 
nicht  erbracht  werden  kann.^  Dazu  kam,  daß,  wie  das  Oberappellations- 
gericht an  das  Ministerium  berichtete,  die  Abgrenzung  zwischen  entferntem 
und  nächstem  Versuch,  für  die  verschiedene  Strafdrohungen  galten,  zu 
zahlreichen  Kontroversen   und  widersprechenden  Urteilen  führte.*'     So 


'  Anmerkung  zum  Strafgesetzbuch  Bd.  I,  S.  182  f. 
-  Neues  Archiv  Bd.  II,  S.  60. 

*  Arnold,  in:  Neues  Archiv,  1843,  S.  513.  —  Das  Reichsgericht, 
das  grundsätzlich  auf  dem  Standpunkt  subjektiver  Versuchsauffassung  steht, 
sieht  ebenfalls  in  der  Anwendung  von  Mitteln,  „welche  nicht  in  der 
wissenschaftlichen  Erkenntnis  und  Erfahrung  des  Lebens 
begründet",  welche  „außerhalb  sowohl  der  physischen  als  der  psychischen 
Kausalität  liegen",  ausnahmsweise  keinen,  nicht  einmal  einen  untauglichen 
strafbaren  Versuch!    RG.  33,  S.  323. 

'  Neues  Archiv  Bd.  II,  S.  602  ff.    Vgl.  Bd.  I,  S.  163  ff. 

*  Arnold,  in:  Neues  Archiv,  1843,  S.  512. 

"*  Jahrbuch  der  Gesetzgebung  und  Rechtspflege  im  Königreich  Bayern 
Bd.  in,  1820,  S.  153. 


201 

suchte  Y.  Gönnej*s  Entwurf  von  1822  mit  dem  Prinzip  der  Bestrafung 
„bloßer  Vorbereitungen  zu  einer  strafgesetzwidrigen  Handlung"  ^  zu 
brechen  und  definierte  den  Versuch  in  Anlehnung  an  den  Commencement 
d'execution  des  französischen  Rechts^  als  „Anfang  der  Ausführung  des 
bezielten  Verbrechens"  (a  46).  Mit  dieser  objektiven  Fassung  entfiel 
die  Strafbarkeit  nicht  nur  der  Vorbereitungshandlungen,  sondern 
ebenso  —  wenn  auch  vermutlich  von  Gönner  nicht  beabsichtigt  — 
des  untauglichen  Versuchs.  Ein  Umstand,  auf  den  bereits  Oersted 
damals  hinwies,  und  zwar  gerade  deshalb,  weil  er  selbst  ein  Anhänger 
der  Bestrafung  des  untauglichen  Versuchs  war." 

Auch  die  Behandlung  der  Schuldformen  im  Feuerbachschen 
Strafgesetzbuch  läßt  den  Zusammenhang  mit  seinen  theoretischen 
Studien  erkennen.  Hier  wie  dort  ist  die  Schuld  als  Willens  schuld 
aufgefaßt,  ein  Standpunkt,  von  dem  aus  es  im  Grunde  nur  eine 
Schuldform:  Vorsatz  geben  kann.  So  ist  er  dem  Problem  der 
Fahrlässigkeit  niemals  völlig  gerecht  geworden.  Das  zeigt  sich 
schon  auf  methodischem  Gebiet.  Wenn  auch  die  Rrt  der  Behandlung 
der  Culpa  im  Lehrbuch  keinen  Zweifel  darüber  aufkommen  läßt,  daß 
es  sich  hier  um  Probleme  der  Zurechenbarkeit  der  Schuld  oder, 
wie  es  dort  von  Dolus  und  Culpa  heißt:  um  „Verschiedenheit  nach 
dem  intellektuellen  Grund  der  Übertretung"  handelt,*  so  erscheint  im 
Entwurf  zu  dem  Strafgesetzbuch  die  Fahrlässigkeit  neben  Versuch  und 
Teilnahme  lediglich  als  Grund  zur  Anwendung  der  außerordent- 
lichen Strafe  (Entwurf  a  59).  Bis  zu  Feuerbach  lassen  sich  somit 
die  Spuren  jener  dem  römischen  und  italienischen  Recht  entstammenden, 
im  gemeinen  Recht  bei  Carpzov  besonders  deutlich  erkennbaren 
Tradition  aufzeigen,  nach  der  Culpa  nicht  als  besondere  Schuldart, 
sondern  als  Grund  zur  Strafmilderung  angesehen  wurde.'  In  den 
Kommissionsverhandlungen  wies  v.  Gönner  auf  die  Haltlosigkeit  der 
ganzen  Unterscheidung  von  ordentlicher  und  außerordentlicher  Strafe 
hin  i'id  die  Majorität  entschied  sich,  um  das  Gesetz  nicht  mit  einer 
dokirinären  Kontroverse  zu  belasten,  dahin,  die  Bezeichnung  ordentliche 
und  außerordentliche  Strafe  zu  streichen.    Die  Anmerkungen  erklären 


*  Entwurf  eines  Strafgesetzbuchs.    München  1822.    Einleitung  pag.  VII. 

-  Zuerst  im  Gesetz  vom  22.  praiv.  an  IV.    Später  Code  p^nal,  1810,  a  2. 

'  Oersted,  Ausführliche  Prüfung  des  neuen  Entwurfs  zu  einem  Straf- 
gesetzbuch für  das  Königreich  Bayern.  Kopenhagen  1823.  S.  154  f.  — 
Derselbe,  Über  Grundregeln  der  Strafgesetzgebung.  Kopenhagen  1818. 
S.  164  ff. 

'  Lehrbuch  VII.  Aufl.,  Überschrift  vor  §  53  (S.  55). 

"  Liepmann,  Z.  Str.  W.  39,  S.  542  u.  531  f.  —  Binding,  Normen  IV, 
S.  114,  115.     Anders  im  A.  L.  R.,  vgl.  oben  S.  190,  Anm.  3. 


202 

dies  damit,  man  könne  nicht  sagen,  der  fahrlässige  Totschläger  werde  mit 
außerordentlicher  Strafe  des  —  begrifflich  regelmäßig  vorsätzlichen  — 
Totschlags  bestraft,  sondern  „ihn  trifft  die  ordentliche  Strafe  der 
fahrlässigen  Tötung"/  Feuerbach,  leicht  verletzt,  wenn  er  mit 
seinen  Gedanken  nicht  durchdrang,  vermerkte  es  bitter,  daß  hier 
V.  Gönners  Argumente  und  nicht  das  Nonliquet  des  Kommissions- 
beschlusses in  den  offiziellen  Anmerkungen  zum  Ausdruck  gekommen 
ist.^  Aber  auch  inhaltlich  war  Feuerbachs  Fahrlässigkeitsbegriff 
zu  Unfruchtbarkeit  verdammt.  Ausgehend  von  dem  Gedanken  der 
Willensschuld  erschwerte  er  sich  die  Erkenntnis  der  Natur  der 
Fahrlässigkeit  dadurch,  daß  er  nach  seiner  Äbschreckungstheorie  als 
Voraussetzung  der  Zurechenbarkeit  der  Handlung  das  Bewußtsein  ihrer 
Strafbarkeit  verlangen  mußte.  So  vertrug  sich  mit  seiner  Theorie  im 
Grunde  nur  die  Annahme  einer  Schuldform,  nämlich  das  bewußte 
Wollen  einer  Strafgesetzwidrigkeit, ^  d.  h.  Vorsatz,  und  er  hat  sich 
immer  wieder  bemüht,  die  Fahrlässigkeit  als  eine  Form  des 
Vorsatzes  zu  konstruieren.^  So  sieht  er  in  oder  besser  vor  jeder 
fahrlässigen  Begehung  eines  speziellen  Delikts  die  vorsätzliche  Ver- 
letzung einer  generellen  Diligenzpflicht.  Diese  generelle  Diligenzpflicht 
hat  ihren  gesetzlichen  Ausdruck  gefunden  in  a  64:  „Jeder  Untertan 
ist  schuldig,  gefährliche  Handlungen  zu  unterlassen  und  in  jedem 
Unternehmen  mit  gehöriger  Aufmerksamkeit  und  Bedachtsamkeit  zu 
verfahren,  damit  er  auch  nicht  unabsichtlich  Andere  an  ihren  Rechten 
verletze  oder  Gesetze  des  Staates  übertrete."  Handelt  er  dieser  Norm 
zuwider,  so  werden  ihm  die  aus  dieser  Handlungsweise  sich  ergebenden 
Rechtsverletzungen  als  fahrlässige  Übertretungen  zugerechnet. 

Der  Vorsatz  wird  vom  Gesetz  im  Anschluß  an  die  Definition 
des  Lehrbuchs-^  in  Übereinstimmung  mit  dem  Entwurf  (a  41)  begrifflich 
bestimmt:  „Mit  rechtswidrigem  Vorsatz  wird  ein  Verbrechen  begangen, 
wenn  eine  Person  die  Hervorbringung  des  aus  ihrer  Handlung  ent- 
standenen Verbrechens  sich  als  Zweck  und  Absicht  dieser  ihrer 
Handlung  vorgesetzt  hat  und  sich  dabei  der  Rechtswidrigkeit  und 
Strafbarkeit  dieses  Beschlusses  bewußt  gewesen  ist"  (a  39).  Folge- 
richtig ergibt  sich  aus  dieser  Bestimmung  der  Gedanke  des  a  42, 
daß  besondere  qualifizierende  Eigenschaften   der  Handlung  dem  Täter 


'  Bd.  I,  S.  125. 

-  Leben  und  Wirken  I,  S.  253  f. 

'  Vgl.  Binding,   Normen  IV,  S.  211. 

'  Vgl.  oben  Kap.  III,  S.  102  f. 

'  Im  Lehrbuch  hieß  es  lange  Zeit  „böser  Vorsatz":  I.  Aufl.,  1801, 
§  62,  S.46;  VII.  Auil.,  1820,  §  53,  S.  55.  Dagegen  „rechtswidriger  Vorsatz": 
IX.  Aufl.,  §  54,  S.  51. 


203 

nicht  zum  Vorsatz  zugerechnet  werden  dürfen,  wenn  er  sie  nicht 
gekannt  hat.  Wer  also  einen  Tatbestand  annimmt,  der,  wenn  er 
vorläge,  kein  strafbares  Tun  darstellen  würde,  handelt  nicht  vorsätzlich.^ 

Zwei  Problemgruppen  sind  mit  dem  Feuerbachschen  Vorsatzbegriff 
verknüpft  und  erschweren  eine  klare  Erkenntnis  der  Zurechnungs- 
prinzipien dieses  Gesetzbuchs:  die  Frage  des  Rechtsirrtums  und 
die  Praesumtio  doli. 

Die  psychologische  Zwangstheorie  Feuerbachs  führt,  das  hat  man 
schon  früh  eingesehen,  konsequent  zu  der  Unentbehrlichkeit  des 
Bewußtseins  der  Gesetzwidrigkeit  des  Begehrens  für  den  Vorsatz.^ 
Denn,  so  drückt  es  Feuerbach  selbst  in  der  „Revision"  aus:  „wo 
keine  Vorstellung  von  dem  Gesetz,  von  der  Verbindlichkeit,  die  Handlung 
zu  unterlassen  und  von  der  Strafe  als  Bestimmungsgrund  der  Unter- 
lassung ist,  da  ist  es  auch  nicht  möglich,  daß  die  Drohung,  die  nur 
vermittels  der  Vorstellung  derselben  wirksam  sein  kann,  auf  das  Gemüt 
Einfluß  haben  könne"."  Die  folgerichtige  Durchführung  dieses  Gedankens 
würde  verlangen,  daß  der  vorsätzliche  Rechtsbrecher  nicht  nur  wissen  muß, 
daß  er  sich  strafbar  macht,  sondern  auch  Art  und  Umfang  der  gedrohten 
Strafe  kennen  muß.  Denn  nur  unter  dieser  Voraussetzung  war  er  in 
der  Lage,  die  abschreckende  Strafdrohung,  die  ja  bei  jeder  speziellen 
Deliktsart  auf  die  verschieden  starken  sinnlichen  Triebfedern  vom 
Gesetzgeber  sorgfältig  abgestimmt  ist,  auf  sich  wirken  zu  lassen.  In 
solcher  Schärfe  ist  dieses  Prinzip  freilich  nur  ganz  vereinzelt  im  Straf- 
recht durchgeführt  worden,  so  von  Unterholzner,  nach  dem  eine 
Strafmilderung  einzutreten  hat  für  denjenigen,  der  in  dem  Glauben 
handelte,    die    angedrohte  Strafe  sei    geringer.'     Feuerbach    hat   diese 


'  Vgl.  Arnold,  in:  Archiv  d.  Kriminalrechts,  Neue  Folge,  1843,  S.  534. 

■  Mühlenbruch,  Über  iuris  et  facti  ignorantia.  Archiv  für  zivilistische 
Praxis  Bd.  II,  1819,  S.  399,  Anm.  87.  —  Wächter,  Lehrbuch  des  Römisch- 
Teutschen  Slrafrechts  I.  Teil  Stuttgart  1825.  S.  119,  Änm.  43.  —  Der  spätere 
Feuerbachkommentator  Morstadt  nannte  das  Strafbarkeitsbewußtsein  beim 
Vorsatz  „ebenso  überflüssig,  wie  beim  Kirchendogma  die  Vernunft- 
gemäßheit".  Ausfuhr!,  krit.  Kommentar  zu  Feuerbachs  Lehrbuch.  Schaff- 
hausen  1855.    Anm.  1  zu  §  87,  S.  131. 

'  Revision  Bd.  II,  S.  44. 

*  C.  A.  D.  Unterholzner,  Jurist.  Abhandlungen.  Mit  einer  Vorrede 
von  Feuerbach.  München  1820.  S.  366.  —  Bei  Samuel  Boehmcr  findet 
sich  der  Gedanke:  omnes  poenas  iuris  positiv!  esse  und  deshalb  poenae 
ignorantia  ...  veniam  mcrctur.  Jedoch  wird  dieser  Satz  keineswegs  als 
konsequentes  Prinzip  durchgeführt,  sondern  er  erscheint  nur  in  besonders 
gelagerten  Fällen  als  eine  Handhabe,  die  harten,  der  späteren  Zeit 
unverständlichen  Strafen  früherer  Gesetze  zu  mildern.  —  Meditationes  ad 
CCC  a  179,  §  12.  Observationcs  ad  Carpzovii  Practicam.  Qu.  76,  obs.  6 
und  Qu.  149,  obs.  4.  —  Vgl.  Liepmann,  Rechtsirrtum.    Z.  Str.W.  39,  S.  548. 


204 

äußerste  Konsequenz  niemals  gezogen.  „Irrtum  oder  Ungewißheit 
bloß  über  Art  und  Größe  der  Strafe"  schließt  den  rechtswidrigen 
Vorsatz  nicht  aus  (a  39,  Abs.  2).  Bei  Feuerbach  braucht  der  Täter 
nicht  zu  wissen,  welche  spezielle  gesetzliche  Bestimmung  er  im  ein- 
zelnen übertritt,  es  genügt  vielmehr,  wenn  er  weiß,  sein  Handeln  ist 
überhaupt  vom  Gesetz  verboten.  Vom  Gesetz  ...  da  erhebt 
sich  die  neue  Frage:  denkt  hier  Feuerbach  an  das  positive  Gesetz, 
die  Bestimmungen  des  geltenden  Strafgesetzbuchs  oder  irgendeinen 
außergesetzlichen  Rechtssatz,  der  dem  geschriebenen  Recht  zugrunde 
liegt,  viel  genannt  und  doch  schwer  bestimmbar  als  die  Quelle  jener 
Pflichten  und  Bindungen,  welche  als  nur  langsam  wandelbares  ererbtes 
Gut  das  Leben  der  Menschen  beherrschen,  die  Norm  im  Bindingschen 
Sinne  „mittelbar  aus  der  Luft  des  Lebens  geatmet",  „allen  von  ihrer 
Kindheit  an  durch  die  verschiedensten  Kanäle  des  Lebens  vermittelt"?^ 
Unzweifelhaft  ist,  daß  von  dem  Boden  der  Lehre,  die  das  ganze  Strafrecht 
darauf  aufbaut,  daß  das  Strafgesetz  sich  drohend  und  abschreckend  an 
den  Verbrecher  wendet,  Feuerbach  eine  Kenntnis  eben  dieses  Gesetzes 
verlangen  müßte,  aber  ebenso  ist  unverkennbar,  daß  er  es  immer  wieder 
vermeidet,  diesen  Gedanken  klar  und  eindeutig  durchzuführen.  Das  geht 
schon  daraus  hervor,  daß  sich  bei  Feuerbach  trotz  der  zentralen  Bedeu- 
tung, die  für  ihn  das  Bewußtsein  der  Gesetzwidrigkeit  haben  muß,  nirgends 
eine  grundsätzliche  dogmatische  und  kritische  Behandlung  der  durch  die 
Wandlungen  einer  langen  Vergangenheit  schwer  belasteten  Lehre  vom 
Rechtsirrtum  findet.  Vielmehr  wird  dieses  Problem  nur  nebenbei 
berührt,  zwar  nicht  wie  im  älteren  gemeinen  Strafrecht  unter  den 
Strafmilderungsgründen,  sondern  bei  der  Bestimmung  der  Zurechnungs- 
fähigkeit. Vorsätzliches  Handeln  ist  bewußt  rechtswidriges  Wollen, 
auch  der  Culpa  liegt  letzten  Endes  ein  Vorsatz  zugrunde,  folglich 
gehört  nach  Feuerbach  zur  Imputativität,  oder,  wie  er  später  sagte, 
zur  Zurechnungsfähigkeit,  d.  h.  zu  der  „Gemütseigenschaft,  welche 
die  Strafbarkeit  eines  Menschen  begründet",  „das  Bewußtsein  der  Straf- 
barkeit der  Handlung".  Und  diese  Eigenschaft  wird  ausgeschlossen 
und  damit  die  Zurechnungsfähigkeit  hinfällig  durch  „unverschuldeten 
Irrtum  oder  Unwissenheit  in  Rücksicht  auf  das  Dasein  des  Straf- 
gesetzes überhaupt  oder  der  Subsumtion  der  Tat  unter  dasselbe." 
Das  Gesetz  bestimmt  in  a71:  „Wer  bei  einer  in  diesem  Gesetzbuch 
als  strafbar  erklärten  Handlung  seine  Unwissenheit  über  das  Dasein 
eines  Strafgesetzes  vorschützt,  wird  mit  diesem  Vorgehen  nicht 
gehört,  wenn  nicht  Blödsinn,  große  Dummheit  und  andere  dergleichen 


'  Binding,   Normen  Bd.  III,  S.  88. 

-  Lehrbuch  1.  Aufl.,  §  92  ff.  (S.  72  ff.);  7.  Aufl.,  §  84  H.  (S.  83  ff.). 


205 

Gemütsfehler  dieses  Vorgeben  unterstützen. "  ^  Diese  Bestimmung  wird 
von  der  herrschenden  Meinung  als  ein  Ausweg  aus  dem  Irrgang  der 
Feuerbachschen  Zurechnungslehre  erklärt:  Feuerbach  verlange  zum 
Vorsatz  das  Bewußtsein,  daß  die  Handlung  vom  positiven  Recht 
verboten  sei,  und  hier  werde  die  Kenntnis  der  Verbote  des 
positiven  Rechts  vom  Gesetz  bei  allen  normalen  Menschen  präsu- 
miert.' Sicherlich  entsprang  jene  Bestimmung  den  Schwierigkeiten, 
die  auf  deduktive  Methode  ermittelten  Voraussetzungen  der  Zurechnungs- 
fähigkeit dem  einzelnen  Verbrecher  gegenüber  empirisch  nachzuweisen, 
aber  andererseits  läßt  sich  gerade  an  dieser  Bestimmung  zeigen,  daß, 
soweit  Feuerbach  in  diesem  Punkte  überhaupt  zu  einer  Klarheit 
gelangte,  er  nicht  Kenntnis  des  Gesetzes,  sondern  der  .,Norm"  von 
dem  vorsätzlichen  Rechtsbrecher  erwartet.  In  diesem  Sinne  haben 
die  offiziellen  Anmerkungen  den  a  71  verstanden.  Unwissenheit  der 
Strafgesetze  heißt  es  hier,  kann  deshalb  nicht  die  Zurechnung  zur 
Schuld  ausschließen,  weil  „gemeiner  gesunder  Verstand  ohne  Kenntnis 
eines  positiven  Rechts  für  sich  allein  hinreicht,  das  Unerlaubte 
solcher  Handlungen  einzusehen".^  Hiernach  hat  jene  Bestimmung 
allerdings  einen  ganz  anderen  Sinn  als  den  einer  Präsumtion  hin- 
reichender Gesetzeskenntnis.  Der  Einwand,  man  hat  das  positive 
Gesetz  nicht  gekannt,  ist  unerheblich,  weil  es  gar  nicht  auf  positive 
Gesetzeskenntnis,  sondern  auf  das  Bewußtsein  der  Norm,  d.  h.  des 
Umstandes,  daß  die  Handlung  überhaupt  irgendwie  unerlaubt  ist,  an- 
kommt. Und  eben  diese  Kenntnis  der  Norm  wird  von  jedem  normalen 
Bürger  vorausgesetzt.  Daß  diese  Interpretation  der  Anmerkungen 
keine  Verfälschung  der  Gedanken  Feuerbachs  ist,  geht  aus  einem 
Vergleich  des  a  71  mit  der  entsprechenden  Bestimmung  in  Feuerbachs 
Entwurf  von  1810  hervor.  Hier  ist  nämlich  von  einer  solchen  Handlung 
die  Rede,  „welche  schon  an  und  für  sich  unerlaubt  und  als 
Verbrechen  in  diesem  Gesetzbuch  erklärt  wird"  (a  73  des  Entwurfs). 
Ist  also  eine  Handlung  „an  und  für  sich"  normwidrig  und  zudem  im 
Strafgesetzbuch  verboten,  so  ist  die  Berufung  auf  Unkenntnis  des 
Strafgesetzbuchs     unerheblich.       Im     Lehrbuch     hatte     Feuerbach 


*  Die  Stellung  dieses  a  unter  den  Bestimmungen  über  Fahrlässigkeit 
erklärt  sich  daraus,  daß  nach  Feuerbach  ein  erwiesener,  aber  unentschuld- 
barer Irrtum  „Culpa  durch  Unwissenheit  des  Gesetzes"  zur  Folge  hat, 
Lehrbuch  1.  Aufl.,  §  64  (S.  48  f.). 

'  Vgl.  z.  B.  Heinemann,  Zur  Dogmengcschichtc  des  Rechtsirrtums. 
Z.  Str.W.  13,  S.  392  f.  —  AI  Held,  Bedeutung  des  Rechtsirrtums  im  Straf- 
recht. Erlangcr  Rektoratsrede,  1903.  S.  9  I.  —  Ebenso  bereits  Köstlin, 
Neue  Revision  der  Grundbegriffe  des  Kriminalrechts.  Tübingen  1845.  S.  619. 
Über  Bindings  Stellung  zu  dieser  Frage  siehe  unten  S.  207. 

^  Anmerkungen  zum  Strafgesetzbuch  Bd.  I,  S.  200  f. 


206 

ursprünglich  die  Zurechnungsfähigkeit  überhaupt  beim  Vorhandensein 
einer  „dem  Gesetz  äußerlich  widersprechenden  Tat  ...  so  lange  ver- 
mutet, bis  das  Gegenteil  erwiesen  ist".  Hn  Stelle  einer  Begründung 
trat  lediglich  der  ebenso  kurze  wie  nichtssagende  Hinweis:  „aus  ähn- 
lichen Gründen,  aus  welchen  auch  Dolus  vermutet  werden  muß".^ 
In  den  späteren  Auflagen  wird  diese  generelle  Vermutung  der 
Zurechnungsfähigkeit  spezialisiert  und  dabei  mit  dem  Bewußtsein 
der  Rechtswidrigkeit  begonnen:  „Von  jeder  mit  Verstand  begabten 
Person  wird  im  allgemeinen  als  rechtlich  gewiß  angenommen,  daß 
sie  mit  den  Strafgesetzen  bekannt  sei."  Man  denkt  zunächst, 
hier  sei  im  Sinne  der  herrschenden  Auslegung  eine  Kenntnis  der 
positiven  Strafgesetze  gemeint,  findet  aber  in  einer  Anmerkung, 
daß  Feuerbach  den  anscheinend  einfachen  und  unzweideutigen  Sinn 
jenes  Satzes  erheblich  modifiziert.  Hier  heißt  es  mit  dem  Hinweis 
auf  vielzitierte  Stellen  des  römischen  Rechts:"  „Diese  Regel  gilt  ohne 
Ausnahmen  bei  denjenigen  Verbrechen,  welche  juris  gentium  sind, 
d.  h.  an  und  für  sich  rechtswidrige  oder  moralische  schänd- 
liche Handlungen  und  schon  naturali  ratione  als  unerlaubt 
betrachtet  werden  müssen,  sodaß  in  Ansehung  dieser  die  ignorantia 
juris  selbst  den  Personen  nicht  zustatten  kommt,  welchen  sonst  die 
Rechtsunwissenheit  verziehen  wird.  Bei  solchen  Handlungen,  welche 
nur  nach  den  besonderen  Gesetzen  eines  bestimmten  Staates  (jure 
civili)  Verbrechen  sind  (wohin  alle  rein  polizeilichen  Übertretungen 
gehören),  kommt  die  Rechtsunwissenheit  wenigstens  den  zuletzt 
erwähnten  Personen  zugut."^  Und  durchaus  im  Sinne  dieser  Gedanken 
sprechen  die  späteren  Auflagen  bei  dem  eine  Zurechnung  zur  Schuld 
ausschließenden  Irrtum  nicht  wie  in  der  früheren  Fassung  von  „Irrtum 
oder  Unwissenheit  in  Rücksicht  auf  das  Dasein  des  Strafgesetzes", 
sondern  von  „Irrtum  und  Unwissenheit  in  Ansehung  der  Rechts- 
widrigkeit  und   Gefährlichkeit   der  Handlung".^ 

Man  hat  es  bereits  damals  erkannt,  daß  Feuerbach  mit  diesen 
Worten  den  Folgerungen,  die  er  aus  seiner  Strafrechtstheorie  hätte 
ziehen  müssen,  untreu  wird  und  sich  zu  dem  Gedanken  bekennt,  daß 
das  Verbrechen  nicht  als  Strafgesetzwidrigkeit,  sondern  als  Verletzung 
von  Pflichten,  die  in  außergesetzlichen  Normen  begründet  sind,  bestraft 
wird.     Rosshirt^  nennt  jene    Bemerkung  Feuerbachs    „vielleicht   die 

*  Lehrbuch  1.  Aufl.,  §98  (S.  77);  7.  Aufl.,  §90  (S.  90).  —  Über  die 
pracsumtio  doli  vgl.  unten  S.  208  ff. 

M.  7,  §  4  D  2,  1;   1.  39,  §  2,  4,  7  D  48,  5;   1.  2  C  2,  6;   1.  4  C  5,  5. 
'  Lehrbuch  9.  Aufl.,  1826,  §  86,  Anm.  a,  S.  80  f. 

*  Ebendort  §  90  (S.  69). 

'  Rosshirt,  In  welchen  Fällen  kann  sich  der  Verbrecher  mit  Unkenntnis 
des  Rechts  entschuldigen?    Neues  Archiv  des  Kriminalrechts  Bd.  IX,  S.  491  ff. 


207 

wichtigste  neue  Erklärung  in  dem  ganzen  Feuerbachschen  Buche", 
so  sehr  sie  „mit  den  Resultaten  seiner  philosophischen  Entwicklungen 
im  Widerspruche  steht ".^  Rosshirt  sieht  in  ihr  ein  Zugeständnis 
Feuerbachs  zu  dem  Gedanken,  daß  die  allgemeine  Grundlage 
der  Verbrechen  ihre  „grobe  Rechtswidrigkeit  und  besondere 
moralische  Schändlichkeit  sei",  deren  sich  jeder  normale  Mensch 
ohne  Kenntnis  des  Buchstabens  des  Gesetzes  bewußt  ist,  während  in 
den  meisten  Fällen  der  Verbrecher  die  positive  Strafdrohung  gar 
nicht  zu  kennen  braucht. 

Das  Ergebnis  dieser  Untersuchungen  ist  folgendes:  Dogmatisch 
läßt  sich  aus  den  Gedanken  der  Feuerbachschen  Strafrechtstheorie 
nur  ein  Dolus-Begriff  ableiten,  der  das  Bewußtsein  der  Straf- 
gesetzwidrigkeit im  Sinne  eines  Verstoßes  gegen  ein  Verbot 
des  positiven  Gesetzes  als  notwendigen  Bestandteil  in  sich  schließt. 
Aber  historisch  stellen  sich  die  Dinge  so  dar,  daß  Feuerbach 
selbst  diese  Konsequenz  nicht  gezogen  hat,  sondern  nur  eine 
Kenntnis  des  außergesetzlichen  Verbots,  des  „an  und  für 
sich"  Unerlaubten  der  Handlungsweise  des  Täters  zur  Bedingung 
der  Zurechnung  zum  Vorsatz  gemacht  hat. 

In  dieser  Feststellung  liegt  zugleich  eine  Präzisierung  des  Stand- 
punkts gegenüber  der  Ansicht  Bin  ding  s  über  den  Einfluß,  den 
Feuerbach  auf  die  Lehre  vom  Rechtsirrtum  ausgeübt  hat."  Binding 
glaubt,  Feuerbach  habe  mit  seiner  psychologischen  Zwangstheorie, 
durch  welche  dem  Strafgesetz  „die  gesetzlich  bis  dahin  nie  dagewesene 
Funktion  zugewiesen  wird,  durch  die  angedrohte  Strafe  die  Verbrecher- 
neigung zu  paralysieren",^  eine  völlige  Verderbnis  der  italienischen 
und  älteren  gemeinrechtlichen  Irrtumslehre  verschuldet  durch  jene 
„perverse  Vorstellung",  als  gehöre  zum  Vorsatz  das  Bewußtsein 
der  Strafgesetzwidrigkeit.  Und  „so  traten  nun  an  Stelle  der 
so  einfachen,  leicht  verständlichen  und  allgemein  verstandenen  pflicht- 
begründenden Rechtssätze  die  komplizierten  Strafgesetze,  die  nun  die 
armen  Rechtsgenossen  aufs  Haar  scharf  auslegen  mußten".^  Gewiß, 
diese  Folgerung  hätte  Feuerbach  konsequenterweise  aus  seiner  Theorie 
ziehen  müssen.  Tatsächlich  aber  hat  Feuerbach  niemals  das 
Bewußtsein  des  positiven  Strafgesetzes,  sondern  lediglich  die 
Kenntnis  des  pflichtbegründenden  Rechtssatzes,  der  Norm, 
im  Sinne   Bin  ding  s   verlangt!     Damit   entfällt   der  Vorwurf  Bindings 

»  Ebendort  S.  496. 

*  Binding,  Über  den  Irrtum  bei  Delikten.  Zuerst:  Gerichtssaal  81, 
S.  19  If.     Nun:  Strafrcchti.  und  strafprozessuale  Abhandl.  Bd.  I,  S.  403  ff. 

«  Ä.  a.  O.  Abhandl.  Bd.  I,  S.  416. 

*  Ebendort  S.  417. 


208 

in  bezug  auf  den  verhängnisvollen  Einfluß,  den  Feuerbach  auf  die 
dogmengeschichtliche  Entwicklung  der  Vorsatz-  und  Irrtumslehren 
gehabt  haben  soll.  Bindings  eigene  Darstellung  läßt  an  anderer  Stelle^ 
erkennen,  wie  Feuerbach  alle  Mittel  anwendet,  um  den  Folgerungen 
seiner  Theorien  für  die  Praxis  zu  entfliehen.  Dabei  hält  Binding  jene 
Bestimmung,  der  Einwand,  man  habe  das  positive  Gesetz  nicht  gekannt, 
sei  in  der  Regel  nicht  zu  hören,  für  eine  Präsumtion  des  Bewußtseins 
der  Strafgesetzwidrigkeit  und  für  ein  künstliches  Mittel,  den  —  falschen  — 
Irrtumsbegriff   „kriminalistisch  unschädlich"  zu  machen. 

Somit  spielt  in  die  Probleme  des  Rechtsirrtums  jene  weitere  Kom- 
plikation der  gesetzlichen  Regelung  der  Feuerbachschen  Schuldformen 
hinein:  die  Praesumtio  doli.  Der  a  43  bestimmt:  „Bei  einer  wider 
eine  Person  erwiesenen  gesetzwidrigen  Tat  wird  gesetzlich  angenommen, 
daß  dieselbe  aus  rechtswidrigem  Vorsatz  gehandelt  habe,  sofern  nicht  aus 
den  besonderen  Umständen  die  Gewißheit  oder  Wahrscheinlichkeit  des 
Gegenteils  sich  ergibt."  Diese  Bestimmung,  die  sich  als  Abnormität  aus- 
nimmt in  einem  Strafgesetzbuch,  das,  aus  dem  Schöße  der  Aufklärungszeit 
entstanden,  dem  Rechtsgedanken  im  Strafrecht  in  besonderem  Maße  zu 
dienen  bestimmt  schien,  ist  zu  erklären  aus  der  Enge  und  den  Nöten 
des  formalen  Beweisrechts.  Solange  man  nur  ein  Geständnis  oder 
zwei  klassische  Zeugen  für  Beweismittel  von  genügender  Zuverlässigkeit 
hielt,  um  daraufhin  einen  Menschen  verurteilen  zu  können  —  ein 
Standpunkt,  dem  grundsätzlich  das  Bayerische  Strafgesetzbuch 
von  1813  noch  huldigte" — ,  mußte  man  wie  zum  Beispiel  Kleinschrod 
verlangen,  daß  der  Vorsatz  als  ein  Faktum  der  Innenwelt  in  jedem 
einzelnen  Falle  nur  durch  Geständnis  bewiesen  werden  kann.^  Nun 
drängten  aber  die  Bedürfnisse  der  Strafrechtspflege  gerade  beim  Nach- 
weis der  Schuld  auf  Zulassung  eines  Indizienbeweises.  Schon  im 
Regensburger  Reichsabschied  von  1594  wird  die  Praxis,  daß  die 
Verurteilung  wegen  Landfriedenbruchs  „nicht  allweg  dolus  dermaßen 
erfordert,  daß  er  eben  im  Buchstaben  also  erzehlet  werde,  sondern 
genugsam  sey,  wann  das  Factum  an  ihm  selbst  strafwürdig", 
in  dem  Sinn  erklärt,  daß  „sintemal  solcher  dolus  in  mente  delinquentis 
beruhet  und  derwegen  schwerlich  directe  zu  probiren,  derselbe 
aus  den  Umständen  der  Tathandlung,  ex  perspicuis  indiciis  et 
evidentia    ipsius    facti    könne    und    möge    erwiesen    werden"    (§  69). 


'  Binding,  Normen  Bd.  III,  S.  106  ff.  und  253  H. 

*  IL  Teil,  a  260.  Über  die  —  nur  unvollständige  —  Anerkennung  des 
Indizienbeweises  siehe  oben  S.  195. 

^  Syst.  Entwicklung  der  Grundbegriffe  des  peinlichen  Rechts  2.  Aufl., 
I.  Teil,  S.  60.    Vgl.  oben  Kap.  IV,  S.  154. 


209 

„Der  Vorsatz,  heißt  es  ähnlich  später  bei  Quistorp/  kann  keiner 
Okular -Inspektion  unterworfen  sein,  sondern  nur  aus  den  Um- 
ständen geschlossen  werden."  Hierbei  erschien  als  wichtigstes 
Indiz,  daß  der  Täter  die  rechtswidrige  Handlung  ausgeführt  hat,  und 
diese  Erfahrungstatsache  fand  Ausdruck  in  dem  Gedanken,  daß  bei 
einem  begangenen  und  erwiesenen  Verbrechen  der  Vorsatz  zu  vermuten 
sei."  Grolman  hat  dann  diesem  Gedanken  einer  Praesumtio  doli  noch 
einmal  eine  „zeitgemäße"  theoretische  Begründung  zu  geben  versucht: 
Charakteristisches  Merkmal  des  Menschen  ist  seine  Willkür,  und  da 
man  grundsätzlich  jeden  Menschen  bis  zum  Beweis  des  Gegenteils 
als  Menschen  mit  menschlichen  Eigenschaften  betrachten  müsse,  so 
müsse  man  auch  von  demjenigen,  der  eine  bestimmte  Tat  vollbracht 
hat,  annehmen,  er  habe  sie  willkürlich,  also  vorsätzlich  vollbracht. 
Das  sei  für  den  Richter  „viel  beruhigender",  als  wenn  man  von  ihm 
einen  Beweis  für  den  Dolus  verlangen  sollte.  Man  müßte  sonst 
nach  Kleinschrod  ein  freies  Bekenntnis  zum  Nachweis  des 
Dolus  fordern.^  Von  Grolman  übernahm  Feuerbach,  wiewohl  er 
sonst  den  Begriff  der  Willkür  als  Merkmal  menschlichen  Handelns 
ablehnte,  den  Satz:  Facta  laesione  praesumitur  dolus,  donec  probetur 
contrarium.*  Die  weitere  Entwicklung  dieses  Prinzips  ist  dadurch 
gekennzeichnet,  daß  jenes  trügerische  theoretische  Gewand  bekämpft 
wird,  dagegen  seine  wahre  Bedeutung  im  Sinne  einer  Zulassung 
des  Indizienbeweises  für  den  Nachweis  des  Vorsatzes  immer  mehr 
zutage  tritt. 

Die  offiziellen  Anmerkungen  zum  Strafgesetzbuch  gaben  bei  a  43 
eine  ausführliche  Anweisung  zu  einem  Indizienbeweis  des  Vorsatzes 
aus  den  Umständen  der  Tat,  wobei  der  Richter  auf  Art  und  Umfang 
der  Mittel,  die  Verhältnisse  bei  Begehung  der  Tat  achten  und  so  „die  Tat 
nach  der  äußern  Erscheinung  in  ihrem  vollständigen  Zusammen- 
hange nach  allen  Umständen  und  Verhältnissen  abwägen"  soll,  um 
hieraus  Dasein,  Stärke   und  Umfang  des  rechtswidrigen  Vorsatzes  zu 


'  Quistorp,  Grundsätze  des  deutschen  Peinlichen  Rechts  Bd.  I.  In 
der  von  Klein  besorgten  6.  Aufl.  (1810),  §  34,  Anm.  e  (S.  53). 

^  Quistorp  weist  hier  auf  Stellen  des  römischen  Rechts  und  Carpzovs 
hin,  die  aber  keineswegs  den  Sinn  einer  allgemeinen  Praesumtio  doli  haben. 
L.  1  C.IX,  16:  Crimen  contrahilur,  si  et  voluntas  nocendi  intercedat.  Carpzov 
denkt  an  die  durch  Verheimlichung  der  Schwangerschaft  begründete  Vermutung 
zugunsten  des  Vorsatzes  des  Kindesmords:  ex  actu  enim  clandestino  dolus 
et  malus  animus  agentis  praesumitur.    Nov.  Pract.  Qu.  15,  Nr.  51. 

"  Grolman,  Wird  Dolus  vermutet?  Bibliothek  für  peinliches  Recht 
I.  Teil,  2.  Stück,  S.  70  ff. 

*  Lehrbuch  1.  Aufl.,  §  68  (S.  54). 

14 


210 

ermitteln.^  Worin  die  besonderen  Umstände  bestehen,  welche  den 
Schluß  auf  das  Vorhandensein  des  Dolus  gestatten,  hat  Borst  im 
einzelnen  näher  dargestellt.  Eine  praesumtio  doli  könnte  —  meint 
Borst  —  nur  bedeuten:  „Der  böse  Vorsatz  wird  aus  der  bösen  Tat 
vermutet,  wenn  sie  so  beschaffen  ist,  daß  derselbe  daraus 
vermutet  werden  kann.""  Damit  war  die  Grolmansche  Theorie 
von  der  Vermutung  zugunsten  eines  willkürlichen  Handelns  der 
Menschen  preisgegeben,  wie  dies  vor  Borst  bereits  Wening  nach- 
gewiesen hatte.*  Auch  Tittmann  suchte  zu  scheiden  zwischen  solchen 
Umständen  der  Tat,  die  zur  Annahme  von  Dolus  berechtigen  und 
solchen,  die,  wie  eine  besonders  unglückliche  Verkettung  einzelner 
Momente  und  ein  völlig  atypischer  Kausalverlauf,  lediglich  Culpa 
vermuten  lassen.* 

Feuerbach  selbst  nahm  in  späteren  Auflagen  seines  Lehrbuchs' 
die  praesumtio  doli  in  der  früheren  Form  „gern  zurück"  und  brachte 
nunmehr  klar  und  unzweideutig  zum  Husdruck,  daß  die  besondere 
Hrt  des  Verschuldens  (Dolus  oder  Culpa),  „ohne  daß  es  dafür 
eines  besondern  direkten  Beweises  bedürfte",  lediglich  nach 
dem  Vorhandensein  von  Indizien  dreifacher  Art:  Beschaffenheit  der 
Handlung,  Verhältnis  von  Handlung  und  Erfolg  sowie  besondere  vor, 
mit  oder  nach  der  Handlung  selbst  eingetretene  Umstände  zu  beurteilen 
sei.  Und  zwar  glaubte  Feuerbach  mit  diesem  Gedankengang  im 
Einklang  zu  stehen  sowohl  mit  dem  Regensburger  Reichsabschied 
von  1594  als  auch  jenen  Stellen  des  römischen  Rechts,  die  man 
gemeinhin  zur  Begründung  des  praesumtio  doli  heranzog.*' 


'  Anmerkungen  zum  Strafgesetzbuch  Bd.  I,  S.  154.  Die  betreffenden 
Worte  sind  im  Original  gesperrt!  —  Die  Polemik  Oersteds,  Grundregeln 
der  Strafgesetzgebung  S.  305  ff.,  gegen  die  Interpretation  der  Motive  beruht 
auf  der  unklaren  Unterscheidung  Oersteds  zwischen  der  Vermutung  einer 
willkürlichen  Handlungsweise  (so  angeblich  Motive)  und  der  Ver- 
mutung zugunsten  der  Vollbringung  eines  Verbrechens  aus  bösem  Vorsatz 
(so  angeblich  Feuerbach). 

-  Borst,  Über  den  Beweis  des  bösen  Vorsatzes.  Neues  Archiv  II, 
S.  434  H.,  insbesondere  S.  436.    Im  Original  gesperrt! 

^  Wening,  Über  die  Vermutung  des  bösen  Vorsatzes  nach  dem  römischen 
Recht.    Neues  Archiv  II,  S.  194  ff. 

*  Tittmann,  Handbuch  der  Strafrechtswissenschaft  und  der  deutschen 
StrafgesGtzkunde  I.  Bd.,  §  94,  2.  Aufl.    Halle  1822.    S,  184  f. 

'  Lehrbuch  IX.  Aufl.,  1826,  §  87  (S.  81). 

°  L.  24  C.  IX,  22  handelt  von  der  Beweislast  in  zivilen  oder  strafrecht- 
lichen Urkundenprozessen,  1.  5  C.  IX,  35  erklärt  beim  Beweis,  man  habe 
eine  beleidigende  Äußerung  nicht  convicii  consilio  getan,  befreie  die  Glaub- 
würdigkeit dieser  Tatsache  von  der  Calumnienklage.  Zu  1.  1  C.  IX,  16  vgl. 
oben  S.  209,  Anm.  2. 


211 

So  zeigt  sich  in  bezug  auJ  Feuerbachs  Dolus-Präsumtion,  wie  es 
Heinrich  Es  eher,  der  Schweizer  Freund  Feuerbachscher  Ideen, 
1822  schon  vor  jener  Änderung  in  der  Darstellung  des  Lehrbuchs 
aussprach,  „bei  genauer  Einsicht  .  .  .,  daß  der  Streit  mehr  die  Worte 
als  die  Sache  beb-ifit".'  Denn  „eigentlich",  meint  Mittermaier, 
Eschers  Urteil  zustimmend,  „liegt  nur  die  Frage  zum  Grunde, 
ob  auch  der  Vorsatz  durch  Schlußfolgerungen  erwiesen 
werden  könne,  was  wohl  schwerlich  geleugnet  werden  kann"." 

Damit  erweist  sich  die  Vorsatzvermutung  als  ein  Versuch,  das 
formale  Beweisrecht  zu  durchbrechen,  nicht  im  Sinne  einer  Beschränkung 
des  Beweises,  sondern  zugunsten  seiner  freieren  Husgestaltung.  Ihr 
Sinn  läßt  sich  in  den  Satz  fassen:  Die  Art  und  Weise,  in  der  die 
Tat  begangen  wurde,  kann  ein  Indiz  für  den  Vorsatz  des 
Täters  bilden.  Indem  Rechtspflege  und  Doktrin  diese  Folgerung 
jenes  Satzes  immer  schärfer  herausarbeiteten,  erweist  sich,  so  paradox 
das  klingen  mag,  die  gesetzliche  Vorsatzvermutung  des  a  43 
als   erster  Schritt   zur  Anerkennung  der  freien  Beweiswürdigung. 

Freilich  barg  die  Formulierung  jenes  Gedankens  in  der  Form 
einer  gesetzlichen  Präsumtion  bedenkliche  Gefahren.  Daß  dadurch  die 
Beweislast  beeinflußt  und  etwa,  wie  noch  bei  Ouistorp,  dem  Inquisiten 
die  Pflicht  auferlegt  wird,  Tatsachen,  welche  gegen  seinen  Vorsatz 
sprechen,  zu  beweisen  oder  doch  als  wahrscheinlich  darzustellen,'' 
war  allerdings  nach  den  Grundsätzen  des  späteren  gemeinen  Prozeß- 
rechts ausgeschlossen,  da  hierdurch  dem  Richter  in  vollem  Umfang  der 
Nachweis  aller  für  die  Unschuld  des  Angeklagten  sprechenden  Momente 
oblag.^  Aber  eine  verständnisvolle  Handhabe  des  Indizienbeweises 
war  nur  in  den  Fällen  möglich,  wo  das  Gesetz  selbst  wie  in  a  43  von 
einer  Widerlegung  seiner  Vermutung  durch  eine  aus  den  Umständen 
sich  ergebende  Gewißheit  oder  Wahrscheinlichkeit  des  Gegen- 
teils sprach.  Dagegen  führt,  wie  es  Arnold^  erkannte,  diese  Vermutung 
zu  einem  unzulässigen  Abschneiden  des  eigentlichen  Beweises,  zu  einer 
Verdachtstrafe,    wenn    der  Gegenbeweis   gegen    die  Vermutung   des 


'  Escher,  Vier  Abhandlungen  über  Gegenstände  der  Strafrechts- 
wissenschaft.   Zürich  1822.    S.  164. 

-  Mittermaier,  in:  Neues  Archiv  des  Kriminalrechts  VI,  S.  355. 
Vgl.  auch  Mittermaier,  Lehre  vom  Beweise.     1834.    S.  145  f. 

'  Quistorp,  Grundsätze  des  deutschen  Peinlichen  Rechts  6.  Aufl. 
1810.    §  34,  Anm.  e  (S.  53). 

*  Bayerisches  Strafgesetzbuch  Teil  II,  a  107.  —  Feuerbach,  Lehrbuch 
1.  Aufl.,  §624  und  646  (S.  488  und  502);  9.  Aufl.,  §600  und  623  (S.  495 
und  511).  —  Martin,  Lehrbuch  des Teutschen  gemeinen  Kriminalprozesses. 
1812.    §  14,  S.  20f.  —  Mittermaier,  Lehre  vom  Beweise.    1834.    S.  141  H. 

'"  Archiv  des  Kriminairechts.    Neue  Folge,  1843.    S.  532. 

14* 


212 

Gesetzes  an  bestimmte  Bedingungen  geknüpft  oder  gar  völlig  aus- 
geschlossen ist.  Das  ist  ganz  allgemein  in  zwei  Fällen  so,  in  denen 
sich  letzte  Nachwirkungen  des  kanonisch-italienischen  Satzes  Versanti 
in  re  illicita  imputantur  omnia  quae  sequuntur  ex  delicto  noch  bei 
Feuerbach  bemerkbar  machen.  Einmal  wird  von  dem,  der  mit 
verbrecherischer  Absicht  eine  Handlung  unternahm,  die  sowohl 
eine  leichtere  als  eine  schwerere  Rechtsverletzung  zur  Folge  haben 
kann,  unter  Ausschluß  des  Gegenbeweises  angenommen,  daß 
sein  Vorsatz  sich  auch  auf  das  schwerere  Delikt  erstreckte  (a  41)  — 
entsprechend  dem  Feuerbachschen,  auf  mehrere  Rechtsverletzungen 
derselben  Gattung  alternativ  gerichteten  dolus  eventualis.^  Ferner  wird, 
wenn  die  Handlung  erwiesenermaßen  beabsichtigt  war,  auch 
ihr  voraussehbarer  Erfolg  dem  Täter  als  beabsichtigt  zugerechnet, 
eine  Vermutung,  die  nur  „durch  klare  Beweise"  ausgeschlossen 
werden  kann  (a  44).  Eine  verhängnisvolle  Verirrung  bedeuten  die 
gesetzlichen  Schuldpräsumtionen  bei  den  Bestimmungen  über  den 
Kindesmord.  Hier  hat  der  Gedanke,  daß  Verheimlichung  der 
Schwangerschaft  eine  Vermutung  für  den  Vorsatz  der  Abtreibung 
oder  des  Kindesmords  begründe  in  Verbindung  mit  der  Lehre  von 
dem  eine  außerordentliche  Strafe  begründenden  Mangel  am  Tat- 
bestand zur  Aufstellung  einer  grauenvollen  Skala  von  nach  den 
Graden  mehr  oder  minder  vollkommener  Gewißheit  abgestuften  Ver- 
dachtstrafen von  1 — 2  jährigem  Arbeitshaus  bei  bloßer  Verheimlichung 
der  Schwangerschaft  und  Beiseiteschaffen  der  toten  Leibesfrucht  bis  zu 
Zuchthaus  auf  unbestimmte  Zeit  bei  vollem  Beweise  des  Kindesmords, 
ja  in  qualifizierten  Fällen  der  Todesstrafe  geführt."  Ein  Rigorismus, 
der  um  so  erstaunlicher  ist,  als  Feuerbach  seit  der  ersten  Auflage 
seines  Lehrbuchs  die  eine  mildernde  Beurteilung  des  Kindesmords 
bedingenden  besonderen  psychologischen  Momente  berücksichtigte.^ 
Wie  kaum  bei  irgendeiner  anderen  Bestimmung  tritt  hier  die  Härte  des 
Abschreckungsprinzips  im  Bayerischen  Strafgesetzbuch  von  1813  zutage. 


»  Lehrbuch  1.  Aufl.,  §66  (S.51);  Lehrbuch  9.  Aufl.,  §59  (S.  56  f.).  — 
Ein  Vergleich  des  Gesetzes  mit  dem  Entwurf  von  1810,  a  43,  widerlegt 
die  Vermutung  Löfflers,  Schuldformen  1,  S.  243,  die  beweisrechtliche 
Sonderbehandlung  des  bei  Feuerbach  „rein  matericllrechtlichen 
Begriffs  dieser  Dolus -Art"  sei  ein  Werk  der  Kommission.  Damit  ver- 
mindert sich  der  von  Löffler  gerügte  Gegensatz  zwischen  den  materiellen 
Dolus -Begriffen  Feuerbachs  und  der  Darstellung  der  Anmerkungen,  die 
„alles  vom  Standpunkt  des  Beweises"  auffassen. 

^  a  157  ff. 

'  Lehrbuch  l.Aufl.,  §271  (S.  211):  Furcht  vor  Schande,  Schwächung 
der  höheren  Gemütskräfte,  noch  mangelnde  Stärke  des  Instinkts  der 
mütterlichen  Liebe. 


213 

Ruch  über  diese  besonderen  Bestimmungen  des  Kindesmords 
hinaus  hat  die  Regelung  der  Schuldformen  im  Feuerbachschen  Straf- 
gesetzbuch nicht  glücklich  in  der  Rechtspflege  gewirkt.  ^Es  wird 
kaum  eine  Materie  des  Bayerischen  Strafgesetzbuchs  geben,  heißt  es 
bei  Arnold,  welche  den  Praktikern  mehr  Zweifel  erregte,  als  die  vom 
Dolus  und  der  Vermutung  desselben."^  Es  blieb  nicht  aus,  daß  allzu 
strenge  Richter  —  „Rigoristen,  welche  das  Heil  der  Justiz  und  des 
Staates  in  häufigen  und  strengen  Strafen  suchen"  —  glaubten,  nur 
bei  zwingenden  Gegengründen  von  der  Vermutung  des  Vorsatzes 
abgehen  zu  dürfen."  Doch  bildete  sich  allmählich  eine  mildere  Praxis 
aus,  die  auch  dort,  wo  das  Gesetz  den  Gegenbeweis  ausschloß,  analog 
dem  a  44  „klare  Beweise"  zuließ  und  den  Begriff  „klare  Beweise" 
möglichst  weit  im  Sinne  einer  „großen  Wahrscheinlichkeit"  faßte.^ 
Arnold  selbst  hat  versucht,  die  Dolus-Lehre  des  Gesetzes  in  der  in 
Geltung  befindlichen  Form  in  allgemeinen  Linien  herauszuarbeiten. 
Er  unterscheidet  dabei  den  für  den  Vorsatz  wesentlichen  Irrtum  über 
tatsächliche  Verhältnisse  und  Umstände,  das  Bewußtsein, 
daß  die  Handlung  Strafe  verdient  habe,  wobei  eine  Kenntnis  des 
speziellen  Strafgesetzes  nicht  erforderlich  ist  und  schließlich  die 
kausale  Bedeutung  des  Willens  für  die  Tat  und  die  Reflexion 
über  mögliche  Folgen  der  Tat.  Nur  in  bezug  auf  diese  letzten 
beiden  Punkte  gestattet  das  Gesetz  eine  Vermutung  des  Vorsatzes 
im  Sinne  eines  durch  die  gesamten  zutage  getretenen  besonderen 
Umstände  und  Verhältnisse  des  Einzelfalls  gerechtfertigten  Rückschlusses 
auf  das  Innenleben  des  Täters.* 

Ging  aus  solchen  Untersuchungen  hervor,  welch  unendliche  Mühe 
es  kostete,  mit  der  Feuerbachschen  Regelung  der  Schuldformen  aus- 
zukommen, so  war  es  doch  offenbar  schwer,  eine  grundsätzliche 
Neuordnung  zu  schaffen.  Gönner  vermied  es  in  seinem  Entwurf, 
den  Dolus  zu  definieren,  behielt  aber  die  Vermutung  des  Vorsatzes 
in  alter  Weise.  Beim  Kindesmord  wurde  die  Verdachtstrafe  zwar 
nicht  ausgemerzt,  aber  eingeschränkt  und  mildernde  Umstände  vor- 
gesehen (a  243  des  Entwurfs  von  1822).  Entwicklungsfähig  erwies 
sich  die  gesetzgeberische  Ausgestaltung  der  Schuldformen  Feuerbachs 
nicht.  Ernüchtert  und  in  einer  empfindlichen  Reaktion  auf  die  Jahr- 
zehnte, in  denen  Feuerbachs  dogmaüsche  Requisite  die  Strafrechtspraxis 
hemmend  und  beengend  beherrscht  hatten,  brach  man  die  Entwicklung 
schließlich  radikal  ab.     a  1   des  Gesetzes  vom   29.  August   1848  hob 


'  Archiv  des  Kriminalrechts.    Neue  Folge,  1843.    S.  522. 
'  Ebendort  S.  529. 
»  Ebendort  S.  534. 
*  Ebendort  S.  524  ff. 


214 

alle  Bestimmungen  des  Strafgesetzbuchs  über  Dolus  und  Culpa  auf 
und  bestimmte  statt  dessen: 

„Ob  eine  dem  Strafgesetze  äußerlich  zuwiderlaufende  Handlung 
vorsätzlich  begangen  worden  oder  ob  dem  Täter  desfalls  Fahrlässigkeit 
oder  kein  Verschulden  zur  Last  fällt,  gehört  zur  Tatfrage  und  ist 
nach   den  Umständen   zu   beurteilen." 

Das  Äbschreckungsprinzip  Feuerbachs  und  seine  einseitige  Bevor- 
zugung des  Gedankens  der  Generalprävention  sind  auch  für  das 
Strafensystem  des  Bayerischen  Strafgesetzbuchs  bestimmend  gewesen. 
Nicht  die  Rücksicht  auf  die  Individualität  des  einzelnen  Falles  sollte 
das  Maß  der  Strafe  bestimmen,  sondern  der  Richter  hatte  durch 
Subsumtion  unter  den  bestimmten  Tatbestand  zu  ermitteln,  welche 
Strafe  aus  der  nach  Art  und  Größe  vom  Gesetzgeber  sorgsam 
abgestuften  Skala  für  solche  Verbrechen  angedroht  war.  Denn  die 
wichtigste  Wirksamkeit  der  Strafe  sollte  in  der  die  sinnliche  Triebfeder 
abschreckend  beeinflussenden  gesetzlichen  Drohung  bestehen.  Die 
Unbiegsamkeit  und  Härte  der  gesetzlichen  Strafrahmen  trat  dabei  am 
schroffsten  in  der  „terroristischen  Mathematik  der  Rückfall- 
Strafen"^  zutage.  Jede  neue  Begehung  eines  Delikts,  wegen  dessen 
der  Täter  bereits  bestraft  war,  bewirkte  automatisch  eine  weitere 
Erhöhung  der  gesetzlich  angedrohten  Strafe  (a  1 11  ff.). 

An  der  Spitze  des  Strafensystems  steht  die  Todesstrafe.  In 
einem  Gesetzbuch  der  Aufklärungszeit  nichts  Selbstverständliches. 
Feuerbachs  Ausführungen  über  die  Todesstrafe-  setzen  sich  keineswegs 
mit  allen  Argumenten  der  Gegner,  die  sich  um  Beccarias  Namen 
geschart  hatten,  auseinander,  ja,  es  wird  erzählt,  er  habe  schließhch 
in  dem  großen  Kulturkampf  der  Aufklärung  um  Humanisierung  des 
Strafrechts  auch  diese  letzte  Schranke  aufgegeben  und  sich  am  Ende 
überzeugt,  „daß  dieTodesstrafe  als  unrechtmäßiges  Strafmittel  abzuschaffen 
sei"."'  Bei  der  Reform  der  bayerischen  Strafgesetzgebung  fürchtete  er 
einen  plötzlichen  unvorbereiteten  Übergang  „von  einem  System  voll 
von    Todesstrafen,    zum  Teil    qualifizierten  Todesstrafen    zu   einem 


'  Berner,  Strafgesetzgebung  in  Deutschland  S.  91.  Die  gesetzlichen 
Bestimmungen  über  den  Rückfall  waren  zudem  schwerfällig  und  kompliziert 
gefaßt.  Die  Anmerkungen  bemühten  .sich  vergebens,  allgemeine  Prinzipien 
herauszuarbeiten,  wobei  sie  für  den  Gedanken,  daß  die  den  Rückfall  begründende 
Straftat  mit  dem  Tatbestand  der  Vortat  identisch  sein  muß,  den  Begriff  der 
„respektiven  Identität"  prägten. 

^  Der  Tod  ist  das  größte  Übel  und  die  abschreckendste  Strafe.  Bibl. 
für  peinliches  Recht  2.  Bd.  Göttingen  1880.  S.  244  f.  —  Kritik  des  Klein- 
schrodischen  Entwurfs  2.  Teil,  S.  163  ff.;  S.Teil,  S.  164  ff.  —  Leben  und 
Wirken  Bd.  I,  S.  232  ff. 

'  Leben  und  Wirken  I,  S.  232,  Anm. 


215 

System  ohne  alle  Todesstrafen,  von  der  höchsten  Strenge  zu  der 
höchsten  Milde"  und  die  Besorgnis  vor  einer  demoralisierenden 
Wirkung  einer  radikalen  Aufhebung  aller  Todesstrafen  bestimmte  ihn, 
sich  „für  die  Todesstrafe  zu  erklären  und  ihre  Abschaffung  wenigstens 
jetzt  für  das  gefährlichste  Wagstück  zu  halten,  das  an  Bayern  versucht 
werden  könnte":  Bayern  würde  „ebenso  plötzlich  von  Verbrechern 
überschwemmt  werden,  als  es  die  Todesstrafe  abgeschafft  hat"/  Diese 
Gedanken  sprachen  weniger  zugunsten  der  Todesstrafe  als  gegen  ihre 
sofortige  Abschaffung.  Zum  Anhänger  der  Todesstrafe  machte  ihn 
seine  Äbschreckungstheorie.  Die  Drohung  mit  dem  Tode  als  dem 
stärksten  sinnlichen  Übel  schien  ihm  geeignet,  auf  den  stärksten  Trieb 
des  Menschen,  den  Selbsterhaltungstrieb  zu  wirken  und  darum  als 
abschreckendste  Strafe  fähig,  den  Willen  zur  Gesetzmäßigkeit  zu  lenken, 
wo  keine  andere  Furcht  hinreicht,  die  verbrecherischen  Begierden  und 
egoistischen  Instinkte  zu  überwinden.  Und  da  nach  seiner  Theorie 
für  den  Nachweis  der  Berechtigung  einer  Strafe  die  Notwendigkeit 
ihrer  Androhung  genügte,  so  schien  ihm  der  Staat,  wenn  der  Bürger 
der  Androhung  zuwiderhandelte,  nicht  weniger  berechtigt,  in  das  Leben 
einzugreifen,  als  in  Freiheit  oder  Vermögen.  So  erklärt  es  sich,  daß 
im  Bayerischen  Strafgesetzbuch  von  der  Todesstrafe  ein  ausgiebiger 
Gebrauch  gemacht  ist,  auch  in  Fällen,  in  denen  man  schon  damals 
die  Todesstrafe  zu  hart  empfand  wie  bei  Kindesmord  im  Rückfall  oder 
Raub  und  Erpressung,  wenn  der  Angegriffene  in  Lebensgefahr  versetzt 
war  (a  143,  239,  241).  Die  Praxis  der  Gnadeninstanz  in  Bayern 
war  milder:  man  rechnete  bis  1831  jährlich  3  vollzogene  Hinrichtungen, 
1843  nahm  Arnold"  an,  daß  von  7  Todesurteilen  jährlich  1  bis  2 
vollzogen  wurden. 

Theoretisch  hat  Feuerbach  stets  daran  festgehalten,  daß,  wenn 
überhaupt,  dann  jeder  mit  dem  Tode  bestraft  werden  müsse,  der  ihn 
verdient  hat,  d.  h.  der  eine  Handlung  beging,  für  die  das  Gesetz  den 
Tod  als  notwendige  Folge  angedroht  hat.  Dagegen  lehnte  er  den 
Gebrauch  der  Todesstrafe  nach  Kleinschrods  Vorschlag  ab,  dessen 
Entwurf  sie  als  ein  nur  ausnahmsweise  verhängtes  außerordentliches 
Mittel  zur  Aufrechterhaltung  der  staatlichen  Sicherheit  gedacht 
hatte. ^  Solch  staatliches  Notwehrrecht  könne  in  normalen  Zeiten 
niemals  gegenüber  einem  Untertan,  den  der  Staat  schon  in  seine 
Gewalt  bekommen   hat,   bestehen.     Ein   Staat  aber,   der   sich   nur 


'  Kritik  des  Kleinschrodischen  Entwurfs  3.  Teil,  S.  171  und  168. 

'  Archiv  des  Kriminalrechts.  Neue  Folge,  1843.  S.  363.  —  Vgl.  auch 
Arnold,  Die  Ohnmacht  der  Todesstrafe.  Gerichtssaal  Bd.  10.  1858. 
S.  455—466. 

''  Vgl.  oben  Kap.  IV,  S.  160. 


216 

durch  die  Hinrichtung  vor  dem  Verbrecher  schützen  kann,  könnte 
sich  die  Mühe  einer  Kriminalgesetzgebung  ganz  ersparen.^  Und  doch 
hat  Feuerbach  selbst  in  seinem  Gesetzbuch  jenen  Gedanken  einer 
außergewöhnlichen  Erweiterung  staatlicher  Machtbefugnisse  im  Rahmen 
des  Strafrechts  Ausdruck  verliehen.  Die  a  441  ff.  des  zweiten  Teils 
enthalten  als  Mittel  erhöhter  Sicherung  für  außergewöhnliche  Verhältnisse 
die  nach  österreichischem  Muster  übernommene  Institution  des  Stand- 
rechts." Die  Verkündung  des  Standrechts  in  Zeiten  des  Aufruhrs 
und  der  Überhandnähme  gemeingefährlicher  Verbrechen  hat  die  doppelte 
Folge  einer  Erweiterung  des  Anwendungsgebiets  der  Todesstrafe 
und  eines  außerordentlichen,  schnellen,  summarischen,  die  Rechts- 
garantien des  Beschuldigten  kürzenden  Verfahrens. 

Das  System  der  Freiheitsstrafen  wird  bei  Feuerbach  von  dem 
Gefängnis-  oder  Festungsarrest  und  der  erst  von  der  Kommission 
zugefügten  Festungsstrafe  abgesehen  durch  drei  Strafarten  bestimmt: 
Kettenstrafe,  Zuchthaus  und  Strafarbeitshaus.  Dabei  kam  es 
Feuerbach  um  seines  Generalpräventionszwecks  vor  allem  darauf  an, 
den  mehr  oder  minder  schweren  Charakter  jeder  einzelnen  Strafart 
in  auffallender  Weise  kenntlich  zu  machen. 

Die  Kettenstrafe  ist  eine  Reminiszenz  an  die  alte  Festungsbau- 
strafe: öffentliche  oder  schwerste  Zuchthausarbeiten  auf  Lebenszeit. 
Ihre  Wirkung  ist  der  bürgerliche  Tod.  Sie  bedeutet  darum  nicht  minder 
wie  die  eigentliche  Todesstrafe  eine  völlige  Vernichtung  der  Existenz 
des  Bestraften,  ein  unwiederbringliches  Abschneiden  jeder  Möglichkeit 
für  den  Sträfling,  an  sich  zu  arbeiten  und  sich  irgendwie  emporzuringen.^ 

In  einem  schon  1801  geschriebenen  Gutachten,  für  das  Feuerbach 
selbst  nicht  Worte  des  Rühmens  genug  fand,*  hatte  der  preußische 
Staatsminister  v.  Arnim  Freiheitsstrafen,  die  vom  Gesetz  unabhängig 
von  dem  Verhalten  und  der  Entwicklung  des  Bestraften  auf  volle 
Lebensdauer  bestimmt  waren,  für  noch  verwerflicher  als  Todesstrafe 
erklärt.  Denn  man  läßt  den  Verbrecher  leben,  d.  h.  „bloß  dem  Körper 
nach"  und  versündigt  sich  an  seiner  moralischen  Natur,  indem  ihm 
jede  Hoffnung,    „das  höchste  Gut  eines  jeden  moralischen  Wesens" 


'  Kritik  des  Kleinschrodischen  Entwurfs  2.  Teil,  S.  168  f. 

-  Vgl.  Leben  und  Wirken  I,  S.  214  f. 

'■'  Charakteristisch  ist,  daß  im  Bayerischen  Strafgesetzbuch  die  —  ab- 
lehnend beantwortete  —  Frage  überhaupt  aufgeworfen  werden  konnte, 
ob  ein  Mord  an  einem  Kettensträfling  straflos  ist.  —  Vgl.  P.  Kammerer, 
Prüfung  des  Entwurfs  zu  einem  neuen  Strafgesetzbuch  in  Hinsicht  der 
Verbrechen...  durch  Angriff  auf  Ehre,  München  1823,  S. 73,  und  Arnold, 
in:  Archiv  des  Kriminalrechts.    Neue  Folge,  1844.    S.  209. 

*  Kritik  dss  Kleinschrodischen  Entwurfs  3.  Teil,  S.  173,  Änm. 


217 

genommen  und  er  so,  stumpfer  Gleichgültigkeit  überlassen,  „zu  aller 
Ausbildung  und  Besserung  unfähig  gemacht  wird"/  So  mußten  schon 
die  Zeitgenossen  die  lebenslängliche  Kettenstrafe  mit  dem  bürgerlichen 
Tod  als  empörende  Härte  empfinden."  Feuerbach  fühlte  selbst  die 
Verpflichtung,  die  Aufnahme  eines  solch  drakonischen  Strafmittels 
besonders  zu  rechtfertigen.^  Dabei  vermochte  er  nur  den  einen  Gedanken 
zu  ihrer  Rechtfertigung  anzuführen:  „sie  ist  bloß  abschreckend".* 
„Man  kann  nicht  erwarten,"  so  fährt  Feuerbach  fort,  und  man  glaubt, 
anstatt  einer  Apologie  dieser  Äbschreckungsstrafe  eine  leidenschaftliche 
Polemik  gegen  sie  zu  lesen,  „daß  ein  Mensch,  der  mit  der  Schande 
des  Verbrechens  bedeckt  vor  den  Äugen  des  Publikums  Sklavenketten 
geschleppt  hat,  dessen  Gefühl  eben  durch  die  Publizität  seiner  schmach- 
vollen, schimpflichen  Erniedrigung  notwendig  abgestumpft  worden  ist, 
jemals  wieder  sich  zum  Bessern  aufrichten  und  als  nützlicher  Bürger 
in  den  Schoß  der  Gesellschaft  zurückkehren  werde."  Diese  Wirkungen 
der  Kettenstrafe  waren  um  so  verhängnisvoller,  als  im  Fall  eines 
Justizirrtums  die  Irreparabilität  der  Kettenstrafe  jede  Rehabilitation 
ausschloß.  Feuerbach  selbst  hat  diesen  Zustand,  auf  den  auch  Oersted 
hinwies,^  in  anderm  Zusammenhang  mit  erschütternden  Worten 
geschildert.  „Aus  dem  bürgerlichen  Tod  gibt  es  so  wenig  ein  Wieder- 
aufstehen zum  bürgerlichen  Dasein  als  ein  Mittel  der  Wiederbelebung 
für  den  Enthaupteten.  Soll  der  bei  Leibes  Leben  Beerbte  sein  Ver- 
mögen von  seinen  Erben  wieder  zurückfordern,  oder,  wenn  jenes 
vielleicht  schon  längst  unter  hundert  Händen  sich  zerstreute,  aus  allen 
Ecken  wieder  zusammenlesen  dürfen?  Und  die  Gattin,  deren  Ehe 
durch  den  bürgerlichen  Tod  ihres  Gatten  von  Rechts  wegen  aufgelöst 
war,  kann  sie  der  aus  dem  bürgerlichen  Tode  erstandene  Kettensträfling 
lÄHcder  zurückfordern,  während  sie  unterdessen  in  zweiter,  rechtmäßiger 
Ehe  lebt?  Mit  einem  Worte:  der  Tod,  gleichviel  ob  bürgerlicher  oder 
leiblicher,  ist  —  Tod."''  Allein  der  Abschreckungsgedanke 
vermag  die  Aufnahme  eines  solchen  Strafmittels  zu  erklären.  Feuerbach 
ging  von  dem  Bestreben  aus,  zur  Gegenwirkung  gegen  die  verschiedenen 
verbrecherischen  Neigungen  ein  entsprechendes  System  gleichmäßig 
abgestufter  Strafübel  anzudrohen  und  da  schien  ihm,   trotzdem  er  die 


'  Bruchstücke  über  Verbrechen  und  Strafen.  Anonym  erschienen. 
Frankfurt  und  Leipzig  1803.    S.  138  L 

*  Neues  Archiv  des  Kriminalrechts  Bd.  II,  S.  59. 

'  Leben  und  Wirken  I,  S.  252. 

'  Kritik  des  Kleinschrodischcn  Entwurfs  2.  Teil,  S.  187. 

'  Oersted,  Ausführliche  Prüfung  des  neuen  Entwurfs  zu  einem  Straf- 
gesetzbuch für  das  Königreich  Bayern.    Kopenhagen   1823.    S.  80. 

''  Aktenmäßige  Darstellung  merkwürdiger  Verbrecher  3.  Aufl.,   S.  356. 


218 

furchtbare  Wirkung  ihres  Vollzugs  erkannte,  die  Rndrohung  der  Ketten- 
strale  notwendig,  da  —  so  lautet  wörtlich  seine  Begründung  —  „von 
dem  physischen  Tod  zu  der  bloß  zeitlichen  Freiheitsstrafe 
ein  zu  großer  Absprung  sein  würde". ^  Wie  so  mancher 
Institution,  zu  der  ihn  die  Konsequenz  seiner  Strafrechtstheorie  führte, 
soll  Feuerbach  auch  dieser  seiner  Schöpfung  untreu  geworden  sein 
und  die  Kettenstrafe   „später  mündlich  getadelt"   haben." 

Der  zum  Zuchthaus  Verurteilte  wird  zu  Arbeiten  innerhalb  der 
Strafanstalt  angehalten,  ist  ständig  gefesselt  und  während  seiner  Strafzeit 
unfähig  zu  jeder  rechtlich  wirksamen  Verfügung  über  das  Seine  (a  10). 
Bei  der  Zuchthausstrafe  findet  sich  die  Bestimmung,  der  Sträfling  könne 
nach  Ablauf  einer  Reihe  von  Jahren,  wenn  er  ausgezeichnete  Arbeitsam- 
keit bewiesen  und  unverwerfliche  Proben  gebesserter  Gemütsart 
abgelegt  hat,  gnadenweise  entlassen  werden.  Dabei  ist  die  Verurteilung 
entweder  durch  den  gesetzlichen  Strafrahmen  auf  eine  bestimmte  Zeit 
—  nicht  über  20  Jahre  —  begrenzt  oder  ohne  bestimmte  Grenze. 
In  diesen  vom  Gesetz  ausdrücklich  festgelegten  Fällen  ist  die  Mindest- 
dauer der  Straf haft  1 6  Jahre,  die  Höchstdauer,  falls  die  Voraussetzungen 
der  Begnadigung  niemals  eintreten,  lebenslänglich  (a  II  f.).  So  kennt 
schon  das  Feuerbachsche  Strafgesetzbuch  die  Verurteilung  auf 
unbestimmte   Zeit.^ 

Der  Gedanke  einer  Internierung  des  Rechtsbrechers  auf  unbestimmte 
Zeit  war  dem  gemeinen  Recht  nicht  fremd.  Als  besondere  kriminal- 
politische Maßnahme,  als  Sicherungsverwahrung  gemeingefährlicher 
Elemente  hat  sich  Klein  für  die  unbestimmte  Verurteilung  eingesetzt.* 


'  Leben  und  Wirken  I,  S.  252. 

-  Arnold,  in:  Archiv  des  Kriminalrcchts.    Meue  Fol^'e,  1843.    S.  266. 

•'  Auch  Octker,  Rechtsgüterschutz  und  Strafe,  Z.  Str.  W.  17,  S.  577, 
sieht  in  diesen  Bestimmungen  des  Bayerischen  Strafgesetzbuclis  von  1813 
eine  „unbestimmte  Verurteilung",  während  Binding,  Grundriß  des 
deutschen  Strafrechts,  AUg.  Teil,  7.  Aufl.,  1907,  S.  237,  meint,  das  , Zuchthaus 
auf  unbestimmte  Zeit"  sei  in  Wahrheit  eine  „lebenslängliche  Freiheits- 
strafe". —  a  18  des  Feuerbachschen  Entwurfs  von  1810  hatte  den  Gedanken 
so  gefaßt:  Diese  Verurteilung  schließt  „zwar  die  lebenswierige  Dauer  der 
Strafe  mit  in  sich,  doch  bleibt  dem  Verurteilten  die  Hoffnung..."  auf 
Begnadigung  usw.  Das  Gesetz  gab  diesen  Wortlaut  auf,  um  zum  Ausdruck 
zu  bringen,  daß  die  für  die  Begnadigung  notwendige  Besscrungsfrist  mit 
jedem  Tag  beginnen  könne  und  die  Strafe  daher  von  Rechts  wegen 
niemals  bis  zum  Lebensende  zuerkannt  werde.  Anmerkung  zum 
Bayerischen  Strafgesetzbuch  Bd.  I,  S.  90  f.  Diese  Überlegung  rechtfertigt 
die  Bezeichnung  Unbestimmte  Verurteilung.  —  Vgl.  Freudenthal,  Unbe- 
stimmte Verurteilung.  Vergleichende  Darstellung  des  deutschen  und  aus- 
ländischen Strafrechts.    Allgemeiner  Teil.    Bd.  III,  S.  250,  Anm.  1. 

*  V.  Liszts  Hallenser  Rektoratsrede  1894:  E.  F.  Klein  u.  die  unbestimmte 
Verurteilung.    Aufs.  u.  Vortr.  Bd  .II,  S.  133  ff.  —  Auf  eine  Beschränkung  der 


219 

Eine  engere  Beziehung  zur  Strafe  im  eigentlichen  Sinn  brachte  die 
Preußische  Verordnung  vom  26.  Febr.  1799,  nach  der  gegen  denjenigen, 
der  bereits  zweimal  wegen  Diebstahls  vorbestraft  ist,  neben  verschärfter 
körperlicher  Züchtigung  „auf  Einsperrung  in  eine  Besserungsanstalt" 
auf  so  lange  erkannt  werden  soll,  „bis  die  Vorgesetzten  dieser  Anstalt 
sich  überzeugt  haben,  daß  der  Verbrecher  durch  die  erlittene  Strafe 
wirklich  gebessert  worden,  daß  er  imstande  sei,  sich  auf  eine  redliche 
Art  zu  ernähren  und  daß  durch  dessen  Freilassung  der  öffentlichen 
Sicherheit  nicht  geschadet  werde ".^  Bei  dem  völligen  Mangel  rationeller 
Vollzugseinrichtungen  und  geschulten  Personals  hatte  diese  Verordnung 
freilich  nur  geringe  Bedeutung  und  eine  kurze  Geltungsdauer.  Im 
Feuerbachschen  Strafgesetzbuch  liegt  der  Wert  der  unbestimmten  Ver- 
urteilung gerade  in  ihrer  Anwendung  auf  die  eigentliche  Kriminalstrafe. 
Hat  doch  hiermit  das  Gesetz  beim  Zuchthaus  im  Gegensatz  zur  Ketten- 
strafe eine  Grundbedingung  für  einen  individuell  wirkungsvollen  Straf- 
vollzug geschaffen.  Indem  das  Gesetz  den  Bestraften  an  der  Gestaltung 
seines  Geschickes  selbst  teilnehmen  läßt,  ermöglicht  es  an  Stelle  starrer 
Vergeltung,  an  Stelle  einer  Brechung  und  Äuslöschung  der  Persönlichkeit 
des  Verbrechers  eine  Weckung  seiner  Selbstverantwortung,  einen  Antrieb 
zur  Selbstbeherrschung  und  zur  Gewöhnung  an  ein  regelmäßiges  und 
arbeitsames  Leben,  um  hiermit  zugleich  sich  die  Freiheit  zu  erarbeiten 
und  sich  für  die  Freiheit  fähig  zu  machen.  Die  Verfasser  des  Gesetzes 
mögen  sich  dieser  tieferen  Bedeutung  ihrer  Schöpfung  nicht  bewußt 
gewesen  sein,  ließ  doch  Feuerbachs  Strafrechtstheorie  für  den  Gedanken 
eines  individuell  wirkungsvollen  Strafvollzugs  keinen  Raum.'  In  der 
zeitgenössischen  Literatur  fand  das  „Zuchthaus  auf  unbestimmte  Zeit" 
wenig  Widerhall,''  und  Gönners  Entwurf,  der  eine  unbestimmte  Zwangs- 
arbeit, bis  der  Sträfling  „befriedigende  Proben  der  Besserung  gegeben 
hat",    als    Rückfallstrafe    bei    Übertretungen    vorschlug,^    wollte    beim 

unbestimmten  Detenlion  auf  reine  Sicherungsmaßnahmen  wird  von  den 
heutigen  „Klassikern"  entscheidendes  Gewicht  gelegt.  Vgl.  Joh.  N agier, 
Verbrechensprophylaxe  und  Strairccht  {Kritische  Beiträge  XIV),  Leipzig 
1911,  S.  250  f.,  und  Oetker,  Gerichtssaal  73,  S.  435  ff.,  Anm.  2. 

'  Vgl.  hierzu   Klein,   Archiv  des  Kriminalrcchts  Bd.  11,  Nr.  I.    Halle 

1800.  s.  32  n. 

-  Vgl.  dagegen  Fuhr,  Strafrechtspflege  und  Sozialpolitik,  S.  243,  der 
im  „Zuchthaus  auf  unbestimmte  Zeit"  eine  individualisierende  Berücksichti- 
gung der  „sinnlichen  Persönlichkeit  des  Verbrechers"  sieht,  zu  der  nach 
seiner  Ansicht  im  Gegensatz  zu  dem  schroffen  System  abschreckender 
Vergeltung  im  Code  pönal  gerade  Feuerbachs  Theorie  vom  psychologischen 
Zwang  führen  mußte. 

'  Hälschner,  Das  gemeine  deutsche  Strafrecht  1,  S.  583,  spricht 
geradezu  von  einem  „Überrest  der  Strafen  des  vorigen  Jahrhunderts"! 

■*  Entwurf  des  Strafgesetzbuchs.    München  1822.    11.  Teil,  a  47. 


220 

Zuchthaus  die  „dem  Wort  und  der  Tat  nach  unbestimmte  Zeit"  streichen/ 
Und  doch  ist  jene  Bestimmung  des  Feuerbachschen  Gesetzes  von  großer 
Bedeutung  geworden,  denn  sie  fand  einen  Mann,  der  ihren  Wert  erkannte 
und  ausnutzte:  Obermaie r.  Obermaier,  ein  Mann  von  ungewöhnlichen 
pädagogischen  Fähigkeiten,  war  als  Stratanstaltsleiter  in  Kaiserslautern 
und  München  eine  der  markantesten  Erscheinungen  in  der  Geschichte 
des  deutschen  Strafvollzugs.  Mit  größtem  Erfolg  hat  er  die  unbestimmt 
begrenzte  Internierung  im  Zuchthaus  zu  einem  erzieherisch  vertieften 
Strafvollzug  ausgestaltet.  Seine  Gedanken,  die  er  mit  bezwingender 
Wärme  vorzutragen  wußte,  sind  in  vielem  noch  heute  vorbildlich. 
Wenn  gleichwohl  in  Deutschland  sein  Werk  ebensowenig  wie  jene 
gesetzliche  Institution  Nachahmung  fand,  so  lag  das  an  dem  über- 
triebenen Mißtrauen  der  Anhänger  rationalistischer  Strafvollzugs- 
„ Systeme"  gegen  einen  ganz  auf  die  Persönlichkeit  des  Anstalts- 
leiters abgestellten  individuellen  Strafvollzug.  Wohl  aber  haben 
Obermaiers  Erfolge  über  die  Grenzen  Deutschlands  hinaus  F.  C.  Wines, 
der  in  Amerika  aufs  neue  für  den  Erziehungsgedanken  im  Strafvollzug 
und  die  unbestimmte  Verurteilung  eintrat,  nachhaltig  beeinflußt.  So 
spinnen  sich  hier,  wo  Feuerbach  seinem  theoretischen  Dogma  einen 
wertvollen  Gedanken  praktischer  individualisierender  strafrechtlicher 
Behandlung  abgerungen  hat,  die  Fäden  zu  jenen  modernen  amerika- 
nischen kriminalpolitischen  Bestrebungen,  aus  denen  das  Strafrecht 
des  Kontinents  in  unsern  Tagen  wertvolle  Anregungen  geschöpft  hat." 

Leider  steht  dieser  moderne  Gedanke  im  Feuerbachschen  Strafen- 
system vereinzelt  da.  So  fehlt  den  Bestimmungen  über  die  dritte 
Form  der  Freiheitsstrafe,  das  unserm  Gefängnis  entsprechende  Straf- 
arbeitshaus, in  dem  die  Gefangenen  ohne  Fesselung  und  ohne 
Beeinträchtigung  ihrer  Ehrenrechte  zu  Arbeit  innerhalb  der  Anstalt 
angehalten  wurden,   abgesehen  von   einer  entsprechenden  Anwendung 


'  Ebendort  Vorrede  pag.  XIII. 

-  Näheres  über  diese  Entwicklung  bei  Freudenthal,  Verglexhende 
Darstellung...,  ÄUg.  Teil,  Bd.  III,  S.  251  ff.,  und  HoltzendorH- Kohlers 
Enzyklopädie  VII.  Aufl.,  1914,  Bd.  V,  S.  97  ff.  -  Obermaier  hatte  auf 
Grund  seiner  Erfahrungen  in  Kaiserslautern  1835  eine  Anleitung  zur  voll- 
kommenen Besserung  der  Verbrecher  in  den  Strafanstalten  erscheinen 
lassen.  Seit  1842  war  er  Vorstand  am  Zuchthaus  in  München -Au.  Über 
sein  Wirken:  Arnold,  Die  körperliche  Züchtigung  und  das  Zuchthaus  zu 
München,  Archiv  des  Kriminalrechts,  Neue  Folge,  1844,  S.  438  ff.,  sowie 
Verhandlungen  der  ersten  Versammlung  für  Gefängnisreform  im 
September  1846  in  Frankfurt  a.  M.  Frankfurt  a.  M.  1847.  Insbesondere 
S.  123  ff.  —  Neuerdings  G.  Stamm,  Obermaier  und  seine  für  die  Gefängnis- 
reform grundlegende  Anleitung  zur  vollkommenen  Besserung  der  Verbrecher 
von  1835.     In:  AschaHenburgs  Monatsschrift  XI,  S.  34  ff. 


221 

der  Vorschriften  über  vorzeitige  Entlassung  aus  dem  Zuchthaus,  jedes 
Eingehen  auf  die  Erzielung  zweckmäßiger  und  wirksamer  Methoden 
des  Strafvollzugs.  Stand  doch  Feuerbach  diesen  Dingen  im  Grunde 
fremd  gegenüber.  Er  kannte  und  rühmte  zwar  die  Schriften  Howards 
und  des  Hallenser  Predigers  Wagnitz,  trat  selbst  für  Modernisierung 
und  Verbesserung  der  bayerischen  Gefängnisse  ein,  „ohne  welche  die 
beste  Gesetzgebung  wie  leerer  Schall  in  der  Luft  verfliegt"'  und 
erkannte  an,  daß  in  der  Gefängnisstrafe  vorzugsweise  die  Nebenzwecke 
der  Besserung  des  Verbrechers  durch  Gewöhnung  an  Arbeit  und 
durch  Erweckung  eigenen  Nachdenkens  zur  Geltung  kommen  sollten." 
Doch  das  waren  für  Feuerbach  im  Grunde  Dinge  von  sekundärer 
Bedeutung.  Eher  stand  noch  Grolman  von  seiner  die  Individualität 
des  einzelnen  Verbrechers  berücksichtigenden  Spezialpräventionstheorie 
aus  zu  diesen  Fragen  in  näherem  Verhältnis,  und  er  erkannte  sofort 
die  tiefe  Bedeutung  jener  Bestrebungen,  durch  Humanisierung  und 
Rationalisierung  des  Gefängnisses  und  durch  stärkere  Berücksichtigung 
des  Erziehungsgedankens  eine  bessernde  Wirkung  des  Strafvollzugs 
zu  ermöglichen,  auf  die  er  bei  den  damals  bekanntwerdenden  Nach- 
richten über  das  Gefängnis  in  Philadelphia  mit  wärmstem  Eifer  hinwies.^ 
In  den  20er  und  30  er  Jahren  des  19.  Jahrhunderts  erwuchs  aus 
solchen  Bestrebungen  eine  einheitliche  Bewegung,  in  der  die  Forderung 
einer  allgemeinen  „hygienischen  und  moralischen  Sanierung  des  Straf- 
vollzugs" sich  mehr  und  mehr  auf  das  Dogma  eines  bestimmten 
Prinzips,  des  Pönitentiarsystems,  verdichtete.  Einzelhaft,  rationelle 
Arbeit,  Erziehung  und  Selbstbeherrschung  und  in  allem  die  Wirksamkeit 
religiöser  Einflüsse  waren  die  Forderungen  der  Reformfreunde,  die  in 
gläubiger  Zuversicht  an  dem  System  der  Einzelhaft  als  absolutem 
Heilmittel  gegen  alle  Schäden  der  Kriminalität  hingen  und  durch  ihr 
Wirken  die  Entwicklung  des  modernen  deutschen  Strafvollzugs  ent- 
scheidend beeinflußt  haben.*  Wenn  auch  bei  den  Anhängern  der 
Einzelhaft  in  Deutschland  die  Vorliebe  für  das  Vergeltungsprinzip  und 
die  Berücksichtigung  des  eigentlichen  pönalen  Elements  der  „einsamen 
Einsperrung"  den  Erziehungszweck  zurücktreten  ließen,  so  bleibt  es 
die  bleibende  Bedeutung  dieser  Bewegung,  einen  nachhaltigen  äußeren 
Läuterungsprozeß  des  Gefängniswesens  angebahnt  und  darüber  hinaus 
die  Verantwortlichkeit  für  den  Strafvollzug  vertieft  zu  haben.  Natur- 
gemäß mußte  diese  Richtung  allmählich  auch  die  theoretischen,  zum  Teil 


'  Leben  und  Wirken  Bd.  I,  S.  140. 

*  Kritik  des  Klcinschrodischcn  Entwurfs  Bd.  2,  S.  209  f. 

*  Bibliothek  für  peinliches  Recht  I.Teil,  1.  St.,  S.  346  f. 

''  Zu  dieser  Entwicklung:  Kriegsmann,  Einlührung  in  die  Gcfängnis- 
kundc.    1912.    S.  58  ff. 


222 

deduktiv  gewonnenen  Grundlagen  der  Lehren  vom  Wesen  und  der 
Zurechnung  der  Strafe  beeinflussen,  während  umgekehrt  Feuerbach, 
der  der  Wirkung  des  Strafvollzugs  nur  eine  sekundäre  Bedeutung 
neben  der  gesetzlichen  Drohung  zugestand,  der  tieferen  Bedeutung  der 
Anfänge  jener  Entwicklung  fremd  blieb.  Um  so  interessanter  ist,  daß 
er  unter  einem  anderen  Gesichtspunkt  dem  Gefängnisreformgedanken 
wissenschaftliche  Anregungen  entnahm.  Im  Jahre  1817  wurde  in  dem 
oberfränkischen  Schloß  Plassenburg  eine  Strafanstalt  gegründet,  in 
der  man  jene  unter  dem  Namen  Äuburnsches  System  bekannte  Ab- 
wandlung der  Einzelhaft  einführte,  bei  der  die  Isolierung  der  Gefangenen 
durch  eine  geistige  Absonderung  ersetzt  wurde:  für  alle  Insassen  galt 
ein  durch  strenge  Disziplinarmittel  erzwungenes  Schweigegebot. 
Hier  interessierten  Feuerbach  die  psychologischen  Wirkungen  dieses 
Schweigens,  die  ewige  Gleichförmigkeit  eng  begrenzter,  von  wortloser, 
ununterbrochener  Arbeit  erfüllter  Lebensweise,  die  „überall  lauernde 
Aufsicht",  und  bei  allem  jener  „furchtbare  Bann,  welcher  die  Zungen 
fesselte  und  den  Mund  verschloß".  Immer  wieder  drängten  sich  die 
Insassen  zu  freiwilligen  Geständnissen  längst  vergessener  und,  noch 
öfter,  nie  begangener  schwerer  Verbrechen,  um  aus  dem  unerträglichen 
Druck  herauszukommen.  So  ward  „dieser  Ort  des  Schweigens  zu 
einer  Stätte  der  Bekenntnisse".  Die  Beurteilung  dieser  Geständ- 
nisse erregte  Feuerbachs  psychologisches  Interesse.  Die  geschickte 
Taktik  der  Inquisiten,  welche  die  Prozesse  endlos  zu  verlängern  wußten, 
bis  sich  ihre  Geständnisse  als  Erfindungen  erwiesen,  die  kritische 
Prüfung  der  Aussagen,  aus  denen  alles  ausgeschieden  werden  mußte, 
was  ihnen  lediglich  die  Hoffnung,  dem  unerträglichen  Druck  der 
schweigsamen  Plassenburg  zu  entgehen,  eingegeben  hatte,  das  Schicksal 
jener  unglücklichen  Gestalten  selbst  waren  Fragen,  welche  Feuerbach 
zum  Ausgangspunkt  kriminalpsychologischer  Studien  und  Schilderungen 
machte.  Mochte  die  Plassenburg  sich  auch  anfänglich  günstiger  Erfolge 
rühmen  und  auf  die  geringen  Rückfallziffern  ihrer  ehemaligen  Insassen 
hinweisen,  Feuerbach  stand  dem  System  skeptisch  gegenüber  und  hatte 
für  die  allgemeine  Bedeutung  neuer  Haftsysteme  wenig  Interesse.^ 

Feuerbachs  gesetzgeberische  Tätigkeit  und  die  Ausgestaltung  seines 
Strafensystems  werden  beherrscht  von   dem  Gegensatz  zwischen  dem 

'  Feuerbach,  Äktenmäßige  Darstellung  merkwürdiger  Verbrechen 
III.  Aufl.,  S.  468  ff.,  insbesondere  S.  474.  —  Über  das  /\uburnsche  System: 
K  r  i  e  g  s  m  a  n  n,  a.  a.  O.  S.  33  f.  —  Feuerbachs  Schilderungen  jener  Gefangenen 
haben  Jacob  Wassermann,  der  in  seinem  Kaspar-Hauser-Roman  zu  eineni 
Interpreten  Fcuerbachscher  Kriminalpsychologie  wurde,  offenbar  angeregt, 
die  Psychologie  dieses  Schweigens  in  einer  kleinen  Skizze  literarisch  zu  ver- 
werten: Die  Gefangenen  auf  der  Plassenburg.    Die  Weltliteratur  Nr.  11,  1921. 


223 

Rechtsstaatsprinzip  der  Aufklärung,  die  Grenze  der  staatlichen  Macht 
gegenüber  der  freien  Sphäre  der  einzelnen  Persönlichkeit  fest  abzustecken, 
und  den  Konsequenzen  seiner  Äbschreckungstheorie.  Ganz  besonders 
zeigt  sich  dieser  Widerspruch  in  Feuerbachs  Stellung  zu  den  Ehren- 
strafen. Der  Gedanke,  die  Vorstellung  der  Strafe  müsse  abschreckend 
wirken,  ließ  ihn  ein  System  von  Freiheitsstrafen  befürworten,  in  dem 
gerade  der  bei  der  einzelnen  Strafart  verschieden  ausgestaltete  Grad 
der  Beeinträchtigung  der  bürgerlichen  Ehre  den  Charakter  der 
nach  verschiedener  Schwere  abgestuften  Ketten-,  Zuchthaus-  und 
Strafarbeitshausstrafe  bildeten  und  bei  dem  die  einzelnen  Strafen  durch 
besonders  entehrende  Behandlung:  Pranger,  öffentliche  Aus- 
stellung, körperliche  Züchtigung  verschärft  werden  konnten.  Auf  der 
anderen  Seite  blieb  das  Bayerische  Strafgesetzbuch  in  wesentlichen  Punk- 
ten hinter  Feuerbachs  Forderung  auf  Abschaffung  entehrender 
Strafen  zurück.  Die  ausdrückliche  Erklärung  im  Feuerbachschen 
Entwurf,  daß  Ehrlosigkeit  als  Haupt-  oder  Nebenstrafe  unzulässig  sei 
(a  32  des  Entwurfs  von  1810),  erhielt  im  Gesetz  eine  erheblich 
abgeschwächte  Formulierung  (a  24),  und  die  offiziellen  Anmerkungen 
sabotieren  den  Gedanken  geradezu  mit  der  Erklärung,  man  wolle  durch 
diese  Bestimmung,  welche  „nur  die  juristischen,  nicht  aber  die 
moralischen  oder  physischen  unvermeidlichen  Folgen  der  strafbaren 
Handlung  zum  Gegenstand  hat",  keineswegs  „der  öffentlichen  Meinung 
und  dem  Zartgefühle  guter  Bürger  hierdurch  zu  nahe  treten"^  oder 
etwa  —  so  heißt  es  an  anderer  Stelle  —  „Ächtung,  Zutrauen  und 
Annäherung  für  Menschen  erzwingen,  welche  durch  eine  schändliche 
Handlung  sich  der  Ächtung  und  des  Zutrauens  guter  Bürger  unwürdig 
gemacht  haben"."  Hier  wird,  wie  Feuerbach  entrüstet  nachwies,  die 
Infamie  zwar  „von  dem  Gesetzbuch  ausgeschlossen,  aber  in  dem  Leben 
zugelassen."  Keine  Korporation,  keine  Zunft  wird,  wenn  eine  solche 
Interpretation  zur  Geltung  gelangt,  einen  entlassenen  Sträfling  aufnehmen, 
und  so  der  Gedanke  des  Gesetzgebers  illusorisch  werden,  daß  der 
Verbrecher  nach  überstandener  Strafe  gerade  dadurch,  daß  er  nicht 
vom  freien  Verkehr  der  Menschen  ausgeschlossen  bleibt,  in  den  Stand 
gesetzt  werden  soll,  „nicht  nur  im  Bewußtsein  wiedererlangler  Ehre 
sich  zu  bessern,  sondern  auch  sich  redlich  sein  Fortkommen  zu 
verschaffen"."^  Die  infamierende  Wirkung  der  Strafe  wurde  ferner 
dadurch  besonders  betont,  daß  das  Bayerische  Strafgesetzbuch  nach 
dem  französischen  Vorbild  die  Gerichte  ermächtigte,  „nach  Erwägung 
besonderer  Umstände"  anstatt  auf  die  normale  Freiheitsstrafe,  auf  die 


'  Anmerkungen  zum  Strafgesetzbuch  Bd.  I,  S.  106. 

*  Ebendort  S.  41. 

'■'  Leben  und  Wirken  Bd.  I,  S.  247  l 


224 

privilegierende  Festungsstrafe  zu  erkennen  (a  19).  Denn  wurden 
die  einen  durch  diese  bevorzugte  Behandlung  aus  dem  Niveau  gewöhn- 
licher Verbrecher  herausgehoben,  so  wurde  für  die  anderen  die  Ver- 
urteilung zur  ordentlichen  Freiheitsstrafe  hierdurch  zu  einer  Deklassierung, 
welche  dem  Bestraften  den  dauernden  Makel  unehrenhafter  Qualifikation 
aufprägte.  Die  Festungsstrafe  war  gegen  Feuerbachs  Willen  von  der 
Kommission  in  das  Gesetz  eingefügt  worden,  und  er  hat  es  an  dem 
Fall  des  Frauenmörders  Pfarrer  Riembauer,  „Tartuffe  als  Mörder", 
erleben  müssen,  wie  in  der  Festungsstrafe  die  privilegierende  Standes- 
strafe des  ancien  regime  aufs  neue  Geltung  fand.^  In  der  Folgezeit 
drängte  die  Praxis  auf  eine  gesetzliche  Formulierung  der  Voraus- 
setzungen für  die  Verurteilung  zur  Festungsstrafe,"  während  die 
Gesetzgebungsarbeiten  an  der  Fiktion  festzuhalten  suchten,  es  handele 
sich  nur  um  eine  besondere  Vollzugsart  der  im  übrigen  gleichen 
Strafen,  um  die  Verschärfung  zu  paralysieren,  die  für  den  Gebildeten  in 
der  gemeinsamen  Haft  mit  gemeinen  Verbrechern  niederer  Kreise  liegt.^ 

Schließlich  fehlt  auch  die  Prügelstrafe,  jenes  unentbehrliche 
Requisit  einer  Strafjustiz,  welche  die  Persönlichkeit  im  Verbrecher 
mißachten  zu  müssen  glaubt,  weder  im  Gesetzbuch  noch  im  Entwurf 
Feuerbachs  von  1810,  wiewohl  Feuerbach  angeblich  sich  für  ihre 
Abschaffung  eingesetzt  haben  soll.^  Gönners  Entwurf  kannte  keine 
körperliche  Züchtigung  mehr.  Bei  den  Kammerberatungen  der  Justiz- 
reform der  30er  Jahre  befaßte  man  sich  eingehend  mit  dieser  Strafe.  Sie 
erscheine  zwar,  meinte  damals  der  Berichterstatter,  für  gewisse  Menschen 
und  gewisse  Übertretungen  als  die  zweckmäßigste  Strafe,  könne  aber, 
da  sie  „das  Ehrgefühl  mächtig  verletze",  niemals  als  allgemeine,  auch 
gegenüber  Standespersonen  anwendbare,  Strafe  in  Frage  kommen, 
während  eine  Beschränkung  „auf  gewisse  Subjekte"  verfassungswidrig 
sei.  Überhaupt  sei  „mit  unserer  auf  bürgerliche  Ehre  gegründeten 
Staatsverfassung  ein  die  Menschheit  unleugbar  erniedrigendes  Strafmittel 


'  Äktenmäßige  Darstellung  merkwürdiger  Verbrechen  III.  Aufl.,  S.  324. 

-'  Bericht  des  Oberappellationsgerichts  an  das  königl.  Staatsministcrium 
in  Gönners  u.  Schmidtleins  Jahrbüchern  der  Gesetzgebung  u.  Rechts- 
pflege in  Bayern  III.  Bd.,  S.  146  f. 

'  Anmerkungen  zum  Strafgesetzbuch  Bd.  I,  S.  101  ff.  —  v.  Gönners 
Entwurf  1822,  a  27.  Die  weitere  Entwicklung  bei  So n tag,  Die  Festungs- 
haft.   1872.    S.  49  if. 

*  Geyer,  Kleine  Schriften  strafrechtlichen  Inhalts.  München  1889. 
S.  569.  Ohne  Quellenangabe.  —  In  der  Kritik  des  Kleinschrodischen 
Entwurfs  empfahl  Feuerbach  Rutenschläge  und  bemühte  sich  ängstlich 
zu  verhindern,  daß  beim  Vollzug  der  für  die  Bestimmung  der  Zahl  der 
Tracht  Prügel  zuständige  „Wundarzt"  gewissermaßen  zum  Gesetzgeber  und 
Richter  werde.    (Kritik  des  Kleinschrodis-chen  Entwurfs  II.  Teil,  S.  220  f.) 


225 

nicht  wohl  vereinbar".^  Doch  brachten  auch  hier  erst  die  Stürme 
der  48er  Zeit  endgültigen  Wandel:  eine  Novelle  vom  12.  Mai  1848 
hob  mit  einigen  anderen  Bestimmungen  des  Feuerbachschen  Straf- 
gesetzbuchs auch  die  Prügelstrafe  in  Bayern  auf. 

In  diesen  Fragen  ist  die  gesetzgeberische  Tätigkeit  Feuerbachs  ein 
Zeugnis  dafür,  wie  trotz  der  Einsicht  in  die  Verwerflichkeit  aller  Strafen, 
die  an  die  Ehre  gehen,  der  Gedanke  der  Generalprävention  — 
vollends  in  der  Form  des  Äbschreckungsprinzips  —  mit  anderen 
terroristischen  Methoden  auch  infamierende  Strafen  anzuwenden  geneigt 
ist.  Ähnliches  läßt  sich  immer  wieder  beobachten.  So  hat  Thyren 
vom  Standpunkt  der  Spezialprävention  aus  keine  Rechtfertigung  für 
eine  privilegierende  Behandlung  von  Verbrechen  „aus  altruistischen 
Motiven"  finden  können,  gleichwohl  aber  in  den  Schwedischen  Vor- 
entwurf von  1918  aus  Gründen  der  Generalprävention  eine  Custodia 
honesta  aufgenommen.^  Auf  diese  Weise  erklärt  es  sich,  daß  der 
verhängnisvolle  Gegensatz  von  entehrenden  und  nichtentehrenden  Strafen 
in  traditioneller  Weise  Eingang  in  das  geltende  Recht  und  die  neueren 
Entwürfe  gefunden  hat."^  Zugleich  wird  verständlich,  daß  eine  endgültige 
Ablehnung  solcher  Methoden  nur  erfolgen  konnte  von  einer  Strafrechts- 
auffassung aus,  die  ihre  wesentliche  Aufgabe  in  ihrer  Wirksamkeit 
gegenüber  dem  einzelnen  Verbrecher  sah.  War  schon  Grolmans 
Präventions-  und  Besserungsstrafrecht  vorsichtiger  und  schonender  gegen- 
über der  Ehre  des  Bestraften  als  Feuerbachs  Äbschreckungssystem,  so 
zeigte  sich  vor  allem  auf  diesem  Gebiet,  wie  das  Pönitentiarsystem 
die  Anschauungen  über  Wesen  und  Aufgabe  der  Strafe  zu  modernisieren 
geeignet  war.  Wie  einer  jener  Reformfreunde,  der  hessische  Hof- 
gerichtsrat Friedrich  Noellner,  in  einer  kleinen  Schrift  nachwies,  mußte 
diese  Bewegung,  die,  anstatt  die  Persönlichkeit  des  Verbrechers  zu 
vernichten  und  zu  zermürben,  ihn  aufzurichten  und  durch  Erziehung 
und  rationelle  Arbeit  seinen  inneren  Wert  zu  erhöhen  strebte,  die 
unbedingte  Respektierung  der  sittlichen  und  Ehrensphäre  des  Verbrechers 
in  der  Strafrechtspflege  fordern.  Darin  lag  mit  der  Abweisung  aller 
infamierenden  und  inhumanen  Behandlungsarten  zugleich  ein  wirksames 
Argument  für  die  Einzelhaft,  indem  durch  dieses  Haftsystem  der 
entehrende  Zug  der  Freiheitsstrafe  ausgeschaltet  wird,  der  nach  der 
Meinung  jener  Reformer  gerade  darauf  beruhte,  daß  in  den  bisherigen 
Gefängnissen  jeder  Verurteilte   mit  dem  Haufen  gemeiner  Verbrecher 


'  Mussinan,  Bayerns  Gesetzgebung.    1835.    S.  336. 

*  Vgl.  Joh.  C.  W.  Thyrfen,  Prinzipien  einer  Strafgesetzreform  I.  Berlin- 
Lund  1910.    S.  130  f. 

"  Vgl.  über  diese  Entwicklung:  E.  Guckenheimer,  Der  Begriff  der 
ehrlosen  Gesinnung  im  Strafrecht.    Hamb.  Schriften  Heft  I.    Hamburg  1921. 

15 


226 

zusammen  unter  einem  Dach  eingesperrt  wurde.  Damit  entfiel  aber  das 
Bedürfnis  zu  jeder  privilegierenden  Surrogatstrafe  ebenso  wie  die  Not- 
wendigkeit, innerhalb  der  Freiheitsstrafen  anders  als  nach  der  zeitlichen 
Dauer  zu  differenzieren.  Ein  Gedankengang,  von  dem  aus  Noellner 
jede  Art  von  Ehrenstrafen  als  widerrechtlich,  der  Kriminalpolitik 
und  nicht  minder  der  Humanität  widerstreitend  bekämpfte.^ 

Feuerbachs  Strafgesetzbuch  von  1813,  ein  großes  Werk,  ein  kühner 
Wurf  gesetzgeberischer  Kunst  —  und  doch  behaftet  mit  unverkennbaren 
Mängeln!  In  der  Zurechnungslehre  und  der  Ausgestaltung  des  Strafen- 
systems vor  allem  zeigten  sich  die  im  Gesetz  getroffenen  Lösungen 
wenig  entwicklungsfähig.  Die  starre  und  unbeugsame  Härte  des 
Abschreckungsprinzips  machte  sich  überall  da  hemmend  fühlbar,  wo 
die  Aufgaben  einer  wirkungsvollen,  neuzeitlichen  Strafrechtspflege  ein 
Eingehen  auf  spezielle  Eigenarten  des  Verbrechers  verlangten.  Das  ist 
das  Verhängnisvolle  an  dem  Werdegang  Feuerbachs:  in  jungen  Jahren 
von  der  Philosophie  herkommend,  hatten  sich  ihm  die  Prinzipien  von 
Schuld  und  Strafe  zu  einem  geschlossenen  System  deduktiv  gewonnener 
Begriffe  und  Leitsätze  gestaltet.  Nun,  wo  es  galt,  ihre  legislative  Brauch- 
barkeit zu  erproben,  fehlte  ihm  selbst  die  Biegsamkeit  und  Leichtigkeit 
den  eigenen  Dogmen  gegenüber.  Sie  blieben  ihm  in  der  alten  Form 
theoretisch  wohlfundierte  Resultate,  aber  zu  einer  Weiterentwicklung 
seiner  Lehren  unter  dem  Einfluß  praktischer  Bedürfnisse  haben  ihn 
die  neuen  Aufgaben  nicht  geführt.  So  mußte  er  später  selbst  — 
schmerzlich  genug  —  immer  mehr  von  den  alten  Positionen  aufgeben, 
ohne  daß  er  eine  organische  Umbildung  oder  einen  systematischen 
Neubau  seiner  strafrechtlichen  Lehren  auch  nur  versucht  hätte." 

Indessen  besteht  bei  solcher  Betrachtung  die  Gefahr,  daß  man  Feuer- 
bach und  sein  Werk  allzusehr  vom  Standpunkt  der  ihm  nachfolgenden 
Entwicklung  aus  und  mit  modernen  strafrechtlichen  Anschauungen  beurteilt. 
Hat  er  doch  sicherlich  „den  Besten  seiner  Zeit  genug  getan"  mit  seinem 
Gesetzbuch,  das  nach  dem  Urteil  der  Zeitgenossen  „die  allgemeine 
Stimme  von  Deutschland"  zu  den  „ersten  und  gelungensten  des 
Jahrhunderts"  zählte.^  Diesen  Ruhm  verdankt  es  nicht  zuletzt  seinen 
formalen  Vorzügen.  Sind  doch  in  ihm  die  Methoden  des  begrifflich- 
abstrakten Rationalismus  zu  einem  solchen  Höchstmaß  gesetzgeberischer 
Technik  gesteigert,  daß  uns  auch  heute  noch  aus  seinen  Artikeln  die 
Gesetzessprache  des  modernen  Rechtsstaates  entgegenklingt. 


'  Friedr.  Noellner,  Das  Verhältnis  der  Strafgesetzgebung  zur  Ehre 
der  Staatsbürger.    Frankfurt  a.  M.  1846. 

'^  Vgl.  Baumgarten,  Gerichtssaal  Bd.  81,  S.  132, 

^  G.  W.  Böhmer,  Handbuch  der  Literatur  des  Kriminalrcchts. 
Göttingen  1816,     S.  120, 


227 


Sechstes  Kapitel 

Feuerbach  als  Kriminalpsychologe. 

Die  politisch  bewegten  Zeiten  der  Freiheitskriege  brachten  in 
Feuerbachs  Leben  eine  neue  Wendung.  In  jenen  Tagen  des  Über- 
gangs zwischen  Rheinbundpolitik  und  dem  Anschluß  an  die  Sieger 
von  Leipzig,  zwischen  partikularistischen  Ansprüchen  und  national- 
deutschen Forderungen,  zwischen  Liberalismus  und  Restauration  war 
es  nicht  ungefährlich,  an  exponierter  Stelle  im  Staatsleben  zu  stehen 
und  voll  Temperaments  die  Dinge  mitzuerleben  und  den  Drang  in 
sich  zu  fühlen,  auf  die  Geister  zu  wirken,  wie  Änselm  v.  Feuerbach. 
Hatte  er  jahrelang  allen  Intrigen  und  Anfeindungen  zum  Trotz  wenig- 
stens sein  großes  Gesetzgebungswerk  zum  Abschluß  bringen  können, 
so  war  nunmehr  sein  Sturz  unvermeidlich  geworden.  Sein  rücksichts- 
loses Eintreten  für  national-deutsche  und  liberale  Forderungen  berührte 
empfindliche  Stellen  der  ängstlich  lavierenden  bayerischen  Politik. 
Missen  wir  heute  ein  solch  leidenschaftliches  Sicheinsetzen  für  die 
Aufgaben  der  großen  Stunde  deutscher  Geschichte  ungern  an  den 
Männern  jener  Zeit  vor  100  Jahren,  die  Gegenwart  hat  ihm  das  wie 
vielen  nicht  gelohnt.  Was  ihm  innerstes  Bedürfnis  und  zugleich 
ernste  Pflicht  war,  kostete  ihn  sein  Ämt.^  1814  geht  er  als  zweiter 
Hppellationsgerichtspräsident  nach  Bamberg.  Schmerzlich  empfindet 
er  Verbannung  und  Zurücksetzung.  Pläne,  zur  Universität  zurück- 
zukehren, nach  Preußen  überzusiedeln,  beschäftigen  ihn.  Schließlich 
kommt  er  1817  als  Präsident  des  Rppellationsgerichts  für  den  Retzat- 
kreis  nach  Ansbach. 

Auch  hier,  unter  den  enger  begrenzten  Pflichten  beruflicher 
Alltagsarbeit  bewahrte  er  sich  noch  Freiheit  des  Geistes  zu  wissen- 
schaftlichem Schaffen.  Freilich,  wie  anders  stand  er  nunmehr  zu  den 
Dingen,   als   der  junge  Rechtsphilosoph,   der  vom   Naturrecht  herkam 


'  Vgl.  die  1833  als  Änselm  v.  Feuerbachs  Kleine  Schriften  vermischten 
Inhalts  erneut  veröffentlichten  Abhandlungen:  Über  die  Unterdrückung  und 
Wiederbefreiung  Europens  (1813);  Die  Weltherrschaft,  das  Grab  der  Mensch- 
heit (1814);  Über  teutsche  Freiheit  und  Vertretung  teutschcr  Völker  durch 
Landstände  (1814).  —  Zusammenfassend  über  Feuerbachs  politische  Tätig- 
keit: Jos.  Breuer,  Die  politische  Gesinnung  u.  Wirksamkeit  des  Kriminalisten 
Änselm  v.  Feuerbach.    Straßburger  Diss.,  1905. 

15* 


228 

und  zu  Füßen  des  Kantianers  Reinhold  gesessen  hatte.  Nicht 
mehr  will  er  als  Gelehrter,  „befangen  in  jener  von  Papieren  und 
Büchern  umstellten  Mauerwelt,  von  welcher  Goethes  Faust  so  viel 
zu  sagen  und  so  wenig  zu  rühmen  weiß  .  .  .,  nur  von  Ferne  die 
Gestalten,  die  der  Erdgeist  frei  erschafft",  sehen/  Die  Ideen  eines 
aus  theoretischen  Deduktionen  abgeleiteten  Vernunftrechts  und  einer 
allen  historischen  Bedingtheiten  entrückten  Philosophie  der  Gesetz- 
gebung erkennt  er  als  „Grundirrtümer,  welche  selbst  die  Idee  einer 
Rechtsphilosophie  in  ihren  Elementen  zerstörten  .  .  .  Das  darauf 
errichtete  Gebäude  konnte  daher  nicht  viel  melir  sein  als  ein  leeres 
Fachwerk,  zur  Lust  zu  öde  und  zum  Bewohnen  zu  gebrechlich  und 
zu  enge".^  Der  neuen  großen  geschichtlichen  Epoche,  welche  die 
Zeitgenossen  staunend  erlebten,  können  auch  die  Wissenschaften  sich 
nicht  verschließen:  „Haben  sie  sich  vorher  eigensinnig  von  der 
Erfahrung  losgesagt,  so  werden  sie  nun  unwiderstehlich  von  ihr 
angezogen,  um  in  ihr  und  für  sie  zu  wirken  und  mit  neuen 
Ansichten  von  ihr  bereichert  zu  frischem  Leben  zu  erwachen."^ 
Solches  Hinlenken  zu  den  Erscheinungen  des  Lebens  selber,, 
das  Bestreben,  auch  mit  der  wissenschaftlichen  Arbeit  den  großen 
Aufgaben  der  Zeit  zu  dienen  und  die  stille  Forscherarbeit  durch- 
dringen zu  lassen  von  dem  Geist  jener  Epoche,  in  der  vieles  zerstört 
und  vieles  aufzubauen  war,  dem  „Geist  der  Kraft  und  der  Tat"  und 
der  mithelfenden  Teilnahme  aller,  all  das  tat  dem  wissenschaftlichen 
Wert  des  Feuerbachschen  Schaffens  keinen  Abbruch.  Im  Gegenteil, 
die  Schriften,  die  nicht  sub  specie  aeterni  geschrieben  sind,  erscheinen 
uns  Heutigen  in  weit  geringerem  Maße  zeitlich  gebunden  und  in  ihrem 
Wert  auf  die  historische  Bedeutung  beschränkt,  als  die  Formalistik 
seiner  theoretischen  Deduktionen.  Hier  ist  sein  großes  Werk  über 
„Öffentlichkeit  und  Mündlichkeit  in  der  Gerechtigkeitspflege" 
und  die  „Gerichtsverfassung  und  das  gerichtliche  Verfahren 
Frankreichs"  zu  nennen.^    (1821  — 1825.) 


^  Einige  Worte  über  historische  Rechtsgelehrsamkeit  und  einheimische 
teutsche  Gesetzgebung.    Kleine  Schriften  vermischten  Inhalts,  1833,  S.  135. 

^  Blick   auf  die  teutsche   Rechtswissenschaft.    Kleine  Schriften   S.  167^ 

'  Ebendort  S.  173. 

*  Betrachtungen  über  die  Öffentlichkeit  und  Mündlichkeit  der  Gerechtig- 
keitspflege 1.  Bd.  Gießen  1821.  2.  Bd.  unter  dem  Titel:  Über  die  Gerichts- 
verfassung und  das  gerichtl.  Verfahren  Frankreichs  in  besonderer  Beziehung 
auf  die  Öffentlichkeit  u.  Mündlichkeit  der  Gerechtigkeitspflege.  Gießen  1825. 
Ferner:  Betrachtungen  über  das  Geschworenengericht.  Landshut  1813. 
Erklärung  des  Präsidenten  v.  Feuerbach  über  seine  angeblich  geänderte 
Überzeugung  in  Ansehung  der  Geschworenengerichte.  Aus  dem  Rheinischen. 
Mercur  besonders  abgedruckt.    Jena  1819. 


229 

Wie  Feuerbachs  Stellungnahme  zu  beurteilen  ist,  der  die  Freiheit 
der  Advokatur  preist,  Öffentlichkeit  und  Mündlichkeit  in  der  Haupt- 
verhandlung vor  dem  erkennenden  Gericht  fordert  und  zugleich  vor 
einer  Hinübernahme  der  französischen  Einrichtungen  warnt,  der  die 
<ieschworenengerichte  als  notwendige  Attribute  freier  Verfassungsstaaten 
anerkennt  und  zugleich  wegen  ihrer  angeblichen  strafprozessualen 
Mängel  und,  weil  sie  mit  der  herrschenden  Form  deutscher  Monarchien 
unvereinbar  seien,  verwirft,  gehört  an  einen  andern  Ort.  Hier  handelt 
es  sich  um  die  Bedeutung  dieser  Werke  für  die  Entwicklung  des 
wissenschaftlichen  Schaffens  Feuerbachs.  Da  zeigt  es  sich,  daß  hier 
die  große  Kunst,  das  Recht,  so  wie  es  lebt  und  wirkt,  lebendig  zur 
Anschauung  zu  bringen,  mit  unübertrefflicher  Meisterhand  zu  Werke 
ging.  Das  Prozeßrecht,  in  seiner  bunten  Mannigfaltigkeit  in  juristisch 
wesentliche  Formen  zergliedert  und  zugleich  aus  seinen  abstrakten 
Gesetzesbestimmungen  zu  plastischer  Wirklichkeit  dargestellt,  erscheint 
hier  in  unvergleichlicher  Wiedergabe  als  ein  Stück  unmittelbaren 
Kulturlebens.  Uns  Heutige  noch  lehrt  dieses  Werk,  mögen  seine 
Urteile  und  Ziele  längst  der  Geschichte  angehören,  in  den  scheinbar 
willkürlichen  und  starren  Formen  des  Prozesses  und  den  historischen 
Ordnungen  der  Gerichtsverfassung  einen  sinnvollen  Ausdruck  mannig- 
faltiger Mächte  und  Kräfte  im  Kampf  um  das  Recht  verstehen.  So 
ist  Feuerbach  selbst  weit  weg  von  der  Gefahr,  vor  der  er  die 
empirisch-pragmatische  Wissenschaft  v/arnt:  „von  dem  Tumult  betäubt, 
von  dem  Schimmer  geblendet  in  der  Gemeinheit  zu  versinken".^ 
Davor  bewahrte  ihn  nicht  zuletzt  jener  tiefe  ethische  Idealismus,  aus 
dem  heraus  er  den  Richtern  des  Änsbacher  Gerichtshofs  von  der 
hohen  Würde  des  Richteramts  sprach:  „Der  Ungehorsam  ist  dem 
Richter  eine  heilige  Pflicht,  wo  der  Gehorsam  Treubruch  sein  würde 
gegen  die  Gerechtigkeit,  in  deren  Dienst  allein  er  gegeben  ist."" 
So  bleibt  eines  in  allen  Wandlungen  seines  Lebens  und  Schaffens 
stetig  und  unverändert:  sein  tiefernstes  Streben,  mit  allen  Kräften 
der  Seele  und  des  Geistes  dem  Recht  und  der  Wahrheit  zu  dienen. 
„Gerechtigkeit,  ein  Name,  auszusprechen  mit  jenem  Gefühle  der 
Ehrfurcht,  womit  allein  das  Höchste  und  Heiligste  von  sterblichen 
Lippen  genannt  werden  darf."' 

So  war  der  jugendliche  Philosoph  als  reifer  Mann  dem  tätigen 
Leben  in  reger  Anteilnahme  zugewandt.  Hus  dem  Jünger  Reinholds, 
dessen  „philosophischer  Pedantismus"  und  dessen  „Glaube  an  eine 
allein  seligmachende  Metaphysik,  für  die  er  immer  Proselythen  sucht", 

'  Kleine  Schriften  S.  173. 

■  Die  hohe  Würde  des  Richteramts.    Kleine  Schriften  S.  128. 

•'  Kleine  Schriften  S.  123. 


230 

ihm  schon  in  Kiel  zu  mißfallen  begannen/  wird  der  Freund  der 
geistvollen  Elise  von  der  Recke  und  des  liebenswürdigen  Tiedge, 
des  „göttlichen  Sängers  der  Urania",  wird  der  „heitere  Rat"  jenes 
unvergleichlichen  Kreises,  den  die  letzte  Herzogin  von  Kurland  in 
Karlsbad  und  Löbichau  um  sich  zu  sammeln  pflegte.^  Die  täglichen 
Aufgaben  der  Rechtspflege  bestimmten  die  Richtung  seines  Interesses, 
und  seiner  wissenschaftlichen  Arbeit  erwuchsen  neue  Anregungen  aus 
den  bunten  Eindrücken  des  Lebens  selbst.  Noch  einmal  gewann  er 
von  hier  aus  ein  Verhältnis  zum  Strafrecht.  Nicht  so  sehr  abstrakte 
Begriffe  und  theoretische  Prinzipien  interessieren  ihn,  als  vielmehr  das 
Studium  der  einzelnen  Verbrecher  selbst,  ihre  Persönlichkeiten, 
ihr  Schicksal,  ihr  Fühlen  und  Handeln.  Kriminalpsychologische 
Untersuchungen  traten  an  Stelle  philosophischer  Deduktionen.^ 
Schon  1808  und  1811  hatte  er  „Merkwürdige  Kriminalrechts- 
fälle" erscheinen  lassen,  und  er  berichtete  mit  Stolz,  daß  sie  nicht 
nur  in  dem  Studierzimmer  der  Gelehrten,  sondern  sogar  hier  und  da 
„in  den  Boudoirs  der  eleganten  Lesewelt"  willkommene  Aufnahme 
fanden.^  Doch  waren  sie  noch  nicht  im  eigentlichen  Sinne  die  Frucht 
besonderer  kriminalpsychologischer  Neigungen.  Es  waren  Berichte, 
die  er  in  seiner  Münchener  Zeit  in  der  Gnadeninstanz  dem  König 
erstattet  hatte,  ein  „Aggregat  von  Ämtsarbeiten",  und  sie  kamen 
vorwiegend  „in  ihrer  ursprünglichen  Gestalt  und  oft  noch  allzusehr 
mit  dem  von  der  Geschäftseile  aufgeregten  Staube  bedeckt  unter  des 
Setzers  Hand".'^  Erst  als  Präsident  am  Äppellationsgericht  in  Ansbach 
fand  er  rechte  Muße  zu  eigentlichen  kriminalpsychologischen  Studien. 
Hier  ward  ihm  der  „Gerichtssaal  zum  Hörsaal",  war  er  doch  „einer 
nie  versiegenden,  überreichen  Quelle  merkwürdiger  Rechtserfahrungen 
nahegestellt  und  ihm  dabei  die  beneidenswerte  Freiheit  geblieben, 
nach  eigener  Lust  so  viel  und  so  wenig  daraus  zu  schöpfen,  als  er 
jedesmal  seinen  Bedürfnissen  angemessen  erachten  mochte".''  So  machte 
er  es  sich  „zum  erheiternden  und  belehrenden  Geschäfte  mancher 
Mußestunde",   Kriminalfälle,   die  ihm  im  Gerichtssaal  auffielen,   in  der 


'  Leben  und  Wirken  I,  S.  93. 

-  Vgl.  hierzu:  Jean  Paul,  Briefblättchen  an  die  Leserin  des  Damen- 
taschenbuchs bei  gegenwärtiger  Übergabe  meiner  abgerissenen  Gedanken 
vor  dem  Frühstück  und  dem  Nachtstück  in  Löbichau,  Sämlliche  Werke  Bd.  32, 
Berlin  1842,  S.  327  ff.,  und  Henriette  Feuerbach,  in:  Änselm  Feuerbachs 
Nachgelassenen  Schriften  Bd.  I,  S.  31  ff. 

^  Vgl.  für  das  Folgende  den  Aufsatz  von  Radbruch,  Feuerbach  als 
Kriminalpsychologe.    Aschaffenburgs  Monatsschrift,  6.  Jahrg.,  S.  1  ff. 

'  Äktenmäßigc  Darstellung  merkwürdiger  Verbrechen.  Vorrede  zur 
2.  Aufl.    3.  Aufl.,  1849,  pag.  III. 

^  Ebendort  pag.  IV.  —  ''  Ebendort  pag.  IV. 


231 

Stille  der  Studierstube  erneut  zu  durchdenken,  sie  wissenschaftlich 
zu  bearbeiten  und  sie  zusammen  mit  anderen  Darstellungen  und 
Mitteilungen  auswärtiger  Gerichtshöfe  zu  einem  „nicht  unbedeutenden 
Kabinett  seltener  Delinquenten -Exemplare"^  zu  vereinen.  Aus  dieser 
Sammlung  im  Verein  mit  Neubearbeitungen  der  alten  ,,  Geschäfts- 
arbeiten" erschien  1827  und  1829  in  2  Bänden  die  „Äktenmäßige 
Darstellung  merkwürdiger  Verbrechen". - 

In  der  noch  ungeschriebenen  Geschichte  menschlicher  Lebens- 
beobachtung und  Seelenkunde  wäre  eine  Geschichte  der  Verbrechens- 
darstellungen von  besonderem  Reiz.  Gerade  das  18.  Jahrhundert 
war  der  Entwicklung  der  „Psychognosis",  der  „praktischen  und  künst- 
lerischen Seelenkunde,  die  um  das  Rätsel  des  Charakters  bemüht  ist", 
in  besonderem  Maße  günstig.^  Dem  Rationalismus,  der  die  bunte 
Mannigfaltigkeit  des  Lebens  in  das  nivellierende  Gleichmaß  abstrakter 
Vernunftgemäßheit  zwang,  erwuchs  die  Gegenströmung  des  Senti- 
mentalismus, der  wieder  subjektiven  Gefühlen  und  innersten 
Empfindungen  Anerkennung  verschaffte.*  An  Stelle  des  Menschen, 
der  nur  ein  abstraktes  blutleeres  Schema  war,  traten  die  Menschen, 
wie  sie  waren  mit  ihrem  Sehnen  und  Fühlen,  in  ihrer  ursprüng- 
lichen Verschiedenheit,  losgelöst  von  den  stereotypen  Formen  und 
Bindungen  gesellschaftlicher  Kultur  und  Zivilisation.  Es  begann  jener 
Kult  persönlichen,  innerlichen  Gefühlslebens,  der  im  Sturm  und 
Drang  in  jugendlicher  Frische  alte  Formen  zu  sprengen  suchte  und 
von  romantischer  Naturschwärmerei  und  religiösem  Pietismus  befruchtet, 
über  Werther  und  Susanne  v.  Klettenbergs  „Schöner  Seele"  allenthalben 
dem  „Triumph  der  Empfindsamkeit"  die  Wege  ebnete.  In  einer  Flut 
von  Bekenntnissen,  Tagebüchern,  biographischen  und  Erziehungsromanen 
entstand  eine  breite  Literatur  einer  analytischen  Psychologie,  die  den 
Lebensgang  des  Einzelnen  in  seiner  individuellen  seelischen  Entwicklung 
zu  begreifen  und  darzustellen  suchte.  Von  hier  führen  Fäden  zur 
Moderne,  zum  realistischen  Roman  und  zum  naturalistischen  Drama. 
Dabei  standen  jene  beiden  Richtungen  keineswegs  so  unvermittelt 
einander  gegenüber,  wie  es  ihre  innere  Gegensätzlichkeit  vermuten 
ließe.     „Erkenne  dich  selbst!",  war  auch  die  Mahnung  der  Aufklärer, 


*  Ebendort  pag.  VI. 

-  Im  folgenden  zitiert  nach  der  von  Mittermai  er  1849  besorgten, 
unveränderten  3.  Ausgabe  in  einem  Bande.  Eine  englische  Übersetzung  von 
Lady  Duff  Gordon  erschien  New  York  1846,  eine  moderne  deutsche 
Auswahl  von  Wilhelm  v.  Scholz   München  und  Leipzig  1913   (2  Bände). 

^  M.  Dessoir,  Abriß  einer  Geschichte  der  Psychologie  (Ebbiiighaus- 
Meumann,  Psychologie  in  Einzeldarstellungen  IV).    1911.    S.  3  und  II  ff. 

'  Zu  dem  Folgenden:  M.  Dessoir,  Geschichte  der  neueren  deutschen 
Psychologie  I.  Bd.,  2.  Aufl.,  1910,  S.  134-164. 


232 

wo  sie  die  Menschen  neue  Wege  zu  irdischer  Wohlfahrt  und  Glück- 
seligkeit führen  wollten.  Was  man  aber  als  tiefstes  Gefühl  im  Herzen 
zu  empfinden  glaubte,  war  oft  ebenso  der  Wiederhall  allgemeiner  Ideen 
der  Zeit,  wie  die  Aufklärer  immer  wieder  für  die  Gedanken  allgemein- 
gültige Vernunftgemäßheit  beanspruchten,  die  im  Grunde  allein  ihrer 
eigenen  Brust  entsprungen  waren.  Ruch  bei  Kant  sind  beide  Richtungen 
fühlbar:  wie  die  „Metaphysik  der  Sitten"  ein  naturrechtliches  System, 
enthält  die  „Anthropologie  in  pragmatischer  Hinsicht"  ein  psychologisches 
System  rationalistischer  Begriffe  und  abstrakter  Sätze,  —  und  doch  treibt 
es  den  Kant  der  „Kritiken",  das  Unerforschliche  still  zu  verehren. 

Jener  neuen  Freude  an  lebensvollen,  psychologisch  vertieften 
Selbstdarstellungen  und  Biographien  entsprach  ein  erhöhtes  Interesse 
an  Schilderungen  aus  dem  Leben  auffallender  Persönlichkeiten  und  an 
Berichten  über  Kriminalrechtsfälle.  In  Ännalen  und  Magazinen 
wurden  Darstellungen  aller  möglichen  Prozesse  verbreitet.  Schiller 
schrieb  1792  eine  Vorrede  zu  einer  deutschen  Ausgabe  von  Rechts- 
fällen aus  dem  Pitaval,^  jenen  Causes  celebres  et  interessantes 
des  Pariser  Parlaments -Advokaten,  die  schon  damals  die  klassische 
Sammlung  bemerkenswerter  Kriminalrechtsfälle  waren.  Der  Dichter  der 
„Räuber"  erzählte  die  Geschichte  vom  „Verbrecher  aus  verlorener  Ehre", 
jenes  Wilddiebs,  den  erst  die  infamierende  Wirkung  der  Festungsbau- 
strafe endgültig  auf  die  Bahn  des  Verbrechens  brachte:  „Ich  betrat 
die  Festung,  sagte  er,  als  Verirrter  und  verließ  sie  als  Lotterbube."  — 
„In  der  ganzen  Geschichte  der  Menschheit,  heißt  es  hier  bei  Schiller, 
ist  kein  Kapitel  unterrichtender  für  Herz  und  Geist,  als  die  Ännalen 
seiner  Verirrungen."- 

Indessen  dies  Interesse  blieb  keineswegs  auf  literarisch -ästhetische 
Bedürfnisse  beschränkt.  Dem  Kriminalisten  war  neben  der  Tätigkeit 
in  den  Spruchkollegien  die  literarische  Beschäftigung  mit  merkwürdigen 
Rechtsfällen  eine  willkommene  Ergänzung  der  allgemeinen  theoretischen 
Studien  und  Lehrtätigkeit.  Gerade  das  Strafrecht  der  Äufklärungszeit, 
das  den  abstrakten,  formalen  Verbrechensbegriff  herausgearbeitet 
hatte,  bedurfte  um  so  mehr  der  lebensvollen  Darstellung  wirklicher 
Verbrechen,  indem  es  so  im  eigenen  Fachgebiet  das  Doppelantlitz 
der  Zeit,  die  logische  Geschlossenheit  des  begrifflichen  Rationalismus 
und  das  Streben  nach  intuitiver  Erfassung  ursprünglichen  individuellen 
Lebens  wiederspiegelte. 


^  Merkwürdige  Rechtsfälle  als  ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Mensch- 
heit.   Herausgegeben  von  Schiller,  2  Teile,  Jena  1792. 

-'  Schillers  Werke  in  12  Bänden  (Reclam),  Bd.  10,  S.  44.  —  Vgl. 
V.  Rohden,  Schiller  und  die  Kriminalpsychologie.  Äschaffenburgs  Monats- 
schrift II,  S.  81  ff. 


233 

Feuerbachs  Buch  bedeutet  einen  Höhepunkt  in  der  Literatur 
der  Verbrechensschilderungen.  Hier  war  ein  großer  Künstler  am 
Werk,  der  das  Leben  in  unmittelbarer  Plastik  darzustellen  versteht  und 
zudem  ein  geborener  Kriminalist,  dem  es  tiefstes  Bedürfnis  ist,  immer 
wieder  das  Verbrechen  selbst,  das  Schicksal  und  die  Persönlichkeit 
der  Verbrecher  zu  studieren,  menschliches  Fühlen  und  Wollen  auch 
in  verborgenen  und  unverständlichen  Regungen  zu  ergründen  und  den 
es  in  heißem  Wissensdrang  und  aus  einer  letzten  seelischen  Veranlagung 
heraus  immer  aufs  neue  zu  denen  zieht,  welche  die  Menschen  aus 
ihrer  Gemeinschaft  ausgeschlossen  haben.  So  entstand  eine  echte  Lieb- 
haberarbeit —  Euphrosyne,  der  wohltätigsten  der  Grazien  anvertraut  — 
ein  Geschenk  glücklicher  Mußestunden  und  doch  geschrieben  unter  dem 
zwingenden  Müssen  innerster  Neigung.  Nur  was  so  aus  schöpferischer 
geistiger  Arbeit  heraus  erwachsen  ist,  wird  wie  Feuerbachs  Buch  auch 
heute  noch  nach  seines  Urhebers  Worten  „zwar  nicht  dem  bloß  um 
seinen  Tagelohn  arbeitenden  Handwerker  der  Justiz,  aber  dem  denkenden, 
zumal  für  die  Gesetzgebungswissenschaft  arbeitenden  Rechtsgelehrten, 
dem  Seelenforscher  und  dem  Gerichtsarzte,  dem  Moralisten  wie  dem 
Pädagogen  nicht  unwillkommen  sein  und  hin  und  wieder  selbst  dem- 
jenigen, der  nur  geistige  Unterhaltung  sucht,  einige  Befriedigung 
gewähren  können".'  Freilich  mögen  zu  Feuerbachs  Zeit  an  den 
Gerichten  selbst  wenig  Männer  gesessen  haben,  die  so  aus  tiefstem 
Herzen  sich  zum  Beruf  des  Kriminalisten  bestimmt  fühlten.  War 
doch  Feuerbach  selbst  noch  die  unmittelbar  praktische  Bedeutung 
kriminalpsychologischen  Denkens  für  das  einzelne  Strafverfahren 
fremd.  Ihn  als  Forscher  trieb  es  immer  wieder  zu  einer  Untersuchung 
der  psychologischen  Bedingungen  der  Tat,  des  Gewebes  mannigfaltiger 
Neigungen,  Triebe,  Gefühle  und  Wünsche,  —  aber  daneben  sah  er  die 
Tätigkeit  des  Richters  als  ein  rein  juristisches  Arbeiten,  und  jene  ganze 
Psychologie  war  auch  ihm  etwas,  das  „gemeiniglich  entweder  ganz 
außerhalb  der  Grenzen  streng  richterlicher  Beurteilung  liegt 
oder  höchstens  nur  nebenbei  und  in  einzelnen  Punkten  ihren  Gesichts- 
kreis berührt."" 

Zweierlei  ist  für  die  Verbrechensauffassung  jener  Zeit  charakteristisch: 
Neben  dem  Verbrecher  aus  edlen  Motiven  bevorzugt  sie  namentlich 
den  großen  Verbrecher,  starke  Naturen,  und  ist  geneigt,  in  der 
verbrecherischen  Persönlichkeit  eine  besondere  Energie  und  Eigen- 
willigkeit zu  sehen.  „Bei  jedem  großen  Verbrechen  war  eine  verhältnis- 
mäßig große  Kraft  in  Bewegung.  Wenn  sich  das  geheime  Spiel  der 
Begehrungskraft  bei  dem  matteren  Licht  gewöhnlicherer  Affekte  versteckt, 


*  Äktenmäßigc  Darstellung,  Vorrede  pag.  Vif.  —  -  Ebcndort  pag.  IV 


234 

so  wird  es  im  Zustand  gewaltsamer  Leidenschaft  desto  hervorspringender, 
kolossalischer  ..."  (Schiller).^  Es  war  die  Zeit  der  ersten  großen 
Shakespeare -Begeisterung  in  Deutschland,  in  der  man  sich  an 
Kraftgenialischem  berauschte  und  in  den  Königsdramen  jene  tragischen 
Konflikte  zwischen  der  Eigengesetzlichkeit  starker  Persönlichkeiten  und 
einer  Ordnung  für  Menschen  von  mittlerem  Maß  erlebte.  So  zieht 
auch  Feuerbach  immer  wieder  Shakespearesche  Gestalten  und  Verse 
heran.  In  seinen  Verbrechensschilderungen  klingt  oft  eine  Bewunderung 
für  seine  Mördergestalten  an,  und  der  temperamentvolle  Mann  vermag 
auch  dem  Laster  die  Anerkennung  innerer  Größe  nicht  zu  versagen. 
Mögen  Reue  und  Geständnis  den  Richter  zu  milderem  Spruch  bestimmen, 
Feuerbachs  Sympathie  gilt  den  „großen  Sündern",  die,  wie  der  Mörder 
Forster,  durch  kein  Bekenntnis  die  Bürde  ihrer  Schuld  verringern.  „Wie 
ein  aus  Eisen  gegossener  Riese  steht  er  da,  mit  Blut  bedeckt,  kalt,  in 
sich  verschlossen,  unbewegt  und  unbeweglich,  ebenso  verabscheuungs- 
wert  durch  seine  aus  Tiger-  und  Schlangennatur  zusammengesetzte 
Gemütsart  als  bewunderungswürdig  durch  die  ungemeine  Seelenstärke, 
mit  der  er  schweigend  das  Geheimnis  seiner  Schuld  standhaft  bewahrt. "  ^ 
Man  mag  auch  heute  noch  an  jenen  Feuerbachschen  Verbrechen,  meist 
derb -brutalen  Totschlägen,  begangen  in  einer  Zeit,  in  der  noch  nicht 
auch  im  Verbrechen  die  Raffinements  moderner  Technik  an  die  Stelle 
persönlicher  Kraft  und  Mutes  getreten  waren,  etwas  ursprünglich  Gesundes 
finden  und  mit  dem  zeitgenössischen  Rezensenten^  eine  gewisse 
Sympathie  empfinden  für  diese  Taten  „aus  wilder  Leidenschaft  gezeugt, 
schnell  beschlossen  und  richtig  ausgeführt  .  .  .,  nichts  von  mattem 
Lebensüberdruß"!  Aber  man  darf  sich  der  Gefahr  einer  romantischen 
Konstruktion  nicht  verschließen,  die  von  außen  Dinge  in  das  Bewußtsein 
des  Verbrechers  hineinträgt.  Die  Geschichte  des  Strafrechts  hat  gelehrt, 
wie  verhängnisvoll  die  Vorstellung  gewirkt  hat,  daß  im  Verbrecher  eine 
besonders  starke  Energie  lebt  und  daß  es  gelte,  im  Strafvollzug  den 
Willen  des  Verbrechers  zu  brechen.  Die  Bewunderung  der  Stärke  und 
Unbeugsamkeit  verbrecherischer  Neigungen  hat  nur  zu  oft  den  Blick 
dafür  getrübt,  daß,  was  als  Konsequenz  und  Energie  erschien,  nur  die 
Zwangsläufigkeit  einer  erkrankten  Psyche  war.  Wenn  wir  von  jenem 
standhaften  Mörder  Forster  hören,  wie  er  jahrelang  im  Zuchthaus  die 
schwere  Kette  schleppt:  „in  seinen  starren  Zügen  ist  selten  oder  nie 
eine  Veränderung  wahrzunehmen,  sein  Kopf  gleicht  einer  Marmorbüste, 
welche  kein  Leben  zeigt  außer  in  zwei  großen,   weit  hervortretenden 


^  Verbrecher  aus  verlorener  Ehre,  a.  a.  O.  S.  44. 
'  Äktenmäßige  Darstellung   S.  364. 

■'  K.  E.  Schmid,  Allg.  Litcratur-Ztg.    Jena  und  Leipzig  1809.    Bd.  III, 
Nr.  169,  S.  141. 


235 

Äugen,  die  meistens  vor  sich  hin  auf  den  Boden  stieren  und  in  welchen 
sich  nichts  ausspricht  als  Grimm  und  verbissene  Verzweiflung"/  so 
regt  sich  in  uns  Heutigen  der  Verdacht  einer  schweren  Psychose. 
Auf  der  andern  Seite  war  es  das  Verdienst  der  Rufklärungszeit, 
das  Allgemeinmenschliche  im  Verbrecher  herauszustellen:  „Alle 
Menschen  werden  Brüder  .  .  .",  nicht  nur  im  Jubel  der  Freude  und  im 
Drang  sittlicher  Hingebung,  sondern  auch  in  der  Erkenntnis,  wie  eng 
nebeneinander  oft  die  Pfade  der  Tugend  und  des  Lasters  laufen.  Den 
„Freund  der  Wahrheit"  überrascht  es  nach  Schiller  nicht  mehr,  „in 
dem  nämlichen  Beete,  wo  sonst  überall  heilsame  Kräuter  blühen,  auch 
den  giftigen  Schierling  gedeihen  zu  sehen,  Weisheit  und  Torheit,  Laster 
und  Tugend  in  einer  Wiege  beisammen  zu  finden".  Würde  ein  zweiter 
Linne  ein  System  menschlicher  Triebe  und  Neigungen  aufstellen,  so 
fände  man  manchen,  „dessen  Laster  in  einer  engen  bürgerlichen  Sphäre 
und  in  der  schmalen  Umzäunung  der  Gesetze  jetzt  ersticken  muß,  mit 
dem  Ungeheuer  Borgia  in  einer  Ordnung  beisammen".^  In  diesem 
Sinne  scheinbar  unerklärliche  Verbrechen  auf  letzte,  allgemeinmenschliche 
Motive  zurückzuführen,  war  vornehmlich  das  Ziel  der  Feuerbachschen 
Kriminalpsychologie.  „Auf  der  tragischen  Bühne  der  Verbrechen 
spielen  ganz  dieselben  Triebfedern,  welche  nicht  nur  in  viele  krasse 
und  glänzende  Weltbegebenheiten,  sondern  auch  alltäglich  in  den  engen 
Kreis  des  bürgerlichen  Lebens  und  der  gemeinen  geselligen  Verhältnisse 
eingreifen."^  Solche  Erkenntnis  schließt  alles  pharisäerhafte  Aburteilen 
aus,  aber  sie  birgt  bei  Feuerbach  wiederum  die  Gefahr  in  sich,  die 
Sphäre  des  Normalen,  in  der  der  Mensch  für  sein  Tun  verantwortlich 
zu  machen  ist,  auf  Kosten  des  in  ärztlichem  Sinne  Pathologischen  zu 
weit  auszudehnen.  Wenn  auch  jede  wahre  sittliche  Beurteilung  den 
Menschen  mit  dem  Maß  mißt,  das  seinen  individuellen  psychischen  und 
physischen  Kräften  entspricht,  so  erscheint  doch  jene  „ideale  Forderung" 
auf  möglichste  Ausdehnung  des  Umfangs  menschlicher  Selbstverant- 
wortung als  ein  Zeichen  starken  Glaubens  an  die  Macht  der  sittlichen 
Kräfte  im  Menschen.  Feuerbach,  dessen  strafrechtliche  Lehren  auf  die 
Trennung  von  Recht  und  Moral  aufgebaut  sind,  weilt  hier  gern  bei 
Betrachtungen  über  die  Regungen  und  Wandlungen  sittlichen  Lebens 
im  Menschen.  Das  Bestreben  der  Verbrecher,  auch  wo  sie  nichts  mehr 
zu  verlieren  haben,  die  „abscheulichsten  Züge  ihrer  Missetaten"  zu 
verbergen  und  abzuschwächen,  ist  ihm  noch  eine  letzte  Regung  sittlichen 
Empfindens  im  Verbrecher.  „Solches  Zurückhalten  ist  ein  stilles  Opfer, 
womit  selbst  der  Verbrecher  widerwillig  in  seinem  Herzen  dem  Guten 


*  Äklenmäßige  Darstellung   S.  366. 

■  Verbrecher  aus  verlorener  Ehre,  a.  a.  O.  S.  44  und  45. 

"  Äklenmäßige  Darstellung,  Vorrede  pag.  V. 


236 

huldigt,  und  gehört  zu  den  vielen  Erscheinungen,  in  welchen  selbst  am 
Bösewicht  sich  offenbart,  daß  die  Tugend  kein  leerer  Name  ist"/ 

Über  allen  Betrachtungen  und  Problemen  aber  steht  die  unvergleich- 
liche Kraft  der  Darstellung  der  Leben  und  Taten  jener  merkwürdigen 
Verbrecher  selbst.  Mit  unvergänglicher  Lebendigkeit  treten  sie  noch 
heute  aus  den  vergilbten  Blättern  vor  uns.  Anna  Margaretha  Zwanziger, 
die  „deutsche  Brinvillier",  die  Giftmörderin,  der  das  geheimnisvolle 
Arsenik  eine  verhängnisvolle  Verführung  wurde,  in  das  Glück  fremder 
Menschen  und  Familien  als  Schicksal  einzugreifen,  die  Fäden  nach 
ihrem  Willen  lenkend  und  so,  berauscht  von  dem  Gefühl  persönlicher 
Macht,  sich  für  ein  eigenes  Leben  voll  Enttäuschungen  schadlos  zu 
halten.  Wie  das  „frohe,  tröstende  Wiedersehen  eines  lang  entfernten 
Geliebten"  begrüßt  sie  vor  Gericht  den  Anblick  des  „lieben  Giftes". 
Pfarrer  Riembauer,  der  ein  verbrecherisches,  sittenloses  Leben  mit 
scheinheiligen  moralischen  Spitzfindigkeiten  zu  rechtfertigen  wußte 
und  seine  unbequeme  Geliebte  umbrachte,  nicht  ohne  ihr  vorher 
die  priesterliche  Absolution  erteilt  zu  haben  —  Tartuffe  als  Mörder. 
Seidel,  der  Räuberhauptmann,  dessen  Ehrgeiz  es  ist,  ein  zweiter 
Schinnerhannes  zu  werden,  Thalreuter,  der  jugendliche  Hochstapler. 
Aller  Aberglaube  der  Zeit  wird  lebendig  in  der  Geschichte  des  „Mädchen- 
schlächters" Bichel,  der  die  armen  Opfer  seiner  Habsucht  lockt,  in 
einen  geheimnisvollen  Erdspiegel  zu  sehen.  Und  so  fort,  eine  lange  Reihe, 
Menschen  von  unserem  Fleisch  und  Blut  und  doch  mit  einem  schmerzlich- 
fremden Ausdruck,  wie  die  Kupfer  zu  Lavaters  Physiognomischen 
Fragmenten,  die  gerade  damals  auch  das  Interesse  des  Kriminalisten 
erweckten.  Und  mit  den  Menschen  werden  Zeit  und  Landschaft 
lebendig:  jene  abgelegenen  bayerischen  Dörfer,  die  Stille  des  Einöd- 
hofs, die  grausige  Einsamkeit  der  Schwarzmühle  im  Sibbenthal,  auch 
die  alte  Justiz  mit  ihrem  ängstlich-sorgsamen  Verfahren,  die  unendliche 
Geduld  und  die  listige  Schlauheit  des  Inquirenten,  —  in  den  zurück- 
liegenden Fällen  aus  „Alt-Bayern"  in  ihren  Mängeln  nicht  ohne  eine 
gewisse  Freude  der  fortgeschrittenen  neuen  Zeit  über  die  Absonderlich- 
keiten der  Vergangenheit  geschildert.  Ohne  Zweifel  war  der  ausgehende 
Inquisitionsprozeß  solcher  Seelenanalyse  außerordentlich  günstig.  Der 
Inquisit,  lediglich  Objekt  der  Untersuchung,  war  genötigt,  gleichsam 
wie  auf  dem  Seziertisch  der  „eindringenden  Sonde  des  untersuchenden 
Richters"  stillzuhalten  und  sein  Leben  bis  in  seine  letzten  Regungen 
zu  offenbaren. 

So  erscheint  Feuerbachs  Buch  mit  den  Strömungen  und  Stimmungen 
seiner  Zeit  verbunden  und  zugleich   als   das  reife  Werk   eines  großen 


'  Ebendort  S.  42. 


237 

Künstlers,  dem  die  Ursprünglichkeit  unmittelbarer  Intuition  und  die 
Kraft  plastischer  Darstellung  über  das  Jahrhundert  hinweg  ungeminderte 
Wirkung  sichern.  Nie  wieder  hat  die  Kriminalpsychologie  eine  solche 
Höhe  geistig  bedeutender,  lebensvoller  Verbrecherstudien  erreicht.  In 
der  Literatur  nahmen  in  der  Folgezeit  Prozeßberichte  zunächst  noch 
einen  breiten  Raum  ein.  Die  politischen  Prozesse  der  Zeit  vom  Wiener 
Kongreß  bis  zu  den  48  er  Jahren  boten  eine  Fülle  von  Material.  Eine 
Flut  von  Schriften  erschien,  die  teils  dem  Nachweis  der  Unschuld  und 
Ehrenrettung  politischer  Märtyrer  dienten  oder  zeigen  wollten,  wie  not- 
wendig gerade  im  Hinblick  auf  die  [deprimierenden  Erfahrungen  der 
Demagogenprozesse  eine  rechtsstaatliche  Umbildung  der  Gerichts- 
verfassung und  eine  endliche  Erfüllung  der  großen  prozeßrechtlichen 
Reformforderungen  waren,  wie  sie  im  Anklang  an  den  neuen  rheinisch- 
französischen Prozeß  immer  lauter  erhoben  wurden.  Feuerbach  hat  sich 
selbst  lebhaft  noch  für  die  aus  dem  Streit  um  den  Wert  der  rheinischen 
Schwurgerichte  bekannte  Frage  über  „Fonks  Unschuld"  interessiert.^ 
Mancher  Prozeß  bot  den  Freiheitsmännern  Anlaß,  gegen  „Geheime 
Inquisition,  Censur  und  Cabinetsjustiz  im  verderblichen  Bunde""  Sturm 
zu  laufen.  Aber  die  Darstellung  eigentlicher  Verbrechergestalten  trat 
zurück.  Als  dann  unter  dem  Einfluß  der  Hegeischen  Philosophie  die 
Strafrechtswissenschaft  aufs  neue  unter  die  Abhängigkeit  abstrakter 
Begriffsbildungen  geriet,  fehlten  ihr  realistische  Verbrecherstudien  aus 
der  Hand  kundiger  Seelenschilderer,  welche  den  Pulsschlag  des  Lebens 
unmittelbar  zu  fassen  verstehen.  In  den  neuen  positivistischen  Schulen 
stand  bei  den  Kriminalanthropologen  mehr  das  Somatisch -Physiologische 
im  Vordergrund,  während  die  soziologische  Betrachtungsweise  zu  einer 
Entpersönlichung  des  einzelnen  Verbrecherschicksals  zugunsten  eines 
Massenphänomens  zu  führen  scheint.  Es  war  hier  ein  naturwissenschaft- 
licher Einfluß,  der  auch  in  der  Psychologie  das  Interesse  an  deskriptiver 
Einzeldarstellung  zugunsten  des  Strebens  nach  quantitativ  auswertbaren 
und  beliebig  überprüfbaren  Feststellungen  zurücktreten  ließ.  Erst 
neuerdings  erwacht  ein  Bedürfnis,  das  einseitige  Gravitieren  nach  der 
Naturwissenschaft  durch  eine  Wiederanlehnung  an  die  Arbeitsweise  des 
Historikers  zu  überwinden.  Geschichtsforscher  und  Psychologe  haben 
in  dem  Verstehen  des  Wesens  und  des  Entwicklungsganges  individueller 
Persönlichkeiten  ein  gemeinsames  Ziel.  Damit  ist  der  wissenschaftlichen 
Biographie  auch  von  psychologischer  Seite  erneut  Berechtigung  und 
Wert  anerkannt."^    Zur  gleichen  Zeit  beginnt  in  der  Kriminalpsychologie 


^  Vgl.  Hitzig,  Erinnerung  an  Feuerbach.    Annalcn  der  deutschen  und 
ausländ.  Kriminalrechtspflege  XV  (Neue  Folge  Bd.  III).    1833.    S.  398  ff.  u.  410. 
^  W.Schulz  und  C.Welcker,  Karlsruhe  1845. 
»  W.  Stern,  Differentiellc  Psychologie  3.  Äull.    1921.    S.  4  f.  und  318  L 


238 

ein  stärkeres  Interesse,  neben  statistischer  Erfassung  allgemeiner  Erfah- 
rungen und  Beziehungen  einzelne  antisoziale  Persönlichkeiten  in  ihren 
individuellen  Lebensschicksalen  und  Charaktereigentümlichkeiten  zu 
studieren.  Was  fehlt,  ist  das  wahre  Ethos  des  Kriminalisten,  die  Freude 
an  der  Beschäftigung  mit  dem  Verbrechen  in  seiner  kulturellen 
Eigenbedeutung.  Unsere  Wissenschaft  ist  zu  einer  Technik  ratio- 
neller Verbrechensbekämpfung  geworden,  und  sie  hat  vergessen, 
wie  ihr  Sternberg  nicht  ohne  Berechtigung  vorwirft,^  „daß  nur  das 
Interesse  an  dem  Lebendigen,  an  dem  Wesen,  das  Verbrechen  heißt .  .  ., 
die  Lockung,  das  Verbrechen  zu  sehen  und  in  seinem  Geheimnis  und 
seiner  Bedeutung  kennen  zu  lernen,"  den  Kriminalisten  mit  wirklicher 
Liebe  und  Hingebung  in  seiner  Wissenschaft  arbeiten  lassen. 

Feuerbach  beschränkt  sich  in  seinen  Prozeßdarstellungen  nicht 
auf  eine  Geschichtserzählung  des  Verbrechens  oder  eine  Lebens- 
beschreibung des  Verbrechers.  Vielmehr  gewähren  seine  Studien 
auch  in  der  endgültigen  Fassung  noch  einen  Einblick  in  die  Art, 
wie  er  selbst  das  Prozeßmaterial  kritisch  sichtete.  Die  Beweis- 
würdigung in  jenen  Verfahren  läßt  uns  heute  noch  die  ganze  Struktur 
und  Psychologie  des  späteren  inquisitorischen  Beweisrechts  wie  aus 
eigener  Anschauung  erkennen.  Für  das  Problem  der  strafrechtlichen 
Zurechnung  interessieren  vor  allem  die  Fälle,  in  denen  Feuerbach 
die  Frage  prüft,  ob  der  Täter  vom  strafrechtlichen  Standpunkt  aus 
als  zurechnungsfähig  zu  betrachten  ist.  Dabei  zeigt  sich,  daß 
Feuerbach  an  eine  unmittelbare  Anwendung  seines  theoretischen 
Begriffs  der  Zurechnungsfähigkeit  in  der  forensischen  Praxis  niemals 
gedacht  hat.  Aus  der  Identifizierung  von  Zurechnungsfähigkeit  mit 
Bestrafungsfähigkeit  im  speziellen  Sinne  der  Äbschreckbarkeit  hätte 
folgen  müssen,  daß  nun  in  jedem  einzelnen  Fall  zu  prüfen  sei:  kann 
auf  den  Täter  in  normaler  Weise  durch  Motive  bestimmend  gewirkt 
werden,  vermag  er  insbesondere  durch  die  Vorstellung  sinnlich 
wirkender  Strafübel  vor  verbrecherischen  Neigungen  abgeschreckt 
werden?    —    nur    ein    solcher   Täter    ist    zurechnungsfähig.      Diese 


^  Theodor  Sternberg,  Das  Verbrechen  in  Kultur  und  Seelenleben 
der  Menschheit.  (Kobler,  Das  Recht,  Bd.  IX.  Berlin  1912.  S.  5.)  —  In  der 
umfangreichen  Literatur  moderner  Kriminalromane  handelt  es  sich 
nicht  so  sehr  um  das  Seelenleben  des  Verbrechers,  als  um  seine  Ent- 
deckung und  Überführung.  Der  mit  allen  Mitteln  moderner  Technik, 
persönlicher  Tollkühnheit,  kaum  glaublicher  Kombinationsgabe  und  mathe- 
matisch-klarer Berechnung  arbeitende  Detektiv  ist  der  eigentliche  Held 
dieser  Literatur.  —  Als  Beispiel  kriminalpsychologischen  Interesses  in  der 
modernen  Belletristik  sei  hier  nochmals  (vgl.  oben  S.  222,  Änm.  1)  an 
Jacob  Wassermann  erinnert,  dem  im  „Christian  Wahnschaffe"  eine 
virtuose  Darstellung  der  psychologischen  Analyse  eines  Lustmords  gelingt. 


239 

Konsequenz  hat  Feuerbach  niemals  gezogen,  von  derartigen  Unter- 
suchungen hören  wir  nichts.  Im  Gegenteil,  auch  da,  wo  offensichtlich 
von  einer  psychologischen  Wirkung  der  Strafdrohung  keine  Rede  sein 
kann,  erleidet  nach  Feuerbachs  Berichten  die  volle  strafrechtliche 
Verantwortlichkeit  keinen  Zweifel.  So  beim  Räuber  Seidel,  auf  den 
auch  die  schlimmsten  Strafen  und  die  Androhung  der  Todesstrafe, 
als  er  das  erste  Mal  vom  Militär  desertiert  war,  keinen  Eindruck 
machten,  und  beim  Maler  Franz,  der  sich  nicht  dadurch  von  einem 
Raubmord  abhalten  ließ,  daß  er  vorher  an  einem  Hochgericht  vorbei- 
gehen mußte.  Hier  rechtfertigt  Feuerbach  die  Todesstrafe  mit  dem 
Zweck  der  Unschädlichmachung:  „die  zunehmende  Unsicherheit  in  der 
Oberpfalz"  forderte  seinen  Tod!  Eine  Argumentation,  die  zwar  den 
Kriminalisten  Fr.  Meister  nicht  hinderte,  zu  bemerken,  Feuerbachs 
Buch  müsse  endlich  die  bekehren,  die  noch  an  der  Rechtmäßigkeit 
der  Todesstrafe  zweifelten,^  die  aber  seinen  philosophischen  Freund 
Niethammer  zu  der  Erkenntnis  führte,  daß  hier  zugunsten  einer 
Auffassung,  die  in  der  Hinrichtung  allenfalls  ein  physisches 
Sicherungsmittel  sieht,  Feuerbachs  eigentliche  psychologische 
Theorie    ad    absurdum    geführt    ist." 

Noch  weniger  konnte  bei  dem  völlig  aus  Gedanken  der  General- 
prävention entwickelten  Begriff  der  Zurechnungsfähigkeit  davon  die  Rede 
sein,  daß,  wie  es  dem  Lisztschen  Zurechnungsfähigkeitsbegriff  ent- 
sprechen müßte,  gefragt  wird,  ob  ich  dem  einzelnen  Verbrecher  gegen- 
über mit  dem  Vollzug  der  Strafe  wirken  kann.  Es  wirkt  erschütternd 
und  läßt  die  ganze  Härte  der  Feuerbachschen  Generalprävention  empfind- 
lich hervortreten,  wenn  man  sieht,  mit  welcher  Skepsis  er  selbst  zuweilen 
die  Wirkung  der  Freiheitsstrafen  ansah,  denen  er  in  seinem  eigenen 
Gesetzbuch  eine  solch  zentrale  Stellung  zugewiesen  hatte.  Mancher 
Verbrecher  erlebt  erst  in  der  Strafanstalt  die  „hohe  Weihe  zu  größeren 
Übeltaten'',  und  es  geht  ihm  wie  dem  Mörder  Wallis  er,  der  bekannte: 
„Man  hätte  mich  nicht  in  das  Zuchthaus  tun  sollen,  da  bin  ich  erst 
böse  geworden!"     „Solche  Äußerungen,  sagt  Feuerbach,  an  den  Stufen 


1  Ällg.  Lit.-Ztg.    Jena  und  Leipzig  1829.    Bd.  I.,  Nr.  2,  S.  11. 

-  Ebendort  S.  13.  Die  Autorschaft  Niethammers  an  diesem  Auf- 
satz nach  Radbruch,  Äschaflenburgs  Monatsschrift  VI,  S.  8,  Änm.  1.  — 
Ebenso  wirft  der  Rezensent  in  Schunks  Jahrbüchern  der  gesamten 
deutschen  juristischen  Literatur  13.  Bd.,  Erlangen  1830,  der  den  standhaften 
Mörder  Forster  spottend  den  „Held  des  psychologischen  Zwangs"  nennt, 
Feuerbach  vor,  er  habe  nichts  zur  Verteidigung  seiner  Theorie  vorgebracht, 
die  durch  seine  eigene  Darstellung  einer  Reihe  jener  Fälle  geradezu  wider- 
legt sei  (S.  144  ff.  und  288).  Vgl.  auch  Schunks  Jahrb.  Bd.  I,  S.  341-344, 
wo  der  gleiche  Rezensent  die  nämlichen  Einwände  gegen  Feuerbach  bei 
einer  Besprechung  seines  Lehrbuchs  vorbringt. 


1 


240 

eines  Schafotts  klingen  fast  wie  Anklagen  gegen  den  Staat ! "  ^  Ja,  daß 
der  1 7jährige  Hochstapler  Thalreuter  vor  dem  Ende  seiner  Strafzeit 
stirbt,  ist  nach  Feuerbach  geradezu  ein  Glück  für  die  bürgerliche 
Gesellschaft  wie  für  den  Gefangenen  selbst.^ 

So  bleibt  in  Wirklichkeit  die  strafrechtliche  Zurechnung  völlig 
unabhängig  von  der  Möglichkeit  und  Aussicht,  mit  der  Strafe  auf  den 
Täter  zu  wirken.  Der  Abgrenzung  zwischen  Verantwortlichkeit  und 
Unzurechnungsfähigkeit  liegt  vielmehr  auch  bei  Feuerbach,  so  wie  es 
dem  banalen  Empfinden  entspricht,  ein,  wenn  auch  nicht  bestimmt 
ausgesprochener,  Begriff  des  Normalen  zugrunde.  Der  normale,  gesunde 
Mensch  ist  verantwortlich  für  sein  Tun,  auch  und  gerade  vor  dem 
Strafrichter.  Nur  Krankheit  exkulpiert.  Wo  aber  läuft  die  Grenze 
von  gesund  und  krank?  Das  ist  eine  Frage,  die  eng  verknüpft  ist 
mit  den  psychologischen  Anschauungen  und  psychiatrischen  Kenntnissen 
der  Zeit,  in  der  sie  gestellt  und  beantwortet  werden  soll. 

Zwei  Richtungen  von  polarer  Gegensätzlichkeit  haben  sich  in  der 
Geschichte  der  Psychologie  die  Herrschaft  streitig  zu  machen  gesucht, 
je  nachdem  man  den  Willen  oder  das  Wissen  als  das  Primäre  und 
für  den  Ablauf  des  psychischen  Geschehens  Entscheidende  ansah. ^ 
Nach  Thomas ius  war  der  Wille  das  primum  agens  der  Menschenseele. 
Der  Wille  bestimmt  nach  ihm  die  Richtung  des  Handelns,  das  der 
Verstand  nachträglich  mit  seinen  Urteilen  begleitet.  Den  entgegen- 
gesetzten Standpunkt  vertrat  Christian  Wolf  f.  Er  sieht  in  den  in  der 
Seele  vorhandenen  Vorstellungen  das  Primäre :  erst  aus  den  Vorstellungen 
entstehen  Lust-  und  Unlustgefühle,  welche  die  seelische  Kraft  zu  Hand- 
lungen treiben.  Diese  Gedanken  Wolffs  entsprachen  dem  Weltbild  des 
Rationalismus  und  beherrschten  mit  diesem  auch  die  psychologischen 
Anschauungen  der  Äufklärungsperiode.  Sie  kehren  wieder  in  der  auf 
englische  Einflüsse  zurückgehenden  Lehre  der  Popularpsychologen  von 
der  determinierenden  Kraft  der  Vorstellung,  wie  sie  oben  in  den 
Gedankengängen  Feders  nachgewiesen  wurde. ^  Solche  Bevorzugung 
der  Vorstellung  findet  selbst  wieder  ihre  psychologische  Erklärung  in 
dem  naheliegenden  Bestreben,  die  unsichtbaren  Vorgänge  des  Seelen- 
lebens in  einer  der  sichtbaren  Erscheinungswelt  analogen  Weise  dar- 
zustellen, die  lediglich  funktionalen  psychischen  Beziehungen  nach  Art 
sinnlich  wahrnehmbarer  Gegenstände  zu  ver dinglichen.  Darum 
tritt  das  Wollen,  in  dem  das  Wandelbare  und  Fließende  seelischen 
Lebens   in  übergangsloser  Bewegtheit   zutage  tritt,   zurück   hinter   der 


^  S.  48L   —    -  S.  467. 

'  Zu  dem  Folgenden:  M.  Dessoir,  Geschichte  der  neueren  deutschen 
Psychologie  I.  Bd.,  2.  Aufl.,   1910,  S.  60  f.  und  76  f. 
*  Vgl.  oben  Kap.  IV,  S.  145. 


241 

Vorstellung,  in  der  man  gleichsam  das  innere  Bild  ihres  äußeren 
Gegenstandes  sah,  wie  dieser  in  relativ  gleichbleibender  Beschaffenheit 
beharrend.  Aus  der  gleichen  Wurzel  entsprang  die  —  gleich  jenen  ersten 
Gedanken  auch  heute  noch  vorwissenschaftlichem  Denken  vertraute  — 
Tendenz,  da,  wo  wir  lediglich  zur  verständlichen  Beschreibung  eine 
Klassifikation  seelischer  Vorgänge  ausführen,  objektiv  vorhandene, 
substantiell  verselbständigte  Gebilde,  qualitativ  bestimmbare  seelische 
Fähigkeiten  anzunehmen/  So  nahm  jene  berühmte  Vermögens- 
psychologie von  Wolff  ihren  Ursprung,  die  in  der  Tetens sehen 
Trias:  Gefühl,  Verstand  und  Tätigkeitskraft  ihren  klassischen  Ausdruck 
fand.^  Ihr  erwuchs  alsbald  in  dem  Helmstedter  Philosophieprofessor 
G.  E.  Schulze  ein  ernster  Gegner,  dessen  „Änesidemus"  von  einer 
Kritik  der  Idee  des  Vorstellungsvermögens,  wie  sie  Feuerbachs  Lehrer 
Reinhold  verfocht,  ausging.  Schulze  bestritt  die  Berechtigung,  von  den 
Wirkungen  der  Seele  auf  bestimmte  ihnen  homogene  Fähigkeiten  zu 
schließen  und  zeigte,  daß  mit  solcher  Tautologie  gar  nichts  erklärt  sei : 
„Man  hat  aber  schon  längst  eingesehen,  daß  die  gemein  üblichen 
Erklärungen  gewisser  Veränderungen  und  Tatsachen  aus  besonderen 
Ursachen  und  Vermögen  derselben  im  Grunde  nichts  weiter  aus- 
machen, als  eine  bloße  Wiederholung  der  Erscheinung  und  der 
Tatsache  selbst,  deren  Eigenschaften  man  erst  begreiflich  machen  will, 
mit   der  Hinzufügung   des  Wortes  , Kraft'  oder   , Vermögen' ".^ 

Feuer b ach  hat  zwar  die  Kritik  des  Schulzeschen  Änesidemus 
in  seiner  erkenntnistheoretischen  Jugendarbeit  verwertet,^  aber  seine 
eigenen  psychologischen  Anschauungen  stehen  noch  ganz  auf  dem 
Boden    der    rationalistischen  Vermögenslehre.      Seine    psychologische 


1  Vgl.  W.  Wandt,  Grundriß  der  Psychologie  9.  Äufi.  1909.  S.  6  ff.  — 
Otto  Klemm,  Geschichte  der  Psychologie.    Leipzig  1911.    S.  60  ff. 

"  J.  N.  Tetens,  Philos.  Versuche  über  die  menschliche  Natur  I.  Bd. 
Leipzig  1777.    S.  625.     Neudruck  der  Kantgesellschaft.    Berlin  1913.    S.  613. 

"  „Wenn  man  z.  B.  einen  Stab  aus  dem  Wasser  zieht,  so  werden 
einige  Tropfen  daran  hängen  bleiben.  Fragt  man  nun  aber,  woher  dies 
rühre,  so  wird  zur  Antwort  gegeben,  der  Stab  habe  ein  das  Wasser 
anziehendes  Vermögen.  Allein  ist  wohl  durch  diese  Antwort  das 
Faktum  selbst  im  geringsten  begreiflicher  gemacht  und  dasjenige  bestimmt 
worden,  was  den  Tropfen  am  Stabe  fester  hält?"  Änesidemus  oder  über 
die  Fundamente  der  von  dem  Herrn  Professor  Reinhoid  in  Jena  gelieferten 
Elementarphilosophic.  Anonym  erschienen  1792,  S.  106.  Neudruck  der 
Kantgesellschaft.  Berlin  1911.  S.  81.  —  Vgl.  auch  M.  Dessoir,  Abriß 
einer  Geschichte  der  Psychologie  (Ebbinghaus-Meumann,  Psychologie  in 
Einzeldarstellungen  IV).    1911.    S.  158  f. 

''  Über  die  Unmöglichkeit  eines  ersten  absoluten  Grundsatzes  der 
Philosophie.  Niethammers  Philosophisches  Journal  einer  Gesellschaft 
Teutscher  Gelehrter  Bd.  II.    Neustrelitz  1796.    S.  306  ff.,  vgl.  S.  316. 

16 


242 

Zwangstheorie  geht  von  dem  intellektualistischen  Gedanken  aus,  daß  aus 
der  Vorstellung  eines  sinnlichen  Übels  dem  Willen  die  Kraft  erwachse, 
dem  Gesetze  gemäß  zu  handeln.  Wo  er  die  Motive  verbrecherischer 
Handlungen  darstellt,  führen  ihn  seine  Beobachtungen  nicht  nur  zu 
bestimmten  Charakterbezeichnungen,  sondern  diese  konkretisieren  sich 
ihm  gewissermaßen  zu  besonderen  seelischen  Organen,  zu  einzelnen 
qualitativ  konstanten,  abgrenzbaren  Vermögen,  aus  denen  die  Tat 
entspringt:  „aus  Eitelkeit",  „aus  Rachsucht",  „aus  Liederlichkeit", 
oder  zu  besonderen  Kräften  —  „Bosheit  und  Verlogenheit"  — ,  die  im 
Innern  des  Täters  miteinander  kämpfen.  Eben  dieser  Intellektualismus 
war  auch  entscheidend  für  die  Art,  menschliches  Handeln  zu  verstehen 
und  zu  beurteilen.  Indem  er  in  einem  bestimmten  Maß  seelischer 
Kräfte  und  Vorstellungen  die  als  konstant  gegebenen  Voraussetzungen 
des  zu  erklärenden  psychischen  Verhaltens  ansieht,  verbleibt  ihm  als 
Erklärungsprinzip  seelischen  Geschehens  und  damit  menschlichen  Tuns 
überhaupt  vorwiegend  das  Mittel  logischer  Interpretation.^ 

So  waren  die  Methoden  der  Beurteilung  menschlichen  Handelns 
abhängig  von  den  theoretischen  Lehren  der  herrschenden  psycho- 
logischen Doktrin.  Daß  zu  der  speziellen  Frage  der  Abgrenzung 
normalen  und  pathologischen  Seelenlebens  die  empirische  Medizin 
das  entscheidende  Wort  zu  sagen  hat,  war  damals  alles  andere  als 
selbstverständlich.  Jahrhundertelang  hatte  die  Theologie  die  Beur- 
teilung und  Behandlung  der  „Seelenkrankheiten"  für  sich  in  Anspruch 
genommen.  Auch  auf  diesem  Gebiet  führte  erst  die  Aufklärungszeit 
zu  einer  Säkularisation.  Dabei  ging  um  das  Erbe  der  Theologie  ein 
lebhafter  „Streit  der  Fakultäten".  Namentlich  auf  dem  Gebiet  der 
damals  jungen  forensischen  Psychiatrie  erhoben  philosophische 
Psychologie  und  empirische  Medizin  den  gleichen  Anspruch,  zur 
Entscheidung  über  die  Zurechnungsfähigkeit  berufen  zu  sein." 
Kant  hatte  „die  Frage,  ob  der  Angeklagte  bei  seiner  Tat  im  Besitz 
seines    natürlichen  Verstandes-    und    Urteilsvermögens    gewesen    sei", 


'  Vgl.  W.  Wundt  und  Otto  Klemm   a.  a.  O. 

■  Zur  Geschichte  der  Psychiatrie  jener  Zeit  vgl.  außer  den  im  Text 
angeführten  zeitgenössischen  Autoren:  August  Hirsch,  Geschichte  der 
medizinischen  Wissenschaften  in  Deutschland  (Geschichte  der  Wissenschaften 
in  Deutschland,  Neuere  Zeit  22.  Bd.).  1893.  S.  623  ff.  —  S.  Kornfeld, 
Geschichte  der  Psychiatrie.  Puschmann- Neupurger -Pagcl,  Handbuch  der 
Geschichte  der  Medizin  III.  Bd.  Jena  1905.  S.  601— 728.  —  M.  Dessoir, 
Geschichte  der  neueren  deutschen  Psychologie  2.  Aufl.,  I.  Bd.  Berlin  1910. 
S.  524  ff.  —  Th.  Kirchhoff,  Geschichte  der  Psychiatrie.  Aschafienburgs 
Handbuch  der  Psychiatrie.  Allgem.  Teil,  4.  Abt.  Leipzig  und  Wien  1912. 
S.22ff.  —  Carl  Jaspers,  Allgemeine  Psychopathologie  2.  Aufl.  Berlin  1920. 
S.  404  ff.  —  Von  speziellem  Interesse  für  die  Entwicklung  der  gerichtlichen 


243 

als  „gänzlich  psychologisch"  bezeichnet.^  Denn  „obgleich  körperliche 
Verschrobenheit  der  Seelenorgane  vielleicht  wohl  bisweilen  die  Ursache 
einer  unnatürlichen  Übertretung  des  Pflichtgesetzes  sein  möchte",  so 
sind  Ärzte  und  Psychologen  nicht  imstande,  die  „Anwandlung 
zu  einer  Greueltat"  aus  physiologischen  Momenten  zu  erklären  — 
vollends  nicht,  ehe  sie  den  Delinquenten  seziert  haben !  ■  Gar  eine  von 
Juristen  betriebene  Medicina  forensis  wäre  „Einmischung  in  fremdes 
Geschäft,  wovon  der  Richter  nichts  versteht,  wenigstens  es,  als  zu 
seinem  Forum  nicht  gehörend,  an  eine  andere  Fakultät  verweisen  muß".'^ 
So  steht  am  Eingang  der  Entwicklung  der  forensischen  Psychologie 
der   Hallenser   Philosophie -Professor   Joh.  Christ.  Hoffbauer.     Seine 


Psychologie:  R.  v.  Krafft-Ebing,  Lehrbuch  der  gerichtlichen  Psychopa- 
thologie 2.  Aufl.  Stuttgart  1881.  S.  1—9.  —  W.Weygandt,  Die  Entwicklung 
der  gerichtl.  Psychiatrie  u.  Psychologie.  Aschaffenburgs  Monatsschrift  VIII, 
S.  209  ff.,  und  mit  besonderer  Kennzeichnung  der  Bedeutung  Feuerbachs: 
H.  Reichel,  Über  forensische  Psychologie.    München  1910.    S.  8  f. 

*  Anthropologie  in  pragmatischer  Hinsicht.  1798.  Äkademie-Äusgabe 
Bd.YII,  S.  213  f. 

*  Diese  gleiche  naiv  somatisch-materialistischc  Auffassung  der  Medizin 
führte  den  Heidelberger  Psychiater  Friedrich  Groos  zur  Ablehnung  der 
Todesstrafe.  „. . .  wie  kann  noch,  frage  ich,  der  Gerichtsarzt,  ohne  vor  sich 
selbst  zu  erschrecken,  den  Verbrecher,  in  dessen  Inneres  er  erst  nach  der 
Sektion  des  Leichnams  einen  schwachen,  nur  etwas  genügenden  Blick 
tun  kann,  bei  Leben  für  zurechnungsfähig  der  Todesstrafe  erklären?" 
Untersuchungen  über  die  moralischen  und  organischen  Bedingungen  des 
Irreseyns  und  der  Lasterhaftigkeit.    Heidelberg  und  Leipzig  1826.    S.  71. 

"  Im  Grunde  berührte  sich  diese  Zuständigkeitsverteilung  noch  eng 
mit  der  älteren  Auffassung,  wonach  die  Behandlung  Seelenkranker  Sache 
der  Theologen  sei.  Das  zeigt  ein  tragischer  Fall  aus  Hamburg  vom 
Jahre  1803.  Der  ehemalige  Prediger  Rüsau  hatte  aus  Nahrungssorgen  seine 
Frau  und  seine  fünf  Kinder  umgebracht.  Ein  Gutachten  zweier  Arzte 
stellte  eine  geistige  Erkrankung  fest.  Darauf  wurde  eine  Kommission 
von  neun  Hamburger  Gelehrten  zur  Beurteilung  der  Zurechnungsfähigkeit 
herangezogen,  je  drei  der  juristischen,  medizinischen  und  philosophisch- 
theologischen Fakultät.  Während  zwei  Juristen  und  ein  Mediziner 
für  Unzurechnungsfähigkeit  eintraten,  gelang  es  dem  Direktor  der 
Gelehrtenschule  Johanneum,  Prof.  Gurlitt,  und  zwei  Pastoren,  die 
Majorität  für  Anerkennung  der  vollen  Verantwortlichkeit  zu  gewinnen. 
Infolgedessen  bestimmte  das  Urteil,  Rüsau  sei  „sich  selber  zur  wohlverdienten 
Strafe  und  andern  dergleichen  leidenschaftlichen,  um  alltägliche  Sorgen  des 
Lebens  willen  sich  feige  der  Verzweiflung  ergebenden  Menschen  zum 
abschreckenden  Beispiel,  nach  dem  Richtplatz  zu  führen  und  mit  dem 
Schwerte  vom  Leben  zum  Tode  zu  führen".  Das  Urteil  wurde  vom  Ober- 
gericht in  Rädern  von  obenher  umgewandelt  und  entsprechend  vollstreckt. 
Vgl.  die  zum  Teil  auf  ungedrucktes  Material  des  Hamburger  Staatsarchivs 
gestützte  Hamburger  Dissertation  von  R.  Brachmann,  Ein  Beitrag  zur 
Geschichte  der  forensischen  Psychiatrie:    Der  Fall  Rüsau. 

16* 


244 

„Psychologie  in  ihren  Hauptanwendungen  auf  die  Rechtspflege"  (1808) 
war  von  grundlegender  Bedeutung;^  Heinroth  kam  sich  13  Jahre 
später  mit  seinem  „System  der  psychisch -gerichtlichen  Medizin"  wie 
mit  einer  „Ilias  post  Homerum"  vor."  Hoffbauer  ging  von  der 
Vermögenspsychologie  aus.  Aber  so  sehr  diese  Auffassung  in  ihrer 
Tendenz,  die  psychischen  Erscheinungen  zu  vergegenständlichen,  dem 
psychologischen  Intellektualismus  verwandt  ist,  so  versagte  doch 
Hoffbauer  keineswegs  den  manischen  Zuständen,  der  mangelnden 
Herrschaft  über  gesteigerte  Begierden  grundsätzlich  die  Anerkennung 
als  Krankheiten.  In  der  Beurteilung  der  Zurechnungsfähigkeit  ist 
Hoffbauer  völlig  abhängig  von  den  Folgerungen  der  psychologischen 
Zwangstheorie.  Ohne  Feuerbach  zu  nennen,  wird  ganz  wie  in  der 
„Revision"  Zurechnungsfähigkeit  mit  Äbschreckbarkeit  identifiziert.^ 
Infolgedessen  muß  der  Unverbesserliche  „als  ein  Kranker  behandelt 
werden,  den  man  nur  für  die  bürgerliche  Gesellschaft  unschädlich 
machen  will",^  der  Beschränkte  und  der  durch  starke  Affekte  zur  Tat 
Determinierte  aber  durch  härteres  Strafübel  abgeschreckt  werden. 
Unzurechnungsfähig  ist  —  somit  ganz  im  intellektualistischen  Sinne  — 
nur  derjenige,  dem  das  Bewußtsein  seines  Tuns  fehlte.^  Für  die 
praktische  Gutachtertätigkeit  findet  sich  Hoffbauer  damit  ab,  daß  der 
Staat  besondere  Ärzte  zu  Sachverständigen  autorisiert.  Rd  hoc 
Psychologen  als  Experten  anzustellen,  wäre  so,  „als  wenn  man  zu 
öffentlichen  Untersuchungen  der  Weine,  die  in  den  Handel  kommen, 
besondere  Chemisten  anstellen  und  sich  hierbei  nicht  auf  das  Gut- 
achten des  Stadtphysikus  verlassen  wollte"!'' 

Auf  dem  Wege  der  praktischen  empirischen  Arbeit  drangen  die 
Ärzte  in  das  Gebiet  der  forensischen  Psychologie.  Kants  Königsberger 
Kollege  Metzger  trat  für  den  „wahren  Naturphilosophen",  den  Arzt^ 
ein  —  die  Philosophen  selbst  seien  in  zu  viele  Schulen  geteilt. 
Zacharias  Platner  hatte  bereits  1740  die  Forderung  vertreten :  „Medicos 
de   insanis   et   furiosis   audiendos   esse!"^     Diese    Entwicklung   wurde 


'  Joh.  Christ,  Hoffbauer,  Die  Psychologie  in  ihren  Hauptanwendungen 
auf  die  Rechtspflege  nach  den  allgemeinen  Gesichtspunkten  der  Gesetzgebung 
oder  die  sog.  gerichtliche  Ärzneiwissenschaft  nach  ihrem  psychologischen 
TeU.    Halle  1808. 

'  Heinroth,  System  der  psychisch- gerichtlichen  Medizin.  Leipzig 
1825.    S.  6. 

»  Hoffbauer,  a.  a.  O.  S.  11,  Änm.,  und  S.  181. 

*  Hoffbauer,  a.  a.  O.  S.  188  ff. 

=  Hoffbauer,  a.  a.  O.  S.  182  f.  und  194 

'^  Hoffbauer,  a.  a.  O.  S.  4. 

'  Zacharias  Platner,  Programma  quo  ostcnditur  medicos  de  insanis^ 
audiendos  esse.    1740. 


245 

namentlich  durch  die  Entstehung  der  ersten  großen  Heilanstalten 
gefördert,  wo  der  Arzt,  in  enger  Gemeinschaft  mit  dem  Kranken  lebend, 
eine  Fülle  von  Beobachtungen  machen  konnte.  Berühmt  war  die 
Salpetriere,  an  Stelle  einer  früheren  Salpeterfabrik  im  Südosten  von 
Paris,  in  neuerer  Zeit  durch  Charcots  Wirken  bekannt  und  noch  heute 
im  Betrieb.  Später  wurde  weit  vor  den  Toren  der  Stadt  der  Bicetre 
eröffnet.^  Von  den  Pariser  Ärzten  waren  vor  allem  Pinel,  der  Leiter 
der  Salpetriere,  und  sein  Schüler  Esquirol,  „die  überragende  Persön- 
lichkeit, zu  Beginn  der  kontinuierlichen  Entwicklung  der  psychiatrischen 
Wissenschaft"  (Jaspers)-,  von  großer  Bedeutung  für  Deutschland,  wo 
namentlich  Reil  (nach  Langermanns  Vorgang)  als  Vorkämpfer  für 
systematische  Änstaltsbehandlung  zu  nennen  ist. 

Reils  Wirken  galt  vor  allem  den  sozialen  Schäden.  So  wie  sein 
Freund,  der  Prediger  Wagnitz,  nach  Howards  Vorbild,  die  Gewissen 
wachzurufen  suchte  angesichts  der  Barbareien  des  überkommenen 
Gefängniswesens,  wollte  er  für  eine  humane  und  sinnvolle  Ausgestaltung 
der  Einrichtungen  für  Geisteskranke  eintreten.  Die  Irren  bildeten  mit 
Verbrechern,  Landstreichern,  Armen,  Arbeitsscheuen,  allen,  mit  denen 
Staat  und  Gesellschaft  nichts  anzufangen  wußten,  die  bunt  zusammen- 
gewürfelten Bewohner  der  alten  Zucht-  und  Werkhäuser  —  „wie  die 
Pandekten  ohne  System,  oder  konfus,  wie  die  Ideen  ihrer  Köpfe!"  „Wir 
sperren  diese  unglücklichen  Geschöpfe  gleich  Verbrechern  in  Tollkoben, 
ausgestorbene  Gefängnisse,  neben  den  Schlupflöchern  der  Eulen  in  öde 
Klüfte  über  den  Stadttoren  oder  in  die  feuchten  Kellergeschosse  der 
Zuchthäuser  ein,  wohin  nie  ein  mitleidiger  Blick  des  Menschenfreundes 
dringt  und  lassen  sie  daselbst  angeschmiedet  an  Ketten  in  ihrem  eigenen 
Unrat  verfaulen.  Ihre  Fesseln  haben  ihr  Fleisch  bis  auf  die  Knochen 
abgerieben  und  ihre  hohlen  und  bleichen  Gesichter  harren  des  nahen 
Grabes,  das  ihren  Jammer  und  unsere  Schande  zudeckt.""^  Hier  ist 
schon  um  des  Gebotes  staatlicher  Selbsterhaltung  willen  gründlicher 
Wandel  geboten.  Zunächst  verlangt  Reil  Trennung  zwischen  bloßen 
Bewahrungsanstalten  und  eigentlichen  Heilanstalten.  Diese  sollen  mit 
geringer  Belegzahl  in  anmutiger  Gegend  mit  freundlicher  Ausstattung 
ohne  vergitterte  Fenster  und  zu  hohe  den  Ausblick  hindernde  Mauern, 
mit  Gelegenheit  zu  verständiger  Arbeit  im  Freien  und  allen  medizinischen 
Einrichtungen    errichtet   werden.^     Die   Behandlung   darf   nicht   einem 

^  Nach  einer  freundlichen  Mittcilunj^  von  Prof.  Weygandt,  Hamburg. 

'  Karl  Jaspers,   Allgemeine  Psychopathologie  2.  Aufl.    1920.    S.  404. 

"  Joh.  Christ.  Reils  Rhapsodien  über  die  Anwendung  der  psychischen 
Kurmethode  auf  Geisteszerrüttungen  II.  Ausg.    Halle  1818.    S.  14  f. 

'  Zur  Frage  der  Finanzierung  dieses  Projekts  schreibt  Reil  den 
beherzigenswerten  Satz:  „Man  überzeuge  die  reichen  Kapitularen,  daß  das 
Übermaß   des  Fettes  ihren  Nachfolgern   ungesund   sei  ..."    A.  a.  O.  S.  478. 


246 

..bloßen  Körperarzt"  anvertraut  werden,  denn  „es  ist  ein  empörendes 
Schauspiel,  wenn  man  zusieht,  wie  übel  der  handfeste  Empiriker  mit 
seinen  Geisteskranken  umspringt.  Gleich  einem  blinden  Maulwurf  wühlt 
er  sich  in  ihre  Eingeweide  ein  und  sucht  die  Seele  auf,  wo  die  Natur 
die  Werkstätte  für  die  niedrigsten  Operationen  der  Tierheit  angelegt  hat. 
Deklinationen  des  Denkvermögens  will  er  durch  Verdünnung  eines 
atrabilarischen  Bluts  und  durch  Schmelzung  stockender  Säfte  im  Pfort- 
adersystem berichtigen,  Seelenschmerz  mit  Niesewurz  und  verkehrte 
Gedankenspiele  mit  Klistierspritzen  bekämpfen.  Wehe  dem  Ebenbildc 
Gottes,  das  unter  einen  solchen  Hobel  fällt! "^  Freilich,  die  psychische 
Kurmethode,  der  Reil  seine  Rhapsodien  widmet  (1803),  läßt  ein 
wirkliches  Verständnis  für  seelische  Beeinflussung  der  Kranken  zumeist 
völlig  vermissen.  Sie  ist  nicht  viel  mehr  als  ein  Versuch,  mit  plumpen, 
der  normalen  Erfahrungswelt  entnommenen  Mitteln  den  Symptomen 
der  Erkrankung  entgegenzuwirken:  Erheiterung  des  Melancholikers, 
Beruhigung  und  Zwang  zur  Konzentration  beim  Maniakus,  Erregung 
des  Kataleptikers,  der  etwa  in  einen  Kübel  mit  lebenden  Aalen  gesteckt 
wird.  Im  Anfang  der  Behandlung  steht  die  Erzwingung  des  Gehorsams 
im  Vordergrund,  wozu  Hunger  und  Durst  und  der  Gebrauch  des 
Ochsenziemers  als  taugliche  Mittel  empfohlen  werden.  Immer  soll 
möglichst  intensiv  und  überraschend  auf  den  stumpfen  Geist  gewirkt 
werden:  wie  in  Jean  Paulschen  Romanen  lesen  wir  von  den  Schrecken 
geheimnisvoller  Grotten,  plötzlichen  Kanonenschlägen,  Totenhänden,  Eis- 
säulen, dumpfen  Glocken  in  finsteren  Gewölben.  Das  erscheint  wie  eine 
rationalistische  Reminiszenz  an  mittelalterliche  Geisterbeschwörungen. 

Für  die  Frage  der  Beurteilung  krimineller  Handlungen  sind  Pinel, 
Esquirol  und  Reil  wichtig  durch  ihre  Stellung  zur  Monomanien- 
lehre. Diese  Lehre,  die  den  Inhalt  verschiedener,  im  Leben  auffallender 
äußerer  Verhaltungsweisen  als  besondere  Krankheiten  klassifizierte  — 
Hypochondrie,  religiöser  Wahn,  Mordmonomanie  usw.  — ,  ging  im  Grunde 
an  den  eigentlichen  Symptomen  und  der  Ätiologie  der  Erkrankungen 
vorbei  und  war  darum  bald  zur  Unfruchtbarkeit  verdammt."  Sie  ist 
aber  in  diesem  Zusammenhang  von  Bedeutung,  als  erster  Versuch, 
Abnormitäten  des  Trieblebens  und  pathologisch -veränderte  Formen  der 
Willensbildung  auch  in  solchen  Fällen  als  krankhaft  zu  erkennen,  in 
denen  der  intellektuelle  Habitus  unversehrt  schien.  Gerade  jene  ersten 
großen  Anstaltsärzte  haben  immer  wieder  auf  die  Fälle  der  Manie 
sans  delire  ou  fureur  maniaque  non  delirante,  auf  die  „Wut  ohne 
Verwirrtheit"    hingewiesen,    bei   denen    der  Kranke    seine   anscheinend 


Ä.  a.  O.  S.  138  f. 

Jaspers,  Allgemeine  Psychopathologie  II.  Aufl.    1920.    S.  167  f. 


247 

völlig  intakte,  oft  geradezu  raffinierte  Überlegung  in  den  Dienst  seines 
abnorm  gesteigerten  Trieblebens  stellt.^  Sie  sahen  das  Krankhafte  in 
dem  automatischen  Zwang,  unter  dem  jene  Unglücklichen  Grausamkeiten 
und  Sinnlosigkeiten  begingen,  obwohl  sie  in  ihren  Wahrnehmungen, 
ihrer  Einbildungskraft,  in  ihrem  Verstand  „ganz  vernünftig"  schienen. 
Eben  dieser  Widerspruch  war  den  Gegnern  ein  Grund,  diese  Lehre 
zu  verdammen,  in  der  man  oft  nur  einen  Vorwand  sah,  Schuldige  dem 
Strafrichter  zu  entziehen.  Unter  dem  Eindruck  intellektualistischer 
Psychologie  verneint  Adolf  Henke  die  Möglichkeit  krankhafter  Störung 
der  Willensbildung  bei  „vollkommenem  Selbstbewußtsein  und  ungestörtem 
Vernunftgebrauch".-  Die  Skepsis  gegenüber  der  partiellen  Erkrankung 
einzelner  Triebe  war  gewiß  berechtigt,  verfehlt  nur  der  Gedanke,  daß 
tatsächlich  das  Gesamtverhalten,  an  dem  nichts  Äußeres  auffiel,  gesund 
war  und  deshalb  „der  des  Vernunftgebrauchs  nicht  Beraubte  nicht  für 
toll  ausgegeben  werden  könnte".  Dazu  kamen  Bedenken  wegen  der 
Konsequenzen  in  der  Zurechnungslehre:  Es  wäre  dann  ja  jeder  Mensch 
von  Zeit  zu  Zeit  toll,  jeder  „Jüngling,  der  ehrenrührige  Reden  und 
Beschimpfungen  durch  tätliche  Züchtigung  rächt,  jedes  Mädchen,  das 
von  sinnlicher  Lust  überwältigt,  sich  dem  Verführer  hingibt".^ 

Vollends  Heinroth  bekämpfte  von  der  hohen  Warte  metaphysischer 
Konstruktionen  die  Lehre  von  der  Unzurechnungsfähigkeit  manisch 
Erregter.  Von  der  „lebendigen  Anschauung"  in  der  psychisch -gericht- 
lichen Medizin,  die  „den  Psychologen  in  ihren  Studierstuben  ebenso 
abgeht,  wie  sie  den  Ärzten  in  den  Krankenstuben  fast  täglich  entgegen- 
kommt",^ merkt  man  in  den  Schriften  Heinroths  selbst,  der  den  1813 
begründeten  Lehrstuhl  für  psychische  Heilkunde  an  der  Universität 
Leipzig  inne  hatte,  herzlich  wenig.  Ihm  „reicht  Empirie  für  die  Voll- 
endung der  psychischen  Medizin  nicht  hin"  ^  —  so  hat  er  nicht  umsonst 
noch  nach  seiner  Promotion  sich  auf  das  Studium  der  Theologie  geworfen. 


'  Reil,  a.a.O.  S.  387  ff.  —  Pinel,  Philosophisch -medizinische  Ab- 
handlung über  Geistesverwirrung  oder  Manie.  Aus  dem  Französischen 
übersetzt  von  W.  Wagner.  Wien  1801.  —  Esquirol,  Bemerkungen  über 
Mordmonomanie.  Aus  dem  Französischen  mit  Zusätzen  von  M.  I.  Bluff. 
Nürnberg  1831. 

*  Henke,  in  Zeitschrift  für  Staatsarzneikunde.  1829.  Heft  2,  S.  247. 
Vgl.  Esquirol-Bluff,   Über  Mordmonomanie.    1831.    S.  97  und   100. 

'  R.  Henke,  Abhandlung  aus  dem  Gebiet  der  gerichtlichen  Medizin 
Bd.  II.    Bamberg  1816.    S.  233  ff.,  insbesondere  S.  259. 

^  J.  Chr.  R.  Heinroth,  System  der  psychisch -gerichtlichen  Medizin. 
Leipzig  1825.    S.  6. 

^  Heinroth,  Lehrbuch  der  Störungen  des  Seelenlebens.  Vom  rationalen 
Standpunkt  aus  entworfen.    Tl.  1  und  2.    Leipzig  1818.    Tl.  1,  S.VI  und  170. 


248 

Psychische  Krankheit  erscheint  ihm  als  Verstrickung  der  freien  Persön- 
lichkeit in  Abhängigkeit  und  Unfreiheit;  Ursachen  der  Hemmung  und 
Störung  des  wahren  freien  Lebens  aber  sind  Leidenschaften  und  Wahn, 
Laster  und  Sünde.  Nur  in  der  erlösenden  Kraft  des  Glaubens,  dem 
Frommen  allein  verständlich,  liegt  der  Weg  zur  Reinheit  und  Lauterkeit 
des  menschlichen  Wesens,  zu  wahrer  geistiger  Gesundheit;  denn  Gott- 
seligkeit ist  zu  allen  Dingen  nütze  !^  Freilich  die  Folgerung,  die  ihm 
Groos  entgegenhielt,  daß  wir  alle  „Sünder  allzumal"  sind  und  es 
darum  gar  keine  Geistesgesunden  geben  könne,'  hat  Heinroth  nicht 
gezogen.  Mit  unerbittlichem  Rigorismus  zieht  er  eine  scharfe  Grenze 
zwischen  der  absoluten  Unfähigkeit  des  unfreien  Zustandes  und  voller 
Zurechnungsfähigkeit.  Eine  verminderte  Zurechnungsfähigkeit  kennt  er 
nicht,  eine  partielle  Erkrankung  im  Sinne  der  Manienlehre  lehnt  er 
ähnlich  wie  Henke  ab,  wobei  auch  er  nicht  zugeben  will,  daß  jene 
partielle  Störung  das  Symptom  einer  sonst  nicht  erkennbar  hervor- 
tretenden Gesamterkrankung  sein  könnte.^  Und  in  bezug  auf  die 
strafrechtlichen  Fragen:  „Wenn  die  Macht  der  Begierden  und  Leiden- 
schaften ein  Schutzmittel  gegen  die  Zurechnungsfähigkeit  wäre,  was 
sollte  da  aus  der  Rechtspflege  werden?"^  „Heißt  es  also  nicht, 
fragt  ähnlich  C.  W.  Hufe  1  and,  geradezu  die  Leidenschaft,  die  Tierheit 
im  Menschen,  die  Immoralität  und  Irreligiosität  (!)  sanktionieren  und 
legalisieren,  wenn  man  die  Ausbrüche  derselben  unter  dem  Namen 
Monomanie  entschuldigen  und  gesetzlich  straflos  erklären  wolle?  Denn 
man  vergesse  doch  nicht  die  rückwirkende  Kraft  der  Strafe  .  .  ."^  Es 
konnte  keinem  Zweifel  unterliegen,  auf  welche  Seite  sich  die  Juristen 
in  diesem  medizinischen  Streit  stellten.  Hitzig  sah  in  der  Lehre  von 
der  Monomanie  die  „nämliche  Gesinnung,  welche  den  Deklamationen 
gegen  die  Todesstrafe  zum  Grunde  liegt  .  .  .,  den  Verbrecher  als  den 
Bedauernswerten  darzustellen,  der  nicht  eigene  Verschuldung  trägt, 
sondern  einem  unabwendbaren  Verhängnis  unterlegen"  ist.*' 


^  Lehrbuch  der  Störungen  des  Seelenlebens  Tl.  2,  S.  63  ff. 
^  Fr.  Groos,  Untersuchungen   über  die  moralischen  und  organischen 
Bedingungen  des  Irrseyns.    Heidelberg  1826.    S.  26  f. 

*  Vgl.  Heinroth  in  E.  Hitzigs  Zeitschr.  f.  d.  KriminalrechtspHege  in  den 
preußischen  Staaten  Bd.  VIII,  Berlin  1828,  S.  152  f.:  „Die  amentia  occulta 
aber  kommt  mit  den  ehemaligen  qualitatibus  occultis  in  die  gleiche  Rubrik, 
in  die  des  Unerweislichen.  Jede  Krankheit  hat  ihre  Zeichen.  Eine  Krank- 
heit, die  dergleichen  nicht  hätte,  könnte  auch  nicht  erkannt  werden". 

*  System  der  psychisch-gerichtlichen  Medizin  S.  16. 

^  Hitzigs  Ännalen  der  deutschen  und  ausländischen  Kriminalrechts- 
pflege  III.  Bd.,  5.  Heft.    Berlin  1829.    S.  394. 
^  Ebendort  S.  39L 


249 

So  hatte  sich  der  „Streit  der  Fakultäten"  von  der  philosophisch- 
medizinischen zur  medizinisch -juristischen  Seite  gewandt,  und  er  wurde 
jetzt  weniger  um  die  Zuständigkeit  zur  Beurteilung  überhaupt,  als  um 
die  Art  der  Behandlung  des  Delinquenten  selbst  geführt,  nicht  zum 
Vorteil  eben  dieses.  Wie  unzureichend  freilich  das  durch  Henke  und 
Heinroth  geförderte  System  ist,  wonach  der  Richter  dem  Arzt  die  Frage 
in  der  stereotypen  Formel:  „Willensfreiheit?"  vorlegt,  hat  schon  damals 
Clarus  erkannt/  Beide  Wissenschaften  sollten  nicht  durch  eine  Formel 
getrennt,  sondern  in  gegenseitigem  Verstehen  und  wechselseitiger  Unter- 
stützung zusammenarbeiten,  beginnend  mit  einer  durch  Gelehrte  aller 
Fächer  geleiteten  Universitätsausbildung.  Der  Richter  habe  dann  den 
Arzt  zu  fragen,  ob  in  der  und  der  konkreten  Beziehung  der  „Vernunft- 
gebrauch" als  aufgehoben  betrachtet  werden  muß.  Auch  müsse  dem 
i\rzt  ein  non  liquet  gestattet  sein.  Nur  so  sei  die  Medizin  —  so  tritt 
immer  stärker  der  Einfluß  des  „Standesinteresses"  in  den  Debatten 
über  Zurechnungsfähigkeit  hervor  —  vor  dem  Vorwurf  geschützt,  die 
Ärzte  erklärten  jeden  Menschen  für  unzurechnungsfähig,  bei  dem  sich 
„irgend  einmal  in  einem  Zustand  von  Beunruhigung  des  Blutumlaufs 
oder  der  Nerven  etwas  Ungewöhnliches  und  Auffallendes  in  seinem 
Benehmen  gezeigt  hat"  und  ließen  so  „jede  Kriminaluntersuchung 
aus  den  Händen  der  Richter  in  die  Hände  der  Arzte  über- 
gehen!"^ 

So  waren  innerhalb  der  Mediziner  selbst  die  Meinungen  keineswegs 
geklärt.  Es  trug  nicht  zur  Milderung  des  Streites  bei,  daß  den  ver- 
schiedenen Richtungen  letzten  Endes  der  Gegensatz  der  voluntaristischen 
und  intellektualistisch-rationalistischen  psychologischen  Gesamtauffassung 
zugrunde  lag.  Zugleich  im  engsten  Sinne  des  Wortes  ein  Kampf  um 
die  Seele  des  Delinquenten,  indem  die  einen  die  Berechtigung  zu  einem 
Einschreiten  des  Strafrichters  in  eben  den  Fällen  aufs  entschiedenste 
bestritten,  wo  die  andern  vor  einem  unberechtigten  Nachlassen  straf- 
rechtlicher Energie  warnen  zu  müssen  glaubten. 

Man  darf  in  Feuerbachs  kriminalpsychologischen  Studien  nicht 
ein  vorbehaltloses  Bekenntnis  zu  einer  bestimmten  ärztlichen  Schule 
suchen.  Heinroths  Theorie  vom  Zusammenhang  zwischen  Sünde 
und  Wahnsinn  lehnt  er  gelegentlich  grundsätzlich  ab,  um  dann  wieder 
dem  Gedanken,  daß  Willensfreiheit  bei  Seelenstörungen  nur  durch 
einen  Akt  der  Freiheit  selbst,  d.  h.  durch  Sünde,  aufgehoben  werden 
kann,  eine   „logische  Konsequenz"   anzuerkennen.''    Hat  doch  auch  er 


^  Joh.  Christ.  Ku^.  Clarus,  Beiträge  zur  Erkenntnis  und  Beurteilung 
zweifelhafter  Seelenzustände.    Leipzig  1828. 
="  Clarus,   a.  a,  O.  S.  226  f. 
'  Vgl.  Äktcnmäßige  Darstellung  S.  131  mit  S.  420,  Änm.  3. 


250 

die  Willensfreiheit  allein  dem  Gebiet  des  sittlichen  Handelns  vor- 
behalten. Er  hat  ein  periodisches  Irresein  anerkannt  und  dann  wieder 
die  Vorstellung  eines  partiellen  Wahnsinns  abgelehnt/  Im  Grunde 
gehört  er  zu  den  Gegnern  der  Monomanienlehre.  Mit  einer  aus- 
gesprochen intellektualistischen  Anschauungsweise  vermochte  er 
den  Vorgängen  der  Willensbildung  nicht  gerecht  zu  werden.  Wo  man 
den  Eindruck  von  Wahnvorstellungen  hatte,  wo  sich  aulfallende  Wider- 
sprüche, Sinnlosigkeiten  im  Handeln  zeigten,  da  glaubte  er  an  geistige 
Störungen.  Wo  aber  der  Täter  „ganz  vernünftig"  schien,  wo  er  in 
verständlicher  und  logisch  einwandfreier  Weise  bestimmte  Zwecke 
durch  geeignete  Mittel  zu  erreichen  suchte,  da  konnte  von  einer 
„Verstandeszerrüttung"  keine  Rede  sein.  Übernormal  gesteigertes 
Triebleben,  übermäßige  Äffektivität  und  Hemmungslosigkeit  —  Er- 
scheinungen, denen  die  Monomanielehre  in  einem  ersten  tastenden 
Versuch  gerecht  zu  werden  sich  mühte  —  vermochte  Feuerbach 
nicht  als  krankhaft  anzuerkennen,  solange  des  Täters  Vorstellungs- 
leben ungetrübt  und  seine  Handlungsweise  folgerichtig  blieb.  Mit 
unerbittlicher  Strenge  werden  solche  Regungen,  auch  wo  sie  mit 
unwiderstehlicher  Gewalt  den  Menschen  beherrschen,  als  Leiden- 
schaften angesehen,  für  deren  ersten  Ursprung  zumindest  der 
Täter  selbst  verantwortlich  zu  machen  ist.  Wer  aber  nicht  selbst 
seiner  Leidenschaften  und  Triebe  Herr  zu  werden  vermag,  den  zu 
bändigen  ist  Aufgabe  und  Pflicht  des  staatlichen  Strafrechts.  Von 
diesem  Gedanken  aus  weist  Feuerbach  die  Ansprüche  der  Ärzte 
zurück,  die  das  Gebiet  des  Pathologischen  auch  auf  die  Fälle  über- 
mäßig gesteigerten  Trieblebens  auszudehnen  und  damit  nach  seiner 
Meinung  lediglich  einer  konsequenten  Strafrechtspflege  in  den  Hrm 
zu  fallen  suchten.  Hier  verficht  Feuerbach  mit  aller  Starrheit  und 
Unduldsamkeit  den  Standpunkt,  daß,  mochte  man  das  sittliche  Urteil 
immerhin  dem  ewigen  Richter  der  Gesinnungen  überlassen,  das  Recht 
jedenfalls  von  jedem  Menschen  eine  unbedingte  Beherrschung  seiner 
Leidenschaften  und  Triebe  fordert,  und  er  mag  die  Berechtigung 
zu  solch  unerbittlichem  Rigorismus  nicht  zuletzt  in  dem  eigenen 
lebenslänglichen  Kampf  strenger  Selbstdisziplin  mit  den  Feuern  seines 
leidenschaftlichen  Temperaments  gefunden  haben. ■ 

Solche  Gedanken  sind  nicht  wie  die  Zurechnungslehre  der  „Revision" 
bloße  Theorien,  hervorgegangen  aus  philosophischen  Besinnungen  der 
stillen  Studierstube.  Hier  stehen  unmittelbar  Menschenschicksale  auf 
dem  Spiele,  deren  Gestalten  aus  den  Blättern  seiner  Verbrecher- 
geschichten   erschütternd    aufleben.     Und    wenn    dabei    der    Gedanke 

'  Vgl.  Äktenmäßige  Darstellung  S.  237  mit  S.  412. 
^  Radbruch,   flschaffenburgs  Monatsschrift  VI,  S.  7. 


251 

der  Ableitung  des  Begriffs  Zurechnungsfähigkeit  aus  der  Bestrafungs- 
fähigkeit keine  fruchtbare  Fortbildung  fand,  so  wird  hier  eine  andere 
Verbindung  mit  der  psychologischen  Zwangstheorie  sichtbar.  Auf  die 
sinnliche  Triebfeder  sollte  nach  Feuerbach  das  Strafgesetz  wirken,  die 
Strafe  das  wohl  auskompensierte  Gegenmaß  gegen  die  zum  Verbrechen 
drängenden  Leidenschaften  sein  —  wie  konnte  er  anders,  als  sich  mit 
aller  Energie  gegen  eine  Zurückdrängung  des  Strafrechts  von  seiner 
ureigensten  Aufgabe  zur  Wehr  setzen? 

Nichts  wirkt  mehr  zur  Besinnung  und  zur  Bescheidenheit,  als 
eine  Geschichte  der  menschlichen  Irrtümer.  So  reden  jene  hilflosen 
Gestalten  eine  ernste  Sprache,  die  zu  ihrer  eigenen  schweren  Mitgift 
den  Aberglauben  und  die  Vorurteile  der  Welt  jener  Tage,  Böswilligkeit 
und  Verständnislosigkeit  oft  der  Nächsten  tragen  mußten,  bis  schließlich 
vor  dem  Strafrichter  ihr  Schicksal  bestimmt  wurde  von  dem  Streit 
wissenschaftlicher  Kontroversen. 

Als  ein  Beispiel  notorischer  Geisteskrankheit  erzählt  Feuerbach 
die  Geschichte  des  jungen  Sörgel.  Seit  seiner  Jugend  Epileptiker, 
in  Wahnideen  verfangen,  in  denen  der  ganze  übersinnliche  Reichtum 
des  alten  Volksaberglaubens  wiederklingt,  lebt  er  im  Armenhaus. 
Unklare  mystische  Gedanken  verdichten  sich  ihm  zu  bestimmten 
Vorstellungen,  er  erschlägt  einen  Arbeiter  im  Wald  mit  dem  Beil 
und  haut  ihm  die  Füße  ab.  Ohne  Zögern  gesteht  er  die  Tat  ein: 
er  wollte  Armsünderblut  trinken,  um  von  der  Fallsucht  geheilt  zu 
werden,  und  er  hätte  ihm  die  Füße  abgeschlagen,  indem  er  —  wie 
Feuerbach  interpretiert  —  daran  dachte,  daß  seine  eigenen  Füße  von 
einer  Kette,  an  die  er  während  seiner  Anfälle  geschlossen  wurde, 
befreit  wurden.  Ob  diese  Auslegung  des  irren  Gedankengangs  richtig 
ist,  stehe  dahin  —  Sörgel  wurde  freigesprochen  und  starb  bald  danach 
im  Irrenhaus  zu  Schwabach. 

Wie  sehr  persönliche  Voreingenommenheit  der  nächsten  Umgebung 
und  subjektive  Empfindungen  der  Zeugen  eine  objektive  Beurteilung 
erschweren,  zeigt  Feuerbach  an  dem  Prozeß  gegen  Georg  Eder. 
Eder  war  ein  Bauer,  der  seinem  Hauswesen  ordentlich  vorstand,  aber 
durch  aufbrausendes  Wesen  und  maßlose,  durch  nichts  gerechtfertigte 
Zornesausbrüche  alle  Welt  terrorisierte.  Als  er  mit  seinem  Wagen 
an  einer  Wiese  vorbeikam,  wo  ein  alter  Bauer  hölzerne  Vorlagen  am 
Weg  aufgestellt  hatte,  geriet  er  in  solche  Wut,  daß  er  den  andern 
mit  einer  Heugabel  ersticht.  Dann  rühmt  und  freut  er  sich  laut  der 
Tat,  will  am  liebsten  noch  ein  paar  andere  Bauern  umbringen  und 
ihre  Häuser  in  Brand  stecken  und  bleibt  auch  bei  der  Untersuchung 
bei  allerlei  krausen,  verschmitzten  Redensarten.  Die  Bauern  erklären 
samt  und  sonders  —  begreiflich  genug  —  Eder  für  einen  Simulanten, 


252 

Frau  und  Kinder  bitten  flehentlich,  man  möchte  ihn  nicht  wieder 
in  die  Freiheit  lassen.  Das  Gericht  erster  Instanz  verurteilt  zum 
Tode.  Auf  Feuerbachs  Betreiben  versagt  der  König  die  Bestätigung 
und  ordnet  ein  neues  Verfahren  vor  dem  Hofgericht  in  München  an. 
Inzwischen  hatte  das  Landgericht  ein  übriges  tun  wollen  und  ein 
ärztliches  Gutachten  eingefordert.  Aber  der  Ämtschirurgus  erklärte 
ihn  für  gesund,  weil  er  „jede  auf  seine  Gesundheit  befindliche  Frage 
genügend  beantwortet  habe  und  sich  sonst  ganz  wohl  befinde".^ 

Das  Hofgericht  ließ  Eder  durch  zwei  Münchener  Medizinalräte 
untersuchen,  die  ihn  als  einen  im  höchsten  Grade  blödsinnigen  iVlenschen 
erkannten,  der  auf  die  einfachsten  Fragen  nichts  zu  antworten  wußte. 
Ein  Fall,  merkt  Feuerbach  an,  der  charakteristisch  für  eine  dem 
Kreittmayrschen  Codex  entsprechende  Auffassung  ist,  die  nach  dem 
Satz:  „Wozu  doch  mit  dem  schlechten  Delinquentengesindel  so  viele 
Umstände  machen?"  die  Kriminaljustiz  gleichsam  „als  die  partie 
honteuse"  der  Justiz  betrachtet,  die  keine  besondere  Sorgfalt  verdiene, 
mit  der  man  sich  nur  obenhin  zu  befassen  brauche,  und  „deren 
Geschäfte  je  schneller  je  besser  abgetan  werden  müßten".^ 

Lagen  in  diesen  beiden  Fällen  die  Fragen  der  Zurechnungsfähig- 
keit für  jeden  ernsten  Beurteiler  einfach,  so  läßt  die  kaum  glaubhaft 
klingende  romanhafte  Erzählung  von  Joh.  Holzinger,  „aus  Liebe 
und  Eifersucht  erst  Totschläger,  dann  Mörder  und  Selbstmörder", 
die  Gegensätze  in  der  Beurteilung  scharf  hervortreten.  Holzinger 
wird  als  gutmütiger  Schwächling,  zugleich  aber  ausgesprochen  sinnlich 
veranlagt,  geschildert.  Nach  dem  Tode  seiner  Frau  lebte  er  mit  seiner 
Schwägerin  zusammen,  die  ihn  ganz  in  ihrer  Gewalt  hatte,  aber  vor 
dem  Gesetz  seine  Frau  nicht  werden  wollte.  Er  entschließt  sich,  eine 
andere  zu  heiraten,  der  Hochzeitstag  kommt  heran,  seine  Gedanken 
gelten  nur  der  Schwägerin.  Quälende  Eifersucht  und  die  Enttäuschung 
über  die  Zurückweisung  führen  zu  einem  Wortwechsel.  Holzinger 
nimmt  vom  Tisch  ein  Messer  und  schneidet  ihr  die  Kehle  durch.  Eine 
Tat,  erläutert  Feuerbach,  die  in  klar  erkennbarer  Absicht  der  Befrie- 
digung seiner  Leidenschaften  dienen  sollte.  Mochten  die  Leidenschaften 
sich  zu  unwiderstehlicher  Stärke  gesteigert  haben,  seine  Schuld  lag 
eben  darin,  daß  sie  in  solchem  Umfange  die  Oberhand  gewannen.  Hier 
berührt  sich  Feuerbach  mit  Heinroths  Lehren.  Indessen:  „die  Medi- 
zinische Fakultät  kommt  dem  Verbrecher  zu  Hilfe". "^  Der 
Hausarzt  meint,  Holzinger  habe  infolge  Trunkenheit,  Zorn  und  Eifer- 
sucht unfrei  und  ohne  Selbstbewußtsein  gehandelt,  der  Gerichtsarzt 
lehnt    eine    krankhafte    Störung    ab.     Nun   gehen    die    Akten    an   das 


'  Äktenmäßige  Darstellung  S.  239.  —   '  S.  240.  —  ^  S.  377. 


253 

Medizinalkollegium,  das  zu  dem  Ergebnis  kommt,  Holzinger  habe  sich 
„zur  Zeit  der  Tat  in  einem  teils  durch  den  höchsten  Grad  des  Affekts, 
teils  durch  erbliche  Anlage  bewirkten  Zustand  der  Geistesverwirrung 
oder  Unfreiheit  befunden"/  „Ein  Muster  psychischer  Gutachten,  wie 
sie",  nach  Feuerbach,  „nicht  sein  sollen.""  Unter  dem  Eindruck 
dieses  Gutachtens  erhält  Holzinger  die  Mindeststrafe  für  Totschlag, 
acht  Jahre  Zuchthaus.  Der  Strafanstaltsdirektor  bezeichnet  ihn  als 
einen  „von  Seite  des  Geistes  nur  dürftig  ausgestatteten,  an  Erziehung 
und  Unterricht  verwahrlosten,  durch  unordentliches  und  wollüstiges 
Leben  physisch  und  moralisch  erschlafften  Menschen".^ 

Nach  sechs  Jahren  wird  er  wegen  guter  Führung  entlassen. 
Und  nun  ereignete  sich  etwas  sehr  Merkwürdiges,  eine  erstaunliche 
Duplizität  der  Ereignisse.  Wieder  trieb  ihn  die  Neigung  zu  einem 
Mädchen,  wieder  verlobt  er  sich  mit  einer  andern,  die  er  nicht  liebte. 
Das  dritte  Aufgebot  war  schon  bestellt.  Er  macht  noch  einen  Spazier- 
gang mit  seiner  geliebten  Rosina  —  und  schießt  sie  nieder.  Dann 
erschießt  er  sich  selbst.  Und  nun  ging  es,  wie  es  immer  geht:  jeder 
sieht  in  den  Ereignissen  die  Bestätigung  seiner  eigenen  Meinung. 
Die  einen  hielten  seine  Verrücktheit  nunmehr  über  jeden  Zweifel 
erhaben,  die  andern  meinten,  man  hätte  ihn  lieber  gleich  beim  ersten 
Mal  einen  Kopf  kürzer  machen  sollen.  Feuerbach  selbst  meinte,  hier 
liege  für  „den  gesunden  Menschenverstand"  des  „schlichten  Bürgers" 
Überlegung  und  vorbedachte  Absicht  zutage:  er  wollte  eben  lieber 
mit  der  geliebten  Rosina  sterben,  als  die  verhaßte  Braut  heiraten. 
So  hat  er,  nach  Feuerbach,  nur  „durch  selbstgegebenen  Tod  sich  des 
Scharfrichters  Schwiert  entzogen,  dem  er  diesmal,  aller  ärztlichen 
Rettungsversuche  ungeachtet,  schwerlich  hätte  entgehen  können".^ 

So  erscheint  Niethammers  Vorwurf,  daß  es  Feuer b ach  an  hin- 
reichendem Verständnis  für  den  Einfluß  gesteigerter  Affekte  auf  die 
Zurechnungsfähigkeit  habe  fehlen  lassen,  schon  in  diesem  Zusammen- 
hang verständlich.'"^  Indessen  hinderte  ihn  sein  rigoroser  Standpunkt 
nicht,  gelegentlich  doch  die  Bedeutung  starker  Affekte  zwar  nicht  für 
eine  psychologisch  wirkende  Beeinträchtigung  der  Zurechnungsfähigkeit, 
wohl  aber  für  die  Strafwürdigkeit  der  Handlung  anzuerkennen. 
Joseph  Auermann,  ein  ehrbarer  und  geachteter  Handwerker,  wurde 
von  seinem  ehemaligen  Knecht  Poegel  leidiger  Schulden  wegen  auf 
das  elendigste  gepeinigt  und  gequält.  Alle  Versuche,  das  geschuldete 
Geld  zu  beschaffen,  schlagen  fehl.  Verzweifelt  kommt  er  abends  aus 
dem  Wirtshaus    heim:    wenn   ihn   Poegel,    der   sich   in   seinem   Hause 


S.382.  —  '  S.380.  —  '  S.  391.  —  -  S.  395. 

Vgl.  die  Rezension  in  Ällg.  Lit.-Ztg.    1829.    Bd.  I,  Nr.  2. 


254 

festgesetzt  hat,  wiederum  reizt,  schlägt  er  ihn  tot.  So  wird  er 
„tadelloser  Mensch  und  Bürger  .  .  .  zuletzt  doch  ein  Mörder".  Das 
Gericht  verurteilt  ihn  zum  Tode  —  nach  Feuerbach,  „dem  strengen 
Rechte  gemäß".  Allein  hier  heißt  es,  Gerechtigkeit  mit  Billigkeit 
versöhnen,  zwischen  der  „unbeugsamen  Strenge  des  unwandelbaren 
allgemeinen  Gesetzes  und  der  wandelbaren  Veränderlichkeit  mensch- 
lichen Verschuldens  mit  Weisheit  auszugleichen".  Äuermann  ist  kein 
verderbter  Verbrecher,  er  handelte  unter  dem  Drang  unverschuldeter 
Zufälle  und  in  der  „Verwirrung  eines  an  Verzweiflung  grenzenden 
Gemütszustandes".  So  beantragt  Feuerbach  auf  dem  Gnadenwege 
eine  Milderung  der  Strafe.  Nicht,  weil  er  nicht  zurechnungsfähig 
war  in  dem  Sinne,  daß  seine  Tat  sich  nicht  unter  die  Strafdrohung 
des  Gesetzes  subsumieren  ließe,  sondern  weil  er  zu  denen  gehört, 
die  „wegen  ihrer  Tat  mehr  als  Unglückliche  zu  bemitleiden,  denn  als 
Missetäter  zu  verabscheuen  sind".^  Eine  einleuchtende  Beurteilung, 
und  doch  eine  Anomalie  in  Feuerbachs  Zurechnungslehre,  indem  er 
hier  selbst  die  Tat  nach  moralischen  Maßstäben  mißt.  Vom  Stand- 
punkt seiner  bewußt  ethisch  indifferenten  Zurechnungslehre  hätte  er 
es,  so  wie  K.  E.  Schmid  es  zu  diesem  Fall  tadelnd  anmerkte,  als 
Inkonsequenz  und  Verwirrung  ablehnen  müssen,  daß  „sich  die  Rechts- 
pflege auf  die  Frage  einläßt,  ob  der  Verbrecher  ein  gefährlicher,  böser 
oder  ein  moralisch  achtenswerter  Mensch  sei".^  Daß  Feuerbach  selbst 
im  Gegensatz  hierzu  eine  zu  schroffe  Divergenz  zwischen  ethischen 
und  juristischen  Werturteilen  als  unerträglich  empfand,  beweist,  daß 
das  Strafrecht  eben  doch  nicht  auf  eine  gewisse  Resonanz  moralischer 
Beurteilung  verzichten  kann.  Aber  gerade,  wenn,  wie  bei  Feuerbach, 
nur  ganz  ausnahmsweise  ethische  Gesichtspunkte  maßgebend  sind, 
entsteht  die  Gefahr  einer  subjektiven  und  einseitigen  Auswahl  der 
privilegierten  Fälle.  Das  lehrt  die  Vergleichung  der  Beurteilung 
Auermanns  mit  der  Geschichte  von  den  „Vorarlberger  Patrioten". 

Als  im  Jahre  1796  die  Heere  Napoleons  die  Österreicher  in 
Tirol  bedrängten,  verließen  die  Spitzen  der  Behörden  von  Bregenz, 
angeblich  auf  Befehl  der  Regierung,  die  Stadt.  Das  Volk  fühlte  sich 
enttäuscht  und  verlassen  und  witterte  Verrat.  Man  versicherte  sich 
schließlich  der  Beamten  und  brachte  sie  in  das  Kloster  St.  Peter  bei 
Bludenz.  Aber  die  einmal  geweckte  Erregung  schlug  immer  höhere 
Wellen.  Bewaffnete  Bauern  wurden  zur  Bewachung  der  Landesverräter 
aufgeboten,  und  die  allgemeine  Stimmung  wurde,  nachdem  man  nach 
Kriegsbrauch     auf     öffentliche     Kosten     zu     essen     und     zu     trinken 


'  Aktenmäßige  Darstellung  S.  154  ff. 

"  Allg.  Lit.-Ztg.    1809.    Bd.  III,  Nr.  169,  S.  139. 


255 

begonnen  hatte,  immer  hemmungsloser  und  undisziplinierter,  bis 
schließlich  die  Internierten  von  ihren  Wächtern  auf  brutale  Weise 
umgebracht  wurden.  Die  österreichische  Regierung  hat  dann  die 
Hauptschuldigen  zur  Rechenschaft  gezogen,  aber  nach  kurzer  Strafzeit 
„bei  den  neuerdings  eingetretenen  Kriegsverhältnissen"  „aus  Staats- 
rücksichten" entlassen.  Als  Tirol  1805  durch  den  Frieden  zu  Preßburg 
unter  bayerische  Herrschaft  kam,  war  nur  noch  der  Haupträdelsführer 
Fr.  Jos.  Tochofen  in  Haft.  Einem  Gnadengesuch  wurde  nicht  statt- 
gegeben. Feuerbach  kann  in  ihm  nur  einen  nichtswürdigen  Burschen 
sehen,  der  aus  Haß  gegen  die  bürgerliche  Ordnung  und  aus  Eitelkeit 
„die  allgemeine  Stimmung  der  Gemüter  schnell  ergriff,  den  leicht  zu 
betörenden  patriotischen  Eifer  seiner  rohen  unwissenden  Landsleute 
als  Werkzeug  zu  seinen  schändlichen  Absichten  mißbrauchte".^  Ob  er 
wirklich  ein  solcher  abgefeimter  Verführer  war,  läßt  sich  heute  nicht 
sagen.  Immerhin  hätte  es  nahegelegen,  anzunehmen,  daß  auch  sein 
Verschulden  unter  dem  Einfluß  äußerer  Umstände  und  innerer  Erregung 
milder  zu  beurteilen  ist.  Zweifellos  hätte  bei  der  Prüfung  der  Zu- 
rechenbarkeit untersucht  werden  müssen,  wie  weit  die  Furcht  vor  der 
drohenden  Invasion  die  Erbitterung  gegen  die  flüchtigen  führenden 
Beamten  gesteigert,  wie  weit  selbst  der  Rädelsführer  der  Massen- 
suggestion, dem  Einfluß  der  kriegerischen  Atmosphäre  unterlag  und 
die  Tat  nur  aus  dem  Rausch  maßlos  gesteigerter  Affekte  erklärbar  ist. 
Aber  eben  dafür  ließ  die  Zurechnungslehre  Feuerbachs  keinen  Raum, 
und  so  war  es  nur  eine  Konsequenz,  wenn  er,  wie  ihm  der  Rezensent 
Fr.  Meister  vorwarf,  den  Einfluß  „patriotisch -politischer  Gefühle  in 
Zeiten  der  Kriegsdrangsale"   auf  die  Zurechnung  außer  acht  ließ.^ 

Handelt  es  sich  hier  günstigenfalls  um  momentane  außergewöhn- 
liche Erregungszustände  innerhalb  der  Breite  der  Gesundheit,  so  kann 
in  andern  Fällen  das  Vorhandensein  einer  schweren  geistigen  Erkrankung 
nicht  zweifelhaft  sein.  Wie  eine  erschütternde  Anklage  wirkt  die  Tragödie 
des  jungen  Mathias  Lenzbauer.  Lenzbauer  erschlug  seinen  kleinen 
Bruder  im  Walde,  dessen  Erbteil  ihm  die  heißersehnten  Mittel  verschaffen 
sollte,  um  sich  als  Maurer  freisagen  zu  lassen.  Eine  ganze  Reihe 
von  Umständen  hätten  ohne  weiteres  auf  pathologische  Momente  hin- 
weisen müssen.  Die  Leiche  war  auf  bestialische  Weise  verstümmelt, 
die  Gedärme  herausgerissen  und  um  einen  Ast  geschlungen.  Die 
Zeugen  bezeichneten  den  Täter  zwar  als  nicht  blödsinnig,  doch  habe 
er  immer  „so  etwas  Schlüffelartiges  an  sich",  er  sei  „nicht  ganz  just 
im  Kopf".    In  seiner  Jugend  hatte  er  stark  an  Kopfschmerzen  gelitten 


Äktenmäßigc  Darstellung  S.  222. 

AUg.  Lit.-Ztg.    1829.    Bd.  I,  Nr.  2,  S.  11. 


256 

und  war  völlig  „würflig"  und  zur  Arbeit  unfähig,  wenn  er  nicht  alle 
Jahr  zur  Ader  gelassen  wurde.  So  machten  der  Untersuchungsrichter 
und  der  als  Defensor  fungierende  hofgerichtliche  Korreferent  ernste 
Zweifel  an  der  geistigen  Gesundheit  des  Inquisiten  geltend.  Anders 
die  Beurteilung  Feuerbachs,  in  der  sich  die  Gefahren  einer  logischen 
Interpretation  seelischer  Vorgänge  zeigen.  Das  Motiv  zur  Tat,  das 
Streben  nach  dem  Geld,  um  sich  freizusagen,  die  Wahl  des  geeigneten 
Mittels,  die  Überlegung  und  Bedachtsamkeit  bei  der  Tat,  das  vorsichtige 
Leugnen  und  Beschönigen  vor  Gericht  —  alles  schließt  sich  nach 
Feuerbach  zu  einer  lückenlosen  Kette  zusammen  und  dieser, 
naturgemäß  vom  Interpreten  konstruierte,  logische  Zusammenhang 
der  Handlungsweise  ist  ihm  die  beste  Gewähr  für  den  „gesunden 
Verstandesgebrauch  Lenzbauers".  Auch  der  Landesgerichtsarzt  konnte 
nicht  die  „mindeste  Verstandesschwäche"  an  ihm  wahrnehmen.  Die 
unmenschlichen  Verstümmelungen  erklärt  zwar  Feuerbach  aus  einer 
„Gemütsverwirrung",  aber  diese  war  erst  eine  Folge  des  Mordens: 
Entschluß  und  Beginn  der  Tat  kommen  mit  kalter  Überlegung  zustande, 
erst  die  Ausführung  der  Bluttat  erhitzt  die  Leidenschaften  bis  zu  Wahn- 
sinn und  Raserei.  „.  .  .  wer  die  Schranken  der  Natur  mit  frevelnder 
Hand  durchbrochen  hat,  .  .  .  der  wird  zum  Tier,  das  zuletzt  in  seinen 
eigenen  Greueln  sich  gefällt  und  von  Untat  zu  Untat  selbst  über  die 
Schranken  seiner  Verstandeszwecke  hinauseilt,  dem  gezähmten  Löwen 
gleich,  der,  sobald  er  frisches  Menschenblut  gekostet  hat,  selbst  seinen 
geliebten  Wärter  zerreißt  und  gegen  ihn  in  wollüstigem  Blutdurst  wütet." 
Aber  deshalb  ist  er  nicht  unzurechnungsfähig,  denn  der  Entschluß  und 
Anfang  der  Tat  waren  ja  zurechenbar!  ^  Darum  ist  es  nach  Feuerbach 
„nur  ein  Beweis  der  tiefsten  Unkunde  und  der  höchsten  Begriffs- 
verwirrung —  welcher  jedoch  weit  öfter  in  gerichtsärztlichen 
Gutachten  als  in  richterlichen  Entscheidungsgründen  gegeben  wird  — 
wenn  solche  .  .  .  Erscheinungen  geradezu  als  Beweise  eines  die  Zu- 
rechnungsfähigkeit ausschließenden  Gemütszustandes  des  Verbrechers 
aufgeführt  werden".-  So  vermochte  Feuerbach  in  jenem  Unglücklichen 
keine  andere  Verkehrtheit  zu  finden,  „als  die  Verkehrtheit  seines 
Herzens  und  jene  sittliche  Zerrüttung  des  Geistes,  ohne  welche 
noch  kein  Mensch  zu  großen  Missetaten  gekommen  ist".^  So  ward 
das  Todesurteil  bestätigt,  und,  „wiewohl  sehr  unglücklich",  vollzogen. 
Wohl  die  berühmteste  Persönlichkeit  jener  merkwürdigen  Ver- 
brecher ist  der  unglückliche  Querulant  Ludwig  Steiner.  Steiner 
war    Schuhmachermeister    in    Regensburg.      Als    man    einst    in    der 


'  Man  könnte  also  in  Feuerbachs  Sinn  geradezu  von  einer  actio  libera 
in  causa  sprechen! 

*  Äktenmäßige  Darstellung  S.  4L  —   ^  Ebendort  S.  38. 


257 

Zunft  um  einen  neuen  Fürmeister  stritt,  natim  sich  Steiner  eines 
seiner  Meinung  nach  zu  Unrecht  zurückgedrängten  Kollegen  an.  In 
der  Hitze  des  Streites  behauptete  er  plötzlich,  gesehen  zu  haben, 
wie  der  Führer  der  Gegenpartei  mit  einem  der  Zunftlade  gehörenden 
Sechser  so  lange  gespielt  hätte,  bis  er  ihn  heimlich  in  die  Tasche 
schob.  Die  Folge  war  ein  Injurienhandel,  in  dem  Steiner  zu  24  Stunden 
Polizeiarrest,  Abbitte  und  Erstattung  der  Kosten  verurteilt  wurde.  Er 
hielt  sich  für  unschuldig,  glaubte,  ihm  sei  Unrecht  geschehen,  und  so 
beginnt  mit  diesem  Urteil  der  verhängnisvolle  Kampf  dieser  Michael- 
Kohlhaas -Natur  um  sein  vermeintliches  Recht.  Er  legt  Berufung  ein, 
aber  das  Urteil  wird  bestätigt.  Mit  der  Verkündung  und  Vollstreckung 
ist  der  Magistratsrat  Elsperger  beauftragt.  Einen  Antrag  auf  Rekurs 
ans  Ministerium  lehnt  Elsperger  ab.  Steiner  bittet,  noch  einmal  nach 
Hause  gehen  zu  dürfen,  aber  in  „überstrengem  hastigen  Ämtseifer" 
läßt  ihn  Elsperger  sofort  ins  Gefängnis  abführen.  Krank  kehrt  er 
nach  zwei  Tagen  zurück,  angeblich  infolge  schlechter  Luft  und  Hitze 
im  Ärrestlokal.  Zweimal  fuhr  er  nach  München,  um  die  Wiederaufnahme 
seines  Prozesses  zu  bewirken.  Vermögen,  Geschäft,  Familienglück  fielen 
dem  unglücklichen  Prozeß  zum  Opfer.  Schließlich  wird  sein  Rekurs 
vom  Staatsrat  abgelehnt.  Da  trifft  Steiner  Elsperger  auf  der  Straße, 
gerät  mit  ihm  in  Wortwechsel  und  schlägt  ihn  nieder. 

Mit  genialer  Einfühlung  hat  Feuerbach  die  einzelnen  Stadien  dieses 
Werdeganges  psychologisch  entwickelt.  Der  Gedanke  an  sein  Recht 
verdrängt  allmählich  alles  andere  in  der  Gedankenwelt  Steiners.  Wer 
ihm  sein  Recht  nicht  bestätigt,  ist  sein  Feind,  ist  ein  Intrigant.  Weil 
ja  das  Recht  auf  seiner  Seite  steht,  so  muß  doch  jeder  einsehen,  daß 
er  Recht  hat.  Nur  bewußte  Rechtswidrigkeit  kann  ihm  vorenthalten, 
was  ihm  zusteht:  .  .  .  also  hat  Elsperger  ein  falsches  Protokoll  unter- 
geschoben. Gäbe  es  100  Instanzen,  er  würde  sie  alle  durchlaufen  und 
„von  der  höchsten  abgewiesen,  doch  immer  wieder  von  der  untersten 
anfangen".    Ihm  ist  Rechtskraft   ein  „unverständliches  Wort".^ 

War  Steiner  zurechnungsfähig?  Zwei  juristische  und  vier  medi- 
zinische Instanzen  haben  diese  Frage  geprüft  und  Feuerbach  Anlaß 
gegeben,  seinen  beißenden  Spott  über  die  ärztlichen  Gegner  zu  ergießen. 
„Seit  die  Ärzte  sich  in  dem  Gebiete  der  Rechtspflege  in  der  Kunst 
üben,  aus  gescheuten  Leuten  gutachtlich  Narren  zu  machen, 
gibt  es  selten  einen  Verbrecher,  wäre  er  auch  nach  sonnenklarem  Recht 
der  Gerechtigkeit  verfallen,  dessen  moralisch  juridischen  Leiden  die 
Medizin  nicht  mit  einem  heilenden  Vorrat  psychischer  Krankheiten 
beizuspringen    wenigstens    versuchte.""     Der    Hausarzt    beschränkte 


'  Aktenmäßige  Darstellung  S.  413.    —    -  Ebendort  S.  409. 

17 


258 

sich,  auf  die  Möglichkeit  hinzuweisen,  daß  häufig  derartige  heftige 
Leidenschaften  in  eine  Trübung  der  Urteilskraft  und  momentanen 
Wahnsinn  ausarten.  Der  Gerichtsarzt  nahm  einen  partiellen  fixen 
Wahnsinn,  also  eine  Monomanie  an.  Alles  und  nur  das,  was  mit 
dem  Prozeß  in  Verbindung  stand,  sei  durch  irrige  Vorstellungen 
beeinflußt.  Ahnlich  nahm  auch  das  Medizinalkollegium  Unzurechnungs- 
fähigkeit wegen  melancholischen  Wahnsinns  an.  Gemäß  diesem  Gutachten 
müßten  nach  Feuerbach  „entweder  alle  Verbrechen  aus  Leidenschaft, 
mithin  ungefähr  sieben  Ächtteile  aus  der  Liste  der  Justizsachen  gestrichen 
und  der  Heilkunde  überwiesen  oder  es  müßte  den  Leidenschaften  zu- 
gemutet werden,  sich  gerade  ebenso  verständig,  abgemessen,  kalt  und 
ruhig  zu  benehmen,  als  wenn  sie  —  keine  Leidenschaften,  sondern 
der  klare  trockene  Hausverstand  selbst  wären".  Der  modernen  patho- 
graphischen  Literatur  vorgreifend  meint  Feuerbach,  würde  ein  solches 
Kollegium  .auch  Hamlet  und  Macbeth  für  geisteskrank  halten  und 
den  Dichtern,  wenn  sie  „der  Natur  getreu  Charaktere  zu  zeichnen, 
Leidenschaften  darzustellen  glaubten",  nachweisen,  daß  sie  nur  „Narren" 
hervorgebracht  haben.  ^  Das  Obermedizinalkollegium  verwarf  dann  auch 
alle  bisherigen  Gutachten,  stellte  aber  doch  fest,  daß  Steiners  Gemütsart 
bei  der  Tat  verändert  und  „seine  Selbstbestimmungskraft,  das  ist  die 
Freiheit  seines  Willens,  trübend  und  gewissermaßen  beschränkend 
erscheint,  sodaß  hierin  allerdings  ein  Milderungsgrund  für  Steiner 
gesucht  werden  müsse".  Auch  dieses  Urteil  greift  Feuerbach  an. 
Niemals  sei  es  Sache  des  Arztes,  dem  Richter  einen  Strafmilderungs- 
grund vorzuschreiben.  Wie  er  in  der  „Revision"  Freiheit  nur  als 
absoluten  Begriff,  der  keine  gradweise  Abstufung  kennt,  zu  verstehen 
vermochte,  so  erscheint  ihm  auch  hier  eine  „gewissermaßen  beschränkte" 
Freiheit  als  Unding  —  „gewissermaßen"  zudem  „für  den  wissenschaftlichen 
Verstand  ein  sehr  übel  klingendes,  allgemein  verrufenes  Wörtchen"  !^ 

Das  Gericht  erster  Instanz  verurteilte  Steiner  zum  Tode,  die  zweite 
Instanz  aber  unter  Annahme  verminderter  Zurechnungsfähigkeit  zu  Zucht- 
haus auf  unbestimmte  Zeit.  Das  Bayerische  Strafgesetzbuch  von  1813 
enthält  zwar  keine  gesetzliche  Anerkennung  der  verminderten  Zurechnungs- 
fähigkeit. Wohl  aber  hatten  die  amtlichen  Anmerkungen  —  dem  Sinn 
des  Gesetzes  und  dem  Willen  Feuerbachs  entgegen  —  die  gesetzliche 
Strafmilderung  wegen  „Mangels  am  Tatbestand"  auf  Handlungen  nicht 
voll  Zurechnungsfähiger  angewandt.^ 

Feuerbach  bietet  eine  erhebliche  Energie  auf,  um  die  ärztlichen 
Zweifel    an    der    vollen    Zurechnungsfähigkeit    Steiners    ad    absurdum 


Ebendort  S.  419.    —    '  Ebendort  S.  420. 
Vgl.  oben  Kap.  V,  S.  191  f. 


259 

zu  führen.  Hielt  doch  Steiners  eigene  Frau  ihren  Mann  für  normal: 
„...er  hat  zu  Hause  alles  vernünftig  getan;  wenn  er  närrisch 
gewesen  wäre,  wie  hätte  er  seine  Profession  treiben  können?" 
„Man  sieht,"  sagt  Feuerbach,  „die  Schustersfrau  hat  ein  gesunderes 
Urteil  über  Geisteskrankheit  als  mancher  gelehrte  Doctor  medicinae."^ 
Dies  war  bei  Feuerbach  mehr  als  eine  bloß  agitatorische  Berufung 
auf  den  „gesunden  Menschenverstand".  Denn  tatsächlich  entspricht 
seine  eigene  rationalistische  Beurteilung  des  Seelenlebens  dem 
vulgären  Denken.  Ganz  ähnlich  wie  die  Schustersfrau  vermag  auch 
er  nicht  an  eine  geistige  Störung  zu  glauben,  weil  bei  Steiner  alle 
Handlungen  ganz  vernünftig  erscheinen  und  durch  einen  logischen 
Zusammenhang  verständlich  sind.  Ähnlich  wie  bei  Lenzbauer 
ist  ihm  die  aus  einleuchtenden  Motiven  erklärbare  Tat  selbst  ein 
Beweis  verständigen  Handelns.  „Wer  gleichwohl  noch  zu  behaupten 
wagt,  Steiner  sei  demungeachtet  wahnsinnig  gewesen  und  habe  im 
Wahnsinn  gehandelt,  weiß  entweder  gar  nicht,  was  er  will  oder  will 
nichts  Geringeres  als  die  Behauptung:  ein  Mensch  könne  zu  einer  und 
derselben  Zeit  bezüglich  einer  und  derselben  Handlung  erwiesenermaßen 
vollkommen  verständig  und  doch  zugleich,  ohne  daß  man  das  mindeste 
hiervon,  vielmehr  das  Gegenteil  wahrnimmt,  im  Grunde  der  Seele 
wahnsinnig  sein."  Nur  wo  Wahnvorstellungen  das  Bewußtsein  der 
Handlung  und  ihrer  Rechtswidrigkeit  trüben,  vermag  solche  intellek- 
tualistische  Denkart  an  einen  Ausschluß  der  Zurechnungsfähigkeit  zu 
glauben.  Ja,  hätte  sich  z.  B.  „Steiners  Haß  bis  zu  der  Vorstellung 
potenziert,  Elsperger  sei  nicht  der  Magistratsrat  Elsperger,  sondern 
ein  wildes  Tier  oder  der  leibhaftige  Satan,  der  ihn  zerreißen  wollte 
oder  er,  Steiner  selbst,  sei  ein  Erzengel,  der  von  Gott  auf  die  Erde 
geschickt  worden,  den  höhnischen  Magistratsrat  für  die  an  dem  braven 
Schuster  Steiner  verübten  Ungerechtigkeiten  zu  strafen  .  .  .",  dann 
könnte  von  einer  im  Wahnsinn  verübten  Tötung  die  Rede  sein." 

Diese  einseitige  Stellungnahme  wurde  auch  hier  verstärkt  durch 
den  Gedanken  des  Feuerbachschen  Hbschreckungsstrafrechts, 
das,  je  stärker  und  unwiderstehlicher  Leidenschaften  und  Triebe  zur 
Tat  drängen,  um  so  härter  und  rücksichtsloser  den  Kampf  gegen  die 
verbrecherischen  Neigungen  aufnehmen  zu  müssen  glaubt.  Gerade 
in  diesem  Zusammenhang  steht  seine  psychologische  Zwangstheorie 
an  Härte  und  Schroffheit  dem  rigorosen  Pathos  der  Kantischen 
kategorischen  Straftheorie  nicht  nach.  Wohl  haben  die  Stürme  der 
Leidenschaft  und  übermäßige  Erregungen  Steiners  seelisches  Gleich- 
gewicht erschüttert   und   die   Herrschaft   der  Vernunft  gefährdet,    aber 


'  Äktenmäßigc  Darstellung  S.  417.  —   '  Ebendort  S.  412. 

17* 


260 

das  sind  lediglich  „die  moralischen  und  juridischen  Krankheiten 
der  Seele,  welche  ganz  außer  dem  Kreise  der  medizinischen  Fakultät 
liegen  und  für  welche  keine  Apotheken  und  Narrenspitäler, 
sondern,  wenn  dagegen  vernünftige  Vorstellungen,  religiöse  und  sittliche 
Äbhaltungsgründe,  selbst  die  strafdrohenden  Gesetze  nichts  fruchten, 
Gefängnisse,  Zuchthäuser  und  Schaffotte  errichtet  sind"/ 

Ähnliche  Gedanken  waren  späterhin  auch  anderwärts  wirksam. 
Im  Jahre  1857  wurde  in  Tilsit  der  Arbeiter  Wilhelm  Nehring 
hingerichtet,  der  den  Kreisgerichtsrat  Meyrhöfer  erschossen  hatte. 
Nehring  war  wegen  Verdachts  des  Diebstahls  verhaftet  gewesen  und 
ihm  waren  bei  der  Entlassung  Geld  und  Kleidungsstücke  abhanden- 
gekommen. 1 7  Jahre  hindurch  überlief  er  Behörden  und  Gerichte 
mit  allen  möglichen,  zum  Teil  sinnlosen  Beschwerden,  und  verfolgte 
den  Kreisgerichtsrat  Meyrhöfer  als  den  vermeintlichen  Urheber  des 
erlittenen  Unrechts  mit  Haß  und  Bedrohungen.  Im  Gegensatz  zum 
Fall  Steiner  bejahten  hier  die  Ärzte,  obwohl  Nehring  früher  für 
geisteskrank  erklärt  und  zeitweise  in  der  Irrenanstalt  Königsberg 
gewesen  war,  nach  der  Tat  die  Zurechnungsfähigkeit.  So  sprachen 
die  Geschworenen  ihr  Schuldig.  Erst  dem  Justizminister  kamen 
Bedenken.  Er  forderte  ein  Gutachten  der  Wissenschaftlichen  Depu- 
tation für  das  Medizinalwesen.  Die  Deputation  gibt  ähnlich  wie 
Feuerbach  eine  feine  und  eingehende  psychologische  Analyse  der 
Entwicklung  des  Querulanten.  Solche  Momente  können  auch  nach 
ihrer  Meinung  der  Entstehung  des  Wahnsinns  günstige  Bedingungen 
darstellen;  aber  das  berechtigte  nicht,  das  Vorhandensein  einer 
geistigen  Erkrankung  selbst  vorauszusetzen.  So  wurde  das  Todes- 
urteil bestätigt.^ 

Erst  die  neueste  Zeit  vermochte  dem  Querulantenwahn  gerecht 
zu  werden.  Freilich  nicht  in  jenem  einfachen  Sinn  der  Monomanien- 
lehre. Wohl  aber  lernte  man  den  Einfluß  gesteigerter  Reizbarkeit, 
überwertiger  Ideen  und  die  oft  in  kaum  merklichen  Abgrenzungen 
in  das  normale  Vorstellungsleben  sich  einfügenden  Wahnsysteme  in 
ihrer  symptomatischen  Bedeutung  für  geistige  Gesamterkrankungen 
verstehen.  So  ward  auch  Steiner  und  Nehring  eine  späte  Ehren- 
rettung. Pelmann  reiht  beide  seinen  Psychischen  Grenzzuständen 
ein.^  Nach  seinem  Urteil  würden  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  beide 
„heute  eine  andere  Beurteilung  gefunden  haben  und  als  das  erkannt 
worden    sein,    was    sie    tatsächlich   waren   —   nämlich    geisteskrank". 


'  Äktenmäßige  Darstellung  S.  412. 

-  Sello,   Die  Irrtümer  der  Strafjustiz.    Berlin  1911.    S.  79  ff. 

*  Pelmann,  Psychische  Grenzzustände  4.  Aufl.,  S.  166. 


261 

Und  Sello  nimmt  beide  auf  unter  seine  Sammlung  von  Irrtümern 
der  Strafjustiz,'  wo  sie  nunmehr  aufs  neue  eine  beredte  Sprache 
über  die  Beschränktheit  menschlichen  Richtens  und  Urteilens  reden. 
Birnbaum,  der  beste  Schilderer  psychopathischer  Persönlichkeiten, 
hat  auch  das  Charakterbild  des  degenerativen  Querulanten  gezeichnet 
und  neuestens  gerade  Feuerbachs  psychologische  Analyse  des 
Entwicklungsgangs  Steiners  als  Dokument  zur  Psychopathologie 
der  katastrophalen  Tat  verwertet.  Freilich,  indem  er,  anders  als 
Feuerbach,  für  das  blinde  und  hemmungslose  Durchkämpfen  des 
subjektiv  verfälschten,  egozentrisch  aufgefaßten  Rechts  die  Erklärung 
in  Steiners  unglückseliger  Veranlagung  zum  psychopathischen 
Querulanten    sieht." 

In  den  kriminalpsychologischen  Arbeiten  Änselm  v.  Feuerbachs 
zeigt  sich  eine  ähnliche  Tragik,  wie  in  seinen  philosophisch-theoretischen 
Deduktionen  und  seinem  gesetzgeberischen  Wirken.  An  dem  einmal 
gewonnenen  Standpunkt  hängt  er  mit  solch  leidenschaftlicher  Energie, 
daß  er  bei  all  seiner  kritischen  Begabung  den  eigenen  Schöpfungen 
gegenüber  sich  der  Einsicht  in  Irrtümer  und  Bedingtheiten  verschließt. 
Im  Anfang  ein  revolutionärer  Neuerer,  verfällt  er  alsbald  selbst 
in  dogmatische  Enge.  Konsequenz  und  Beharrlichkeit  erstirbt  zu 
scholastischer  Starrheit.  So  fallen  seine  Lehren  gerade  da  der 
Vergänglichkeit  anheim,  wo  er  mit  allen  Kräften  um  ihre  dauernde 
Geltung  kämpft. 

Aber  der  wirklichen  Größe  dieses  Mannes  vermag  dies  keinen 
Abbruch  zu  tun.  Nicht  in  den  gewonnenen  Ergebnissen,  sondern 
in  dem  Streben  und  Kämpfen  um  neue  Ziele  liegt  sein  bleibender 
Wert,  nicht  im  Inhalt  seiner  Lehren,  sondern  in  der  Bewegtheit  und 
der  geistigen  Bedeutung  seines  Wirkens.  Wo  er  selbst  die  Wandel- 
barkeit irdischer  Wissenschaft  und  menschlicher  Institutionen  aufwies, 
als  kühner  Neuerer  die  Geister  aufrüttelte  und  Feststehendes  zu  Fall 
brachte,  hinter  anerkannten  Lösungen  verborgene  Problematik  bloß- 
legte, gingen  von  seinem  Wirken  wie  aus  einer  reichen  Quelle  eine 
Fülle  von  Anregungen  auf  die  Zeitgenossen  aus  und  über  diese 
auf    alle   die,    welche    hinter    der   virtuosen   Dialektik    etwas   von   der 


'  Sello,   Die  Irrtümer  der  Strafjustiz.    Berlin  1911.    S.  29  ff.  und  79  ff. 

^  Karl  Birnbaum,  Die  psychopathischen  Verbrecher.  Berlin  1914. 
S.  266  ff.  Psychopathologische  Dokumente.  Berlin  1920.  S.  191  ff.  —  Von 
älteren  Stimmen  für  die  Anerkennung  der  psychopathologischen  Bedeutung 
des  Querulantenwahns  sei  genannt:  Ed.  Hitzig,  Über  den  Querulanten- 
wahnsinn. Seine  nosologische  Stellung  und  seine  forensische  Bedeutung. 
Leipzig  1895. 


262 

schöpferischen  Kraft  eines  Großen  zu  spüren  vermochten.  So  ver- 
ehrten ihn  die  Freunde  nach  Hit  zig  s  Wort^  mit  ganz  Deutschland 
als  den  „Schöpfer  neuen  Lebens  in  der  Kriminalrechts- 
wissenschaft". 

Im  Wandel  der  Geister  an  das  Beständige  zu  glauben  und  im 
ewigen  Wechsel  für  das  Unvergängliche  zu  wirken,  gehört  zum  Ethos 
wahrer  Wissenschaftlichkeit.  In  Änselm  v.  Feuerbach  lebte  etwas 
von  diesem  Geist  und  er  hat  selbst  in  besonderer  Stunde  im  Anschluß 
an  ein  Wort  aus  Schillers  Jenaer  Antrittsvorlesung  solche  Gedanken 
zum  Ausdruck  gebracht.^  „Der  beste  Teil  aller  literarischen  Tätigkeit 
besteht  nicht  sowohl  in  dem,  was  sie  gibt,  als  in  demjenigen,  was 
sie  in  andern  Geistern  anregt  und  durch  diese  wirkt.  Jenes 
geht  notwendig  mit  der  wechselnden  Zeit  wenigstens  in  veränderten 
Formen  unter;  dieses  aber  ist,  wie  einer  unserer  großen  Schriftsteller 
sich  ausdrückt:  die  Tat,  welche  lebt  und  weitereilt,  wenn  auch  der 
Name  ihres  Urhebers  hinter  ihr  zurückbleiben  sollte." 

So  mag  auch  heute  noch,  wer  hinter  den  Bedürfnissen  des  Alltags 
den  tieferen  Problemen  der  Strafrechtswissenschaft  nachsinnt,  in  seiner 
Arbeit  immer  wieder  Gedanken  und  Spuren  jenes  größten  deutschen 
Kriminalisten  begegnen,  wenn  er,  im  Geiste  Feuerbachs  ewiger  Wahr- 
heit und  Gerechtigkeit  in  leidenschaftlicher  Hingebung  dienend,  den 
wechselnden  Gestaltungen  wandelbarer  menschlicher  Satzung  neue  und 
immer  vollkommenere  Formen  sucht. 

Und  umzuschaffen  das  Geschaffene, 
Damit  sichs  nicht  zum  Starren  waffne, 
Wirkt  ewiges,  lebendges  Tun. 


'  Hitzigs  Zeitschrift  für  die  Kriminalrechtspflege  in  den  preußischen 
Staaten  I.  Bd.,  1.  Heft.    Berlin  1825.    Widmung  an  Feuerbach. 

-  Lehrbuch  des  peinlichen  Rechts  IX.  Aufl.    1826.    Vorrede  S.  VIII. 


263 


Literatur. 

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schaft. Bibliothek  für  peinliche  Rechtswissenschaft  und  Gesetzkunde. 
I.Teil,  3.  Stück,  S.  290  ff.,  und  II.  Bd.,  1.  Stück,  S.  349  ff. 

—  Darstellung  der  rechtlichen  Imputation.    Gießen  1803. 
Anmerkungen    zum    Strafgesetzbuch    für   das    Königreich    Bayern    nach 

den     Protokollen     des     königlichen     geheimen     Rats     Bd.    I  — III. 

München  1813  —  14. 
Arnim,  v.,  Bruchstücke  über  Verbrechen  und  Strafen  (anonym  erschienen) 

Bd.  I— III.    Frankfurt  und  Leipzig  1803. 
Arnold,  Erfahrungen  aus  dem  Bayerischen  Strafgesetzbuch  vom  Jahre  1813 

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Breuer,  Joh.,  Die  politische  Gesinnung  und  Wirksamkeit  des  Kriminalisten 

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unbenannten  Äuthore.    München  1752. 
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Berlin  und  Leipzig  1920. 
Über   die   Einführung    des   Bayerischen   Strafgesetzbuchs   in  Weimar   mit 

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Engelmann,  W.,  Die  Schuldlehre  der  Postglossatoren.    Leipzig  1895. 
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der  Universitäten  Mainz  und  Gießen.  Archiv  für  hessische  Geschichte 
und  Altertumskunde.  Herausgegeben  von  J.  K.  Dielerich  u.  K.  Bader. 
Neue  Folge,  V.  Bd.    Darmstadt  1907. 

Exner,  Fr.,  Das  Wesen  der  Fahrlässigkeit.    Wien  1910. 

—  Die  Theorie  der  Sicherungsmittel,  v.  Liszts  Seminarabhandlungen 
3.  Folge,  I,  1.    Berlin  1914. 

Feder,  Hch.,  Untersuchungen  über  den  menschlichen  Willen  Teil  1—3, 
2.  Aufl.    Göttingen  und  Lemgo  1785. 

Ferri,  Enrico,  Das  Verbrechen  als  soziale  Erscheinung.  Deutsche  Ausgabe 
von  H.  Kurella.    Leipzig  1896. 

—  Die  Reform  der  Strafjustiz  in  Italien.    Z.  Str.W.  41.    1920.    S.  473  ff. 
Feuerbach,   Henriette,    Änselm  Feuerbachs  Leben,   Briefe  und   Gedichte. 

Nachgelassene  Schriften  von  Änselm  Feuerbach.  Herausgegeben 
von  H.  Hettner  I.    Braunschweig  1853. 

Feuer bach,  L.,  Änselm  Ritter  v.  Feuerbachs  Leben  und  Wirken.  Veröffent- 
licht von  seinem  Sohn  Ludwig  Feuerbach.    2  Bände.    Leipzig  1852. 

Feuerbach,  P.  J.  Änselm  Ritter  v.,  über  die  einzig  möglichen  Beweis- 
gründe gegen  das  Dasein  und  die  Gültigkeit  der  natürlichen 
Rechte.     Leipzig  und  Gera  1795. 

—  Versuch  über  den  Begriff  des  Rechts.  Philosophisches  Journal 
einer  Gesellschaft  Teutscher  Gelehrter.  Herausgegeben  von  F.  J. 
Niethammer.    II.  Bd.,  2.  Heft.    Neustrelitz  1796.    S.  138  ff. 

—  Über  die  Unmöglichkeit  eines  ersten  absoluten  Grundsatzes  in  der 
Philosophie.  Philosophisches  Journal  einer  Gesellschaft  Teutscher 
Gelehrter.  Herausgegeben  von  F.  J.  Niethammer.  II.  Bd.,  4.  Heft, 
S.  306  ff. 

—  Kritik  des  natürlichen  Rechts  als  Propädeudik  zu  einer  Wissenschaft 
der  natürlichen  Rechte.    Ältona  1796. 

—  Äntihobbes  oder  über  die  Grenzen  der  höchsten  Gewalt  und 
das  Zwangsrecht  der  Bürger  gegen  den  Oberherrn  I.  Bändchen. 
Erfurt  1798. 

—  Philosophisch -juridische  Untersuchung  über  das  Verbrechen  des 
Hochverrats.    Erfurt  1798. 

—  Rezension  von  Grolmans  Grundsätzen  der  Kriminalrechtswissenschaft. 
ÄUg.  Lit.-Ztg.  Jena  u.  Leipzig  1798.    Bd.  II,  Nr.  113  und  114,  Sp.  65  ff. 


267 

Feuerbach,  P.  J.  Änselm  Ritter  v.,  Rezension  von  Tittmanns  Versuch  über 
die  wissenschaftliche  Behandlung  des  peinlichen  Rechts.  Ällg.  Lit.-Ztg. 
Jena  und  Leipzig  1798.    Nr.  322,  Sp.  217  ff. 

—  Ist  Sicherung  vor  dem  Verbrecher  Zweck  der  Strafe  und  ist  Straf- 
recht Präventionsrecht?  Bibliothek  für  peinliche  Rechtswissenschaft 
und  Gesetzkunde  I.  Teil,  2.  Stück.   Herborn  u.  Hamadar  1798.   S.3ff. 

—  Dissertatio  inauguralis  de  causis  mitigandi  ex  capite  impeditae 
libertatis.    Jena  1799. 

—  An  die  Freunde  des  positiven  peinlichen  Rechts.  Anzeige  der 
Revision  der  Grundsätze  und  Grundbegriffe  des  positiven  pein- 
lichen Rechts.  Inlelligenzblatt  der  Ällg.  Lit.-Ztg.  vom  Jahre  1799, 
Nr.  35,  S.  274  f. 

—  Revision  der  Grundsätze  und  Grundbegriffe  des  positiven  peinlichen 
Rechts.    L  Bd.,  Erfurt  1799;  II.  Bd.,  Chemnitz  1800. 

—  Betrachtungen  über  Dolus  und  Culpa  überhaupt  und  den  Dolus 
indirectus  insbesondere.  Bibliothek  für  die  peinliche  Rechtswissen- 
schaft und  Gesetzkunde  II.  Bd.,  1.  Stück,  S.  193  ff. 

—  Über  die  Todesstrafe.  Bibliothek  für  peinliche  Rechtswissenschaft 
Bd.  II.    Göttingen  1800.    S.  244  ff. 

—  Über  die  Strafe  als  Sicherungsmittel  vor  künftigen  Beleidigungen 
des  Verbrechers.    Chemnitz  1800. 

—  Lehrbuch  des  gemeinen  in  Deutschland  gültigen  peinlichen  Rechts. 
Gießen  1801.  2.  Aufl.,  1803;  3.  Rufl.,  1805;  4.  Aufl.,  1808;  5.  Aufl., 
1812;  6.  Aufl.,  1818;  7.  Aufl.,  1820;  8.  Aufl.,  1823;  9.  Aufl.,  1826; 
10.  Aufl.,  1828;  11.  Aufl.,  1832.  Desgleichen,  herausgegeben  von 
C.J.Ä.Mittermaier,  12.Äufl.,  1836;  13.  Aufl.,  1840;  14.  Aufl.,  1847. 

—  Rezension  von  Tittmanns  Über  die  Grenzen  des  Philosophierens 
in  einem  System  der  Strafrechtswissenschaft  und  Strafgesetzkunde. 
Ällg.  Lit.-Ztg.,  Jena  und  Leipzig  1802,  Nr.  290,  Sp.  101  ff. 

—  Über  Philosophie  und  Empirie  in  ihrem  Verhältnis  zur  positiven 
Rechtswissenschaft.    Landshuter  Antrittsrede  1804. 

—  Kritik  des  Hleinschrodischen  Entwurfs  zu  einem  peinlichen  Gesetz- 
buch für  die  kurpfalzbayerischen  Staaten  Teil  1  —  3.  Gießen  1804. 
fluch  erschienen  als  Bd.  II,  2  und  3,  und  III,  1  der  Bibliothek  für 
die  peinliche  Rechtswissenschaft  und  Gesetzkunde. 

—  Merkwürdige  Kriminalrechtsfälle   Bd.  I  u.  II.    Gießen  1808  u.  1811. 

—  Themis  oder  Beiträge  zur  Gesetzgebung.    Landshut  1812. 

—  Betrachtungen  über  das  Geschworenengericht.    Landhut  1813. 

—  Erklärung  des  Präsidenten  v.  Feuerbach  über  seine  angeblich 
geänderte  Überzeugung  in  Ansehung  der  Geschworenengerichte. 
Aus   dem   Rheinischen   Mercur   besonders   abgedruckt.     Jena    1819. 

—  Betrachtungen  über  die  Öffentlichkeit  und  Mündlichkeit  der 
Gerechtigkeitspflegc.  Bd.  I.  Gießen  1821.  Bd.  II:  Über  die  Gerichts- 
verfassung und  das  gerichtliche  Verfahren  Frankreichs  in  besonderer 
Beziehung  auf  die  Öffentlichkeit  und  Mündlichkeit  der  Gerechtigkeits- 
pflege.   Gießen  1825. 


268 

Feuerbach,  P.  J.  Änselm  Ritter  v.,  Aktenmäßige  Darstellung  merkwürdiger 
Verbrechen  2,  Aufl.,  Bd.  I  u.  II.  Gießen  1828  u.  1829.  3.  Ausgabe 
von  Mittermaie r.  Gießen  1849.  Neuerdings  in  Auswahl  heraus- 
gegeben von  W.  V.  Scholz.    München  und  Leipzig  1913. 

—  Kaspar  Hauser,  Beispiel  eines  Verbrechens  am  Seelenleben  des 
Menschen,    Ansbach  1832. 

—  Kleine  Schriften  vermischten  Inhalts.    Nürnberg  1833. 

Fichte,  J.  G.,  Grundlage  des  Naturrechts  nach  Prinzipien  der  Wissenschafts- 
lehre, 2  Teile.    Jena  und  Leipzig  1796 — 1797. 

Filangieri,  System  der  Gesetzgebung.  Aus  dem  Italienischen  des  Ritters 
Cajetan  Filangieri.    IV.  Bd.    Ansbach  1787. 

Finger,   Lehrbuch  des  deutschen  Strafrechts   Bd.  I.    1904. 

Fischer,  Kuno,  Über  das  Problem  der  menschlichen  Freiheit.  Heidelberger 
Rektoratsrede   1875. 

—  Geschichte  der  neueren  Philosophie  V.  Bd.  Immanuel  Kant  und 
seine  Lehre  2  Teile.    4.  Aufl.    1899. 

Flcischmann,  Anselm  v.  Feuerbach.  Der  Jurist  als  Philosoph.  Erlanger 
Dissertation  1906. 

Frank,  R.,  Die  Wolffsche  Strafrechtsphilosophie  und  ihr  Verhältnis 
zur  kriminalpolitischen  Aufklärung  des  XVIII.  Jahrhunderts. 
Göttingen    1887. 

—  Über  den  Aufbau  des  Schuldbegriffs.  Gießener  Festschrift  1907. 
S.  519  ff. 

—  Das  Strafgesetzbuch  für  das  Deutsche  Reich.  11. — 14.  Aufl. 
Tübingen  1919. 

Freudenthal,  Unbestimmte  Verurteilung.  Vergleichende  Darstellung  des 
deutschen  und  ausländischen  Strafrechts.    Allg.  Teil,  Bd.  III,  S.  245. 

—  Gefängnisrecht  und  Recht  der  Fürsorgeerziehung.  Holtzendorff- 
Kohlers  Enzyklopädie,  7.  Aufl.    1914.    Bd.  V. 

Friedreich,  J.  B.,  Einige  psychologische  Bemerkungen  über  a  120  Tl.  I 
des  Strafgesetzbuchs  für  das  Königreich  Bayern.  Zu  Rheins  Zeit- 
schrift für  Theorie  und  Praxis  des  bayerischen  Zivil-,  Kriminal-  und 
öffentlichen  Rechts  Bd.  I.    1835.    S.  198  ff. 

—  Gerichtlich  psychologische  Bemerkung  über  a  98,  99  Tl.  I  des  Straf- 
gesetzbuchs für  das  Königreich  Bayern.  Zu  Rheins  Zeitschrift . . . 
Bd.  II,  S.  70  ff. 

Fuhr,  K.,  Strafrechtspflege  und  Sozialpolitik.     Berlin  1892. 

Garraud,  R.,   Trait^  th^orique  et  pratique  du  Droit  p^nal  Frangais  I — IV, 

3  ed.    1913-22. 
Geib,  G.,  Lehrbuch  des  deutschen  Strafrechts  Bd.  I  und  IL    Leipzig  1862. 

Gerhard,  C,  Kants  Lehre  von  der  Freiheit.  Philosophische  Monatshefte 
Bd.  XXII.    1886.    S.  1  ff. 

Geyer,  A.,   Kleine  Schriften  strafrechtlichen  Inhalts.    München  1889. 

Gierke,  O.  v.,   Naturrecht  und  deutsches  Recht.    Breslauer  Rektoratsrede. 
*  Frankfurt  a.  M.  1883. 


269 

Gierkc,  O.  v.,  Johannes  Älthusius  und  die  Entwicklung  der  naturrrechtlichen 
Staatstheorien,  3.  Ausgabe.  Breslau  1913.  Untersuchungen  zur 
deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte  VII. 

Glaentzer,  vgl.  Nettelbladt. 

Glaser,  J.,  Gesammelte  kleine  Schriften  über  Stralrecht,  Zivil-  und  Straf- 
prozeß.   Wien  1866. 

Globig,  E.  V.,  und  Hu  st  er,  G.,  Abhandlung  von  der  Kriminalgesetzgebung. 
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—  Vier  Zugaben  zu  der  gekrönten  Schrift  von  der  Kriminalgesetz- 
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Globig,  E.  V.,  Kritik  des  Entwurfs  eines  peinlichen  Gesetzbuchs  für  Bayern. 
Regensburg  1806. 

Gmelin,  G.,  Grundsätze  der  Gesetzgebung  über  Verbrechen  und  Strafe. 
Tübingen   1785. 

Goltdammer,  Materialien  zum  Strafgesetzbuch  für  die  preußischen  Staaten 
Teil  1—2.    Berlin  1851. 

Grolman,  Karl  v.,  Grundsätze  der  Kriminalrechtswisscnschaft  nebst  einer 
systematischen  Darstellung  des  Geistes  der  deutschen  Kriminal- 
gesetze.   Gießen  1798. 

—  Grundsätze  der  Kriminalrechtswissenschaft.  2.  Aufl.,  Gießen  1805; 
3.  Aufl.,  Gießen  1818;  4.  Aufl.,  Gießen  1825. 

—  Über  die  Begriffe  von  Dolus  und  Culpa  nebst  einer  Anwendung 
auf  die  Frage:  ob  Unmündige  dolose  Verbrechen  begehen  können? 
Bibliothek  für  die  peinliche  Rechtswissenschaft  und  Gesetzkunde 
I.Teil.    Herborn  und  Hadamar  1798.    I.Stück,  S.  3  ff. 

—  Rezension  von  Kants  Metaphysischen  Anfangsgründen  der  Rechts- 
lehre. Bibliothek  für  die  peinliche  Rechtswissenschaft  und  Gesetz- 
kundc  I.Teil.    Herborn  und  Hadamar  1798.    1.  Stück,  S.  130  ff. 

—  Wird  Dolus  bei  begangenem  Verbrechen  vermutet?  Bibliothek  für 
die  peinliche  Rechtswissenschaft  und  Gesetzkunde  I.Teil,  2.  Stück, 
S.  70  ff. 

—  Über  die  Begründung  des  Strafrechts  und  der  Strafgesetzgebung 
nebst  einer  Entwicklung  der  Lehre  von  dem  Maßstab  der  Strafen 
und  der  juridischen  Imputation.    Gießen  1799. 

—  Sollte  es  denn  wirklich  kein  Zwangsrecht  zur  Prävention  geben? 
Magazin  für  die  Philosophie  und  Geschichte  des  Rechts  und  der 
Gesetzgebung,  angelegt  und  herausgegeben  von  D.  Karl  Grolman. 
I.  Bd.    Gießen  und  Darmstadt  1800.    S.  241  ff. 

Groos,    Fr.,     Untersuchungen     über    die     moralischen     und     organischen 
Bedingungen    des    Irreseins    und    der    Lasterhaftigkeit.     Heidelberg 
und  Leipzig  1826. 
Grotius,  Hugo,   De  iure  belli  ac  pacis  libri  III.    (1625.) 
Guckenheimer,     Der    Begriff     der    ehrlosen    Gesinnung     im    Strafrecht. 
Hamburgische  Schriften,    Heft  1.     Hamburg  1921. 

Günther,  Die  Idee  der  Wiedervergeltung  in  der  Geschichte  und  Philosophie 
des  Strafrechts.  Bd.  I,  Erlangen  1889;  Bd.  II,  Erlangen  1891; 
Bd.  III,  1,  Erlangen  1895. 


270 

Günther,  Die  Strafrechtsreform  im  Äufklärungszeitalter.  Gross'  Archiv 
Bd.  28.    1907.    S.  112  ff.  und  S.  225  ff. 

—  Tomaso  Natale,  Marchese  di  Monterresato.  Ein  in  Deutschland 
vergessener  Vorläufer  Beccarias.   Qoltdammers  Archiv  Bd.  48,  S.  Iff. 

—  Französische  Revolutionäre  als  Kriminalpolitiker  und  Gegner  der 
Todesstrafe.  Frankfurter  Zeitung,  Jahrg.  64,  Nr.  809  (1.  Morgen- 
blatt vom  29.  10.  19). 

Hälschner,  Hugo,  Geschichte  des  Brandenburg -Preußischen  Strafrechts. 
Bonn  1855. 

—  System  des  Preußischen  Strafrechts  Bd.  I  u.  II.    Bonn  1858  u.  1868. 

—  Das  gemeine  deutsche  Strafrecht  Bd.  I,  II,  1 — 2.    Bonn  1881. 

Hegler,  H.,  Die  praktische  Tätigkeit  der  Juristenfakultäten.    Freiburg  1899. 

Heigel,  K.  Th.,  Aus  drei  Jahrhunderten.    Wien  1881. 

Heinemann,  Zur  Dogmengeschichte  des  Rechtsirrtums.  Z.  Str.  W.  13, 
S.  371  ff. 

Heinroth,  J.  Chr.  7\.,  Lehrbuch  der  Störungen  des  Seelenlebens.  Vom 
rationalen  Standpunkt  aus  entworfen.    2  Teile.    Leipzig  1818. 

—  System  der  psychisch -gerichtlichen  Medizin.    Leipzig  1825. 

—  Psychisch -gerichtliche  Medizin.  Über  das  falsche  ärztliche  Ver- 
fahren bei  kriminalgerichtlichen  Untersuchungen  zweifelhafter 
Gemütszustände.     Hitzigs  Zeitschrift  VIII,   S.  95  ff. 

Henke,  Ä.,  Abhandlungen  aus  dem  Gebiet  der  gerichtlichen  Medizin 
Bd.  I-II.    Bamberg  1816. 

Henke,  Ed.,  Grundriß  einer  Geschichte  des  deutschen  peinlichen  Rechts 
und  der  peinlichen  Rechtswissenschaft.    2  Teile.    Sulzbach  1809. 

—  Über  den  Streit  der  Strafrechtstheorien.  Ein  Versuch  zu  ihrer 
Versöhnung.    Regensburg  1811. 

Henke,    E.  L.  Th.,     Jac.  Friedrich    Fries.     Aus    seinem    handschriftlichen 

Nachlaß  dargestellt.     Leipzig  1867. 
Hepp,  Fcrd.  C.  Th.,    Kritische    Darstellung    der    Strairechtstheorien    nebst 

einem  Versuch  über  die  Möglichkeit  einer  strafrechtlichen  Theorie 

überhaupt.    Heidelberg  1829. 

—  Darstellung  und  Beurteilung  der  deutschen  Strafrechtstheorien 
I,  II,  1—2,  2.  Aufl.    Heidelberg  1843—1845. 

Hertz,  Ed.,  Voltaire  und  die  französische  Strafrechtspflegc  im  XVIII.  Jahr- 
hundert. Ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  Äufklärungszeitalters. 
Stuttgart  1887. 

Heymans,  Einführung  in  die  Ethik  auf  der  Grundlage  der  Erfahrung. 
Leipzig  1914. 

Hinschius,  System  des  katholischen  Kirchenrechts  Bd.  I— V,  VI,  1. 
Berlin  1869—1897. 

Hirsch,  Äug.,  Geschichte  der  medizinischen  Wissenschaften  in  Deutsch- 
land. Geschichte  der  Wissenschaften  in  Deutschland,  Neuere  Zeit 
Bd.  22.     München  und  Leipzig  1893. 

Hitzig,  Julius  Eduard,  Monomanie  (Einleitende  Worte  zu  dem  gleich- 
lautenden Aufsatz  Hufelands).    Hitzigs  Ännalen  III,  5.    1829.    S.  391. 


271 

Hitzig,  Julius  Eduard,  Erinnerung  an  Feuerbach.  Ännalen  der  deutschen 
und  ausländischen  Kriminalrechtspflege  XV.    1833.    S.  398—410. 

Hitzig,  Ed.,  Über  den  Querulantenwahnsinn.  Seine  nosologische  Stellung 
und  seine  forensische  Bedeutung.    Leipzig  1895. 

Hobbes,  Thomas,  Grundzüge  der  Philosophie.  I.Teil:  Lehre  vom  Körper; 
II.  Teil:  Lehre  vom  Bürger.  Deutsche  Ausgabe  von  M.  Frischeisen- 
Köhler.    Philosophische  Bibliothek  Bd.  157  und  158.    Leipzig  1915. 

Hoffbauer,  Joh.  Christ.,  Die  Psychologie  in  ihren  Hauptanwendungen  auf 
die  Rechtspflege  nach  den  allgemeinen  Gesichtspunkten  der  Gesetz- 
gebung oder  die  sogenannte  gerichtliche  Arzneiwissenschaft  nach 
ihrem  psychologischen  Teil.    Halle  1808. 

Holder,  Savigny  und  Feuerbach.  Virchows  und  Holtzendorffs  Sammlung 
wissenschaftlicher  Vorträge  XVI,  378.    Berlin  1881. 

Hommel,  K.  F.,  Alexander  v.  Joch.  Über  Belohnung  und  Strafe  nach 
türkischen  Gesetzen,  2.  Aufl.    Bayreuth  und  Leipzig  1772. 

—  K.  F.  Hommels  Philosophische  Gedanken  über  das  Kriminalrecht . . . 
Herausgegeben  . . .  von  K.  G.  Rössig.    Breslau  1784. 

Hufeland,  Monomanie.    Hitzigs  Ännalen  III,  5.    1829.    S.  392  ff. 

Jahn,  Otto,  Gottfried  Hermann.  Leipziger  Gedächtnisrede  1849.  In:  Bio- 
graphische Aufsätze  von  Otto  Jahn.    Leipzig  1866.    S.  91  — 132. 

Jaspers,  Carl,    Allgemeine  Psychopathologie,  2.  Aufl.    Berlin  1920. 

Jellinek,  Georg,  Die  sozialethische  Bedeutung  von  Recht,  Unrecht  und 
Strafe,  2.  Aufl.    Berlin  1908. 

—  Die  Erklärung  der  Menschen-  und  Bürgerrechte,  3.  Aufl.    München 
und  Leipzig  1919. 

Joch,  A.  V.,  vgl.  Homm.el. 

Jodl,  Fr.,    Allgemeine  Ethik.     Herausgegeben    von   W.  Börner.     Stuttgart 

und  Leipzig  1918. 
Kahl,  Verminderte  Zurechnungsfähigkeit.     Vergleichende   Darstellung  des 

deutschen  und   ausländischen   Strafrechts,   Allgemeiner  Teil   Bd.  I. 

Berlin  1908.    S.  1  ff. 
Kalb,    J.   A.,     Biographie     des     kurfürstlich     bayerischen     Staatskanzlers 

A.  W.  V.  Kreittmayr.     München  1825. 
Kant,  Immanuel,    Kritik  der  reinen  Vernunft.    1781. 

—  Idee  zur  allgemeinen  Geschichte  in  weltbürgerlicher  Absicht.    1784. 

—  Beantwortung  der  Frage:   Was  ist  Aufklärung?    1784. 

—  Grundlegung  zur  Metaphysik  der  Sitten.    1786. 

—  Rezension  von   Gottl,  Hufelands  Versuch  über  den  Grundsatz  des 
Naturrechts.    1786. 

—  Kritik  der  praktischen  Vernunft.     1788. 

—  Über  den    Gemeinspruch:    Das   mag   in   der  Theorie   richtig   sein, 
taugt  aber  nicht  für  die  Praxis.    1793. 

—  Zum  ewigen  Frieden.    Ein  philosophischer  Entwurf.    1795. 

—  Die  Metaphysik  der  Sitten.     1797. 

—  Anthropologie  in  pragmatischer  Hinsicht.    1798. 

Benutzt  wurde  die  Akademie- Ausgabe  Bd.  1  — 14  und  die  neue 
Ausgabe  von  E.  Cassirer.    Berlin  1912  ff. 


272 

Kammerer,  Prüfung  des  Entwurfs  zum  neuen  Strafgesetzbuch  in  Hinsicht 

der  Verbrechen,  Vergehen   und   Übertretungen    durch   Angriff   auf 

Ehre.    München  1823. 
Kantorowicz,  H.,    Die  Epochen  der  Rechtswissenschaft.    In:   Die  Tat  VI. 

Jena  1914  15.    S.  345-361. 
Kappler,  Friedr.,  Handbuch  der  Literatur  des  Kriminalrechts.   Stuttgart  1838. 
Katzenstein,     Die    Straflosigkeit    der    Actio    libera    in    causa,     v.  Liszts 

Seminarabhandlungen,  Neue  Folge  I,  1.     Berlin  1901. 
Kaufmann,  E.,  Kritik  der  Neukantischen  Rechtsphilosophie.    Tübingen  1921. 
Kirchhoff,  Th.,    Geschichte  der  Psychiatrie.    Aschaffenburgs  Handbuch  der 

Psychiatrie,  Allgemeiner  Teil,  4.  Abt.    Leipzig  und  Wien  1912. 
Klein,  E.  F.,  Grundsätze  des  gemeinen  deutschen  peinlichen  Rechts,  2.  Aufl. 

Halle  1799. 

—  Vom  Unterschiede  zwischen  Dolus  und  Culpa  in  Beziehung  auf 
Verbrechen   und   Strafe.     Archiv  des  Kriminalrechts  I,  2.    S.  56  ff. 

—  Über  die  Natur  und  den  Zweck  der  Strafe.  Archiv  des  Kriminal- 
rechts II,  1.    S.  74  ff. 

—  Für  den  Herrn  Dr.  Feuerbach.  Archiv  des  Kriminalrechts  11,3.  S.  123  ff. 

—  Über  die  Kritik  der  königlich  preußischen  Verordnung  wegen 
Bestrafung  der  Diebstähle  ...,  besonders  über  die  Frage,  welche 
Strafe  des  Diebstahls  die  zweckmäßigste  sei.  Archiv  des  Kriminal- 
rechts III,  2.    S.  49  ff. 

—  Nachricht  von  dem  Entwurf  eines  peinlichen  Gesetzbuchs  für  die 
kurpfalzbayerischen  Staaten.  Archiv  des  Kriminalrechts  IV,  4. 
1802.    S.  145—156. 

Kieinschrod,  G.  Ä.,  Systematische  Entwicklung  der  Grundbegriffe  und 
Grundwahrheiten  des  positiven  peinlichen  Rechts  Teil  1 — 3. 
Erlangen  1793—94.    2.  Aufl.,  1799;   3.  Aufl.,  1805. 

—  Abhandlungen  aus  dem  peinlichen  Recht  und  peinlichen  Prozeß, 
3  Bände.    Erlangen  1797,  1798,  1805. 

—  Entwurf  eines  peinlichen  Gesetzbuchs  für  die  kurpfalzbayerischen 
Staaten.    München  1802. 

Klemm,  Otto,    Geschichte  der  Psychologie.    Leipzig  1911. 

Kohlrausch,  E.,  Über  deskriptive  und  normative  Elemente  im  Vergeltungs- 
begriff des  Strafrechts.  In:  Zur  Erinnerung  an  Immanuel  Kant. 
Abhandlungen  . . .  Herausgegeben  von  der  Universität  Königsberg. 
Halle  1904.    S.  269  ff. 

—  Die  Beschimpfung  von  Religionsgesellschaften.    Tübingen  1908. 

—  Sollen  und  Können  als  Grundlagen  strafrechtlicher  Zurechnung. 
In:   Festgabe  für  Güterbnck.    Berlin  1910.    S.  1  ff. 

—  Die  Schuld.  In:  Die  Reform  des  Reichsstrafgesetzbuchs.  Heraus- 
gegeben von  Äschrott  und  v.  Liszt.    Bd.  I.    1910.    S.  180  ff. 

Kollmann,    Die  Lehre  vom  Versari  in  re  illicita  im  Rahmen  des  Corpus 

Juris  Canonici.    Z.  Str.  W.  35,  S.  46  ff. 
Kornfeld,  S.,    Geschichte  der  Psychiatrie.     Handbuch  der  Geschichte  der 

Medizin.    Begründet  von  Pusc'nmann,  herausgegeben  von  Neupurger 

und  Pagel.    Bd.  III.    Jena  1905.    S.  601-728. 


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Tübingen  1845. 
Krafft-Ebing,  R.  v.,  Lehrbuch  der  gerichtlichen  Psychopathologie,  2.  Aufl. 

Stuttgart  1881. 
Kriegsmann,  Einführung  in  die  Gefängniskunde.    Heidelberg  1912. 
Kries,  J.  v.,  Über  den  Begriff  der  objektiven  Möglichkeit.   Vierteljahrsschrift 

für  die  wissenschaftliche  Philosophie  XII,  S.  179  ff.,  287  ff.,  303  ff. 
Lamprecht,   K.,    Deutsche   Geschichte   3,   II    (Bd.  9    der   ganzen   Reihe). 

Berlin  1907. 
Landsberg,  E.(-Stintzing),    Geschichte  der  deutschen  Rechtswissenschaft 

3.  Abtlg.     I.  Halbbd.,   Text   und    Noten.     München -Leipzig    1892. 

II.  Halbbd.,  Text  und  Noten.     München -Berlin   1900.     Geschichte 

der  Wissenschaften  in   Deutschland,    Neuere   Zeit  18,  3,    I  und  II. 
Lasson,  R.,    System  der  Rechtsphilosophie.    Berlin -Leipzig  1882. 
Leyser,  Meditationes  ad  Pandectas  (1717). 
Li ep mann,     M.,      Die     Rechtsphilosophie     des     Jean    Jacques    Rousseau. 

Berlin   1898. 

—  Einleitung  in  das  Straf  recht.    Berlin  1900. 

—  Strafrechtsreform  und  Schulenstreit.    Z.  Str.  W.  28,  S.  1  ff. 

—  Abschnitt  „Zurechnung".    In:   Religion  in  Geschichte  und  Gegen- 
wart.   1913. 

—  Gedanken    über    den    Rechtsirrtum    im    Strafrecht.     Z.  Str.  W.  38, 
S.  21  ff.,  und  39,  S.  1 15  ff.,  S.  379  ff.,  S.  525  ff. 

—  Von     Kieler     Professoren.      Briefe     aus    drei    Jahrhunderten     zur 
Geschichte    der    Universität    Kiel.     Stuttgart -Berlin   1916. 

—  Die  Reform  des  deutschen  Strafrechts.     Kritische  Bemerkungen  zu 
dem  „Strafgesetzentwurf".     Hamburgische  Schriften,   Heft  2.     1921. 

Lilienthal,  v.,  und  Wolfgang  Mittermaier,  C.  J.  Ä.  Mittermaicr  als 
Gelehrter  und  Persönlichkeit.    Z.  Str.  W.  Bd.  43,  S.  157—181. 

Lipowsky,  F.  J.,  Geschichte  des  bayerischen  Kriminalrechts.   München  1803. 

Lippmann,  C,  Historisch -dogmatische  Darstellung  der  Lehre  von  der 
richterlichen  Strafänderungsbefugnis.    Münchener  Preisschrift  1863. 

Liszt,  Franz  v.,  Strafrechtliche  Aufsätze  und  Vorträge  Bd.  I  und  II. 
Berlin  1905. 

—  Tötung    und    Lebensgefährdung.      Vergleichende    Darstellung    des 
deutschen  und  ausländ.  Strafrechts,   Besonderer  Teil  Bd.  V,  S.  1  ff. 

—  Lehrbuch  des  deutschen  Strafrechts,  23.  Aufl.     Besorgt  von  Eber- 
hard Schmidt.    Berlin -Leipzig  1921. 

Lobe,   Die  strafrechtlichen  Begriffe  nach  Carpzov.    Leipzig  1894. 

Loening,  R.,  Über  geschichtliche  und  ungeschichtliche  Behandlung  des 
deutschen  Strafrechts.  Mit  Anmerkungen  zur  Geschichte  der 
deutschen  Strafrechtswissenschaft  seit  150  Jahren.  Z.Str.  W.  Bd.  3. 
1883.    S.  219  ff. 

—  Geschichte   der  strafrechtlichen   Zurechnungslehre  I.     Die  Zurech- 
nungslehre des  Aristoteles.    Jena  1903. 

Löfflcr,   Die  Schuldformen  des  Strafrechts  I.  Teil.    Leipzig  1895. 

18 


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sur  la  question  de  la  pcine  de  Mort.    Paris  1831. 

Malblank,  Geschichte  der  peinlichen  Gerichtsordnung  Kaiser  Karls  Y. 
Nürnberg  1783. 

Marquardsen,  Feuerbach.  In:  Rottek  und  Welckers  Staatslexikon,  3.  Aufl. 
Bd.Y.    Leipzig  1861.    S.  346-354. 

—  Feuerbach.    In:   Ällg.  deutsche  Biographie  VI.    1877.    S.  731—745. 
Martin,  Lehrbuch  d.Teutschen  gemeinen  Kriminalprozesses.  Göttingen  1812. 

—  Lehrbuch  des  Teutschen  gemeinen  Kriminalrechts  mit  besonderer 
Rücksicht  auf  das  neue  Strafgesetzbuch  für  das  Königreich  Bayern. 
Heidelberg  1825. 

Materialien    zur    peinlichen    Gesetzgebung    in    Bayern    I.  (einziger)  Teil. 

München  1802. 
Mayer,  M.  E.,  Der  allgemeineTeil  des  deutschen  Strafrechts.  Heidelberg  1915. 

Meister,  Fr.,  Feuerbachs  Äktenmäßige  Darstellung  merkwürdiger  Verbrechen. 

Ällg.  Lit.-Ztg.    Jena  und  Leipzig  1829.    Bd.  I,  Nr.  2. 
Menz,  K.  v..    Über  Rückfall  und  dessen  Bestrafung  nach  dem   Königlich 

Bayerischen  Strafgesetzbuch  von  1813.    Archiv  des  Kriminalrechts, 

Neue  Folge.    1848.    S.  420  ff. 

—  Einige  Winke  und  Beiträge  aus  dem  Gebiet  der  Erfahrung  im  Fache 
der  Gesetzgebung.  In:  Zu  Rheins  Beiträge  zur  Gesetzgebung  und 
praktischen  Jurisprudenz  I.  Bd.    München  1827.    S.  77  ff. 

Merkel,  Ä.,   Juristische  Enzyklopädie.    Berlin -Leipzig  1885. 

—  Elemente  der  allgemeinen  Rechtslehre.  Holtzendorffs  Enzyklopädie 
der  Rechtswissenschaft,  5.  Aufl.    Leipzig  1890.    Bd.  I,  S.  1  ff. 

Merkel-Liepmann,    Die   Lehre   von  Verbrechen   und   Strafe   von  Hdolf 

Merkel  . . .    Herausgegeben  von  M.  Liepmann.    Stuttgart  1912. 
Metzger,   Gerichtlich  medizinische  Abhandlungen.    Königsberg  1803. 

Mittermaicr,  C.  J.  Ä.,  Über  die  Grundfehler  der  Behandlung  des  Krimincil- 
rechts  in  Lehr-  und  Strafgesetzbüchern.    Bonn  1819. 

—  Beiträge  zur  Lehre  vom  Versuche  der  Verbrechen.  Neues  Archiv 
des  Kriminalrechts  I,  S.  163  ff. 

—  Über  den  Anfangspunkt  der  Strafbarkeit  der  Versuchshandlungen. 
Neues  Archiv  des  Kriminalrechts  II,  S.  602  ff. 

—  Über  den  Einfluß  des  Mangels  am  Tatbestande  auf  das  Strafurteil. 
Neues  Archiv  des  Kriminalrechts  III.    1820.    S.  394  ff. 

—  Der  neue  Entwurf  des  Strafgesetzbuchs  für  das  Königreich  Bayern. 
Neues  Archiv  des  Kriminalrechts  VI.    1824.    S.  173  ff.  und  351  ff. 

—  Die  Lehre  vom  Beweise  im  deutschen  Strafprozeß.    Darmstadt  1834. 

—  Über  den  gegenwärtigen  Zustand  der  Strafgesetzgebung,  die 
Gebrechen  derselben  und  die  Gesichtspunkte  ihrer  Verbesserung. 
Archiv  des  Kriminalrechts,  Neue  Folge.    1847.    S.  586  ff. 

—  Feuerbach.  In:  Bluntschlis  und  Braters  deutsches  Staatswörter- 
buch III.    1858.    S.  503—513. 

Mittermaier,  Wolfgang,  und  v.  Lilicnthal,  C.  J.  i\.  Mittermaier  als 
Gelehrter  und  Persönlichkeit.    Z.  Str.  W.  Bd.  43,  S.  157—181. 


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Montesquieu,    Esprit   des   lois   (1748),     Edition   stördotype    Didot,   Paris. 
An  XII  (1803)  ff. 

Morstadt,  Ausführlicher  kritischer  Kommentar  zu  Feuerbachs  Lehrbuch. 
Schaffhausen  1855. 

Motive  zum  ersten  Entwurf  des  Kriminalgesetzbuchs  für  die  Preußischen 
Staaten.  Gesetzrevision,  1.  Pensum  Bd.  I,  II,  III,  1  —  2,  IV,  V. 
Als  Manuskript  gedruckt.    Berlin  1827—1833. 

Mühlenbruch,  Über  iuris  und  facti  ignorantia.  Archiv  für  ziv.  Praxis  II. 
1819.    S.  361  ff. 

Mussinan,  Joh.  R.  v.,   Bayerns  Gesetzgebung.    München  1835. 

N agier,  ].,  Verbrechensprophylaxe  und  Strafrecht.  Kritische  Beiträge  zur 
Strafrechtsreform  XIV.    Leipzig  1911. 

—  Die  Strafe.    Eine  juristisch-empirische  Untersuchung.    Leipzig  1918. 

Natorp,  P.,  Willensfreiheit  und  Verantwortlichkeit.  In:  Philosophische 
Abhandlungen  für  Hermann  Cohen.    Berlin  1912.    S.  203  ff. 

Nettelbladt,  D.,  Dissertatio  jur.  de  homicidio  ex  intentione  indirecta 
commisso,  praeside  Dan.  Nettelbladt,  autorc  G.  E.  Glaentzer. 
Halle -Magdeburg  1753  u.  ff. 

Niethammer,  Feuerbachs  Äktenmäßige  Darstellung  merkwürdiger  Ver- 
brechen.   Ällg.  Lit.-Ztg.    Jena  und  Leipzig  1829.    Bd.  I,  Nr.  2. 

Noellner,  Friedr.,  Das  Verhältnis  der  Strafgesetzgebung  zur  Ehre  der 
Staatsbürger.    Frankfurt  a.  M.  1846. 

Obermaier,  Anleitung  zur  vollkommenen  Besserung  der  Verbrecher  in 
den  Strafanstalten.    Kaiserslautern  1835. 

Ocrsted,  Ä.  S.,  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  Moral-  und  Gesetz- 
gebungsphilosophie Bd.  I.    Kopenhagen  1818. 

—  Ausführliche  Prüfung  des  neuen  Entwurfs  zu  einem  Strafgesetzbuch 
für  das  Königreich  Bayern.    Kopenhagen  1823. 

Oetkcr,  Strafrechtliche  Behandlung  jugendlicher  Personen.  Gerichts- 
saal 73,   S.  385  ff. 

—  Rechtsgüterschutz  und  Strafe.    Z.  Str.  W.  17,  S.  493—589. 

Olshausen,  Kommentar  zum  Strafgesetzbuch  für  das  Deutsche  Reich 
Bd.  I  und  II,  12.  Aufl.    Berlin  1916. 

Ortolan,  ßl^ments  du  Droit  p^nal.  5  ed.  par  Desjardins.  Tome  I  et  IL 
Paris  1886. 

Overbeck,  Alfred  Freiherr  v..  Das  Strafrecht  der  französischen  Enzy- 
klopädie. Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Aufklärung  im  18.  Jahr- 
hundert.   Freiburger  Dissertation.    Karlsruhe  1902. 

Paul,  Jean,  Briefblättchen  an  die  Leserin  des  Damen -Taschenbuchs  bei 
gegenwärtiger  Übergabe  meiner  abgerissenen  Gedanken  vor  dem 
Frühstück  und  dem  Nachtstück  in  Löbichau.  Sämtliche  Werke, 
Bd.  32.    Berlin  1842.    S.  327  ff. 

Peinliche  Gerichtsordnung  Kaiser  Karls  V.  (1532.)  Editio  Zoepfl. 
Heidelberg  1841.    2.  u.  f.  synoptische  Ausgabe  1876,  1883. 

Pelmann,  Psychische  Grenzzustände,  4.  Aufl.    Bonn  1920. 

18* 


276 

Pfordten,  v.  d.,  Die  Lehre  vom  Rückfalle.  Zu  Rheins  Zeitschrift  für  Theorie 
und  Praxis  des  bayerischen  Zivil-,  Kriminal-  und  öffentlichen  Rechts 
Bd.  II.    1835.    S.  151  ff. 

Pinel,  Philosophisch -medizinische  Abhandlung  über  Geistesverwirrung 
oder  Manie.  Aus  dem  Französischen  übersetzt  von  W.  Wagner. 
Wien  1801. 

Pitaval,  Merkwürdige  Rechtsfälle  als  ein  Beitrag  zur  Geschieht  der 
Menschheit...    Herausgegeben  von  Schiller.    2  Teile.    Jena  1792. 

Platner,  Zach.,  Programma  quo  ostenditur  medicos  de  insanis  audiendos 
esse  1740. 

Pufendorf,  Sam.,    Elemcntorum  Jurisprudentiae  Libri  II  (1660). 

—  De  iure  naturae  et  gentium  Libri  VIII  (1672). 

—  De  officio  kominis  et  civis  Libri  II  (1684). 

Quistorp,  Ausführlicher  Entwurf  zu  einem  Gesetzbuch  in  peinlichen 
und  Strafsachen.    Rostock  und  Leipzig  1782. 

—  Grundsätze  des  deutschen  peinlichen  Rechts,  6.  Aufl.   Herausgegeben 
von  E.  F.  Klein.    Bd.  I— IV.    Leipzig,  Rostock,  Schwerin  1810—1828. 

R.,  Feuerbachs    Äktenmäßige    Darstellung    merkwürdiger   Verbrechen. 

Schunks  Jahrbücher  der  gesamten  deutschen  juristischen  Literatur 

Bd.  XIII.     Erlangen  1830.     S.  142  ff.  und  288  if. 
R.,  Feuerbachs  Lehrbuch  des  peinlichen  Rechts.     Schunks  Jahrbücher 

der    gesamten    deutschen   juristischen    Literatur    Bd.  I.     Erlangen 

1826.     S.  317  ff. 

Radbruch,  G.,  Die  politische  Prognose  der  Strafrechtsreform.  Äschaffcn- 
burgs  Monatsschrift  V,  S.  1  ff. 

—  Über  den  Schuldbegriff.    Z.  Str.  W.  Bd.  24.    1904.    S.  330  ff. 

—  Einführung    in    die    Rechtswissenschaft.      1.   Aufl.,    Leipzig    1910; 
3.  Aufl.,  Leipzig  1919. 

—  Feuerbach  als  Kriminalpsychologe.   Äschaffenburgs  Monatsschrift  VI. 
S.  1  ff. 

—  Grundzüge  der  Rechtsphilosophie.    Leipzig  1914. 

—  Fr.  v.  Liszts  Strafrechtslehrbuch.    Deutsche  Literaturzeitung.    1919. 
Nr.  36,  Sp.  683  ff. 

Redslob,  Die  Staatstheorien  der  Französischen  Nationalversammlung. 
Leipzig  1912. 

Reichel,  H.,    Über  forensische  Psychologie.    München  1910. 

Reil,  Joh.  Christ.,  Rhapsodien  über  die  Anwendung  der  psychischen  Kur- 
methode auf  Geisteszerrüttungen,  2.  Ausg.    Halle  1818. 

Reinhold,  E.,  Karl  Leonhard  Reinholds  Leben  und  literarisches  Wirken 
nebst  einer  Auswahl  von  Briefen  Kants,  Fichtes,  Jakobis  u.  a. 
Herausgegeben  von  Ernst  Reinhold.    Jena  1825. 

Reinhold,  K.  L.,  Beitrag  zur  genaueren  Bestimmung  der  Grundbegriffe 
der  Moral  und  des  Naturrechts.  Neuer  Teutschcr  Merkur  vom 
Jahre  1792,  I.  Band.    Weimar  1792.    6.  Stück,  S.  105  ff. 

—  Briefe  über  die  Kantische  Philosophie  II.  Bd.    Leipzig  1792. 
Reir.y,   H.,    Les  principes  g^n^raux  du  Code   p^nal  de  1791.    Paris  1910. 


277 

Revision  der  Fortschritte  des  Kriminalrechts  in  den  letzten  drei  Quinquennien. 
In:  Revision  der  Literatur  in  den  letzten  drei  Quinquennien  des  18.  Jahr- 
hunderts in  Ergänzungsblättern  zur  Allg.  Lit.-Ztg.  dieses  Zeitraums, 
1.  Jahrg.,  Bd.  I.  Jena  und  Leipzig  1801.  Nr.  33,  Sp.  255  fi.;  Nr.  34, 
Sp.265f{.;   Nr.  49,  Sp.385n.;   Nr.  50,  Sp.393n.;   Nr.  52,  Sp.  410  H. 

Rh  öden,  V.,  Schiller  und  die  Kriminalpsychologie.  Äschaffenburgs  Monats- 
schrift II,  S.  81  ff. 

Rosshirt,  In  welchen  Fällen  kann  sich  der  Verbrecher  mit  Unkenntnis  des 
Rechts  entschuldigen?   Neues  Archiv  des  Kriminalrcchts  IX,  S.491  ff. 

Rössig,  vgl.  Hommel. 

Rotteck,  K.  V.,  u.  Welcker,  C,  Das  Staatslexikon,  3.  Aufl.    Leipzig  1856  ff. 

Rottmann,  F.,  Das  bayerische  Strafrecht  in  seiner  gegenwärtigen  Gestaltung. 
Erlangen  1849. 

Rüge,  Ä.  Begriff  und  Problem  der  Persönlichkeit.  Kant -Studien  16. 
Berlin  1911.    S.  258  ff. 

Salchow,   Beiträge  zur  Kritik  des  Klcinschrodischen  Entwurfs.    Jena  1804. 

Salomon,  M.,  Kants  Originalität  in  der  Auffassung  der  Lehre  vom  Staats- 
vertrage.    Archiv  des  öffentlichen  Rechts   XXVIII.    1912.    S.  97  ff. 

—  Kants   Strafrecht  in   Beziehung  zu  seinem   Staatsrecht.     Z.  Str.  W. 
33,   S.  1  ff. 

—  Die  Idee  der  Strafe.    In :  Philosophische  Abhandlungen  für  Hermann 
Cohen.    Berlin  1912.    S.  223  ff. 

Sammlung  der  wichtigsten  königlichen  Reskripte  in  Beziehung  auf  das 
Strafgesetzbuch  für  das  Königreich  Bayern  von  1813  Bd.  I  (litho- 
graphiert), dazu  (gedrucktes)  Alphabetisches  Sachregister  über  alle 
Verordnungen  und  Reskripte  in  Strafsachen.  Reskriptensammlung 
über  das  Königlich  Bayerische  Strafgesetzbuch  Bd.  II.  1817 — 18. 
(Lithographiert.) 

Sammlung  der  Erläuterungen  und  Reskripte  über  das  Strafgesetzbuch 
für  das  Königreich  Bayern,  2.  Aufl.    Nördlingen  1825. 

Savigny,  Stimmen  für  und  wider  neue  Gesetzbücher.  Zeitschrift  für 
geschichtliche  Rechtswissenschaft  Bd.  III.    1817.    S.  1  ff. 

Schellhass,  v.,  Von  der  Wiederholung  der  Verbrechen  nach  erlittener  Strafe. 
Neues  Archiv  des  Kriminalrechts  Bd.  II.    1818.    S.  578  ff. 

Schiller,  Friedr.  v.,  Der  Verbrecher  aus  verlorener  Ehre.  Werke  in 
12  Bänden  (Reclam),  Bd.  X,  S.  44  ff. 

Schletter,  Die  Konstitutionen  Kurfürst  Augusts  v.  Sachsen.    Leipzig  1857. 

Schmid,  C.  C.  E-,    Empirische  Psychologie   I.Teil.    Jena  1791. 

—  Versuch  einer  Moralphilosophie,  3.  Äull.    Jena  1795. 

—  Feuerbachs  Merkwürdige   Kriminalrechtsfälle,     flllg.  Lit.-Ztg.    Jena 
und  Leipzig  1809.    Bd.  III,  Nr.  169. 

Schmidt,  Fr.  Äug.,  G.  Ä.  Kleinschrod.  Neuer  Nekrolog  der  Deutschen, 
2.  Jahrg.  1824,  2.  Heft.    Ilmenau  1826.    S.  999  ff. 

Schmidt,    Joh.   K.,     Über     die     Unzulänglichkeit     des     Kleinschrodischen 

Entwurfs.     Ulm  1803. 
Schmidt,  R.,    Die  Aufgaben  der  Strafrechtspflege.    Leipzig  1895. 


278 

Schoetcnsack,  Äug.,  Unbestimmte  Verurteilung.  Kritische  Beiträge  zur 
Straf rcchtsreform  VI.    Leipzig  1909. 

Schottlaender,  Die  geschichtliche  Entwicklung  des  Satzes  NuUa  poena 
sine  lege.    Strafrechtliche  Abhandlungen  132.    Breslau  1911. 

Schulz,  W.,  und  Welcker,  C,  Geheime  Inquisition,  Zensur  und  Kabinetts- 
justiz in  verderblichem  Bunde.  Schlußverhandlung  mit  vielen  Akten- 
stücken über  den  Prozeß  Weidig.    Karlsruhe  1845. 

Schulze,  G.  E.,  Anesidemus  oder  über  die  Fundamente  der  von  dem 
Herrn  Professor  Reinhold  in  Jena  gelieferten  Elementarphilosophie 
(anonym  erschienen).  1792  Neudruck  der  Kantgesellschaft. 
Berlin    1911. 

Secger,  H.  Die  Strafrechtsphilosophie  Kants  und  seiner  Nachfolger  im 
Verhältnis  zu  den  allgemeinen  Grundsätzen  der  kritischen  Philo- 
sophie.   Ehrengabe  für  Berner.    Tübingen  1892. 

Sello,    Die  Irrtümer  der  Strafjustiz.    Berlin  1911. 

Servin,   Über   die   peinliche   Gesetzgebung.     Aus   dem   Französischen  ... 

von   J.  E.  Grüner.     Mit   einer  Vorrede   von    Herrn   Hofrat   Feder. 

Nürnberg  1786. 
Scuffert,  ].  R.,   Einige  Bemerkungen  zur  Lehre  von  der  Zurechnung  des 

Strafrechts.     Blätter    für    Rechtsanwendung    zunächst    in    Bayern. 

Herausgegeben  von  Seuffert  und  Glück.    Bd.  III.    1838.    S.  1 — 9. 

Sonntag,    Die  Festungshaft.    Leipzig  und  Heidelberg  1872. 

Stamm,  G.,  Obermaier  und  seine  für  die  Gefängnisreform  grundlegende 
Anleitung  zur  vollkommenen  Besserung  der  Verbrecher  von  1835. 
Äschaffenburgs  Monatsschrift  XI,  S.  34  ff. 

Stammler,  R.,    Die  Lehre  vom  richtigen  Recht.    Berlin  1902. 

Stern,  W.,    Differentielle  Psychologie,  3.  Aufl.    Leipzig  1911. 

Sternberg,  Th.,  Das  Verbrechen  in  Kultur  und  Seelenleben  der  Mensch- 
heit.   Kobler,  Recht  Bd.  IX.    Berlin  1912. 

Stintzing,  Geschichte  der  deutschen  Rechtswissenschaft,  2.  Äbt.  München- 
Leipzig  1884.    Die  Fortsetzung  dieses  Werkes  siehe  unter  Landsberg. 

Stölzel,  R.,    Carl  Gottlieb  Suarez.    Berlin  1885. 

Strafgesetzbuch  für  das  Königreich  Bayern.    München  1813. 

S  tu  bei,  Chr.  C,  System  des  allgemeinen  peinlichen  Rechts  mit  einer  An- 
wendung auf  die  in  Kursachsen  geltenden  Gesetze,  besonders  zum 
Gebrauch  für  akademische  Vorlesungen  Bd.  I  und  II.    Leipzig  1795. 

—  Grundsätze  zu  der  Vorlesung  über  den  Allgemeinen  Teil  des  deutschen 
und  kursächsischen  Kriminalrechts  nebst  einer  Einleitung  und  Über- 
sicht der  ganzen  Kriminalrechtswissenschaft.    Wittenberg  (1803). 

—  Über  den  Tatbestand  der  Verbrechen,  die  Urheber  derselben  und 
die  zu  einem  verdammenden  Endurteil  erforderliche  Gewißheit  des 
ersteren,  besonders  in  Rücksicht  der  Tötung  nach  gemeinen  in 
Deutschland  geltenden  und  kursächsischen  Rechten.   Wittenberg  1805. 

—  Das  Kriminalverfahren  in  den  deutschen  Gerichten  mit  besonderer 
Rücksicht  auf  das  Königreich  Sachsen,  wissenschaftlich  und  zum 
praktischen  Gebrauch  dargestellt.    Bd.  I— V.    Leipzig  1811. 


279 

Taiingcr,  W.  Q.,  Über  die  Idee  einer  Kriminalgcsctzgebung  in  Beziehung 
auf  die  Wissenschaft  sowohl  als  das  praktische  Leben.   Tübingen  1811. 

Teichmann,  G.  Ä.  Kleinschrod.  Allgemeine  deutsche  Biographie  Bd.  16, 
S.  109  ff. 

Tesar,  O.,  Die  symptomatische  Bedeutung  des  verbrecherischen  Verhaltens. 
V.  Liszts  Seminarabhandlungen,  Neue  Folge  V,  3.    Berlin  1907. 

Tetens,    J.   N.,     Philosophische   Versuche     über     die    menschliche    Natur. 

Leipzig  1777.    Neudruck  der  Kantgesellschaft.    Berlin  1913. 
Thibaut,  E.  J.,    Beiträge  zur  Kritik   der  Feuerbachschen  Theorie   über  die 

Grundbegriffe  des  peinlichen  Rechts.    Hamburg  1802. 
Thomasius,   Äu  haeresis  sit  crimen?  (1697). 

—  De  crimine  magiae  (1701). 

—  Fundamenta  iuris  naturae  et  gentium  ...  In  usum  auditorii  Tho- 
masiani.    Halle  und  Leipzig  1713. 

Thyr^n,  Job.  C.  W.,  Prinzipien  einer  Strafgesetzreform  I.   Berlin-Lund  1910. 
Tittmann,  C.  Ä.,    Versuch    über    die    wissenschaftliche    Behandlung    des 
peinlichen  Rechts.     Leipzig  1798. 

—  Über  den  Unterricht  des  Volkes  in  Strafgesetzen  auf  Schulen. 
Leipzig  1799. 

—  Grundlinien  des  Strafrechts  und  der  deutschen  Strafgesetzkunde. 
Leipzig  1800. 

—  Über  die  Grenzen  des  Philosophierens  in  einem  System  der  Straf- 
rechtswissenschaft und  Strafgesetzkunde.    Leipzig  1802. 

—  Handbuch  der  Strafrechtswissenschaft  und  der  deutschen  Strafgesetz- 
kunde I.  Handbuch  des  gemeinen  deutschen  peinlichen  Rechts. 
I.Teil,  Halle  1806;  2.  Teil,  1807;  3.  Teil,  1809;  2.  Aufl.,  Halle  1822. 

Unger,  Rudolf,  Hamann  und  die  Aufklärung.  Studien  zur  Vorgeschichte 
des  romantischen  Geistes  im  18.  Jahrhundert.  I.  Bd.,  Text;  IL  Bd., 
Noten.    Jena  1911. 

Unterholzncr,  C.  Ä.  D.,  Juristische  Abhandlungen.  Mit  einer  Vorrede 
von  Feuerbach.    München  1810. 

Vergleichende  Kritik  des  Entwurfs  des  Strafgesetzbuchs  für  Bayern  mit 
dem  Bayerischen  Strafgesetzbuch  von  1813,  besonders  zum  Gebrauch 
der  Landstände.    Nürnberg  1823. 

Verhandlungen  der  ersten  Versammlung  für  Gefängnisreform  im 
September  1846   in    Frankfurt  a.  M.     Frankfurt  a.  M.    1847. 

Vorlaender,  K.,  Kants  Stellung  zur  französischen  Revolution.  In:  Philoso- 
phische Abhandlungen  für  Hermann  Cohen.    Berlin   1912.    S.  247  ff. 

Wach,  Äd.,    Die  Reform  der  Freiheitsstrafe.    Leipzig  1890. 

Wächter,    Über  Zuchthäuser  und  Zuchthausstrafen.    Stuttgart  1786. 

Wächter,  C.  G.,  Lehrbuch  des  Römisch -Teutschen  Straf  rechts  1.  Teil. 
Stuttgart  1825. 

—  Beiträge  zur  deutschen  Geschichte,  insbesondere  zur  Geschichte 
des  deutschen  Strafrechts.    Tübingen  1845. 

—  Die  deutsche  Strafrechtswissenschaft  des  19.  Jahrhunderts  und  ihre 
Aufgaben.  Schletters  Jahrbücher  der  deutschen  Rechtswissenschaft 
und  Gesetzgebung  I.    Erlangen  1855.    S.  105  ff. 


280 

Wächter,  C.  G.,  Deutsches  Strafrecht.  I.  Bd.,  Vorlesungen;  II.  Bd.,  Beilagen. 
Herausgegeben  von  O.Wächter.    Leipzig  1881. 

Wagnitz,  Historische  Nachrichten  und  Bemerkungen  über  die  merk- 
würdigsten Zuchthäuser  in  Deutschland.    Halle  1791—1794. 

Walch,  Joh.  G.,  Philosophisches  Lexikon.  Fortgesetzt  und  vermehrt  von 
J.  Chr.  Hennings.    4.  Aufl.    Leipzig  1775. 

Wassermann,  Jac,  Caspar  Hauser  oder  die  Trägheit  des  Herzens.   Roman. 

—  Christian  Wahnschaffe.    Roman. 

—  Die  Gefangenen  auf  der  Plassenburg.    Weltliteratur.    1921,  Nr.  11. 
Welsch,    Revision  der  Gesetzgebung  und  Rechtspflege  in  Bayern,  1.  Heft. 

München  1819. 

Wen  dt,  V.,  Grundriß  zu  vergleichender  Darstellung  des  Kriminalrechts. 
Nürnberg  1825. 

Wcning,  Über  die  Vermutung  des  bösen  Vorsatzes  nach  dem  römischen 
Recht.    Neues  Archiv  des  Kriminalrechts  II.    S.  194  ff. 

Werner,  Jak.  Tob.,  Metakritik  über  Feuerbachs  Kritik  des  Kleinschrodischcn 
Entwurfs.    Frankfurt  und  Leipzig  1808. 

Weygandt,  W.,  Die  Entwicklung  der  gerichtlichen  Psychiatrie  und  Psycho- 
logie.   Äschaffenburgs  Monatsschrift  VIII,  S.  209  ff. 

Windelband,  W.,  Geschichte  der  neueren  Philosophie  in  ihrem  Zusammen- 
hang mit  der  allgemeinen  Kultur  und  den  Einzelwissenschaften  Bd.  I 
und  II,  5.  Aufl.    Leipzig  1911. 

Wind  wart  zu  Ämberg,  Blick  auf  den  gegenwärtigen  Zustand  der  Gesetz- 
gebung Bayerns.  Zu  Rheins  Zeitschrift  für  Theorie  und  Pretjds 
des  bayerischen  Zivil-,  Kriminal-  und  öffentlichen  Rechts  Bd.  I. 
München  1835.    S.  1  ff. 

Wolff,  Chr.,  lus  naturale  methodo  scientifica  pertractatum  Pars  VIII. 
Halle -Magdeburg  1748. 

Wundt,W.,    Grundriß  der  Psychologie,  9.  Äufl.    1909. 

Zachariae,  Beantwortung  der  Preisfrage:  Inwiefern  läßt  sich  eine 
außerordentliche  Strafe  .  .  .  rechtfertigen?  Archiv  des  Kriminal- 
rechts III,  4,  S.  1  ff. 

Zahn,  K.  V.,  Karl  Ferdinand  Hommel  als  Straf rechtsphilosoph  und  Straf- 
rechtslehrer. Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  strafrechtlichen 
Aufklärung  in   Deutschland.     Leipzig  1911. 


281 


Zeitschriften. 

Allgemeine  Literatur-Zeitung.  Jena  und  Leipzig  1785 — 1803;  Halle 
und  Leipzig  1804 — 1849.  —  Jenaische  allgemeine  Literatur-Zeitung. 
Jena  und  Leipzig  1804—1841. 

Ännalen  der  deutschen  und  ausländischen  Kriminalrechtspflege. 
Herausgegeben  v.  Ed.  Hitzig.  Bd.  1 ,  Heft  1  -34.  Berlin  1828- 1837.  — 
Dasselbe:  Fortgesetzt  von  Demme.  Herausgegeben  von  Schlettcr. 
Bd.  1—73.     Ältenburg  und  Leipzig  1837—1855. 

Archiv  des  Kriminalrechts.  Herausgegeben  von  E.  F.  Klein,  G.  A. 
Kleinschrod,  C.  G.  Konopak.  Bd.  1—7.  Halle  1799  —  1807.  — 
Neues  Archiv  des  Kriminalrechts.  Herausgegeben  von  Kleinschrod, 
Konopak,  Mittermaier.  Bd.  1  —  14.  Halle  1817—1834.  —  Archiv 
des  Kriminalrechts.  Neue  Folge.  Herausgegeben  von  Abegg, 
Birnbaum,  Heffter,  Mittermaier,  Wächter.     Jahrg.  1834—1857. 

Archiv  für  Kriminologie.  (Kriminalanthropologie  und  Kriminalistik.) 
Begründet  von  H.  Gross.  Herausgegeben  von  R.  Heindl  (Gross' 
Archiv).     Bd.  1—74.     Leipzig  1899  —  1921. 

Archiv  des  öffentlichen  Rechts.  Begründet  von  Laband  und  Stocrk. 
Herausgegeben  von  Piloty,  Mendelssohn  Bartholdy,  Triepel,  Koell- 
reutter.     Bd.  1  —  41.     Freiburg  und  Tübingen  1886  — 1921. 

Archiv  für  Strafrecht  und  Strafprozeß.  Begründet  von  Goltdammer. 
Fortgesetzt  von  Kohler.  Herausgegeben  von  Klee.  Bd.  1  —  69. 
Berlin  1833  —  1920. 

Archiv  für  zivilistische  Praxis.  Begründet  von  Genslcr,  Mittermaier, 
Schweitzer.  Herausgegeben  von  Blume,  Heck,  Rümelin,  Schmidt. 
Bd.  1  —  118.     Heidelberg  und  Tübingen  1818  —  1920. 

Beiträge  zur  Gesetzgebung  und  praktischen  Jurisprudenz,  mit 
besonderer  Rücksicht  auf  Bayern.  Herausgegeben  von  Zu  Rhein. 
Bd.  1—3.     München  1827-1831. 

Bibliothek  für  die  peinliche  Rechtswissenschaft  und  Gesetz- 
kunde. Herausgegeben  von  D.  Karl  Grolman.  I.Teil,  Stück  1 — 3. 
Herborn  und  Hadamar  1797  —  1799.  —  Dasselbe:  Herausgegeben 
von  L.  Harscher  v.  Almendingen,  K.  Grolman,  P.  Joh.  A.  v.  Feuerbach. 
2.Bd.  Göttingen  1800.  —  Dasselbe:  2.  Bd.,  Stück  2— 3.  Gießen  1804. 
3.  Bd.,  Stück  1.  Gießen  1804.  (Auch  unter  dem  Titel:  Kritik  des 
Kleinschrodischen  Entwurfs  zu  einem  peinlichen  Gesetzbuch  für  die 
kurpfalzbayerischen  Staaten.  Von  P.  Joh.  A.  v.  Feuerbach.  3  Teile. 
Gießen  1804.)  —  Bibliothek  des  peinlichen  Rechts,  der  peinlichen 
Gesetzgebung  und  Gesetzkunde.  Von  Almendingen,  Feuerbach, 
Grolman.     1.  Teil.     Gießen  1804. 


282 

Blätter  für  Polizei  und  Kultur,  Schleswig -Holsteinische.  Heraus- 
gegeben von  Niemann.  Bd.  1  —  4.  Ältona-Kiel  1799  —  1800.  — 
Dasselbe:  Jahrg.  1801,  Bd.  1  und  2  und  Suppl.-Bd.  1,  2;  Jahrg.  1802, 
Bd.  1  und  2;   Jahrg.  1803,  Bd.  1. 

Blätter  für  Rechtsanwendung,  zunächst  in  Bayern.  Herausgegeben 
von  J.  Ä.  Seuffert  und  Chr.  C.  Glück.  Bd.  1  —  57.  Erlangen 
1836  —  1892. 

Gerichtssaal,  Zeitschrift  für  Zivil-  und  Militärstraf  recht  und  Straf- 
prozeßrecht sowie  die  ergänzenden  Disziplinen.  Begründet  von 
Jagemann.  Herausgegeben  von  Oetker  und  Finger.  Bd.  1  —  88. 
Stuttgart  1849  —  1921. 

Jahrbücher  der  deutschen  Rechtswissenschaft  u.  Gesetzgebung. 
Herausgegeben  von  H.  Th.  Schletter.     Bd.  1  ff.     Erlangen  1855  ff. 

Jahrbücher  der  gesamten  deutschen  juristischen  Literatur. 
Herausgegeben  von  F.  Ch.  K.  Schunk.  Bd.  1 — 30.  Erlangen 
und    Neustadt    a.  d.  O.    1826  —  1836. 

Jahrbuch  der  Gesetzgebung  und  Rechtspflege  im  Königreich 
Bayern.     Von    Gönner    und    Schmidtlein.      Bd.    1 — 3.      Erlangen 

1818  —  1820. 

Kant-Studien,  Philosophische  Zeitschrift.  Herausgegeben  von  Vaihinger 
und  anderen.  Bd.  1  —  26.  Hamburg,  Leipzig  und  Berlin  1897 — 1921. 
Dazu  Ergänzungsheftc  1—54.     Berlin  1906  — 1921. 

Kritische  Zeitschrift  für  Rechtswissenschaft.  Redigiert  in  Tübingen 
von  Mohl,  Scheurlen,  Schrader,  Wächter.  Bd.  1 — 6.  Tübingen  und 
Stuttgart  1826  —  1829. 

Leipziger  Literatur-Zeitung.     Jahrg.  1802  ff. 

Magazin  für  die  Philosophie  und  Geschichte  des  Rechts  und 
der  Gesetzgebung.  Angelegt  und  herausgegeben  von  D.  Karl 
Grolman.  Bd.  1  —  4.  Gießen  und  Darmstadt  1800  —  1844.  (Bd.  3 
und  4:   Magazin  für  Rechtswissenschaft  und  Gesetzgebung.) 

Magazin  vor  die  Geschichte,  Staatsklugheit  und  Staatenkunde. 
(Kielsches.)  Herausgegeben  von  V.  Ä.  Heinze.  Bd.  1  und  2. 
Kiel  und  Leipzig  1783  —  1784. 

Monatsschrift  für  Kriminalpsychologie  und  Strafrechtsreform. 
Herausgegeben  von  Gustav  Äschaffenburg  (Äschaffenburgs  Monats- 
schrift).    Jahrg.  1  —  12.     Heidelberg  1905-1922. 

Neuer  Nekrolog  der  Deutschen.  Herausgegeben  von  Fr.  Ä.  Schmidt. 
Jahrg.  1  ff.     Ilmenau  1824  ff. 

Philosophisches  Journal  einer  Gesellschaft  Teutscher  Gelehrter. 
Herausgegeben  von  F.  J.  Niethammer.  Bd.  1  —  6.  Neustrelitz 
1795  —  1798. 

Philosophische  Monatshefte.  Begründet  von  Bergmann.  Fortgesetzt 
von  Natorp.     Bd.  1—27.     Berlin  und  Heidelberg  1868  —  1891. 


283 

Teutscher  Merkur.  Bd.  1  ff.  Weimar  1773  — 1779.  —  Neuer  Teutscher 
Merkur.  Weimar  1790  —  1810.  Begründet  von  Ch.  M.  Wieland. 
Seit  1800  herausgegeben  von  Böttiger. 

Vierteljahrsschrift  für  wissenschaftliche  Philosophie.  Heraus- 
gegeben von  Ävenarius.     Jahrg.  1  —  6.     Leipzig  1877 — 1892. 

Zeitgenossen.  Biographien  und  Charakteristiken.  Bd.  1  —  6.  Leipzig  und 
Ältenburg  1816  —  1821.  Neue  Reihe:  Bd.  1  —  6.  Leipzig  1821—1827. 
3.  Reihe :  Ein  biographisches  Journal  für  die  Geschichte  unserer  Zeit. 
Bd.  1-7.     Leipzig  1829  —  1841  (Brockhaus). 

Zeitschrift  für  die  gesamte  Strafrechtswissenschaft.  Begründet 
von  Liszt  und  Dochow.  Herausgegeben  von  Lilienthal,  Hippel, 
Kohlrausch,  Delaquis,  Feisenberger  (Z.  Str.  W.).  Bd.  1  —  42. 
Berlin  und  Leipzig  1881  —  1921. 

Zeitschrift  für  geschichtliche  Rechtswissenschaft.  Herausgegeben 
von  Savigny,   Eichhorn,  Göschen.     Bd.  1 — 15.     Berlin  1815  — 1850. 

Zeitschrift  für  die  Kriminalrechtspflege  in  den  Preußischen 
Staaten  mit  Ausschluß  der  Rheinprovinz.  Herausgegeben 
von  Ed.  Hitzig.  Bd.  1—24  (Heft  1  —  48).  Berlin  1825  —  1833,  — 
Repertorium  1  —  4,  1830  —  1833.  Suppl.-Heft  zu  Bd.  24,  1833. 
Suppl.-Bd.  1,    1836. 

Zeitschrift  für  Staatsarzneikunde.  Begründet  von  R.  Henke. 
Fortgesetzt  von  Siebenhaar  und  anderen.  Jahrg.  1 — 44  (Bd.  1  —  88 
und  Suppl.-Bd.  1  —  47).     Erlangen  1821—1864. 

Zeitschrift  für  Theorie  und  Praxis  des  bayerischen  Zivil-, 
Kriminal-  und  öffentlichen  Rechts.  Herausgegeben  von 
Zu  Rhein.     Bd.  1,   1—3,  und  Bd.  2,   1-2.     München  1834—1836. 


W,  GENTE  •  WISSEHSCBAFTllCHER  VERLAG  •  HAMBURG 

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Herausgeber:  Prof.  Dr.  M.  LIEPMÄNN 


Heft  i:  E.  GUCKENHEIMER,  Der  Begriff  der  ehrlosen  Gesinnung 
im  Strafrecht.  Ein  Beitrag  zur  strafrechtlichen  Beurteilung 
politischer  Verbrecher.     Hamburg  1921. 

„Eine  neue  strafrechtliche  Schriftenreihe!  Gewiß  ein  Wagnis,  eben  jetzt  zu 
beginnen  in  einer  Zeit,  in  der  so  vielen  anderen  der  Mut  zur  Fortsetzung  gesunken 
ist.  Doch  um  so  dankbarer  muß  man  dem  Herausgeber  und  denen,  die  sein  Werk 
ermöglichen,  sein."     Prof.  E  x  n  e  r,  Zeitschr.  {.  d.  ges.  Strafrechtswissenschaft  XLIII,  401 . 

„Die  von  Guckenheimer  behandelte  Frage  ist  insbesondere  de  lege  ferenda  von 
großer  Bedeutung.  Mag  man  den  Ausführungen  des  Verlassers  im  einzelnen  zu- 
stimmen oder  nicht,  jedenfalls  ist  es  höchst  dankenswert,  daß  er  das  schwierige 
Problem  der  ehrlosen  Gesinnung  einer  eingehenden  historischen  und  dogmatischen 
Untersuchung  unterzieht.  Wenn  alle  Hefte  des  neuen  Sammelwerks  diesem  ersten 
entsprechen,  so  bedarf  es  nicht  der  im  Vorwort  enthaltenen  Rechtfertigung  für  den 
Versuch  der  Begründung  dieses  Sammelwerks."  Oberreichsanwalt  Dr.  Ebermayer, 
Leipziger  Zeitschrift  für  deutsches  Recht,  Heft  17/18  vom   1.  9.  1922. 

Heft  2:  M.  LIEPMÄNN,  Die  Reform  des  deutschen  Strafrechts. 
Kritische  Bemerkungen  zu  dem  ,, Strafgesetzentwurf'*. 
Hamburg  1921. 

„Der  Verfasser  tritt  den  bisherigen  überwiegend  günstigen  Beurteilungen  des 
Regierungsentwurfs  zu  einem  deutschen  Strafgesetzbuch  von  1919  und  der  Vorstellung, 
als  liege  in  ihm  eine  reife  Reformarbeit  großen  Stils  vor,  scharf  entgegen...  flls 
Gesetz  wäre  er  bereits  im  Moment  seiner  Geltungskraft  veraltet.  Denn  er  ist  w^eit 
davon  entfernt,  den  kriminalpolitischen  und  kulturellen  Forderungen  der  Gegenwart 
zu  genügen.  Dies  nachzuweisen,  ist  der  Zweck  der  höchst  lesenswerten  und  tem- 
peramentvollen warmherzigen,  von  tiefem  Verantwortungsgefühl  erfüllten  Schrift." 
Wirkt.  Geh.  Rat  Prof.  D.  Adolf  Wach,  Juristische  Wochenschrift  1922,  Heft  13,  S.  985. 

„Was  das  Werk  des  Verfassers  so  wertvoll  macht,  ist  der  Umstand,  daß  er  es 
verstanden  hat,  das  Ergebnis  der  modernen  Forschung  in  kurzer  und  wirksamer  Weise 
zusammenzufassen  und  den  vielfach  veralteten  Bestimmungen  des  Entwurfs  die  neuen 
Gedanken  in  einleuchtender  und  scharf  geschliffener  Form  gegenüberzustellen.  Dem 
Kenner  gibt  diese  Kritik  eine  schnelle  Übersicht  über  das,  was  die  moderne  Straf- 
rechtsschule und  nicht  zum  wenigsten  der  Verfasser  selbst  in  früheren  Schriften 
geleistet  hat;  den  Nichtfachmann  führt  sie  in  leicht  faßlicher  Weise  in  die  Probleme 
ein,  die  unser  Strafrecht  bewegen...  Das  vorliegende  Werk  wird,  so  hoffen  wir,  ein  gut 
Teil  dazu  beitragen,  daß  das  Gesetz  in  der  Behandlung  des  Neuen  eine  glücklichere 
Hand  zeigt!"     Oberlandesgerichtsrat  Dr.  Boden,  Hamb.  Fremdenblatt  v.  25.2.  1922. 

Als  weitere   Hefte   werden   erscheinen: 


WALTER  HERRMANN,  Der  Erziehungsgedanke  im  Hambur- 
gischen Jugendgefängnis   Hahnöfersand. 

HENRY  PHILIPP,  Der  Kampf  gegen  die  Einzelhaft  im  neun- 
zehnten Jahrhundert. 

HILDEGARD  v.  HEIMANN,  Fürsorgeerziehung  an  verwahrlosten 
Mädchen.  Unter  Berücksichtigung  der  Erfahrungen  in 
Hamburg  -  Ohlsdorf. 

HANS  GROSSMANN,  Entwicklung  und  Kritik  der  Lehre  vom 
Dolus  eventualis. 

MAX  MÖLLER,  Die  Gefangenenarbeit  in  Hamburg- Fuhlsbüttel 
während  der  letzten  30  Jahre. 

HANS  LEVIEN,    Die  Ehrenstrafen.