_ SOZIALARBEIT
INFORMATIONSDIENST
NEUORGANISATION SOZIALER DIENSTE
NEUE
STRATEGIE SOZIALER BEFRIEDUNG ?
Ausserdem: Sozialpädagogisches Zusatzstudium Hamburg e
Bewährungshilfe e Zeitverträge e Termine e Hinweise
Offenbach im Dezember 1980
Doppelnummer — Preis DM 8,--
Dieser Informationsdienst Sozialarbeit wird im Sozialistischen Büro von Gruppen,
die im Sozialisationsbereich arbeiten, herausgegeben. Der Info dient der Kommu-
nikation und Kooperation von Genossen, die mit sozialistischem Anspruch im
Feld der sozialen Arbeit tätig sind.
Folgende Hefte sind noch lieferbar:
Heft 5: Organisierung im Sozialbereich e 7: Jugendhilfetag und Sozialistische
Aktion 1974 e 8: Reformismus in der Sozialarbeit e lo: Sozialarbeit im Knast e
12: Stadtteilbezogene Sozialarbeit e 13: Sozialarbeit und Jugendarbeitslosigkeit e
14: Alternative Psychiatrie — Sonderpreis: jedes Heft DM 2,--
Heft 16: Gewerkschaftsarbeit in der ÖTV (88 Seiten, DM 5 ,--)
Heft 17: Kindergartenarbeit (96 Seiten, DM 5,.-)
Heft 18: Jugendhilferecht — Jugendhilfetag (96 Seiten, DM 6,--)
Heft 19: Heimerziehung (168 Seiten, DM 8,--)
Heft 20: Sozialarbeiterausbildung (104 Seiten, DM 7,--)
Heft 21: Familienfürsorge (80 Seiten, DM 5,--)
Heft 22: Jugendhilfetag 1978 in Köln/Geschlo
Heft 23: Frauen und Sozialarbeit (144 Seiten, DM 8,--)
Heft 24: Psycho-Methoden in der Sozialarbeit (96 Seiten, DM 6,--)
Heft 25: Materialien zur Sozialhilfe-Aktion (96 Seiten, DM 6,--)
Heft 26: Kritik zur psychosozialen Versorgung (80 Seiten, DM 6,--)
ssene Heimerziehung(DM 7 ,--)
Herausgeber: Sozialistisches Büro
Postfach 591, Ludwigstr. 33, 605 Offenbach 4
Verleger: Verlag 2000 GmbH, Offenbach
Erste Auflage:
Dezember 1980, 3000 Exemplare
Alle Rechte bei dem Herausgeber
Vertrieb: Verlag 2000 GmbH, 605 Offenbach 4
Postfach 591, 605 Offenbach 4
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Abonnement 1980 (Heft 25 - 27) : DM 15,-- + 4,-- Versand
Verantwortlich: Redaktion Info Sozialarbeit
Presserechtlich
verantwortlich: Günter Pabst, Offenbach
Druck: hbo-druck, Einhausen
ISSN: ol7o - 2688
ISBN: 3-88534-018-6
Karikaturen: Das much-buch - herausgegeben vom AKS Wien
INFO SOZIALARBEIT, HEFT 27
NEUORGANISATION SOZIALER DIENSTE
NEUE
STRATEGIE
SOZIALER BEFRIEDUNG?
INHALT
Vorbemerkung zu dieser Ausgabe
Berichte von der Arbeitstagung “Neustrukturierung
Sozialer Dienste” in Hamburg
Dokumentation der Podiumsdiskussion
@ Thesen des AKS Hamburg zur Neuorganisation
@ Podiumsdiskussion mit Beiträgen von Christian Marzahn
(Uni Bremen), Siegfried Müller (Redaktion Neue Praxis),
Verena Fesel (Fachhochschule Hamburg), Jens P. Burmester
(GEW Hamburg), Lisel Werninger (Sozialarbeiterin a.D. Ham-
burg) und Auszügen aus der Diskussion
@ Dokumente
“Sozialarbeiter brauchen zwei Arbeitgeber” — Ein Interview
mit Lisel Werninger über die Tradition fortschrittlicher Sozial-
arbeit und die Neuorganisation Sozialer Dienste in Hamburg
Neuorganisation Sozialer Dienste = Neue Strategie Sozialer
Befriedung ?
Die Verstaatlichung der Sozialarbeit in Bürokratie
Intensivierung der Arbeit und Effektivierung der Kontrolle
Vier Modelle der Neuorganisation
1. Duisburg/Dortmund: Neue Formen der Kooperation
2. Trier: Sozialarbeit als Dienstleistung
.3. Bremen: Das Zielgruppenkonzept
4. Berlin-Neukölln: Ein Versuch, Handlungskompetenz
und Status zu entkoppeln
4. Schlußfolgerungen
4.1. Neuorganisation als Rationalisierungsstrategie
4.2. Neuorganisation als Ansatz fortschrittlicher Sozialarbeit
Josef Bura, Hamburg
Sozialarbeit für wen? — Der Konflikt um das Sozialpädagogische
Zusatzstudium
Informationen aus dem Gewerkschaftsbereich
Berichte — Hinweise — Termine
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VORBEMERKUNG ZU DIESER AUSGABE
Nachdem in Hamburg jahrelang über eine Neuorganisation Sozialer Dien-
ste (NOSD) geredet und spekuliert worden war, wurde 1979 absehbar,
daß etwas passieren sollte.
Da die wesentlichen Informationen von der Behördenleitung monopoli-
siert wurden, versuchten wir in einer Untergruppe des AKS Hamburg,
uns Klarheit über die geplanten Veränderungen zu verschaffen. Wir
kamen in dieser Gruppe nach mehreren Diskussionen zu dem Schluß,
daß diese Art der NOSD weder im Interesse der Fachbasis noch in dem
der betroffenen Bevölkerung sein konnte. Wir wollten deshalb für
die Fachbasis so etwas wie ein Forum schaffen, auf dem noch einmal
die Konsequenzen der NOSD sowie deren Planung diskutiert
werden sollten. Auf dieser Veranstaltung sollte neben einer Darstel-
lung der bisherigen Organisationsstruktur deren Konflikte und Wider-
sprüche analysiert werden. Desweiteren sollten anhand dieser Erfahr-
rungen die faktischen Auswirkungen der NOSD einbezogen werden. Ziel
dieser Veranstaltung sollte es sein, zu einem gemeinsamen Ergebnis
zu kommen, wie man die Neuorganisation einschätzte und welche Forde-
rungen an eine wirkliche NOSD gestellt werden müßten. Dieses Ergeb-
nis sollte dann mit einem entsprechenden Forderungskatalog an die
jeweils zuständigen politischen Vertreter und an die entsprechenden
Verwaltungsebenen gesandt werden. Auch erhofften wir uns von einer
solchen Veranstaltung eine längerfristige Zusammenarbeit von inter-
essierten und betroffenen Kollegen, um Änderungsvorschläge zu konzi-
pieren und durchzusetzen. Damit wollten wir der Resignation und Rat-
losigkeit gegenüber grundsätzlichen Fragen der Organisation der so-
zialen Dienste an der Fachbasis entgegentreten.
Die Veranstaltung war über zwei Tage geplant. Am Abend des ersten
Tages fand eine Podiumsdiskussion statt, über die wir in Teil 2 be-
richten, am darauf folgenden Tag ein Seminar, das wir in Teil 1 dar-
stellen.
Zu der Podiumsdiskussion erschienen dann ca. 120 Kolleginnen und
Kollegen. Diese Zahl muß als Erfolg gewertet werden, wenn man be-
denkt, daß zu gleicher Zeit die zweite öffentliche Anhörung der Bür-
gerschaft zur NOSD stattfand, an der ein Teil der engagierten Kolle-
gen Interesse zeigte, andererseits ein Großteil der Kolleginnen und
Kollegen schon so resigniert hatte, daß sie kaum mehr zur Teilnahme
an derartigen Veranstaltungen motivierbar schienen. Das Seminar am
zweiten Tag dagegen fand nur bei wenigen Resonanz und bewirkte eher
Ernüchterung als die erhoffte Wirkung. Die Ergebnisse dieser zweitä-
gigen Veranstaltung wurden von uns schriftlich zusammengefaßt und an
interessierte Kolleginnen und Kollegen, die sich in eine bereitgeleg-
te Verteilerliste eingetragen hatten, zusammen mit einem Terminvor-
schlag für die Weiterarbeit verschickt. Auch zu diesem Termin kam
kaum einer, so daß wir uns entschieden, auf dieser Ebene nicht wei-
terzumachen.
Gemessen an dem Ziel, betroffene Kolleginnen und Kollegen zu einer
längerfristigen Arbeit an inhaltlichen Gegenpositionen zu mobilisie-
ren, war diese Veranstaltung ein Mißerfolg. Dies mag daran gelegen
haben, daß die Veranstaltung zu einem Zeitpunkt geplant wurde, an
dem wesentliche Entscheidungen über die Neuorganisation schon gefal-
len waren. Auch war es deutlich, daß auf der Leitungsebene kein In-
teresse bestand, die Fachbasis an der Entscheidungsfindung zu betei-
ligen. So resignierten viele, da wieder einmal über ihre Köpfe hin-
weg entschieden worden war und schlechte Erinnerungen an frühere
"Reformen" wachgerufen wurden. Tenor: "Es ist eh alles gelaufen."
Wie wir als AKS-Untergruppe nach der am 1.3.1980 vollzogenen Verwal-
tungsreform weitermachen können, ist noch offen. So überlegen wir,
wie wir mögliche Modellvorstellungen in den Regionalen Arbeitsgrup-
pen unterstützen können - z.B. durch Weiterbildungskonzepte - oder
wie wir auf kommunalpolitischer Ebene "mitmischen können - z.B.
bei der Jugendhilfeplanung.
Auch wenn wir wichtige Ziele unserer Arbeit nicht erreicht haben, so
halten wir es für wichtig, die über die spezielle Hamburger Situa-
tion hinausgehenden Beiträge zu veröffentlichen.
So dokumentieren wir in Teil 1 geplante oder vollzogene Organisa-
tionsänderungen in Berlin, Bremen, Frankfurt und Hamburg. Es berich-
ten Kolleginnen und Kollegen aus diesen Städten.
In Teil 2 geben wir die Podiumsdiskussion wieder, die sich neben
Hamburger Problemen in erster Linie mit der generellen Problematik
der NOSD beschäftigt.
Mit einer der Podiumsteilnehmerinnen, Lisel Werninger, haben wir
noch ein Interview geführt (Teil 3) Sie verkörpert für uns eine
fortschrittliche, demokratische Sozialarbeitertradition, die nicht
erst heute in der Minderheit ist. Von ihr wollten wir wissen, wie
sich die Sozialarbeit in Hamburg nach dem Krieg entwickelt hat -
speziell unter dem Aspekt der "Neuorganisation".
In Teil 4 versuchen wir, an Hand weiterer Beispiele die NOSD in den
allgemein-politischen Zusammenhang zu stellen und mögliche Konse-
quenzen daraus zu ziehen.
%
BERICHTE VON DER ARBEITSTAGUNG
Zur Arbeitstagung hatten wir Sozialarbeiter(innen) aus Berlin, Bre-
men und Frankfurt eingeladen, deren Beiträge wir im folgenden zu-
sammen mit einem Beitrag von uns über Hamburg dokumentieren. Bei
dem Bremer und Frankfurter Beitrag handelt es sich um überarbeitete
Wortbeiträge, die auf Tonband aufgenommen wurden.
BERLIN
Einsparungen in den öffentlichen Haushalten, die wegen geringerer
Steuereinnahmen infolge der kapitalistischen Krisenerscheinungen
notwendig werden, treffen vorrangig den Sozialbereich, da Sparmaß-
nahmen in den sozialen Betreuungsverwaltungen noch verhältnismäßig
leicht durchgesetzt werden können: "Klienten haben keine Lobby'.
Neben der Durchsetzung direkter Sparmaßnahmen mittels materieller
Leistungskürzungen gewinnt in jüngerer Zeit zunehmend auch der Be-
reich der indirekten Einsparungen, z.B. durch Verringerung der Per-
sonalausstattung, zunehmend an Gewicht. Diese Kürzungen stehen im
Gegensatz zu den Forderungen von Sozialarbeitern nach mehr Personal,
weil ihrer Erfahrung nach nur so der gestiegene Arbeitsanfall be-
wältigt werden kann. Die Anstellungsträger versuchen, durch organisa-
torische Änderungen (das sind in der Regel Rationalisierungen) die-
sen Forderungen zu begegnen und darüber hinaus die Mitarbeiter zu
intensiverem Arbeitseinsatz zu veranlassen.
In Berlin sind Bestrebungen im Gange, die Gesamtzahl von Planstellen
für Sozialarbeiter im Öffentlichen Dienst auf dem derzeitigen Stand
festzuschreiben und für die Zukunft nur noch Umschichtungen inner-
halb dieses Gesamtstellenrahmens zuzulassen. Das würde zur Folge ha-
ben, daß die Verbesserung der Personalsituation in einem sozialen
Tätigkeitsfeld dann durch eine Verschlechterung in einem anderen Be-
treuungsbereich ausgeglichen werden muß und für neue Aufgaben der
Sozialarbeit überhaupt kein zusätzliches Personal mehr zur Verfü-
gung steht.
Auf diesem Hintergrund müssen auch die Berliner Bemühungen um eine
Neustrukturierung der Sozialen Dienste gesehen werden. Eine Bewer-
tung der diesem Plan zugrunde liegenden Prämissen wird allerdings
zu berücksichtigen haben, daß mit einer beabsichtigten Veränderung
von eingefahrenen und gewachsenen (Verwaltungs-)Strukturen mögli-
cherweise neben den zuvor geschilderten Intentionen auch Rahmenbe-
dingungen für innovative Verbesserungen geschaffen werden, die der
Arbeit mit Klienten auch tatsächlich zugute kommen können.
Endgültigen Aufschluß über die Vor- und Nachteile einer Reorganisa-
5
tion der Sozialen Dienste kann wohl nur eine differenzierte Ausein-
andersetzung mit den Ergebnissen einer Modellerprobung liefern, die
bisher noch fehlt.
Ausgangslage
Die besondere soziale Situation Berlins läßt sich an ein paar Zahlen
ablesen: Bei insgesamt weniger als 2 Mio Einwohnern leben in Berlin
rd. 500 000 Menschen im Alter von über 65 Jahren, rd. 65 000 Sozial-
hilfeempfänger beziehen ständig "Hilfe zum Lebensunterhalt', geschätz-
te 5 000 Drogen- und Rauschgiftabhängige warten auf Hilfe und mehr
als 3 000 Jugendliche sind ohne ein geregeltes Ausbildungs- und Be-
schäftigungsverhältnis.
Zur mittelbaren und unmittelbaren Betreuung dieses Personenkreises
sind im Land Berlin, in den Haupt- und Bezirksverwaltungen, gegen-
wärtig rd. 2 300 Sozialarbeiter beschäftigt. Dabei teilen sich die
Sozialarbeiter auf drei Verwaltungen auf: Es gibt die Senatsverwal-
tungen (als sog. Hauptverwaltungen, die gleichzeitig die Ministerial-
aufgaben der Flächenstaaten zu leisten haben) und die entsprechen-
den Bezirksverwaltungen für 'Gesundheit', "Jugend! und 'Soziales',
Schaubild 1
Schaubild 2
Theoretisch ist für jeden 'Fall' die Zuständigkeit eindeutig gere-
gelt, praktisch kommt es jedoch zu Doppel- und Mehrfachbetreuungen,
Die Klienten wissen sowieso kaum,an wen sie sich zu wenden haben,
noch viel weniger, wer für ihr Problem tatsächlich zuständig ist,
Dieser Zustand ist für alle unbefriedigend, zumal diese Struktur der
Verwaltungsorganisation Ansätze von Team- und interdisziplinärer
Zusammenarbeit weitestgehend verhindert.
Entwicklung des Projektrahmens
An diesem Punkt setzten in Berlin Überlegungen an, die Struktur der
Organisation der Sozialen Dienste zu verbessern und den gewandelten
Anforderungen anzupassen. Erste Ansätze zu einer Reform gehen bis
Ende der 60-iger Jahre zurück, als in der Senatsjugendverwaltung
neue Organisationsrichtlinien für dieses Amt entwickelt werden soll-
ten. Bei dieser Arbeit wurde schon bald deutlich, daß, wollte man
es nicht nur bei einer halbherzigen organisatorischen Anpassung an
inzwischen eingetretene Entwicklungen belassen, eine Koordination
der Planung mit der anderer Senatsverwaltungen erforderlich war.
Es kam hinzu, daß Anfang der 70-iger Jahre während der damaligen
allgemeinen Reformfreudigkeit durch Einrichtung einer Planungsleit-
stelle eine Vielzahl von auch ressortübergreifenden Planungsvorhaben
begonnen wurden.
Dies führte dazu, daß schließlich im März 1972 durch Senatsbeschluß
ein ressortübergreifendes Planungsteam für den Aufgabenbereich 'Neu-
strukturierung der Sozialen Dienste' eingesetzt wurde.
—————— [I
Exkurs: Stichwort zum Berliner Planungssystem
Die tragenden Organe des Berliner Planungssystems sind das "Planungs-
team' und der '"Planungsausschuß'.
6
SCHAUBILD 1
Gliederung der Berliner Verwaltung P>
Senatskanzleı
| Recht und Verwaltung. li Berlin-Politik. IIi Innere Politik
IV Presse V i n. Vi Fremdenverkehr. VII Protokoll
Der Regierende Bürgermeister
von Berlin Stobbe
Der Bürgermeister von Berlin
Lüder
Der Senator f. Bundesan- Der Senator für
gelegenheiten Bevoll- Familie, Jugend u Abt I Verwaltung u Recht, Il Allg. Familien u. Jugendhilfe. 1l! Öffentl Erzie
Dienststelle Berlin mächtigter d. Landes Ber- Sport hung IV Sport u Freizeit
lin b. Bund. Prof, Heimann Reichel
Der Senator für Abt G General u Rechtsangeiegenheiten, | Allgemeine Abterlung. Il Medi
hnaiwesen, Allgemeine Hygiene. I Krankenhaus und ambulante Dienste
IV Veterinärwesen. Lebensmitteluberwachung, Pharmaziewonen, V Umwelt
schutz
Abt AV Allg Verwaltung. I Vertassungs: u Verwaltungs. Wahlen, Datenschutz. | Der Senator für
5 Jangehöngk., Namens u Porsonenstandawenen. Geschäftsvert, Entscha Gesundheit u
digung u Bett d Opfer d nationalsor Verfolgung. Ii Recht d oltent! Dienstes, Inneres
M Ottenni Sicherh. u. Ordnung. IV Landesamt tur Vertassungsachutz, V Porsonal | L riep Umweltschutz
planung, Stellenplan. Organisanon. Burotech , VI Elekti Datenverarbeitung Pätzold
Abt. | Rıchterecht, Anwalts- u Notanatswesen, Personal, Prulungawesen. Aus Der Senator für aki 5 iai i Yon
i 2Zei ngelegenheiten | Bau: u Wohnungsaufsicht Ji Landes- u
u Fortbildung, Orgamsation, Gerichtaverfassung. Haushalt, II Öffentl Recht Der Senator für
Bau- u. Wohnungs: Stadtplanung. Stadterneuerung. Il Grünflächen, Naturschutz u Wasserwesen.
Gesetzgebung u Verfahren. I Zivilrecht, Zwilverlahrensrecht, Fishussachen Justiz
Intern Rechishule in Zwisachen, IV Strafrecht, Stralverlahrensrech und wesen IV Bauförderung. Wohnungswesen und Bauwirtschaft. V Vermessungswesen,
Rechishife in Strafnachen, V Justizvollzug. Gnadenwenen. Soz Dienste m Meyer
Justizbermch, Strafvolistreckung 2 Ristock
VI Hochbau, VI Tiefbau
3 Abt. 1 Allgemeine Verwaltung. II Wirtschaftspoliik, Ill Recht, Banken und Ver
Der Senator für Der Senator für ‚sicherungen, Handwerk, Landeshartelibehörde und Verbraucherpoltik, IV
Abt | Allg Verwaltung Rechtsangelegenheiten, Il Berlıner Schule
e aa Mee aaa Schulwesen Wirtschaft u. Verkehr | insustne. Gewerbe, Energie. Wirtschafstorderung. V Ernährung, Landwirt
schaft. Forsten und Handel, generelle Grundsatz: und Planungsangolegen
Rasch Luder heiten der Senatsverwaltung, VI Verkehr. VII Bevorratung
Der Senator für Abt. | Allgemeine Abteilung: DKLB und DKLB-Stiftung, II Finanzpolitik, Finanz
Osr Sanmontur wirtschaft, Haushalt, II! Angelegenheiten der Steuerverwaltung; Automaton
Abt. | Gemeinsame Angelegenheiten, Grundsatzlragen und Hoch
ontwmeklungsplanung. Ii Wissenschaft. Ausbildungsförderung Wissenschaft Finanzen Dan N a aiaa k a N a
M Forschung u. Forschung Landesvermögen. Bürgschaften, V Landesausgleichsamt. VI Besatzungs
Dr. Glotz Dr Riebschläger lasten
Abt | Rechts ‚Personal und Haushaltsangelegenheiten
Abt | Verwaltung, Haushalt u Automaton. II Sozulvermscherung u Der Senator für Der Senator für
horton
Knegsopterversorgung. II Arbeitsrecht u Arbeitsmarkt, IV Berufl
Bildung, V Arbeitsschutz, Unfallverhütung. VI Soz Dienste u Ein Arbeit u. Soziales Kulturelle H Kuchi Angelogen
Angelegenheiten
nchtungen. VII Soziaihile, Fiuchtingawesen, VIII Knegsopfer
tursorge u Betundertenhilfe Sund Dr. Sauberzweig
SCHAUBILD 2
Mustergliederung eines Bezirksamtes
Bezirksamt
(Bezirksbürgermeister und 6 Bezirksstadträte)
Abt Abt
Abt Abi Abt Abt
Gesundheits Wirtschaft gl Finanzen X
woson
Jugend und
Personal und Volksbildung Sozialwesen
Sport
Verwaltung
Amu Amior Amter Amter Amter Amtor Amor
Haushai
Gesundheitsamt Stadtplanungsamt Gewerbeamt
Berrkskanse
Schulamt Allg Verwaltung Alig Verwaltung
Verwaltungs Kunstamt Sor Einrichtungen Vormundschalts Vet und Vermessungsamt |
am Volks und Angebote und Unterstutzungs Lebenamittelauf Hochbauamı
Standonamt hochachule Allg so: wesen sichteamt Tıelbavamı amt
Bezirks. Nusikschule Dienste Famihenlürsorge Gartenbauamı Ausgleichs
Wohngeldamt amt 3)
oinwohneramt Bes soziale Erziehungs
Bücherei Dienste beratung Bau und Wohnungs)
Sor Sonder Famillen und
Heimpliege
Jugendptiege
Sportamt
Baderamı
Grundstücks
Rechtsamt
aufsichtsamt
leistungen
1) In den Bzırken Tiergarten. Wedding und Kreuzberg nicht vorhanden, die Aulgaben werden vom
Senator fur Bau- und Wohnungswesen wahrgenommen
} In den Bezirken Wodding, Wilmersdorf, Schöneberg und Reinchendort, Abteilung Finanzen und Wirtschaft Dom Bezirknamt nachgeordnet Nichtrechtsfähige Anstalten (z B Schulen Krankenhausbetriebe)
3) Zentralinierung geplant
© Planungsteam
Für Angelegenheiten von besonderer Bedeutung und soweit mehr als
ein Ressort betroffen ist, werden zur Sicherstellung einer ressort-
übergreifenden Planung in Angelegenheiten von besonderer Bedeutung
vom Senat sogenannte Planungsteams für bestimmte Ziel- und Pro-
grammplanungen eingesetzt. Ihre Aufgabe ist es, gemeinsame Konzep-
tionen zur Lösung auftretender Probleme zu erarbeiten. Die Planungs-
teams setzten sich aus fünf bis sieben Fachleuten der beteiligten
Ressorts zusammen und sind in ihrer Arbeit nicht weisungsgebunden.
Allerdings sind die erarbeiteten Konzepte für die Exekutive auch in
keiner Weise verbindlich und haben nur den Charakter einer Planungs-
studie.
© Planungsausschuß
Der Planungsausschuß ist das Lenkungsorgan der beteiligten Verwal-
tungen unter Beteiligung der Legislative und setzt sich aus Senato-
ren, Vertretern der Bezirksämter und Mitgliedern der Fraktionen des
Abgeordnetenhauses zusammen. Aufgabe des Planungsausschusses ist es,
den Planungsteams Prämissen ihrer Arbeit vorzugeben und die im Pla-
nungsteam erzielten Ergebnisse auf ihre - auch politische - Reali-
sierbarkeit hin zu prüfen. Der Planungsausschuß soll verhindern hel-
fen, daß Planungsüberlegungen in eine unerwünschte Richtung zielen,
ohne daß jedoch umgekehrt bei einer Billigung der Planungsergebnis-
se durch diesen Ausschuß davon ausgegangen werden kann, daß die Er-
gebnisse erwünscht sind und somit die Gewähr gegeben ist, daß die
Planung auch tatsächlich realisiert wird.
Jedes Planungsteam veröffentlicht seine Ergebnisse in einem sogenann-
ten "Abschlußbericht', der dem Abgeordnetenhaus zur Kenntnisnahme
zugeleitet wird.
. En
Die "Rote Bibel"
m „SUrE Bibel
Aufgabe des Planungsteams "Neustrukturierung der Sozialen Dienste'
sollte es laut Senatsbeschluß sein, "Inhalte, Methoden und Organi-
sationsformen des sozialen Dienstes auf die veränderten gesellschaft-
lichen Verhältnisse, die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse und
neu formulierten Gesetzesaufträge einzustellen mit dem Ziel des ef-
fektiven Einsatzes der persönlichen und materiellen Hilfen und einer
optimalen Befriedigung der Bedürfnisse der Klienten".
Zur Durchführung dieser Aufgabe ließen sich die Teammitglieder zu-
nächst in Quickborn bei 'Metaplan' schulen. 'Metaplan' hat sich
darauf spezialisiert, Planungsprozesse im Öffentlichen Dienst zu
begleiten und zu moderieren, wobei die Teilnehmer angehalten werden,
auf mehr oder weniger assoziativer Grundlage unter Anleitung eines
Moderators Ideen und Vorstellungen zu entwickeln. Auf diese Weise
werden zwar möglicherweise eine Reihe interessanter Vorschläge pro-
duziert, doch fehlt jede Auseinandersetzung mit den gesellschaftli-
chen und gesetzlichen Bedingungen und Voraussetzungen, worunter die
Praktikabilität der so entwickelten Konzepte entscheidend leidet.
Es führt oft zu dem Zustand, daß zwar papierne Vorstellungen über
einen wünschenswerten Idealzustand entwickelt werden, dabei jedoch
keine auch für die Praxis brauchbaren Alternativen zustande kommen.
Kritiker dieses Quickborner Planungsverfahrens haben denn auch die-
se Art, Planung zu betreiben, mit "quickly born, quickly died' cha-
rakterisiert.
8
Die Arbeiten an dem Bericht dauerten bis Herbst 1973, bevor eine
erste Fassung als Zwischenbericht vorgelegt und zur Diskussion ge-
stellt werden konnte. Nachdem noch eine Reihe von Verbesserungen
und Änderungswünsche verschiedener Seiten eingearbeitet waren, konn-
te dann im Frühjahr 1974 der Abschlußbericht vorgelegt werden. We-
gen seines roten Einbandes wurde der Bericht im Zuge der weiteren
Erörterungen "Rote Bibel' genannt.
In diesem Bericht werden die Inhalte und Zielvorstellungen der So-
zialarbeit wie folgt bestimt:
"Sozialarbeit darf nicht nur Reaktion auf vorhandene Mißstände
sein, sondern muß darüber hinaus zum Ziel haben, die sich im steti-
gen Wandel befindende Gesellschaft aktiv mitzugestalten. Sie muß in
der Lage sein, neue Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens
zu akzeptieren und - wo nötig - zu fördern.
Der Sozialarbeiter wird insbesondere die Aufgabe haben,
e zur Herbeiführung gegenseitigen Verständnisses Artikulationshil-
fen anzubieten,
e sozio-Öökonomische Abhängigkeiten aufzuzeigen,
e emanzipatorische Hilfen anzubieten,
e Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und aktiv bei der Sozialplanung
mitzuwirken,
e unbürokratisch Eigeninitiative der Bürger durch fachliche Beratung
zu unterstützen,
e als Auftrag der Sozialarbeit auch Bildungsarbeit zu begreifen und
entsprechend zu handeln."
Als Voraussetzung zur Erfüllung dieser anspruchsvollen Zielsetzung
wurden vom Planungsteam drei Bedingungen genamnt:
e Teamarbeit
e interdisziplinäre Kooperation verschiedener Fachressorts
e Bürgernähe der Sozialarbeit sowohl in sachlicher als auch in
räumlicher Hinsicht
Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze werden sodann im Bericht die
folgenden Organisationsvorschläge entwickelt:
© Regionale Arbeitsgruppen (RAG)
Aufgabe aus den drei Verwaltungen/Abteilungen "Familie und Jugend',
"Gesundheitswesen! und 'Sozialwesen' sollen in sogenannten 'regiona-
len Arbeitsgruppen' zusammengefaßt werden,
Dieser Vorschlag zur Regionalisierung der Sozialarbeit ist ein we-
sentliches Kernstück der gesamten Reformvorschläge. Die regionale
Arbeitsgruppe soll eine relativ selbständige Einrichtung im Wohnge-
biet außerhalb der Rathäuser und für einen Einzugsbereich von rd.
25 000 Einwohner zuständig sein. In ihr sollen Sozialarbeiter und
Angehörige des nichttechnischen Verwaltungsdienstes (Verwaltungs-
beamte und -angestellte) aus den drei Sozialressorts in Arbeitsteams
gleichberechtigt zusammenarbeiten. Unter Zugrundelegung des derzei-
tigen Mitarbeiterstamms würde ein Team aus max. zwölf Personen be-
stehen (sieben Sozialarbeiter und fünf Fachleute der Verwaltung).
Die regionale Arbeitsgruppe ist nach Ansicht der Autoren die geeig-
nete Organisationsform, um
e Mehrfach-und Doppelbetreuungen zu vermeiden,
e die Verwaltungsorganisation für den Bürger überschaubarer zu machen,
e zur Lösung von Problemen unterschiedliches Fachwissen zusammen-
zuführen und h
e damit die Organisationsform sozialer Dienstleistungen auch den
veränderten gesellschaftlichen Anforderungen anzupassen.
Dazu gehört auch, die bisher gewachsene Spezialisierung der Sozial-
arbeit in Form einer immer weitergehenden Aufgabenausdifferenzie-
rung zugunsten eines zusammenfassenden zielgruppenorientierten An-
satzes aufzugeben.
Solche möglichen Zielgruppen sind:
e Hilfen für Kinder, Jugendliche, Erwachsene
e Hilfen für Problemgruppen: Obdachlose, arbeitslose Jugendliche,
Senioren etc.
Ein solcher Ansatz, der auf die Zusammenfassung aller Hilfsangebote
und -möglichkeiten für die Bedürfnisse der speziellen Zielgruppe ge-
richtet ist, erscheint den Autoren als ein gangbarer Kompromiß zwi-
schen der Sozialarbeit als Spezialistentum einerseits und einer un-
differenzierten Allgemeinfürsorge andererseits.
Ergänzend zu dieser Zielgruppendifferenzierung werden sechs Aufga-
benschwerpunkte unterschieden. Im Info I der Arbeitsgruppe werden
aufgezählt:
l. Hilfen materieller Art
2. Hilfen für Einzelne und Gruppen
3. Hilfen zur Gesundheit (Prävention und Gesundheitshilfe)
4. Prophylaktische Arbeit
5. Wohngebietsbezogene Arbeit
6. Bildungsarbeit
Schaubild 3
Dieses Konzept regionalisierter Sozialarbeit löste im weiteren Ver-
lauf der Diskussion die heftigsten Kontroversen aus. Insbesondere
wurde bezweifelt, ob Verwaltungsangehörige und Sozialarbeiter gleich-
berechtigt in Teams würden zusammenarbeiten können. Sozialarbeiter
fürchteten, daß für ihre zukünftige Arbeit zu sehr Verwaltungsge-
sichtspunkte bestimmend sein würden; von Verwaltungsseite wurden
Zweifel laut, der Diskussion mit Sozialarbeitern gewachsen zu sein.
(J Zentraleinrichtungen
Für Aufgaben, die nicht regionalisierbar sind, wurde die Zusammen-
fassung in 'Zentraleinrichtungen' vorgeschlagen. Bedeutsamste Zen-
traleinheit war das 'diagnostisch-therapeutische Zentrum' als Zu-
sammenfassung aller Hilfen gesundheitlich-sozialer Beratung und Be-
treuung, um sowohl in differential-diagnostischer als auch therapeu-
tischer Hinsicht eine interdisziplinäre Kooperation zwischen Sozial-
arbeitern und weiteren Fachleuten zu erreichen. In jedem der zwölf
Berliner Bezirke sollte jeweils ein Zentrum errichtet werden, wobei
für Spezialaufgaben - wie Hilfen für Sehbehinderte etc. - eine un-
terschiedliche Schwerpunktbildung nach bezirksübergreifender Ab-
sprache stattfinden sollte.
10
SCHAUBILD 3
Bereitschafts -
dienst
Regionale Arbeitsgruppe
© Periphere Einrichtungen
Darüber hinaus wurden eine Reihe von peripheren Einrichtungen und
Gremien zur Vervollständigung des Gesamtvorschlags konzipiert, Ein
Vorschlag z.B. zielt auf die Einrichtung bezirklicher Arbeitsgemein-
schaften zwischen dem Bezirksamt und den Verbänden der freien Wohl-
fahrtspflege, um eine optimalere Planung der sozialen Betreuung
und Versorgung zu erreichen. Die Einrichtung eines gemeinsamen Fort-
bildungswerkes für Sozialarbeiter und die anderen Mitarbeiter der
Verwaltung soll einer besseren Abstimmung der Fortbildungsbedürf-
nisse der Mitarbeiter dienen.
IP EEE u O S ES Ic ERS
Kritik der Reformvorstellungen
Der Abschlußbericht des Planungsteams "Neustrukturierung' wurde von
der unmittelbar betroffenen Fachöffentlichkeit mit Skepsis aufge-
nommen, während die ungeteilte Zustimmung im Quadrat der Entfernung
von Berlin wuchs.
Von der Verwaltung wurde zunächst rechtlich argumentiert. In einem
noch vom Planungsteam in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten kommt
ein namhafter, wenngleich wahrlich nicht besonders fortschrittlicher
Verwaltungsjurist zu dem Ergebnis, daß mit der Verwirklichung die-
ser Reformvorstellungen so "erhebliche! Rechtstatbestände wie die
'Rechtsgleichheit zwischen den Bundesländern' und die "Einheitlich-
keit des (Verwaltungs-)Rechtssystems' in Frage gestellt seien und
bemüht zum Beweis das Grundgesetz und eine Fülle weiterer Rechts-
quellen. Desgleichen wird in diesem Gutachten die Möglichkeit von
Teamarbeit in der Verwaltung unter Einschluß von Teamentscheidun-
gen verneint, weil damit das Prinzip der Einzelentscheidung (Sachbe-
arbeiterentscheidung) durch plebiszitäre Gruppenentscheidungen aufge-
hoben werde, Dieses bedeute für den Bürger einen Abbau an Rechtssi-
cherheit, weil es ihm z.B. bei einem belastenden Verwaltungsent-
scheid unmöglich wird, sich an den dafür verantwortlichen Sachbear-
beiter zu wenden.
Von Seiten der politischen Administration wurden politische und fi-
nanzielle Bedenken erhoben. Die politischen Bedenken richteten sich
gegen die Durchsetzbarkeit dieser weitgehenden Reformvorstellungen,
da, wenngleich im Bericht selbst explizit nicht gefordert, eine Zu-
sammenfassung von Aufgaben aus den drei Ressorts längerfristig eine
Reduzierung der Zahl der Bezirksstadträte - z.Zt. sieben in jedem
der zwölf Berliner Bezirke (davon allein je drei für die Sozial-
Ressorts) - die Folge sein müßte. Zwar waren alle Rathausparteien
für Sparmaßnahmen, jedoch war keine Partei bereit, auf Versorgungs-
posten für ihre verdienten Funktionäre zu verzichten, zu denen eben
auch ein Bezirksstadtratsposten mit entsprechendem Pensionsanspruch
gehört.
Zu den finanziellen Auswirkungen wurde eine Modellberechnung des
Finanzsenators vorgelegt, nach der allein die diagnostisch-therapeu-
tischen Zentren 3-4 Mio DM pro Bezirk kosten würden. Trotz der von
allen Fachleuten geforderten Verbesserung der psycho-sozialen Be-
treuung der Bevölkerung war der Senat nicht bereit, diese Summe
bereitzustellen.
Die Berliner ÖTV äußerte sich weit skeptischer zu den dem Modell-
12
vorschlag zugrunde liegenden Intentionen als der Hauptvorstand der
ÖTV in Stuttgart, der im März 1976 in einem als Diskussionsvorschlag
bezeichneten Thesenpapier zur Neustrukturierung der Sozialen Dienste
sich die Ergebnisse des Berliner Abschlußberichts z.T. wörtlich zu
eigen machte.
Von der Berliner Fachgruppe Sozialarbeit der ÖTV hingegen wurde mehr
auf die Probleme einer praktischen Umsetzung der Ergebnisse verwie-
sen und eine Reihe von Forderungen erhoben: So soll sichergestellt
werden, daß die Umsetzung der Planungsergebnisse nur unter freiwil-
liger Beteiligung von Sozialarbeitern durchgeführt wird und ferner
der 'Sparbeschluß' über die Festschreibung der Sozialarbeiterstel-
len aufgehoben wird, um die aus einer Umstellung resultierenden Mehr-
belastungen der Kollegen durch eine entsprechende Personalvermehrung
auszugleichen.
In einer Stellungnahme wurde davor gewarnt, eine Reorganisation der
Sozialen Dienste unter Rationalisierungsgesichtspunkten zu betreiben
und darauf aufmerksam gemacht, daß eine Verbesserung der Arbeitswei-
se Sozialer Dienste ganz wesentlich von einer Verbesserung der Ar-
beitsbedingungen und -voraussetzungen, für die allein der Senat mit
seiner Politik verantwortlich ist, abhängt.
Auch von Seiten der Sozialarbeiter und ihrer Berufsorganisationen
wurde heftige Kritik laut. Es wurden Befürchtungen geäußert, daß
mit der Aufhebung der Spezialfürsorgen ein bereits erreichter Stand
der fachlichen Arbeit zurückgenommen werde und durch die Hintertür
der ehemalige 'Fürsorger für alles' wieder Eingang in die Arbeit fin-
det.
Ein Teil der Sozialarbeiter fühlte sich wohl auch von den auf sie
zukommenden neuen Aufgaben und Arbeitsweisen überfordert, andere
wiederum waren nicht bereit, auf einen bereits erworbenen Status in
der behördlichen Hierarchie zugunsten einer gleichberechtigten Team-
arbeit zu verzichten.
Im Verlauf der Diskussion wurde schließlich die Forderung erhoben,
vor einer so weitgehenden administrativen Veränderung der Arbeits-
strukturen zunächst einmal die Bedürfnisse der Klienten zu erfor-
schen. Nur wenn fundierte Aussagen auf wissenschaftlicher Grundlage
über ein Anforderungsprofil von Klienten und Klientensystemen an die
Sozialarbeit gemacht werden könnten, so wurde argumentiert, sei zu
beurteilen, ob die Neuorganisation auch tatsächlich den Bedürfnis-
sen der Klienten entgegenkomme und nicht nur Bedürfnisse der Verwal-
tung abdeckt.
Pe Er E FELSEN EEE
Modellversuch zur Neustrukturierung
Als Ergebnis der Erörterungen und Diskussionen und trotz aller Ein-
wände wurden im Frühjahr 1975 in 16 vom Senat verabschiedeten
"Leitlinien" Teile des Gesamtmodells zur praktischen Erprobung
im Rahmen eines dreijährigen Modellversuchs bestimmt. Dazu wurde
zur Vorbereitung, Durchführung und wissenschaftlichen Begleitung
und Auswertung eine fünfköpfige Arbeitsgruppe mit der Aufgabe ein-
gesetzt, zusätzliche Entscheidungskriterien für die weitere Modell-
bewegungsdiskussion zu bekommen.
Dieser Modellversuch ist von Beginn an nur halbherzig betrieben wor-
13
den und praktisch nie zur Durchführung gekommen.
Zunächst brauchte der Senat weitere eineinhalb Jahre, bis die Mit-
glieder der Arbeitsgruppe ausgewählt und eingestellt waren. Im
Herbst 1976 konnte dann mit der praktischen Erprobung begonnen wer-
den, zu einem Zeitpunkt, als Berlin wieder mal in einer akuten Fi-
nanzkrise steckte. Zur Sicherung des Finanzhaushalts waren gerade
sogenannte 'Sparbeschlüsse' verabschiedet worden, die u.a. auch Ein-
sparungen für den Sozialbereich beinhalteten.
In diesem Zusammentreffen von Sparmaßnahmen und dem Beginn der Tätig-
keit der Arbeitsgruppe wurde ein ursächlicher Zusammenhang gesehen.
Neustrukturierung, so hieß es nun, ist das versteckte Bemühen um
eine Effektivitätssteigerung der Sozialarbeit durch verstärkte Aus-
beutung des vorhandenen Mitarbeiterstabes. Es wurde der Verdacht
laut, daß unter dem Vorwand der Verbesserung der Arbeitsbedingungen
in Wirklichkeit Rationalisierungsabsichten des Senats verwirklicht
werden.
Es kam dann zwar 1977 noch zur Auswahl von zwei Modellerprobungsbe-
zirken (Neukölln und Reinickendorf), in denen regionale Arbeitsgrup-
pen eingerichtet werden sollten, jedoch hatte inzwischen die tat-
sächliche Entwicklung die 'Modellbewegung von oben' längst überholt.
Es darf dabei nicht unberücksichtigt bleiben, daß inzwischen über
fünf Jahre seit Beginn der Diskussion um eine Neuorganisation ver-
gangen waren und sich während dieser Zeit auf lokaler Ebene eine
Reihe von Initiativen und Entwicklungen eingestellt hatten, die zu
neuen Arbeitsformen und -ansätzen geführt hatten. Gerade von diesen
engagierten und fortschrittlichen Kollegen wurde das von außen auf-
gesetzte Modell einer Neustrukturierung ohne Berücksichtigung der
lokalen Besonderheiten als eine massive Gefährdung der derzeitigen
Arbeitsbedingungen angesehen. Keiner wollte sich freiwillig für
einen Versuch hergeben, dessen Ausgang ungewiß war.
Zu einer umfassenden Erörterung der Bedingungen eines fortschritt-
lichen Modellversuchs unter ausreichender Beteiligung aller Betrof-
fenen und unter Wahrung derer Interessen ist es dann: aber gar nicht
mehr gekommen. Zwischen alle Fronten geraten, ist das Projekt, unter
welchen Prämissen auch immer, inzwischen de facto wohl gescheitert -
jedenfalls ist es in Berlin inzwischen still geworden um alle Re-
formvorhaben im sozialen Bereich.
BREMEN
(vergl. dazu: Teil 4, Abschnitt 3.3.)
bearbeitetes Tonbandprotokoll
In Bremen gibt es zur Zeit drei wesentliche Bereiche Sozialer Dien-
ste; da ist zunächst die Familienhilfe mit sehr breit gefächerten
Aufgaben, dann das Jugendamt mit den verschiedenen Abteilungen und
das Sozialamt, Diese drei Bereiche sollen zusammengelegt werden, wo-
bei allerdings auf der Stadtteilebene nach dem Zielgruppenprinzip
gearbeitet werden soll.
Gerade diesen Punkt kritisieren wir, denn mit dem Zielgruppenprin-
zip ist nichts Neues geschaffen, sondern es sind nur ein paar Ämter
und Abteilungen umbenannt. Ohne Neuorganisation arbeiten wir zum
14
Teil in Gruppen, die sich an einem Stadt- bzw. Ortsteilprinzip orien-
tieren und damit über die geplante Neuorganisation schon hinausge-
hen. Unsere Forderung ist deshalb, daß diese Aufteilung nach dem
Zielgruppenprinzip aufgehoben wird, daß statt dessen überschaubare
Arbeitsgruppen in den Stadtteilen mit einer Allzuständigkeit ge-
schaffen werden.
Vor etwa vier Jahren begann eine Untersuchungsgruppe, eine Ist-Ana-
lyse der Sozialen Dienste in Bremen zu erarbeiten. Dabei herausgekom-
men ist "Die Neuorganisation der Sozialen Dienste" in Bremen. Diese
Untersuchung bringt neben der Ist-Analyse einen Vorschlag der Neuor-
ganisation der gesamten Sozialen Dienste in Bremen.
Danach ist z.B. vorgesehen, daß die verschiedenen Zielgruppen für
Kinder, Jugendliche und die Gruppe für Sozial- und Wirtschaftshilfe
jeweils als Fachgruppe miteinanderkooperieren und auf Stadtteilebe-
ne stadtteilbezogene Konferenzen abhalten. Das Ganze ist sehr theo-
retisch und wir haben dieses Modell auf einer Weiterbildungsveran-
staltung anhand eines Planspiels durchgespielt. Dabei sind wir zu
dem Ergebnis gekommen, daß im Grunde genommen nur die jetzige Orga-
nisationsform unter einem neuen Namen weitergeführt wird, das in-
haltlich aber tatsächlich keine neuen Arbeitsmöglichkeiten gegeben
sind. Wir lehnen deshalb diese Form der Neuorganisation ab.
(Vgl. Dokument, S. 78)
Parallel zu dieser Diskussion um die Neuorganisation laufen Arbeits-
gruppen zur Erstellung eines Jugendhilfeplanes. Die Jugendhilfepla-
nung geht davon aus, daß die betroffenen Sozialarbeiter einbezogen
werden müssen. Zur Zeit laufen in zwei Stadtteilen Planungen unter
Leitung eines von der Senatorischen Dienststelle dafür freigestell-
ten Mitarbeiters.
In Bremen ist vorgesehen, die Neuorganisation erst modellhaft in
einem Stadtbezirk zu erproben, und es herrscht zur Zeit große Unsi-
cherheit, wo dieses Modell zuerst durchgeführt werden wird. Vor al-
lem ist unklar, unter welchen Bedingungen es laufen soll, denn es
ist davon auszugehen, daß keine zusätzlichen Stellen geschaffen wer-
den sollen.
Nachfrage: Was ist denn dieses Zielgruppenkonzept?
Das bedeutet praktisch nur eine Umbenennung: Die jetzige Familien-
hilfe wird heißen "Sozialer Dienst Kinder und deren Familien" und
die jetzige Jugendhilfe wird dann heißen "Sozialer Dienst Jugendli-
che und deren Familien".
Wirtschaftliche Jugendhilfe ist praktisch die jetzige Kostenstelle.
Dieses Nebeneinander der Bereiche ist gerade das, was wir ändern wol-
len. Besonders wichtig ist, daß Sozialarbeiter und Verwaltungskolle-
gen enger und gezielter miteinander arbeiten können.
Übrigens ist es auch in Bremen so, ähnlich wie in Berlin, daß sich,
vor allem in der Familienhilfe schon Modelle und Projekte entwickelt
haben, die inhaltlich zum Teil weit über die geplante Neuorganisa-
tion hinausgehen.
15
FRANKFURT
(überarbeitetes Tonbandprotokoll)
Der Aufbau in Frankfurt ist grundsätzlich anders als in Hamburg, da
Frankfurt ja Stadt ist und kein Stadtstaat. Es gibt an der Spitze
einen Dezernenten, der Wahlbeamter für vier Jahre ist: Dezernent
für Soziales und Jugend. Im Sozialbereich gibt es dann drei wichti-
ge Dienste: das Dezernatsverwaltungsamt, das Jugendamt und das So-
zialamt.
Alle drei sind zunächst auf zentraler Ebene angeordnet, denen dezen-
tral sogenannte Sozialstationen nachgeordnet sind (wobei Sozialsta-
tionen in Frankfurt einen anderen Inhalt haben als z.B. in Hamburg
oder Rheinland-Pfalz). In Frankfurt sind Sozialstationen Organisa-
tionseinheiten der Sozialverwaltung. Sie werden von einem Leiter
geleitet; die Sozialstation selber ist dann in folgende Abteilungen
unterteilt:
® Familienfürsorge,
® wirtschaftliche Sozialhilfe,
© wirtschaftliche Jugendhilfe,
® Amtsvormundschaft.
Diese Abteilungen werden jeweils von Oberfürsorgerinnen (Ofüs) bzw.
Sachgebietsleitern geleitet.
Neun derartige Sozialstationen gibt es in Frankfurt, wobei die Ab-
grenzung ihrer Bereiche z.T. sehr willkürlich ist.
In der Abteilung Familienfürsorge arbeiten zehn bis fünfzehn So-
zialarbeiter, die eine Art Allzuständigkeit haben - bis auf Aufga-
ben, die zentralisiert sind (darauf komme ich gleich .noch), und Er-
mittlungsaufgaben für das Sozialamt, die wirtschaftliche Sozialhil-
fe und die Amtsvormundschaft. Sonst machen die Sozialarbeiter wirk-
lich alles, d.h. inklusive Innen- und Außendienst. Diese Trennung
gibt es hier nicht. Insgesamt arbeiten also 40 bis 50 Leute in so
einer Sozialstation.
Zentral sind in den drei oben genannten Ämtern folgende Aufgaben
konzentriert, wobei jeweils das, was zentral oder dezentral gemacht
wird, relativ willkürlich ist. Wenn irgendwie ein neues Problem
auftaucht, wird es entweder zentral oder dezentral zugeordnet.
Bei der Zentrale gibt es so eine Art Koordinationsstelle, in der
auch der leitende Sozialarbeiter, also praktisch der höchste Sozial-
arbeiter in Frankfurt, angeordnet ist. Hier wird auch Zentralstati-
stik und ähnliches durchgeführt.
Vor einigen Jahren war die Besetzung der lange unbesetzten Stelle
des leitenden Sozialarbeiters eine Basisforderung. Die Basis glaubte
zunächst, daß solch eine Stelle wichtig wäre, um die Interessen der
Sozialarbeiter auch oben zu vertreten. Aber diese Forderung hat sich
als "Schuß nach hinten' herausgestellt: Nämlich auch Sozialarbeiter
in höheren Positionen sind eben in erster Linie Leiter und nicht
Sozialarbeiter. Damals hatten wir noch sehr demokratische Vorstel-
lungen, es herrschte auch Personalnot, und wir hatten den Plan, da
müßte jedoch irgend jemand sein, der keine direkten Vorgesetztenfunk-
tionen wahrnimmt, sondern eine Art Koordinator ist, z.B. Kontak
zur Fachhochschule hält, Sozialarbeiter-Fortbildung organisiert u.ä..
Wir haben damals statt einer Stelle zwei gefordert. Die haben wir
16
sogar auch gekriegt. In der damaligen Zeit, das kann man sich heute
kaum vorstellen, gab es eine akute Personalnot. Von den zehn Stel-
len waren vielleicht drei oder fünf besetzt. Wir haben uns, solange
die Stelle nicht besetzt war, selbst koordiniert. Es gab also große
Sitzungen, und wir haben versucht, Strukturreformen durchzuführen,
z.B. Abschaffung der Oberfürsorgerinnen.
Aber eines ist uns hinterher klar geworden: Wenn irgendeine Koordi-
nationsstelle eingerichtet wird, dann hat die auch Machtbefugnisse.
Neben dem Dezernatsverwaltungsamt gibt es dann noch Jugendamt und
Sozialamt auf zentraler Ebene, die alle drei an sich gleichrangig
sind. Zentral ist auch die allgemeine Gesundheitshilfe und die TBC-
Hilfe angeordnet. Zwar gibt es da auch Zuordnungen zu Sozialstatio-
nen, aber sie sind von der Struktur her gesehen zentral. Auch die
Altenhilfe ist zentralisiert. Dann ist noch die Gefährdetenhilfe
zentralisiert, dazu gehört die Obdachlosenhilfe, das Pflegeamt, die
Wohnungsfürsorge. D.h. also, daß die ganze Obdachlosenproblematik
zentralisiert ist.
In diesen Ämtern sitzen allerdings auch häufig Sozialarbeiter. So-
wohl im Jugendamt als auch im Sozialamt gibt es natürlich auch je-
weils Grundsatzabteilungen. Im Jugendamt zentralisiert ist dann
noch die Jugendpflege, also Jugendfreizeitarbeit, Ausländerarbeit,
Jugendschutz und die Hauptverwaltung der Jugendfreizeitheime. Eben-
falls angebunden an das zentrale Jugendamt ist die Erziehungshilfe,
die aber dekonzentriert arbeitet. Ebenso ist auch das Pflegekinder-
wesen zentralisiert. Allerdings ist der Bereich der direkten Be-
treuung von Pflegekindern und deren Pflegeeltern dezentralisiert,
d.h., daß jeweils ein Sozialarbeiter in der Familienfürsorge in
den Sozialstationen nur für Pflegekinder zuständig ist. In diesem
Punkt wurde also das Prinzip der Allzuständigkeit durchbrochen. Die-
se Spezialisierung auf Pflegekinder wird allerdings nur dann ge-
macht, wenn mindestens 50 Pflegekinder zu betreuen sind, sonst müs-
sen noch andere Aufgaben übernommen werden. Diese Spezialisierung
rührt nicht zuletzt daher, daß Pflegekinderunterbringung billiger
ist als die Heimunterbringung.
Zentral ist ebenfalls noch die Jugendgerichtshilfe und die Adoptions-
stelle.
Zusammenfassend kann man sagen, daß ein großer Teil der Sozialarbeit
an sich dezentral gemacht wird, auch wenn die Zuordnung häufig zen-
tral ist.
Kommen wir zurück zur Familienfürsorge, die jetzt Allgemeiner So-
zialdienst heißt (siehe dazu Info Sozialarbeit, Heft 24). Wir sind
zehn Sozialarbeiter in einer Gruppe und haben einen Stadtteil von
ca. 54 000 Menschen zu versorgen. Die Berechnungsgrundlage ist so
eine Mixtur aus Einwohnerzahlen und Aktenzahlen, wobei witzigerwei-
se sich seit 15 Jahren ein Fehler durch diese Berechnungen zieht.
Der führt dazu, daß bei sinkender Einwohnerzahl und gleichzeitig
steigender Aktenzahl nach der Berechnungsformel weniger Sozialar-
beiter gebraucht werden. Das heißt also, daß diese Berechnungsfor-
mel stark an der Einwohnerzahl hängt. Entgegen dem, wie es eigent-
lich sein sollte, wirkt somit die Aktenzahl eher arbeitsstellenredu-
zierend.
17
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SOZIALHILFE — AKTION
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Aus dem Alltag
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BÜROKRATIE UND KLIENT
Dokumente der Sozialarbeiterbewegung
Sozialpädagogische Korrespondenz
1969 - 1973
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Ein Sozialarbeiter hat einen räumlich abgegrenzten Bezirk und ist
innerhalb dieses Bezirks für alle Sachen zuständig. Früher gab es
mal eine Zuständigkeit nach Jugendlichen, Kindern und Alten usw.,
das ist aber über Bord geworfen worden. Wir sind also jeweils von
der Wiege bis zur Bahre zuständig. Das ist die formelle Organisa-
tion, allerdings gibt es auch zahlreiche Versuche, das informell auf-
zulockern, indem z.B. drei oder vier Kollegen und Kolleginnen sich
zusammenschließen, damit sie sich vertreten und auch einzelfallüber-
greifende Sachen machen können. Allerdings gab es solche Projekte
auch offiziell. 1973 wurde eine Abteilung Gemeinwesenarbeit (GWA)
im Sozialamt gegründet, um die Obdachlosensiedlungen aufzulösen.
Diese Gruppe war zwar ebenfalls wieder zentral zugeordnet, war aber
dezentral in drei gefährdeten Gebieten tätig. Diese Gruppe arbeite-
te relativ unabhängig, hatte keinen eigenen Vorgesetzten (das war
eine Bedingung), war also direkt dem Abteilungsleiter zugeordnet.
Mit dieser GWA-Gruppe gab es ziemlich viel Stunk, denn sie arbeitete
anders als im Sinne der Behörden. Auch gab es sehr öffentlichkeits-
wirksame Konflikte. Dabei wurde versucht, soviel wie möglich für
die Betroffenen herauszuholen. Deshalb wurde diese Gruppe als Grup-
pe aufgelöst und einzeln in die einzelnen Sozialstationen versetzt.
Dabei wurde folgendes Modell entwickelt: In Gebieten mit unzurei-
chender sozialer Infrastruktur, also Neubaugebiete oder Gebiete, wo
viele ehemalige Obdachlose wohnten, wurden sogenannte Dreiergrup-
pen eingerichtet, also drei Sozialarbeiter, die für ein Gebiet zu-
ständig sind. Diese Gruppen galten als eine Einheit innerhalb der
Sozialstation. Der Auftrag war, mit den Methoden der Gemeinwesenar-
beit und der Sozialen Gruppenarbeit sowie der Einzelfallhilfe unter
Beibehaltung der Pflichtaufgaben in relativ kleinen Bezirken zu ar-
beiten. Das war zunächst die einzige Vorgabe. Insgesamt arbeiteten
dann schließlich nur acht derartige Dreiergruppen, obwohl ursprüng-
lich 24 geplant waren, da man 24 soziale Brennpunkte in diesem so-
zialen Brennpunkt Frankfurt geortet hatte. Diesen Dreiergruppen war
es möglich, in Teamarbeit stadtteilbezogen zu arbeiten. Wir hat-
ten es dann so gehandhabt, daß es jeder Familie freigestellt wurde,
mit welchem Sozialarbeiter sie es zu tun haben wollte, wir sonst im
übrigen nach unseren Interessen arbeiteten, d.h. der eine eben stär-
ker in der Gruppenarbeit, der andere mehr in der GWA. Ein Ziel war
auch, daß wir untereinander austauschbar waren. Auch fühlten wir
uns alle drei zumindestens nach außen für jede Familie verantwort-
lich. Das bezog sich auch auf die Aktenführung, die wir sowieso sehr
klein gehalten haben.
Das lief für uns sehr gut und für die Vorgesetzten sehr schlecht,
mit dem Erfolg, daß nach ungefähr zwei Jahren folgende Änderungen
eingeführt wurden: Es wurde eine Rundverfügung gemacht, in der jeder
Sozialarbeiter verpflichtet wurde, 50 % seiner Arbeit der Einzel-
fallhilfe, d.h. konkret der Familienfürsorge zu widmen. Jeder mußte
33 1/3 Z der Fälle haben und innerhalb seiner Arbeitszeit eben 50 %
Einzelfallhilfe. Damit war jeder einzelne natürlich besser kontrol-
lierbar und so Flausen wie GWA usw. eher ausschaltbar. Gerade aus
dem hohen Anteil der GWA haben sich nämlich Konflikte ergeben, die
der Verwaltung und der Stadt unangenehm waren.
Es gab parallel dazu weitere inhaltliche Einschränkungen, so Z.B.,
daß wir sehr auführliche Berichte schreiben mußten, damit wir auch
19
kontrollierbar sind. Auch sollten wir Protokolle über Bewohner-
versammlungen abgeben und all so ein Zeug. Insgesamt wollte man un-
sere Arbeit einschränken, kontrollieren und verwaltungstechnisch
handhabbar machen.
Als neue Tendenz kommt hinzu, daß man weitere Spezialisierungen an-
strebt. Zunächst soll z.B. die Altenhilfe als spezieller sozialar-
beiterischer Ansatz in die Sozialstationen eingegliedert werden, so
daß wir dann schon zwei Spezialisten hätten, einen für Pflegekinder,
einen für die Alten.
Insgesamt scheinen sich damit zwei widersprüchliche Tendenzen anzu-
deuten: zum einen stärker zu regionalisieren und die Sozialstationen
mit mehr Leuten und mehr Kompetenzen auszustatten (z.T. werden da
auch neue Stellen geschaffen). Zum anderen wird durch konkrete Vor-
schriften Einfluß auf die Arbeitsplätze genommen, um diese besser
kontrollierbar zu machen. Damit hängt auch eine Art neue Speziali-
sierung in der Dezentralisierung zusammen. Z.B. wird jetzt auch über-
legt, speziell Sozialarbeiter für von Wohnungsräumung Betroffene
oder Bedrohte "einzurichten", damit diese entweder die Zwangsräumung
abwenden oder sozialtherapeutisch mit den Familien so arbeiten, daß
es nicht zum sozialen Problem wird und das Ganze leise über die Büh-
ne geht.
Damit hängt die Tendenz zusammen, die Aufgaben genauer zu beschrei-
ben und auch quantifizierbar zu machen. Von vielen Kollegen und Kol-
leginnen wird diese Tendenz noch nicht gesehen, sondern bislang als
Hilfe betrachtet, indem Arbeitsvorgänge und Arbeitsplätze genauer
beschrieben werden, wohl auch in der Hoffnung, irgendwann einmal
höhergruppiert zu werden. Tatsächlich bedeuten solche "Hilfen" eine
stärkere Einflußnahme und eine besondere Art von Rationalisierung
im Sinne von Effektivierung verwaltungsmäßiger Abläufe. Sozialar-
beit wird so von ihrem bißchen fortschrittlichen Habitus befreit und
in den Vollzug eingegliedert. Damit die Sozialarbeiter das auch
nicht so merken, wird das Ganze natürlich begleitet mit sozialthe-
rapeutischen Zusatzausbildungen und ähnlichen Sachen.
NEUORGANISATION DER SOZIALEN DIENSTE IN HAMBURG
In Hamburg gibt es seit über 10 Jahren Überlegungen zur Neuorganisa-
tion der Sozialen Dienste. Erst 1970 waren in einer groß angelegten
Reformaktion die Schul- und die Jugendbehörde in einer Behörde für
Schule, Jugend und Berufsbildung (BSJB) zusammengefaßt worden. Im
Hamburger Jugendbericht von 1973, von dem man in der Chefetage
der Behörde bald nach seinem Erscheinen am liebsten nichts mehr hö-
ren wollte, wurde dies richtig so begründet:
"Schule, Berufsbildung und Jugendhilfe ergänzen oder durchdringen
einander und sind auf ein enges Zusammenwirken angewiesen. Um ihre
Aufgaben aus einem Gesamtverständnis von Bildung, Erziehung zu erfül-
len, haben Senat und Bürgerschaft die Behörde für Schule, Jugend
und Berufsbildung geschaffen. Die Aufgaben der Jugendhilfe leiten
sich aus den allgemeinen Zielen von Bildung und Erziehung ab. Auch
das sozialfürsorgerische Wirken im Rahmen der Jugendhilfe ist päda-
gogisch bestimmt."
20
Doch schon ab 1974 begann die in Hamburg regierende SPD sich in
programmatischen Aussagen wie Wahlprogramm, Koalitionsvereinbarung
und Regierungserklärung von diesem Konzept zu distanzieren. Damit
endlich "Mitwirken und Mitentscheiden in allen gesellschaftlichen
Bereichen" (SPD-Landtagswahlprogramm 74) für den Bürger möglich
würde, sollten die Bezirksversammlungen gestärkt werden, (Im Stadt-
staat Hamburg fällt die kommunale Entscheidungsebene weitgehend un-
ter den Tisch. Die eigentlichen Kompetenzen liegen bei zentralen
Fachbehörden). Vernünftigerweise sollten Fragen, die nur den Bezirk
betrafen, auch dort entschieden werden. So hatten die Fachbehörden
Kompetenzen an die Bezirke abzugeben. Dies galt gerade für den Be-
reich der Sozialen Dienste. Entsprechend der Verwaltungslogik wur-
de in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, den Jugendhilfebereich aus
der BSJB auszugliedern und der Arbeits- und Sozialbehörde (AuSB) zu-
zuordnen, die dann Behörde für Arbeit, Jugend und Soziales (BAJS)
heißen sollte. Dies sei notwendig, damit die Bezirke zukünftig in
Fragen der Sozialen Dienste nur noch einen zentralen fachbehördli-
chen Ansprechspartner hätten. Die damit verbundene Gefahr einer Ver-
schiebung der inhaltlichen Schwerpunktsetzung in der Jugendhilfe
war zu keinem Zeitpunkt Gegenstand der offiziellen Betrachtungswei-
se. Es wurde vielmehr so argumentiert, als ob ein längst fälliger
selbstverständlicher Zustand hergestellt werden müsse:
"gine Zuordnung des Amtes für Jugend zur Arbeits- und Sozialbehörde
ist vor allem auf Grund des engen Sachzusammenhanges geboten, wie
er sich aus der gemeinsamen Rechtsentwicklung für die Jugend- und
die Sozialhilfe ergibt. Jugend- und Sozialhilfe sind vor allem un-
ter dem grundgesetzlichen Gebot der familiengerechten Förderung eng
miteinander verbunden. Deshalb ist bei den inhaltlich zusammenhän-
genden Fragen des Jugend- und Sozialwesens die Konzentration der
fachlichen Lenkung auf die Arbeits- und Sozialbehörde von erhebli-
chem Vorteil." (Wochendienst der staatlichen Pressestelle Hamburg,
9.2579)
1978 wurde die Neufassung des Hamburger Bezirksverwaltungsgesetzes
verabschiedet, in dem die Vorstellungen der SPD von Bürgernähe
ihren Niederschlag fanden. Damit wurde die Realisierungsphase für
die Neustrukturierung der Sozialen Dienste eingeleitet.
Die bei vielen Kollegen vorhandene Freude über den vermeindlichen
Schritt in der Verwaltung zur Dezentralisierung der Entscheidung
und zur Konzentration der Fachaufgaben am Ort verflog schnell, als
deutlich wurde, daß es hier nicht um eine inhaltliche Neugestaltung
der Sozialen Dienste gehen sollte, sondern lediglich um eine verwal-
tungslogische Neuzuordnung. Das Vorgehen des Senats und der Behörden-
spitzen bei der Durchsetzung ihres Konzepts war dubios.
Es gab 1978 und 1979 zwei öffentliche Anhörungen zur NOSD des zustän-
digen bürgerschaftlichen sozialpolitischen Ausschusses, die von der
Fachöffentlichkeit her gut besucht waren: viel herausgekommen ist
allerdings nicht. Die zuständigen Senatoren (...der früheren Ar-
beits- und Sozialbehörde und Behörde für Schule, Jugend und Berufs-
bildung sowie der Behörde für Bezirksangelegenheiten, Naturschutz
und Umweltplanung) und deren Fachvertreter nahmen nur ausweichend
Stellung zu den Einwendungen der Fachbasis und der vom Ausschuß ge-
ladenen Fachverbände. Massive Kritik an der miesen Öffentlichkeits-
arbeit und unzulänglichen Informationsbereitschaft wurde "zur Kennt-
nis" genommen. Es wurde klar, daß Senat und Verwaltung nicht bereit
21
waren, auf Einwände einzugehen oder sie gar zu berücksichtigen.
Auch auf den zur NOSD einberufenen Personalversammlungen der
betroffenen Fachbehörden, and denen die zuständigen Senatoren
teilnahmen, änderte sich an dieser Haltung erwartungsgemäß nichts.
Innerbehördliche Arbeitsgruppen unter Beteiligung der Fachbasis
liefen erst zur Regelung von Detailfragen, nachdem die Grundsatz-
entscheidungen gefällt waren.
Dennoch regte sich kein nennenswerter Widerstand. Das mag daran lie-
gen, daß Strukturfragen von Sozialarbeitern häufig als unwesentlich
für ihren Arbeitsbereich abgetan werden, oder an dem mangelnden
Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten gegenüber dem Apparat ("Wir
können ja doch nichts machen, wenn die Behördenspitze es bestimmt
hat."), z.T. aber sicher einfach an der Trägheit vieler Kollegen
("Am besten, es bleibt alles, wie es war, dann komme ich am besten
zurecht.''). Besonders enttäuschend war die praktische Abstinenz der
gewerkschaftlichen Gruppen, die zwar frühzeitig Papiere zum Problem
verfaßt hatten, sich aber in der entscheidenden Phase nicht zum mas-
siven Eingreifen entschließen konnten (z.B. über die Personalräte).
Grund hierfür mag sein, daß jedenfalls für den Stadtstaat Hamburg
ÖTV und SPD nahezu identische Interessen vertreten, was sich inner-
halb der Verwaltung inhaltlich wie auch personell als Filzokratie
bemerkbar macht. Zudem haben in der ÖTV die Kollegen aus den Szia-
len Diensten, vor allem die Sozialarbeiter/Sozialpädagogen und die
Erzieher keine Lobby, was sich eben auch in der Durchsetzung ihrer
Forderungen auf gewerkschaftlicher Ebene als Nachteil erweist. Auch
die GEW hat es nicht verstanden, ihre Vorstellungen bzgl. der NOSD
durchzusetzen, was damit zusammenhängen mag, daß sie traditionell
eher die Interessen ihrer Mitglieder in den Schulen und Hochschulen
vertritt und erst in den letzten Jahren Tendenzen sichtbar sind,
daß verstärkt Sozialarbeiter/Sozialpädagogen und Erzieher in der
GEW ihre Interessensvertretung sehen.
Also konnten die Änderungen mit leichter zeitlicher Verschiebung am
1.3.1980 in Kraft treten:
® Das Amt für Jugend wurde in seiner bisherigen Form aufgelöst. We-
sentliche Aufgaben gingen an die Bezirke über. Ein Rumpf-Landes-
jugendamt wurde in die neue BAJS eingegliedert, dazu gehören als
wesentlichster Bestandteil die städtischen Kindertagesheime.
© Als "Kernstück der Reform" propagiert, wurde die Leitstelle für
Soziale Dienste als eigenständiges Amt in der BAJS gebildet, das
Koordinations- und Lenkungsaufgaben sowie konzeptionelle und Auf-
gaben der Aus- und Fortbildung wahrnimmt. Hier wurden auch die
außendienstlichen Aufgaben angesiedelt, die man nicht den Bezirken
überlassen wollte (Vorbehaltsaufgaben), wie die Betreuung von 0b-
dachlosen, Aussiedlern usw.
® Die praktische Sozialarbeit wurde den Bezirken zugeordnet.
Dazu wurden die bisherigen Sozialdezernate in den Bezirksämtern
zu Jugend- und Sozialdezernaten erweitert. Sie setzen sich zusam-
men aus den Bezirksjugendämtern (bisher Außendienststellen der
zentralen Fachbehörde), den Ämtern für Soziale Dienste (neu ge-
schaffen), den Sozialämtern und den Ausgleichsämtern. Den Bezirks-
22
jugendämtern verbleiben außer dem jugendfürsorgerischen Außen-
dienst alle bisherigen Aufgaben einschließlich des oanbea
Dazu kommen Angelegenheiten der bezirklichen Jugendförderun (Be-
zirksjugendreferent), Jugendfreizeitstätten und Sii
Den Ämtern für Soziale Dienste wurden die Familienfürsorge Ju end-
fürsorge/Außendienst und sozialtherapeutische ee pi
ordnet. Ein Amt für Soziale Dienste ist in regionalen Arbeits k I
pen (RAG) organisiert, in denen Kollegen der Jugendfürsorge Banker
lienfürsorge und der sozialtherapeutischen Gruppenarbeit a
einem leitenden Sozialarbeiter zusammenarbeiten sollen. Die Ein-
zugsbereiche der RAG entsprechen den bisherigen Oberfürsorgerin-
nen-Bezirken. Die Leitung wird i.d.R. von den Ofüs gestellt. Zu-
ständigkeitskriterien wie Alter und Geschlecht wurden abgeschafft.
Über eine vorgesehene Erweiterung des Zeichnungsrechtes ist noch
nicht entschieden. Kollegen der Innendienste und der Sozialämter
wehren sich z.T. dagegen, Kompetenzen abzugeben. Kollegen der
Außendienste sehen teilweise eine zu starke Arbeitsbelastung auf
sich zukommen.
Die Landesjugendplanmittel werden jetzt nicht mehr ausschließlich
zentral von der Fachbehörde verwaltet. Einige Positionen wurden
an die Bezirke abgegeben, die hier jedoch noch weitergehende Zu-
ständigkeiten fordern.
Eine weitere wichtige Änderung ist die Einrichtung von Bezirksju-
gendwohlfahrtsausschüssen, die entsprechend der Maßgabe des JWG
zusammengesetzt sınd, was für Hamburg durchaus keine Selbstver-
ständlichkeit ist. Bisher wurde das JWG in diesem Punkt umgangen.
Es gibt keinen Landesjugendwohlfahrtsausschuß. Seine Aufgaben
nimmt die Deputation wahr, die sich aus dem zuständigen Senator,
einem Vertreter der Finanzbehörde (!) und von der Bürgerschaft ge-
wählten Deputierten zusammensetzt. Die Vertreter der Freien Trä-
ger wurden in den Ausschuß zur Förderung der Jugendwohlfahrt ab-
gedrängt, der lediglich beratende Funktion hat.
Bei der Beurteilung der Änderungen ist im Wesentlichen nicht das zu
kritisieren, was sich geändert hat, sondern,daß sich vieles nicht
geändert hat:
Die Hierarchisierung in den Sozialen Diensten wurde in keinem
Fall angeknackt.
Die Trennung von Innen- und Außendienst besteht immer noch.
Die Trennung von Jugendförderung und Jugendfürsorge wurde in die
bezirklichen Jugend- und Sozialdezernate übernommen.
Der Arbeitsbereich der Sozialen Dienste wurde nicht über seine
traditionellen Grenzen hinaus erweitert (z.B. durch Integration
von Aufgaben aus dem Bildungs-, stadtplanerischen und sozialme-
dizinischen Bereich).
Die offiziell propagierte inhaltliche Einbindung der Jugendhilfe
in den Bereich Erziehung und Bildung wurde nicht in der Praxis
realisiert, sondern in den Bereich Therapie und Sozialhilfe weg-
definiert.
Doch es reicht nicht aus, den versäumten Möglichkeiten einer Reform
nachzutrauern. Jetzt muß es darum gehen, verbliebene oder neue Spiel-
räume
auszuloten. Dabei stehen die RAG im Mittelpunkt der Betrach-
23
tung. Hier müssen neue Arbeitsmethoden und Möglichkeiten der Koope-
ration mit Gruppen und Institutionen im Stadtteil entwickelt werden.
Die Entwicklung von neuen Arbeitsmethoden wird eingeengt durch Vor-
gabe von gesetzlichen Bestimmungen, betrieblichen Regelungen und Ar-
beitsplatzbeschreibungen, wie auch durch die Aufrechterhaltung der
hierarchischen Struktur.
Positiv ist die Aufhebung der Trennung von Familienfürsorge und
Jugendfürsorge. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit zur engeren
Zusammenarbeit in kleinen, überschaubaren Gruppen, was eine größere
Durchsetzungsfähigkeit in der Hierarchie bedeuten könnte. Ferner
können durch die bezirkliche Zuordnung der Sozialen Dienste stadt-
teilbezogene Aspekte verstärkt in die Arbeitsweise einbezogen wer-
den. Das hieße, die isolierte Fallbearbeitung der klassischen So-
zialarbeit zu durchbrechen, indem mit anderen Gruppierungen wle
Bürgerinitiativen, freien Trägern und anderen Dienststellen zusammen-
gearbeitet wird, z.B. durch die Bildung stadtteilbezogener Arbeits-
gemeinschaften, die offen für jeden im Stadtteil Engagierten sind.
Hierdurch sollte erreicht werden, daß der Einfluß der Betroffenen
auf Behörden und Gremien erweitert wird und entsprechende Interven-
tionen von einer möglichst breiten Basis getragen werden. Die Mög-
lichkeiten, die die Bezirksjugendwohlfahrtsausschüsse dabei bieten,
müssen noch erprobt werden. Als erster Schritt ist es notwendig
durchzusetzen, daß diese Ausschüsse öffentlich tagen.
Für eine fundierte Arbeit der RAG im Stadtteil ist zunächst eine Ar-
beitsfeldanalyse erforderlich, die die Wohn-, Bevölkerungs- und In-
frastruktur, die Stadtentwicklungsperspektiven sowie die Möglich-
keiten der Kooperation erfaßt. Daraus muß ein Bedarfsplan entwik-
kelt werden, der die Schwerpunkte der stadtteilbezogenen Arbeit so-
wohl im Aktuellen wie auch im Prophylaktischen festlegt. Der Bedarfs-
plan kann dann kompetente Grundlage für Forderungen gegenüber Be-
hörden und Gremien sein. Dabei muß der Bereich der Spezialpräven-
tion und der generellen Prophylaxe wesentlich stärker als bisher be-
achtet werden, will die Sozialarbeit nicht in defizitären Arbeits-
bereichen verharren, Eine weitere dringende Notwendigkeit für die
RAG ist die Verlagerung der Supervision auf externe Supervisoren.
Auf keinen Fall sind hiermit Vorgesetzte zu betrauen, wie dies in
einem Papier der Hamburger Ofüs vorgeschlagen wird. Es sollten fer-
ner Fortbildungsveranstaltungen bei Anrechnung auf die Arbeitszeit
durchgeführt werden, in denen die Voraussetzungen Zur Teamarbeit
geschaffen werden können. Hinzu käme die Auswahl einiger RAG als
Projekte, in denen neue Arbeitsmethoden unter wissenschaftlicher Be-
gleitung erprobt und ausgewertet werden.
Alle bisher aufgeführten Aspekte können nur dann inhaltlich ausge-
füllt werden, wenn kooperatives Arbeiten mit anderen Dienststellen
wie Sozialamt und Jugendamt enger gefaßt werden als vorgesehen.
Wie genau die Kompetenzen zwischen RAG und Sozialamt abgegrenzt wer-
den, steht noch zur Debatte. Fragen, wie die der Bewilligungsbefug-
nis sollten sorgfältig ausdiskutiert werden, damit eine Frontenbil-
dung zwischen Sachbearbeitern und Sozialarbeitern einem gemeinsamen
Vorgehen nicht im Wege steht. Hier könnte die Erfahrung der Alten-
hilfe, die bereits Bewilligungsbefugnisse hat, ausgewertet und ge-
nutzt werden.
Lücken hinsichtlich der Kooperation sind ebenfalls zwischen dem Amt
24
für Soziale Dienste und dem Bezirksjugendamt zu sehen. Hier sollten
regelmäßige Treffen der Kollegen initiiert werden, um die alte Tren-
nung zwischen präventiver und defizitärer Sozialarbeit abzuschwächen,
gerade weil der Außendienst Informationslieferant für eine Ursachen-
analyse und letztlich für die Einleitung präventiver Maßnahmen ist.
Die Kooperation aller dem Jugend- und Sozialdezernat unterstehenden
Dienststellen muß besonders in der gemeinsamen gewerkschaftlichen
Arbeit der Kollegen in den Betriebsgruppen ihre Entsprechung finden,
so daß gemeinsame Forderungen gestellt und durchgesetzt werden kön-
nen.
Ausgehend davon, daß die Neustrukturierung der Sozialen Dienste
weniger inhaltlich-methodisch begründet ist, sondern vielmehr eine
Verwaltungsumstrukturierung darstellt, ist die tatsächliche inhalt-
liche Ausgestaltung in sehr starkem Maße von dem Engagement und der
Solidarität der Kollegen abhängig.
Dezeniwalisieru ng
Los, los rülser auf |
die andere Stkaßenseit? ı
\n MEINEM Sektor wi
ch Ruhe und Ordnung
DA
s
LEN
\-
Prokla
Zeitschrift für politische Ökonomie
und sozialistische Politik
BLAUPAUSE
FÜR DEN SOZİMLEN |
FRIEDEN
Modell Deutschland: aus der
Sicht des Auslands Einzelheft
Mit Beiträgen von; Markovits/Ertman — USA;
Bobbio, Bolaffi/Marramao,Kallscheuer- kalien; im Abo
Weill/Frettchen, Adler - Frankreich | DM 8.-
Außerdem; Hübner/Stanger zur Position der
SOST; Jäger zur Korporetismusdebatte; Rotbuch
Dokumentation: Maire - Gorz E Verlag
DOKUMENTATION DER PODIUMSDISKUSSION
Ziel der Podiumsdiskussion war es, neben Hamburger Probl A
Ngan auen grundsätzliche Aspekte zu Mein um ni he Bei AR
reinen Organisationsdiskussion stecken zu bleiben 1c ei der
Deshalb hatten wir zu dieser Veranstaltung sowohl Diskussionsteilneh-
ern auherhalb ale auch aus Hamburg eingeladen. Eher grundsätzlich
RER dann auch die Beiträge von Christian Marzalın (Uni ee ) und
Siegfried Müller (Uni Bielefeld/Neue Praxis), stärker auf di "a hi
burgar PAERBRNOR bezogen die von Verena Fasel (FH Hamburg) ii it
wernimge, (pensionierte Leiterin der Kuai eiar andun irehea nippi
Berge Hamburg) und Jens Peter Burmester (GEW). Vertreter der ÖTV
und der Arbeits- und Sozialbehörde hatten auf ungez Einladung nicht
einmal geantwortet, Senator Grolle von der Behörde für Schul 8 a
gend und Berufsbildung hatte wenigstens abgesagt. chule, Ju
Vor Beginn der Diskussion hatten wir unsere - schon im Einlad -
brief enthaltenen - Thesen noch einmal kurz erläutert Sie nieg Pa
halb hier zunächst als Dokument abgedruckt. Danach fol en die State-
ments der Podiumsteilnehmer, sodann Auszüge aus der en Beides
sind überarbeitete Tonbänder. Zum Schluß dokumenti ir di “einmü
angenommene Resolution. ieran wir die EÄMETE
27
THESEN ZUR NEUORGANISATION SOZIALER DIENSTE
IN HAMBURG
I. Warum ist das Thema wichtig für uns?
Zum 1.1.1980 sollen die Sozialen Dienste (genauer: nur ein Teil) neu orga-
nisiert werden. Neu wird dabei in erster Linie die Zuordnung von Verwal-
tungsstrukturen sein (sh. Teil 2). Ein neues Amt wird geschaffen (Amt für
Soziale Dienste), ein altes fast aufgelöst (Amt für Jugend), neue Hierarchie-
ebenen geschaffen (Jugend- und Sozialdezernat) und das ganze in eine Be-
zirksreform eingebettet. . f
Ehrlicherweise wird in der ganzen Flut von Papieren nicht darauf eingegan-
gen, was denn diese Neuzuordnung der Bevölkerung nützt. Floskeln wie
“Bürgernähe” und “Nähe zum Klienten” verdecken nicht einmal notdürf-
tig, worum es vor allem geht: entweder um die Erhaltung des status quo
(so z.B. in einem Papier der Bezirksjugendamtsleiter, die eine Beschneidung
ihrer Kompetenz befürchten) oder um dessen Änderung, wobei vor allem
mittel- und langfristige Statusverbesserungen angestrebt werden. So liest
sich ein Vorschlag der Oberfürsorgerinnen fast wie ein Höhergruppierungs-
antrag.
Einzig hinter dem Begriff “Regionale Arbeitsgruppe” (RAG) verbirgt
sich noch ein reformerischer Aspekt, wenn auch die rein verwaltungslogi-
sche Behandlung dieses Themas viele hat resignieren lassen. f
Wenn allerdings die RAG nicht nur ein neues Etikett für die im ganzen
kaum veränderte Arbeitssituation sein soll und der bisherigen FaF ü-Gruppe
nicht nur Kollegen/innen aus der bisherigen Jugendfürsorge, Altenfürsorge
und Sozialtherapeutischen Gruppenarbeit zugeordnet werden sollen, so
liegt gerade hier die Möglichkeit, doch noch initiativ zu werden.
Dies ist deshalb auch der Ansatzpunkt unserer Veranstaltung: Was
ist “unterhalb” der bürokratie-internen Neuzuordnung an fortschrittli-
cher Arbeit in den RAG möglich? Welche Forderungen und welche Per-
spektiven sollten und können verfolgt werden?
Um über die bürokratiekonforme Diskussion um Stellenplan und -zuordnung,
Fach- und Dienstaufsicht, Zeichnungsrecht usw. hinauszugehen, ist es sinn-
voll, an die fortschrittlichen Inhalte der Reformdiskussion um die Neuorga-
nisation der Sozialen Dienste zu erinnern. Die wichtigsten Aspekte lassen
sich exemplarisch an den Forderungen einer Berliner Sozialarbeitergruppe
in der dortigen Familienfürsorge Anfang der siebziger Jahre aufzeigen:
(vgl. Info Sozialarbeit Nr. 5).
1. Statt traditioneller Einzelzuständigkeit Gesamtzuständigkeit der Gruppe
Um die Vereinzelung in der täglichen Arbeit und die Zerschneidung zusam-
mengehörender Arbeitsvorgänge zu beenden, entscheidet die Gruppe über
Arbeitsaufteilung und Schwerpunktsetzung. Damit wird eine grundlegende
Änderung der Arbeitsbeziehungen nach innen und nach außen und eine höhe-
re Zufriedenheit am Arbeitsplatz möglich.
2. Keine hierarchische Aufteilung: Statt Gruppenleiter (OFü) gewählte Ver-
treter
Die Neubestimmung der Kontrollstruktur erweitert die Handlungsspielräu-
me der Gruppe und des einzelnen, denn die faktisch wirksamste Aufgabe
einer herausgehobenen Leitungsfunktion, nämlich die Durchsetzung insti-
tutioneller Normen, wird damit zumindest erschwert.
3. Abschließendes Zeichnungsrecht der Gruppe (bis auf wenige Ausnahmen)
Damit vergrößert sich die Autonomie der Gruppe von anderen Einrichtun-
gen und den oberen Hierarchieebenen, d.h. die Problemdefinition erfolgt in
erster Linie nicht von “oben” oder von “außen”, sondern aus den Lebenszu-
sammenhängen des Stadtteils, in dem die Gruppe arbeitet.
4. Aufhebung von Innen- und Außendienst
Durch die Zuordnung von Verwaltungskräften zur Gruppe und durch die
Verwaltung der eigenen Akten verringert sich der Kontrollcharakter der Ak-
ten und ihr ““Gebrauchswert’’ als Informationsträger gewinnt an Bedeutung.
5. Schwerpunktsetzung je nach den Erfordernissen der benachteiligten
Gruppen im Stadtteil
Ziel der unter 1. - 4. beschriebenen Veränderungen ist es, eine alternative
Kontaktaufnahme zur Bevölkerung zu bekommen. Der (fast) einzige Zugang
zum “Klienten” erfolgt normalerweise über die (von anderen) definierten
individuellen Defizite. Hier ist es — über die gesetzlichen Aufgaben hinaus —
möglich, an den kollektiven Problemlagen im Stadtteil anzusetzen (Mietpro-
bleme, Schulprobleme, arbeitslose Jugendliche ...). Damit wird zugleich
auch eine tatsächliche Einheit der Jugendhilfe möglich statt einer bürokra-
tischen, wo Jugendfürsorge und Jugendförderung zwar im gleichen Amt an-
gesiedelt sind, aber sonst nichts miteinander zu tun haben.
Fazit:
Eine derart veränderte Arbeit hat Auswirkungen auf alle anderen Bereiche
der Sozialarbeit:
® Sozialtherapeutische Gruppenarbeit und Sozialpsychiatrischer Dienst
könnten integriert werden.
® Die Praxis der Fremdplazierung könnte modifiziert werden durch Ein-
richtungen im Stadtteil (Jugendwohngemeinschaften, Pflegestellen...).
® Das Verhältnis zum Sozialamt könnte neu bestimmt werden (z.B. Sozial-
hilfeentscheidungen dem Grunde nach).
Insgesamt würde eine derartige, tatsächliche Neuorganisation Sozialer Dien-
ste die Funktion der Sozialarbeit als Sozialisationsinstanz vergrößern und
ihre Kontroll- und Auslesefunktion verringern.
Übrigens:
Das Berliner Vorhaben wurde nach drei Monaten eingestellt. Die Gruppe
wollte sich ganz auf die Seite der Betroffenen stellen und “vergaß” dabei,
daß sie — auch bei neu konzipierter Arbeit — staatliche Lohnabhängige sind,
ein struktureller Konflikt, der auch bei einer Neuorganisation nicht über-
sprungen werden kann. Als die Sozialarbeiter im Amt Flugblätter gegen die
Praxis der Wohnraumvergabe verteilten und damit gegen eine andere Ab-
teilung ihres Amtes öffentlich Stellung nahmen, kam das Faß zum Überlau-
fen und der “Modellversuch” wurde aufgelöst. Es gab Versetzungen und En
Entlassungen.
II. Zusammenfassung der wichtigsten geplanten Änderungen
Ab 1.1.1980 wird es das Amt für Jugend in der bisherigen Form nicht mehr
geben. Einerseits werden Teile des Amtes wie Grundsatzfragen, fachliche
Lenkung und landesjugendamtliche Aufgaben einer anderen Behörde —
Arbeits- und Sozialbehörde — zugeordnet. Andere Teile werden dezentrali-
siert und den sieben Hamburger Bezirksämtern angegliedert. Im Rahmen der
Bezirksverwaltungsreform erhalten die einzelnen Bezirksämter mehr Kom-
petenzen und neue Organisationsstrukturen.
Auf Bezirksamtsebene wird das bisherige Sozialdezernat zu einem Jugend-
und Sozialdezernat erweitert. Darin sind das Bezirksjugendamt (bisher be-
zirkliche Außenstelle der Fachbehörde — Amt für Jugend —), das Amt für
Soziale Dienste (wird neu geschaffen), das Sozialamt und das Ausgleichs-
amt zusammengefaßt. Dem Amt für Soziale Dienste werden die derzeitigen
Aufgaben der Familienfürsorge, der Jugendfürsorge/Außendienst, der Alten-
fürsorge und wahrscheinlich auch der sozialtherapeutischen Gruppenarbeit
zugeordnet. Den Bezirksjugendämtern verbleiben außer dem jugendfürsor-
gerischen Außendienst alle bisherigen Aufgaben; also auch der jugendfürsor-
gerische Innendienst. Zusätzlich erhalten sie die Dienststellen Jugendfrei-
zeitstätten, Elternbildungsstätten, Angelegenheiten der bezirklichen Jugend-
förderung und Erziehungsberatungsstellen.
Innerhalb des Amtes für soziale Dienste bilden die bisherigen Oberfürsorge-
rinnen-Bereiche der Familienfürsorge sogenannte ‘Regionale Arbeitsgruppen’,
deren Leiter (Leitender Sozialarbeiter lie Oberfürsorgerinnen werden.
Die bisher wichtigsten bekannten Änderungen werden sein:
® Auflösung der bisher nach Alter und Geschlecht vorgenommenen Tren-
nung der Betreuung von Kindern und Jugendlichen (soweit nicht auf-
grund von Spezialisierung der RAG-Mitarbeiter diese Trennung in der
Praxis aufrechterhalten wird);
® die Sozialarbeiter erhalten Zeichnungsvollmacht (der Umfang ist aller-
dings noch ungeklärt; Widerstand der Mitarbeiter der Sozialämter sowie
des jugendfürsorgerischen Innendienstes);
® die Jugendhilfe wird dekonzentriert auf die einzelnen Bezirke;
@ ein Teil der Haushaltsmittel, die bisher das Amt für Jugend zentral ver-
gab, werden auf die sieben Bezirke verteilt und dort in Selbstverwaltung
vergeben;
® auf der Bezirksebene werden Jugendwohlfahrtsausschüsse eingerichtet;
® die Mitarbeiter des Amtes für Soziale Dienste und des Bedzirksjugendamtes
sind einheitlich bei der Bezirksverwaltung angestellt;
@ es werden neue Hierarchien und Aufsichtsstrukturen geschaffen.
III. Beurteilung der geplanten Neuorganisation und Konsequenzen
daraus
Ausgehend von den grundsätzlichen Überlegungen (Teil I) und den z.Zt. be-
kannten Änderungen (Teil II) sollen nun Kritik und Forderungen in drei
Punkten präzisiert werden:
1. Hierarchie/Arbeitsform
Wird die Hierarchie der Sozialen Dienste abgebaut?
Werden neue Arbeitsformen ermöglicht?
® Einschätzung:
Die geplante Veränderung wird im wesentlichen eine Neuzuordnung sein.
Es wird nicht keine oder weniger, sondern in vielen Fällen nur neue Vorge-
setzte geben. Dies kann im Einzelfall durchaus eine Verbesserung bedeuten,
ist aber nicht von strukturellen, sondern von personellen Kriterien abhän-
gig und somit weitgehend zufällig. Im Amt für Soziale Dienste wird unter
dem Etikett Regionale Arbeitsgruppe (RAG) Teamarbeit angekündigt.
Teamarbeit wird hier aber unter dem Vorzeichen Effektivierung stehen und
nicht für weitgehende Entscheidungsautonomie in der Gruppe. Die RAG
werden als feste Leitung eine Oberfürsorgerin/einen Oberfürsorger (leitender
Sozialarbeiter) haben. Das Festhalten an Leitungsfunktionen könnte im Be-
reich der Jugendförderung auf die Spitze getrieben werden, wo in einigen
Bezirken u.U. bei zwei Mitarbeitern der eine Leiter, der andere Sachbearbei-
ter sein wird.
Forderung:
Es sollen überschaubare Arbeitseinheiten geschaffen werden, in denen Team-
arbeit durch ausreichende Zeit für Mitarbeiterbesprechungen und durch Ro-
tation der Koordinationsfunktion ohne Leitungsbefugnisse als Vorausset-
zung ermöglicht wird. Die Arbeitseinheiten sollen weitgehende Entschei-
dungsautonomie nach außen haben (Dezentralisierung der Entscheidung).
Das bürokratische Argument, daß letztlich einer entscheiden müsse, stimmt
nicht. Selbst die KGSt (Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungs-
vereinfachung, ein Verein, in dem über 700 Städte und Kreise zusammenge-
schlossen sind) sieht durchaus die rechtliche Möglichkeit, Gruppen Entschei-
dungskompetenz — incl. “Haftung” — zuzubilligen.
2. Kompetenz der Basis (sachliche Zuständigkeit/Zugang zum “Klientel”)
Wird durch Zusammenfassung und Neuzuschreibung von Aufgaben die Par-
zellierung der Arbeitsfelder und der Zugang zum Klientel positiv verändert?
® Einschätzung:
Eine Zusammenfassung der bisherigen Arbeitsfelder aus den Bereichen Ju-
gendhilfe und Soziale Dienste findet nicht statt. Der Gedanke an eine Neu-
zuschreibung (z.B. aus dem Bereich der Stadtplanung) scheint geradezu uto-
pisch vermessen. Die Parzellierung der Arbeitsfelder bleibt bestehen bzw.
wird verstärkt, u.a. durch die jetzt auch formal vollzogene Trennung der Be-
reiche Soziale Dienste, Jugendhilfe auf der einen, Bildung, Schule auf der
anderen Seite. Der Zugang zum Klientel (gerade auch im Arbeitsbereich
der RAG) findet somit im wesentlichen weiterhin über Verwaltungsakte in.
individuellen, defizitären Lebensbereichen statt.
Forderung:
Die sachliche Zuständigkeit der zu schaffenden dezentralen Arbeitseinhei-
ten darf nicht auf die traditionellen Arbeitsfelder der Sozialen Dienste, die
sich hauptsächlich mit individuellen Defiziten beschäftigen, eingeschränkt
bleiben. Die Neuzuschreibung von Aufgaben aus dem Bildungs-, städteplane-
rischen und sozialmedizinischen Bereich und die Integration der bisher par-
zellierten Arbeitsfelder soll eine Einzelfall- und Arbeitsfeld-übergreifende
e Schwerpunkte aus kollektiven
(stadtteilorientierte Sozial-
Handlungsperspektive ermöglichen, die ihr S
Problemlagen der Stadtteilbevölkerung herleitet
arbeit).
3. Strukturprinzip:
Wird durch die Wahl eines ortsbezogenen Strukturprinzips ein überschau-
barer Bezugsrahmen für die betroffenen Sozialarbeiter und Bewohner ge-
schaffen?
® Einschätzung:
Die stärkere Anbindung der Sozialen Diens
tralisierungsmaßnahme unter dem Postulat erna F
schritt anzusehen (z.B. Bezirksversammlung als zuständige Vertretungskör-
perschaft, Einrichtung von Bezirksjugendwohlfahrtsausschüssen). Dennoch
sind die Bezirke immer noch zu große Einheiten, um in ihrem Rahmen tat-
sächlich Bürgernähe realisieren zu können. Dazu setzt sich auch im Rahmen
der Bezirke die ressortbezogene Struktur gegenüber der ortsbezogenen als
Untergliederungsprinzip durch.
te an die Bezirke ist als Dezen-
der Bürgernähe zunächst als Fort-
Forderung:
Die zu schaffenden Arbeitseinheiten müssen ortsbezogen eingerichtet werden
mit Sitz im Einzugsbereich. Dabei ist nicht von bestehenden Verwaltungs-
grenzen auszugehen, sondern von der sozio-ökonomischen Struktur, den hi-
storischen und geographischen Gegebenheiten eines Stadtteils — insgesamt
also von den Lebenszusammenhängen der Bevölkerung.
Schlußbemerkung:
Die hier formulierten Anforderungen an eine Neustrukturierung der Sozia-
len Dienste stimmen in vielen Punkten mit den Aussagen der ÖTV in ihren
Thesen zur Neustrukturierung vom April 74 (!) überein. Es handelt sich
keinesfalls um Maximalvorstellungen, sondern um Reformvorschläge. Den-
noch lassen sich derartige Vorstellungen nicht bei Kostenneutralität (unter
deren Vorzeichen die jetzigen Pläne stehen) realisieren, sondern erfordern
einen erheblichen Mehraufwand, insbesondere durch Neuschaffung von
Stellen, Freistellungen für Fort- und Weiterbildung, wissenschaftliche Beglei-
tung u.ä. Langfristig sind derartige Investitionen kostengünstiger als die Ver-
waltung des derzeitigen Mangels. Allerdings darf es nicht bei derartigen For-
derungen bleiben. Nur wenn die Sozialarbeiter an der Basis politische und
fachliche Vorstellungen für die eigene Arbeit entwickeln, werden sich fort-
schrittliche Aspekte der Neuorganisation durchsetzen lassen und negative
Folgen wie Rationalisierung und bürokratische Effektivierung abwenden
lassen.
Wer dieses Papier bis hierher gelesen, wird sich vielleicht sagen: “Was soll’s,
die Sache ist sowieso gelaufen. Wir haben jahrelang diskutiert und es ist
nichts dabei herausgekommen. Und jetzt ist es sowieso zu spät. Alles ist ja
längst festgelegt”. Sicherlich ist es ein zwar nie formuliertes, aber dennoch
wirksames Ziel in der Diskussion um die Neuorganisation Sozialer Dienst
gewesen, fortschrittlichen Sozialarbeitern eine Spielwiese zu geben und sie
so in die Resignation zu treiben. Wir sollten dieses Spiel nicht mehr mitma-
chen, denn eine neue Organisation wird keine “neue” Sozialarbeit bringen.
Aber ob wir in unserer täglichen Arbeit uns weiterhin auf Einzelfälle be-
schränken lassen oder ob wir uns die Möglichkeit zu arbeitsfeld- und einzel-
fallübergreifender Arbeit erkämpfen, hängt zunächst auch von uns ab.
PODIUMSDISKUSSION
@ Christian Marzahn (Uni Bremen):
Ich habe vier Punkte, und zu denen möchte ich etwas ausführen. Er-
stens finde ich die Thesen des AKS Hamburg zur Neuorganisation Sozia-
ler Dienste außerordentlich eindrucksvoll. Ich wünsche mir sehr, daß
diese Thesen über die Hamburger Situation hinaus Verbreitung finden,
weil sie Probleme betreffen, die die Sozialarbeit in der Bundesrepu-
blik insgesamt beschäftigen, wenn auch mit unterschiedlicher Intensi-
tät. Nicht zuletzt wegen der Verunsicherung zahlreicher Kolleginnen
und Kollegen wünsche ich mir, daß diese Thesen etwas Licht in die Fin-
sternis der zahlreichen Organisationsversuche hineinbringen.
Zweitens finde ich diese Thesen deshalb gut, weil sie in Erinnerung
bringen, daß die Neuorganisation Sozialer Dienste kein Produkt der
allerletzten Jahre ist, sondern das historische Resultat einer schon
lang andauernden Diskussion, die sich aus ganz unterschiedlichen
Strängen speist. Mit der vor allem auch politischen Neubestimmung
und Kritik der Sozialpädagogik Ende der sechziger Jahre war die Kri-
tik an der gegenwärtigen Situation der Sozialarbeit verbunden, ins-
besondere eben an den Problemen, die sie sich selber schafft durch
ihre institutionelle Entferntheit von den sozialen Problemen, auf
die sie sich doch angeblich bezieht - eben Problemen, die sie durch
die Aufteilung zusammenhängender Situationen und Problemlagen in
unterschiedliche Kompetenzen und Institutionen selbst mit verursacht.
Deutlich wird das insbesondere daran, daß für die Sozialarbeit tra-
ditioneller Prägung eine soziale Problemlage erst dann handhabbar
wird, wenn sie in einen Fall umdefiniert werden kann. Welche ent-
scheidende Uminterpretation damit verbunden ist, das wissen die da-
mit sich täglich beschäftigenden Kolleginnen und Kollegen am besten.
Drittens finde ich diese Thesen deshalb besonders gut, weil sie im
Unterschied zu bestimmten Positionen, wie sie bisher eingenommen wor-
den sind, kein Entweder-Oder zur Neuorganisation Sozialer Dienste
zum Ausdruck bringen, sondern einen Versuch darstellen, die Neuor-
ganisation selber zu verstehen, die aus Widersprüchen innerhalb der
Organisation sozialer Dienste entsteht und selbst wiederum neue Wi-
dersprüche produziert. Die Widersprüche, aus denen sie resultiert,
habe ich kurz angesprochen. Die Probleme der Sozialarbeit als pro-
fessioneller Zugriff innerhalb besonderer Institutionalisierungsfor-
men sind Probleme, die heute in der Sozialarbeit insgesamt auch als
solche erkannt sind. Die Neuorganisation: ist aber selbst in ihrer
neuen Planung uneindeutig. Man braucht sich nur die Gliederungsplä-
ne anzusehen, um festzustellen, daß unterschiedliche Gruppen mit
einer derartigen Organisation unterschiedliche Interessen verbinden
‘oder zumindest verbinden können. Insofern, denke ich, muß man die
Neuorganisation als ein Zusammenlaufen unterschiedlicher Interessen
an der Veränderung der institutionellen Struktur der Sozialen Dien-
ste verstehen. Hierbei haben z.B. die Vertreter dieser institutio-
nellen Sozialarbeit andere Interessen als diejenigen Sozialarbeiter,
die mit ihrer Arbeit einen bestimmten inhaltlichen Anspruch verbinden.
Wiederum noch andere Interessen haben die von den Sozialen Diensten
Betroffenen selbst. Vor diesem Hintergrund scheint es mir eher er-
33
klärbar, wer welche Interessen in der Neuorganisation Sozialer Dien-
ste realisieren will.
Weiter läßt sich dann auch di
was von der Neuorganisation Soziale
schiedlichen Orientierungen gekoppe
arbeit als unterschiedliche professionelle Vorst
sind.
e Frage beantworten, wer hat eigentlich
r Dienste, wenn sie mit den unter-
lt sind, die heute in der Sozial-
ellungen zu finden
Der vierte Punkt betrifft eher ein spezielles Problem in der Neuor-
ganisation Sozialer Dienste. Wenn man mit den Institutionen der so-
zialen Versorgung stärker in den Stadtteil vordringt und wenn man
mit diesem Vordringen verbinden will, daß auch die Schwellenproble-
me des Betroffenen, die Zugangsprobleme zu den Instituionen vermin-
dert werden sollen-und das ist ja ein erklärtes Ziel-, dann kommt
man in eine organisatorische und inhaltliche Schwierigkeit, nämlich:
wie kann die notwendige Funktion, im Stadtteil allgemeines Auffang-
becken für alle Probleme zu sein (nur dann sind Schwellen wirklich
heruntergesetzt), verbunden werden mit dem Angebot spezialisierter
Hilfen, die im Hinblick auf spezielle Problemlagen unabdingbar sind.
Dieses Problem ist meiner Ansicht nach bei den bisherigen Überlegun-
gen zur Neuorganisation Sozialer Dienste kaum angepackt. Es besteht
deshalb die Gefahr, daß die herkömmlichen Kompetenzstrukturen ein-
fach nur eine Ebene heruntergesetzt werden, also in den Stadtteil
hinein, diese aber im Stadtteil als nebeneinanderstehende, speziali-
sierte Säulen weiter bestehen. Trifft das zu, ist meiner Ansicht nach
nicht sehr viel durch die Neuorganisation erreicht. P
Im Zusammenhang mit diesem Problem erscheint mir ein Blick nach Hol-
land außerordentlich nützlich. Bei den Holländern hat die Diskussion
um die Dezentralisierung Sozialer Dienste schon erheblich früher
angefangen als bei uns. Die haben dieses Problem von allgemeiner
Anlaufstelle im Stadtteil und spezialisierten Hilfsangeboten so zu
lösen versucht, daß sie die Organisation der Sozialen Dienste gewis-
sermaßen staffeln. Sie haben eine erste Staffel von Institutionen,
die nahezu unspezialisiert alle Probleme, die ihnen angetragen wer-
den, auch tatsächlich aufgreifen. Sie sind also offene Anlaufstel-
len für Leute mit allen Arten von Problemen. Eine ganze Menge, wahr-
scheinlich die Mehrheit der Probleme, kann auf dieser Ebene schon
angepackt und eventuell durch Beratung gelöst werden. Ein entspre-
chend zusammengesetztes Team kann auf dieser Ebene schon sehr viel
bewirken. Andere Probleme aber sind dort nicht zu lösen, Deshalb
kann dann nach gemeinsamer Feststellung des weiteren Vorgehens -
und eben nur dann, wenn der Betroffene auch zustimmt, d.h. also
nicht mit einer Zugriffstruktur - , das Problem weiterverfolgt wer-
den, z.B. dadurch, daß der Betroffene eine Information, einen Zugang
um dort eine speziel-
erhält zu einer nächsten Linie der Sozialarbeit,
lere Problemlösung zu finden. Mir scheint sich in diesem Modell einer
gestaffelten Sozialarbeit viel von dem wirklich realisieren zu las-
sen, was wir hier zunächst nur unter den Stichworten Bürgernähe,
Stadtteilbezogenheit u.s.w. diskutiert haben, ohne dafür aber eine
wirkliche organisatorische Umsetzung gefunden zu haben. Insbeson-
dere erscheint mir diese Organisationsform deshalb wichtig, weil
sie dem Sozialarbeiter in seiner argen Zerrissenheit zwischen seiner
Kontrollfunktion, die ihm institutionell zugeschrieben und zugemu-
tet ist, und seinem professionellen Anspruch, Leuten, die es brau-
chen und die es wollen - und nur solchen - Hilfestellungen zu geben.
34
© Siegfried Müller (Uni Bielefeld/Redaktion Neue Praxis)
Ich stimme den Ausführungen von Christian Marzahn zu den Thesen des
AKS-Hamburg zu. Hier werden in komprimierter Form die m.E. wesent-
lichen und unabdingbaren Forderungen für die Neuorganisation der
Sozialen Dienste zusammengefaßt. Die Forderungen sind nicht neu,
aber dennoch hochaktuell. Vor mehr als zehn Jahren wurden sie als
Minimalforderungen von kritischen Sozialarbeitern formuliert und
als realisierbar angesehen. Heute befinden wir uns in einer beruf-
lichen und politischen Situation, in der der Blick in die Vergan-
genheit die Vorstellungen auf eine bessere Zukunft vermittelt. Was
vor zehn Jahren als minimalforderung noch konsensfähig und prakti-
kabel schien, erweist sich heute mehr denn je als kaum noch durch-
setzbar. Anstelle einer inhaltlichen und problembezogenen Neustruk-
turierung der sozialen Arbeit werden heute vorwiegend technokrati-
sche Organisationsmodelle gehandelt. Dies als Vorbemerkung. Wenn ich
mir die komplizierten Organisationsstrukturen der in Hamburg geplan-
ten Neuorganisation vor Augen halte, dann frage ich mich, wie der
sogenannte Klient da noch durchblicken soll und welchen Gewinn die-
ses Organisationsmodell für ihn hat. Klient ist - das als Randbemer-
kung - als Kennzeichnung der Adressaten der Sozialarbeit ein ideo-
logisierender Begriff: Er suggeriert - in Analogie zu den freien Be-
rufen - eine Wahlfreiheit, die faktisch nicht besteht. Die von der
Sozialarbeit Betroffenen werden nahezu ausschließlich zwangsrekru-
tiert,
Wodurch unterscheidet sich nun das hier vorgestellte Modell der Neu-
organisation von der gegenwärtigen und von allen als revisionsbe-
dürftig angesehenen Organisation der sozialen Arbeit? Gibt es über-
haupt qualitative Veränderungen oder sind dies nicht nur effiziente-
re und inhaltsabstrakte Variationen des Bestehenden? Ich will mei-
ne Skepsis gegenüber der technokratischen Kopflastigkeit dieses
Organisationsvorschlags anhand von zwei - im Zusammenhang mit der
Neuorganisations-Diskussion immer wieder beschworenen - Begriffen
verdeutlichen: Dies sind die Begriffe Bürgernähe und Klientennähe.
Mit beiden Begriffen werden heute mehr Probleme verdeckt als thema-
tisiert. Bürgernähe als Zielbegriff der Neuorganisation setzt die
Bürgerferne, d.h. die Distanz der staatlichen Institutionen gegenüber
den Bürgern voraus. Bürgernähe läßt sich nur bedingt organisatorisch
herstellen. Was heißt eigentlich Klientenähe? Der "Klient", der
Adressat sozialarbeiterischen Handelns, ist nach wie vor damit kon-
frontiert, daß auf seine lebensweltbezogenen Problemzusammenhänge
weiterhin eine Vielzahl von Institutionen "reagieren". Diese Insti-
tutionen, die in ein enges Geflecht sozialer Kontrollagenturen und
Dienstleistungsbehörden eingebunden und durch spezifische Zuständig-
keiten und organisatorisch verankerte Problemsichtweisen gekennzeich-
net sind, bleiben den Betroffenen weiterhin fremd. Die Probleme der
Adressaten werden weiterhin auseinanderdividiert und in verwaltungs-
rechtlich handhabbare Formate umformuliert und innerhalb bürokra-
tisch verfestigter Hierarchien bearbeitet. Dies ist der Zustand,
der vor mehr als zehn Jahren Ausgangspunkt und Anlaß einer inhalt-
lich orientierten Neuorganisation der Sozialen Dienste war. Mit sei-
nen Thesen setzt der AKS-Hamburg genau an diesem Punkt der quali-
tativen Veränderung der Organisationsstruktur der sozialen Arbeit
an. Es sind wie gesagt Mindestforderungen, die gewährleisten sol-
35
len, daß anstelle der probleminadäquaten Interventionsformen
Handlungsmuster sich etablieren können, die von den Lebenszusammen-
hängen und den gesellschaftlichen Leiden der Adressaten ausgehen.
Eine stadtteilbezogene Organisation der Sozialen Dienste, die die
problemparzellierenden Handlungsmuster nicht auflöst, bleibt - mit
Bezug auf die Lebenszusammenhänge und Probleme der Adressaten - wei-
terhin bürger- und klientenfern. Eine qualitative Neustrukturie-
rung der Sozialen Dienste setzt die Auflösung der defizitorientier-
ten Rekrutierungsmechanismen voraus. Diese Dimensionen sind aber
in den mir bekannten Neuorganisationsmodellen von "oben" total aus-
gespart.
Ich will nun zu einem letzten Punkt Stellung nehmen: zu den Reali-
sierungschancen und Durchsetzungsstrategien der Essentials des
AKS-Hamburg. Unter dem Gesichtspunkt der Finanzkrise des Staates
werden Neuorganisationen heute in mindestens zweifacher Hinsicht
nach dem Muster von Nullsummenspielen veranstaltet, bei denen der
Gewinn des einen identisch ist mit dem Verlust des anderen. Das
erste Nullsummenspiel bezieht sich auf die Kostenneutralität von
Neuorganisationen. Dies bedeutet, daß weder neue Stellen noch zu-
sätzliche Finanzmittel zur Verfügung stehen. So kommt es zu Ver-
teilungskämpfen innerhalb eines konstant gehaltenen Gesamtetats.
Das zweite Nullsummenspiel bezieht sich auf Umstrukturierung der
Entscheidungskompetenzen innerhalb der hierarchisch strukturierten
Bürokratien. Mit der Egalisierung hierarchisch abgestufter Entschei-
dungskompetenz ist zugleich immer auch eine Vorentscheidung über
den Handlungsspielraum der einzelnen Positionen innerhalb eines
bürokratischen Apparates verbunden. Dies führt oft zu einer Bela-
stung der Solidarität der Sozialarbeiter untereinander. Die entschei-
dende Frage ist für mich dabei: Wem nützt diese Neuverteilung und
welche Konsequenzen ergeben sich daraus für eine Verbesserung der
sozialen Arbeit?
Eine letzte Bemerkung: Es wird häufig von einer Interessenidenti-
tät zwischen Sozialarbeitern und Betroffenen gesprochen. Sozialar-
beiter und Betroffene sind gleichermaßen Lohnabhängige und in die-
sem abstrakten Status von gleichen Interessen geprägt. Darüberhin-
aus haben Sozialarbeiter aber ganz spezifische Interessen, die durch-
aus im Konflikt oder Widerspruch zu denen der Betroffenen stehen
können. Das Interesse der Sozialarbeiter als Lohnabhängige des Staa-
tes ist nicht ohne weiteres identisch mit den Interessen der Betrof-
fenen. Ich denke hierbei vor allem an die Interessen der Sozialar-
beiter bezüglich ihrer Arbeitsbedingungen im Rahmen der Neuorgani-
sation.
© Verena Fesel (FH Hamburg)
Meine Vorredner haben schon eine ganze Reihe von Punkten, die ich
auch einbringen wollte, vorweggenommen. Ich werde mich daher auf
drei Punkte beschränken und speziell auf die Probleme der Neuorga-
nisation Sozialer Dienste in Hamburg eingehen.
Erstens: Hamburg hat ebenso wie Berlin als Stadtstaat eine relativ
einmalige Chance, die staatlichen und die kommunalen Instanzen
gleichzeitig neu zu regeln. Die bisher vorliegenden Modelle - außer
36
Berlin - sind lediglich im kommunalen Bereich in den Flächenstaaten
erprobt worden, z.B. Trier, Köln, Frankfurt.
Das Hamburger Bezirksverwaltungsgesetz von 1978 sollte ein Wahlver-
sprechen der SPD einlösen: Bezirksverwaltungsreform war als großes
Reformprojekt der neuen Legislaturperiode angekündigt. Durch das
nun vorliegende Gesetz wird den Bezirken zwar mehr Selbständigkeit
eingeräumt, der Senat behält sich jedoch vor, selbst zu definieren,
welche Aufgaben zentral und welche in den Bezirken, d.h. kommunal,
durchgeführt werden. Es wird also auch in Zukunft weiterhin so sein,
daß der Senat jeweils festlegen kann, welche Dienste in den Bezirken
organisatorisch und personell angesiedelt werden. Ein typisches Bei-
spiel dafür ist die zentrale Leitstelle. Diese hat auf der einen Sei-
te die Konzeption der Sozialarbeit - auch fortschrittliche Konzep-
te - zu entwickeln, konkret also die Gestaltung und Erprobung von
Modellen und Schwerpunkten, andererseits soll sie aber zugleich auch
die bezirkliche Sozialarbeit koordinieren. Das scheint mir ein Wider-
spruch zu sein. Hier ist wieder der typische Fehler gemacht worden:
Modellerprobung von oben und nicht Modellerprobung dort, wo es not-
wendig wäre, nämlich an der Basis.
Zweitens wollte ich noch einmal daran erinnern, was eigentlich in
der ganzen Diskussion um das Jugendhilferecht erreicht worden ist.
In den letzten zehn Jahren ist immer wieder gefordert worden, bei
allem Hin und Her die Einheit der Jugendhilfe entweder herzustellen
oder zu bewahren - je nach Blickpunkt. Eine einheitliche Jugendhilfe
kann nur in einer einheitlichen Struktur verwirklicht werden. Diese
Interdependenz von Strukturreform und Jugendhilfereform ist auch
nie bestritten worden. Allerdings ist sie wohl auch von den Politi-
kern nie so ernst genommen worden, wie auch dieser Reformversuch deut-
lich macht. Es zeigt sich nämlich hier in Hamburg, daß bestimmte
Bereiche wiederum ausgegliedert worden sind, die ganz eindeutig zum
Bereich der Jugendhilfe gehören. Ich denke hier z.B. speziell an
Teile des Gesundheitswesens. Man könnte auch an den Bereich Fami-
lienförderung denken. Wenn man sich dann einmal die Grundlagen an-
sieht, die die Legislative geschaffen hat, z.B. in $ 8 und $ 9 des
Sozialgesetzbuches, dann fragt man sich, warum der Gesetzgeber die
Politiker nicht verpflichtet, gerade hier entsprechende Einheiten
zu schaffen, so daß eine einheitliche Jugendhilfe wenigstens in einem
Bezirk erfolgen kann. Eindeutig ist, daß Jugendhilfeleistungen wie-
derum in dem Maße eingeschränkt werden, wo die Kontrolle durch Mehr-
fachzuständigkeiten gegeben ist. Das ist ja auch die Tendenz bisher
gewesen, und diese Tendenz wird hier wieder aufgenommen.
Drittens will ich noch kurz eingehen auf das Problem der Regionalen
Arbeitsgruppen. Diese Regionalen Arbeitsgruppen sind die letzten
Reformruinen, die aus der einstmals doch sehr umfangreicheren Dis-
kussion - ich denke z.B. an die ÖTV-Thesen von 1974 - übriggeblie-
ben sind. Die jetzt geplante Form von regionalen Arbeitsgruppen ver-
dient diesen Namen an sich nicht, da zu viele Merkmale fehlen. Zum
einen setzt der Begriff "Team" so etwas wie Gesamtverantwortung
voraus. Bei solcher Gesamtverantwortung hätten sich Rechtsprobleme
ergeben. Ich denke z.B. daran, daß Zeugnisverweigerungsrecht und
Schweigepflicht dann problematisch werden. Aber diese Fragen wurden
erst gar nicht gestellt, sondern es bleibt weiterhin die Einzelzu-
ständigkeit des einzelnen Sozialarbeiters erhalten. Diese sollen
37
zwar in Teams zusammenarbeiten, aber das bleibt ein frommer Wunsch,
ch vorgegeben ist. Zum anderen
wenn keine Gesamtverantwortung zuglei ; ;
sind Fragen einer einheitlichen Besoldung weiterhin nicht geregelt.
Es ist zwar erfreulich, daß jetzt alle Fachhochschulabsolventen nach
einer gewissen Probezeit nach A 10 eingestuft werden, das schließt
aber nicht aus, daß es in diesen Regionalen Arbeitsgruppen in Zukunft
ird Beförderungs-
unterschiedlich bewertete Stellen geben wird. Es w1 1
stellen geben, es wird Leitungsstellen geben, es wird Funktionszula-
gen geben, je nach der bürokratisch zugeschriebenen Spezialisierung
und dem Arbeitsaufwand. Es wird nicht von einer einheitlichen Bewer-
tung ausgegangen und das scheint mir besonders deutlich zu machen,
daß hier an sich nur die Worthülse für einen ganz anderen Inhalt
mißbraucht wird. Als Fazit möchte ich feststellen, daß durch diese
Neuorganisation die Widersprüchlichkeit staatlicher Sozialarbeit
nicht aufgehoben wird, sondern ich glaube eher im Gegenteil ver-
h strukturelle Neuorganisatio-
stärkt worden ist. Wenn überhaupt noc 2
nen stattfinden können , dann nur durch die Sozialarbeiter selbst.
Ein weiteres ist noch - und das muß ich selbstkritisch an die Adres-
se meiner eigenen Institution richten = , daß wir Ausbildungsformen
finden müssen, in denen Teamarbeit gelernt werden kann während der
Ausbildung.
© Jens P. Burmester (GEW Hamburg)
Die GEW hat sich schon seit langem mit der Problematik der Neuorga-
nisation beschäftigt. Ich kann hier auf eine lange Reihe von Stel-
lungnahmen und Ausarbeitungen verweisen, praktisch seit 1970. Wir
haben auch am Anhörverfahren im Jahr 1978 zum Problem Neuorganisa-
tion Sozialer Dienste teilgenommen. Allerdings halten wir als GEW
an den gesetzlichen Vorgaben für die Jugendhilfe fest, und die sind
nicht so weit gestreckt, wie z.B. Herr Marzahn vorhin dargestellt
hat. Ähnlich wie die ÖTV haben wir zur Neuorganisation sehr präzise
und umfangreiche Vorstellungen entwickelt. Kernforderung dabei ist,
daß die Sozialarbeiter der verschiedenen Bereiche zu Regionalen
Arbeitsgruppen zusammengefaßt werden, nicht zuletzt wir haben ja den
Begriff der Regionalen Arbeitsgruppe geprägt.
Wir fordern diese Regionalen Arbeitsgruppen a!
hebung der sogenannten Vorgesetztenfunktion. Ähnlich wie im Bereich
der Schule sollte ein Sprecher der jeweiligen Gruppe gewählt werden.
Weiterhin sind wir der Meinung, daß eine Regionale Arbeitsgruppe
nicht weniger als sechs, aber auch nicht mehr als zehn Mitglieder
haben sollte. Diese Gruppen sollen regional auf den Stadtteil bezo-
gen sein, und wir sind der Meinung, daß für zwei bis drei Gruppen
ein Praxisberater bzw. Supervisor vorgesehen werden muß. Wir haben
uns sehr für dieses Modell eingesetzt, allerdings wird die jetzige
Vorstellung nicht mit unserem Modell übereinstimmen. Es ist zwar
noch nicht endgültig heraus, wie das nun alles aussehen wird, aber
es treten bei der Neuorganisation doch eine ganze Menge Probleme
auf, da nicht unseren Vorstellungen gefolgt wurde. Z. Zt. kann an
sich nur von einer Verwaltungsreform gesprochen werden und nicht von
einer Neuorganisation Sozialer Dienste. Eine derartige, wirkliche Neu-
organisation kann nur von denjenigen mit vorangetrieben werden,
die davon direkt betroffen sind. Das sind nach unserer Auffassung
auch die Träger der freien Jugendhilfe, die entsprechenden Wohlfahrts-
verbände und natürlich auch die Initiativen, die als freie Träger der
llerdings mit der Auf-
38
Jugendhilfe anerkannt sind. All diese müssen genauso wie die betrof-
fenen Mitarbeiter an der Neuorganisation nicht nur teilhaben, son-
dern auch wesentlichen Einfluß haben können.
© Lisel Werninger (Hamburg)
Ich möchte kurz auf die historische Entstehung der Neuorganisation
Sozialer Dienste in Hamburg eingehen. Als ich 1950 anfing, war Ham-
burg noch ziemlich kaputt und ich arbeitete in einem Bezirk, in
dem viele Nissenhütten standen, und ich bin davon ausgegangen, was
kann ich denn hier an möglicher Arbeit für die Leute machen und habe
mich einen Scheiß darum gekümmert, was "die da oben" von mir hiel-
ten. Ich hatte einen gewissen Freiraum, die Victor-Gollancz-Stiftung,
und mit deren Hilfe konnte doch eine ganze Reihe von Dingen entwik-
kelt werden. Das ging alles noch unkonventionell durch. Wir konnten
ohne große bürokratische Aufwendungen für die Jugendlichen in dem
Stadtteil etwas machen. Wir bekamen z.B. eine Nissenhütte zur Verfü-
gung gestellt und arbeiteten dort mit den Jugendlichen. An der Basis
waren damals ziemlich einheitliche Vorstellungen entwickelt worden,
z.B. insbesondere über soziale Gruppenarbeit.
Wir hatten versucht, diese Vorstellungen in die Institutionen hinein-
zutragen. Dort wurden sie zunächst stark abgeblockt. Da verstand
ich erst, was es heißt, im institutionellen Bereich zu arbeiten und
die Systeme dort und deren Blockierungen zu erkennen. Es hat immer-
hin 15 Jahre gebraucht, um eine Jugendhilfe zu entwickeln, die über
den traditionellen Rahmen hinausging, und diese in Form von sozialer
Gruppenarbeit auch institutionell abzusichern. Zwei Erkenntnisse hat-
te ich bereits, zum einen: Das kannst du nie alleine machen, du
brauchst eine Gruppe von Mitarbeitern, und zum anderen: Institutio-
nen müssen dahin verändert werden, daß Hierarchien abgebaut werden.
Das habe ich versucht, in all den Grenzen und Blockierungen dieses
Systems, und was dabei herausgekommen ist, das kennen ja viele von
Ihnen, die hier sind. Vielleicht war es doch nicht mehr als ein
Stück einer Insel.
Ich möchte das ganze aber noch weiter konkretisieren. 1970 kam der
Rechnungshof und hat festgestellt, wie unrationell Sozialarbeiter
in der Familien- und Jugendfürsorge arbeiten. Der Rechnungshof sag-
te: Das ist unmöglich, was Ihr hier macht, Ihr seid bei fünf ver-
schiedenen Behörden angestellt, die Entscheidungen laufen kreuz
und quer, es gibt verschiedene Zuständigkeiten, die rational über-
haupt nicht einsehbar sind. Männliche Jugenfürsorger für männliche
Jugendliche, Familienfürsorgerinnen für Familie usw. Dieser Rech-
nungshofbericht ist aber nicht uns, der Basis, zugegangen, sondern
er wurde praktisch als "Geheimsache" behandelt, Wir haben ihn uns
dann gekauft für DM 1.-- bei der Fachhochschule, die diesen Bericht
einfach veröffentlicht hatte,
Damals war das "die Sternstunde" der Hamburger Sozialarbeit. Da ha-
ben wir innerhalb einer Woche 740 Unterschriften gesammelt und haben
sie in die Bürgerschaft getragen und gefordert
a) Wir wollen informiert sein und
b) wenn geändert wird, wollen wir das mitmachen.
Und dann haben wir dagesessen, Organisierte und Nichtorganisierte,
und haben über Neuorganisation Sozialer Dienste disku-
tiert und ein Modell entwickelt. Wir forderten eine Behörde für
39
Soziale Dienste und haben gesagt, die Arbeit muß aber stadtteilbe-
zogen sein. Damals kam auch der Begriff Regionale Arbeitsgruppe auf.
Auch hatten wir die Vorstellung von einem breiten sozialpädagogi-
schen mittleren Management, in dem durchaus auch Sozialwissenschaft-
ler und Psychologen miteinbezogen werden sollten. Im Zusammenhang
mit diesen Auseinandersetzungen gab es unglaubliche Diskussionen.
Z.B. schien es ein sehr schwerwiegendes Problem zu sein - 1970! -,
ob Männer und Frauen zusammenarbeiten können. Trotzdem haben wir
ein einheitliches Papier zustandegebracht. Es ist in die Fraktionen
gekommen, es ist in die Fachbehörden gegangen - und ist in Schreib-
tischen versunken. Allerdings haben die drei Parteien 1974 und 1978
jeweils vor den Wahlen es unter ihren Wahlpapieren gehabt, ohne daß
daraus mehr wurde, als das, was wir jetzt haben.
Aus dieser Aktion "Moderne Sozialarbeit" hat sich die Arbeitsgemein-
schaft der Sozialarbeiter (AGS) gebildet. Mit großem Elan haben wir
angefangen. Und da habe ich viel von Euch Studenten gelernt, nach
1968, nach dem großen Durchbruch, daß wir uns viel mehr zusammen-
schließen müssen und solidarisch Forderungen stellen und durchsetzen
müssen, d.h., also heraus aus dem Fafü- „Jufü- und sonstigem Käst-
chendenken. Wir wären hier in Hamburg eine Macht: Wir sind ein
paar Hundert Sozialarbeiter in einem Stadtstaat, aber wir sind der
zerstrittendste Haufen, den es gibt. Das hat sicher Gründe.
Wir hatten dann die AGS im Laufe der Zeit so einigermaßen hochgehal-
ten, vielleicht noch bis in dieses Jahr. Sie ist sogar jetzt noch
beim Anhörverfahren zum Ausführungsgesetz des Jugendwohlfahrtsge-
setzes geladen worden. Aber, wenn wir es genau unter die Lupe neh-
men, sind wir vielleicht noch 30 Leute von 300. Noch 1973 haben wir
eine weitere Aktion gemacht mit den alten Forderungen, daß wir also
Regionale Arbeitsgruppen ohne formelle Leitung haben wollen und daß
diese Regionalen Arbeitsgruppen ihr Arbeitsmaß und auch ihren Ar-
beitsinhalt weitgehend selbst bestimmen.
Zum jetzigen Stand möchte ich an sich nur sagen, daß dies keine Neu-
organisation ist, sondern eine reine Verwaltungszuordnungsänderung.
Zwar hat mir der neue Senator gesagt: "Wir schaffen die Strukturen
und Ihr müßt sie dann inhaltlich füllen", aber durch die Strukturen
(siehe Leitenden Sozialarbeiter) ist ja schon sehr viel an Inhalt
festgelegt. Ich möchte jetzt aber noch Stellung nehmen zu dem AKS-
Papier und dem dort vertretenen stadtteilorientierten Ansatz. Ich
habe die Einbeziehung der Betroffenen in einem Gemeinwesenprojekt
in einer Wohnunterkunft erlebt und habe exemplarisch erlebt, wie
erfolgreich das sein kann, wenn Sozialarbeit nicht entmündigt, son-
dern Selbsthilfeprozesse unterstützt. Bezeichnend ist allerdings,
daß dieses vor allen Dingen von außerinstitutionellen Gruppen getra-
gen wird.
© Siegfried Müller
Ich möchte kurz auf die Strukturierungsprinzipien einer stadtteil-
bezogenen Sozialarbeit eingehen. Ausgangs- und Bezugspunkt der Neu-
organisation der Sozialen Dienste müssen m.E. die historisch beding-
ten und geografisch-regional überformten Reproduktionsbedingungen
in den gewachsenen Stadtteilen sein. Erst die differenzierte Kennt-
nis der Lebensbedingungen und Problemstrukturen dieser sozialökolo-
gischen Einheiten ermöglicht die qualitative und quantitative Be-
40
stimmung des Bedarfs an personenbezogenen Dienstleistungen. Ich wen-
de mich damit gegen ein Verständnis von Neuorganisation, das von
einer ressortspezifischen Borniertheit und einem kompetenzsichernden
status-quo-Denken gekennzeichnet ist. Formale Verwaltungsneugliede-
rungen lassen sich von "oben" durchführen, inhaltliche Neubestimmun-
gen sind dagegen nur von und mit der Basis realisierbar.
© Timm (AKS Hamburg )
Es scheinen hier also zwei Zugangsmöglichkeiten zum Problem Neuorga-
nisation zu geben: die eine, die stärker von den Institutionen her
denkt, und die andere, die von den sozialen Problemen in einem
Stadtteil her denkt. Ich möchte noch einen weiteren Punkt hinzufü-
gen, und zwar den, daß institutionelle Sozialarbeit im tradi-
tionellen Sinne immer einzelfallorientiert und eingriffsorientiert
war, und zwar per Definition von vornherein und daß bei der Neu-
organisation bzw. der Planung der Erfolg wesentlich doch davon ab-
hängen wird, die Aufgaben so zu formulieren, daß einzelfallübergrei-
fende, z.B. an den kollektiven Bedürfnissen ansetzende, Arbeit über-
haupt möglich ist.
© Horst (Berlin)
Es ist hier sehr viel vom Lob für das Papier des AKS gesprochen wor-
den. Ich möchte eine Kritik anfügen. Es ist sehr löblich, was hier
gefordert wird, allerdings fehlt dem die reale Basis. Eine Neuorga-
nisation ohne die Forderung nach mehr Stellen ist illusorisch, weil
eine Neuorganisation einfach mehr Einsatz erfordert, was allen be-
kannt ist. Eine Neuorganisation mit altem Stellenplan ist wirklich
nur eine Verwaltungsreform. Wir haben die entsprechende Erfahrung
in Berlin gemacht.
© Sozialarbeiter aus Hamburg
Es wurde darauf hingewiesen, daß die aufgestellten Forderungen alt
sind. Dabei wurde immer auf die Reformphase Ende der sechziger, An-
fang der siebziger Jahre Bezug genommen. Ich kenne es aber aus eige-
ner Erfahrung schon sehr viel länger. Von Mitte der fünfziger Jahre,
als ich anfing, wurden diese gleichen Forderungen aufgestellt, und
wir müssen uns als Sozialarbeiter in diesem Gemeinwesen doch mal ir-
gendwann darüber klar werden, was wir wirklich wollen. Wollen wir
weiterhin verwalten oder wollen wir den Menschen in all seinen Be-
zügen im Stadtteil zum Mittelpunkt unserer Arbeit und zum Ausgangs
punkt machen. Das, was hier gemacht wird, ist ja nicht mal eine
Verwaltungsreform. Was passiert denn tatsächlich? Es werden neue
Hierarchieebenen geschaffen, leitende Sozialarbeiter, Amtmänner
usw., und diese blockieren doch eine inhaltliche Reform von Sozial-
arbeit.
© Verena Fesel
Der gesetzliche Auftrag der Sozialarbeiter’ ist in staatlichen Insti-
tutionen festgeschrieben; das Gesetz hat aber nicht die Methoden,
mit denen Sozialarbeiter arbeiten, festgelegt. Man kann daher an die-
sen gesetzlichen Auftrag in unterschiedlicher Weise herangehen und
41
es spricht m.E. nichts dagegen, daß man dies anders tut als früher.
Es ist nicht bewiesen, daß die Methode der Ennzelfallhilfe eine
effizientere Arbeit für den Klienten bewirkt als andere Herange-
hensweisen.
Ich meine, daß eine prophylaktische Sozialarbeit nur in Form von
Stadtteilarbeit, in kleinen, überschaubaren Einheiten, erfolgen kann.
In diesem Rahmen wird man die notwendige Einzelfallhilfe miterledi-
gen können, als eine Interventionsform unter anderen, aber nicht als
die dominante.
In der bevorstehenden Übergangsphase muß man natürlich zunächst
weiter in den alten Strukturen und mit den bisherigen Methoden ar-
beiten; aber mit den anderen Formen muß ebenfalls jetzt schon begon-
nen werden. Das setzt jedoch ein Umdenken voraus. Unsere alte Denk-
weise geht immer von oben nach unten und nie von unten nach oben;
und darüber müssen wir hinwegkommen!
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf das Modell der
gestaffelten Sozialarbeit von Holland zurückkommen, daß ich von
Amsterdam gut kenne. Amsterdam scheint mir eine Hamburg vergleichba-
re Stadt zu sein,und es scheint mir durchaus überlegenswert zu sein,
wie Sozialarbeiter dort in den Bezirken spezialisiert arbeiten -
auch ohne Stellenplanausbau. Wir sollten von unserem starren Denken
wegkommen und andere Möglichkeiten - außerhalb des Hamburger Raumes -
kennenlernen und am besten ausprobieren. Denn auch bei der Hambur-
ger Neustrukturierung werden Kompetenzen aufgegeben und müssen
neu verteilt werden.
© Christian Marzahn
Ich möchte daran anschließen und mal die Überlegung anstellen, wie
denn die ganze Sache von Seiten der Betroffenen aussieht. Ich möch-
te dabei nicht an die Tradition der Sozialarbeit anknüpfen, an ihre
Tradition aus der Polizeigeschichte. Ich meine damit, daß sie Pro-
bleme aufspürt und dann gewaltsam eingreift. Sondern ich gehe mal
den anderen Weg und überlege mir, wie sieht es denn eigentlich aus,
wenn jemand Probleme hat, was macht er damit. Ich möchte dabei das
Wort Klient einmal abschaffen und diese Menschen einfach Menschen
nennen. Was macht also ein Mensch, wenn er Probleme hat? Auf keinen
Fall geht er gleich zum Sozialarbeiter, sondern er geht erst mal
ein Bier trinken. Dann wird er vielleicht mit seiner Frau oder sie
mit ihrem Mann darüber sprechen - wird vielleicht auch noch einen
Kollegen oder Kumpel fragen oder irgendjemanden, zu dem er Vertrauen
hat. (Gelächter) Das ist zwar komisch, aber schon, daß wir als So-
zialarbeiter das als komisch empfinden, zeigt, wie starr wir doch
ın unseren Bahnen denken.
Dieser Mensch wird also in seinem Alltag mit den Leuten, mit denen
er täglich umgeht, versuchen, erst einmal sein Problem zu lösen.
Er wird sich in seiner Alltagssprache mit ihnen unterhalten und -
wenn's gut geht - kriegt er von ihnen einen Tip "Mensch, versuch'
das mal so, oder laß das doch mal sein" und - wie gesagt -, wenn's
gut geht, dann klappt das auch.
Nun kann es aber sein, daß diese Überlegungen, Kontakte und Gesprä-
che nicht ausreichen, er z.B. Geld braucht, weil irgendetwas mit
der Arbeit nicht so läuft, wie er sich das vorgestellt hatte. Er
überlegt weiter und kommt dann auf die Idee: "Mensch,da gibt es doch
42
was, sozialer Rechtsstaat, Ansprüche usw., da muß es doch irgendje-
manden geben, der mir da Bescheid sagen kann. Dafür muß doch ein
Amt zuständig sein, nur welches?" Wenn er soweit gekommen ist, setzt
ein Riesenproblem für die Sozialarbeit an: er weiß gar nicht "wohin
mit seinem Problem,und ich kann das gut nachvollziehen. Ich kann
mich selbst in diesem Ungetüm von sozialem Apparat kaut zurechtfin-
den, in dem alle Probleme nach Zuständigkeit geregelt und parzelliert
sind, obwohl ich mich ja nun lange schon mit dem Thema befasse und
sogar beanspruche, in diesem Gebiet zu lehren. Aber ich beanspruche
nicht, daß ich mich da auskenne,
Hier wäre es doch sinnvoll, wenn es in seinem Stadtteil. in seinem
täglichen Lebensbereich, eine Anlaufstelle gäbe, die keinen bösen
Namen hat, unter dem er sich nichts vorstellen kann, und die eigent-
lich für alles zuständig ist. f
Ich weiß nicht, ob das geht, aber man sollte sich doch mal überlegen
ob so etwas möglich wäre, wo alles zunächst beredet werden kann in ;
Bezug auf Familie, Arbeitsplatz, Erziehung, Wohnen usw. Hier müßte
er jetzt jemanden treffen, dem er freundlich "Guten Tag" sagt und
mit dem er zusammen überlegen kann, wie das Problem denn eigentlich
aussieht, welche Lösungswege da sind. Hier wird also alles das von
Sozialarbeitern gemacht, was an und für sich auch im Freundeskreis
passiert, nur nennen wir das jetzt professionell: Beratung. Die Fä-
higkeiten, die ein Sozialarbeiter auf dieser Ebene haben müßte,
sind elementare Fähigkeiten. Vor allem müßte er in erster Linie zu-
hören können, er müßte sich in die Situation des Betroffenen hinein-
versetzen, nicht immer gleich denken, wo kriege ich das Problem un-
ter, also administrativ. Er muß also mit ihm verschiedene Problemlö-
sungsstrategien diskutieren, und erst im letzten Schritt muß er fähig
sein, entscheiden zu können, ob er dieses Problem weiter selbst
lösen kann oder ob er den Menschen an eine andere Stelle, die ihm
dann weiterhilft, verweisen kann oder muß. Diese Fähigkeit muß er
haben. Denn ich sehe es als ein Problem der stadtteilorientierten
Sozialarbeit an, daß sie auf der einen Seite allzuständig ist und
damit Schwellenangst senken kann, auf der anderen Seite eben doch
nicht auf den spezialisierten, problemlösenden Apparat ganz verzich-
ten kann. Dazwischen muß der Sozialarbeiter in der ersten Linie ver-
mitteln.
Das, was ich bis jetzt erzählt habe, mag vielleicht etwas naiv sein,
aber ich finde es wichtig, sich die Probleme wieder einmal von die-
ser Seite zu vergegenwärtigen, statt immer nur von Organisations-
strukturen her zu denken und immer weiter die Zuständigkeiten auszu-
differenzieren, ein immer feineres Netz zu spannen, das dann alle
denkbaren Probleme umfaßt, in dem aber die Sicht der Betroffenen
nicht mehr vorkommt.
© Sozialarbeiterin aus Hamburg
Ein Punkt ist mir bis jetzt entschieden zu kurz gekommen. Wir ste-
hen einen Monat vor der Neuorganisation Sozialer Dienste und die
ganze Diskussion, der ganze Entscheidungsablauf ist bisher ohne jeg-
liche Einbeziehung der Basis gelaufen, obwohl wir doch alle davon
betroffen sind. Von den Betroffenen selbst wurde erst gar nicht
geredet. Im übrigen ist das, was wir hier diskutieren, keine Neuor-
43
ganisation Sozialer Dienste, sondern eine Bezirksverwaltungsreform.
Deshalb ist es für mich eine ganz klare Linie, daß die Sozialarbeit
nach dem Oberkriterium der Verwaltung gemacht wird.
Für mich ist es weiter ein Anzeichen für eine weitere Verrechtlichung
der Sozialarbeit, d.h., ich sehe überhaupt keine Möglichkeit, hier
neue Methoden in der Sozialarbeit zu entfalten. Im Gegenteil, es
sieht eher so aus, daß die paar schüchternen Ansätze, wie Gruppenar-
beit und Ähnliches, noch kaputtgemacht werden. Das ist für mich die
Situation, und es geht für mich darum, wie können wir ein Minimum
von dem retten, was an positiven Ansätzen da ist. Wie können wir ein
Minimum an Zusammenarbeit zwischen den Sozialarbeitern erreichen.
Die ganze Neuorganisation basiert darauf, daß keine zusätzlichen
Stellen geschaffen werden. Bei wachsender Fallzahl bedeutet es na-
türlich immer mehr Arbeit. Konkret sieht es so aus, daß die Jugend-
fürsorger 60-80 Fälle pro Monat zu bearbeiten haben. Sie können also
nur die gröbsten Sachen,meist rechtlich, abklopfen. Die Familienfür-
sorger, die Gruppenarbeiter haben etwas weniger Fälle. Die können
teilweise über die Einzelfallhilfe hinaus noch etwas tun. Aber darum
geht es jetzt gar nicht mehr. Jetzt scheint es nur darum zu gehen,
wie wird die Arbeit umverteilt. Darüberhinaus wird geschickt ver-
sucht, die Konkurrenz, die zwischen Jugend- und Familienfürsorgern
und Sozialer Gruppenarbeit besteht, zu verstärken und die ganze Sa-
che auf dem Rücken der Sozialarbeiter auszutragen. Die andere Seite
ist allerdings die, daß wir uns das auch gefallen lassen.
© Michael (AKS Hamburg)
Wenn man mit Sozialarbeitern spricht, die von der Neuorganisation
betroffen sind, gibt es an sich zwei Reaktionen. Zum einen: "Das
ist keine Neuorganisation, das ist nur Neuzuordnung." Zum anderen -
und diese Position ist hier noch nicht öffentlich vertreten worden -:
",..warum das Ganze, sollen sie es doch so lassen, wie es ist. Bis
jetzt war das doch alles ganz gut." Also eine Angst vor jeder Verän-
derung. Sicherlich gibt es noch mehr Positionen, aber erstaunlich
ist es doch, daß von keiner ein irgendwie gearteter, breiterer Wider-
stand gegen diese Neuorganisation in Gang gekommen ist. Ein Grund
mag sicherlich sein, daß seit zig Jahren darüber diskutiert wird
und daß die Energien in Bezug auf Neuorganisation einfach verschlis-
sen sind.
Trotzdem stellt sich aber für uns die Frage, wie gewinnen wir die
Initiative wieder, damit wir nicht nur Objekte, sondern auch Subjek-
te unseres Handelns werden. Dabei stellt sich natürlich die Frage,
was ist denn bis jetzt von den Gruppen getan worden, die die Interes-
senvertretung der Sozialarbeiter sind. Ich denke hier vor allem an
die Personalräte und an die vertretenden Gewerkschaften. Und deshalb
meine Frage an die hier vertretenen Funktionäre und Personal-
räte, was habt Ihr denn getan in Bezug auf die Neuorganisation So-
zialer Dienste, welche Positionen habt Ihr vertreten?
© Jens P. Burmester (GEW)
Zum einen möchte ich darauf hinweisen, daß der Organisationsgrad
der Sozialarbeiter relativ niedrig ist, daß viele nicht das Gefühl
haben, sie seien lohnabhängig, sondern eben eine besondere Profes-
sion. Darüberhinaus sind die organisierten Sozialarbeiter sehr unter-
44
schiedlich organisiert: In der GEW, in der ÖTV, in der DAG und Be-
amtenbund und noch in den verschiedenen Berufsverbänden. Wir haben
im letzten Jahr versucht, als die ersten Pläne bekannt wurden, mit
allen beteiligten Gruppierungen und Organisationen eine gemei naine
Linie zu verfolgen. Aber es haben sich erstens nicht alle daran be-
teiligt, und zweitens ist dabei nur eine Presseerklärung herausge-
kommen, in der gefordert wird, daß die betroffenen Kollegen an der
Neuorganisation beteiligt werden.
© Christian Mahrzahn
Wie wir nun schon öfter festgestellt haben, scheint diese Struktur,
wie sie geplant ist, schon weitgehend festgelegt zu sein: Wir soll-
ten aber doch versuchen zu diskutieren, an welchen Punkten wir den-
noch ansetzen können, um die Initiative in einigen Bereichen wieder-
zugewinnen. Da scheint mir der Punkt der Regionalen Arbeitsgruppe
doch der entscheidende zu sein. Gerade wenn wir davon ausgehen, daß
Sozialarbeiter an den tatsächlichen Lebenszusammenhängen der Men-
schen ansetzen sollen, müssen wir bei der gegebenen Verflochtenheit
in der Institution prüfen, welche Möglichkeiten in dieser Organisa-
tionsform drinstecken.
Denn hier scheint mir ein Ansatzpunkt zu liegen, von dem rein admi-
nistrativen Denken wegzukommen und zumindestens bei den Sozialarbei-
tern der Basis ein anderes Denken und Handeln zu ermöglichen. Vor
allen Dingen würden wir Sozialarbeiter dann etwas in den Blickpunkt
bekommen, was jetzt schon real abläuft, nämlich daß sich in vielen
Bereichen Selbsthilfeeinrichtungen bilden, z.B. in Form von Bürger-
initiativen, Mieterinitiativen usw. Diese könnten wir als Sozialar-
beiter unterstützen und brauchten dann nicht immer nur punktuell,
reaktiv und administrativ im Einzelfall eingreifen.
Und vielleicht noch ein Punkt, bei dem ich nicht weiß, wie er hier
in Hamburg gelöst werden wird: Der Jugendwohlfahrtsausschuß. In ihm
repräsentiert sich so etwas wie ein nicht mehr zu erkennender Rest
einer politischen Tradition von Anfang der 20-er Jahre in der Wei-
marer Republik. In ihm sollten die beteiligten sozialen Gruppen und
Klassen unmittelbar Einfluß auf die Lösung sozialer Probleme bekom-
men, vor allem im Jugendbereich. Diese Intention ist natürlich nur in
ganz kümmerlichen Spuren in die Gesetzgebung eingegangen, aber
immerhin haben wir hier eine Einzigartigkeit im ganzen deutschen Ver-
waltungsrecht. Und die Frage wäre auch hier, wie nutzen wir diese
i.S. einer an allen Lebenszusammenhängen der Betroffenen orientierten
Sozialarbeit. Könnte z.B. ein derartiger JWA so eine Art Bündnispart-
ner für regionale Arbeitsgruppen werden?
Im Verlauf der weiteren Diskussion betonten verschiedene Redner,
daß der einzige Ansatzpunkt für eine inhaltliche Reform zur Zeit
in den Regionalen Arbeitsgruppen gesehen wird. Dabei bleiben aller-
dings noch viele Fragen offen:
© 2.B. das Verhältnis Jugendfürsorge/Familienfürsorge, das bislang
auch durch sehr irrationale Männlichkeits- bzw. Weiblichkeitsvor-
stellungen geprägt ist.
© Z.B. das Verhältnis zu den Sozialämtern, das auch neu bestimmt
werden müßte.
0 Und nicht zuletzt das Verhältnis in einer solchen Regionalen Ar-
beitsgruppe selbst, in der neue Arbeitsformen möglich sein müßten.
Dazu allerdings gehören wiederum entsprechende Arbeitsplatzbe-
schreibungen und Arbeitsvorstellungen. 6
RESOLUTION ZU PROBLEMEN DER
NEUORGANISATION SOZIALER DIENSTE
Am 16.11.1979 veranstaltete der Arbeitskreis Kritische Sozialarbeit Ham-
burg eine Podiumsdiskussion zu Problemen der Neuorganisation Sozialer
Dienste.
Auf dem Podium waren vertreten:
Jens Peter Burmester, GEW
Verena Fesel, Dozentin an der FH Hamburg
Christian Marzahn, Professor an der Uni Bremen
Siegfried Müller, Neue Praxis
Lisel Werninger, Hamburg
Nach einer lebhaften Diskussion, in der das Plenum einbezogen war, verab-
schiedeten die ca. 120 Teilnehmer einmütig folgende Erklärung:
“Angesichts des derzeitig bekannten Standes der offiziellen Planung zur Um-
organisation im Bereich der Sozialen Dienste scheint es zur Gewissheit zu
werden, daß hier nach einer langjährigen Anlaufphase eine Möglichkeit zur
wirklichen Neugestaltung zugunsten einer oberflächlichen Neuzuordnung
vertan wird. Das bürokratische Hin- und Herschieben von Dienststellen und
Leitungsfunktionen kann nicht die phantasievolle, inhaltliche Auseinander-
setzung mit neuen Formen Sozialer Dienste ersetzen. Die Planung hinter
den verschlossenen Türen der Leitungsetagen verhindert die organisierte,
breite Diskussion der betroffenen Fachbasis. Wieder einmal zeigt sich, daß
unter dem Vorzeichen von Kostenneutralität und bürokratischem Effekti-
vitätsdenken nur Notlösungen möglich sind, nicht aber eine sinnvolle Bil-
dungs-, Jugend- und Sozialpolitik.
Folgende Voraussetzungen für eine wirkliche Neugestaltung der Sozialen
Dienste halten wir für unverzichtbar:
Abbau von Hierarchien/Realisierung neuer Arbeitsformen
Es sollen überschaubare Arbeitseinheiten geschaffen werden, in denen Team-
arbeit durch ausreichende Zeit für Mitarbeiterbesprechungen und durch
Rotation der Koordination ohne Leitungsbefugnisse ermöglicht wird. Die
Arbeitseinheiten sollen weitgehende Entscheidungsautonomie nach außen
haben.
Erweiterung der Kompetenz der Fachbasis/Abbau der Arbeits-
feldparzellierung
Die sachliche Zuständigkeit der zu schaffenden dezentralen Arbeitseinhei-
ten darf nicht auf die traditionellen Arbeitsfelder der Sozialen Dienste, die
sich hauptsächlich mit individuellen Defiziten beschäftigen, eingeschränkt
bleiben. Die Neuzuschreibung von Aufgaben aus dem Bildungs-, stadtplaneri-
schen und sozialmedizinischen Bereich und die Integration der bisher par-
zellierten Arbeitsfelder soll eine einzelfall- und arbeitsfeldübergreifende
Handlungsperspektive ermöglichen, die ihre Schwerpunkte aus kollektiven
Problemlagen der Stadtteilbevölkerung herleitet.
Ortsbezogenes Strukturprinzip
Die zu schaffenden Arbeitseinheiten müssen ortsbezogen eingerichtet wer-
den mit Sitz im Einzugsbereich. Dabei ist nicht von bestehenden Verwal-
tungsstrukturen auszugehen, sondern von der sozio-ökonomischen Gliede-
rung, den historischen und geographischen Gegebenheiten eines Wohnquar-
tiers — insgesamt also von den Lebenszusammenhängen der Bevölkerung.
Wir fordern die betroffenen Kolleginnen und Kollegen auf, sich nicht zum
Objekt einer an ihnen vorbeigeplanten Verwaltungsveränderung machen zu
lassen, sondern über ihre Personalvertretungen und Gewerkschaften Einfluß
auf die Entwicklung zu nehmen, bzw. sich in Arbeitsgruppen zusammenzu-
schließen und inhaltliche Alternativen zu entwickeln.
Wir fordern den Senat und die Bürgerschaft auf, in mindestens zwei Stadttei-
len Modellversuche zu finanzieren, die von der betroffenen Fachbasis unter
wissenschaftlicher Begleitung entwickelt werden. Um zu verhindern, daß
derartige Modellversuche als Alibi für nicht durchgeführte Reformen miß-
braucht werden, muß gewährleistet sein, daß ihre Ergebnisse von den Kol-
leginnen und Kollegen im Bereich der Sozialen Dienste diskutiert, ausgewer-
tet und umgesetzt werden können.”
Jakate Zentrale hier...
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Neue Praxis Sonderheft 5
Siegfried Müller/Hans-Uwe Otto (Hrsg.)
Sozialarbeit als Sozialbürokratie?
Zur Neuorganisation sozialer Dienste
250 Seiten, DM 18,— (Abo-Vorzugspreis) Art.-Nr. 50983
DM 25,— (Normalpreis) Art.-Nr. 50982
Die erste umfassende Veröffentlichung zu diesem zentralen Problembereich der
Sozialarbeit/Sozialpädagogik. Sie bringt fundierte Aussagen über exemplarische
Erfahrungen der Neuorganisation, über wichtige Ansätze in der theoretischen
Begründung der sozialen Dienste und belegt die Notwendigkeit eines kritischen,
politischen Gesellschaftsbewußtseins, um das Problem nicht in einem Prozeß
zunehmender Bürokratisierung und Rationalisierung verkommen zu lassen.
Mit der Neuorganisation sozialer Dienste sind politische Steuerungsmechanismen
verbunden, die einen entscheidenden Einfluß auf die weitere Entwicklung der
Sozialarbeit/Sozialpädagogik als Beruf ausüben.
Behandelt werden u.a. folgende Problemaspekte:
® Technokratische Reform/administrative Selbstbegrenzung/Neue Fachlichkeit
® Geschichte der Neuorganisation/Modellbewegung l
® Bürgernähe/Klientennähe/Dezentralisierung/Selbsthilfe
® Modellvergleich/Organisationsanalysen/Strukturprinzipien
® Eigenständigkeit des Jugendamtes/Einheit der Jugendhilfe
® Ambulante Sozial- und Gesundheitsdienste/Sozialstationen
® Verwaltungshandeln/Rationalisierung/Disziplinierung
© Personalstruktur/Dienstpostenbewertung/Hierarchisierung
® Sozialökologie/Soziale Probleme/Sozialplanung e
® Mitwirkungsmöglichkeiten/Realisierungschancen/Perspektiven öffentlicher
Sozialarbeit
Ob und wie sich mit der Neuorganisation sozialer Dienste auch das Spannungs-
verhältnis zwischen Administration (soziale Kontrolle), Fachlichkeit (sozial-
pädagogische Kompetenz) und basisorientierte Initiative (Selbsthilfe) grund-
legend verschiebt, versuchen im NP-Sonderheft ausgewiesene Fachleute erst-
mals umfassend zu beantworten.
SOZIALARBEITER BRAUCHEN ZWEI ARBEITGEBER
Interview mit Lisel Werninger über die Tradition fortschrittlicher
Sozialarbeit und die Neuorganisation Sozialer Dienste in Hamburg
Das Interview wurde von der AKS-Untergruppe "Neuorganisation Sozia-
ler Dienste" geführt.
AKS: Liebe Frau Werninger, zu zwei Bereichen möchten wir Sie gerne
befragen bzw. mit Ihnen diskutieren. Der erste Bereich ist die Neu-
organisation Sozialer Dienste. Sie waren ja von Anfang an dabei, und
wir hätten gerne etwas über die Geschichte und die Hintergründe der
nun seit Jahrzehnten dauernden Diskussion in Hamburg gehört.
Der 2. Punkt betrifft Sie als Repräsentantin einer Generation, zu der
wir ansonsten keine oder recht gespannte Beziehungen haben. Für uns
sind Sie eine Repräsentantin der fortschrittlichen Sozialar-
beiter. Wir wollen versuchen, mit diesem Interview so etwas wie eine
eigene Tradition fortschrittlicher Sozialarbeit zu entdecken, da wir
sehr häufig das Gefühl haben, selbst die ersten zu sein und ohne Tra-
diton in der Sozialarbeit zu arbeiten.
Lisel W.: Ja, das ist sehr schwer kurz und allgemein zu sagen, und
es ist auch sehr schwer, da irgendwo anzufangen. Ich bin ja jetzt
65 Jahre alt und gehöre zu denen, die Ende der zwanziger, Anfang der
dreißiger Jahre noch die demokratische und Frauenbewegung miterlebt
haben, speziell an meinem Gymnasium, und die auch den Bruch 1933
sehr deutlich auch als lebensgeschichtlichen Bruch erlebt haben. Durch
meine Lehrerinnen habe ich doch ein sehr starkes demokratisches und
kritisches Bewußtsein mitbekommen. Mir ist der Bruch 1933 deshalb so
bewußt, weil ich da Abiturientin war und 1934 das erste "NS-Abitur"
machte.
Aber das führt eigentlich alles etwas zu weit. Ich bin dann erst sehr
spät zum Studieren gekommen, weil wir Frauen zunächst im Faschismus
nicht studieren durften. Erst im Krieg konnte ich in Jena anfangen,
Pädagogik zu studieren und war dann in Pommern in der Lehrtätigkeit.
Durch Flucht und alles, was mit dem zusammenhing, ist mir deutlich
geworden, daß ich im Lehrberuf nicht bleiben, sondern andere soziale
Tätigkeiten machen wollte.
Diesen Entschluß konnte ich dann 1948 - 50 realisieren. Da habe ich
Glück gehabt, daß ich in dieser Aufbruchsituation in eine ganz neue
evangelische Fachschule nach Kassel kam(gegründet 1946, späterer Na-
me: Evangelisches Seminar für soziale Berufsarbeit; heute Teil der
Gesamthochschule). Diese Phase 1948/50, die für uns die Stunde Null
war, die können wir Euch kaum vermitteln - äußerlich wie innerlich.
Es war ja alles kaputt und die finanziellen Bedingungen waren so gut
wie überhaupt nicht gegeben, und wir haben dann auch in meinem Ver-
ständnis eine Sozialarbeit gemacht, die sehr fortschrittlich ist,
49
auch wenn man heutige Maßstäbe anlegt.
Mit Fides von Gonthardt, der Leiterin der Schule, bin ich auch zum
ersten Mal zur Tagung der "Gilde Soziale Arbeit" gefahren. Diese
"Gilde Soziale Arbeit" ist für mich von ungeheurer Bedeutung. Sie
war für mich zugleich so etwas wie eine Avantgarde in der Sozialar-
beit und eine Bezugsgruppe, die es mir ermöglichte, viele Konflikte
und Widerstände später auch durchzuhalten und immer wieder zu reflek-
tieren,was ich denn eigentlich wollte. Es hat mal jemand gesagt, in
der "Gilde" sind Leute, die laut denken, die heiße Eisen anfassen,
die gegen den Strom schwimmen, und das Spektrum war auch breiter als
das sonstiger Sozialarbeitergruppen. Es waren Ärzte, Juristen, Hoch-
schullehrer und Studenten dabei. In der Gilde gab es die Richtung von
Bondi und Hermann, die mehr Social Action wollten, wie sie das nann-
ten, d.h., daß sie die "Gilde" auch als Podium betrachteten, von dem
aus Zu- und Eingriffe in öffentliche Diskussionen geschehen sollten.
Sie hat das auch mehrmals versucht, z.B. beim JWG, und Stellungnah-
men zur Ausbildung von Sozialarbeitern.
Ich war ja damals schon fast Mitte 30 (Jahrgang 1914) und hatte mei-
ne Familie und meine Freunde im Krieg verloren, oder wir waren ausein-
andergerissen. Ich hatte meinen Partner verloren, ich hatte schon
ein Studium beendet. Aber das war nichts Untypisches. In unserer
Gruppe von 17 Leuten waren wir alle so um die 30 herum, 16 Frauen
und ein Mann.
Mein erstes Praktikum 1948 hatte ich in einer Frauenstrafanstalt in
Ziegenheim bei Martha Kluncker (der Tochter des alten Klunckers), die
damals schon einen fortschrittlichen, z.B. einen Stufenstrafvollzug
eingerichtet hatte. Dieses Ziegenheim ist später aufgelöst worden,
weil es dem Justizministerium viel zu fortschrittlich war. Erst als
Frau Dr. Einsele in Frankfurt die Frauenstrafanstalt übernahm, hat
sich wieder etas Fortschrittliches getan.
Mein zweites Praktikum 1949 hat mich dann nach Hamburg zu Frau Sülau
gebracht. Das war für mich entscheidend. Ich habe die Arbeit des
"Hansischen Jugendbundes" kennengelernt, der von Elisabeth Sülau
aufgebaut wurde. Ich machte dann auch mein Berufpraktikum hier in
Hamburg, und von da an stand praktisch fest, daß ich mit Jugendlichen
mit sogenannten Randständigen oder Problem-Jugendlichen mit Schwie-
rigkeiten in Zukunft arbeiten wollte. Die Form, in der Frau Sülau
(1903-1977) das machte, sprach mich an, und ich war fest entschlos-
sen, das in ähnlicher Form weiterzuführen.
Noch einige Worte zum Hansischen Jugendbund (HJB bestand 1947-67).
Das ist sehr wichtig. Elisabeth Sülau war damals als Gefährdetenfür-
sorgerin eingesetzt und sah, daß viele Jugendliche zwischen 16 und 2o
Jahren auf der "Straße lagen". Es war nichts da, was ihnen hätte Per-
spektive aufzeigen können. Frau Sülau war sehr stark durch die Ju-
gendbewegung und später durch die "Gilde" geprägt. Sie hatte z.B. die
ersten 7 Mädchen in ihrer eigenen Wohnung und hat später noch Jun-
gens hinzugenommen. Daraus hat sich dann der Hansische Jugendbund
entwickelt. Sie wählte bewußt dieses Element des Bundes, wobei sie
Anschluß an die Tradition des bündischen Lebens suchte. Der "Hansi-
sche Jugendbund" hatte nachher ungefähr 500 Mitglieder, und er hat
sich entwickelt (vergleichbar einem Nachbarschaftsheim). Die Schwer-
punktgruppen sind immer die 15- bis 17-jährigen gewesen, die sie
dann in kleine Gruppen unterteilt hatte. Diese Gruppen wählten aus
ihrer Mitte eine eigenen Leiter und einen Berater (Praktikant/Student).
50
Es herrschte damals ja auch Numerus Clausus, und durch Professor
Sieverts (Jura-Professor in Hamburg/Jugendstrafrechtler - gest. Mai
80) konnten sehr viele Abiturienten, die noch keinen Studienplatz be-
kommen hatten, dafür gewonnen werden, eine derartige Gruppe mit zu
beraten. Sie wurden "Schutzaufsichtshelfer" genannt und kamen so in
die Clubarbeit herein. Frau Sülau hat dann auch Planstellen bekommen.
Und dieser Hansische Jugendbund hat dann 20 Jahre bestanden. (siehe
zur Geschichte des Hansischen Jugendbundes : Kalcher, "Ambrosius war
kein Dinosaurier - dem Hansischen Jugendbund nachträglich zum Geburts-
tag." - Versuch einer Deutung, in Praxis der Kinderpsychologie, Heft
6/79. u. Paul Lorenz in seiner Dissertation zum Thema: "Soziale Grup-
penarbeit als Fingliederungshilfe für gefährdete Jugendliche - Analy-
se eines sozialpädagogischen Modells.", Kiel 1966). Außerdem gab es
in dem Hansischen Jugendbund die Einrichtung des Parlaments, d.h.,
alle 4 Wochen traten die Jugendlichen zusammen, die sich dann mit den
Hauptamtlichen, Berufspraktikanten und Studenten zusammensetzten und
diskutierten, aber auch aus den Bereichen Kinderarbeit, Jugendarbeit
und Altenarbeit waren immer Vertreter da. In diesem Parlament fielen
Entscheidungen, z.B. über die weiteren Schwerpunkte der Arbeit.
Aber nochmal zurück zum Jahre 1949. Da hieß der Hansische Jugendbund
noch BH Z 304 - Bieberhaus Zimmer 304. Da traf sich der Club, und er
traf sich auch bei Elisabeth Sülau Zuhause. Das war an der Großen
Bleiche Nr.7 im 7.Stock, und vor der letzten Treppe stand: "Steil
ist der Weg, der zur Vollendung führt.". Da haben wir zuerst die
Clubabende gemacht. Es waren vielleicht 30 - 40 Leute. Dann wurde
das zu klein, und wir zogen um in den großen Clubraum in Schwanenwik:
Da war jeden Donnerstag Tanz. Darüber hinaus gab es Gruppen. Ich war
z.B. Gruppenleiterin der "Alstergeusen", Wir haben uns alle geduzt,
und wir hatten alle Spitznamen. Frau Sülau hieß z.B. Ambrosius. Ihre
Arbeit stand unter dem Spruch, den ich ja auch mit übernommen habe:
"wir wollen einander helfen, das Leben zu bestehen."
1967 löste sich der Hansische Jugendbund auf. Das hatte wesentlich
drei Gründe. Zunächst einen formalen Grund: das Gebäude wurde abge-
rissen, wegsaniert. Außerdem war Frau Sülau zwei Jahre vorher aus dem
Dienst ausgeschieden. Sie hatte damals die Idee, den Hansischen Ju-
gendbund ganz von der Behörde wegzuziehen und dem Verein Jugendhilfe
e.V. anzugliedern. Das aber wollten die Mitarbeiter nicht.
Man stellte fest, daß sehr viele ältere Leute im Club mitmachten. Ei-
nige waren vom Kindesalter bis hin ins reife Mannesalter und Frauen-
alter dort geblieben, zum Teil bis zu 10 Jahren, und betrachteten den
hansischen Jugendbund als so etwas wir ihr Zuhause. Das paßte nicht
ins Konzept eine ausschließlich auf Jugend orientierten sozialthera-
peutischen Gruppenarbeit, die damals im Entstehen war.
1967 ging der Hansische Jugendbund mit seinen 5 Stellen in der Sozia-
len Gruppenarbeit auf, die konzentriert in den Stadtteilen arbeiten
sollte. Das hat mich damals emotional sehr stark getroffen. Ich woll-
te den Hansischen Jugendbund unbedingt erhalten. Aber selbst Elisabeth
Sülau hat mir zugesprochen und gesagt, nach 20 Jahren müssen sich auch
neue Formen entwickeln.
AKS: Aber nochmal zurück zur sogenannten Stunde Null. Da müssen doch
alle unheimlich hohe Erwartungen gehabt haben.
Lisel W.: Das kann ich Euch sagen. Für uns war das wirklich sowas wie
51
eine "Stunde Null". Ich war stark geprägt durch freidenkerische und
auch christliche Traditionen, so daß ich irgendwo wieder anknüpfen
konnte. Viele meiner Generation dachten: "So, jetzt machen wir etwas
ganz Neues." Das ist Euch kaum irgendwie darzustellen. Vielleicht da-
zu ganz kurz eine Episode aus der Schule in Kassel: Wir waren wie ge-
sagt 17 Leute. Sechs von ihnen wohnten in der Schule, und wir verpfleg-
ten uns auch in der Schule mit Missions-Sojabohnen und Missions-Käse.
Wenn mal einer krank war, fiel deshalb nicht der Unterricht aus, son-
dern wir machten den Unterricht an seinem Bett. Das hat natürlich zu
sehr personalen und auch sozialpolitischen Prozessen geführt.
AKS: Waren das denn tatsächlich alles neue Leute, mit denen damals
die Sozialarbeit in den Behörden anfing?
Lisel W.: Ja doch, jedenfalls die ich kannte, waren fast alles Leute,
die nicht unter den Nazis in den Positionen waren, sondern in der Re-
gel Sozialdemokraten, Liberale oder Christen. Dann kamen auch noch
die zurückkehrenden Emigranten. Die hatten es zum Teil aber auch sehr
schwer. Ich erinnere mich besonders an Professor Bondy, der in Ham-
burg einen Lehrstuhl für Psychologie bekam und nun diese pragmatische,
"amerikanische", aber auch sehr engagierte Ausrichtung der Sozialar-
beit hier verbreiten wollte, z.B. an der Universtität eine Erziehungs-
beratungsstelle eingerichtet hat. Er hatte ja schon früher nach dem
ersten Weltkrieg in Hanhöfersand die Jugendstrafanstalt gegründet als
Reformeinrichtung und war nach dem 2. Weltkrieg bemüht, sozialpädago-
gisches Wissen auch in andere Berufe einzubringen. Er ist einer der
Mitbegründer des sozialpädagogischen Zusatzstudiums (SPZ), wo Juri”
sten, Medizinern, Theologen, Pädagogen usw. nicht nur sozialpädagogi-
sches Wissen, sondern auch entsprechende Handlungskompetenz vermit-
telt werden sollte. Aber leider war es so, daß solche Leute wie Bon-
dy sich im gesamten Wissenschaftsbetrieb doch nicht so durchsetzen
konnten. Kennt Ihr noch Professor Bondy und das, was er getan hat?
Und es gab da wohl auch Probleme zwischen denen, die hiergeblieben
waren und denen, die zurückgekommen waren. So genau kann ich das
nicht sagen, aber ich weiß, daß er z.B. sehr unglücklich war, daß ge-
rade Hofstätter (Wehrmachtspsychologe der Nazis) sein Nachfolger auf
seinem Lehrstuhl wurde, vielleicht ein symbolischer Akt für die dama-
lige Zeit in den fünfziger Jahren.
AKS: Ja, Hofstätter ist uns eher ein Begriff. Das war der Leib- und
Magen-Sozialpsychologe, den wir in Sozialpsychologie von hinten bis
vorne pauken mußten. Aber Bondy ist uns kein Begriff.
Wir wissen nicht, wie das Amt für Jugend oder ähnliche Einrichtungen
wie die Jugendbehörde bei den Nazis strukturiert waren. Können wir
diese strukturellen Aspekte jetzt auch mal mit reinnehmen. Ich kann
mir vorstellen, daß sich hier einiges nach dem Krieg geändert hat.
Lisel W.: Dazu kann ich leider nichts sagen. Es gibt jetzt einen Be-
richt über die Geschichte des Amtes für Jugend, da müßten wir mal
nachsehen, denn ich bin erst 1950 hierher gekommen. Was ich weiß, und
das ist sehr wichtig, daß man 1945 Dr. Hermine Albers zur Leiterin
der Jugendbehörde gemacht hat. Großen Einfluß hatte in dieser Zeit
auch die Viktor-Gollancz-Stiftung. Ich kann mich auch gar nicht mehr
so genau daran erinnern, wie das organisatorisch war. Mich interes-
52
sierten die fachlichen Aspekte von neuer Sozialarbeit;
sationsapekte, die sind mir erst sehr viel später als
ausschlaggebende ins Visir gekommen.
die Organi-
wichtige und
Ich weiß noch, wie ich 1950 anfing, da wollte ich das Berufsprakti-
kum bei Frau Sülau machen. Das ging nicht, aus irgendwelchen Gründen.
Ich bin dann zur Geschäftsstelle der Familienfürsorge gekommen und
da sagte mir die damalige Leiterin: "Sie können ruhig kommen, bei uns
wird demnächst sowieso alles neu organisiert." Das war also meine er-
ste Berührung mit der Neuorganisation sozialer Dienste 1950. Nachdem
ich mit "viel Glück" eine Jugendfürsorgerinnenstelle bekommen hatte,
fing ich schon 1953 in der Gruppenarbeit an. Starke Impulse bekam ich
auch von der Viktor-Gollancz-Stiftung, die das Niveau der Sozialar-
beit aus den angelsächsischen Ländern und aus Holland in Deutschland
zu verbreiten versuchte und da an fortschrittlichen Ansätzen aus den
zwanziger Jahren anschloß, z.B. an die von Bondy und Stern.
AKS: Wie es scheint, hatte damals die Viktor-Gollancz-Stiftung und
auch andere Verbände einen wesentlich stärkeren Einfluß auf die Ver-
waltung - oder andersrum - beide Teile kooperierten stärker mitein-
ander,
Lisel W.: Ja, das ist richtig. Damals war allerdings auch der Apparat
kleiner, und es ist natürlich zum Teil auch personenabhängig gewesen.
Wie gesagt, war Dr. Hermine Albers eine sehr fortschrittliche Frau,
die befreundet war mit der Leiterin der Viktor-Gollancz-Stiftung,
Frau Dr. Lina Kuhlenkampff. Hinzu kam, daß Frau Albers auch starke
Kontakte nach Bonn hatte. Wir hatten regelmäßig, meiner Meinung nach
alle 4 - 8 Wochen, Besprechungen im Bieberhaus, wo alle Mitarbeiter
und Mitarbeiterinnen des damaligen Jugendamtes zusammenkamen und in-
haltlich über Perspektiven diskutierten. Da kam z.B. Bondy und auch
wir stellten unsere Vorstellungen zur Diskussion.Alles wurde stärker
inhaltlich diskutiert, und ich kann gar nicht beschreiben, was ich an-
schließend jahrelang gelitten habe in den Ressortbesprechungen, wo es
nur um organisatorische Dinge ging.
AKS: Habt ihr damals denn auch in diesem Zusammenhang über gesell-
schaftspolitische Dinge diskutiert.
Lisel W.: Im heutigen Sinne wohl kaum. Dazu waren die Probleme, die
auf den Nägeln brannten, einfach zu dringend. Wir haben z.B. sehr in-
tensiv über Wohnungsprobleme diskutiert, da mein Bezirk z.B. fast aus-
schließlich aus Nissenhütten bestand. Unter diesen Aspekten haben wir
schon gesellschaftspolitisch oder sozialpolitisch diskutiert. Eine
große Rolle spielte natürlich auch die Diskussion um das neue JWG.
Mehr im Vordergrund stand allerdings, daß die Sozialarbeit, besonders
die Jugendarbeit in Hamburg, Anschluß fand an das Niveau von außerhalb.
So kamen z.B. die Frau Kampuis aus Holland, weitere aus den USA und
aus Wien. Und das wurde auch entsprechend von der Behörde bezahlt.
Einen wichtigen Impuls bekam ich durch "Gisela Konopka", die auch zu
dieser Generation gehörte, die auswandern mußte und dann in den USA
die eigentliche Begründerin der Social Groupwork war. Gisela Konopka
kam also 1955 nach Hamburg (sie ist selbst Hamburgerin gewesen) und.
wir trafen uns alle bei Frau Sülau und waren ungefähr 25 Sozialarbei-
terinnen und Sozialarbeiter, die etwas mit Gruppenarbeit zu tun hatten.
33
Das war für mich eine sehr interessante und wichtige Phase, in der
ich auch zum erstenmal das Gefühl hatte, mich mit den Organisations-
strukturen auseinandersetzen zu müssen. Vorher war mir die Organisa-
tionsform einer Behörde oder eines Anstellungsträgers ziemlich egal.
Hauptsache, sie gewährleistete mir, daß ich meine Arbeit machen konn-
te.
1955 kam ich aus der bezirklichen Jugendarbeit in die Zentrale ins
Bieberhaus, und da empfand ich die Organisation chaotisch und zunächst
verwirrend. Keiner wußte genau, wo er mich nun zuordnen konnte, zur
Familienfürsorge, zur Jugendarbeit? Keiner wußte, wo ich zuständig
war und wer für mich zuständig war. Meine Aufgabe war es, in der Zen-
trale die bezirkliche Gruppenarbeit zu koordinieren, die natürlich
dezentral in den Stadtteilen lief. Ich sah damals in meiner Aufgabe
zwei Schwerpunkte: zum einen die methodisch-didaktisch inhaltliche
Weiterentwicklung und Vermittlung von Sozialer Gruppenarbeit und zum
anderen die institutionelle Zuordnung der Sozialen Gruppenarbeit. Und
da schälte sich doch heraus, daß es wichtig war, die soziale Gruppen-
arbeit als selbständige Einrichtung in den Bezirken zu installieren.
Denn zum einen erfordert soziale Gruppenarbeit bestimmte Kenntnisse
und zum anderen ist es unmöglich für jemanden, der Soziale Gruppen-
arbeit macht, nebenbei noch Einzelfallhilfe zu betreiben im tradi-
tionellen Sinn.
AKS: Was jetzt passiert, ist ja im Grunde genommen die genaue Umkeh-
rung dieses Prinzips.
Lisel W.: Ja, mit der Zuordnung der Sozialen Gruppenarbeit in die re-
gionalen Arbeitsgruppen sind wir praktisch wieder da, wo wir 1955 an
gefangen haben, obwohl man das auch etwas differenzierter sehen muß.
Ich hoffe, daß mittlerweile die Soziale Gruppenarbeit personell und
fachlich in sich so sehr stabil ist, daß sie sich auch weiterhin als
besondere Institution in dieser Regionalen Arbeitsgruppe halten kann.
So gesehen liegt in dieser Dezentralisierung ja durchaus auch eine
Chance.
Aber nochmal zurück zu den Anfängen.
In der Zeit nach 1955, als ich freigestellt war zur Koordination, sah
ich meine Aufgabe auch darin, eine Art Praxisanleitung und Praxisbe-
ratung zu geben. Ich war nur unter der Bedingung in das Bieberhaus ge-
gangen, daß ich dort etwas tun könnte, was ich anderswo nicht tun
konnte. (Ausbau der Gruppenarbeit in der Jugendarbeit). Deshalb bekam
ich in Wuppertal(auch wieder über die Viktor-Gollancz-Stiftung) in
dem dortigen Nachbarschaftsheim meine erste Ausbildung als Praxisbera-
terin. Im Vergleich zu dieser inhaltlich didaktischen Arbeit war der
institutionelle Weg sehr viel schwerer. Es hat lange gedauert, bis ich
überhaupt "meinen eigenen Schreibtisch" wirklich dort hatte, wo ich
ihn haben wollte, daß die Soziale Gruppenarbeit im "Haushalt" einzeln
veranschlagt wurde (mit einem Haushaltstitel) und diese institutio-
nellen Zwänge und Hindernisse, die jeder selbst kennt.
1955 war aber auch in einer anderen Hinsicht ein ganz entscheidendes
Datum, denn Frau Hermine Albers starb in diesem Jahr. Das könnt Ihr
Euch gar nicht vorstellen. Das war ein regelrechter Stop, sowohl in-
haltlich, als auch organisatotisch, als auch in den Perspektiven ei-
ner lebendigen Jugendhilfe. Bis dahin hatten wir kontinuierlich lau-
fende Diskussionen über Weiterentwicklung, und es tat sich eine ganze
54
Menge auch in der fachlichen Weiterbildung und der Kooperation mit
anderen. Das war jetzt mit einem Schlag praktisch zu Ende. Sie hatte
Ja schon vorher Schwierigkeiten mit dem Apparat, mit den Regierungs-
leuten und den Verwaltungsleuten gehabt, die nach ihrem Tod praktisch
die Sache in die Hand nahmen. Von da an wurde im wesentlichen verwal-
tet. Was die Neuorganisation Sozialer Dienste anbetrifft, ist mir noch
1n Erinnerung, daß dabei die Integration derFamilienfürsorge in das
Amt für Jugend mit großer Vehemenz betrieben wurde, allerdings auch
Ohne Erfolg. Es war damals schon eine Behörde für Soziale Dienste im
Gespräch.
AKS: Wie es scheint, ist dann ja die Organisationsstruktur, wie sie
bis heute, bis zur Einrichtung der Regionalen Arbeitsgruppen war,
Praktisch seit den zwanziger Jahren gleich geblieben, d.h. daß Ju-
gend- und Familienfürsorge getrennt waren und ebenfalls diese Tren-
nung von Innendienst und Außendienst.
Lisel W.: Alle Modellvorstellungen, die wir zusammen mit Hermine Al-
bers geplant hatten,waren 1955 zum großen Teil beendet. Es kam dann
Herr Dr. Becker (Bundesbecker), der sich sehr stark auf den Jugend-
schutz stürzte und diesen ausbaute. Politisch kam in dieser Zeit auch
der sogenannte Bürgerblock, d.h. eine Zeit, in der die SPD 4 Jahre
lang nicht an der Regierung war. Aus dieser Zeit kann ich eigentlich
nur sagen, daß es da keine Impulse gab und im wesentlichen nur das
Bestehende verwaltet wurde.
1955 war also der Zeitpunkt, wo ich auch merkte, daß die dominanten
Interessen einer in sich beharrenden Verwaltung sich durchsetzten ge-
genüber sozialpädagogischen Interessen, die an Veränderung orientiert
waren. Leute wie Hermine Albers, haben diese Tendenz vielleicht
schon früher gemerkt, haben aber dagegen angekämpft. So auch z.B.
Frau Sülau, die von der Verwaltung mit unheimlichem Mißtrauen beäugt
wurde. Stellt Euch nur mal vor, eine Sozialarbeiterin, "die ihre Kli-
enten nach Hause einlädt". Nein, so etwas war damals in der Verwal-
tung undenkbar. Das war auch die Zeit, wo wieder Dienstvorschriften
verstärkt eingeführt wurden, z.B., was die Aktenführung anbelangt.
Insgesamt hatte ich den Eindruck, daß damals die Schwerfälligkeit
und das Desinteresse der Verwaltung an Veränderungen doch überhand
nahm. Und wenn Ihr Euch vorstellt, daß es fast zehn Jahre lang ge-
dauert hat, bis endlich die Soziale Gruppenarbeit als eigenständige
Abteilung anerkannt wurde, so könnt Ihr Euch eine Vorstellung von
der Schwerfälligkeit dieses Apparates machen. Jedes Jahr war ich
praktisch dabei, mindestens zweimal "lange Listen" zu schreiben über-
die Notwendigkeit von Sozialer Gruppenarbeit. Insgesamt scheint es mir
so gewesen zu sein, daß, sobald die Leute der ersten Stunde, die
fortschrittlichen, an der Spitze weg waren und nur noch die fort-
schrittlichen Leute an der Basis da waren, daß das zu wenig war. Es
dominierte dann einfach der doch in sich konservative Mittelbau,
vor allem Verwaltungsleute und Juristen..
Ab Mitte der fünfziger Jahre kam auch noch ein anderer Trend hinzu,
der von den Sozialarbeitern selbst ausging. Nach der ersten Welle der
unmittelbaren Notbewältigung kam die Tendenz zu einer ganz im psycho-
logisch-methodischen Sinne verstandenen Einzelfallhilfe, methodisch-
qualifizierter Sozialarbeit. Die war vor allen Dingen in der Familien-
fürsorge sehr stark ausgeprägt, und das ist im Grunde genommen auch
jetzt noch so. Das waren Leute, die sich eben nur um ihren Einzel-
55
fall kümmerten und nicht um Zusammenhänge. À i
Ihr müßt Euch vorstellen, daß das ja auch etwas Fortschrittliches
Vorherigen. Aber diese methodische Einzelfall-
war, im Verhältnis zum b Een
orientierung und das Beharrvermögen in der traditionellen Verwaltung,
die ja ebenfalls auf Einzelfallentscheidungen und Einzelfallaktenfüh-
rung ausgerichtet ist, haben mich insofern, was die Organisationefor-
men angeht, gegenseitig bestätigt. À
Bis 1968/69 geschah praktisch überhaupt nichts Neues mehr. Erst mit
der Studentenbewegung kam wieder Leben in den Apparat und auch in die
Ideen der Sozialarbeiter. Die gesellschaftspolitischen Zusammenhänge
und die Aktivitäten der Bürger selbst wurden stärker gesehen (Aspekt
der Gemeinwesenarbeit),
Ich glaube, man muß als Sozialarbeiter sowieso immer zwei Arbeitgeber
haben, der eine, von dem Du "die Brötchen kriegst" und den anderen,
mit dem Du im sozialpädagogischen Konzept übereinstimmst und das deckt
sich sehr selten. Es ist eben unterschiedlich, wie jeder Sozialarbei-
ter mit diesem Konflikt fertig wird und wie er auf der Handlungsebene
damit umgeht. Wenn er merkt, daß er nichts allein machen kann, wird
er selbst ein solidarisches Bewußtsein entwickeln und inhaltliche Kon-
zepte zusammen mit anderen erarbeiten und durchsetzen. Diesen Aspekt,
den habe ich bis 1968/69 und zum großen Teil auch später nur sehr we-
nig erlebt, 1970 sind wir dann ja zur Schulbehörde gekommen, was ich
zunächst sehr skeptisch betrachtet habe und wo ich auch heute noch
ganz zwiespältig bin. Denn auch der einen Seite ist damit natürlich der
Bildungsauftrag der Sozialarbeit und Sozialpädagogik betont worden,
auf der anderen Seite aber ist es imgrunde genommen nur eine große
organisatorische Zusammenführung ohne inhaltliche Konsequenzen ge-
wesen, und jetzt mit der Neuorganisation ist diese Zuordnung auch wie-
der rückgängig gemacht worden.
AKS: Aber was änderte sich dann inhaltlich im Laufe der Studentenbe-
wegung bzw. der damit zusammenhängenden Sozialarbeiterbewegung? Wie
konkretisierte sich das in Hamburg?
Lisel W.: An sich war es eine ganze Reihe von Punkten. Z.B. die ver+
änderten Ausbildungsinhalte: Mehr Soziologie, Seminararbeit, Schaf-
fung von Projekten in sozialen Brennpunkten, z.B. Sonnenland, Aben-
teuerspielplätze etc. Aber Auslöser für die "Aktion moderne Sozial-
arbeit", wie wir sie nannten, war 1969 der Bericht des Landesrech-
nungshofes, in dem festgestellt wurde, daß die hier betriebene Sozial-
arbeit selbst im verwaltungsrationellen Sinne unökonomisch sei , daß
viele Doppelwege da seien, daß es also nicht einzusehen sei, weshalb
Familien- und Jugendfürsorge getrennte Klienten hätten und weshalb
es eine Trennung in Innen- und Außendienst gebe. Der Bericht vom 26.
3. 1969 befaßt sich mit der Organisations- und Wirtschaftsprüfung der
behördlichen Sozialarbeit. Dieser Bericht, der sich in erster Linie
mit dem Außendienst beschäftigt, ist natürlich nicht, wie es bei der
Behörde üblich ist, an die Basis gegangen, die untersucht wurde, son-
dern ist irgendwo in den oberen Etagen der Behörde hängengeblieben.
Erst durch eine Pressenotiz Anfang 1970 haben wir davon Kenntnis be-
kommen, daß es so etwas gibt, und da hat uns der Fachbereich Sozial-
pädagogik geholfen.Die haben dann das kopiert und für DM l,- verkauft,
Die Fachhochschule hat sehr viel Material aufbereitet und sich sehr
bemüht, mit uns Praktikern ins Gespräch zu kommen.
56
Dieser Bericht war "Wasser auf unsere Mühlen" und wir haben eine Un-
terschriftenaktion gestartet mit der Forderung, daß wir informiert
werden, daß wir auch beteiligt werden an weiteren Entscheidungspro-
zessen. Und wir haben dann auch einen eigenen Entwurf zur Neuorgani-
sation erstellt. 748 Unterschriften konnten wir damals innerhalb
einer Woche sammeln. Mit dieser Unterschriftensammlung und einer Do-
kumentation unserer Forderungen sind wir in die Bürgerschaft gegan-
gen, zu den Parteien und in die Fachbehörden.
Da kamen noch zwei Umstände für uns glücklicherweise dazu. Zum einen
organisierte die Gilde Soziale Arbeit in diesem Jahr eine Tagung zur
Neuorganisation Sozialer Dienste. Zum anderen war damals ein ÖTV-Se-
kretär hier für die Sozialarbeit zuständig, der ein ganz hervorra-
gender Mann war und sich unheimlich eingesetzt hat.
In der Folgezeit haben wir dann in der Fachhochschule Montag für Mon-
tag getagt und ein Konzept ausgearbeitet mit Unterstützung der ÖTV
und der Fachhochschule. Darüber hinaus nahmen auch die GEW, der Berufs-
verband und kirchlich gebundene Verbände teil. Nur die Federführung
lag bei dem Kollegen der ÖTV. Zu den Veranstaltungen kamen immer so
bis zu 40 Kolleginnen und Kollegen - und das regelmäßig einmal pro
Woche,
Wir haben sehr lange diskutiert. Nur ein Beispiel für die Schwierig-
keiten in der Diskussion: Es war ein sehr zentraler Punkt, ob es ver-
tretbar sei, daß Männer und Frauen in einer Abteilung zusammenarbei-
ten. Das wurde in einer Gruppe sowohl von den Jugendfürsorgern als von
den Familienfürsorgerinnen stark abgelehnt.
Im Frühherbst haben wir dann nochmal eine gemeinsame Wochenendtagung
gehabt, den dann existierenden Entwurf verabschiedet und ihn allen
Behörden, Parteien und sonstigen Gremien zugeleitet. Zentral war un-
sere Forderung: eine Behörde für Soziale Dienste, die losgelöst sein
sollte von den bisherigen Strukturen in der Arbeits- und Sozialbehör-
de und dem Amt für Jugend. Sie sollte zwar zentrale Fachbehörde sein,
aber ihre allgemeinen Arbeitsgruppen sollten natürlich dezentral ar-
beiten.
Diese Aktion hat zumindest den Erfolg gehabt, daß alle drei staats-
tragenden Parteien die Neuorganisation 1974 in ihr Wahlprogramm auf-
nahmen. Aus der "Aktion Moderne Sozialarbeit" hat sich dann die "Ar-
beitsgemeinschaft Sozialarbeiter/Sozialpädagogen (AGS)" gebildet. Die
AGS besteht immer noch, obwohl sie meines Wissens jetzt so eine Art
Schattendasein führt. Zunächst aber nahmen an den Versammlungen der
AGS loo, manchmal sogar 300 Mitarbeiter teil, und ich glaube, sie hat-
te in ihrer Blütezeit 300 Mitglieder. ,
Parallel dazu bestand ja noch immer die AGF, die 'Arbeitsgemeinschaft
der Fürsorger, eigentlich muß man sagen der männlichen Jugendfürsor-
ger im Außendienst, die genau die Gruppe war, die Probleme hatte, mit
weiblichen Sozialarbeitern zusammenzuarbeiten und die auch nach der
Gründung der AGS ihren eigenen Verein weiter behielten und die auf-
grund ihrer längeren Tradition einen ziemlichen Einfluß in der Behör-
de hatten und haben.
Die AGS hat lange an ihrer Satzung gearbeitet. Wir haben lange auch
regelmäßig getagt, haben dann zu bestimmten Problemen gearbeitet.
Später schlief das dann etwas ein. Aber immerhin hat die Arbeits- und
Sozialbehörde uns soweit anerkannt, daß sie uns sogar noch zu dem An-
hörungsverfahren im letzten Jahr eingeladen haben. Allerdings haben
viele Mitglieder der AGS "kalte Füße" bekommen, weil das Amt für Ju-
gend diese Arbeitsgemeinschaft nicht anerkannt hat und es von daher
57
für viele sinnlos erschien, daran weiter mitzuarbeiten. - Die AGF ist
weiter anerkannt, obwohl sie viel kleiner ist. Wir haben da z.B. ei-
nen Brief von der Amtsleitung des Amtes für Jugend, in dem steht,
daß die AGS schon formal nicht Verhandlungspartner des Amtes für Ju-
gend sein könne, da in ihr auch Sozialarbeiter organisiert seien, die
nicht zum Amt für Jugend gehörten. Mit diesem formalistischen Argu-
ment hat man uns praktisch den Boden unter den Füßen weggezogen.
Trotzdem waren wir immerhin vor zwei Jahren, also 1978, noch 105 Leute,
Zurückblickend kann man sagen, daß die AGS aber nur bis 1975 sehr ak-
tiv war, dann wurde es immer weniger.
AKS: Wie waren denn die inhaltlichen Vorstellungen aus derAGS zur Neu-
organisation?
Lisel W.: Im Mittelpunkt standen Überlegungen zur Regionalen Arbeits-
gruppe, die allerdings weitgehend auch schon inhaltlich gefüllt wa-
ren. So sollte z.B. der Leiter aus der Gruppe gewählt werden. Es soll-
te eine interne Gruppendifferenzierung stattfinden. In der Zentrale
hatten wir so ein mittleres Management und dann ein Topmanagement, so
ganz grob dargestellt. Beide sollten nach unseren Vorstellungen Ser-
vice- bzw. Weiterbildungsfunktionen haben. Wir haben auch einige Mo-
delle sehr ins einzelne gehend uns vorgestellt, z.B. orientiert an
einem holländischen Beratungsmodell, ein Beratungszentrum, das rund
um die Uhr auf hat, in dem alle Probleme angenommen werden in einem
sogenannten "Intake" und dann an Spezialisten, soweit notwendig, ver-
teilt werden.
AKS: Vielleicht mal weg von der Geschichte und zur Zukunft. Wie be-
kannt ist, haben wir versucht, durch unsere Aktion einen größeren
Kreis von Sozialarbeitern anzusprechen in Hamburg und es ist uns
nicht gelungen. Wir haben so den Eindruck, daß bei diesem Thema ein-
fach die Scheuklappen herunterfallen, daß keiner mehr sich da richtig
engagiert und zum Teil auch eine große Resignation und eine Angst
vor Veränderungen herrscht.
Lisel W.: Ja, das ist ein großes Problem. Ich habe auch gehofft, daß
die jetzt anberaumte Neuorganisation so etwas wie die "Sternstunde
der Sozialarbeit" wird oder zumindest, daß die AGS sich wieder akti-
viert, aber da ist nichts mehr gekommen. Solche Aktionen wie 1970 sind
einfach nicht mehr vorstellbar. Wir hatten ja im letzten Jahr noch
zwei Veranstaltungen. Da waren auch einige vom AKS dabei, bei der er-
sten waren noch etwas über 30 bei der zweiten waren nur noch 15 Kolle-
ginnen und Kollegen da. Ich persönlich bin sehr unruhig, weil ich die
Sorge habe, daß wir etwas "verschlafen". Denn es wäre jetzt eine
große Chance da, nämlich alle Dienstanweisungen, die bisher bestan-
den, sind ja zunächst mal null und nichtig, und hier wäre die Möglich-
keit, Gedanken, konzeptionelle Vorstellungen auch mal von unten nach
oben durchzusetzen, gerade, was die Inhalte und die Organisationswei-
se einer Regionalen Arbeitsgruppe angeht. Es ist aber auch sehr
schwer, sich einen Überblick zu verschaffen. Ich glaube, es läuft sehr
unterschiedlich. In einigen Bezirken und Stadtteilen da tut sich schon
etwas in den regionalen Arbeitsgruppen, aber ein Problem ist, daß kaum
ein Austausch zwischen den Regionalen Arbeitsgruppen auf horizontaler
Ebene stattfindet. Z.Zt. scheint es in weiten Bereichen so zu sein,
daß die Regionale Arbeitsgruppe nur eine neue Hülse ist, aber inhalt-
58
lich sich nichts ändert und viele auch Angst davor haben, daß sie
einen "neuen Schreibtisch" und andere Arbeitsbedingungen bekommen.
Gemessen an unseren Vorstellungen ist außer diesem Begriff "regiona-
le Arbeitsgruppe" kaum etwas durchgekommen. So wird z.B. die Oberfür-
sorgerin in den Leitenden Sozialarbeiter umbenannt, aber auf jeden
Fall von oben eingesetzt und entsprechend hierarchisch und besoldungs-
mäßig gehoben und soll eine besondere Position darstellen.
Insgesamt bin ich aber der Auffassung, schlechter als es jetzt ist,
kann es gar nicht mehr werden, nur noch besser.
Slankt hier samand, daß es bei
nen Kontiikt amischen
ie: eg una kdlegial Neo
Pi y
m
rn Su ‘S
Teamarbeit erhedert AS loua
= nitas a
M S
NEUORGANISATION SOZIALER DIENSTE =
NEUE STRATEGIE SOZIALER BEFRIEDUNG?
Bei Gott, Bürger Machiavell ist ein kluger Mann.
Wir ernennen ihn zur Exellenz Jugend- und Sozial-
minister und beauftragen ihn, dies teuflische Kunst-
stück der Neuorganisation Sozialer Dienste durch-
zuführen. Er — schlau wie er ist — studiert keines-
wegs als Vorbereitung die Methodik der Einzel-
fallhilfe, belegt kein einziges Kolleg von Bäuerle,
hat eine diabolische Art, Watzlawicks Kommuni-
kationstheorie und Hofstätter zu loben, ohne
sie zu lesen, aber er hat die Psychoanalyse profund
kapiert und hält den Sozialoberräten und Leiten-
den Sozialarbeitern seines Ministeriums ungefähr
folgende Programmrede (gekürztes Stenogramm):
“,..Dieses, unser Ziel, zu erreichen, schlage ich Ihnen
folgende organisatorische Maßnahmen vor. Sie müs-
sen nämlich verstehen, daß die Organisation der
Sozialen Dienste das entscheidende Problem ist,
das wir konsequent und unerbittlich unserem
Einfluß restlos vorbehalten müssen, während wir
die Methoden der Sozialarbeit, den Einsatz von
Medien, selbst Supervision beruhigt den Sozial-
pädagogen, den Ideologen der ‘hilflosen Helfer’ ,
ja selbst dem Sozialistischen Büro überlassen kön-
nen. Doch werde ich auch hier taktisch vorgehen.
Fordern sie z.B. mehr Weiterbildung, wir lassen
lange um sie kämpfen und gewähren sie in Form
von Konzessionen immer dann, wenn wir eine
Ablenkung der Aufmerksamkeit von Wichtigerem
für nötig erachten. ...'
(Textvariante nach Sigfried Bernfeld (1) s
1. DIE VERSTAATLICHUNG DER SOZIALARBEIT IN BÜROKRATIEN
Im Blickpunkt sozialpädagogischer Diskussion stehen meistens Themen
über das, was Sozialarbeiter denken bzw. über das, was sie glauben
zu tun - so zuletzt z.B.: Helga Marburger, Entwicklung und Konzepte
der Sozialpädagogik (1979). Hier wird - in kritischer Absicht, ver-
steht sich - der ganze Ideenhimmel einmal mehr vorgeführt und in
lockere Beziehung zu gesellschaftlichen Vorgängen gesetzt.
Machiavelli hätte seine Freude daran gehabt. Eine Analyse der realen
Wirkungen der Sozialarbeit und ihrer Geschichte hingegen wäre zu-
gleich die ihrer Institutionen und internen Organisation. Natürlich
kann das hier nicht geleistet werden. (2) Um aber die Probleme der
Neuorganisation Sozialer Dienste heute zu verstehen, ist ein kurzer
Blick in die Geschichte ganz nützlich.
Mit der Entfaltung der kapitalistischen Produktionsweise war eine
charakteristische Umdefinition von Armut und Elend verbunden. Wa-
ren vordem die Armen ein Quasi-Stand in der Feudalgesellschaft (mit
z.T. positiven, ideologischen Bedeutungen: z.B. Bettelorden), so
galt (und gilt) "Armut" in der "freien" Lohnarbeitergesellschaft un-
ter dem Befehl des Kapitals als individuelles Defizit - immer gemes-
sen an der mangelnden Verwertbarkeit der Ware Arbeitskraft.
So lange die Staatsapparate auch ihrem Selbstverständnis nach als
Besitz der herrschenden Klasse galten, waren diese bemüht, Risiken,
die mit dem Verlust der Verweigerung oder der Minderung der Arbeits-
kraft zusammenhingen, entweder privaten bzw. kirchlichen Einrichtungen
zu übertragen oder durch Gesetzgebung (Strafgesetze) so weit zu
kompensieren, daß eine Systemgefährdung möglichst verhindert wurde
(Armenpflege/Wohlfahrtspflege waren entsprechend vor allem privat
organisiert.). So gab es z.B. vor dem 1. Weltkrieg allein in Frank-
furt/M. über 300 bürgerliche Wohlfahrtsvereine (3), die nicht nur
materielle Aufgaben hatten, sondern auch ideologische und soziali-
satorische: z.B. Festigung einer "Demutshaltung", Stabilisierung
des schlechten Gewissens bei "Selbstverschuldeter Armut" und auch
damals schon: Individualisierung und Personalisierung der Probleme
und Hilfen.
Als mit der Weimarer Verfassung auch der "Arme" Mitglied des neuen
Souverains - des Volkes - geworden war und erste Ansätze eines bür-
gerlichen Rechts- und Sozialstaates realisiert wurden, gab es bald
eine ganze Reihe von Bürokratien, die Rechtsansprüche auf Leistun-
gen verarbeiteten, was die Lage vor allem der Arbeiterschaft ganz
unbestreitbar verbesserte: Renten- und Krankenversicherungen, Ar-
beitslosenversicherung und -vermittlung reduzierten einen sehr großen
Teil bürgerlicher Willkür. Auch gab es ein RJWG und - nach Ländern
allerdings unterschiedlich - eine gesetzliche Schutzgarantie vorm
Verhungern.
Durch diese Verstaatlichung gesellschaftlicher Vor- und Fürsorge
sahen sich die freien und kirchlichen Träger in ihrer Existenz ge-
fährdet - und schlossen sich zusammen. Geschützt durch das Subsidi-
aritätsprinzip ging die Unzahl kleiner Vereine in "freien" Großver-
bänden auf: Diakonisches Werk, Caritas und Arbeiterwohlfahrt u.a....
Im halbstaatlichen Raum entstanden die Großorganisationen der So-
zial- und Krankenversicherungen.
61
Im staatlichen Bereich schließlich wurden eine ganze Reihe neuer
Ämter gebildet bzw. umgestaltet: Gesundheitsamt, Jugendamt, Sozial-
und Wohnungsänmter.
Hatte die überwiegend privat betriebene Armenpflege eine Vielfalt
von Organisationsformen hervorgebracht (vor allem Vereine, die über-
wiegend mit Ehrenamtlichen arbeiteten), so verband alle neu entstan-
denen Großorganisationen ein gemeinsames Prinzip: die bürokratische
Organisation mit hauptamtlichen Beamten und Angestellten.
Denn nur die Bürokratie ist die "rationale" Form der Herrschaftsaus-
übung, die zweierlei gewährleistet: effektive Leistung und effektive
Kontrolle zugleich. Effektivität mißt sich dabei an drei Kriterien:
l. an den Inhalten: gesellschaftlich notwendige Arbeit - Leistungen
zur Erhaltung der Reproduktionsfähigkeit (z.B. Krankenversiche-
rungen), Vergabe von finanziellen Mitteln, Einwirkungen im Be-
reich Qualifikation und Sozialisation (Heime, Jugend- und Fami-
lienfürsorge);
2. an den Formen, in denen diese Leistungen erbracht werden: system-
konforme Selektion (gestuftes Gesundheits- und Therapiesystem,
Heime, Knast), Parzellierung der Probleme und Hilfeleistungen
(Sozialamt, Jugendamt);
3, an Form und Inhalt zusammen: beides hat in einer Art zu gesche-
hen, daß das jeweilige , historisch bestimmende Legitimationsmu-
ster gestützt wird: Rechtsstaat, Volksgemeinschaft, Sozialstaat,
bzw. daraus ableitbare Normen: heute z.B. Chancengleichheit -
im Faschismus z.B. Rassereinheit.
Ist damit die bürokratische Organisationsform auch das Stabile in
den unterschiedlichen Systemen bürgerlich-kapitalistischer Staats-
formen (z.B. im Bereich der kechtspflege z.T. sogar in personeller
Identität), so ist sie dennoch nicht starr und unbeweglich.
Weil die Effizienzkriterien dieser Bürokratien wesentlich auf ihrer
Außenwirkung beruhen, sind es gerade auch diese, die die Anpassung
interner Organisationsstrukturen bewirken.
2. INTENSIVIERUNG DER ARBEIT UND EFFEKTIVIERUNG
DER KONTROLLE
Ein derartiger Prozeß läßt sich in der Sozialarbeit in den letzten
drei Jahrzehnten wie folgt darstellen (4):
Generell vergibt die Sozialarbeit Sozialisationshilfe entweder in
ambulanter Form (Jugend-, Familienfürsorge; Jugendpflege) oder in
stationärer (Heime usw.). Egal, ob diese Sozialisationshilfen eher
restitutiven oder eher repressiven Charakter haben, dem Inhalt nach
ist Sozialarbeit gesellschaftlich notwendige Arbeit, der Form nach
ist sie institutionalisierte Gewalt zum gesellschaftlichen Erhalt
der Akkumulationsbedingungen.
Schlaglichtartig beleuchtet sieht sich die Sozialarbeit seit Ende
der Rekonstruktionsperiode des Kapitals folgenden Problemen gegen-
über:
e Die immer deutlicher werdenden Folgen der Ökonomisierung der Fa-
milienverhältnisse (Ausbau der Kindergärten, der Beratungsstel-
len u.ä. als Übernahme familiärer Sozialisationsleistungen)
e die Folgen des erhöhten Bedarfs an qualifizierter Arbeitskraft
62
(Vorschule, Ganztags- und Gesamtschulen),
e die gleichzeitig auftretenden Folgen von Dequalifikation von Ar-
beitskraft (Jugendarbeitslosigkeit, Jugendkriminalität, Obdach-
losigkeit usw.).
Diese Tendenzen, verbunden mit dem Ausbau der sozialen Sicherung,
haben eine zunehmende "Pädagogisierung" und "Therapieorientierung
der Sozialarbeit zur Folge, die sich insgesamt als Funktionsver-
schiebung beschreiben läßt, nimmt man die überwiegend an materiellen
Reproduktionshilfen orientierte Fürsorge und Wohlfahrtspflege zum
Vergleich. Ebenfalls im Vergleich zu früher ist der Status der So-
zialarbeiter/-pädagogen angehoben worden: Er ist mittlerweile im
gehobenen Dienst angesiedelt. Nicht wenige glauben, daß mit der Ge-
haltsstufe A 13 (höherer Dienst) auch das Problem der Professiona-
lisierung endgültig gelöst sein wird. Hinter derartigen Vorstellun-
gen steht die Vermutung, daß ein höherer Status auch höhere Handlungs-
kompetenz beinhaltet bzw. umgekehrt: daß eine " höhere" Hand-
lungskompetenz 'nur ab einem gewissen Status möglich ist (verglei-
che mit Ärzten und Anwälten).
[i
Gehen wir aber davon aus, daR dem Aspekt der gesellschaftlich not-
wendigen Arbeit die Handlungskompetenz des Sozialarbeitsers ent-
spricht und die Kontrolle dem Status des Sozialarbeiters in der Or-
ganisation, so läßt sich folgende Entwicklung konstatieren:
Die "Funktionsverschiebung' verlangt neue Qualifikationen der Hand-
lungskompetenz, ohne aber prinzipiell die Individualisierung und
Personalisierung sowohl der Ursachen für die Hilfebedürftigkeit als
auch der Maßnahmen infrage zu stellen. Genau dies leistet die "kli-
nische" Handlungskompetenz, deren Kennzeichen es ist, nicht unspezi-
fisch zu personalisieren,wie das die alte Handlungskompetenz der
bildungsbürgerlichen Hilfeideologen tat, sondern spezifisch.
D.h. durch Bezug auf wissenschaftliches Wissen und erlernbare wis-
senschaftlich begründete Methoden soll ein besonderes, von normalen
Beziehungen unterschiedenes Verhältnis zum Klienten hergestellt wer-
den, zu dessen Behandlung eben dieses Wissen Voraussetzung ist. Um
es zu erwerben, sind in der Hierarchie des Ausbildungswesens die
Fachhochschulen und Universitäten nötig, damit sowohl das nötige
sozialtechnische Können als auch die damit verbundene, allgemein
anerkannte Legitimation durch Wissenschaft vermittelt werden. Diese
klinische Handlungskompetenz bedeutet also insgesamt eine Effektivie-
rung der Arbeit der Sozialarbeiter. Damit ist insbesondere die psy-
cho-soziale Behandlung als die vorherrschende und wichtigste Form
der Intensivierung der Arbeit zu betrachten.
Damit gerät diese Arbeit aber in Konflikt mit der anderen Funktion
bürokratischer Organisation: der Kontrolle. Wissenschaftlich sich
verstehendes Wissen und Handeln kann nicht durch ein hierarchisches
Befehl-Gehorsamsystem kontrolliert werden und ist nicht mit Verwal-
tungsvorschriften kontrollierbar. Im Gegenteil: es ist in seinem
idealtypischen Selbstverständnis auf horizontale und gleichberech-
tigte Kommunikation und Kooperation angewiesen. Die Lösungstenden-
zen dieses Konflikts lassen sich auf zwei Ebenen verfolgen:
© Zum einen auf der innerorganisatorischen Ebene, indem zunächst
der Status des Sozialarbeiters von dem eines Verwaltungsbeamten ab-
gehoben wird (z.B. Zeichnungsrecht) und indem nach verschiedenen Mo-
63
dellen die Neuorganisation sozialer Dienste betrieben wird, deren
ie Kennzeichen es u.a. ist, daß Teamarbeit eingeführt wird.
enges Differenzierung des Teams oder zwischen den Teams wird
in der Regel eine Spezialisierung angestrebt: Unter Berufung auf
ematik des jeweiligen Klientels gibt es dann In-
ie besondere Probl i i $ n
e a aa solche, die für Kinder oder Jugendliche, für
Drogenabhängige, Alte, psychisch Kranke usw. zuständig sind.
© Zum anderen besteht die Tendenz, die Kontrollfunktionen teilweise
auszulagern, d.h. Berufsverbände zu gründen, die über das Berufs-
ethos wachen und auch Disziplinargewalt haben (vorbild: Ärzte- und
Anwaltskammern). Das Äquivalent zu dieser Auslagerung ist die Ver-
innerlichung dieses Ethos durch den einzelnen Sozialarbeiter: statt
Kontrolle von oben also Kontrolle von innen - was als intrinsische
Motivation generell als besser d.h. als stabiler angesehen wird.
Durch beide Entwicklungen ist zugleich die bürokratiekritische Ten-
denz von Sozialpädagogen quasi systemkonform sublimiert -= anders
ausgedrückt: dadurch wird die Kontrolle effektiviert - was zugleich
eine der wirksamsten Formen der Disziplinierung ist (Vergl. Ab-
schnitt 4.1.). A :
Oberflächlich gesehen entschärft sich durch die neuen Formen der so-
genannte zentrale Rollenkonflikt zwischen Verwaltung und pädagogisch-
therapeutischem Selbstverständnis, tatsächlich bedeuten sie aber
beides: eine Intensivierung der Arbeit und der Kontrolle zugleich.
Damit aber sind folgende Konsequenzen verbunden:
© Neue Formen von Kooperation modifizieren zwar die bürokratische
Organisation, machen sie insgesamt in allen ihren Funktionen aber
auch effektiver (z.B. höhere Reichweite der sozialarbeiterischen
Interventionsformen und damit eine höhere und differenziertere
Form sozialer Kontrolle);
© Verwissenschaftlichung, die sich in den Grenzen des vorwissenschaft-
lichen Handlungswissens bewegt (hier: Psychologisierung, Pathologi-
sierung, individuell klinisches Wissen) und die die Hierarchisie-
rung vom Wissen im Ausbildungssystem konsolidiert, bleibt Herr-
schaftswissen, das die Handlungsvollzüge zwar besser qualifizieren
kann, zugleich aber auch systemimmanent und legitimierend bleibt -
zumal wenn die damit verbundene Ideologie einer besonderen Profes-
sion das Entstehen eines Lohnarbeiterbewußtseins verhindert und
Gewerkschaftspolitik als Standespolitik verstanden wird;
® die damit verbundenen Formen gesellschaftlicher Planung; finden
nicht nur ihre Grenzen im partikularen Interesse des Kapitals,
sondern dienen diesem in Form von Intervention und Planungen des
kapitalistischen Staatsapparates (Doppelcharakter z.B. der Jugend-
und Sozialpläne);
© das nicht hinterfragte Festhalten an der Einheit von Status und
Handlungskompetenz führt zu immer neuen Hierarchieschichten bzw.
Spezialisierungen:
So wird in allen Modellen die Leitung neu organisiert: neben bzw.
über die leitenden Sozialarbeiter/Koordinatoren treten Amtsleiter
und Supervisoren, in und zwischen den Regionalen Arbeitsgruppen
(oder wie immer sie genannt werden) und zwischen den anderen Dien-
sten werden Formen extrem arbeitsteiliger Organisation erprobt.
Diese Modelle produzieren in sich aber wieder soviel Organisations-
probleme, daß selbst bei gutem Willen aller Beteiligten fast unüber-
windliche Kooperations- und Kommunikationsprobleme entstehen, die
64
auch dann nicht mehr durch i isi älti
ea spezielle Supervision bewältigt werden
Daß damit zugleich womöglich eine Spielwiese für kritische Sozial-
ee. eröffnet wird, darauf verweisen die Erfahrungen Berliner
Sozialarbeiter unter der kritischen Fra ü i
: gestellung: Wem t e t=
lich) die Modellbewegung? (5) x a
3, VIER MODELLE DER NEUORGANISATION SOZIALER DIENSTE
Aus diesen vier Konsequenzen lassen sich vier Fragen an die Neuor-
ganisation Sozialer Dienste ableiten. Diese sollen im Folgenden die
Leitlinie in der Darstellung und Analyse von vier Modellen der Neu-
organisation sein, wobei jedes Modell im Schwerpunkt einer Frage-
stellung zugeordnet wird:
l. Welche neuen Formen der Kooperation werden erprobt? (Modell Duis-
burg/Dortmund)
2. Welches sind die wissenschaftlich begründeten oder zu begründen-
den Leitvorstellungen (z.B. Auftrag der Sozialarbeit, Bürgernähe
u.ä.)? (Trierer Modell) E
3. Welche neuen Formen der Planung, der Definition von Zielgruppen
und der Methoden sollen erarbeitet werden? (Bremer Modell)
4. In welchem Verhältnis stehen Handlungskompetenz und Status? (Neu-
köllner Modell, Berlin)
3.1. Duisburg/Dortmund: Neue Formen der Kooperation
nn
Darstellung der Konzeption
Der Duisburger Modellversuch wurde - nach einer Vorlaufphase seit
1970 - in den Jahren 1975-77 durchgeführt. Über ihn berichten in
sehr anschaulicher Weise Karl Pronke und Gerd Wenzel (Universität
Bremen) in ihrem Artikel im Jahrbuch der Sozialarbeit 1978 (6). Von
dem Dortmunder Modellversuch liegt z.Zt. nur ein Planungspapier vor
(7). Er sollte im Dezember 1979 beginnen, steckt z.Zt. also in der
Anfangsphase.
Beide Modelle gehen von der gleichen Grundüberlegung aus:
l. Regionalisierung der Verwaltungssachbearbeiter und der Sozialar-
beiter.
Das hat vor allem zur Folge, daß ein Sozialarbeiter nicht mit al-
len Verwaltungssachbearbeitern des Sozialamtes zu tun hat, son“
dern nur mit einem, der für alle Bereiche des BSHG, des Wohngel-
des usw. zuständig ist.
2. Gemeinsame Fallverantwortung.
Sozialarbeiter und Verwaltungssachbearbeiter müssen nicht mehr je-
weils eigene Akten und Anamnesen führen, sondern führen diese ge-
ee und haben in bestimmten Fällen auch gemeinsam zu entschei-
en.
3. Jeweils ein Sozialarbeiter und ein Verwaltungssachbearbeiter bil-
sa > "Basisgruppe" (Duisburg), bzw. ein "Bezirksteam" (Dort-
mund).
65
SCHAUBILD 1
Bildung der Bezirksteams und der Bereichsteams
SCHAUBILD 2
DIN
||
al
II
Nr. 1-17 = Bezirksteams
= je ein Sozialarbeiter und eine
Verwaltungskraft
wird v. d. 4 Gruppenleitern gemeinsam bearbeitet
3V
#
Arbeitsgruppe 1
S = Sozialarbeiter
V = Verwaltungsmann
AGL = Arbeitsgruppenleiter
Amtsvormundschaft
IN oma av
N Hr
A\ -
\
A \ | pecherbeiienee. v |
Arbeitsgruppe 2 Arbeit mit Verbänden 18
Sozialversicherung 1v
Beide Modellversuche beziehen sich jeweils auf einzelne Stadtbezir-
ke und sollen bei Erfolg auf andere übertragen werden (wieweit das
in Duisburg geschehen ist, konnte ich nicht feststellen). In Duis-
burg fand der Modellversuch in dem traditionellen Arbeiterviertel
Hamborn statt, in Dortmund in dem Stadtteil Brackel, einem "durch-
schnittlichen" Viertel. Vor den Modellversuchen waren die Sozialar-
beiter und die Verwaltungssachbearbeiter in unterschiedlichen Äm-
tern organisiert. Es gab die bekannten Mehrfachzuständigkeiten und
-betreuungen, Ziel beider Modellversuche war es deshalb, Hilfearten
zusammenzufassen, Innen- und Außendienst abzubauen, persönliche Hil-
fen zu entbürokratisieren und für einen fachgerechten Personaleinsatz
zu sorgen (8). Ebenso in Dortmund-Brackel: "größere Bürgernähe, ein
besseres Leistungsangebot und einen höheren Wirkungsgrad unserer
Leistungen" soll erreicht werden (9). Als das wirkungsvollste Mittel
zur Erreichung dieser Ziele wird in beiden Fällen die Dekonzentra-
tion - vor allem der Aufgaben und damit der Zeichnungsbefugnis - ge-
sehen.
In Dortmund-Brackel ist die Teilnahme an dem Modellversuch freiwil-
lig. In besonderen Weiterbildungsveranstaltungen werden die Teilneh-
menden auf den Modellversuch vorbereitet. Brackel ist ein Bezirk von
ca. 58 000 Einwohnern. Er wird in 17 Bezirke mit durchschnittlich
3 400 Einwohnern eingeteilt. "In den 17 Bezirken werden 18 Sozial-
arbeiter und 18 Verwaltungsfachkräfte tätig sein. ... Die Verwaltungs-
fachkraft und der Sozialarbeiter bilden das Bezirksteam. Sie arbei-
ten auf der Grundlage der Kooperation gleichwertig und ranggleich zu-
sammen. Sie sind in ihrem Bezirk - bezogen auf die im Sozialdienst
dekonzentriert wahrzunehmenden Aufgaben - allzuständig. Eine fach-
spezifische Aufgabenverteilung - wie bisher nach Sachgebieten - zwi-
schen Mitarbeitern gleicher Fachrichtung gibt es nicht." (10) Je
vier Bezirksteams werden zu einem Bereichsteam zusammengefaßt
(s. Schaubild 1). Jedes Bereichsteam hat einen Leiter, wobei zwei
Leiter Sozialarbeiter sind und die anderen beiden Verwaltungsfach-
kräfte. Diese 4 teilen sich den Bezirk 9, d.h., sie sind jeweils mit
der Hälfte ihrer Arbeitskraft als Sachbearbeiter zuständig, mit der
anderen Hälfte für die Leitung der Gruppe. Alle werden gleich be-
zahlt, auch die Leiter haben in diesem Sinne keine herausgehobene
Position.
Zu den Aufgaben des Bereichsteams heißt es:
"Bei den Bereichsteams handelt es sich um eine ständige Einrichtung.
In festen Zeitabständen sollen Gruppengespräche stattfinden. Alle
Teammitglieder sind gleichberechtigt. Grundsätzlich muß eine umfas-
sende gegenseitige Information der Gruppenmitglieder über alle we-
sentlichen Vorgänge, welche die Sozial-, Jugend- und Gesundheitshilfe
berühren, gewährleistet sein. Diese Forderung zu verwirklichen, ist
u.a, Aufgabe des Gruppenleiters. Jeder Mitarbeiter hat das Recht,
einen "Fall" in das Gruppengespräch einzubringen. Unter Fall sind
nicht nur Einzelvorgänge, sondern auch Probleme von Gruppen zu ver-
stehen. Die Mitarbeiter sollen von dieser Möglichkeit bei Fällen von
besonderer Problematik Gebrauch machen, wenn das Wissen und
die Erfahrung anderer Gruppenmitglieder hilfreich sein können oder
der eigene Arbeitsbereich in räumlicher oder sachlicher Hinsicht
überschritten wird. Folgende Angelegenheiten sind i.d.R. im Team zu
behandeln:
e Einzelfälle mit neuartiger Problematik
67
i ä ü inzelne und Familien (...) FA. E
r le Team besprochenen Fälle, falls die im Hilfe-
plan festgelegten Maßnahmen zu scheitern drohen oder der Hilfeplan
wegen einer wesentlichen Änderung der Familiensituatiıon neu zu
fassen ist. f
Planung von sozialer Gruppenarbeit
Behandlung von Widersprüchen
Anträge auf Strafverfolgung
Vorbereitung der Entscheidung Ü
einer Forderung i pr
e Entscheidung darüber, ob eine Hilfe als Darlehen oder als Beihilfe
gewährt wird P
Veränderungen in der Ausübung der elterlichen Gewalt
e Anträge auf Volljährigkeitserklärung j f .
Das Team hat beratende Funktion. Die Teammitglieder sollen sich be-
mühen, zu einem gemeinsamen Lösungsvorschlag zu kommen." (11)
Verbindlich festgelegt werden sollen im Brackeler Modellversuch auch
die Vertiefungsgebiete der fachlichen und methodischen Weiterbildung.
Damit soll erreicht werden, daß in jedem Team das nötige Fach- und
methodische Wissen vorhanden ist.
ber Niederschlagung oder Erlaß
Zumindest in der Planung ist bei der Kalkulation der Bezirkseintei-
lung und bei der Ermittlung des Mitarbeiterbedarfs ein Arbeitszu-
schlag von 20 % einbezogen worden. 10 Z gelten dabei für die fachli-
che Erschwernis, je 5 % für Teamarbeit und Erprobungserschwernis.
Sollte dies tatsächlich der Fall sein, so wäre dies der einzige mir
bekannte Modellversuch, der eine derartige Planung vorsieht. Inter-
essant vielleicht noch der Raumbedarf: Je ein Raum für ein Bezirks-
team, ein zusätzlicher Besprechungsraum für je ein Bereichsteam und
ein Raum für einen Auszubildenden bzw. Praktikanten (!).
Besonders in der Vorbereitung (Weiterbildungsseminare) als auch in
der Durchführung scheinen die Dortmunder einiges von dem Duisburg-
Hamborner Modell gelernt zu haben, da dieses dort in dem Maße nicht
berücksichtigt wurde. Der entscheidende Unterschied liegt im Lei-
tungssystem: In Duisburg-Hamborn bleibt praktisch die Zweigliedrig-
keit von Sozialamt und Sozialarbeiterabteilung erhalten, da die bei-
den Mitglieder der Basisgruppe jeweils unterschiedliche Vorgesetzte
haben (vgl. Schaubild 2 - Seite 66).
Grundlegendes Element in beiden Versuchen ist die 1:1 Zuordnung von
Sozialarbeitern und Verwaltungssachbearbeitern (im folgenden S und
V). Dazu und zur Gesamteinschätzung zitiere ich die o.g. Autoren:
"Die enge Kooperation von S und V bietet die Chance, daß beide be-
teiligten Professionen über die jeweils anderen Arbeitsbereiche bes-
ser informiert sind. Für den S heißt das konkret, daß er die Mecha-
nismen und Praktiken bei der Gewährung materieller Hilfen besser
durchschaut und diese Kenntnisse im Interesse der Klienten einsetzen
kann. V hat die Möglichkeit, Sozialarbeit kennenzulernen; damit kann
bei ihm ein anderes Verhältnis zu den Klienten entstehen. Dabei ist
aber zu beachten, daß innerhalb kleinerer Gruppen gerade im Tagesge-
schäft leichter Konflikte auftreten. Um diese lösen oder relativie-
ren zu können, sind einerseits regelmäßige Gruppenkonferenzen ohne
Vorgesetzte und andererseits Fortbildungsveranstaltungen mit unab-
hängigen Dritten notwendig. Die Zusammenarbeit stößt aber auch dann
noch an die Grenzen der unterschiedlichen Professionalisierung und
die vorgegebenen verschiedenen Rollen.
68
Problematisch für S ist die Integration in die Kleingruppe, da er
emotional an V gebunden wird und auf seine Erwartungshaltung Rücksicht
nehmen muß. Das führt zur teilweisen Übernahme des Sparsamkeitsden-
kens von V - "der Sozialarbeiter kann auch einmal nein sagen" - »
Der Sozialarbeiter kann sich - selbst wenn er es will - nicht mehr
so intensiv als Vertreter der Klienten empfinden, die Integration
in den Verwaltungsapparat wird verstärkt. Durch die genauere Kennt-
nis des Verwaltungssachbearbeiters von der Arbeit des Sozialarbei-
ters erhöht sich zudem der Legitimationsdruck auf den Sozialarbeiter."
(12)
"Gerade im Bereich der "Bescheidproduktion'" und "Aktenerledigung"
kann der Sozialarbeiter nicht mit dem Verwaltungsmann konkurrieren;
da aber gerade das der Erfolgsmaßstab einer bürokratischen Verwal-
tung ist, die Arbeit des Sozialarbeiters aber mit diesen Maßstäben
nicht gemessen werden kann, erscheint Sozialarbeit als "erfolgslos"
und unterliegt in einer Zeit der Haushaltsrestriktionen ständig der
Gefahr, den staatlichen Sparmaßnahmen und Stellenstreichungen zum
Opfer zu fallen.
Diese Erfolglosigkeit erzeugt auf seiten des Sozialarbeiters entspre-
chende Anpassungsmechanismen und Integration in die Behörde. So über-
nehmen viele Sozialarbeiter das im Interesse des öffentlichen Arbeit-
gebers liegende Sparsamkeitsdenken des Verwaltungsmannes. Damit ver-
liert er einen weiteren Teil seiner durch die tägliche Verwaltungs-
praxis schon immer eingeschränkten Möglichkeiten, als Interessenver-
treter des Klienten zu handeln - gerade auch gegenüber dem mate-
rielle Hilfen gewährenden (oder nicht gewährenden) Verwaltungsmann.
Durch die im Modell vorgesehene enge Kooperation Sozialarbeiter/Ver-
waltungsmann tendiert der Sozialarbeiter dazu, nur noch Einzelfall-
hilfe zu leisten, da nur diese den individualisierten Hilfen auf
seiten des Verwaltungsmannes entspricht. Entgegen dem Konzeptziel
"Erprobung neuer Arbeitsformen" fand eine totale Beschränkung auf
die Einzelfallhilfe statt. Diejenige Sozialarbeiter-Gruppe, die die-
sen Problemkreis durch - zum Teil allerdings persönliche - Kritik
aufgriff, wurde von der "funktionierenden" Verwaltungshierarchie
zerrieben. Die bürokratischen Imperative haben sich damit voll durch-
gesetzt. Auf seiten der Sozialarbeit herrscht eine entsprechende Er-
nüchterung, wenn nicht Resignation." (13)
Bewertung
Die beiden Modelle waren unter der Fragestellung ausgewählt worden,
welche neuen Kooperationsformen sich ergeben können. Sicherlich ist
mit der Dekonzentration der Aufgaben und der dazugehörigen 1:1
Zuordnung ein verwaltungstechnisch sinnvolles Verfahren gefunden
worden, überflüssige Arbeit und zu lange Wege abzubauen. Aber auch
nicht mehr. Jeder Ansatz einer bürokratiekritischen oder emanzipa-
torischen Vorstellung fehlt praktisch - ein Punkt, den andere Mo-
delle zumindest noch verbal vertreten. Durch die Einbindung sowohl
der Sozialarbeiter als auch der Verwaltungsbeamten in eine "Zweier-
beziehung" und die damit gegebene zusätzliche starke Kontrolle ist
das eigentlich Neue dieser Kooperationsform-die Intensivierung der
Kontrolle. Da die Verwaltungssachbearbeiter bis zu 90 % mit BSHG-
Aufgaben beansprucht werden, die Sozialarbeiter mit 70-90 % mit
Aufgaben, die sich aus dem JWG ableiten (Duisburg-Hamborner Erfah-
69
rungen), bleiben nur sehr wenige Bereiche (zwischen 10 und 30 %
aller Arbeitsaufgaben) in denen beide tätig werden müssen. Ob dieser
jeder eigenen fachlichen Orien-
Überschneidungsbereich die Aufgabe j e e
tierung der Sozialarbeiter rechtfertigt, ist selbst nach den Krite-
rien methodisch konzipierter Sozialarbeit zweifelhaft. Was für die-
se Kooperationsformen spricht, ist die Zuständigkeit von zwei quali-
fizierten Leuten für einen überschaubaren Bezirk von ca. 3 400 Ein-
wohnern (!). Vorausgesetzt, ein solches Team könnte sich über in-
haltliche Kriterien der Arbeit verständigen, wäre durchaus eine pro-
duktive Arbeit möglich, die an den Bedürfnissen der Bevölkerung an-
setzt und nicht an denen der Bürokratie. Auf der anderen Seite spricht
gerade diese 1:1 Zuordnung allein aus Arbeitszeitgründen gegen jede
Arbeit, die über die traditionelle Einzelfallhilfe hinausgeht. Ob da-
zu in Brackel die Bereichsteams in der Lage sind, wird sich zeigen.
Solange diese selbst keine Entscheidungskompetenz haben, sondern mehr
oder weniger Beratungsgremium, d.h. eine Art Dienstbesprechung sind,
scheint mir das nicht wahrscheinlich.
3.2. Trier: Sozialarbeit als Dienstleistung
Darstellung der Konzeption
In der Darstellung des Trierer Modells beziehe ich mich vor allem
auf einen Aufsatz, der 1975 im "Nachrichtendienst' erschienen ist und
der verfaßt worden ist von Paul Kreutzer (Sozialdezernent) und
Elisabeth Kretzer (Leiterin des Sozial- u. Jugendamtes) (14).
Als die Diskussion 1962 begann, waren (meines Wissens nach) noch
beide Sozialarbeiter in Trier. Schon damals waren dort Innen- und
Außendienst zusammengefaßt (was bis 1980 in Hamburg noch umstrit-
ten ist). Ein wesentlicher Aspekt des Trierer Modells ist deshalb
die personelle Kontinuität und die Langfristigkeit, in der dieses
Modell durchgeführt wird. Zunächst diskutierte man sehr lange und
ausführlich und arbeitete stark mit Weiterbildungsmaßnahmen "man
sprach miteinander - mehr und mehr auch von "unten! nach 'oben',
auch auf der gleichen Stufe, auch zwischen Sozialarbeitern und Ver-
waltungskräften, auch über die Schwierigkeiten der eigenen Arbeit,
vor allem über die Differenzen zwischen dem, was man tun müßte - und
dem, was man tun kann. Dieses offene Sprechen führte dazu, daß ver-
steckte Konflikte zu Tage gefördert wurden und bearbeitet werden
konnten und das die von einer Regelung Betroffenen an einer Gestal-
tung mitwirkten:..." (15)
Neu organisiert wurde zunächst das Jugend- und Sozialamt, d.h. bei-
de Ämter wurden zusammengefaßt. Das führte zu folgenden Ergebnissen:
1. "Sozialarbeiter erfüllen fachspezifische Aufgaben. Hierzu gehört
die Sozialplanung, und hierzu gehört weitgehend die Anwendung der
Sozialgesetze - auch soweit es sich um die Verfügung von Geld- und
Sachleistungen, um die Einleitung von Gerichtsverfahren, um die Heran-
ziehung zur Unterhaltspflicht, etc. handelt, sofern immer nur diese
Entscheidungen den Hilfe- und Verselbständigungsprozeß beeinflussen.
Die Sozialarbeiter eignen sich in ihrer Aus- und Fortbildung theore-
tisch und praktisch sowohl fachwissenschaftliche wie (sozial)-recht-
liche und verwaltungsmäßige Kenntnisse an. Der verstärkte Einbau
70
von Sozialarbeitern in die kommunale Sozialapparatur ist die -
personelle - Basis dafür, daß das vom Recht der Sozial- und Jugend-
hilfe eingeräumte Ermessen entsprechend den gesetzlich definierten
Zielen angewendet wird; Sache des Sozialarbeiters ist es, die An-
wendung des Rechts und die Gewährung von Leistungen in den Hilfepro-
zeß zu integrieren und seinen - auf Autonomie und Eingliederung gehen-
den - Zielen dienstbar zu machen."
2. "Die Sozial- und Jugendhilfe im Einzelfall und zur Gruppenförde-
rung sind im Sozial- und Jugendamt, die sozialplanerischen Aktivi-
täten sind in einem Amt Soziale Gemeinschaftsaufgaben zusammenge-
faßt."
3. "Wo in leitenden Positionen sozialpädagogische und administrative
Funktionen zusammentreffen, probieren Sozialarbeiter und Verwaltungs-
kräfte Formen kooperativer Führung."
4. "Je ein Sozialarbeiter leistet verantwortlich die "offene" Sozial-
und Jugendhilfe in Innen- und Außendienst in 17 räumlich geglie-
derten Bezirken (Abteilung sozialer Dienste); diese Zusammenlegung
der Sozial- und Jugendhilfe ermöglicht ein umfassenderes Arbeiten bei
verminderter Zahl der Anamnesen. Im gleichen Zuge wurde der Innen-
und Außendienst - für beide Bereiche - in der Hand des Sozialarbei-
ters zusammengefaßt. Dies vermeidet Reibungsverluste und unnötige
Stationen der Bearbeitungskette, Der Sozialarbeiter hat bei seiner
Einzelhilfe ganz wesentlich die Funktionen einer "Schaltstelle", die
eine Vielzahl von Personen und Institutionen aktiviert, seine hel-
fende Beziehung zum Klienten zu unterstützen oder ’abzuläösen."
5. "In der Abteilung Sozialer Dienst führen Verwaltungskräfte (zur
Zeit BAT V c und VII) dem Sozialarbeiter zugeordnet die verwaltungs-
spezifischen Funktionen der Sozialhilfe aus, entsprechend der Be-
treuung mit weiteren Entscheidungsbefugnissen sollen auch höherqua-
lifizierte Stellen eingerichtet werden. Für die Jugendhilfe wird le-
diglich das Rechnungswesen in der allgemeinen Verwaltungsabteilung
erledigt."
6. "Spezielle Ergänzungsdienste vertiefen in Schwerpunkten die fami-
lienzentrierte Arbeit der Bezirke, ohne sie auszuhöhlen; der perso-
nale Bezug zwischen Sozialarbeiter und Klient wurde durch eine -
unübersichtliche - Vielzahl von Zuständigkeiten aufgelöst. Über die
seit einigen Jahren bestehenden Ergänzungsdienste - Erziehungsbei-
standschaft, soziale Gruppenarbeit und Gebrechlichenhilfe - hinaus
sind neue Stellen für die Probleme der Heim- und Pflegekinder und
für die Arbeit mit psychisch Kranken eingerichtet."
7. "Vor allem in den sozialpädagogischen Funktionen wurden weitge-
hend anordnende durch beratende und koordinierende Elemente ersetzt.
Befugnisse (Unterschriften) wurden möglichst nach "unten" delegiert.
Vor der Besetzung leitender Positionen wurden die Mitarbeiter der
betroffenen Abteilungen und Ämter gehört, die ihrerseits Ziel-,
Funktions- und Personalvorschläge erarbeiteten."
8. "Die bezirksleitenden Sozialarbeiter suchen ihre mit großer Ent-
scheidungsbefugnis ausgestattete Tätigkeit weiterhin dadurch zu
71
qualifizieren, daß sie besonders schwierige Probleme in ein Team
einbringen, das insoweit Mitverantwortung übernimmt. Intensive Fort-
bildungen (einschließlich Training) stützen sie zusätzlich ab“
9, Die Arbeit des Jugendwohlfahrtsausschusses sowie des Sozial- und
Gesundheitsausschusses wurde aktiviert . Mitarbeiter der sozialen
Dienststellen beteiligen sich - mit Fachwissenschaftlern und Studen-
ten, Eltern und Jugendlichen - an der Arbeit von Projektgruppen sowie
an Arbeitskreisen der kommunalen Ausschüsse, die sich z.B. mit Proble-
men der Erziehungshilfe, der Randgruppen und der außerschulischen
Jugendbildung befassen. In segregierten Randgruppensiedlungen ar-
beiten Sprecher der Bevölkerung mit."
10. "Die Kontakte mit den freigemeinnützigen Verbänden und Einrich-
tungen - insbesondere der Jugendhilfe - wurden intensiviert; ihre
Mitarbeiter beteiligen sich zunehmend an allen ihre Arbeit berühren-
den behördlichen und kommunalpolitischen Aktivitäten. Die Zusammen-
arbeit u.a. mit der Wohnungsabteilung und dem Gesundheitsamt, mit
den Schulen und Altenheimen wurde persönlich und sachlich enger."
1l. "Das Amt Soziale Gemeinschaftsaufgaben ist mit der Arbeit an
einer integrierten Sozialplanung (einschließlich Sportstättenleit-
plan) für die Gesamtstadt und die einzelnen Stadtteile befaßt." (16)
Diese Ergebnisse sind im wesentlichen Resultat eines jahrelangen
Lernprozesses, in den sich Sozialarbeiter und Verwaltungsbeamte
und -angestellte begeben haben. Durch interne und externe Weiterbil-
dung, durch Beteiligung möglichst aller an der Zielfindung und der
Konzeptionserstellung war es möglich, auch Gruppen, die unter-
schiedliche Zielauffassungen und damit wohl auch unterschiedliche
politische Auffassungen vertreten, einzubinden und daß keine Ent-
scheidung über das Knie gebrochen wurde. Zum Zeitfaktor führen die
Autoren aus: "Von der Konzeption bis zur Verwirklichung des ersten
großen Abschnitts der Umorganisation vergingen also gut fünf Jahre.
Ohne diese relativ lange Dauer hätte das "Gegenstromverfahren"
zwischen "unten" und "oben", zwischen Sozialarbeit und Verwaltung,
zwischen Fachbehörde und Ratsausschüssen, zwischen unseren Trierer
Bestrebungen und den Reaktionen anderenorts nicht so auspendeln
können, daß es zu einer allseits akzeptierten oder auch doch tolerier-
ten Lösung führte. An seinem Ende war der Wunsch der Mitarbeiter be-
greiflich, nun eine Zeitlang ohne weitere Anstöße in der neuen
Gleichgewichtslage arbeiten zu können." (17)
Gemessen an seinem eigenen Anspruch, steht das Trierer Modell noch
immer am Anfang. So wird z.B. angeführt, daß in Trier mit seinen
100 000 Einwohnern 1 300 Schulpädagogen 45 Sozialarbeiter gegenüber
stehen-"gewiß, die Schulpädagogik hat einige Jahrtausende Vorsprung
vor der Sozialpädagogik, aber wo wäre die Entwicklung unseres Bil-
dungswesens in der Nachkriegszeit geblieben, wäre sie Sache der Kom-
munen gewesen!" Gefordert wird eine Art Fachlichkeit, die die Gleich-
wertigkeit der Sozialpädagogik mit der Schulpädagogik zumindestens
im Ansatz realisiert. Es werden aber auch dagegenstehende Schwierig-
keiten ausführlich behandelt - sowohl lokale als auch bundespoliti-
sche. Aber auch die Realität selbst hat diese Vorstellung von Sozial-
arbeit zumindest auf der bisherigen Konzeptionsbasis eingeholt:
72
"Die Umorganisation 1968 wurde mit einer Erwartung und einer Befürch-
tung vorgenommen. Wir erwarteten, der seinerzeitige Rückgang der
Fallzahlen in der Sozialhilfe - die Empfänger von Hilfe zum Lebens-
unterhalt waren von 1 525 im Jahre 1963 auf 1 031 im Jahre 1967
zurückgegangen - werde anhalten. Die Vordringlichkeit der Bearbei-
tung der Sozialhilfe werde also nicht länger dazu führen, daß die -
jeweils von demselben Sozialarbeiter zu leistende - Jugendhilfe zu
kurz komme.
Nach der Umorganisation bewahrheitete sich dann aber gerade umge-
kehrt die Befürchtung, daß die - wider Erwarten rapide steigenden -
Fallzahlen der Sozialhilfe nicht mehr genügend Raum für ein intensi-
ves Eingehen auf erzieherische Notstände ließen; die Zahl der Em-
pfänger etwa von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt nahm von 1968
(944) bis zum 30.6.1974 (2 305) um 166 Z zu und die Zahlen langfri-
stiger Bearbeitungen stiegen im Schnitt der Bezirke in der offenen
Sozialhilfe von 1968 bis Mitte 1974 von 90 auf 211. Die Flut zu-
sätzlicher Bedienungen von Rechtsansprüchen nach dem Sozialhilfege-
setz schnürte gute Ansätze methodischer Arbeit wieder ein, insbeson-
dere die intensivierten Einzelhilfen sowie die Aufnahme von Supervi-
sion, Projekt- und Gemeinwesenarbeit." (18)
Bewertung
Das Trierer Modell war unter dem Aspekt der wirtschaftlich begrün-
deten bzw. zu begründenden Leitvorstellungen ausgewählt worden. Es
ist das einzige mir bekannte Projekt, in dem Leitvorstellungen, die
von Sozialarbeitern ausgearbeitet wurden, über einen so langen Zeit-
raum durchgehalten wurden und in dem ein explizit formuliertes Selbst-
verständnis von Sozialarbeit zugrundegelegt wurde, den sich die in-
haltliche und organisatorische Ausrichtung unterordnete. Sozialar-
beit wird als eine Einheit von Dienstleistung angesehen, in deren
Zentrum das persönliche Gespräch steht: die eigentliche Substanz
der Sozialarbeit ist "das problemerhellende Gespräch, ... die Ak-
tivierung eigener Initiative des Hilfeempfängers und das Eröffnen
von Verhaltensalternativen", (19)
Was bei diesem Ansatz allerdings völlig unter den Tisch fällt, ist,
daß die bürokratische Organisation eben nicht nur für effiziente
Leistung sorgt, sondern zugleich auch für effektive Kontrolle. Der
Aspekt der Herrschaft und der Machtausübung kommt nicht vor, weder
bei der Diskussion organisationsinterner Probleme - hier werden durch
Weiterbildung und interne Überschreitung der Rollenkompetenz die
auch von den Modellautoren gesehenen Schranken der Organisation auf-
geweicht -, noch bei der Erwähnung der Betroffenen: sie sind schlicht
Hilfebedürftige und der Sozialarbeiter weiß schon, welcher Hilfe sie
bedürfen.
Diese Schwäche des Modells ist zugleich auf der pragmatischen Ebene
seine Stärke. Zwischen den Zeilen läßt sich gut herauslesen, wie ge-
schickt die Autoren mit der lokalen Macht- und Autoritätsstruktur
umgehen können, um ihre Interessen durchzusetzen. Gerade von der
langfristig angelegten Arbeit sollten auch wir Linke lernen, die
häufig in sehr kurzfristigen Zeitzyklen denken.
Im Unterschied zum Dortmunder und Duisburger Modell ist hier die
Stellung des Sozialarbeiters eindeutig dominant, die der Sachbear-
beiter z.B. für BSHG-Fälle ihm eindeutig untergeordnet. Genau wie in
73
dem vorigen Modell aber sind es die als Sachzwänge verkleideten
bürokratischen Organisationsmechanismen, die den Hauptteil der So-
zialarbeit auf Sachbearbeitung in der Einzelfallhilfe reduzieren und
- bei allem anderen Anspruch - keine darüberhinausgehende Arbeit
möglich werden lassen. Die Trierer haben dieses Dilemma auch ganz or-
ganisationslogisch gelöst: sie haben ein eigenes Amt für Soziale Ge-
meinschaftsaufgaben aufgebaut, das für die Sozialplanung und über-
greifende Aufgaben zuständig ist.
In beiden Modellen kam also der Anstoß zur Änderung der Organisation
aus den Irrationalismen gegebener Organisationsformen. Während das
Dortmund/Duisburger Modell diesen Konflikt auch nur ausschließlich
auf der Organisationsebene angeht, ist im Trierer Modell immerhin
noch ein Anspruch von umfassender Sozialarbeit zu sprüren.
3.3. Bremen: Das Zielgruppenkonzept
Darstellung des Konzepts
Da im Teil 2 Bremer Kolleginnen über die jetzige Situation der Ju-
gend- und Familienfürsorge und deren Erfahrungen mit der Neuorgani-
sation selbst berichten, will ich mich hier auf die wesentlichen
Grundzüge des Konzepts beschränken.
1974 wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die aus Mitgliedern der
Senatskommission für das Personalwesen und aus zwei wissenschaftli-
chen Mitarbeitern des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik
(Frankfurt/M.) bestand. Diese Gruppe erstellte zunächst eine Ist-
Analyse der Bremer Sozialen Dienste und unterbreitete dann einen
Sollvorschlag für die Neuorganisation. Das besondere an dem Untersu-
chungsauftrag bestand darin, daß die Aufgaben der Sozialarbeit grund-
sätzlich neu bestimmt werden sollten. So heißt es in der Zielbestim-
mung, die in einem über 100 Seiten starken "Roten Buch" enthalten
ist: (20) "Die behördlichen Sozialen Dienste müssen, wenn sie tat-
sächlich vom Bedarf der Bevölkerung ausgehen und eine verbesserte
Wirksamkeit der Sozialarbeit im Interesse der Bevölkerung erzielen
wollen, einzelfallbezogene Dienste und einzelfallübergreifende För-
derungsangebote umfassen, reaktive und aktiv-initiative Leistungen
erbringen. Eine solche Integration der Aufgaben entsprechend dem Be-
darf überwinden die Trennung von 'Fürsorge' hier - in der Regel für
die '"Benachteiligten' - und 'Förderung' dort - in der Regel mehr
für die 'Bevorzugten'." (20). Da von dem Bedarf der Gesamtbevölke-
rung ausgegangen wird und nicht von den schon vordefinierten Aufga-
ben traditioneller Sozialarbeit, die sich eher an defizitären Grup-
pen orientiert, wird ein Zielgruppenkonzept ausgearbeitet, das alle
Bevölkerungsgruppen umfassen soll.
Diese Gruppen sind:
e Kinder und deren Familien
Jugendliche und deren Familien
Erwachsene ohne minderjährige Kinder
ältere Menschen
seelisch Behinderte
Empfänger wirtschaftlicher Sozial- und Jugendhilfe
e Amtsmündel und Amtspfleglinge.
Wo immer möglich, sollen die Leistungen für diese Gruppen möglichst
dekonzentriert erbracht werden können, es soll also stadtteilbezogen
74
Räumliche Einheiten
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gearbeitet werden. Ist das aufgrund der Größe oder der Besonderheit
der Einrichtung nicht möglich, sollen entsprechende Organisations-
einheiten auf Bezirksebene bzw. auf der Ebene des Gesamtstadtstaa-
tes errichtet werden (siehe Schaubild 3). Mit diesen Zielgruppen
sind in der Tat alle Bevölkerungsgruppen lückenlos erfaßt. Ihnen zu-
geordnet werden jetzt jeweils besondere Bezirkssozialdienstgruppen
von Sozialarbeitern bzw. Verwaltungsbeamten. Diese sind nach Ziel-
gruppen auf Bezirksebene untergliedert, wobei die größeren bezirk-
lichen Sozialdienste wiederum in den verschiedenen Stadtteilen Ar-
beitsgruppen bilden (vergeliche die Organisationsmatrix Schaubild 4).
(Anmerkung: In der Hansestadt Bremen gibt. es z.Zt. 5 Bezirke mit
ca. 75 000 bis 100 000 Einwohnern). Durch das Zielgruppenprinzip
und durch die Stadtteileinteilung haben wir praktisch eine doppelte
Struktur, die einen hohen Aufwand an Kooperation und Kommunikation
erfordert. So gibt es eine ganze Reihe von institutionalisierten Be-
ratungsformen, die z.T. verpflichtenden Charakter haben. Grundsätz-
lich wird dabei vom Arbeitsgruppenprinzip ausgegangen, wobei diese
Arbeitsgruppen nicht nur beratenden Charakter haben - wie in den
bisher vorgestellten Modellen -, sondern auch Entscheidungs befug-
nisse.
So bilden z.B. alle Sozialarbeiter und sonstigen Bediensteten der
Stadtteilgruppe mit der Zielgruppe Kinder und deren Familien eine
Gruppenkonferenz im Stadtteil, die bei festgelegten einzelfallbezo-
genen und bei allen einzelfallübergreifenden Aufgaben entscheidungs-
befugt ist.
Auf der nächsthöheren Ebene gibt es eine zielgruppenbezogene Grup-
penkonferenz im Stadtbezirk, in der jetzt alle Stadtteilgruppen zu-
sammenarbeiten."Diese hat die Funktion der Integration der stadtteil-
bezogenen Arbeitsgruppen durch Informationsaustausch, Abstimmung von
Aktivitäten, Planungsüberlegungen, Mittelberatung u.ä.". "Damit aber
nicht nur die zielgruppenorientierten Arbeitsgruppen zusammenarbei-
ten, sondern auch alle Sozialarbeiter, die in einem Stadtteil sind,
kooperieren können, wird zusätzlich eine Konferenz der zielgruppen-
übergreifenden Stadtteilgruppe eingerichtet". "Diese Konferenz ist
jeweils institutionalisiert. Sie hat die Funktion der Information,
Koordination und Kooperation insbesondere auch hinsichtlich der ziel-
gruppenorientierten Stadtteilaktivitäten." (21)
Darüberhinaus soll es möglich sein, stadtteilübergreifende Projekt-
gruppen zu bilden. Erwähnt sei noch die "Leitungskonferenz im Stadt-
bezirk". Diese ebenfalls obligatorische Einrichtung konstitutiert
sich aus den Leitern der zielgruppenbezogenen Sozialdienste, einem
Mitarbeiter der jeweiligen Sozialdienste, einem Vertreter der Erzie-
hungsberatungsstelle, der Leitung des Bezirkssozialzentrums und der
Supervisoren. Ein Überblick über die Kommunikations-, Kontroll- und
Entscheidungsstruktur gibt die nachfolgende Matrix,. (Schaubild 5)
Wichtig ist noch, daß für die "Basisgruppen im Stadtteil" - der
Gruppenkonferenz im Stadtteil - keine Leitungsposition vorgesehen
ist. "Aufgaben von Koordination und Organisation werden von einem
Koordinator wahrgenommen, der durch Wahl oder im Rotationsverfahren
bestimmt wird." (22)
76
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DOKUMENT
Auszug aus dem Bericht über die interne Fortbildung zum Thema
“Welche neue Kooperationsformen erfordern eine Neustrukturie-
rung der sozialen Dienste? ”
Die Fortbildung ist entsprechend dem vorgelegten Programm durchgeführt
worden.
Wir haben festgestellt, daß es wichtig war, drei Tage lang mit Kollegen aus
reichen inklusive Schreib- und Verwaltungskräf-
verschiedenen Aufgabenbe
ausch hinsichtlich
ten eines Stadtbezirks, einen intensiven, fachlichen Aust
der Neuorganisation führen zu können.
Bedauert haben wir, daß nicht alle der eingeladenen Kollegen teilnehmen
konnten.
Anfangs stellte der Referent verschiedene, bereits erprobte Modelle der so-
zialen Dienste (Trier, Dortmund-Brackel, Duisburg-Hamborn und Berlin)
vor, deren Vor- und Nachteile anschließend diskutiert wurden.
Darauf aufbauend fanden Diskussionen in Kleingruppen über jetzige Arbeits-
formen und daraus entstehende Konflikte in der Zusammenarbeit statt.
Anhand des vom Referenten vorbereiteten Planspieles konnten wir am zwei-
ten Tage die Formen der Zusammenarbeit auf der Basis der ‘“Neuorganisa-
tion der sozialen Dienste” in Bremen erproben.
Aufgrund unserer gemeinsamen Diskussionen und der Auswertung des Plan-
spiels kamen wir zu folgenden Ergebnissen:
© Das in der “Neuorganisation der sozialen Dienste” beschriebene Zielgrup-
penprinzip stellt keine Verbesserungen und wesentliche Veränderungen
der jetzigen Arbeitsformen dar. Dadurch, daß der Sachbearbeiter in einem
regionalen Stadtbezirk weiterhin vorrangig einer Zielgruppe und der damit
verbundenen eigenen Hierarchie zugeordnet ist, bleibt das Stadtteilprinzip
(Ortsteilprinzip) weiterhin nachrangig. Bürgernähe und Überschaubarkeit
werden nicht erreicht, weil die bisherige Zuständigkeit verschiedener Ämter
und Abteilungen durch die Zielgruppen ersetzt wird. Bei der Vielseitigkeit
der Probleme unserer Klienten wird diesen auch weiterhin ein häufiger Zu-
ständigkeitswechsel zugemutet.
© Die bisherige Konkurrenz der verschiedenen Abteilungen und Ämter und
die damit verbundenen unterschiedlichen Normen und Bewertungen werden
durch das ähnlich angelegte Zielgruppenprinzip nicht abgebaut.
@ Nach dem Stadtteil-Ortsteilprinzip wäre es dagegen möglich, eine regiona-
le Arbeitsgruppe zu bilden, die grundsätzlich für alle sozialen Belange in ih-
rem Gebiet zuständig ist. Von der Arbeitsgruppe werden durch fortlaufende
Bedarfsfestlegungen Schwerpunkte gesetzt (Vertiefungsgebiete durch einzel-
ne Sachbearbeiter). Pflichtaufgaben und Schwerpunkte werden von der Ar-
beitsgruppe entschieden und nach Notwendigkeit und Neigung auf einzelne
Sachbearbeiter übertragen.
Zu einer solchen Arbeitsgruppe, die auch im jeweiligen Stadtteil in gemein-
samen Räumlichkeiten angesiedelt werden muß, gehören selbstverständlich
auch Kostensachbearbeiter, Verwaltungs- und Schreibkräfte. Die gleiche
Bezahlung aller sozialpädagogischen Mitarbeiter in einer Arbeitsgruppe ist
erforderlich.
Nach dem Stadtteilprinzip würden hierarchische Strukturen in die nächsthö-
here regionale Einheit einmünden und somit auch in vertikaler Linie eine
stärkere Stadtteilorientierung ergeben.
Die gemeinsame Aufgabe der Arbeitsgruppe für einen Stadtteil spaltet den
Klienten nicht nach Symptomen auf, führt zu einer ganzheitlichen Problem-
wahrnehmung und ermöglicht daher 'wesentlich stärker als bisher prophy-
laktische Hilfen.
So ist auch möglich, daß von der Gruppe einzelfallübergreifende Aktivitäten
im Rahmen der Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit wahrgenommen
werden können.
@ Ein “Probelauf”, der sich an den hier angeführten Aussagen orientiert, ist
anzustreben. Voraussetzung dafür wäre u.a. die Bereitstellung der notwen-
digen Mittel für entsprechende Fortbildungen.
%*
Bewertung
Die Darstellung dieses technokratischen Konzepts von Neustrukturie-
rung ist noch längst nicht vollständig, wird aber durch die konpri-
mierte Darstellung schon verwirrend genug.
Gerade unter dem Aspekt der neuen Formen der Planungen und der Ziel-
gruppendefinition macht es dieses Modell sehr deutlich , daß bei
einer Intensivierung und Effektivisierung der Arbeit, die sich an
fortschrittlichen sozialpädagogischen Kriterien orientiert (vor allem
einzelfallübergreifende Arbeit), die Kontrollstruktur ebenfalls effek-
tiviert werden muß, was hier durch ein extrem arbeitsteiliges und
kompliziertes Konferenzmuster geschehen soll. Daß sich bei einer
derart komplizierten technokratischen Vorstellung in der Praxis dann
doch wieder die einzelfallorientierte Realität durchsetzt, das stel-
len die Bremer Kolleginnen in ihrem Erfahrungsbericht selbst dar.
Deshalb soll auf diesen Teil der Kritik hier verzichtet werden.
Wichtiger scheint mir der Aspekt zu sein, daß hier versucht wurde,
eine inhaltliche Neubestimmung von Sozialarbeit zu geben: Sozialar-
beit orientiert sich nicht mehr an den defizitären Gruppen, sondern
am Bedarf, der von der Gesamtbevölkerung artikuliert wird. Dieses
Modell geht damit weit über das Trierer Modell hinaus, das wesent-
lich von den gesetzlichen Vorgaben des JWG und des BSHG ausging. Wie
allerdings dieser, nicht gesetzlich definierte Bedarf ermittelt und
festgelegt wird, darüber gibt der Bericht nur ganz global Auskunft:
an einigen Stellen werden Beispiele genannt wie jugendliche Arbeits-
lose als Problemgruppen oder Massierung von Ausländern als Stadtteil-
problem oder die Festlegung von Kinderspielplätzen und Häusern der
Jugend u.ä.. Ebenso wie in allen vorangegangenen Modellen, wird der
Herrschafts- und Machtaspekt von Sozialarbeit nicht einmal themati-
siert geschweige denn mit in die Überlegung einbezogen. Es wird un-
gefragt von der Nützlichkeit bzw. dem "Gebrauchswert" der Sozialar-
beit ausgegangen. Daß mit der Realisierung eines derartigen Konzepts
eine starke Intensivierung sozialer Kontrolle verbunden wäre, unter-
schlägt das Modell ebenso wie die Möglichkeit von Konflikten zwi-
schen den sozialen Diensten bzw. zwischen den einzelnen Bevölkerungs-
gruppen.
Unter dem neuen Jugendsenator, dem linken Sozialdemokraten Scherf,
soll in einem Stadtbezirk dieses Modell mit Abstrichen erprobt wer-
den. Man darf auf das Ergebnis gespannt sein.
3.4. Berlin-Neukölln: Ein Versuch, Handlungskompetenz und Status
zu entkoppeln
Darstellung des Konzepts
Das letzte Modell, von dem hier die Rede sein soll, hat nur drei Mo-
nate existiert. Es war zu konfliktträchtig, als daß es eine Chance
zu überleben gehabt hätte. In der Darstellung beziehe ich mich im
wesentlichen auf die unveröffentlichte Diplomarbeit von Georg Zinner/
Berlin, (vgl. ebenso Info Sozialarbeit Nr. 5) (23). Ende der 60er,
Anfang der 70er Jahre bildeten sich in Berlin eine ganze Reihe von
Modellen in der bezirklichen Sozialarbeit, die alle den Anspruch hat-
ten, ihre eigene Arbeit zu verbessern. Hier soll von dem Neuköllner
Modell die Rede sein:
80
"In einer Situation,
die in der Neuköllner Familienfürsorge von er-
heblichem Personalman
gel gekennzeichnet war und in der diese Fami-
lienfürsorge innerhalb Berlins allgemein als rückständig angesehen
wurde (die Modellbewegung hatte dort noch zu keinen Ergebnissen ge-
führt) versuchte eine Gruppe von Sozialarbeitern der Amtsleitung
Zugeständnisse abzuringen, gegen das Versprechen, längere Zeit in
Neukölln zu arbeiten. Die von der Gruppe geforderten Zugeständnisse
wurden nahezu vollständig erfüllt. Im einzelnen hatten sie folgenden
Inhalt:
© Die Gruppe konnte traditionelle Einzelzuständigkeiten zugunsten
einer Gesamtzuständigkeit aufheben;
die hierarchische Funktion des Gruppenleiters wurde für diese Grup-
pe abgeschafft, zu den Gruppenleiterkonferenzen konnte ein von der
Gruppe selbstgewählter Vertreter geschickt werden;
die Unterschriftsbefugnis wurde der Gruppe generell in allen Ange-
legenheiten zugestanden (mit einigen Ausnahmen);
@ die Gruppe bekam eine eigene Verwaltungskraft;
® die Gruppe hatte das Recht, Schwerpunktarbeit je nach selbster-
kannten Erfordernissen zu leisten.
Diese Befugnisse wurden von der Gruppe genutzt, um ein Konzept
stadtteilbezogener Sozialarbeit zu entwickeln, deren Ausgangspunkt
die spezifische Situation der im Großbezirk wohnenden Bevölkerung
darstellen sollte. Die Gruppe formulierte: y
"Unsere Auffassung ist, daß die primäre Funktion unserer Arbeit sein
muß, die Lebensverhältnisse der arbeitenden Bevölkerung, soweit es
in unseren Möglichkeiten liegt, zu verbessern."
Vier Arbeitsschwerpunkte sollten diesen Anspruch einlösen:
© das Angehen gegen die Schulprobleme der Kinder und Jugendlichen
der Unterschicht mit dem Ziel, ihnen erkennbar zu machen, daß es
sich bei ihren Problemen nicht um solche individueller Art handelt
einerseits und andererseits mit dem Ziel, herkömmliche Sanktions-
mechanismen (etwa Schulversäumnisanzeigen) der Apparate zurückzu-
drängen zugunsten sinnvoller pädagogischer Reaktion; y
© das Aufgreifen von Arbeitsproblemen von Lehrlingen und Jungarbei-
tern, wobei Sozialarbeiter mit den Jugendlichen häufig erst dann
in Berührung kommen, wenn diese aus dem Produktionsprozess heraus-
gefallen sind. Es sollte darum gehen, diesen Jugendlichen die Auf-
nahme bzw. Fortsetzung einer qualifizierten Berufsausbildung zu
ermöglichen, sie über arbeitsrechtliche Fragen aufzuklären und
ihnen bei arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen Hilfestellungen
zu geben und schließlich, schon um Zugang zu ihnen zu finden,
sollte mit ihnen Freizeitarbeit geleistet werden.
© Das Aufgreifen der Wohnsituation vieler Familien, die von der Fa-
milienfürsorge betreut wurden in dem Bestreben, ihnen Wohnraum zur
Verfügung zu stellen, der menschengerecht, ausreichend groß und
preiswert sein sollte. Dieser Schwerpunkt sollte vor allem auch
Bedeutung haben, um Konfliktsituationen zwischen Eltern und Jugend-
lichen abzumildern und zu verhindern, daß schon wegen zu beengter
Wohnverhältnisse Heimunterbringungen notwendig werden. Für Jugend-
liche sollten Wohnkollektive eingerichtet werden.
© Die Durchsetzung aller gesetzlichen Hilfeansprüche nach dem Bun-
dessozialhilfegesetz mit geringerem Arbeitsaufwand, indem Gespräche
mit den dafür zuständigen Sachbearbeitern des Sozial- und Jugend-
amtes geführt werden, an deren Ende stehen sollte, daß die Sozial-
81
arbeiter nur noch in schwierigen Fällen konsultiert werden sollten
und nicht mehr grundsätzlich, wenn es um die Gewährung wirtschaft-
licher Hilfen geht. Auch mit dem Ziel, den Arbeitsaufwand zu ver-
ringern zugunsten sinnvollerer Aktivitäten.
Diese Arbeitsschwerpunkte wurden von der Amtsleitung akzeptiert und
gutgeheißen. Eine Gruppe von Sozialarbeitern hatte damit erstmals
ein Konzept durchgesetzt, daß sich in seinen Intentionen offen gegen
die bisher herrschende Amtspraxis stellte und das der Gruppe Frei-
räume in der Arbeit zugestand, die zumindest durch formelle Kontrol-
le kaum noch eingeschränkt wurden (natürlich mußte die Gruppe die
bestehenden gesetzlichen Vorschriften beachten). Relativ genau waren
im Konzept die Lebensumstände der betreuten Familien beschrieben wor-
und relativ genau wurden daraus entsprechende Arbeitsvorstellun-
entwickelt. Dies unterschied sich von bisher bekannten Konzep-
und auch von später entwickelten (siehe die folgenden Abschnitte),
die nur relativ ungenau und mit sehr allgemeinen Aussagen beschrieben,
was sie erreichen wollten, bzw. sich auf die neue soziologische Termi-
nologie bei alten Inhalten beschränkten.
Die Gruppe fühlte sich stark genug, die gestellten Ansprüche in die
Praxis umzusetzen: Sie forderte eine andere Vergabepraxis senatseige-
ner Wohnungen von den Mitarbeitern des Wohnungsamtes (per Flugblatt
im Amt (!)). Sie griff in Schulkonflikte ein und ging zu Elternver-
sammlungen, um Forderungen der Eltern nach einer besseren Schulaus-
stattung (in einem konkreten Falle) unterstützen und trat damit
öffentlich gegen eine andere Abteilung des Bezirksamtes auf. Sie
suchte informelle Kontakte zu arbeitenden Stadtteilgruppen aufzubauen
und mit diesen zusammenzuarbeiten.
Dies führte sehr rasch zum Konflikt mit der politischen Leitung des
Bezirksamtes, die die Gruppe nach nur zweimonatiger Arbeit auflöste
und einzelne Mitarbeiter kündigte bzw. disziplinierte.
den
gen
ten
Die Konzeption der Gruppe mit einer eindeutig politischen Zielsetzung
ihrer Arbeit, die sie auch auf den Binnenbereich des Amtes ausdehnte
(Flugblätter verteilen im Amt), und die darauf abzielte, die übrigen
Sozialarbeiterkollegen im Amt durch Diskussionen, Arbeitsbesprechun-
gen, Forderung nach sinnvollen Strukturen, vor allem Abschaffung
hierarchischer Positionen zu politisieren, war getragen von der Il-
lusion, im Amt fortschrittliche Sozialarbeit machen zu können und
restriktive Strukturen in ihrem Sinne verändern zu können. Die Illu-
sionen kamen u.a. in folgender Vorstellung zum Ausdruck:
Unter den Kollegen sollte eine breite Basis geschaffen werden, die
dazu bereit ist, für die Interessen der Arbeiter auch gegen den Wi-
derstand der Sozialbürokratie zu kämpfen." (24)
Bewertung
Zur Analyse führt Zinner aus:
"Grundlegender Fehler der Gruppe war, anzunehmen, sie könnten ihre
Arbeit im Amt verbinden mit der politischen Arbeit im Stadtteil, wie
sie von sogenannten Basisgruppen betrieben wurde. Weiter, daß sie
meinte, ihre Funktion als Vertreter der Sozialbürokratie, als Funk-
tionsträger des Staatsapparates umkehren zu können zugunsten einer
Interessenvertretung der von Sozialarbeit Betroffenen. Sie mußten
folglich sehr rasch erkennen, daß jeder Sozialarbeiter, der den po-
82
litischen Anspruch hat,
ger stark zu machen,
gerät zu seiner objek
sich für die Interessen der betroffenen Bür-
ihre Initiativen zu unterstützen, in Widerspruch
tiven gesellschaftlichen Funktion." (25)
Diese generelle Kritik ist wohl nicht falsch
doch die Brisanz dieses Versuches:
petenz zu entkoppeln. Wir hatten oben den Status als den Aspekt der
herrschaftlichen Kontrolle in einer Institution definiert und die
Handlungskompetenz als die gesellschaftlich notwendige Arbeit. Folgt
man dieser Differenzierung, so hat diese Gruppe versucht, den As-
pekt der gesellschaftlich notwendigen Arbeit in den Vordergrund zu
stellen, und das heißt in einer kapitalistischen Gesellschaft, sich
auf die Seite der Betroffenen zu stellen und in den vorhandenen Kon-
flikten Stellung zu beziehen. Ihr Dilemma war sicherlich, ihre ob-
jektive Funktion der Kontrolle, die dem Status eines Sozialarbeiters
in einer Institution entspricht, einfach zu negieren, anstatt die
daraus resultierenden Konflikte langfristig und damit produktiv anzu-
gehen. Dieser Vorwurf kann allerdings erst dann gemacht werden, wenn
ein derartiger Konflikt einmal gewagt worden ist. Im Gegensatz zu
allen anderen Modellen ist hier dieser Konflikt sowohl auf der Hand-
lungsebene ausgetragen als auch auf der Ebene der schriftlichen Aus-
sagen überhaupt formuliert worden.
Nicht zuletzt deshalb haben wir die Forderungen, die diese Gruppe
aufgestellt hat, versucht zu verallgemeinern und sie zum Ausgangs-
punkt unserer Kritik an der Neuorganisation der sozialen Dienste in
Hamburg gemacht. (Vgl. Thesen zur Neuorganisation in Hamburg)
, aber sie unterschlägt
nämlich Status und Handlungskom-
4. EINIGE SCHLUSSFOLGERUNGEN
Zum Abschluß soll versucht werden,
machten Darstellungen und Analysen zu ziehen. Auf eine Gefahr soll
hingewiesen werden, die mit der Neuorganisation immer zusammenhängt:
Der Rationalisierung und der Disziplinierung. Danach sollen aber
auch die fortschrittlichen Möglichkeiten betont werden, die generell
in einer Neuorganisation liegen.
einige Konsequenzen aus den ge-
4.1. Neuorganisation als Rationalisierungsstrategie
Klaus Dammann hat im "Jahrbuch der Sozialarbeit 1978" verschiedene
Strategien der Rationalisierung im Bereich des öffentlichen Dien-
stes - und hier besonders im Bereich der Sozialarbeit - untersucht
und kommt dabei zum Ergebnis, daß die vorherrschende Form der Ratio-
nalisierung im Bereich der sozialpädagogischen Arbeitsplätze vor
allem die Intensivierung der Arbeit ist. (26) Zwar finden wir auf
bestimmten Sektoren der Sozialarbeit/Sozialpädagogik einen absoluten
Abbau von Arbeitsplätzen (z.B, Heime, Kindertagesstätten), auf der
anderen Seite aber auch Bereiche mit Zuwachsraten (Rehabilitation,
Resozialisation). Betrachtet man die Entwicklung seit Anfang der i
60er Jahre, so kann man eine rapide Steigerung der Arbeitsplätze bis
Mitte der 70er Jahre feststellen. Da hier genaueres Zahlenmaterial
noch nicht vorliegt, kann man nur von Schätzungen ausgehen: Die
Anzahl der Arbeitsplätze dürfte sich verdreifacht bis vervierfacht
haben. Erst seit Mitte der 70er Jahre wird diese Kurve deutlich
flacher.
83
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Wir hatten oben in der allgemeinen Bestimmung der Bürokratie fest-
gestellt, daß bürokratische Organisationen immer zweierlei zugleich
leisten müssen: Effektivierung der Arbeit und Effektivierung der
Kontrolle.
Ein allgemeines Kennzeichen der Rationalisierung ist nun, daß die
vorfindbare Arbeitsleistung nicht mehr den herrschenden Anforderun-
gen genügt. Dabei geht es in erster Linie nicht um individuelle Ar-
beitsleistungen, sondern um die Leistungsfähigkeit einer Organisa-
tion, wobei die Kriterien, was diese herrschenden Anforderungen in-
haltlich bedeuten, in der Regel von außen herangetragen werden. Wir
hatten oben einen derartigen Wandel in den herrschenden Leistungs-
anforderungen als eine Funktionsverschiebung in der Sozialpädagogik/
Sozialarbeit beschrieben - Funktionsverschiebung von mehr materiel-
len Reproduktionshilfen zu pädagogisch/therapeutischen Reproduktions-
hilfen.
Geht es bei der Rationalisierung also vor allem um die Effektivierung
der Arbeit, so geht es bei der Effektivierung der Kontrolle vor al-
lem um eine subtilere Art der Disziplinierung.
Diszipliniert werden muß immer dann, wenn alte Verhaltensnormen frag-
würdig geworden sind und die Gefahr besteht, daß neue, im Verhältnis
zu den alten Normen dysfunktionale Tendenzen sich durchsetzen. Eine
derartige Disziplinierung ist nur im Ausnahmefall erkennbare Gewalt
(z.B. Berufsverbote). In der Regel setzt sich eine derartige Diszi-
plinierung über die Umbiegung dieser neuen Normen in die Funktionali-
tät der alten durch, indem Aspekte des Neuen integriert werden: Wir
hatten den Vorgang oben als systemkonforme Sublimierung der büro-
kratie-kritischen Tendenzen der klinisch orientierten Sozialarbeit
gekennzeichnet, indem sowohl durch innerorganisatorische als auch
durch verbandspolitische Veränderungen systemkonforme Kontrollme-
chanismen aufgebaut werden.
Die von Klaus Dammann beschriebene Intensivierung der Arbeit können
wir jetzt also genauer bestimmen:
In der Neuorganisation sozialer Dienste liegt die Tendenz, eine ver-
feinerte Disziplinierungsstrategie zu sein: Das faktische Produkt
sozialer Arbeit, die Verwaltung von als defizitär stigmatisierter
Gruppen bleibt, die Kontrolle darüber wird nur wesentlich erwei-
tert und effektiviert.
Als Beispiel für derartige Tendenzen sei hier auf die Frankfurter
Kollegen und Kolleginnen hingewiesen, die schon lange unter den Be-
dingungen der "Neuorganisation" arbeiten, und die von wissenschaft-
lich bzw. therapeutisch verbrämten Versuchen berichten, durch Check-
listen, Fragebogen, spezielle Weiterbildungsveranstaltungen den nor-
malen Arbeitsalltag derart in den Griff zu bekommen, daß alle Poren
des Arbeitstages geschlossen werden, d.h. daß jeder Arbeitsvollzug
der Sozialarbeiter kontrollierbar wird (vgl. den Diskussionsbeitrag
der Frankfurter, S.6 und Info Sozialarbeit, Heft 21). Ein weiteres
Beispiel für die faktische Intensivierung liegt darin, daß bei allen
Modellversuchen von den Initiatoren verlangt wird, daß mehr Arbeits-
plätze zur Verfügung gestellt würden, damit dieses Modell überhaupt
durchführbar ist. Da das aber in der Regel nicht geschieht, wird die
Neuorganisation mit dem vorhandenen Personal durchgeführt, was auto-
matisch dazu führt, daß die vorhandenen Arbeitsstrukturen sich durch-
setzen und die viel propagierten neuen Ziele in der Neuorganisation
- z.B. soziale Gruppenarbeit oder Gemeinwesen-orientierte Ansätze -
85
t erst ins Blickfeld der Sozialarbeiter kommen:
t eben auch unter den Bedingungen der Neuorgani-
(Vgl. den Bericht der Bremer Kollegin-
überhaupt gar nich
Einzelfallhilfe 18
sation das zentrale Merkmal
nen.).
4.2. Neuorganisation als Ansatz fortschrittlicher Sozialarbeit
Gehen wir davon aus, daß die bisher gemachten Ausführungen einiger-
maßen stimmen, kann es keine Lösung im Sinne einer widerspruchsfreien
i i eben.
ee eh die vorhandenen Konflikte und Widersprüche nicht
ausschließlich auf dem Rücken der Betroffenen austragen, sollten
drei Forderungen berücksichtigt werden. Dabei beziehe ich mich be-
wußt auf das gesamte Feld sozialer Arbeit, da die genannten Proble-
me keine speziellen der Jugend- und Familienfürsorge sind:
l. Entkopplung von Handlungskompetenz und Status. I
2. Kollektive Handlungskompetenz einer Organisation/Einrichtung.
3. Einbeziehung der Betroffenen ("Klienten") in die Organisation,
© Entkopplung von Handlungskompetenz und Status
| Das Dogma der Einheit von Handlungskompetenz und Status macht es
unmöglich, die Probleme von Effizienz und Kontrolle anders zu lösen
als durch Hierarchisierung und Spezialisierung. Sieht man jedoch
in der Handlungskompetenz den Aspekt der gesellschaftlich notwendi-
gen Arbeit und im Status den der herrschaftlich notwendigen Kontrol-
le, so liegt es nahe, beide Aspekte zumindest analytisch zu trennen.
Anzusetzen wäre dann an den fortschrittlichen Inhalten der Hand-
lungskompetenz:
- mehr horizontale Kooperation und gleichberechtigte Kommunikation;
- Verwissenschaftlichung des Handlungswissen, bessere Ausbildung mit
Tendenzen der Egalisierung im Ausbildungsbereich selbst (Gesamt-
hochschulen);
- stärkere gesellschaftliche Planung.
Diese Elemente einer - wie ich sie nennen möchte: kollektiven Pro-
fession - machen es möglich, alle Entwicklungen in einer Organisa-
tion zu unterstützen, die auf egalitäre und offene Organisations-
strukturen hin angelegt sind. Warum soll es nicht möglich sein, daß
ein Sozialarbeiter Aufgaben von Erziehern mit übernimmt - und umge-
kehrt? Das gleiche gilt für den Arzt und den Pfleger, den Sozialar-
beiter und Gefängniswärter, für das pädagogische Personal wie für
das technische Verwaltungs- und hauswirtschaftliche Personal. Das
würde zwar eine Reihe von Statusverunsicherungen mit sich bringen,
ist aber nicht nur denkbar, sondern schon in einer ganzen Reihe von
Modellen verwirklicht: Zu denken wäre hier vor allen Dingen an die
demokratische Psychiatrie in Italien und an die Schule von Barbiana,
an die Twind-Schulen in Dänemark - und bei uns (allerdings beschei-
dener) an bestimmte Formen der Drogentherapie, der Frauenhäuser,
der selbstverwalteten Jugendzentren, einige Ansätze reformierter
Heimpädagogik und stadtteilorientierter Sozialarbeit. Darunter ver-
stehen wir eine Sozialarbeit, die von den sozialen Problemen und
der bestehenden Selbsthilfeinfrastruktur eines Stadtteils ausgeht
und die alle - nicht nur die defizitären - Lebensbereiche umfaßt.
D.h. eine Sozialarbeit, die auch einen anderen Zugang zu den Betrof-
fenen hat als durch die Meldung von Defiziten, die von anderen
Stellen definiert werden (vor allen Dingen Polizei und Schule).
86
© Kollektive Handlungskompetenz einer Organisation/Einrichtung
Es liegt auf der Hand, daß so verstandene Handlungskompetenz nicht
die Kompetenz einzelner sein kann, sondern nur das Ergebnis koordi-
nierten Zusammenwirkens und Zusammenhandelns. Organisationssoziolo-
gisch gesprochen wird damit die Handlungskompetenz zum vorrangigen
Organisationsziel selbst. Aus allen Untersuchungen sozialpädagogi-
scher Einrichtungen/Organisationen wissen wir - zumal wenn es sich
um totale Institutionen oder um tendenziell totale Handlungssitua-
tionen (wie in der Jugend- und Familienfürsorge) handelt -, daß ihre
Wirkung auf die Betroffenen in erster Linie nicht von der Kompetenz
oder Inkompetenz des einzelnen abhängt, sondern von ihren tatsäch-
lichen Wirkungszusammenhängen: den "heimlichen" Methoden dieser
Einrichtungen. Ebenfalls wissen wir von allen erfolgreichen Gegen-
modellen, von der therapeutischen Gemeinschaft bis hin zu Ansätzen
stadtteilorientierter Sozialarbeit, daß neben der weitgehenden Auf-
gabe der Hierarchie und weitgehender horizontaler Arbeitsteilung es
unabdingbar ist, alle Aspekte des pädagogischen Handelns bzw. thera-
peutische Einwirkung mit zu berücksichtigen: Von der Lage einer
Einrichtung über die architektonische Gestaltung bis hin zu dem
tagtäglichen Ablauf der Versorgung, Reinigung usw.. Natürlich erge-
ben sich damit auch neue Probleme der Kontrolle: diese liegt wesent-
lich im kollektiven Entscheidungsprozeß selbst und ist damit ein
Stück Abbau von Herrschaft. Daß gerade dieser Punkt bei den Verbän-
den, Finanziers und sonstigen Trägern auf schärfsten Widerstand
stößt, ist erklärlich.
© Einbeziehung der Betroffenen in die Organisation
Die Beispiele der demokratischen Psychiatrie, der Twind-Schulen,
der Frauenhäuser, der stadtteilorientierten Sozialarbeit u.ä. ver-
deutlichen auch, wie die Betroffenen in ein derartiges Konzept kol-
lektiver Profession einbezogen sind: nicht als herzurichtende Objek-
te, sondern als tätige Subjekte. Dabei ist die Selbsttätigkeit der
Subjekte im ganz elementaren Sinne gemeint: sowohl was die tagtäg-
liche Lebensumwelt angeht als auch was die Verfügung über ihre eige-
ne Emotionalität und z.B. Sexualität angeht. Gerade was diesen As-
pekt sozialpädagogischer Handlungskompetenz angeht müssen wir fest-
stellen, daß er kaum systematisch selbst bei fortschrittlichen und
linken Sozialarbeitern entwickelt ist. Zu wenig wird die Selbsthil-
fekompetenz der Betroffenen wahrgenommen, zu wenig auch Verbindung
gesucht zu Bürgerinitiativen, Stadtteilinitiativen, Mieterräten usw.,
in denen in der Regel nicht individuelle, sondern kollektive Defi-
zite angegangen werden. Hierzu eine These von Christian Marzahn
(vgl. auch seine Ausführungen in der Diskussion):
"Selbstorganisation zum Zweck der Selbsthilfe bietet für die gegen-
wärtige Sozialpädagogik aber auch eine Chance,
erst teilweise gesehen und die noch kaum prakti
bietet ihr nämlich die Möglichkeit einer kritis
sowohl hinsichtlich der Angemessenheit ihrer Ei
Leistungsfähigkeit ihrer Institutionen und der Perspektive ihrer
gesellschaftlichen Orientierung. Diese kritische Bestandsaufnahme
hat in der BRD zu Ende der sechziger Jahre kräftig zugenommen. In
den Erfahrungen der fragenden Sozialarbeiter vor Ort und zahlrei-
chen wissenschaftlichen Untersuchungen wurden die vorherrschenden
Problemdefinitionen, Maßnahmen und Institutionen der Sozialpädago-
deren Bedeutung m.E.
sch genützt ist. Sie
chen Selbstüberprüfung
nzelmaßnahmen, der
87
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gik selbst zum Problem und als B
estandteil des Apparats zur Sicherung
des gesellschaftlichen Status qu
€ o erkannt. Und ebenso ist es kaum
eine Übertreibung, daß alle wesentlichen Impulse und Neuerungen auf
dem Gebiet der Sozialpädagogik innerhalb der letzten zehn Jahre
nicht von den Professionellen, sondern von den Betroffenen selbst
ausgingen und den Institutionen vielfach abgerungen werden mußten.
In den Bemühungen um eine "neue Fachlichkeit" in der Sozialpädago-
gik kommt die Bereitschaft vieler Kollegen zum Ausdruck, soziale
Probleme und soziale Arbeit gleichermaßen in ihren alltäglichen Er-
scheinungsformen als auch aus ihren historischen und gesellschaftli-
chen Voraussetzungen zu verstehen, die eigene Arbeit also im Rahmen
einer Gesellschaftstheorie neu zu bestimmen. Diese qualitative Neu-
orientierung führt auch zu einer neuen sozialen Beziehung zwischen
Sozialpädagogen und jenen Menschen, mit denen sie beruflich zu tun
haben. Aus der komplementären, latenten oder offenen Herrschaftsbe-
ziehung soll eine gleichberechtigte und dialogische werden, in der
die Ermittlung vorliegender Probleme und Lösungsmöglichkeiten als
gemeinsame Aufgabe gelten und die Sozialpädagogik offener wird für
die Unterstützung von Problemlösungen, die die Betroffenen nicht
als verordnete und verhängte, sondern als ihre eigenen erleben kön-
nen. In dieser Orientierung und im Widerstand gegen restriktive Be-
hinderungen kann die Sozialpädagogik die Kinder und Jugendlichen,
die Bedrohten und Unterdrückten darin unterstützen, ihre Probleme
zunehmend selbst zu lösen und zum Subjekt ihres Lebenszusammenhanges
zu werden. Abnehmen kann sie ihnen diesen Prozeß nicht." (27)
"Gegenüber dieser Selbsthilfe-Tradition, in der die Kompetenz der
Problemdeutung und -lösung immer eine kollektive Kompetenz der Be-
troffenen war, kann die Professionalisierung der Sozialpädagogik als
Prozeß der Enteignung sozialer Problemlösungskompetenz verstanden
werden. Diese geht von den Betroffenen auf die Sozialpädagogen -
nebst anderen professionellen Problemlösern - über und wird hier mo-
nopolisiert. Dem entsprechen das besondere Wissen, die besondere
Sprache, die besondere Methode und schließlich die besondere gesell-
schaftliche Macht, die den Professionellen ausmachen." (28)
Daß mit derartigen Vorstellungen das grundsätzliche Problem von Ef-
fizienz und Kontrolle unter kapitalistischen Verhältnissen nicht ge-
löst werden kann (es ist damit faktisch sogar eine Ausweitung der
Kontrolle verbunden; z.B. gemeindenahe Psychiatrie), ist sicherlich
richtig. Richtig ist aber auch, daß damit die Widersprüche nicht aus-
schließlich auf dem Rücken der Betroffenen vorangetrieben werden.
Abschließend sei noch vermerkt, daß dieses Konzept von dem einzelnen
Sozialarbeiter nicht weniger, sondern vor allem über das klinische
Handlungskonzept hinausgehende Fähigkeiten verlangt: Ich würde es 7
als solidarische Handlungskompetenz bezeichnen, die ein Sozialarbei-
ter wie folgt beschrieben hat: "In den strukturellen Zusammenhängen
dieser Gesellschaft zu denken und das eigene existentielle Bedürfnis
nach ihrer Veränderung in die Beziehung zum Gegenüber hineinzuneh-
men, verlangt von uns gerade nicht permanent polit-ökonomische (oder
psycho-soziologische - T.K.) Rundschläge und objektivistische Beleh-
rung, sondern zunächst ein hohes Maß an Sensibilität für die jeweils
ganz konkrete Verknüpfung von Klassen- und Lebensgeschichte im ge-
genüber." (29)
89
LITERATURÜBERSICHT
(1)
(2)
(3)
(4)
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ee Sonderheft der Neuen Praxis 1980 verarbeitet:
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Reinbek bei Hamburg 1979, S. 84/85
S. 82
E. Wedekind, Gewerkschaftsarbeit und politische Organisaierung
von Sozialarbeitern, in: Informationsdienst Sozialarbeit, Nr. 16
1977, S. 53 ff (hier: S. 58) i
Josef Bura
SOZIALPÄDAGOGIK FÜR WEN?
Der Konflikt um das Sozialpädagogische Zusatzstudium
Seit Jahren schwelt an der Universität Hamburg ein Konflikt, der in
vielfacher Hinsicht typisch ist für Entwicklungen im Bereich der So-
zialpädagogik in den letzten Jahren. Es geht darum, ob die meines
Wissens älteste sozialpädagogische Ausbildungseinrichtung einer bun-
desdeutschen Universität, das Sozialpädagogische Zusatzstudium (SPZ),
aufgelöst oder doch wenigstens so umstrukturiert werden soll, das es den
vorherrschenden Vorstellungen von einer unkritischen, behördlichen
affirmativen Sozialarbeit entspricht.
Seit 1977/78 versucht eine erklärtermaßen konservative Gruppe von
Professoren an der Hamburger Universität mit zunehmender Vehemenz,
das SPZ ersatzlos aufzulösen. Das Sommersemester 1980 brachte die Es-
kalation des Konfliktes: Die Universität Hamburg beschloß die Liqui-
dierung des Institutes, Was waren die Hintergründe und wie geht es
weiter?
DIE GRÜNDUNG DES SPZ:
REAKTION AUF DIE WERKELEI IM SOZIALEN BEREICH
In der ersten Hälfte der 60er Jahre wurde an der Universität Hamburg
eine Einrichtung gegründet, die einmalig in der Bundesrepublik ist.
Zu einem Zeitpunkt als hierzulande der Sozialarbeiter noch Fürsorger
oder Erzieher hieß, als deren Ausbildung auf Fachschulebene begrenzt
blieb und als gerade die ersten höheren Fachschulen für Sozialarbeit
gegründet wurden, richtete man in Hamburg ein Institut ein, das sich
in wissenschaftlicher und forschender Auseinandersetzung Problemen
derSozialarbeit und Sozialpädagogik zuwenden sollte.
Der liberale Kern des Gründerkreises um den damaligen Leiter des
Psychologischen Instituts der Universität Hamburg, C.Bondy, der die
Entwicklung der sozialen Probleme in den 5oer Jahren kritisch ver- j
folgte, sah es als notendig an, im Bereich der sozialen Dienste nac
neuen Wegen zu suchen, Wer konnte sich noch sehenden Auges darüber
hinwegtäuschen, daß gegen Ende der 5oer Jahre die Erziehungsheime
und Jugendstrafanstalten wieder voller wurden, obwohl ER
und typische '"Nachkriegstäter' zunehmend weniger Plätze beanspruch-
ten, wer konnte noch übersehen, daß trotz hektischer Wiederaufbau- À
programme der Wohnungsmarkt weiterhin Obdachlose - und sogar mehr als
zuvor - produzierte und schließlich: Wer sah nicht im Phänomen der
sogenannten 'Halbstarken' auch Momente des Widerstandes gegen eine k
vordergründig, aber umso nachhaltiger, von Konsum- und Wirtschaftswun
derideologie beherrschten Gesellschaft.
Hinter der Fassade des Wirtschaftswunders entstanden neue sozialdesin-
tegrative Entwicklungen, aber Fürsorger und Erzieher schienen a Auf-
gaben, die sich in dieser Situation stellten, nicht gewachsen. Das
91
offenkundige Versagen der traditionellen Fürsorge vor Augen, formulieı
ten die Gründer des SPZ: "In der deutschen behördlichen und freien
Sozialarbeit sind eine ganze Reihe von Mängeln aufgetreten, die sich
nur dadurch abstellen lassen, daß ... ein theoretisches und prakti-
sches Studium der Sozialarbeit ermöglicht wird."(Hrshbg. J.B.).
Als "große Lösung' wurde zunächst von dem 1959 gegründeten "Arbeits-
kreis für Sozialpädagogik e.V.' eine Art Sozialpädagogische Akademie
anvisiert, in der Wissenschaftler zusammen mit Praktikern die Werke-
lei an den sozialen Problemen beenden und wissenschaftlich abgesicher-
te Strategien sozialpädagogischer Interventionen entwickeln sollten.
Es kam jedoch anders: Für eine Sozialpädagogische Akademie ließen sich
weder von Bundes- noch von Länderseite Träger finden und so wurde das
'"Sozialpädagogische Zusatzstudium' 1963 der Universität Hamburg zuge-
ordnet, als eine dem Akademischen Senat, dem höchsten Selbstverwal-
tungsgremium der Universität unterstellte Einrichtung. Dies hatte
Konsequenzen: Alle Praktiker ohne Hochschulzugangsqualifikation wa-
ren vom Studium am SPZ ausgeschlossen und das SPZ erhielt keine in-
haltliche Selbstverwaltung. In zentralen Fragen der Lehre und For-
schung wurde dem Institut ein Ausschuß des Akademischen Senats vorge-
setzt, der in der Mehrheit aus instituts- und fachfremden Hochschul-
lehrern bestand. Damit war ein Instrument geschaffen, mit dem das
SPZ in den Würgegriff genommen wurde.
Am SPZ sollten jedoch keine akademischen Sozialpädagogen ausgebildet
werden. Vielmehr wurde für alle Studenten der Hamburger Universität
die Möglichkeit geschaffen, während ihres Hauptstudiums oder im An-
schluß daran sozialpädagogische Problemstellungen kennenzulernen, um
die Kenntnisse in ihre spätere Berufstätigkeit als Lehrer, Juristen,
Theologen, Mediziner usw. einbringen zu können. Auch Absolventen an-
derer bundesdeutscher Hochschulen mit akademischem Abschluß können am
SPZ studieren,
DIE ENTWICKLUNG DES SPZ:
VON PESTALOZZI ZUR RANDGRUPPENSTRATEGIE
Das SPZ stand in den ersten Jahren nach seiner Grüngung auf wackeli-
gen Beinen. Woher sollte auch Mitte der 6oer Jahre ein wissenschaft-
lich begründeter Begriff von Sozialpädagogik kommen, steht man doch
heute vielerorts noch ziemlich hilflos vor diesem Problem. Mangels
inhaltlicher Gesichtspunkte bezog man sich im Curriculum auf das,
was man unter dem Gesamtbegriff der Sozialarbeit vorzufinden glaubte:
Sozialarbeit mit Kindern und Jugendlichen in offenen Einrichtungen,
Sozialarbeit mit Kindern und Jugendlichen in geschlossenen Einrichtun-
gen, Sozialarbeit mit Behinderten und Alten und Sozialarbeit mit rand-
ständigen Gruppen waren die turnusmäßig abgehandelten Semesterschwer-
punkte.
Die Studenten wurde so mit einer Übersicht über Tätigkeitsfelder der
Sozialarbeit abgefüttert und - um den Realitätsbezug herzustellen -
mal in geschlossene Heime, mal in Gefängnisse oder in offene Häuser
der Jugend geschleppt, wo sie von Heim-, Jugendamts- und Anstaltslei-
tern mit den Problemen der jeweiligen Einrichtung "vertraut! gemacht
wurden. Auf diese Weise erhielten die damaligen Studenten des SPZ im-
merhin einen Einblick in die Funktionsweise sozialer Dienste und so-
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zialer Kontrolle.
Kon l Viele von ihnen wurden hier erstmalig konkret mit
Unterprivilegieru
ng und gesellschaftlicher Armut konfrontiert.
Die Randgruppenbewegung brachte schließlich gegen Ende der 6oer Jah-
re auch Bewegung ins SPZ. Anstatt 4-bis 6-wöchige Praktika in Behör-
den oder bei freien Trägern abzuleisten, wie es die Prüfungsordnung
vorsah, gingen die Studenten in Projekte oder gründeten selbst solche.
Studenten aus den Fachbereichen Pädagogik, Theologie, Jura, Medizin
und Soziologie arbeiteten über Jahre zusammen mit Fachhochschulstu-
denten bei "Realease Hamburg", im Verein "Jugend hilft Jugend", mit
aggressiven Jugendlichen in der sogenannten Rockerarbeit oder machten
Arbeit mit Kindern in einer Hamburger Trabantensiedlung. In diesen
Projekten waren sie nicht selten 15 bis 2o Stunden pro Woche tätig,
organisierten z.B. Bewohnerversammlungen in Hamburger Obdachlosenla-
gern, schrieben mit Bewohnern eine Obdachlosenzeitung, veranstalte-
ten mit ihnen Informationsstände und Pressekonferenzen und versuch-
ten so in kontinuierlicher Arbeit dazu beizutragen, die Interessen
der Betroffenen in die Öffentlichkeit zu tragen und durchzusetzen.
Aus den Impulsen der Studentenbewegung und besonders aus den Projek-
ten entwickelten sich neue Anforderungen an das Lehrangebot und an
die Inhalte des SPZ. An die Stelle des unbeholfenen Streifens über
Tätigkeitsbereiche von Sozialarbeit trat ein problem- und praxisbe-
zogenes Lehrangebot. Gesellschaftskritische Positionen zur Rolle
und Funktion von Sozialarbeit setzten sich am SPZ zunehmend durch.
Gemeinsam war dabei den meisten Studenten, Lehrbeauftragten und Do-
zenten eine engagierte Parteinahme für gesellschaftlich benachteilig-
te und deklassierte Teile der Bevölkerung. Dies fand seinen Ausdruck
in Inhalten und Formen der Auseinandersetzung mit Problemen der So-
zialarbeit.
So wurden jetzt nicht mehr die Mitarbeiter des Jugendschutzes, die
Leiter von Gefängnissen und Ämtern zu ihren Problemen befragt, son-
dern am SPZ wurden die eigenen Erfahrungen mit von Sozialarbeit Be-
troffenen aufgearbeitet: Studenten verschafften sich einen Einblick
in die Lebensverhältnisse in Obdachlosenlagern, Gefängnissen, Hei-
men und Trabantensiedlungen, Sie trafen sich mit Kommilitonen, die
in Frankfurt, Köln, Berlin und München 'Randgruppenarbeit' machten,
diskutierten über antiautoritäre Erziehung, und Kinderladenbewegung,
über Theorie und Praxis antikapitalistischer Jugendarbeit, zerstrit-
ten sich über Psychoanalyse, Wilhelm Reich und Sexfront, sensibili-
sierten sich in 'Selbsterfahrungsgruppen' oder organisierten sich in
Basisgruppen.
Innerhalb des SPZ setzten sich Anfang der Joer Jahre demokratische
Strukturen durch. Von den Studenten wurde es dabei als wohltuend em-
pfunden, daß es am SPZ nicht jene enorme Distanz zwischen Lehrenden
und Lernenden gab, die anderswo an der Universität üblich ist und
daß sich die Lehrenden in den Veranstaltungen und Projekten auch als
Lernende verstanden. Das Veranstaltungsangebot wurde nicht ins Belie-
ben der jeweiligen Dozenten und Lehrbeauftragten gestellt, sondern
mit den Studenten entwickelt und abgestimmt. Dabei machten viele Stu-
denten neue Lernerfahrungen: In den meisten Veranstaltungen wurden
Antworten auf Probleme gesucht, deren Bedeutung und Notwendigkeit
sich aus den Projekterfahrungen herleiteten. Charakteristisch für das
Studieren am SPZ blieb, daß sich die Studenten aus den Lehrveranstal-
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Bereiche auswählen konnten, die ihnen zusagten:
rammen die E . DRF
ern des Studiums war von jeher ein Prinzip des SPZ.
Selbstorganisation
r Zeit der Studentenbewegung nahm das SPZ einen enormen Auf-
schwung. Hatten bis 1967 durchschnittlich 6o Studenten die Lehrver-
anstaltungen besucht, so stieg ihre Zahl in der ersten Hälfte der
7oer Jahre auf über 270 an; ein erheblicher Zuwachs, vor allem wenn
man berücksichtigt, daß die Zahl der hauptamtlichen Hochschullehrer
konstant blieb. Mit nur drei Dozenten ausgestattet, wurde bald wie-
der der weitaus größte Teil der Lehre am SPZ von Lehrbeauftragten ge-
In de
tragen.
DER KONFLIKT UMS SPZ: DIE GEGENREFORM MARSCHIERT
Um die Mitte der 7oer Jahre geriet das SPZ in eine Krise: Die Stu-
dentenzahlen fielen deutlich ab. Die Gründe hierfür lagen außerhalb
des Instituts. An vielen Orten der BRD, im Norden u. a. in Bremen,
wurden Diplomstudiengänge für Sozialpädagogik aufgebaut und viele
Sudenten, die bislang im SPZ die einzige Möglichkeit gesehen hatten,
sich auf universitärer Ebene mit Fragen der Sozialpädagogik ausein-
anderzusetzen, wechselten an die neu gegründeten Institute oder be-
gannen erst gar nicht ihr Studium am SPZ.
Strukturell bedeutsamer, weil dadurch die Gesamtsituation im univer-
sitären Bereich nachhaltiger beeinflußt wurde, waren die Verunsiche-
rungen, die durch gesellschaftliche- und hochschulpolitische Entwick-
lungen in der 2. Hälfte der 7oer Jahre heraufbeschworen wurden. Ver-
schulung des Studiums, Verschärfung bornierter Leistungsanforderun-
gen, die Bedrohung durch Regelstudienzeit und Akademikerarbeitslosig-
keit bescherten den Studenten der Hamburger Universität wie auch an-
derswo ein Studienklima, das sie davon abhielt, eine Zusatzausbil-
dung zu machen.
Im Zwang dieser Entwicklungen hielt auch die Personalstruktur der 5oer
Jahre wieder Einzug in den Universitätsalltag: Die alte Ordinarien-
herrschaft, in Hamburg trotz Studentenbewegung nie ganz beseitigt,
wurde mit gesetzlicher Rückendeckung wieder errichtet. Und es dauerte
nicht lange, bis die hochschulrelevanten Kreise, für die universitäre
Demokratie immer noch ein Fremdwort ist, versuchten, dem SPZ ihre
Vorstellungen von einem "geordneten! Studienbetrieb aufzuzwängen.
Dabei trafen sie auf ein Institut, das versäumt hatte, noch in Zeiten
relativer Reformoffenheit die Gunst der Stunde zu nutzen und sich in-
stitutionell und konzeptuell abzusichern. Dem SPZ hafteten noch 15
Jahre nach seiner Gründung die strukturellen Mängel eines Proyisori-
ums an: Obwohl mittlerweile ca. 400 bis 500 Studenten die Veranstal-
tungen besuchten, blieb der Lehrkörper mit seinen 3 hauptamtlichen
Dozenten und 15 bis 20 Lehrbeauftragten hinter den Erfordernissen des
Studienbetriebes zurück. Ohne einen Professor im Lehrkörper war das
Institut in der Außenrepräsentation innerhalb der Universität ohnehin
benachteiligt; dies umso mehr, als nach jenem berüchtigten Urteil des
BGH die Entscheidung über Lehre und Forschung wieder zum Standespri-
vileg der Professoren wurde. An diesem Punkt setzte dann die reform-
feindliche Gruppe der Professoren den Hebel an das SPZ unter ihre
Kontrolle zu bringen. Dabei machten sie sich die Tatsache zunutze,
daß das SPZ von einem institutsfremden Gremium verwaltet wird. In ei-
nem Handstreich besetzten die Speerspitzen des Konservatismus der
94
Hamburger Universität 1977
die Lehrbeauftragten, die
mit seinen demokratischen
/78 dieses Gremium und versuchten zunächst,
wesentlich daran beteiligt waren, das SPZ
Strukturen und gesellschaftskritischen An-
sätzen zu erhalten, in ihrer Lehrtätigkeit zu behindern. Als dies am
entschlossenen und beharrlichen Widerstand von vielen Studenten des
SPZ,und weil sich das gesamte Institut gegen inhaltliche Eingriffe
in sein Lehrangebot verwahrte, im Sande verlief, bastelten sie an
einem Konzept für die Neugestaltung des SPZ-Studium. Facit ihrer
Überlegungen: Der Lehrkörper des Instituts soll aufgelöst und ande-
ren Fachbereichen zugeschlagen werden und ein Teil der Studenten soll
vom Studium am SPZ ausgeschlossen werden.
In einer sich über Wochen
hinziehenden Kampagne unter der Losung
'Hände weg vom SPZ' hatten
daraufhin Studenten und Fachschaftsrat im
zu bringen. Auf der entsche
auf der die Liquidierung de
ren dann 150 bis 200 Studen
Ein "ordnungsgemäßer Beschluß"
ndiger Diskussion wurde der
ven Schaffens umfunktioniert.
Ungeachtet des breiten Widerstandes ging die Demontage des Instituts
weiter; jetzt getragen von den "liberalen Reformhochschullehrern' um
den Unipräsidenten, Zum Sommersemester sollte ursprünglich ein Veran-
staltungsangebot, das im Gegensatz zur früheren Praxis dem SPZ auf-
oktroiert war, offen ausgeschrieben werden. Das damit verbunde Ziel
war offensichtlich: Vor allem Vertreter aus den Hamburger Behörden
sollten die bisherigen Lehrbeauftragten des SPZ ersetzen. Am SPZ soll-
te der kritische Ansatz von Sozialarbeit unterbunden und den. Studen-
ten konformistische Sozialarbeit nahegebracht werden.
Aber es kam noch schlimmer: Als im März 1980 ein Lehrbeauftragter vor
dem Arbeitsgericht seine Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbei-
ter erzwang, lief das Universitätspräsidium Amok. Es setzte alle übri-
gen 15 Lehrbeauftragte vor die Tür, Mit dieser Entscheidung wurde das
Lehrveranstaltungsangebot von 37 auf lo Veranstaltungen gekürzt. Kaum
war das Semester begonnen, da beschloß der Akademische Senat die voll-
ständige Liquidierung des Instituts: Neuzugänge zum Studium am SPZ i
wurden nicht mehr zugelassen, die Lehrauftragsmittel wurden weiterhin
gesperrt und die hauptamtlichen Mitarbeiter sollten in andere Fachbe-
reiche übernommen werden. Das Institut schien vor dem Ende und das
Kalkül derer, die ausgezogen waren, dem SPZ das Füfchten zu lehren,
schien aufzugehen.
DAS SPZ MACHT WEITER — ABER UNTERSTÜTZUNG TUT NOT
Ausgerechnet eine Institution,
mit der Professoren zwar wenig Umgang
haben, von der sie aber dennoc
h keine Schwierigkeiten erwartet hatten,
machte vorerst alle Wunschträume von einem nahen Ende des SPZ zunichte.
Die ausgesperrten Lehrbeauftragten hatten sich geschlossen an das Ar-
beitsgericht gewandt. Tenor der Entscheidung: Die Universität muß al-
95
le seit längerem am SPZ tätigen Lehrbeauftragten weiter beschäftigen.
Und was die Universitätsleitung noch mehr schockte: Ein weiterer ehe-
maliger Lehrbeauftragter erstritt seine Anstellung als hauptamtlicher
Angestellter.
Wenn nun in nächster Zeit der Konflikt um die Erhaltung des SPZ auch
weiterhin vor Arbeitsgerichten ausgetragen wird - die Universität hat
angekündigt, bis vor da Bundesarbeitsgericht zu gehen - so darf dies
nicht die einzige Ebene des Widerstandes gegen die Liquidierung des
Institutes bleiben. Es geht einmal darum, weitere Angriffe gegen ei-
ne fortschrittliche Sozialarbeit abzuwehren und zum anderen darum, ei-
ne der wenigen Einrichtungen in der Bundesrepublik zu erhalten, die
Nichtsozialpädagogen für Probleme der Sozialarbeit sensibilisiert.
Für weitere Informationen über die Entwickling des Konflikts um das
SPZ und als Adresse für Solidaritätsbekundungen an den Fachschaftsrat
des SPZ, Sedanstr. 19, 2000 Hamburg 13 wenden.
x
Wer will mehr wissen über die Informationsdienste und
Arbeitsfeldmaterialien aus den Arbeitsfeldern Schule,
Gesundheitswesen und Sozialarbeit?
Wer hat Interesse an aktuellen Themen: Ökologie,
Marxismusdiskussion, Geschichte der Arbeiterbewe-
gung, Arbeitskämpfe, Technologiekritik, Sozialisations-
probleme, Internationalismus?
Auf Anforderung schicken wir unser vollständiges Ver-
lagsverzeichnis und auch Probeexemplare unserer Mo-
natszeitungen ”links” und ”express”.
VERLAG 2000
POSTFACH 591, 6050 OFFENBACH 4
INFORMATIONEN AUS DEM GEWERKSCHAFTSBEREICH
ÖTV — Informationen zu befristeten Arbeitsverträgen
Die schwierige wirtschaftliche Entwicklung ist in den letzten Jahren
auch zum Abbau des sozialen Besitzstandes der Arbeitnehmer benutzt
worden. Arbeitslosigkeit, Rationalisierungmaßnahmen, Arbeitsintensi-
vierung, Einführung neuer Technologien ohne Rücksicht auf die Beschäf-
tigten, Produktionsverlagerungen u.s.w. und ihre Folgen sind bekannt.
Auch der öffentliche Dienst ist von dieser Entwicklung betroffen. Bei-
spiele sind Sparhaushalte und Nullstellenpläne,
stungen (Krankenhausbedarfsplan, Sozialarbeit),
Arbeitsbedingungen (Reinigungsanweisung)
gen und vieles mehr.
In dieser Situation machen die öffentlichen Arbeitgeber mehr und mehr
von der Möglichkeit Gebrauch, Arbeiter und Angestellte nur noch zeit-
lich befristet zu beschäftigen bzw. durch billigere Arbeitskräfte zu
ersetzen. Nach Recherchen des Arbeitskreises "ZEITVERTRÄGE" der ÖTV-
Berlin wurden 1979 im Berliner öffentlichen Dienst 22 500 Kollegin-
nen und Kollegen zeitlich befristet beschäftigt. Darunter fielen
7511 Zeitverträge (meist nach BAT SR 2y), 3912 ABM-Stellen (6521 Be-
schäftigungsverhältnisse), 11 000 Honorarverträge und eine unbekannte
Anzahl von Werkverträgen. Nahezu alle Berufs- und Vergütungsgruppen
sind davon betroffen. Mit befristeten Arbeitsverhältnissen werden
häufig Festeinstellungen umgangen, Schutzrechte außer Kraft gesetzt
(z.B. Kündigungsschutz, Mitbestimmungsrechte), Sozialleistungen ge-
kürzt sowie Druck auf alle Beschäftigten ausgeübt. Dies geht sowohl
zu Lasten der Beschäftigten als auch zu Lasten der Bürger, für den
die öffentlichen Leistungen erbracht werden.
Abbau sozialer Lei-
Verschlechterung der
» Privatisierungsbestrebun-
© Zeitverträge
Mit der Ausnahmebestimmung zum BAT (SR 2y) wird "flexible" Personal-
politik auf dem Rücken der Beschäftigten betrieben. 5% der vollbe-
schäftigten und 11% der teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer im öffent-
lichen Dienst Berlin hatten 1979 einen Zeitvertrag. Besonders in den
Bereichen Zentrale Verwaltung, Schulen, Hochschulen, Hochschulklini-
ken, Gesundheit/Erholung/Sport und Soziale Sicherung gibt es außer-
ordentlich viele Zeitverträge. Spitzenreiter mit Zeitverträgen sind
die Teilzeitbeschäftigten der Schulen und Hochschulen (46%) und die
Vollbeschäftigten in der hochschulfreien Forschung (22%) und in den
Bundesverwaltungen (10%). Das heißt im Durchschnitt gelten ungefähr
für jeden 10. Arbeitsplatz eine Reihe von gesetzlichen und tarifver-
traglichen Schutzrechten nicht. Im einzelnen werden Teile des Kündi-
gungsschutzgesetzes, des Mutterschutzgesetzes, des Schwerbehinderten-
gesetzes, der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, des BAT ($$ 53,23a
u.a.) und des Betriebsverfassungs- bzw. Personalvertretungsgesetzes
außer Kraft gesetzt.
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© Honorarverträge
Laut Senatsbericht (Drucksache 7/1445) gibt es im Berliner öffentli-
chen Dienst rund 11 000 freie Mitarbeiter. Genaue Angaben über deren
Einsatzbereiche, Beschäftigungsdauer, wirtschaftliche Abhängigkeit
etc. sind nicht zu erhalten. Honorarkräfte werden vor allem im Be-
reich Familie, Jugend, Sport und in der Abteilung Volksbildung be-
schäftigt. Als Familienhelfer, in der Behindertenfürsorge, in der Ju-
gendpflege, bei der Seniorenbetreuung u.s.w. leisten Honorarkräfte
einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung staatlicher Sozial-
aufgaben. P R
In ihrer praktischen Tätigkeit und ihrem Verhältnis zur Dienststelle
unterscheiden sich Honorarverträgler nicht wesentlich von Festange-
stellten, Ab e r, für die Kollegin/en mit Honorarvertrag gibt es kei-
nen Kündigungsschutz und keine Möglichkeit der Arbeitslosenversiche-
rung. Die Netto-Bezahlung ist wesentlich geringer, da Beiträge zur
Kranken- und Rentenversicherung selbst gezahlt werden müssen. Es gibt
kein 13.Gehalt, kein 624,--DM-Gesetz, kein Urlaubsgeld, keine Lohn-
fortzahlung im Krankheitsfall etc.. Die aktive und passive Personal-
vertretung ist ausgeschlossen und die Entlohnung wird einseitig per
"Honoraranordnung" durch den Berliner Senat festgelegt - zuletzt 1979
für die Dauer von 10 Jahren (!).
© Werkverträge
Gleiches gilt im wesentlichen auch für Werkverträge.In unzähligen Bei-
spielen konnte gezeigt werden, daß es bei Werk- und Honorarverträgen
nicht nur um Nebentätigkeiten von Professoren u.a. geht, sondern um
versteckte Dienstverhältnisse für die verschiedensten Berufsgruppen.
Seit Jahren werden zunehmend Verträge abgeschlossen, die von der Sa-
che her faktische Arbeitsverhältnisse begründen, die aber als soge-
nannte "Werkverträge" bezeichnet werden. Die Arbeitsinhalte der Werk-
verträgler sind eigentlich Planstellentätigkeiten. Der Beschäftigteist
weisungsgebunden, in den Dienstverkehr eingebunden etc.. Typische
Arbeiten sind planende und forschende Tätigkeiten in Bezirks-, Senats-
und Bundesdienststellen, aber auch immer häufiger z.B. Typistinnen-
und Sachbearbeitertätigkeiten. Von den scheinbar hohen Brutto-Vergü-
tungen bleibt unter dem Strich erheblich weniger als bei vergleich-
baren Angestellten nach BAT übrig.
Die Vorteile liegen einzig beim Arbeitgeber. Die Honorarkräfte und
Werkverträgler haben weniger Rechte, kosten weniger Geld - die Mittel
sind häufig im Posten "Sachmittel' und "Öffentlichkeitsarbeit' ver-
steckt und lassen sich daher finanzpolitisch leichter durchsetzen.
© Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM)
Nach $ 91 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) dürfen nur sogenannte zusätz-
liche Arbeiten als ABM gefördert werden, die "sonst nicht oder erst
zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt würden".
Vor dem Hintergrund anhaltender Arbeitslosigkeit sollen Arbeitsbe-
schaffungsmaßnahmen die Beschäftigungschancen von Arbeitslosen ver-
bessern. Beides trifft nach den bisherigen Erfahrungen nicht oder nur
bedingt zu.
Die ABM-Beschäftigten leisten Planstellenarbeit, ob sie nun als Arbei-
ter oder Jugendliche im Gartenbau/Forsten oder als Angestellte in der
98
Verwaltung oder als Sozialarbeiter im Programm Soziale Dienste einge-
setzt sind. Und zuverlässige Angaben darüber, wieviele ABM-Beschäf-
tigte in festen Arbeitsverhältnisse übernommen wurden, gibt es nicht.
Nach unseren Erfahrungen sind es recht wenig»
Diese Entwicklung läßt sich auch in Zahlen darstellen. Seit 1974 ist
die Zahl der ABM-Beschäftigten von durchschnittlich 740 auf ca. 3900
(1979) angewachsen, während die Zahl der Planstellen im öffentlichen
Dienst fast stagnierte.
Die Nachteile für ABM-Beschäftigte sind u.a.: Bei gleicher Arbeit er-
halten die ABM-Kräfte 10 - 40% weniger Lohn als Festangestellte (nach
BAT); davon erhält der Arbeitgeber 80% und mehr aus der Kasse der
Bundesanstalt für Arbeit - billige Arbeitskräfte; die Personalvertre-
tungsmöglichkeiten sind unzureichend (Vertrauensräte)u.s.w..
Die ÖTV fordert daher die Gleichstellung der ABM-Beschäftigten mit
Festangestellten, also volle Gültigkeit der Tarifverträge und des
Personalvertretungsgesetzes. Langfristig müssen für Planstellenarbei-
ten feste Arbeitsverhältnisse eingerichtet werden und das ABM-Pro-
gramm eingestellt werden.
Das gleiche gilt für Arbeitsverhältnisse auf Zeit. Dort wo Dauerauf-
gaben erledigt werden müsen, sind auch entsprechende Stellen einzu-
richten und zu besetzen.
Die Gewerkschaft ÖTV unterstützt alle Bemühungen, die dazu beitragen,
die Schaffung von Arbeitern und Angestellten II. Klasse zu verhindern
und den Mißbrauch zeitlich befristeter Arbeitsverhältnisse abzuschaf-
fen.
® Weitere Informationen in
ARBEIT AUF ABRUF - Zur Situation der Beschäftigten mit Zeit-, Werk“,
Honorar- und ABM-Verträgen - herausgegeben von der ÖTV-Berlin Sept.
'80; Bezug ÖTV, Bezirk Berlin, Joachimstaler Straße 20, 1000 Berlin 15.
%*
BEWÄHRUNGSHELFER IN DER JUSTIZ
Die Gewerkschaft ÖTV nimmt die aktuelle Diskussion um den "Sozial-
dienst in der Justiz" zum Anlaß, mit dieser Stellungnahme gewerk-
schaftliche Forderungen der Öffentlichkeit vorzustellen.
ds
Die Planung eines "Sozialdienstes der Justiz" haben unter den Bewäh-
rungshelfern Unruhe und Unsicherheit hervorgerufen und zu fachwissen-
schaftlichen Auseinandersetzungen geführt. Diese von einigen Landes-
justizministern und den Standesverbänden vorgeschlagenen "Reformen
werden von der Mehrheit der Bewährungshelfer mit Recht abgelehnt. Die
bisher unterbreiteten Vorschläge zeichnen sich nicht durch Übersicht-
lichkeit und Klarheit aus. d
Es ist nicht zu verkennen, daß die gegenwärtige Aufgabenbestimmung
für die Bewährungshelfer unbefriedigend erscheint und die äußeren
Arbeitsbedingungen zu einem allgemeinen Unbehagen unter den Bewährungs-
helfern geführt haben.
Dieses äußert sich
- in der Erkenntnis geringer Wirksamkeit,
- dem Empfinden, nur eine Alibifunktion auszuüben,
99
- in der Befürchtung, auftragsentfremdet tätig werden zu müssen.
Die Tendenz in Teilen der Gesellschaft, den Täter im Sinne von Sühne
und Vergeltung hart zu bestrafen, ist inhuman und zudem wenig erfolg-
reich. Sie ist nur schwer mit rechtstaatlichen Grundsätzen vereinbar.
Bewährungshilfe in ihrer derzeitigen Form trägt auch nicht entschei-
dend dazu bei, bessere Ergebnisse bei der Sozialisation der Verurteil-
ten zu erzielen. Dies gilt umso mehr, wenn den Bewährungshelfern und
den in anderen sozialen Diensten Tätigen immer mehr die Gefahr der
Bürokratisierung und Hierarchisierung droht.
Erfolgreich können nur solche Regelungen sein, die dem Auftrag der
Bewährungshelfer mehr als bisher entsprechen und eine bestmögliche
Wirksamkeit gewährleisten.
Der Verurteilte muß im Mittelpunkt der Arbeit stehen. Ihm unter Wah-
rung seiner Personenwürde zu helfen, in Selbstverantwortung als Mit-
glied der Gesellschaft zu leben, steht im Vordergrund aller Bemühun-
gen der Bewährungshelfer. Der Mensch darf dabei nicht bloßes Objekt
von Therapien sein. Deshalb ist der Bewährungshelfer u.U. verpflich-
tet, die Interessen seines Probanden notfalls auch gegenübrt den Or-
ganen der Justiz wahrzunehmen. Die Zusammenarbeit mit diesen ist al-
lerdings Voraussetzung der wirksamen Tätigkeit des Bewährungshelfers,
denn nur so lassen sich gegenseitige Vorurteile abbauen.
Aus diesen Darlegungen folgt für das Selbstverständnis des Bewährungs-
helfers:
è Er sieht seine Aufgaben nicht in moralischen Bewertungen, sondern
in dem Bemühen, die persönlichen und sozialen Ursachen des Verhaltens,
das zu der Straftat geführt hat, zu ergründen und danach zu handeln.
e Er informiert den Probanden über vorhandene Hilfseinrichtungen und
befähigt ihn, diese Angebote wahrzunehmen.
e Bei persönlichen Konflikten versucht er mit ihm, Lösungsmöglichkei-
ten als Entscheidungshilfen zu erarbeiten.
e Er hilft dem Probanden, wenn sich seine Kräfte zur Bewältigung kon-
kreter Schwierigkeiten noch nicht als ausreichend erweisen.
e Er vermittelt ihm die Einsicht, daß er zur Selbstbehauptung Lei-
stungen erbringen muß, sich andererseits vorgegebenen gesellschaft-
lichen Regeln nicht vorbehaltlos anpassen darf, weil dies zur Selbst-
aufgabe führt.
e Er ist sich ständig bewußt, daß er, gerade als Vereinzelter handelnd,
nicht irrtumsfrei ist und ein Irrtum zu schwerwiegenden Folgen für
den Probanden führen kann.
SR BR
Nach diesem Selbstverständnis muß der Bewährungshelfer in seinem Amt
in eigener Verantwortung tätig werden können. Die Einbindung in einem
"Sozialen Dienst der Justiz" mit der hiermit verbundenen Bürokrati-
sierung und Hierarchisierung steht der eigenverantwortlichen Tätig-
keit im Wege und stellt einen entscheidenden Rückschritt dar. Jeder
behördliche oder behördenähnliche Aufbau der Bewährungshilfe ist da-
her abzulehnen. Die Eigenverantwortlichkeit des Bewährungshelfers
nimmt Schaden, wenn er einem "Leitenden" Bewährungshelfer dienstlich
untersteht und seinen Weisungen unterliegt. Deshalb ist auch eine be-
sondere Besoldung eines zur Koordinierung des Büros eingesetzten Be-
währungshelfers abzulehnen. Alle Bewährungshelfer sind dem gesell-
100
schaftlichen Wert ihrer Tätigkeit entsprechend zu besolden.
Notwendig erscheint auch die räumliche Trennung von anderen Organen
der Justiz. Beim Probanden darf nicht der Eindruck entstehen, der Be-
währungshelfer sei nur der verlängerte Arm der Justizorgane. Alles,
was zur Bildung von Schwellenangst beitragen könnte, ist zu vermei-
den, wenn Bewährungshilfe erfolgreich sein soll. Dieser Gesichtspunkt
ist besonders wichtig, da der Arbeit des Bewährungshelfers im Rahmen
des Verfassungsauftrages der Resozialisierung entscheidende Bedeu-
tung beizumessen ist.
LEL
Die Gewerkschaft ÖTV erhebt für das verantwortungsvolle Amt des Be-
währungshelfers folgende Forderungen:
Sie verlangt den eigenverantwortlichen Bewährun shelfer, der nicht
durch Bürokratisierung und Hierarchisierung gehemmt werden darf. Sei-
ne Tätgikeit muß bestimmt sein von fachlicher Weisungsfreiheit. Er
darf auch nicht eingeengt werden durch einen zentralisierten "Sozia-
len Dienst der Justiz", in welchem die Gerichtshelfer, Bewährungshel-
fer und die Fürsorgeaufsicht zusammengefaßt sind. Diese Dienste ver-
folgen teilweise so verschiedene Ziele, daß eine Zusammenlegung -
selbst die nur räumliche - nicht förderlich wäre und dadurch mögliche
Kompetenzüberschneidungen zu befürchten sind. Der Proband muß sicher
sein können, daß außer der Resozialisierung keine anderen Erwägungen
das Verhältnis des Bewährungshelfers zu ihm bestimmen.
Aus dieser Grundbestimmung des Amtes des Bewährungshelfers sind fol-
gende Einzelforderungen zu erheben:
e Der Bewährungshelfer darf keinem "Leitenden" Bewährungshelfer mit
besonderer Besoldung und fachlicher Weisungsbefugnis unterstellt wer-
den. Die Bewährungshelfer arbeiten gleichberechtigt zusammen.
e Die Bewährungshilfe ist konkret von anderen sozialen Diensten der
Justiz abzugrenzen.
e Die räumliche Trennung von anderen Institutionen der Justiz ist zu
gewährleisten. i
e Bewährungshilfe darf nicht vorwiegend im Büro geleistet werden. Sie
erfordert eine weitgehende Mobilität des Bewährungshelfers. Die Grup-
penarbeit ist zu ermöglichen bzw. weiter auszubauen. Die Justiz muß
die dafür erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen.
e Der Bewährungshelfer muß berechtigt sein, für den Probanden Verhand-
lungen mit Behörden und anderen Stellen zu führen. Dies ist notwen-
dig, um z.B. Schuldenregulierungen durchzuführen. Insbesondere Behör-
den und andere Öffentlich-rechtliche Stellen sind anzuhalten, die
Arbeit der Bewährungshelfer zu unterstützen.
e Der Bewährungshelfer muß ein Anhörungsrecht in Strafverfahren er-
halten, die während des Laufes der Bewährungsfrist durchgeführt wer-
den, weil die Entwicklung des Probanden für Entscheidungen ausschla-
gebend sein kann.
e Ohne ein Zeugnisverweigerungsrecht ist die vertrauensvolle Zusam-
menarbeit gefährdet.
e Ohne die Erweiterung und Verbesserung des Fortbildungsangebotes für
Bewährungshelfer können diese ihre Aufgaben nicht optimal erfüllen.
Die Justiz muß hierfür die finanziellen Voraussetzungen schaffen.
e Die persönliche Bestellung des Bewährungshelfers durch das Gericht
ist Grundvoraussetzung seiner eigenverantwortlichen Tätigkeit.
101
pie Arbeitsbedingungen bestimmen weitgehend den Erfolg der Arbeit
des Bewährungshelfers. Sie müssen verbessert werden:
e Mehr als 30 Probanden dürfen dem Bewährungshelfer nicht zugewiesen
werden; andernfalls wird er überfordert und kann sich nicht mit dem
notwendigen Engagement dem einzelnen Probanden widmen. Die Justiz
muß mehr als bisher weitere Stellen für die Bewährungshelfer im Haus-
halt vorsehen.
e Um die Arbeitskraft des Bewährungshelfers auf seine eigentlichen
Aufgaben zu konzentrieren, sind ihm die erforderlichen Mitarbeiter
und technischen Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen.
Die Vergütung für die Tätigkeit des Bewährungshelfers muß seiner quali-
fizierten Ausbildung und dem gesellschaftlichen Wert seiner Arbeit
entsprechen. Seine Eigenverantwortlichkeit muß ferner bei der Betei-
ligung an Erörterungen und Planungen, die sein Amt betreffen, zum
Ausdruck kommen. Die Gewerkschaft ÖTV fordert daher,
e die Besoldung (Vergütung) muß mit dem Eingangsamt in Besoldungs-
gruppe A 11 (BAT IV a) beginnen,
e daß sich die Bezahlung der Tätigkeit des Bewährungshelfers aus-
schließlich am Wert seiner Arbeit, nicht jedoch an haushaltsrechtli-
chen Erwägungen auszurichten hat und
e die rechtzeitige Anhörung sowie eine wirksame Mitsprache bei allen
das Amt des Bewährungshelfers und die Organisation betreffenden Pla-
nungen sind zu gewährleisten
Die Gewerkschaft ÖTV fordert die ständige Überprüfung der bestehen-
den Verhältnisse und eine begleitende Forschung, um das Amt des Be-
währungshelfers den neuesten Erkenntnissen anzupassen. Alle an die-
ser Aufgabe interessierten Kreise sind zur sachbezogenen öffentlichen
*
TARIFRUNDENINFO “ÖFFENTLICHER DIENST”
Diskussion aufgerufen.
Auch für die kommende Tarifrunde im Öffentlichen Dienst gibt es wie-
der ein
Tarifrundeninfo 1981
Da das Interesse am Tarifrundeninfo bei den letzten Tarifverhandlun-
gen nach wie vor groß war, gibts auch für 1981 wieder ein Info. Es er-
scheint, wie üblich ab Beginn der Tarifrunde, in der letzten Phase
wöchentlich. Je mehr Materialien und Diskussionsergebnisse der Re-
daktion eingehen, desto aktueller ist das Info.
Schickt deshalb alle Eure Inforamtionen zur Tarifrunde 1981 und na-
türlich Eure Bestellung (5,50 DM in Briefmarken, nicht über 0,40 DM-
Werte) an folgende Adresse
Redaktion Tarifrundeninfo, Pecher Hauptstraße 48, 5307 Wachtberg-Pech
Tel. mo-fr 18.00 - 19.00 Uhr 0228/325967
*
102
HINWEISE, MATERIALIEN, TERMINE
© Im Jugendhof Steinkimmen wird vom 16. - 20. Februar 1981 in Zusam-
menarbeit mit dem Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten ein Erfah-
rungsaustausch zwischen Bildungsstätten, die Seminare für arbeitslo-
se Jugendliche durchführen, und Arbeitslosenprojekten "yor Ort" or-
ganisiert. Kontakt: Jürgen Fiege, c/o Jugendhof Steinkimmen, 2875
Ganderkesse |, Tel. 04222/8248.
© WAS IST DIE THING? WAS WILL SIE?
Die Thing hat ihren Namen von dem alten germa
lungsplatz. Wie bei allen unkultivierten, bar
fand auch bei den germanischen Stämmen - wie Livius, e
Geschichtsschreiber, berichtet - regelmäßig eine Versal
ganzen Volkes statt. Diese Zusammenkünfte wurden Thing
gesprochen Ting, aber auch das englische 'thing'= das Ding, die Sa-
che kommt daher) genannt. Auf ihnen wurden die Stammeshäuptlinge und
Heerführer (=Herzog, nämlich einer, der vor dem Heer zog) gewählt,
wurde gemeinsam recht gesprochen und alle anstehenden Dinge beredet
und entschieden. Nach dieser großen Volksversammlung wurde diese Zei-
tung THING getauft.
nischen Stammesversamm-
barischen Naturvölkern
in römischer
mmlung des
(im deutschen
Die THING ist eine sozialistische Zeitung. Sie nimmt gegen Ausbeu-
tung und Unterdrückung - egal an welchem Ort - klar Stellung. Das
heißt auch: Sie ist nicht auf einem Auge blind.Die THING bekämpft
ebenso die Miseren und die Ausbeutung durch die kapitalistische Ge-
sellschaft wie auch die politische Unterdrückung in der DDR, UdSSR,
VR China, Kuba, Albanien, Jugoslawien usw. Sie berichtet über das, was
gerade so läuft an Aktionen, Repression etc. und sie versucht, Vor-
schläge zu machen, wie es in den Kämpfen weitergehen könnte. Damit
endlich der uralte Traum der Menschen, das Paradies auf Erden, der
Sozialismus wahr wird. Dazu will die THING einen Beitrag leisten.
Sie ist offen für Diskussionen der Linken um die weitere Perspektive.
cht die einzige
für "unmündig",
Durch diese Be~
Die THING ist eine Jugendzeitung. Die Jugend ist 7 ni
unterdrückte Gruppe in dieser Gesellschaft. Sie wird
"nalbwüchsig", "unreif" und "heranwachsend" erklärt.
vormundung soll sie gedrillt werden, sich den vorgegebenen kapitali-
stischen Wertvorstellungen und Strukturen anzupassen. Dazu wird ihr
Tornister und Schultüte in die Hand gedrückt, dazu wird sie in Ar-
meeuniformen gesteckt. Sie muß als Lehrling malochen oder wird ar-
beitslos auf der Straße liegengelassen.
Auch wenn die Jugend keine einheitliche Gruppe ist, so hat sie doch
- mal abgesehen von den wenigen Söhnchen und Töchterchen schwerreicher
Eltern - gemeinsame Interessen: gegen Arbeitslosigkeit, gegen Schul-
terror, gegen Imperialismus und Faschismus. Die THING berichtet daher
103
über Betrieb und Gewerkschaft, über Jugendzentren, über Schule, über
Repression, Einschränkung demokratischer Rechte und Schülerzeitungs-
verbote, über Sexualität, über Kultur wie Filme, Bücher, Musik etc.
Frauen, Anti-AKW-Bewegung, Faschismus, über die Situation in anderen
Ländern und über die Lust am Leben (weiteres s. Register).
Die THING als SOZIALISTISCHE JUGENDZEITSCHRIFT ergreift Partei für
Jugendliche, jedoch auch für die unterdrückten Frauen, die ausländi-
schen Arbeitskräfte und für die Arbeiterbewegung. Weil die THING weiß,
daß die Jugend alleine wenig verändern kann, steht sie Seite an Sei-
te mit den Kolleginnen und Kollegen, die die Macht haben, den Unter-
nehmern ganz schön Feuer unterm Arsch zu machen. Um wirksam kämpfen
zu können, brauchen wir alle eine Menge an Informationen und Tips,
brauchen wir die gemeinsame Diskussion um das "Wohin" und "Wie".
Die THING - SOZIALISTISCHE JUGENDZEITSCHRIFT steht eindeutig links
von Sozialdemokratie und Stalinismus (Stalinismus verstanden als DKP,
KPD, KPD/ML, KBW und den anderen maoistischen Sekten). Sie versucht,
die Arbeitserfahrungen und inhaltlichen Vorstellungen verschiedener
sozialistischer Jugendinitiativen in Betrieb, Schule und Jugendzen-
tren etc. vorzustellen, zu diskutieren und zu koodinieren. Also Ju-
gendgruppen aus dem Umfeld z.B. der Unorganisiertenbewegung, des So-
zialistischen Büros (SB) und der Gruppe Internationaler Marxisten
(GIM)/IV.Internationale. Ziel ist es, eine revolutionär-marxistische
Strömung in der Jugendbewegung aufzubauen. Dabei spielen auch die Ju-
gendlichen in den gewerkschaftlichen Jugendgruppen und den Jugendver-
bänden wie SJD- die Falken, Naturfreunde-Jugend, BDP/BDJ, Schreber-
jugend etc. eine wichtige Rolle.
Die THING - SOZIALISTISCHE JUGENDZEITSCHRIFT wird getragen von der
Redaktion, vielen einzelnen Unterstützer/innen und den schon bestehen-
den THING-Initiativen in einigen Städten Westdeutschlands. Weitere
THING-Initiativen können und sollen gegründet werden. Und zwar über-
all dort, wo ein Kreis von interessierten sozialistischen Jugendli-
chen existiert. Die Diskussion um den weiteren organisatorischen und
inhaltlichen Aufbau der THING ist noch nicht abgeschlossen. Zur Zeit
wird über ein umfassenderes Jugend-Aktionsprogramm diskutiert. Dazu
wird die Mitarbeit möglichst vieler benötigt.
Leben und Lieben - Kämpfen und Siegen!
© SOZIALARBEIT IN LATEINAMERIKA - Eine Dokumentation zur Geschichte -
Theorie - Praxis, 237 Seiten mit Abbildungen.
Vorläufige Auflage (solange vorrätig) Schutzgebühr (einschl. Porto/
Verpackung) 7,-DM. Erhältlich gegen Vorkasse auf Postscheckkonto
München Nr. 20547-808 AG SPAK, München
In dieser Dokumentation (die das Thema "Sozialarbeit" sehr weit faßt)
wird eine Fülle von Originalmaterial z.T. erstmals in deutscher Spra-
che veröffentlicht.
Im einführenden Teil werden verschiedene Ansätze zur Sozialarbeit vor-
gestellt. In weiteren Kapiteln wird beschrieben, welchen Einfluß aus-
ländische Organisationen/Institutionen, Parteien, Stiftungen etc. etc.
auf die soziale Arbeit in Lateinamerika, und somit auf die sog.
"Randgruppen" nehmen will und nimmt. Deutlich wird, daß es sich hier-
bei um eine gewollte und gezielte Einmischung handelt.
104
Beschrieben wird: "Die Allianz für den Fortschritt", "Sozialforschung/
Sozialspionage", "Teufelskreis der Armut","Funktion von Selbsthilfe-
gruppen". Anhand wichtiger "Hilfsprogramme" wird dargestellt, welche
Interessen und politische Vorstellungen hinter solch angeblich
"menschenfreundlichen' Programmen stehen - wie:
- den Programmen der Geburtenkontrolle
- dem Institut für Internationale Solidarität (ISI) der Konrad-Ade-
nauer-Stiftung (CDU)
- der Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD)
und viele mehr .....
Praxisbeispiele zeigen auf, (Elendsviertelarbeit, Bauernarbeit, India-
nerarbeit)wie solche Arbeit angelegt ist, wie die Bevölkerung manipu-
liert werden soll. Nach Kenntnis dieser Praxis wird verständlicher,
warum das gängige Motto "Hilfe zur Selbsthilfe" oftmals eine sehr ge-
fährliche Worthülse ist, die die manipulierende Arbeit "weißwaschen"
soll.
Weiter wird es für uns hier sicherlich interessant sein zu erfahren,
wie die Betroffenen diese ganze Arbeit sehen, welche Vorstellungen
engagierte Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Basisarbeiter, Mit-
arbeiter von Erwachsenenbildungsgruppen in Lateinamerika entwickelt
haben.
Es wird deutlich dargestellt, was es in Theorie und Praxis heißt, wenn
man sagt "solidarisieren - nicht integrieren!",
Wichtige Beispiele für Ansätze einer solidarischen Arbeit mit den Un-
terdrückten (u.a. im Sinne der bewußtseinsbildenden Arbeit von Paulo
Freire) beenden diese Dokumentation.
Das Buch ist eine wertvolle Hilfe für Sozialrbeiter, Pädagogen, Mit-
arbeiter der Erwachsenenbildung, Mitarbeiter von 3.-Welt-Gruppen, po
litisch Interessiserte an Fragen von Bürgerinitiativarbeit, Selbst-
hilfegruppen, Basisarbeit, Kulturarbeit, engagierte Sozialwissen-
schaftler, Mitarbeiter in Projekten der alternativen Bildung und Er-
ziehung, etc.
© STELLUNGNAHME DES ARBEITSKREISES "JUGENDBERATUNG DÜSSELDORF" ZU
DEM VOM BUNDESTAG VERABSCHIEDETEN JUGENDHILFERECHT
Der Arbeitskreis Jugendberatung hat sich gebildet, um die Zusammen-
arbeit der verschiedenen Beratungsdienste in Düsseldorf die mit Ju-
gendlichen arbeiten, zu verbessern und spezielle Probleme der Jugend-
beratung zu besprechen.
Der Arbeitskreis setzt sich zusammen aus einzelnen Mitarbeitern ver-
schiedener Düsseldorfer Beratungsstellen und zwar der folgenden:
Beratungsstelle für alkoholgefährdete und -abhängige Jugendliche, ECD;
Beratungsstelle für Jugendliche, SKF; Drogenberatungsstelle; Erzie-
hungsberatungsstelle Eller, AWO; Erziehungsberatungsstelle Listerstr.,
AWO; Institut für Lebens- und Sexualberatung, Jugendberatung, AWO;
Kinder- und Jugendpsychiatrischer Dienst; Schwangerschaftskonflikt-
beratungsstelle, AWO; Sozialmedizinische Beratungsstelle.
In dem Arbeitskreis haben wir uns mit den Auswirkungen der Jugend-
hilferecht-Reform auf die Beratungstätigkeit beschäftigt und zu ei-
nigen Aspekten des am 23.5.1980 vom Bundestag verabschiedeten Jugend-
hilferechts eine Stellungnahme erarbeitet:
1) zu $ 24 Jugendberatung
105
Wir begrüßen, daß in der verabschiedeten Fassung des $ 24 den Erfor-
dernissen der Praxis endlich Rechnung getragen wird, indem gesetzlich
geregelt wird:
"Der Ratsuchende ist befugt, seine Identität geheimzuhalten.'"
In unserer Beratungsarbeit mit Jugendlichen zeigt sich tagtäglich,
daß ohne die Möglichkeit dem Jugendlichen das Recht auf Anonymität,
seinen Namen nicht zu nennen, zusichern zu können, in vielen Fällen
ein für die Beratung unerläßliches Vertrauensverhältnis nicht zustan-
de kommen würde. Eine noch größere Zahl von Jugendlichen, die der Be-
ratung und Hilfe oft dringend bedürfen, würde ohne dieses Recht ihre
Identität geheimzuhalten, den Weg in die Beratungsstelle erst gar-
nicht finden.
2) zu $7: Freiwilligkeit, Antragsrecht
In den verabschiedeten Jugendhilferecht heißt es:
"Die Inanspruchnahme von Leistungen der Jugendhilfe ist grundsätzlich
freiwillig. Hilfen zur Erziehung ... sowie die Beratung nach den $$
24, 30, 40 dürfen einem Minderjährigen nur mit vorheriger Zustimmung
des Personensorgeberechtigten erbracht werden; ... Wenn und so lange
der mit der Beratung bezweckte Erfolg gefährdet würde und dadurch ein
schwerwiegender Nachteil für das Wohl des Minderjährigen zu besorgen
wäre, kann ausnahmsweise auf die Einholung der Zustimmung verzichtet
werden."
Wir sehen in der vorliegenden Formulierung zur Zustimmungspflicht der
Personensorgeberechtigten zwar insofern eine Verbesserung gegenüber
dem bisherigen Regierungsentwurf als ein größerer Ermessungsspiel-
raum erhalten bleibt, in dem das Wohl des Minderjährigen und der be-
zweckte Erfolg der Beratung Berücksichtung finden soll. Unsere Er-
fahrungen und unserer Meinung nach reicht diese Verbesserung aber
nicht aus.
Vielfach kommen Jugendliche mit ganz persönlich eigenen Problemen,
von denen die Eltern nichts wissen, über die sie gerade mit ihren El-
tern nicht reden können und sie wollen nicht, daß ihre Eltern "aus
allen Wolken fallen". Die Zustimmung der Eltern ist dann nicht pro-
blematisch, wenn sie um die Probleme ihrer Kinder wissen, Problema-
tisch wird sie, wenn die Beziehung zwischen Eltern und Jugendlichen
so ist, daß die Jugendlichen sich ihren Eltern nicht anvertrauen
mögen.
In diesen Fällen können die Jugendlichen nicht damit einverstanden
sein, daß ihre Eltern vorab informiert und um "grünes Licht" für die
Beratung gebeten werden sollen.Als Folge werden sie dann eine Bera-
tung nicht in Anspruch nehmen können.
Was in $ 7 JHG als Ausnahme formuliert wird, wird so in unserer Bera-
tungstätigkeit zur Regel, daß nämlich die Zustimmung der Personensor-
geberechtigten nicht eingeholt werden kann. Bei den Problematiken,
wo es erforderlich ist, wird von uns selbstverständlich eine Zusam-
menarbeit mit Jugendlich und Eltern angestrebt und schließlich viel-
fach geleistet, auch wenn dies dem Jugendlichen anfangs unmöglich er-
scheint. Nur dem Aufbau eines tragfähigen Vertrauensverhältnisses, das
Voraussetzung für eine erfolgreiche Beratung ist, zwischen dem Jugend-
lichen, der Hilfe braucht und dem Berater sollte Vorrang eingeräumt
werden.
Aufgrund unserer Erfahrungen ist dafür erforderlich, dem Jugendlichen
das Recht einzuräumen, selbst zu entscheiden, ob die Eltern infor-
106
miert oder gefragt werden sollen und zu welchem Zeitpunkt er dies
für möglich hält.
Unserer Meinung nach wird durch den vorliegenden $ 7 erneut eine
Rechtsunsicherheit aufgebaut für die Jugendlichen, die der Hilfe und
Unterstützung bedürfen, daß man zwar anonym bleiben darf und ausnahms-
weise auch auf die Zustimmung der Eltern verzichtet werden kann, daß
in der Regel jedoch die Eltern vorab einer Beratung zustimmen müssen
und sie ansonsten wieder heimgeschickt werden können/müssen.
Da sich so etwas herumspricht unter den Jugendlichen, werden neue
Schwellenängste aufgebaut und letztlich die Möglichkeit beratend
frühzeitig zu helfen, verringert und eingeschränkt.
Es entsteht aber auch Rechtsunsicherheit für den Berater, in jedem
Einzelfall, praktisch von Gespräch zu Gespräch immer wieder zu ent-
scheiden, ob das Wohl des Minderjährigen so schwerwiegend gefährdet
ist, daß er seiner Pflicht die Zustimmung der Eltern einzuholen, nicht
nachkommen kann. Und wieweit darf der Berater, dürfen die Beratungs-
stellen Jugendlichen Anonymität und Vertraulichkeit in der Behand-
lung ihrer Probleme zusichern oder muß in Zukunft gesagt werden:
"Mit Problemen könnt ihr jederzeit zu uns kommen, aber vergeßt die
Einverständniserklärung eurer Eltern nicht?"
Die Zustimmungspflicht der Personenberechtigten darf u.E. nicht zur
allgemeinen Voraussetzung für die Beratung von Jugendlichen gemacht
werden. Wir fordern deshalb die Verantwortlichen auf, in den noch
laufenden Vermittlungsausschuß den $ 7 entsprechend zu ändern.
© SPIELZEUGLADEN UND KINDERZENTRUM
Seit Ende 79 gibt es"Die Druckerei‘! Im Wesentlichen machen wir 'Kin-
derarbeit', bieten aber auch vereinzelt Erwachsenenkurse an. Die
Druckerei besteht aus drei Teilen:
- Erstens ein Kinderbuchladen,in dem ausgesuchte Bücher, Zeitschrif-
ten, Schallplatten und dergleichen vorgestellt und verkauft werden.
Kinder, die Lust haben, können auch kommen und die Bücher im Laden
lesen. Der Buchladen wird hauptberuflich von Peter und Ilona gemacht.
- Zweitens ein Spielzeugladen. Dieser Laden ist von 7 Leuten aufge-
baut worden . Keiner von ihnen lebt durch den Laden, sondern arbei-
tet (bzw. studiert) in seinem Beruf weiter.
Die Besonderheit des Spielzeugladens liegt darin, daß sowohl Kinder-
gruppen nach vorheriger Anmeldung, wie auch die Kinder der Umgebung
- von der Straße zu uns kommen können (und das auch vielfach tun),
um das Spielzeug auszuprobieren: für viele Kinder sind wir das all-
tägliche Kinder- und Spielzimmer.
- Drittens das "Freie Kinder- und Stadtteilzentrum e.V."
Der Verein verfügt über eine Töpferei und eine kleine Tischlerwerk-
statt. Im Ausbau bzw. in der Planung befinden sich eine Kinderdrucke-
rei und ein Fotolabor.
Beide Läden (Buch und Spielzeug) sind Fördermitglieder des Vereins,
der darüber hinaus von einzelnen Personen getragen wird. Die Vereins-
arbeit basiert auf ehrenamtlicher Mitarbeit.
Unser Arbeitsansatz ergibt sich wesentlich aus den Bedingungen des
Stadtteils. D.h. viele sog. randständige Kinder und Jugendliche, Kin-
der ausländischer Arbeiterfamilien, schlechteste Wohnbedingungen, un-
genügend und unzureichende Einrichtungen für die über 1000 Kinder des
107
Stadtteils.
Erster Grundsatz für uns alle ist selbstorganisierte Kultur- und Frei-
zeitarbeit zu fördern bzw. zu organisieren. Wesentlicher Punkt ist in
diesem Zusammenhang eben der Spielzeugladen. Es ist sozusagen unsere
Kontakt- und Motivationsstelle, über die wir den Zugang zu den Kin-
dern finden.
Neben diesem Freispielangebot als Alternative zum steinummauerten
Großstadtverkehr ist das Arbeiten an stadtteil- und lebensform -
bedingten Problemen ein weiteres Aktivitätsfeld für uns. Probleme als
solche überhaupt erst einmal sicht- und erfahrbar zu machen - um
dann in weiteren Tätigkeiten die Probleme auch vermittelbar - und als
längerfristiges Ziel - auch veränderbar zu machen.
Aus diesem Anliegen heraus haben wir die Kursangebote und Veranstal-
tungsreihe aufgebaut (bzw. sind in Planung). Z.B.: Fotokurs mit dem
Ziel der Erstellung einer Stadtteilwanderausstellung in der zum ei-
nen eine Kindergruppe ihren Stadtteil aus ihrer Sicht darstellt sowie
eine Frauengruppe die ihre Probleme öffentlich machen kann. Außerdem
planen wir eine Kinderzeitung die von Kindern für Kinder gemacht wer-
den soll; hier greifen wir auf den Freinet Ansatz zurück. Ebenfalls
stehen unsere Mal- und Fotokurse im direkten Zusammenhang mit der
Zeitungsarbeit.
Eine weitere Arbeit sind Veranstaltungen, die zum einen einfach Spaß
machen sollen (Stadtteilfest, Theater, etc.) die aber auch Probleme
aktualisieren sollen (Ausstellung gegen Kriegsspielzeug, gegen Um
weltzerstörung, etc.).
Aus diesen Veranstaltungen heraus können dann wiederum Kurse abgelei-
tet werden; so z.B. eine Theatergruppe nach den Ansätzen der opera-
tiven Medienarbeit (Prolet-Kult, Tretjakow).
Bisher wird unsere Arbeit wesentlich aus privaten Geldspenden sowie
aus Sachspenden unserer Läden und z.T. aus behördlichen Einzelzuwen-
dungen gedeckt. Unsere bitte an Euch: wir sind an Anregungen, Erfah-
rungsberichten uns ständigem Austausch von Informationen interessiert
Schreibt uns also, oder kommt einfach vorbei.
Im übrigen wollen wir noch mal die Lehrer, Erzieher und Sozialarbei-
ter auf unseren Spielzeugladen (in dem wir auch Bastelmaterialien
führen) und unseren Buchladen hinweisen: damit habt ihr die Möglich-
keit (über Einkauf) unsere Arbeit zu unterstützen. Außerhalb Hamburgs
arbeitenden Initiativen können wir auch unsere Angebote zuschicken.
Adresse: Die Druckerei, Schanzenstraße 59, 2000 Hamburg 6,
Tel.: 4396832.
© FRAUENSELBSTVERLAG
"Ein Mädchen ist fast so gut wie ein Junge", Dagmar Schultz, (Hrsg.)
Sexismus in der Erziehung,
Band 1: Interviews - Berichte - Analysen, 436 Seiten, DM 19,50
Band 2: Schülerinnen und Pädagoginnen berichten, 334 Seiten, illu-
striert, DM 14,80.
Das Buch belegt, daß die Koedukation, eine äußere Veränderung der
letzten Jahre im Schulbereich, bisher keine innere Veränderung mit
sich gebracht hat. Mädchen werden durch die Kultur, ihre Riten und -
108
in unserer Gesellschaft insbesondere - mittels der Massenmedien auf
psychische und sexuelle Unterwerfung hin erzogen. Zu dieser Soziali-
sation trägt die Schule entscheidend bei, indem sie nichts tut, um
diese Situation zu verändern. Mädchen und Jungen werden in der Schu-
le weiterhin auf unterschiedliche Eigenschaften und Tätigkeiten hin
trainiert. Besonders wichtig ist die Darstellung des in anderen Un-
tersuchyngen ausgesparten Bereiche der Sexualität zwischen Lehrer-
(inne)n und Schüler(inne)n, sowie die Analyse der Arbeitssituation
von Lehrerinnen.
Für den zweiten Band zum Thema "Sexismus in der Erziehung" hat Dag-
mar Schultz Gedanken und Erfahrungen von Schülerinnen und Lehrerin-
nen zu diesem Thema zusammengestellt.
"Schülerinnen über sich" - hier schreiben Schülerinnen zwischen 13
und 19, wie sie ihre Situation in der Schule, im Freizeitbereich und
zu Hause erleben. Das Erleben geht von sprachlicher Verweigerung über
Isolation und Selbstreflektion bis zur Umsetzung des Bewußt-Seins in
Aktivitäten. Dabei kann "Aktivität" bedeuten: einen eigenen, oft unbe-
quemen Weg gehen, sich mit anderen zusammenschließen, um sich gemein-
sam gegen die Diskriminierung von Mädchen zu wehren, bis hin zur mas-
siven Kritik an Erwachsenen. Die Beiträge kommen aus ländlichen Ge-
genden und Großstädten, sind Träume, phantastische Geschichten und
Aktionsberichte und werden von Kerstin Köhntopp (15) illustriert.
Schließlich beschreibt ein Junge, was es für ihn bedeutet hat, sexi-
stisch erzogen aufzuwachsen.
"Berichte von Lehrerinnen, Dozentinnen und Erzieherinnen" - Lehrerin-
nen geben ihre Erfahrungen mit Themen über Frauen und Frauenbefrei-
ung im Unterricht verschiedener Schulen und Schulstufen wieder. Hil-
de Schramm, Dozentin an der Freien Universität Berlin, analysiert die
Widerstände von Mädchen und Jungen bei der Behandlung solcher Themen
und Ulrike Edschmid, Grundschullehrerin und Autorin des Mädchenbu-
ches Ich bin ein faules Lenchen - Du auch? schreibt über ihre Gedan-
ken zu der Frage "Was heißt Feminismus in der Schule?". In Spielen
und Filmprojekten versucht Ulrike Pohl, Filmemacherin und Mitarbei-
terin in einem Modellversuch von Künstlern und Schülern, Hauptschü-
lerinnen zu ermutigen, sich positiv wahrzunehmen und durchzusetzen.
Erzieherinnen vermitteln die Schwierigkeiten und Erfolge ihrer Arbeit
mit Mädchen in Jugendfreizeitheimen und Dozentinnen und Lehrerinnen
berichten über women's studies in der Lehrerausbildung und -fortbil-
dung. Im Anhang sind Unterrichtsvorschläge und Hinweise auf Unter-
richtsmaterialien und Filme. Die Analyse der Situation von Mädchen
in der Schule aus Band 1 wird in diesem 2. Band durch die lebendigen
Berichte aus dem persönlichen Alltag von Schülerinnen und dem beruf-
lichen von Lehrerinnen vervollständigt.
Band 1 und Band 2 sind zu bestellen bei: Frauenbuchvertrieb,Mehring-
damm 34, 1000 Berlin 61
© TERMINE DER AG SPAK
2612.80 = 641.81
Musik im Jugendzentrum, Instrumentenbau in Melle bei Bielefeld, An-
meldung: T. Heilmann, Uelzenerstr. 10, 3111 Suhlendorf, Tel. 05820/
638
Neue Adresse der AG SPAK: Reifenstuelstr. 8, 8 München 5, Tel. 089/
7754 20
109
© JUGENDHOF IM BESSUNGER FORST e.V.
Die Auseinandersetzungen um die Aberkennung des Jugendhofes als Zivil-
dienststelle sind abgeschlossen. Am 4.6.80 besuchte der Bundesbeauf-
tragte für den Zivildienst, Hans Iven, u.a. zusammen mit der Bundes-
tagsabgeordneten Helga Timm, der Landtagsabgeordneten Christel Traut-
mann, Kirchenrat Eitel und Stadtrat Benz den Jugendhof um "Friedens-
verhandlungen'" mit uns zu führen.
Wie erinnerlich war aufgrund von Vorwürfen eines Mitarbeitbers des
Bundesamtes für den Zivildienst (BAZ) gegenüber dem Jugendhof beab-
sichtigt,die Zivildienstleistenden zu versetzen und den Jugendhof als
Zivildienststelle abzuerkennen. Nachdem dies öffentlich bekannt wur-
de, führte dies zu einer massiven Solidarisierung von Gästen, Jugend-
verbänden und an einem demokratischen Zivildienst interessierten:
4500 Unterschriften gegen das Vorgehen des BAZ wurden gesam-
melt. Unter anderen setzten sich der Hessische Jugendring, der Stadt-
jugendring Darmstadt und viele Jugendverbände und Gruppen für den
Erhalt dieser Zivildienststelle durch Briefe an den Bundesbeauftrag-
ten für den Zivildienst ein. Die Darmstädter Tagespresse berichtete
sehr ausführlich und solidarisch.
Diese Solidaritätsbewegung veranlaßte die Darmstädter Bundestagsab-
geordnete Helga Timm, sich mit Nachdruck für den Jugendhof einzu-
setzen.
In dem Gespräch mit dem Bundesbeauftragten wurde deutlich, daß von
ihm auch eine selbstorganisierte Einrichtung, wie der Jugendhof, die
sich durch starke Mitwirkungsmöglichkeiten der Zivildienstleistenden
auszeichnet, im Prinzip akzeptiert wird.
So können nun in absehbarer Zeit wieder Zivildienstleistende im Ju-
gendhof ihren Dienst ableisten.
Wir danken hiermit allen, die mit ihrem Engagement diesen Erfolg
möglich gemacht haben.
© ERFOLG UND FORDERUNGEN
Vom Juli 1978 bis März 1980 haben 33 "Honorarkräfte" aus 5 Kinder-
und Jugendeinrichtungen der Stadt Offenbach gegen ihren freien Mit-
arbeiterstatus auf ein Arbeitsverhältnis geklagt.
Am 6.11.79 wurde vor dem Landesarbeitsgericht in Frankfurt das ent-
scheidende positive Urteil gefällt. Im Mai 80 bekamen die klagenden
Mitarbeiter erste Nachzahlungen, vor kurzen legte die Stadt die er-
sten Verträge vor, die jedoch wegen der unzulässigen BAT-Einstufung
nach BAT VIIL/VII bzw. IX/VIII nicht unterschrieben wurden.
Wir fordern BAT Vb für alle im Gruppendienst tätigen Mitarbeiter ab
sofort! - Wir werden dies notfalls gerichtlich einklagen!
Ein weiterer Erfolg ist für uns die Bezahlung der Ferienfreizeiten.
Pro Tag: 8 Stunden BAT-Vergütung und 35 DM Überstundenpauschale.
Neben den Honorarkräften griffen auch immer mehr die hauptamtlichen
Kräfte, die Eltern, Kinder und Jugendlichen mit in die Diskussion ein.
Am 27.3.80 demonstrierten 400 Kinder, Jugendliche, Eltern und Betreuer
auf den Straßen Offenbachs und im Parlament für mindestens 20 Plan-
stellen zur Aufrechterhaltung der Kinder- und Jugendarbeit.
Unter dem Druck der Straße gelang es, den von der CDU-Mehrheitsfrak-
tion gestellten Antrag auf nur 1,5 Stellen abzuwimmmeln und den
Punkt zu vertagen. Doch am 26.Juni 80 setzte die Stadt ihre Verzöge-
rungstaktik fort und vertagte erneut; und zwar auf den 31.3.81. Nach
den Berechnungen der Arbeitsgruppe Alten- und Jugenplan des Jugend-
110
amtes sind 32 Planstellen notwendig, um die bisher von "Honorarkräf-
ten" geleistete Arbeit zu bewerkstelligen. Der Jugendwohlfahrtsaus-
schuß der Stadt Offenbach hatte dem bereits zugestimmt.
Zur Aufrechterhaltung des Club 32 werden zwei zusätzliche Stellen
für Sozialarbeiter benötigt, aus diesem Grunde lautet unsere Forde-
rung jetzt: 34 Planstellen zur Aufrechterhaltung der offenen Kinder-
und Jugendarbeit in Offenbach.
Eine Dokumentation über Sen "Offenbacher Honorarkräfteprozeß" ist
für 5,- DM erhältlich bei
Stadtjugendring Offenbach
Bismarckstr. 135
6050 Offenbach, Tel. 0611/8065-2958
%*
| AUTO HAVARIERT 2
Mich miht Arzahlf 2
EHE zerbrochen ?
RR veruahtlast 2
TSOs?
N ae r
111
NEUERSCHEINUNG:
Freiheit + Gleichheit
Streitschrift für Demokratie und Menschenrecht
Mit dieser Streitschrift sollen Geschichte und Gegenwart der Bundesrepublik im
Spiegel der Menschenrechte als unmittelbar geltende Normen gezeigt werden. Die
gewordene Wirklichkeit der Menschenrechte aufzuspüren heißt aber, sie in den ver-
schiedenen gesellschaftlichen Gruppen aufzusuchen, sprich: bei den Majoritäten
und Minoritäten der Bundesrepublik. Die Gefährdung der Grund- und Menschen-
rechte hat viele Dimensionen, vom Betrieb bis zur Polizei, vom 'Atomstaat’ bis zur
Friedensfrage, von der Meinungsfreiheit bis zu den Berufsverboten, von den zahl-
reichen 'Minderheiten’ (Alte, Kinder, Strafgefangene, Obdachlose, Homosexuelle,
Ausländer, Zigeuner ...) bis zur längst nicht verwirklichten Gleichberechtigung der
Frau.
Das Heft 2 der Streitschrift "Freiheit + Gleichheit” (Oktober 1980) bringt u.a. folgen-
de Beiträge @ Roland Narr: Kinder und ihre halberwachsenen Rechte @ Christine
Morgenroth: Arbeitslosigkeit ist grundgesetzwidrig ® Hannelore Narr: Altsein im
gesellschaftlichen Abseits @ Peter Schlotter: Politik der Angst — Rüstung und Ab-
rüstung ® Joachim Hirsch: Der neue Leviathan oder der Kampf um demokratische
Rechte ®© Roland Roth: Bürgerinitiativen und Sicherheitsstaat @ Dorothee Sölle:
Menschenrechte in Lateinamerika @ Bernhard Blanke: Schutz der Verfassung durch
Spaltung der Demokratie? @ Arbeitsgruppe: Berufsverbote 1979/80 @ Wolf-Dieter
Narr: Verfassungsschutz — Ein Lauschangriff und die Folgen @ Christoph Nix: Straf-
vollzug in hessischen Haftanstalten.
Im Heft 1 (Dezember 1979, aber noch immer aktuell) sind u.a. folgende Beiträge
enthalten @ Wolf-Dieter Narr/Klaus Vack: Menschenrechte, Bürgerrechte, aller
Rechte ®@ D. Helmut Gollwitzer: Der Kampf für Menschenrechte — heute noch zeit-
gemäß? @ Ute Gerhard/Eva Senghaas-Knobloch: Was heißt Gleichberechtigung ?
@ Wolfgang Däubler: Menschenrechte im Betrieb @ Rüdiger Lautmann: Homo-
sexuelle als Indiz @ Klaus Horn: Medizinische Versorgung und Menschenrechte ®
Helmut Ortner: Wer bestraft wird, verliert sein Bürgerrecht ®@ Hans Heinz Heldmann:
Unsere ausländischen 'Mitbürger’ @ Ingeborg Drewitz: Die Vergangenheit liegt nicht
hinter uns @ Thomas Blanke: Der 'innere Feind’ in der Geschichte der BRD @ Al-
brecht Funk: Welche Sicherheit schützt die Polizei? @ Ulrich Albrecht: Soldaten und
Demokraten — eine bleibende Differenz? @ Mechthild Düsing/Uwe Wesel: Die Feste
der freien Advokatur wird gestürmt.
Je Heft 130 Seiten, Magazinformat, fester Umschlag, DM 10,--.
Herausgeber und Bezugsadresse: Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.,
An der Gasse 1, 6121 Sensbachtal (gegen Vorauszahlung; Scheck, Briefmarken,
Bargeld o.ä. beilegen).
Seit über einem Jahrzehnt erscheinen im
Verlag 2000 des Sozialistischen Büros Bro-
schüren, insbesondere für die verschiede -
nen Arbeitsfelder. Dieses Programm wird
jetzt durch eine breit konzipierte Taschen-
buchreihe ergänzt.
IF >
[ur konkreten Utopie
‘der geselsie
Verlag 2000 Ar beit
Band 1: Zur konkreten Utopie
gesellschaftlicher Arbeit
Beiträge zur Arbeitstagung im An-
schluß an die ersten Ernst-Bloch-Tage
1979 160 Seiten, DM 10,--
Läßt sich eine konkrete Utopie der gesell-
schaftlichen, und das heißt auch der indu-
striellen Arbeit entwickeln? Mit dieser The-
matik wurde an die Bloch-Tage '78 zum
Thema “Marxismus und Naturbeherrschung”’
angeknüpft, deren Ergebnisse ebenfalls im
Verlag 2000 veröffentlicht wurden und in
der 3. Aufl. für DM 10,-- vorliegen.
Sozialisten bearbeiten ihre
politische Sozialisation
1 A E %
Band 2:Erfahrungen — Sozialisten
bearbeiten ihre politische Sozialisation
Hrsg. von G.Koch, und V.Brandes
Mit Beiträgen von H. Stubenrauch, H.
Obenland, S. Tesch, H. Mühleisen u.a.
Das Wort von der Krise der Linken macht
die Runde. Zeit also, eine Bestandsaufnah-
me zu versuchen und sich mit den eigenen
Erfahrungen auseinanderzusetzen.
Demnächst erscheinen:
Band 3: Ellen Diederich
“Und eines Tages merkte ich, ich war
nicht mehr ich selber, ich war mein
Mann”
Eine politische Autobiographie
Band 4:Teufel, Teufel! Trau keiner
Stunde über 35!
Ein Stück der Mobilen Rhein-Main-Theater
GmbH zum Kampf um die 35-Stunden-Wo-
che. Theater, Lieder, Film und Video im Ar-
beitskampf. 152 Seiten, DM 9,--
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tel sind im linken Buchhandel erhältlich,
können jedoch auch gegen Vorauszahlung
direkt bezogen werden bei: Verlag 2000,
Postfach 591, 6050 Offenbach 4
links
Sozialistische Zeitung
bringt monatlich auf etwa 32 Seiten Informationen und Anregun-
gen für die politische Arbeit, Beiträge zur sozialistischen Theo-
rie und Strategie, Berichte aus der Linken international. „links“
ist illusionslos, undogmatisch — eine Zeitung für Theorie der
Praxis und für Praxis der Theorie.
Einzelpreis DM 2,—.
Bezugspreis, jährlich, DM 23,— + DM 7,— Versandkosten
CXDICS
Zeitung für BET,
etriebs- und !
Gewerkschaftsarbeit
Sprachrohr der Kollegen und Genossen, die sozialistische Be-
triebs- und Gewerkschaftsarbeit machen. Informationen über
die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit. Beiträge,
die man nicht in den Gewerkschaftszeitungen findet.
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Der Tütengesang (nach: Freude schöner Götterfunken)
Es ist seltsam mit dem Alter: Wenn man 15 und noch Kind,
weiß man glasklar, daß das Alter so um 20 rum beginnt.
Ist man selber 20 Jahre, denkt man nicht mehr ganz so steif,
glaubt jedoch so um die 30 sei man für den Sperrmüll reif.
30iger schon etwas reifer und vom Lebenskampf geprägt
haben den Beginn des Alters auf Punkt 40 festgelegt.
40er mit Hang zum Grübeln sagen dumpf wie ein Fagott
50 sei die Altersgrenze und von da an sei man Schrott.
Doch die 50iger, die Klugen, denken überhaupt nicht dran,
jung sind alle, die noch lachen, Alter fängt mit 60 an.
60 Jahre klug und weise, auf die 70 hofft man still,
und bei 80 spricht man leise: „Ich werd 90, so Gott will.“
Unser Herrgott hat der Lisel noch 10 weitre Jahr geschenkt,
hat mit seinem reichen Segen ihrer Füße Schritt gelenkt,
daß die 100 sie erreichte hier auf unserm Erdenball.
Freudig wir ihr gratulieren mit ‘nem lauten Tütenknall.