INFORMATIONSDIENST
SOZIALARBEIT
a e Zn loo;ji ihri igen Bestehen des Deutschen Vereins
EEN und z ‚um 69. Deutschen Fürsorgetag in Frankfurt
—— Offenbach im März 1980
R Einfachnummer - Preis DM 6,--
— ialistischen Büro
Dieser Informationsdienst Sozialarbeit wird seit 8 Jahren im Sozialisti
vo
n Gruppen, die im Sozialisationsbereich arbeiten, herausgegeben. —
Der Info dient der Kommunikation und Kooperation von Genossen, die m
sozialistischem Anspruch im Feld der sozialen Arbeit tätig sind. x ai
Der Info enthält neben einem Schwerpunktthema Darstellungen über A —
Organisationsmodelle und Basisaktivitäten sozialistischer Sozialarbeiter/-p
à > Mi f . ati und
gen, Erzieher, Kindergärtnerinnen etc., Kurzberichte, Informationen
Analysen aus dem So
se, Stellenangebot
. * 2.772 inwei-
zial- und Gewerkschaftsbereich sowie Materialien, Hi
e und Kleinanzeigen.
Folgende Hefte sind noch lieferbar:
Heft 5:
Zur Organisierung im Sozialbereich (104 Seiten, DM 5,--)
Heft 7: Jugendhilfetag — Sozialistische Aktion (80 Seiten, DM 4,--) de
Heft 8: Reform und Reformismus als Problem praktischer Politik in
Sozialarbeit (72 Seiten, DM 4,--)
Heft 10: Knast und Sozialarbeit (64 Seiten, DM 3,50) .
Heft 12: Probleme stadtteilbezogener Sozialarbeit — Teil II (80 Seiten,
DM 4,--)
Heft 13: Jugendarbeit — Jugendarbeitslosigkeit (96 Seiten, DM 5,--)
Heft 14: Alternative Psychiatrie (80 Seiten, DM 4,--)
Heft 16; Gewerkschaftsarbeit in der OTV (88 Seiten, DM 5,--)
Heft 17: Kindergartenarbeit (96 Seiten, DM 5,--)
Heft 18: Heimerziehung (168 Seiten, DM 8 ,--)
Heft 19: Jugendhilferecht — Jugendhilfetag (96 Seiten, DM 6,--)
Heft 20: Sozialarbeiterausbildung (104 Seiten, DM 7.--)
Heft 21: Familienfürsorge (80 Seiten, DM 5 ,--) '
Heft 22; Jugendhilfetag 1978 in Köln/Geschlossene Heimerziehung
(104 Seiten, DM 7
Heft 23: Frauen und Sozialarbeit (144 Seiten, DM 8,--) ;
Heft 24; Psycho-Methoden in der Sozialarbeit (96 Seiten, DM 6,--)
Herausgeber: Sozialistisches Büro, Postfach 591, 605 Offenbach 4
Verleger:
Erste Auflage:
Verlag 2000 GmbH Offenbach
März 1980, 5000 Exemplare
Alle Rechte bei dem Herausgeber
Vertrieb: Verlag 2000 GmbH, Postfach 591, 605 Offenbach 4
Postscheck Frankfurt Nr, 61041-604
Preis: Einfachnummer DM 6,--
bei Abnahme von mind. 10 Ex. 20 % Rabatt ý
Weiterverkäufer (Buchläden, Buchhandel) 40 % Rabat
jeweils zuzüglich Versandkosten :
Der Info kann auch im Abonnement bezogen — *
Bezugsgebühren für das Jahr 1980 DM 15,-- und DM 4,
Versandkosten
Verantwortlich: Redaktionskollektiv Info Sozialarbeit
Presserechtlich
Verantwortlich: Günter Pabst Offenbach
Druck: hbo-Druck Einhausen
ISSN: 0170-2688
ISBN: 3-88534-016-X
Beilage:
Spendenaufruf “Kita im Exil’, Prospekt — ir
Sozialarbeit, päd.extra-Werbekarte, Aufruf Sozialhilfe
INFO SOZIALARBEIT, HEFT 25
INHALT
Vorbemerkung zu dieser Ausgabe
Aufruf der Sozialhilfe-Aktion
Wolf Perdelwitz
Zum Leben zuwenig - Zum Sterben zuviel
- Zur Situation der Sozialhilfeempfänger -
"Sie haben mich die ganzen Jahre regelrecht betrogen"
- Bericht einer Betroffenen -
"Angst und Isolation" - Brief an die Vorbereitungsgruppe
Nette Sprüche - gesammelt im Hagener Sozialamt
"Nein Kinder, das geht nicht" - Bericht einer Betroffenen
Falco Werkentin
Die Quantifizierung der Würde des Menschen nach dem BSHG
Albert Hofmann
Zweimal beschissen: Kochfeuerung und Beleuchtung
Albert Hofmann
Warenkorb 'Marke Schmalhans' - Die Bemessung der Würde
des Menschen durch den Deutschen Verein -
Ulf Luers
Ein Deutscher Verein - Jubiläum des Deutschen Vereins
für öffentliche und private Fürsorge -
Auszug aus dem Programm des Deutschen Fürsorgetages
Historische Dokumente/Auszüge aus dem Nachrichtendienst
des Deutschen Vereins
- 100 Jahre Fürsorgeerziehung
- Offizielle Geschichtsschreibung
- Mitteilung des Vorstandes v. 8.5.1933
- Das Fürsorgewesen im Aufbauprogramm der Reichsregierung
- Die Wohlfahrtspflege im Dritten Reich
- Schlußwort des Vorsitzenden Prof. Polligkeit (1934)
loo Jahre Deutscher Verein - 4 Jahre Interessengruppe Köln
Interessengruppe Sozialhilfe Hagen
23
29
35
43
45
Interessengruppe Sozialhilfe Duisburg 65
Arbeitsgemeinschaft sozialbenachteiligter Familien Hildesheim 69
Selbsthilfe Gelsenkirchen 70
Sozialhilfegruppe "Tu was" Frankfurt fa
Frauenhaus Kassel
St2əllungnahme zum $ 72 BSHG und dem Gutachten des Deutschen
Vereins 14
Frauenforum im Revier
Frauen kommt aus Eueren Schneckenhäusern 83
Adressen der Sozialhilfegruppen/Sozialhilfeleitfäden 85
Berichte - Hinweise - Informationen - Kleinanzeigen 88
96
Mitteilungen des Arbeitsfeldes
Tagungen der AG SPAK zu Sozialhilfe/Obdachlosenarbeit
ARMUT IN DER BRD -- Fortsetzungsseminar — spez. für Obdachlosen --
Stadtteilarbeitsgruppen, 18.-20.4.80, Frankfurt/M. Anmeldung: AG SPAK,
Belfortstr. 8, 8 München 80.
ZUR STRATEGIE UND INTERESSENDURCHSETZUNG VON
INITIATIVGRUPPEN — Sozialhilfe und Obdachlosenarbeit —
25. - 27.4.80, Burckhardthaus Gelnhausen, Auskunft: AG SPAK,
Belfortstr. 8, 8 München 80.
Workshop: Probleme in der Obdachlosensiedlung (Erfahrungsaustausch,
Rollenspiele) für Gruppen aus dem südd. Raum) 9. - 11.5. in Reutlingen,
Auskunft: Ingrid Maier, Schloßgartenstr. 5, 7417 Pfullingen — oder bei
AG SPAK, Belfortstr. 8, 8 München 80 (PB ODL)
Informationsdienst für Obdachlose — Obdachlosenzeitungen -
27. - 29.6.80, b. Nürnberg — Anmeldung: AG SPAK (PB ODL),
Belfortstr. 8, 8 München 80.
VORBEMERKUNG ZU DIESER AUSGABE
Kein "deutscher Verein" im Bereich der "öffentlichen und privaten
Fürsorge" hat es wohl bislang so glänzend und geschickt verstanden,
sein Wirken und seinen Einfluß auf die Sozialpolitik über 100 Jahre
hinweg derart stillschweigend zu entfalten und auszubauen wie der
"Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge".
Mit den vorliegenden Aufsätzen und Materialien wollen wir versuchen,
etwas Licht in die Arbeit des Deutschen Vereins zu bringen. Wir be-
leuchten dabei nicht das gesamte Spektrum der Aktivitäten und Ein-
flußnahmen des Deutschen Vereins auf die Sozialpolitik. Aus aktuel-
lem Anlaß - der SOZIALHILFE-AKTION am 23. April 1980 in Frankfurt -
beschränken wir uns auf den Bereich der Sozialhilfe.
Im ersten Abschnitt wird die Lebenslage der Sozialhilfeempfänger do-
kumentiert. Der zweite Teil zielt unmittelbar auf die Verantwortung
des Deutschen Vereins für die Lebenslage der Sozialhilfeempfänger.
Kritisiert wird der Warenkorb, den der Deutsche Verein als Grundla-
ge für die Berechnung der Regelsätze erstellt hat. Daran anschlies-
send wird die 100jährige Geschichte des Deutschen Vereins skizziert
und anhand von Dokumenten der Widerspruch zwischen offizieller Ver-
einsgeschichtsschreibung und historischer Wirklichkeit für die Zeit
des Nationalsozialismus problematisiert. Abschließend wird am Bei-
spiel einiger Sozialhilfe-Initiativen die Möglichkeit und Notwendig-
keit von Gegenwehr nachgewiesen.
Das Info versteht sich als eine Materialsammlung zur Unterstützung
der SOZIALHILFE-AKTION am 23. April 1980 in Frankfurt. Aufgrund die-
ser besonderen Aufgabenstellung bleibt der direkte Einfluß des Deut-
schen Vereins auf die Sozialarbeiter und Sozialpädagogen ausgeklam-
mert. Erinnern wollen wir aber an den Fürsorgetag 1969 in Essen, auf
dem Sozialarbeiter des AKS-Berlin und anderer kritischer Gruppen aus
Westdeutschland sich einig waren: "In Essen kann nur die gemeinsame
Argumentation verhindern, daß kritische Stimmen als 'belebend' ab-
sorbiert werden." Konzentriert wurde die Arbeitsgruppe "Entwicklungs-
tendenzen in den Berufen der Sozialarbeiter und Sozialpädagogen! be-
sucht und zwölf vorbereitete Forderungen gegen die Versammlungslei-
tung in die Diskussion eingebracht. (Siehe Sozialpädagogische Korres-
pondenz, 1969, Nr. 6 und "Sozialarbeit zwischen Bürokratie und Klient"
- Dokumente der Sozialarbeiterbewegung 1969 - 1973 reprint, Verlag
2000, Offenbach). Ähnliche Ansätze gemeinsamen Auftretens von Sozial-
arbeitern zum Fürsorgetag in Frankfurt sind uns (noch) nicht bekannt.
Während seit ca. 10 Jahren der "Deutsche Jugendhilfetag " für kriti-
sche Sozialarbeiter Forum zur Darstellung ihrer Kritik am Jugendhil-
fesystem ist und zur Auseinandersetzung mit den Vertretern von Be-
hörden und Institutionen benützt wird, scheinen kritische Sozial-
arbeiter von dem Fürsorgetag 1980 mal wieder überrascht worden zu
—
sein. Ist es die Größe des Verbandes, seine Undurchschaubarkeit,
seine vermeintliche Omnipotenz die bisher dazu führte, diesen Verein
"rechts" liegen zu lassen?
Zusätzlich zu dieser Materialzusammenstellung sollte über die Kon-
taktadresse: Sozialhilfe-Aktion, FH Sozialarbeit,
Limescorso 5
6000 Frankfurt 50
das auf S. 6 abgedruckte Plakat im DIN A 2 Format sowie der Aufruf
(S.7 ) und die Informationsrundschreiben der Sozialhilfe-Aktion
bestellt werden. Weiterhin benötigen wir zur Finanzierung der Sozial-
hilfe-Aktion Spenden: Eingezahlt werden kann auf das Postscheckkonto
Frankfurt 128 35-609 Albert Hofmann - Kennwort: Sozialhilfe-Aktion.
Redaktionsgruppe:
AG "Tu was" Frankfurt - Arbeitskreis Kritische Sozialarbeit Frankfurt-
Projektgruppe Warenkorb an der FHS Frankfurt -
Redaktion Info Sozialarbeit
MATERIALIEN ZUR SOZIALHILFE-AKTION
. Pressemappe (Aufruf/Plakat/Info Sozialarbeit Heft 25 -
Materialien zur Sozialhilfe-Aktion/Rundbriefe der Sozialhilfe-
Aktion einschl. Porto) DM 12,--
2. Plakat der Sozialhilfe-Aktion DIN A 2
l Ex. DM 2,50, ab 1o Ex. DM 2,-- pro Exemplar plus Porto
3. Leitfaden zur Sozialhilfe 1 Ex. DM 2,--
4. Aufruf der Sozialhilfe-Aktion
loEx. DM 2,-- Sozialhilfegruppen erhalten
5oEx. DM 1o,-- den Aufruf kostenlos
looE. DM 15,--
looo E.DM 1oo,--
Bestellungen nur gegen Vorauszahlung(Scheck/Briefmarken) plus
Porto an: Sozialhilfe-Aktion c/o AG Tu was Fachbereich Sozial-
arbeit, Limescorso 5, 6000 Frankfurt
påd. extra
GZId,
MOEI
berichtet monatlich über die Arbeitsfelder der Sozialarbeit.
Zum Beispiel:
* Jugend und Bundeswehr
Die Männerschule der Nation
* Pennerleben
* Lernen in Situationen
Versuch, mit Freire in der BRD
Randgruppenarbeit zu machen
ı Heft viele Hinweise, Literatur, Texte und Medien,
Dazu in jeden
Hilfsmaterialien, z.B.:
* Rezensionen von Sozialhilfeleitfäden
%* Bericht über den Warenkorb Marke Schmalhans
x Analyse des Deutschen Vereins: eben ein
deutscher Verein’ und so fort
Zum intimen Kennenlernen bieten wir das Probierheft an:
das päd.extra Lexikon im Karteikasten und 4 fortlaufende Hefte
päd.extra sozialarbeit für DM 18,-.
schicken an: pädex-Verlag, PF 295, 6140 Bensheim
— *
Hiermit bestelle ich ein Probepaket päd.extra sozialarbeit für DM 18,-.
Ich zahle [_] mit Scheck [_]gegen Rechnung (DM 2,50 Rechnungsgebühr)
aß päd.extra sozialarbeit als Halbjahres-
Ich bin damit einverstanden, d
ht spätestens nach Erhalt des
abo* weitergeliefert wird, wenn ich nic
dritten Heftes kündige.
* Halbjahresabo DM 29.50 ./. DM 3,— bei Abbuchung.
Vorname: __ Be
Name: _____ — —
Straße:
PLZ. Dr — —
Unterschrift:
Datum:
SOZIALHILFE-AKTION
Zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Vereins
und zum 69. Deutschen Fürsorgetag am 23. April 1980 in Frankfurt
Je
| ERN |
meine verehrten Feftgafte, la
Uuf das Mob! unserer Gogialhilfeenpfänger!Gie [eben Hod! KHod! Hog
—
FORDERUNGEN DER SOZIALHILFE-AKTION PROGRAMM DER SOZIALHILFE—- AKTION
10,00 Uhr
7 Informationsstände vor der Festhalle
® Nichtanrechnung des Kindergeldes am Messegelände
auf die Sozialhilfe zur Eröffnung des Fürsorgetages
® Kostendeckende Regelsätze
® Kostendeckende Beihilfen für Bekleidung Möbel,
Hausrat, Heizung und Winterbrand
15.00 Uhr
a ic hende und nichtdiskriminierende Kundgebung und Informationsstände
—— von Frauenhäusern vor der Paulskirche
unc TOE TA : —
anderen Selbsthilfe gruppen zum Festakt des Deutschen Vereins
AUFRUF
SOZIALHILFE-AKTION
ZUM 100 JÄHRIGEN BESTEHEN DES DEUTSCHEN VEREINS
UND ZUM 69. FÜRSORGETAG
AM 23. APRIL 1980 IN FRANKFURT/M.
"Der Deutsche Verein besteht 1980 100 Jah-
re. Aus diesem besonderen Anlaß findet der
69. Deutsche Fürsorgetag im Jubiläumsjahr
am Vereinssitz in Frankfurt am Main statt.
Der Festakt in der Paulskirche und das Kon-
zept des Deutschen Fürsorgetages im Messe-
gelände sind von einem besonderen Vorstands-
ausschuß und von einer Arbeitsgruppe der
hauptamtlichen Referenten in der Geschäfts-
stelle vorbereitet worden.
Es wird im Grundsatz an dem bewährten Ta-
gungsablauf der vorhergehenden Deutschen
Fürsorgetage festgehalten."
(Aus dem Programm des Deutschen Vereins)
Das 100jährige Bestehen des Deutschen Vereins und der 69. Deutsche
Fürsorgetag finden zu einem Zeitpunkt statt, in dem der fortschrei-
tende Abbau von Sozialleistungen auch auf die Sozialhilfe überge-
griffen hat.
Im November 1975 kritisiert der "Deutsche Städtetag" den "überpropor-
tionalen Anstieg" der Sozialhilfeausgaben und die "schwerwiegenden
zusätzlichen Belastungen" für die Träger der Sozialhilfe. Ein halbes
Jahr später spricht der "Deutsche Landkreistag" von "Fehlentwicklun-
gen bei der Sozialhilfe", von "Mißbrauchtatsbeständen" und "teilwei-
se überzogenen und mißbräuchlich genommenen Leistungen". 1977 fassen
die Ministerpräsidenten der Länder einen Beschluß zur "Reduzierung
der Sozialhilfekosten".
Unterstützt wird diese gegen die Sozialhilfeempfänger gerichtete
Kampagne von einem Teil der Presse:
e "Bild" vom 2.2.1977:
Deutschlands faulster Gärtner lebt von Sozialhilfe
e "Ouick" vom 10.2.1977:
Unversehämte Arme - Sie leben in Saus und Braus - auf unsere Kosten
e "Bild" vom 29.7.1978:
1 430 Mark Sozialhilfe plus Schwarzarbeit = Mercedes - Wie der
schlaue Alfons (28) mit Bauchweh schön lebt
Der Deutsche Verein legt 1976 unter dem irreführenden Titel "Vor-
schläge zur Weiterentwicklung der Sozialhilfe" auf die finanzielle
Situation der Städte und Landkreise abgestimmte "Prüfungen" vor.
Darin stellt er fest:"” ... die dafür aufgezeigten Wege erfordern ins-
gesamt keine Mehraufwendungen. Die Einsparungen sind sogar
höher, als es die voraussichtlichen Mehrausgaben sein werden."
Schon 50 Jahre vorher schlug er mit dem Aufruf "Die Notwendigkeit
von Sparmaßnahmen ergibt sich aus der Gesamtlage der deutschen Wirt-
schaft", "Sparmaßnahmen unter möglichster Aufrechterhaltung des Ge-
samtstandes der Fürsorge" vor.
1977/78 rücken die ersten Bundesländer von der in den vergangenen
Jahren geübten Praxis ab, die Regelsätze jeweils jährlich um einen
minimalen Betrag anzuheben. Die Beträge für die sog. einmaligen Bei-
hilfen, wie Bekleidungsbeihilfen werden von den Städten und Landkrei-
sen eingefroren oder sogar gekürzt.
Dies führt zu einer einschneidenden Verschlechterung der Lebenslage
von Sozialhilfeempfängern. Davon findet sich allerdings in dem Pro-
gramm des Deutschen Vereins zum 100jährigen Bestehen nichts. Dabei
ist es gerade der Deutsche Verein,der unter dem Mantel der Unabhän-
gigkeit und Wissenschaftlichkeit mit seinen Gutachten, Empfehlungen,
Vorschlägen und insbesondere durch die Zusammenstellung des sog.
Warenkorbs, der der Berechnung der Regelsätze zugrundeliegt, ent-
scheidenen Einfluß auf die Lebenslage von Sozialhilfeempfängern aus-
übt.
Deshalb will die SOZIALHILFE-AKTION gegen "den bewährten Tagesablauf
der vorhergehenden Fürsorgetage" die Lage von Sozialhilfeempfängern
am 23. April 1980 darstellen.
Angeknüpft wird dabei an erste Ansätze einer Gegenwehr von Sozialhil-
feempfängern ‚wie sie sich in den rund 50 Sozialhilfegruppen in der
BRD und in den ersten zentralen Demonstrationen in Wiesbaden und Bonn
für die "Nichtanrechnung des Kindergeldes'" zeigt.
Aufgabe der SOZIALHILFE-AKTION ist es:
® Die Lebenslage der Sozialhilfeempfänger in der Öffentlichkeit be-
kannt zu machen.
© Den Einfluß des Deutschen Vereins auf die Lebenslage von Sozialhil-
feempfängern klar zu stellen.
Wir fordern Euch auf:
® Bildet lokale Vorbereitungsgruppen
© Beteiligt Euch an der SOZIALHILFE-AKTION am 23. April 1980 in
Frankfurt
- ab 10.00 Uhr Informationsstände vor der Festhalle/
Messegelände (Eröffnung des Fürsorgetages)
- ab 15.00 Uhr Informationsstände und Kundgebung vor der
Paulskirche (Festakt des Deutschen Vereins).
unter den Forderungen
- Kostendeckende Regelsätze
- Nichtanrechnung des Kindergeldes auf die Sozialhilfe
- Kostendeckende Beihilfen für Bekleidung, Möbel, Hausrat,
Heizung und Winterbrand
- Ausreichende und nichtdiskriminierende Finanzierung von
Frauenhäusern und anderen Selbsthilfegruppen
Diesen Aufruf unterstützen bisher: Soziale Arbeitsgemeinschaft e.V.
Aachen/Sozialhilfebratung e.V. Gropiusstadt Berlin/Interessengruppe
Sozialhilfe Duisburg/Düren/Esslingen/Landesarbeitsgemeinschaft soz-
iale Brennpunkte e.V. Hessen/Sozialhilfegruppe Tu was Frankfurt/
Projektgruppe Margaretenhütte Gießen/Interessengruppe Sozialhilfe
Hagen/Arbeitsgemeinschaft sozialbenachteiligter Familien Hildesheim/
NVS-Nothilfe Vereinigung für Sozialhilfe- und Arbeitsförderungsbe-
rechtigte e.V. Kassel/Interessengruppe Sozialhilfe e.V. Köln/Kölner
Selbsthilfe e.V. Kindergruppenarbeit Mühlheim/Verband alleinstehen-
der Mütter und Väter, Ortsverbände Frankfurt und Mainz/Sozialhilfe-
gruppe Velbert/Arbeitsfeld Sozialarbeit im Sozialistischen Büro/
Arbeitsgemeinschaft Sozialpolitische Arbeitskreise/Arbeitskreis
Kritische Sozialarbeit Frankfurt/"ausgepackt"-Zeitung für Sozial-
arbeiter in Frankfurt/Bund Deutscher Pfadfinder,Landesverband Hessen/
Jugendpolitisches Forum Wiesbaden/päd.extra Sozialarbeit/Projektgrup-
pen "Warenkorb" der Fachhochschulen Fulda und Frankfurt/Fachschafts-
rat Pädagogik Mainz
Kontaktadresse: Sozialhilfe-Aktion c/o AG Tu was Fachbereich Sozial-
arbeit, Limescorso 5, 6 Frankfurt
Telf.: Albert Hofmann 0611/59 66 53
rokla
Zeitschrift für politische Ökonomie
und sozialistische Politik
Neustrukturierung
bürgerlicher Herrschaft?
x
Editorial, Korporativismus als Form
der Neustrukturierung bürgerlicher
Herrschaft? / Hajo Funke/Bodo Zev-
ner, Profit aus der Angst - Ökonomie
und ‘Psychologie’ in der Wahlkampf-
strategie der CDU/CSU / Karl E. Loh-
mann, Strauß, die Grünen und das
sozialistische Wahldilemma / Kurt
Hübner/Dick Moraal, Zwischen Ver-
bändegesetz und ’Konzentrierter
Aktion’ - Korporativistische Neu-
strukturierungsversuche / Bernhard
Blanke, Reproduktion des Kapitals
als Verfassungsproblem / Hans
Kastendiek, Neokorporativismus? -
Thesen und Analysen-Konzepte /
Michele Salvati/Giorgio Brosio, Poli-
tik und Markt in der Krise: Die indu-
striellen Beziehungen im Europa der
siebziger Jahre / Gerd Armanski, Mi-
— — ee ee ee
litarismus und Soldatenphantasien /
Peter v. Oertzen/Redaktion Prokla,
Kontroverse zur Bahro/Abendroth-
Resolution in Prokla 36.
Wolf Perdelwitz
ZUM LEBEN ZUWENIG — ZUM STERBEN ZUVIEL
— Zur Situation der Sozialhilfeempfänger —
(aus: Stern Nr. 12/1977)
Die selbstzufriedene Bilanz des Bundesfinanzministers, der kein
Elend in unserem Land entdecken kann, ist leider falsch. Mit fünf
Mark und 37 Pfennigen täglich glaubt der Wohlstandsstaat Bundesrepu-
blik die Teller der ärmsten seiner Armen füllen zu können. 5,37 Mark
- so viel steht einem Sozialhilfeempfänger pro Tag für seine Ernäh-
rung zu. Keiner der Bürokraten, die diese Summe festlegten, war
Je gezwungen, davon satt zu werden. Millionen - vor allem alte Leu-
te, Kleinrentner - vegetieren am Rande des Existenzminimums, und sie
schämen sich dessen auch noch.
Am Samstag bereitete Willi Barteldes, 60, Schneider in Schleswig,
das Ende vor. Er bestellte beim Eierhändler Hansen die wöchentliche
Lieferung ab: "Nächste Woche brauchen wir keine Eier mehr." Dann
räumte er die Wohnung auf und kündigte die Zeitung. Als am Montag-
vormittag der Gerichtsvollzieher kam, um den Schneider und seine Frau
wegen Mietschulden ins städtische Obdachlosenheim einzuweisen, waren
beide tot.
Willi Barteldes hatte erst seine Frau Käthe mit dem Beil erschlagen
und dann sich selbst mit hundert Schlaftabletten das Leben genommen.
Weil er sich seiner Armut schämte, hatte er im Frühsommer bereits
auf die ihm zustehende Sozialhilfe verzichtet. Als der Winter kam,
konnte er die neuerliche Schmach, das Obdachlosenasyl, nicht mehr
ertragen.
Eine Woche später schickte sich im bayrischen Töging, nach dem from-
men Altötting, der Sozialhilfeempfänger Anton Vogl an, aus dem Le-
ben zu scheiden. In der Nacht sprach der 56jährige auf Tonband:
"Ich bin arbeitslos. Niemand stellt mich ein. 250 Mark Fürsorge sind
zum Leben zuwenig und zum Sterben zuviel." Am Sonntagvormittag ging
der ehemalige Tankstellenpächter zum Grab seiner Mutter und erschoß
sich.
"Das Netz der sozialen Sicherheit wird immer dichter", rühmte die
Bundesregierung im vergangenen Wahlkampf ihre Sorge für Arme und Al-
te, für Mühselige und Beladene. Und Ministerialrat Dr. Günther Hal-
bach vom Arbeits- und Sozialministerium ist sicher: "Wir haben das
bestausgebaute Sozialleistungsnetz der Welt."
Mag sein. Doch der Schneider im Norden und der Fürsorgeempfänger im
Süden setzten aus Armut ihrem Leben selber ein Ende. Waren sie nur
Betriebsunfälle - durchgerutscht durch die Maschen eines an sich in-
takten sozialen Netzes? Oder zeigt ihr Tod Fehler im System?
"Trotz hoher Arbeitslosigkeit gibt es in unserem Lande kein verbrei-
tetes Elend", behauptete Deutschlands oberster Kassenwart, Bundesfi-
nanzminister Hans Apel, vor dem Bundestag. Eine vergleichende Studie
BR i oe
über die Lebensverhältnisse in Frankreich, Großbritannien und der
Bundesrepublik, die zur Zeit im Auftrag der Europäischen Gemeinschaft
erarbeitet wird und im Frühjahr veröffentlicht werden soll, dürfte
ihn widerlegen: Auch in unserem Wohlstandsstaat leben Millionen in
Armut.
Auf erschreckendes Elend und bitterste Not waren schon die Kölner
Sozialwissenschaftler Otker Bujard und Ulrich Lange gestoßen, als
sie Ende letzten Jahres eine Untersuchung über "Theorie und Praxis
der Sozialhilfe" vorlegten. Sie hatten tausend Männer und Frauen
über 60 befragt, wie's denn wirklich aussähe mit dem goldenen Alter.
Das Ergebnis: Das Bild vom fröhlichen Rentner-Tourismus, von sorglo-
sen Senioren, die winters ihr Altenteil auf Mallorca verjuxen, ist
falsch.
Sicher: Wer in Not gerät, hat Anspruch wenigstens auf Sozialhilfe.
Das macht je nach Bundesland monatlich zwischen 282 Mark (Bayern)
und 296 Mark (Rheinland-Pfalz) zuzüglich Wohngeld aus. Familienan-
gehörige bekommen etwas weniger, Invaliden , Rentner und werdende
Mitter 30 Prozent mehr. Doch dieser Anspruch steht oft nur auf dem
Papier des Bundessozialhilfegesetzes.
SELBST FÜR NOTFAHRTEN MUSS KOSTENERSTATTUNG
VORHER BEANTRAGT WERDEN
"Die Hälfte aller alten Menschen, die berechtigt wären, Sozialhilfe
zu beanspruchen, macht diesen Anspruch nicht geltend", fanden die
Kölner Soziologen heraus. Als Gründe orteten sie Rechtsunkenntnis,
unzureichende Beratung und die Angst, als Bettler zu gelten.
Zu dieser Angst trägt das bisweilen rüde Vorgehen mancher Sozialäm-
ter bei. Maria Etheber in Köln-Buchforst, 75 Jahre alt, hat solche
Behördenkälte erfahren. Sie ist herzkrank und hat Zucker. Drei Kin-
der hat sie in die Welt gesetzt. Die schicken ihr monatlich insge-
samt 400 Mark, von denen sie lebt. Die Miete für ihre winzige Zwei-
Zimmer-Wohnung zahlt sie von 44 Mark Wohngeld, die der Staat ihr gibt,
und 30 Mark, die ihr der katholische Pfarrer monatlich zusteckt.
Zur Adventszeit im vorigen Jahr fragte die alte Dame bei ihrem So-
zialamt an, ob sie ein wenig Kohlen-Zuschuß und Weihnachtsbeihilfe
bekommen könnte. Die bürokratische Antwort der Fürsorger: "Sie selbst
haben am 16.12.1974 eine Erklärung abgegeben, wonach Sie auf weitere
Zahlungen des Sozialamtes, gleich welcher Art, jetzt und für die Zu-
kunft verzichten."
Damals, im Dezember 1974, hatte das Kölner Sozialamt die Unterstüt-
zungspflicht für Maria Etheber auf deren Kinder abgewälzt - ganz
wie es das Gesetz befiehlt. Die schlauen Beamten hatten ihr jedoch
flugs auch jene Verzichterklärung untergejubelt, die sie nun, zwei
Jahre später, aus den Akten hervorkramten. Und so war's für Maria
Etheber nichts mit den 80 Mark Weihnachtsbeihilfe, die sonst Kölner
Sozialhilfeempfänger bekommen. (Gottlob gab die Domstadt auch in
diesem Jahr wieder ihren Narren eine knappe halbe Million Zuschuß
zum Karnevalszug.)
Wie pingelig das Sozialamt auf die Pfennige sieht, erfuhr auch das
Rentner-Ehepaar Ottersbach in Köln-Buchforst. Als Helene Ottersbach,
79, auf Anweisung ihres Arztes sofort und mit einem Taxis ins Kran-
= IR =
kenhaus gefahren werden mußte, hoffte ihr Mann Willi, 72, die Fahrt-
kosten, acht Mark, vom Sozialamt ersetzt zu bekommen. Doch das lehn-
te der Sachbearbeiter Schneider ab. Die Notfahrt hätte vorher bean-
tragt werden müssen.
Aber als die Sachbearbeiter dann hörten, Frau Ottersbach sei sechs
Wochen im Krankenhaus gewesen, wurden sie munter. Sie strichen ihr
für diese Zeit die Sozialhilfe bis auf ein Taschengeld zusammen.
Willi Ottersbach: "Wir sind nicht auf Rosen gebettet."
Ihnen geht es wie vielen Rentnern in der Bundesrepublik. 2,3 Millio-
nen Menschen in 1,1 Millionen Rentner-Haushalten haben weniger zum
Leben, als ihnen nach den Sozialhilfe-Sätzen zustehe, errechnete im
vorigen Jahr das rheinland-pfälzische Sozialministerium. Zwar warte-
te das Bundessozialministerium 1976 mit imponierenden Zahlen auf:
Seit 1971 haben sich die Renten verdoppelt, seit 1957 gar mehr als
vervierfacht. Doch das starke Gefälle zu Lasten der Kleinrenten wird
auch durch solche Rechnungen nicht eingeebnet. Wer 1957 eine Rente
von 200 Mark bekam, kriegt heute 770 Mark. Wer indessen damals schon
500 Mark bezog, kassiert mittlerweile 1930 Mark. Mit der Vervierfa-
chung der Renten vervierfachte sich also auch der Einkommensunterschied
zwischen den armen und den reichen Rentnern.
Und dabei wird es fürs erste auch bleiben. Nach dem jüngsten Hickhack
um die Rentenerhöhung wagt sich in Bonn auf Jahre hinaus niemand
mehr an eine Änderung des bestehenden Systems. Der neue Arbeits- und
Sozialminister Herbert Ehrenberg erklärte im Januar, die hohen Ren-
ten sollten nicht zugunsten der Mini-Renten gekappt werden. Denn -
so die skurrile Begründung aus Ministermund - hohe Renten seien das
Ergebnis eines arbeitsamen Lebens. Wer dieserLogik des Sozialdemo-
kraten Ehrenberg folgt, muß die kargen Renten von Arbeiterwitwen als
gerechte Strafe für ein Leben in Faulheit halten.
Gesellschaftlicher Wohlstand wird von allen erarbeitet. Auch wer im
Alter arm ist, hat zumeist sein Leben lang hart gearbeitet - nur
eben, wie Millionen Hausfrauen, an einem Platz in der Gesellschaft,
der für die Rentenversicherung nicht oder wenig zählt. Doch an die
absurde Gleichung "Hohe Leistung = hohes Einkommen" glauben im Wohl-
standsstaat offenbar auch viele Arme selber. Weil sie "nichts mehr
leisten", scheuen Rentner den Weg zum Sozialamt, sparen sich allein-
stehende Mütter das Essen für ihre Kinder vom eigenen Munde ab. Da-
bei macht die zunehmende körperliche Gebrechlichkeit der Alten nur
um so wehrloser gegenüber der materiellen Not.
Diese Not mag bisweilen banal aussehen, läßt aber dennoch das Leben
zur Qual werden: In Kassel lebt Anna Wirges (Der Name wurde auf
Wunsch der Betroffenen geändert), 73 Jahre alt, verwitwet. Ihre Zwei-
Zimmer-Wohnung im vierten Stock hat noch Kohle-Öfen. Acht Briketts
wenigstens braucht sie täglich zum Heizen. Seit sie Wasser in den
Beinen hat, kann sie nur noch einmal am Tag Kohlen aus dem Keller
holen und nicht mehr als vier Briketts schleppen. So wird nur die
Wohnküche dürftig geheizt, das Schlafzimmer der alten Frau bleibt
kalt. Sie muß ständig zwei Strickjacken tragen und mit Decken die
Fensterritzen verstopfen.
Die Soziologen Bujard und Ulrich stellten fest: "Nur knapp die Hälf-
te der alten Menschen verfügt über Bad und Dusche, Zwei von drei Al-
ten müssen in kalter Jahreszeit für ihre Einzelöfen täglich Kohlen
und Öl heranschaffen. Zu materieller Not und schlechtem Gesundheits-
—
zustand kommt noch der Mangel an sozialen Beziehungen." So gaben
77 Prozent der Befragten an, daß sie keine Cafés, Restaurants oder
Gastwirtschaften besuchten. Aber auch die Bewirtung von Gästen zu
Haus stellt für 54 Prozent eine zu große finanzielle Belastung dar.
Zwar bestimmt das Gesetz, die Sozialhilfe solle mehr geben, als zur
Sicherung des Existenzminimums notwendig ist. Doch die Wirklichkeit
sieht anders aus: Als Studenten in Köln 1974 versuchten, für eine
wissenschaftliche Studie eine Zeitlang von Sozialhilfesätzen zu le-
ben, mußte das Experiment nach zwei Wochen abgebrochen werden. Die
Teilnehmer waren entnervt vom ständigen extremen Sparenmüssen und
sahen, wie sogar ihre sozialen Kontakte zusammenbrachen.
Weit in die Millionenhöhe hatte im vorigen Frühjahr der rheinland-
pfälzische Sozialminister Heinrich Geissler (CDU)das Heer der Armen
im reichsten Land der Europäischen Gemeinschaft hochgerechnet:
"Bei 2,1 Millionen Haushalten mit 5,8 Millionen Personen lagen im
Jahre 1974 die monatlichen Nettoeinkommen unter den Bedarfssätzen
der Sozialhilfe." Jeder zehnte Bundesbürger vegetiert demnach am
Rande des Existenzminimums - oder darunter.
Die Höhe der Sozialhilfe wird von Jahr zu Jahr nach den Preisstei-
gerungsraten neu festgesetzt. Die Basis liefert der "Deutsche Ver-
ein für öffentliche und private Fürsorge" in Frankfurt, der alle fünf
bis sieben Jahre für die Bundesregierung ermittelt, was und wieviel
ein Deutscher zum Leben braucht. Das Ergebnis heißt "Warenkorb".
Er soll alles enthalten, was dem Sozialhilfe-Empfänger ein Leben er-
möglicht, "das der Würde des Menschen entspricht" (Bundessozialhil-
fegesetz , Paragraph 1).
Der derzeit gültige Warenkorb wurde 1971 aufgestellt und war monat-
lich 179,90 Mark wert. Durch Anpassung an die Geldentwertung ist er
nun runde hundert Mark mehr wert, sein Inhalt hat sich jedoch nicht
geändert. Heute soll sich danach ein Erwachsener von 161,28 Mark im
Monat ernähren können, für seine Frau reichen 153,92 Zehrgeld und
für Kinder, je nach Alter, zwischen 102,63 und 201,98 Mark.
(Weil Jugendliche zwischen 16 und 21 Jahren besonders viele Kalorien
zum Wachsen benötigen, erhalten sie mehr Beihilfe zur Ernährung.)
Doch auch der arme Mensch lebt nicht vom Brot allein. Eine halbe
Kinokarte steckte der Frankfurter Verein einer jeden Familie ins
Füllhorn, vier Briefmarken für jedes erwachsene Familienmitglied,
drei Flaschen Bier monatlich für Vater und eine für Mutter, dazu 40
Gramm Erdnüsse und alle Jahre ein neues Oberhemd. Wer bei solcher
Fettlebe Porzellan zerschmeißt, muß nicht verzagen. Eine neue Tasse
steckt ebenso im Monatsbudget wie alle sieben Monate eine neue Glüh-
birne.
Dem Normalverdiener fällt es leicht, über diesen Warenkorb und des-
sen Seltsamkeit als trauriges Kuriosum zu spotten. Doch die ihn zu-
sammenstellten, steckten selbst in einer Zwickmühle: Fällt ihr Wa-
renkorb zu üppig aus, ragen die Fürsorgesätze plötzlich in die Ein-
kommensgrößen der unteren Lohngruppen - und wer möchte dann noch
Müllkarren schieben oder am Fließband stehen? Schon jetzt liegen kin-
derreiche Arbeitnehmer mit ihrem Einkommen häufig unter den Sozial-
hilfesätzen - meist ohne es zu wissen. Und weil sie es nicht wissen,
versäumen sie, sich die Differenz beim Sozialamt zu holen.
—
Den Städten und Landkreisen ersparen sie damit unfreiwillig Millio-
nenbeträge. Denn bei der Sozialhilfe macht zwar der Bund die Gesetze,
aber zahlen müssen Kommunen und Kreise, die sich bei der Kostenflut
im Sozialwesen längst an der Grenze des Möglichen sehen.
Doch wer von der Sozialhilfe leben muß, rechnet nicht mit Millionen-
beträgen, sondern mit Pfennigen, und zwar mit jedem einzelnen. Rose-
marie Müßle, 38, Hausfrau und Mutter von zehn Kindern in Karlsruhe:
"Wenn wieder ein Monat rum ist, dann wunder' ich mich, wie hast du
das nur wieder geschafft." Ihr Mann Harald ist Müllmann bei der Stadt.
Er ist 35 Jahre alt und sieht aus wie Ende 40. Die Lehre hat er als
Ofensetzer gemacht - in einem sterbenden Beruf. Erst wurde er Hilfs-
arbeiter, dann Kranführer, schließlich fand er seinen Job bei der
Stadt. Einschließlich 1080 Mark Kindergeld und 750 Mark Sozialhilfe
bringt er netto monatlich 2574 Mark nach Hause. Dafür gehen gleich
520 für die Miete ab.
Zum Leben - für Nahrung, Kleidung, Anschaffungen und ein bißchen
Vergnügen - bleiben 2 054 Mark im Monat, ganze 171,17 Mark je Kopf
der Zwölf-Personen-Familie. Genaugenommen - so Rosemarie Müßle -
"ist nach dem Frühstück schon das Geld für den ganzen Tag aufgebraucht."
Der Weg zu den billigsten Sonderangeboten wird da zwangsläufig, doch
dieser Weg ist lang, wenn man in einem Neubauviertel in der Vorstadt
wohnt.
Dabei ist es nicht allein der ständige Geldmangel, das elende Spa-
renmüssen an allen Ecken, das jeden Tag aufs neue bedrückt. Bis Juli
1975 haben die Müßles wegen Mietschulden in der städtischen Obdach-
losensiedlung Killisfeld gelebt. Dann besorgte ihnen die Stadt eine
Sozialwohnung im Neubauviertel Oberreut.
Ihre Hausnachbarn wissen, daß die Großfamilie vom Killisfeld kommt
- und lassen es sie spüren.Harald Müßle: "Wenn meine Kinder was anstel-
len, ist das immer gleich doppelt schlimm." Im vorigen Sommer wand-
ten sich die 27 anderen Familien dieses ehrenwerten Hauses mit einem
Beschwerdebrief an die Wohnungsbaugesellschaft und beklagten, daß
durch die Müßles und ihre zehn Kinder "der Wohnwert des Hauses stän-
dig herabsinkt".
Spätestens mit vier Kindern sind trotz Kindergeld die meisten Fami-
lien an der Armutsgrenze angelangt. Und mit jedem Kind mehr wird für
diese Familien die Wahrscheinlichkeit größer, an den Rand der Ge-
sellschaft und schließlich ins Obdachlosenghetto abzurutschen. Damit
ist der Keim für neues Elend schon gelegt: Zwischen 50 und 60 Pro-
zent der Ghetto-Kinder landen in der Sonderschule, wie der Karlsru-
her Wissenschaftler Peter König nachwies. Gesellschaftlicher Auf-
stieg ist so den Kindern von vornherein verbaut.
Denn in Zeiten des Lehrstellenmangels haben Sonderschüler kaum noch
eine Ausbildungs-Chance. Berufe, in denen gut verdient wird, blei-
ben ihnen verschlossen. So setzt sich der Kreislauf fort - Armut
führt zu mangelnder Ausbildung, mangelnde Ausbildung zu neuer Armut.
Franz Bogner (der Name des Betroffenen wurde geändert) in München
hatte als Vater einen Tagelöhner. Er selbst wurde als l4jähriger mit
dem Abschluß der 5. Klasse aus der Schule entlassen. Er wurde Stras-
senkehrer. Das war 1912. Bogner verdiente damals 1,60 Reichsmark pro
Tag, und er war's zufrieden: "Für fünf Pfennig bekam man damals ja
ein großes Stück Wurst, und ein Bier kostete auch nur fünf Pfennig."
Doch als er dann das vierte Kind gezeugt hatte, reichte der Straßen-
An
1430 Mark Sozialhilfe plus Schwarzarbeit = Mercedes
Wie der schlaue Alfons (28)
mit Bauchweh Schön lebt
Füllen Sre doch bile das
Antragsformular li
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“SIE HABEN MICH DIE GANZEN JAHRE REGELMÄSSIG
BETROGEN” — BERICHT EINER BETROFFENEN
Frau K., 29 Jahre, seh- und hörbehindert, 2 Kinder, 5 und 6 Jahre,
geschieden
"Im Februar 1976 bin ich geschieden worden. Dann bin ich zum Anwalt
gegangen, der hat mich zum Sozialamt geschickt. Ich kam dahin - und
irgendwie wußte ich überhaupt nicht, was ich wollte hier warum und
weshalb, was ich dann auch gesagt habe.
Nun bin ich dahingegangen und habe gesagt, ich möchte für die Kinder
ein Paar Schuhe und so, wie das wäre. Dann wurde gesagt, das ginge
nicht, ich hätte ja schließlich noch Eltern, also regelrecht, meine
Eltern sollten das kaufen.
Später habe ich dann einen Kindergartenplatz beantragt. Und da hat
der Sachbearbeiter gesagt, ich soll erst einmal schaffen gehen. Ich
täte auf Kosten des Staates leben, ich soll lieber schaffen gehen.
Da habe ich dann gesagt, ich kann nicht arbeiten gehen, ich bin be-
hindert. Aber das nützt nichts.
Meine Behinderung ist dann vom Sozialamt überprüft worden. Der Sach-
bearbeiter hat dann gemeint, das wäre gar nicht so und ich sollte
versuchen, arbeiten zu gehen. Dann habe ich gesagt, das geht nicht.
Er meinte, ich sollte wieder zum Augenarzt gehen. Das habe ich dann
auch gemacht, und der Augenarzt hat dann geschrieben, daß ich auf
Dauer erwerbsunfähig bin.
Mit dem Sachbearbeiter in der "Wirtschaftlichen Sozialhilfe" habe ich
mich überhaupt nicht verstanden. Es war unmöglich,mit dem Mann eine
Einigung zu erzielen. Es ging soweit, daß er sagte: Ich könnte ihm
am Arsch lecken. Und so, auf die Tour. Er hätte keine Zeit für mich.
Tür aufgemacht - ich könnte nach Hause gehen.
Ich habe manchmal Beihilfe gekriegt, wenn ich mal sowas hatte oder
so, wenn ich was wollte. Aber es war unmöglich,mit ihm eine Einigung
zu erzielen.
Bis ich dann zum Verband alleinerziehender Mütter und Väter ging.
Ich bin dorthin hingegangen und habe denen gesagt: ich komme einfach
nicht klar mit den 600 Mark. Das geht einfach nicht. Also dann sind
wir da hin, die Frau vom Verband und ich. Sie hat mit denen geredet,
dann hatte ich erstmals DM 450.-- Beihilfe gekriegt. Dann hat sich
auch herausgestellt, daß ich monatlich DM 50.-- mehr bekommen muß.
Sie hatten mich die ganzen Jahre um DM 50.-- regelrecht betrogen.
Wir haben dann eine Dienstaufsichtsbeschwerde gemacht.
——
“ANGST UND ISOLATION”
— Brief an die Vorbereitungsgruppe der Sozialhilfe-Aktion —
*.s...... Mein von mir seit 12 Jahren getrenntlebender Ehemann ist
gestorben, Dadurch sind mir hohe Unkosten entstanden, außerdem hat
er nur Schulden hinterlassen. Um wenigstens meine in dieser Sache
entstandenen Kosten zu decken, muß ich mit dem Sozialamt harte Käm-
pfe um das Sterbegeld, das mir eigentlich zusteht, führen. Das hat
zur Folge, daß ich jedesmal, wenn ich mit meiner ganzen psychischen
und geistigen Kraft meine Interessen vertreten habe, nach einem bis
zwei Tage einen Migräneanfall erleide. (Psychosomatisch)
Andere bekamen Magengeschwüre. Trotzdem will ich versuchen, beim
Gericht etwas zu erreichen, so wie es die Marburger Gruppe geschafft
hat, Fahrgeld zu einem Treffen bewilligt zu bekommen. Leider ist
unsere Gruppe noch ziemlich klein, und es gibt niemanden, der mich
aktiv unterstützt. Die Einzige, die bereit ist, etwas zu tun, liegt
mit einer Gehirnoperation im Krankenhaus. (23 Jahre) Nach 14 Tagen
erhält sie ihre HZL nicht mehr voll, sondern lediglich ein Taschen-
geld von 90.- DM. Ein Mitglied unserer Gruppe hat sich das Leben
genommen, 23 Jahre - . Überhaupt ist die psychische Situation unter
den Sozialhilfeempfängern alarmierend, bedingt durch das wenige Geld
und die Angst zur "psychischen Folterung" zu gehen. So nennt es ein
Mitglied unserer Gruppe. In der Mehrzahl handelt es sich wohl überall
um alleinstehende Mütter mit Kindern; aber auch die Alleinstehenden
haben es schwer. Sie leiden unter der Isolation - bedingt durch Man-
gel an Geld. Sie können niemanden einladen und können niemanden be-
suchen, einmal, weil sie das Fahrgeld nicht aufbringen können, zum
anderen, weil sie kein Geld für kleine Geschenke haben. - Ich möchte
sehr gerne nach Frankfurt kommen!!! - Leider ist meine Schreibma-
schine zur Reparatur (Walze neu beziehen 25.- DM, Arbeitslohn für
Walzeeinbauen 1 Std. = 35.- DM, zusammen 60.- DM!!!)
Ich bedanke mich für Eure Einladung, auch im Rahmen unserer Gruppe
und grüße Euch
midt doch, wicht doch es py
M puht tu kefas ‚ww es au a IT mene
7 seken? ,
NETTE SPRÜCHE
— Gesammelt im Hagener Sozialamt —
© Eine Sozialhilfeempfängerin fragt nach dem ihr wegen Krankheit zu-
stehenden Mehrbedarfszuschlag. Antwort des Sachbearbeiters: "So
krank können Sie nicht sein, sonst wären Sie doch nicht hier."
© Es soll geklärt werden, ob eine Sozialhilfeempfängerin in einer
eheähnlichen Gemeinschaft lebt. Die Sozialhilfeempfängerin ist er-
bost. Bemerkung des Sachbearbeiters: "Dann legen Sie sich doch meh-
rere Männer zu, das läßt sich nicht so leicht kontrollieren."
@''Wwas, Handschuhe wollen Sie haben? Das ich nicht lache! Stecken Sie
ihre Hände in die Tasche, ich tue das auch."
® Die Interessengruppe Sozialhilfe will die Sachbearbeiter entlasten,
darum werden auch alle Anträge von uns schriftlich gestellt. Eine
Sachbearbeiterin nutzte die gewonnene Zeit, um unseren Antrag nach
Schreib- oder Tippfehlern abzusuchen. Zwei Fehler wurden säuberlich
unterstrichen. Oh, heiliger Bürokratismus.
® Der mündliche Antrag einer Sozialhilfeempfängerin wurde mit dem
folgenden Satz abgelehnt: "Ja glauben Sie denn, ich habe einen Sack
voll Geld unter dem Schreibtisch stehen?"
® Eine Sozialhilfeempfängerin liegt im Krankenhaus. Da sie jetzt kein
Geld für die Ernährung benötigt, bekommt sie dieses Geld auch nicht
vom Sozialamt. Das ist richtig. Wenn sie aber Seife, Zahncreme, usw.
beantragt, so ist das verständlich. Sozialhilfeempfänger waschen
sich nämlich auch. Der Antrag wurde abgelehnt. Über die Begründung
haben wir noch lange gelacht. "Für Kosmetik haben wir kein Geld."
(aus: Broschüre der Interessengruppe Sozialhilfe Hagen e.V.)
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Jean Carpentier
Aufwiegelung zur Gesundheit
Aufzeichnungen eines
französischen Kassenarztes
Rotbuch 217 - 160 S. - ca. 9 Mark (Abo 8)
Meine Kranken
Mein Arzt
Da fängt es schon an mit den Fallen.
Da steckt schon der Gedanke
des Besitzergreifens drin.
Ich denke dabei an den Eindruck,
den der Kranke hat,
daß sich nämlich der Arzt
einzig und allein um ihn kümmert.
Versuche ich als Arzt,
mich immer gleich zu verteidigen?
Vielleicht ist etwas dran, aber...
Susan George
Wie die anderen sterben
Die wahren Ursachen des Welthungers
2. erweiterte Auflage
Rotbuch 179 - 240 Seiten : 13 Mark (Abo 12)
Aus dem Inhalt: Reiche und Arme - wer
zahlt für wen? / Der Mythos von der Über-
bevölkerung / Die einheimischen Eliten -
und wie man dazugehört / Wem nützen neue
lechnologien / Geplante Knappheit / No
Business like Agribusiness / Wo steht die
Uno?/ Wastreibtdie Weltbank
»Manche Leser werden dies Buch unange-
| messen polemisch, tendenziös und parteilich
finden. Genau das hoffe ich.«
Hellmuth Schehl
Vor uns die Sintflut?
Ökologie, Marxismus, und die
herrschende Zukunftsgläubigkeit
Rotbuch 167 : 96 Seiten - 6 Mark (Abo5)
Hellmuth Schehl faßt die Daten der globalen
Ökologischen Katastrophe, die sich über un-
seren Köpfen zusammenbraut, zu einer be-
stürzenden Gesamtbetrachtung zusammen.
Widerlegen diese Fakten die linke Zukunfts-
gläubigkeit? Ist die Frage »Sozialismus oder
Barbarei« bereits überholt? Ist es nicht schon
zu spät für jede Alternative?
Rotbuch
David Cooper
Die Sprache
der Verrücktheit
Erkundungen ins
Hinterland der Revolution
Rotbuch 193 - 176 S. - 12 Mark (Abo 11)
Die Sprache der Verrücktheit ist nicht mehr
und nicht weniger als die Verwirklichung der
Sprache. Unsere Wörter beginnen den ande-
ren zu berühren, und darin liegt die Gefähr-
lichkeit der Verrücktheit: wenn sie ihre Wahr-
heit ausspricht. Eine Gefahr, die einzige Ge-
fahr der Verrücktheit, ist die gewaltsame Ent-
normalisierung der banalen Wörter einer in
den Netzen der Sicherheit gefangenen Welt.
Kursbuch 28:
Das Elend mit der Psyche
I Psychiatrie
192 Seiten + 7 Mark (Abo 5)
Totale Institution und Klassencharakter der
Psychiatrie / Der Reformismus / SPK und
Staatsapparat/Insassen: Patienten als Objekt/
Autobiografie eines Entkommenen/Psychi-
sche Verelendung und die Politik der Psychia-
trie
Kursbuch 29:
Das Elend mit der Psyche
II Psychoanalyse
208 Seiten - 7 Mark (Abo 5)
Psychonanalyse als Herrschaftswissen-
schaft”/Auf der Couch (und dahinter)/Die
Benutzung einer bürgerlichen Wissenschaft/
Odipus - ein bürgerlicher Konflikt?/Zur
Ethnopsychoanalyse: Odipus in Afrika
Kursbuch 51:
Leben gegen Gewalt
192 Seiten : 8 Mark (Abo 6)
mit Artikeln von ::Peter Schneider/Heinar
Kipphardt/Jakob Moneta/Inge Horni-
scher/Yaak Karsunke/Heinrich Hanno-
ver/K.H.Roth/WaAalter Adler/J.J.Pfänder
und Christian
“NEIN KINDER, DAS GEHT NICHT”
— Bericht einer Betroffenen —
Alleinerziehende Mutter, berufstätig, 3 Kinder,
bezieht ergänzende Sozialhilfe
"Was den Lebensunterhalt angeht, unter dem Motiv "'menschenwürdiges
Dasein', so ist das meines Ermessens sehr sehr zweifelhaft.
Ich weiß, welche Entbehrungen ich auf mich nehme. Z.B. wenn ich mal
am Sonntag mit meinen Kindern in den Taunus fahre, so bedeutet dies
Geld für die Straßenbahn. Oder - da ich meinen Kindern, wenn auch
ein ganz geringes aber immerhin doch ein Taschengeld zugestehe. Ich
weiß, daß das Opfer sind, die ich mir nur leisten kann, weil mein
Bruder ab und an mal meinen Kindern etwas zusteckt. Nur so kann ich
mir diese Extras leisten. Von dem Geld was ich verdiene plus der
Sozialhilfe, könnte ich mir praktisch mit den Kindern gar nichts lei-
sten.
Theaterbesuch - auch Theaterbesuch mit den Kindern ist unmöglich.
Wenn ich einmal im Jahr von der Wohlfahrt die verbilligten Karten
bekommen kann, um ein Theater im Schauspiel zu sehen, mit meinen Kin-
dern, dann ist es trotz der Verbilligung immer noch zu viel. Ein
verbilligter Theaterbesuch ist für mich ein Zwanzigmarkschein und
ein DM 20-Schein, um 2 Stunden Theater sehen zu können, ist zu viel.
Ganz zu schweigen von dem Luxus einmal auszugehen, z.B. in ein Re-
staurant. Das gibt es überhaupt nicht, das kann ich mir nicht lei-
sten.
Eingekauft wird, was Lebensmittel angeht, sowieso nur in Billigge-
schäften. Mein Geschäft ist Aldi. Beim Aldi kauf ich auch nur die
Sachen, die im Sonderangebot sind. In anderen Geschäften kaufe ich
auch nur die Sonderangebote.
Wenn es Kleidergeld gibt, z.B. für mich und meine Kinder, könnte ich
nie sagen, daß ich vom Kleidergeld meinen Kindern ausreichend Klei-
dung kaufen könnte. Außerdem bin ich gezwungen, das Geld - und ich
glaube es geht vielen so - für den täglichen Bedarf und für das täg-
liche Leben zu benützen.
Ich habe das Glück, daß nun meine Kinder keine Ablehnung zeigen, wenn
sie Kleider tragen, die von anderen Leuten kommen - aus zweiter Hand.
Praktisch bekommen meine Kinder nur zum Geburtstag und zu Weihnach-
ten jeweils ein einziges Kleidungsstück, welches ich neu mit ihnen
gekauft habe. Neu kaufen muß ich in der Hauptsache Schuhe. Denn Schu-
he, auch gebrauchte zu finden für Kinder, ist so gut wie unmöglich,
die Kinder sind in einem heranwachsenden Alter,und der Schuhbedarf
ist doch relativ hoch.
Was sehr bedrückend ist, ist, daß man praktisch schon ein schweres
—
Schicksal hat und außerdem alleine als Mutter mit den Kindern da-
steht. Hinzu kommt, daß die Kinder dann in der Schule, bei Klassen-
kameraden sehen, daß sie praktisch in einer Welt leben, die bezeich-
net wird als eine Konsumgesellschaft, in der der Lebensstil im all-
gemeinen doch höher ist. Den Kindern wird doch klar bewußt, wie wir
leben. Z.B. wir sind in der Stadt, es ist heiß , sie haben Lust auf
ein Eis. Ich muß sagen: "Nein Kinder, das geht nicht". Sie haben auch
mal Lust, sich Pommes frites auf der Straße zu kaufen - mal ganz
frisch: "Nein, das geht nicht". Dann kaufen wir lieber die Pommes
frites im Sonderangebot und machen sie zu Hause. Egal welche Wünsche
die Kinder haben, ich muß als Mutter jedesmal sagen: "Nein". Das ist
eine Sache, die eigentlich dem Herzen einer Mutter immer wieder sehr
weh tut und in einer gewissen Beziehung zu einer Verbitterung führt.
Gut - meine Kinder stellen keine großen Ansprüche. Sie kennen die
Situation. Wenn sie einmal einen kleinen Wunsch äußern, dauert es
sowieso schon lange. Sie wissen, daß ich ihn nicht erfüllen kann .
Trotzdem rutscht es immer wieder durch und in den meisten Fällen oder
eigentlich immer, muß ich sagen: "Nein Kinder, das geht nicht".
Vielleicht kommen mal bessere Zeiten, dann können wir uns das auch
leisten. Evtl. mal im Kino sitzen, im Cafe, ein Eis essen, viel-
leicht eine Schallplatte, ein größeres Geburtstagsgeschenk..."
Falco Werkentin
DIE QUANTIFIZIERUNG DER WÜRDE DES MENSCHEN
NACH DEM BUNDESSOZIALHILFEGESETZ
(aus: Kritische Justiz Nr. 3/1974)
So viele Reden auch am Verfassungstag gehalten wurden, so viele Leitartikel
auch 25 Jahre Grundgesetz würdigten, über die tagtägliche mühevolle Arbeit,
Verfassungsauftrag und Verfassungswirklichkeit in Übereinstimmung zu brin-
gen, wurde wenig berichtet. Dies an einem Beispiel nachzuholen, versucht mein
kleiner Beitrag.
Zu berichten ist von einer Gruppe sozial erfahrener Experten, die 1970 auszog,
die Würde des Menschen zu quantifizieren, und dabei so erfolgreich war, daß
die Ergebnisse dieses Versuchs der Operationalisierung von Artikel ı Abs. ı des
GG zur Grundlage sozialadministrativer Entscheidungen gemacht wurden.
Interessant ist nicht nur der Weg, der hier zur Operationalisierung von Verfas-
sungsnormen eingeschlagen wurde, sondern interessant sind auch die Ergebnis-
se, haben wir doch fortan einen empirischen Maßstab, der für einen Teilbereich
zu einer von wilden und subjektiven Urteilen freien Einschätzung unserer
Verfassungswirklichkeit verhelfen kann.
Hatte bereits 1954 das Bundesverwaltungsgericht! unter Verweis auf die Leit-
gedanken des GG entschieden, daß Bedürftige gegenüber den Trägern der
Sozialhilfe einen einklagbaren Rechtsanspruch auf die Gewährung des notwen-
digen Lebensunterhalts haben, so erweiterte das am ı. 6. 1962 in Kraft getre-
tene Bundessozialhilfegesetz (BSHG) diesen Rechtsanspruch ganz entscheidend
($ 1, Abs. 2): »Aufgabe der Sozialhilfe ist es, dem Empfänger der Hilfe die
Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen
entspricht.« Diese in einem Standardkommentar zum BSHG zu Recht als
»königliche Norm« gefeierte Festlegung, begründet mit der verfassungsrechtli-
chen Feststellung der Unantastbarkeit der Menschenwürde, konfrontierte Ver-
waltung und Praxis zunächst mit einem kaum lösbaren Problem. Man hatte
zwar genug Erfahrung darüber, was Menschen brauchen, um physisch über-
leben zu können. Hierzu gab es bereits wissenschaftliche Vorarbeiten; etwa ein
Gutachten des Statistischen Amtes der Stadt Berlin von 1932 zur Bestimmung
des notdürftigen Lebensunterhalts, »der die Fristung des Lebens und die Erhal-
tung der Arbeitsfähigkeit gewährleisten soll«. Orientiert hatte man sich zu
jener Zeit an der Bedürfnislosigkeit des chinesischen Kulis: »Der japanische
oder chinesische Kuli, dessen Leistungsfähigkeit der Europäer bewundert, kann
sich unbedenklich mit Reis und wenigen Zusätzen ernähren, denn in 1200 g
Reis erhält er neben 72g Eiweiß 3900 Kalorien, und soviel braucht er für seine
Muskelarbeit«.2
Für die Frage aber, was über den notdürftigen Lebensunterhalt hinaus an finan-
ziellen Mitteln aufgebracht werden müßte, um ein Leben führen zu können, das
— DE aa
der Würde des Menschen entspricht, gab es keine Vorarbeiten, sondern nur eine
sehr allgemeine Orientierung mit $ 4 der VO zu $ 22 BSHG (Regelsatzverord-
nung). Um möglichst alle Menschen ım Geltungsbereich des GG ın den Genuß
eines Lebens kommen zu lassen, das der Würde des Menschen entspricht, hatte
der weise Verordnungsgeber festgelegt: »Bei der Festsetzung der Regelsätze ıst
darauf Bedacht zu nehmen, daß sie zusammen mit den Durchschnittsbeträgen
für die Kosten der Unterkunft unter dem im Geltungsbereich der jeweiligen
Regelsätze erzielten durchschnittlichen Netto-Arbeitsentgelt unterer Lohn-
gruppen zuzüglich Kindergeld bleiben, soweit nicht die Verpflichtung, den
Lebensunterhalt durch die Regelsätze im notwendigen Umfang zu sichern,
insbesondere bei größeren Haushaltsgemeinschaften dem entgegensteht.« Klar
war zumindest, daß — um einige untere Lohngruppen zu nennen — Büroboten,
Hilfsarbeiter und Nachtwächter mit ihrem Lohn allemal eın Leben führten, das
der Würde des Menschen entsprach. Aber die Praxis verlangte nach präziseren
Angaben. Diese zu liefern, machte sich 1962 der »Deutsche Verein für öffent-
liche und private Fürsorge« anheischig. Zusammengerufen wurde der Arbeits-
kreis »Aufbau der Regelsätze«, eine Gruppe »sozialerfahrener Personen« (Ver-
treter der Stadt- und Landkreise, der obersten Sozialbehörden der Länder, der
Verbände der freien Wohlfahrtspflege, des Max-Planck-Instituts für Ernäh-
rungsphysiologie), ganz wie es § 114 BSHG verlangt. Über die 1962 geleistete
Arbeit wurde wenig bekannt. Immerhin kam es auf Grundlage dieser Arbeiten
zu einer kräftigen Erhöhung der Regelsätze.
1970 Jedoch war aufgrund der Wandlungen ın den Anschauungen darüber,
»welches Ausmaß eine Hilfe zur Ermöglichung einer Lebensführung haben
muß, die der Würde des Menschen entspricht« erneut eine Untersuchung
anhängig, über die in einer Broschüre ausführlich berichtet wurde.? Hier heißt
es zum Ausgangspunkt der Untersuchung: Welche Lebensführung der Würde
des Menschen entspricht, ist in den Untersuchungen des Deutschen Vereins
aufgrund der Lebenshaltung beurteilt worden, die in der Bevölkerung besteht«
(5. 30). Anders formuliert, wie eine Lebensführung entsprechend der Würde des
Menschen auszusehen hätte, ist schlicht und einfach mit der Auflistung der
Lebensbedingungen zu ermitteln, die faktisch vorherrschen. Bereits das Statisti-
sche Amt der Stadt Berlin hatte sich in der erwähnten Untersuchung 1932 über
den notdürftigen Unterhalt dieser Methode bedient. Damals zog man aus der
Tatsache, daß gerade kinderreiche Familien gezwungen waren, in den schlech-
testen Wohnungen zu hausen, weil sie für die Ernährung bereits den größten
Teil des Einkommens ausgeben mußten, die Schlußfolgerung: »Hiernach kann
also für geringentlohnte Arbeiterfamilien in Berlin eine Einzimmerwohnung als
üblich und daher standesgemäß betrachtet werden; selbst bei Vorhandensein
mehrerer Kinder.«*
Bei dem Versuch, die der Würde des Menschen entsprechende Lebensführung
aufgrund der Lebenshaltung, die ın der Bevölkerung faktisch besteht, zu beur-
teilen, kamen unsere Experten nicht umhin, festzustellen, »daß das Niveau der
Lebenshaltung in der Bevölkerung nicht einheitlich ist« (S. 31) Anhand der
Erhebungen des Statistischen Bundesamtes über die Wirtschaftsrechnungen
94
ausgewählter privater Haushalte® (Haushaltstyp 1: Rentner u. Sozialhilfeem-
pfänger, Haushaltseinkommen für 2 Personen 1970 nicht über 650,-; Haushalt-
styp 2: 4-Personen-Arbeitnehmerhaushalt, Brutto-Einkommen 1970 zwischen
1100 DM bis 1600 DM; Haushaltstyp 3: Haushaltsbruttoeinkommen 1970
zwischen 2200 bis 2800 DM), die man zunächst analysierte, offenbarte sich,
»daß die Lebenshaltung aller drei Gruppen als eine Lebensführung anzusehen
ist, die der Würde des Menschen entspricht.« (S. 32) Wenn aber bereits
Rentner- und Sozialhilfeempfänger-Haushalte ein Leben führten, das der
Würde usw. entsprach, so drängte sich die folgende Schlußfolgerung von selbst
auf: »Die Prüfungen ergaben außerdem, daß die Lebens- und Verbrauchsge-
wohnheiten und damit die Lebenshaltung der unteren Verbrauchergruppe
geeignet sind, um sie als Grundlage bei der Feststellung des Ausmaßes der
Regelsätze heranzuzichen«. (S. 32)° Es waren aber nicht nur schnöde finanzpo-
litische Überlegungen, die zu dieser Orientierung führten, sondern wie so oft,
erwies sich auch hier das Nützliche als das zugleich Notwendige, als das sozial-
pädagogisch Wertvolle. Wie unsere sozial erfahrenen Experten betonen, ist die
Unterbietung der Lebensbedingungen der am schlechtesten bezahlten Lohnar-
beiter Garant dafür, die »Selbstverantwortung und den Arbeitswillen der
Hilfesuchenden zu erhalten«. (S. 32)
Sich immer wieder in Erinnerung rufend, daß die »Regelsätze mehr als das zum
Lebensunterhalt Unerläßliche und mehr als das zum Leben Notdürftige zu
umfassen haben« ($. 30) hat der Arbeitskreis »Regelsätze« die Ergebnisse seiner
Untersuchung schließlich in einem, nach verschiedenen Bedarfsgruppen detail-
liert aufgegliederten Warenkorb zusammengefaßt, die Kosten für diesen
Warenkorb ermittelt und Empfehlungen über die Neufestsetzung der Regel-
sätze ausgesprochen, die im Juni 1971 gegenüber dem Vorjahr zu einer nominal
23-prozentigen, real ı8-prozentigen Erhöhung der Sätze führten.’
Dieser Warenkorb® ist es wert, etwas ausführlicher dargestellt zu werden,
erfahren wir doch so en detail, bei welchem Lebensniveau nach 25 Jahren
Grundgesetz die unantastbare Würde des Menschen beginnt. Hier einige
Beispiele (die DM-Beträge wurden 1970 ermittelt):
Für die Bedarfsgruppe Ernährung eines Erwachsenen (Haushaltsvorstand oder
Alleinstehend) sınd 104 DM pro Monat angesetzt. Der Warenkorb enthält
neben Grundnahrungsmitteln wie Kartoffeln, Brot etc. an Gütern des geho-
benen Ernährungsbedarfs einen Becher Joghurt, für ı DM Schokolade, 70 g
Kalbfleisch, 40 g Erdnüsse und sogar für 0,50 DM Bonbons. Dieser Warenkorb
wurde für den Kalorienbedarf nicht-erwerbstätiger Menschen ermittelt und ıst
so knapp bemessen, daß nach Aussage unserer Experten für Sozialhilfeem-
pfänger der Satz »wo fünf satt werden, wird auch ein sechster satt« nicht gilt.
Obwohl der »Energiebedarf für die Durchführung der Lebensfunktionen« für
Frauen um 15 Prozent unter dem der Männer liegt, wurde ihnen derselbe
Tagesbedarf an Nahrungsmitteln zuerkannt, um die körperliche Mehrbelastung
durch Hausarbeit auszugleichen. Kinder unter einem Jahr ließen sich 1970 für
36,50 DM (1974 für 67,80 DM) ernähren, wußten die Experten zu berichten.
Für die Bedarfsgruppe Instandhaltung von Kleidung, Wäsche u. Schuhen in
—
kleinerem Umfang und kleinere Instandsetzungen von Hausrat, ferner Beschaf-
fung von Wäsche und Hausrat von geringerem Anschaffungswert wurden für den
Haushaltsvorstand 8,60 DM, für Kinder unter einem Jahr 3,80 DM angesetzt.
Zu den kleineren Reparaturen gehören z.B. volle Schuhbesohlungen nicht
mehr. Die Übernahme so extremer Reperaturkosten gewährt das BSHG ın
Form einmaliger Leistungen, die beim Sozialamt zu beantragen sind (S. 41).
Für die Bedarfsgruppe Körperpflege und Reinigung sind für den Haushaltsvor-
stand 16,50 DM angesetzt. Der Warenkorb enthält z. B. 4 Rasierklingen, ṣo g
Zahncreme, 60 g Seife, alle vier Monate eine chemische Reinigung à 8 DM. Mit
ı DM im Monat werden Toilettenpapier, Shampoo, Hansaplast und Husten-
bonbons angesetzt. Da Kinder unter einem Jahr sich weder rasieren noch die
Zähne putzen müssen und ihre Körperfläche im Vergleich zu der eines ausge-
wachsenen Menschen wesentlich geringer ist, können sie mit 8,80 DM auskom-
men. Der Warenkorb für Babys erfaßt z.B. 25 g Seife, 18 ccm Hautcreme, für
0,05 DM Zellstoffwatte.
Für die Bedarfsgruppe der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens hielt
man beim Haushaltsvorstand den Betrag von 37 DM für der Würde des
Menschen angemessen. Gerade hier komme die Berücksichtigung der Würde
des Menschen so stark zur Geltung, daß einzig und allein »übersteigerte
Ansprüche« (S. 43) ausgeschlossen werden sollten. Für den Haushaltsvorstand
sind hier nicht nur im Warenkorb 5 Blatt Papier und 5 Briefumschläge sowie 4
Postwertzeichen für Fernbriefe enthalten (gleichzeitig solle der entsprechende
Betrag auch Telefongespräche ermöglichen) sondern sogar eine halbe Kino-
karte und ein ganzes Taschenbuch (gleichzeitig als Abgeltung für Fernsehgebü-
ren). Hınzu kommen außerdem ein Zeitungsabonnement, 6 Straßenbahnfahr-
karten, ein Betrag von 1,80 DM für Vereins- und Versicherungsbeiträge, 3,25
DM für Geschenke und »zur Bewirtung von Gästen« 300 g Kaffee, ṣo g Tabak
und für 3,90 DM Bier. Da Kinder bis sechs Jahre weder Gäste empfangen noch
lesen können, sie keine Briefe schreiben und auch nicht in das Kino dürfen,
hielten unsere Experten zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse 1,55 DM für
ausreichend. Kinder von 7 bis 14 Jahren werden immerhin bei einem Waren-
korb, der z. B. 2 Straßenbahnfahrten, Y, Taschenbuch, 1, Kinokarte sowie 3 DM
für Schulbedarf umfaßt (eine besondere Vergünstigung, wie hervorgehoben
wird, da ja bekanntlich Schulgeldfreiheit herrscht) mit 9 DM im Monat
beglückt.
Die nach diesem auszugsweise wiedergegebenen Warenkorb festgelegten
Regelsätze der Sozialhilfe können allerdings gekürzt werden, zum einen, um
die »Hilfe zur Selbsthilfe bei unwirtschaftlichem Verhalten« anzuregen, zum
anderen, um dem Grundsatz der individualisierenden Hilfe ($ 3, Abs. ı BSHG),
die sich nach den Besonderheiten des Einzelfalls zu richten hat, gerecht zu
werden. Ein Beispiel für die letzte Möglichkeit: »... Abweichungen nach unten
können sich bei Hilfeempfängern ergeben, die wegen geringer Körpergröße
einen weit unter dem Durchschnitt liegenden Ernährungsbedarf haben« (S. 17).
1971 erhielten rd. 803 000 Personen laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. In
der Gliederung nach Haushalten bestanden diese Unterstützten zu 68% aus
—
Einzelpersonen (hauptsächlich über 60) und zu 18% aus Ehepaaren und Eltern-
teilen mit Kindern.
Um abschließend zu einer Vergleichszahl zu kommen, die angibt, welches
Haushaltseinkommen eine Familie erreichen muß, um den oben angeführten
Warenkorb realisieren, d. h. also, um ein Leben entsprechend der Würde des
Menschen führen zu können, habe ich für 1972 den Betrag ermittelt, der nach
dem BSHG einer fünfköpfigen Familie (Vater erwerbstätig, Mutter, 3 schul-
pflichtige Kinder) zusteht: 1332 DM.? Für dasselbe Jahr ist im Sozualbericht
73'° das durchschnittliche monatl. Netto-Einkommen eines verheirateten Indu-
strie-Facharbeiters mit drei Kindern (ohne Kindergeld von 85 DM also und
ohne Weihnachts- u. Urlaubsgeld) angegeben: 1230 DM.
Diese Gegenüberstellung des Familieneinkommens einer fünfköpfigen Sozial-
hilfeempfängerfamilie mit dem Lohneinkommen eines Industriefacharbeiters
macht deutlich, daß nach 25 Jahren sozialer Marktwirtschaft für ein Millionen-
heer von Arbeiterfamilien die Mitarbeit der Ehefrau, Schwarzarbeit und Über-
stundenschufterei sowie nicht familiengerechte Wohnverhältnisse immer noch
notwendig sind, um auch nur die einfache Reproduktion der Arbeitskraft zu
gewährleisten. Die Frage, ob die Ware Arbeitskraft zu ihrem Wert bezahlt
wird, ist also weiter der theoretischen und empirischen Analyse wert. Wichtiger
allerdings ıst die ın den Streikbewegungen der letzten Jahre zum Ausdruck
gekommene praktische Antwort der Kollegen in den Betrieben.
Die Träger der Sozialhilfe haben von Amts wegen einzugreifen, wenn ein
Notstand bekannt wird ($ 5 BSHG), d.h. auch ohne Antrag. Jedoch verlangt
die Gewährung von Leistungen nach dem BSHG (ein mitwirkungsbedürftiger
Verwaltungsakt) das Einverständnis des Hilfeempfängers. So liegt es wohl am
Unwillen (wieviel menschliche Größe verbirgt sich hier!) berufstätiger Fami-
lienvorstände mit mehreren Kindern, daß es in der BRD so gut wie keine berufs-
tätigen Familienvorstände aus der Gruppe der Hilfsarbeiter und sonstiger
unterster Lohngruppen gibt, die Sozialhilfe erhalten.
Übrigens lohnt es sich, als Experte beim Deutschen Verein für öffentliche und
private Fürsorge über Sozialhilfe und» ähnliche Bereiche öffentlicher und
privater Liebestätigkeit zu plaudern. Bereits 1972 gab es dafür auf Fortbil-
dungsveranstaltungen ein Tageshonorar von 300 DM, Reisekosten 1. Klasse
selbstverständlieh extra.
ANMERKUNGEN
1 Vgl. Entscheidung des BVerwG vom 24. 6. 1954.
2 Zit. nach M. Arendsee, Wieviel braucht der Mensch zum Leben?, in: Proletarische Sozialpolitik,
$. Jg-, Berlin 1932, Heft 5.
3 Käthe Petersen, Die Regelsätze nach dem BSHG - Ihre Bedeutung, Bemessung und Festsetzung,
Eigenverlag des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Ffm 1972. Die folgenden
Sceitenangaben im Text beziehen sich immer auf diese Veröffentlichung.
4 Zit. nach M. Arendsee, a. a. O.
5 Vgl. Wirtschaft und Statistik, 1969, S. 273.
—
6 Zeigt sich hier, daß je nach sozialer Stellung die Würde des Menschen schr unterschiedlich ange-
setzt ist, so zeigten sich vergleichbare Unterschiede, den notdürftigen Lebensbedarf betreffend,
auch bereits in der Studie des Statistischen Amtes von Berlin 1932. Damals wurde mit wissenschaft-
licher Gründlichkeit nachgewiesen, daß der einfache Arbeiter sehr wohl mit Grütze und Kartoffeln
über die Runden kommt, der »Geistesarbeiter« hingegen auf Kalbfleisch und Rinderfilet ange-
wiesen ist. |
7 Gegenüber Juni 1971 erfolgte bis zum 1. Januar 1974 eine weitere nominale Anhebung der Regel-
sätze um 25 Prozent. Deflationiert mit dem Lebenshaltungskostindex für Rentner und Sozialhil-
feempfänger-Haushalte, ergibt sich real eine Anhebung um 6,5 Prozent.
8 Der ganze Warenkorb ist wiedergegeben bei Petersen, a. a. O., S. 68-87.
” Im Detail:
801,— Regelsatz
61,— Mehrbedarf (30% vom Regelsatz des Haushaltsvorstands, wenn er berufstätig ist. Dieser
Mehrbedarf wird mit der erhöhten Kalorienbedarf, höheren Fahrgeld-K osten etc. berufstä-
tiger Menschen begründet)
360,— Kaltmiete (Nach dem BSHG werden voll angemessene Mietkosten übernommen. Als ange-
messen werden ausdrücklich in einem Kommentar die Mieten des sozialen Wohnungsbaus be-
zeichnet. Der hier angesetzte Mietbetrag errechnet sich nach der vom Wohngeldgesetz für
einen fünfköpfigen Haushalt als familiengerecht anerkannten Wohnfläche von 90 m?, multi-
pliziert mit dem durchschnittl. m?-Mietpreis im soz. Wohnungsbau (z. B. Berlin Märkisches
Viertel, Zentralheizung, zentrale Warm-Wasser- Versorgung)
60,— Heizung und Warm-Wasser- Versorgung |
50,— Einmalige Hilfen (Dieser Betrag dürfte absolut zu gering angesetzt sein bei einer fünfköpfigen
Familie. Hierunter fällt z. B. Schuhbesohlung (voll), Beschaffung von Kleidung größeren
Anschaffungswerts, z. B. Oberhemden, Schuhe etc.)
1332,
'% Hrsg.: Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Albert Hofmann
ZWEIMAL BESCHISSEN .....
—KOCHFEUERUNG UND BELEUCHTUNG-—
(aus: päd.extra Sozialarbeit Heft 7/8 1978)
Als „persönliche Bedürfnisse” sieht der Regelsatz fürerwachsene Sozial-
hilfeempfänger monatlich vor:
(v.i.n.r.) 300 g Kaffee, Abonnement einer Tageszeitung, 50 g Tabak,
6 Straßenbahnkarten, 3 Flaschen Bier (für die Bewirtung eines Gastes),
5 Blatt Briefpapier, 4 Briefmarken, '%, Kinokarte, 1 Taschenbuch (als Ab-
geltung für kulturelle Bedürfnisse), 1 Taschenbuch (für Geschenke),
eine Rückfahrkarte für 30 km
DELIKATESSEN
surregtTr
fur
Konferenzen
und
Arheitsessen
ach den Bestimmungen des Bun-
dessozialhilfegesetzes (BSHG)
wird Sozialhilfe gewähr’, wenn
ein sog. Bedarf vorliegt. Dieser
sog. Bedarf bildet das entscheidende
Kriterium für den Bezug und für die zu
erreichende Höhe der Unterstützung.
Die Berechnung des Bedarfs erfolgt
auf der Grundlage von Regelsätzen.
Regelsätze soll heißen, diese Sätze
regeln, wieviel man bedarf, um leben zu
können. Der $ 22 BSHG bestimmt die
Aufgaben der Regelsätze und weist die
Festsetzung der Höhe der Regelsätze
den zuständigen Landesbehörden (So-
zialminister) zu, die die Höhe durch
Rechtsverordnung festlegen. Bei der
Bestimmung der Höhe der Regelsätze
sind die Landesbehörden an die Regel-
satzverordnung (RVo) gehalten. Die
RVo bestimmt das Verhältnis der
Regelsätze untereinander (das entschei-
dende Kriterium ist das Alter und die
Stellung im Haushalt; Alleinstehende
sind dem Haushaltsvorstand gleichge-
stellt) und weist ferner bei der Festset-
zung der Höhe auf die Berücksichtigung
der tatsächlichen Lebenshaltungskosten
hin. Die Lebenshaltungskosten werden
wiederum auf der Grundlage eines sog.
Bedürfniskatalogs oder Warenkorbs er-
rechnet.
Die Bestimmung des Warenkorbes
Der „Deutsche Verein für öffentliche
und private Fürsorge” hat in Zusam-
menarbeit mit „Wissenschaftlern, sozial
erfahrenen Personen” einen für diese
Berechnung vorgesehenen Warenkorb
erstellt.° Dieser Warenkorb orientiert
sich an dem $ I der RVo, der die Lei-
stungen, die durch den Regelsatz ge-
währt werden sollen, so festlegt: „Die
Regelsätze umfassen die laufenden Lei-
stungen für Ernährung, Kochfeuerung,
Beschaffung von Wäsche von geringem
Anschaffungswert, Instandhaltung von
Kleidung, Wäsche und Schuhen in klei-
nerem Umfang, Körperpflege, Beschaf-
— 35
fung von Hausrat, Beleuchtung, Betrieb
elektrischer Geräte, Reinigung und per-
sönliche Bedürfnisse des täglichen
Lebens.”
Auf dieser Grundlage nun ermittelte
der „Deutsche Verein” äußerst detail-
liert und mit peinlicher Akribie einen
Warenkorb, den er in fünf sog. Bedarfs-
gruppen unterteilte:
l. Ernährung;
2. Kochfeuerung und Beleuchtung
(ohne Heizung) sowie weiterer elek-
trischer Aufwand;
3. Instandhaltung von Schuhen, Klei-
dung und Wäsche;
4. Körperpflege und Reinigung;
5. Persönliche Bedürfnisse des täglichen
Lebens.
Dieser Warenkorb und die auf seiner
Basis berechneten Regelsätze sind im
Rahmen der materiellen Unterstützung
außerordentlich bedeutend.
Als rechnerische Größe bestimmen
sie, wer Sozialhilfe beanspruchen kann
und wie hoch die zu gewährende Unter-
stützung ist. Bestimmen also primär
über das qualitative und quantitative
Niveau der Konsumtion.
Ferner bilden die Regelsätze, durch-
gängig bei sozialwissenschaftlichen Un-
tersuchungen, die sog. Armutsgrenze.
Unüberprüft ist dabei in allen Fällen,
ob die Regelsätze tatsächlich ein Leben
sichern können, das man gemeinhin
unterstellt und wie es die $$ des BSHG
— man denke etwa an den $ 1 „Würde
des Menschen” — versprechen.
Wie sehr den offiziellen Stellungnah-
men zu mißtrauen ist und wie ärmlich
sich ein Leben als Sozialhilfeempfänger
gestaltet, wird im Folgenden beispiel-
haft anhand der Bedarfsgruppe „Koch-
feuerung und Beleuchtung” aufgezeigt.
„Kochfeuerung und Beleuchtung”
Die Grundlage des gegenwärtigen
Warenkorbs bilden Untersuchungen
des „Deutschen Vereins”, die im Jahre
1970 durchgeführt wurden. Für die
Bedarfsgruppe „Kochfeuerung und Be-
leuchtung” bestimmten die „Wissen-
schaftler und sozial erfahrenen Perso-
nen”, für Beleuchtung und den Betrieb
elektrischer Geräte einen 16 kWh
Stromverbrauch, sowie für Kochfeue-
rung einen 18 cbm Gasverbrauch.
Bei der Berechnung der 16 kWh
Strom wurde u.a. vom Verbrauch einer
100 Watt Glühlampe ausgegangen. Von
1962 bis 1970 war der Verbrauch für
eine 60 Watt Glühlampe Berechnungs-
grundlage (Immerhin, so möchte man
sarkastisch anerkennen, eine Erhöhung
um 40 Watt).
Zu den obengenannten Mengen an
Strom und Gas kommt monatlich noch,
der 0.083. Anteil vom Preis einer 100
Watt Glühlampe. Dieser etwas unge-
wöhnliche Anteil, addiert sich über
einen Zeitraum von 12 Monaten zu
einer Summe, die den Kauf einer 100
Watt Glühlampe ermöglicht. Anders:
Den Sozialhilfeempfängern wird jähr-
lich eine 100 Watt Glühlampe zugestan-
den.
Zusammenfassend ergibt sich für
Haushaltsvorstände und Alleinstehende
ein monatlicher Bedarf für „Koch-
feuerung und Beleuchtung”, von:
GAS
Grund- und Verrechnungspreis
18 cbm Verbrauch
STROM
Grundpreis
16 kWh Verbrauch
zuzüglich den 0,083. Anteil vom Preis
einer 100 Watt Glühlampe.
1975 erklärte das Frankfurter Dezernat
für Soziales in seinen Richtlinien, daß
für Haushaltsvorstände und Allein-
stehende 9% vom Regelsatz für „Koch-
feuerung und Beleuchtung” entfallen.
Auf der Basis des Regelsatzes von
DM 292,— (1978) ergibt dies einen Be-
trag von DM 26,28.
Fragen wir praktisch und arglos, mit
welchem Rechnungsbetrag der Sozial-
hilfeempfänger 1978 von den Stadtwer-
ken Frankfurt konfrontiert würde,
würde er sich nur an die vom „Deut-
schen Verein” ermittelten Energiemen-
gen halten?
GAS
Grundpreis 6,10
18cbm x DM 0,82 14,78
20,88
12 MWST 2,51
23.39 23,39
STROM
Grundpreis 5,00
Verrechnungspreis 2,00
16kWhx DM 0,12 1,92
8,92
Ausgleichsabgabe 4,1% 0,37
99 Der
Deutsche Verein’
sollte Abstand
nehmen von
artistischen
Berechnungen. Denn
die Forderung steht:
Bezahlung der
tatsächlich
anfallenden
Kosten. 99
12 MWST
Ergibt eine Gesamtsumme von
Man vergleiche diesen Betrag von
DM 33,78, den der Sozialhilfeempfän-
ger tatsächlich an die Stadtwerke
Frankfurt zahlen müßte, würde er nur
die vom „Deutschen Verein” ermittelten
Mengen verbrauchen, mit den Betrag
Eu: e
von DM 26,28, den er durch den Regel-
satz zugestanden bekommt, so wird
man unschwerlich eine Minus-Differenz
von DM 7,50 (28,54%) entdecken.
Anders ausgedrückt: den Sozialhilfe-
empfängern wird nicht einmal der Be-
trag gewährt, den sie benötigen würden,
um die vom „Deutschen Verein” ermit-
telten Minimalmengen zu bezahlen.
Man bedenke, daß dieses nicht gerin-
ge Defizit in der Haushaltskasse eınes
Sozialhilfeempfängers auf der Unter-
stellung beruht, daß die Energiemengen,
die durch den Warenkorb gegeben sind,
tatsächlich auch ausreichend sind.
Fragen wir auch hier praktisch und
arglos, ob mit den Mengen, wie sie der
Warenkorb monatlich vorsieht, gewirt-
schaftet werden kann?
Gehen wir davon .aus, daß es der
„Würde des Menschen” entspricht,
wenn sich im Haushalt eines Sozial-
hilfeempfängers folgende elektrische
Geräte finden:
eine 100 Watt Glühlampe,
ein Kühlschrank,
ein Radio,
ein Fernseher,
ein Bügeleisen
und eine Waschmaschine.
Diese Geräte haben folgenden Ver-
brauch:
stündlicher Verbrauch:
eine 100 Watt Glühlampe 0,1 kWh
ein Radio 0,05 kWh
ein Kühlschrank 0,25 kWh
‘ein Fernseher 0,4 kWh
ein Bügeleisen 1,0 kWh
7,5 kg Wäsche in der
Waschmaschine waschen 4,0 kWh
Erinnern wir uns, daß der Warenkorb
für Beleuchtung und den Betrieb elek-
trischer Geräte einen Verbrauch von
16 kWh vorsieht.
Wie könnte bzw. müßte ein Sozial-
hilfeempfänger mit obigen elektrischen
Geräten auf dieser Grundlage haushal-
ten?
tägl. monatl.
kWh- (30 Tage)
Verbrauch kWh-
Verbrauch
20 Minuten Licht täglich 0,033 0,99
30 Minuten Radio täglich 0,025 0,75
11,3 Minuten Fernsehen
täglich 0,08 2,26
I Stunde Kühlschrank täglich 0,25 7,5
30 Minuten Bügeleisen
monatlich — 0,5
7,5 kg Wäsche in der
Waschmaschine monatlich — 4,0
ergibt einen monatlichen Verbrauch von 16,0 kWh
— —
= duia nme ferd -Modell komme,
auch Se mit
dem Sosalhilfe- Regeltat,
durch, *
qs
den
Der Regelsatz sieht vor: Zweimal Baden
Es ist augenscheinlich, daß diese Bedin-
gungen nicht eingehalten werden kön-
nen. Angesichts dessen, verwundert es
sicherlich nicht, daßsichauchdie 18cbm
Gas als nicht ausreichend erweisen.
Die Bewag-Gasag (Westberlin)? er-
mittelte für einen „Eın-Personen-Haus-
halt” einen Gasverbrauch von 15 cbm
für Kochen. Wird zusätzlich Warmwas-
ser durch Gas gewonnen, so erhöht sich
der monatliche Verbrauch auf 60 cbm,
um also auf dasca. 3,5 fache der Menge,
wie esdurchden Regelsatz gewährt wird.
Mit den Energiemengen, wie sie der
Regelsatz vorsieht, soll nach den Vor-
stellungen der „Wissenschaftler und
sozial erfahrenen Personen” auch der
Aufwand für Bäder abgegolten werden.
Die Bewag-Gasag ermittelte für eine
Badewannenfüllung 1, cbm Gas.
15 cbm Gas für Kochen plus zweimal
baden ergibt 18 cbm, die im Warenkorb
vorgesehene Energiemenge.
Sollen kurzfristige Schlußfolgerun-
gen für die Praxis der Sozialhilfeemp-
fänger und Sozialarbeiter gezogen wer-
den, so liegt es an den Sozialhilfeemp-
fängern Anträge auf Bezahlung der tat-
sächlichen Energiekosten zu stellen.
Sozialarbeiter können dazu ermuntern
und aufklären. Für die Sozıialverwal-
tungen ergibt sich dann die Schwierig-
keit, den „Mehrbedarf” als nicht not-
wendig abzuerkennen. Dies dürfte ıhr
sicherlich nicht leichtfallen.
Der „Deutsche Verein” hat seinerseits
ın seinem letzten Geschäftsbericht für
das Jahr 1976/77 angekündigt, daß der
„Arbeitskreis für Regelsätze”, „gegen-
wärtig (. . .) aus dem Bedarfsmengen-
schema der Regelsätze die Kosten für
Energie im Haushalt... untersucht”. Es
ist nicht ausgeschlossen, daß der „Ar-
beitskreis” sich nach einem längeren
Zeitraum der „Beratung und Unter-
suchung”, mit Vorschlägen zur leichten
Anhebung der Beträge für Energie an
die zuständigen Stellen wendet. Dem
Arbeitskreis, sollte er sich ernstlich da-
mit befassen, ist anzuraten, Abstand zu
nehmen von artistischen Berechnungen
und überzugehen auf die Forderung
nach der Bezahlung der tatsächlich an-
fallenden Kosten für Strom und Gas.
1) Vorliegende Arbeit ist Teil einer noch in Vorbereitung
befindlichen Untersuchung, die den Regelsatz ın seiner
Gesamtheit analysiert. Diese Untersuchung wird ım
koınmenden Semester an der FHS Frankfurt, Projekt
Familienfürsorge begonnen. Leser, die über die Pro-
blematik Regelsatz gearbeitet haben bzw. gegenwärtig
arbeiten, werden gebeten, sich mit folgender Kontakt-
adresse in Verbindung zu setzen:
Albert Hofmann, Sömmeringstr. 13, 6000 Frankfurt 1
2) siehe: Petersen, Die Regelsätze nach dem BSHG, Klei-
nere Schriften des Deutschen Vereins, Nr. 43
3)nach, Hauptberatungsstelle für Elektrizitätsanwen-
dung, Frankfurt, „HEA-Bilderdienst-aktuell”, „Elek-
trizität und ihre Anwendung”
4) siehe, Gisela Knick, Regelsatz und Mehrbedarf, Soziale
Arbeit, Sept. 1977, Berlin, S. 409-412
WARUM FÜRCHTET DER DEUTSCHE VEREIN
DIE ÖFFENTLICHKEIT
DEUTSCHER VEREIN
FÜR ÖFFENTLICHE UND PRIVATE FÜRSORGE AM STOCKBORN 1-3
HANS-MUTHESIUS-HAUS
8000 FRANKFURT 50
eg (06 11) 58 03 / 230-
ABTEILUNG FACHREFERATE, GUTACHTENERSTATTUNG
Am Stockborn 1-3 - 6000 Fim. s0 WINARTA A B0 (ODER OBER VERMITTLUNG 58031)
FURSORGETAG BANKKONTO: STADTSPARKASSE
eA TAAl FRANKFURT 130 708 (BLZ 500 501 02)
POSTSCHECKKONTO: FRANKFURT
1008 47 -607 (BLZ 500 100 60)
Deutscher Verein - Abt. Fachreferate -
Herrn
Albert Hofmann
c/o J. Grubmüller 100 JAHRE
Sömmerringstr. 13
6000 Frankfurt
UNSER ZEICHEN DATUM
12. Oktober 1979
IHRE NACHRICHT VOM
15.9.1979 F 1
IHR ZEICHEN
serrerr: Einsicht in die Protokolle, Analysen und Prüfungen bei der
Zusammenstellung der Warenkörbe in den Jahren 1955, 1962
und 1970
Sehr geehrter Herr Hofmann,
auf Ihre Anfrage teilen wir Ihnen mit, daß wir zu unserem Bedauern
nicht in der Lage sind, Ihnen das gewünschte Material zur Einsicht
vorzulegen. Die im Verlauf der Neubearbeitungen des Bedarfsmengen-
schemas (Warenkorb) für die Regelsätze in der Sozialhilfe für das
zuständige Fachgremium angefertigten Beratungsunterlagen und Sitzungs-
berichte sind nur für den Gebrauch der Mitglieder dieses Fachgre-
miums bestimmt. Es handelt sich hierbei nur um momentane Zwischen-
ergebnisse, die im weiteren Verlauf der Beratungen verändert oder
ergänzt werden können. Lediglich die genehmigten Beratungsergebnis-
se bilden die Grundlage für die von Ihnen genannten veröffentlich-
ten Ausführungen, in denen die u.E. wesentlichen Einzelheiten dar-
gestellt sind. Nach der Veröffentlichung der genehmigten Beratungs-
ergebnisse werden die erwähnten Beratungsunterlagen und Sitzungsbe-
richte nur noch für eine verhältnismäßig kurze Zeit aufbewahrt. Des-
halb und mit Rücksicht auf einen im Jahre 1972 erfolgten Umzug der
Geschäftsstelle in neue Büroräume, wobei der alte Aktenbestand be-
trächtlich vermindert worden ist, müssen wir Sie um Verständnis
bitten, daß wir nicht mehr über das vollständige Material verfügen.
Der von Ihnen erwähnte Hinweis auf Prüfungen der Verbrauchsgewohn-
heiten der Verbrauchergruppen (Heft 43 der Kleineren Schriften,
S. 32) bezieht sich auf Beratungsunterlagen, insbesondere der Aus-
wertung statistischen Materials (der laufenden Wirtschaftsrechnun-
gen sowie der Einkommens- und Verbrauchsstichproben) des Statisti-
schen Bundesamtes, Wiesbaden, das der Fachzeitschrift "Wirtschaft
und Statistik" entnommen worden ist.
Leider konnten wir Ihnen keine positive Antwort geben und bitten um
Verständnis.
Mit freundlichen Grüßen Im Auftrag
gez. Dr. Imlau
Albert Hofmann
WARENKORB ‘MARKE SCHMALHANS’
-Die Bemessung der “Würde des Menschen” durch den Deutschen Verein-
Der steigenden Zahl der Sozialhilfebezieher soll mit Einsparungen begegnet wer-
den. Die Erhöhung der Regelsätze läßt immer länger auf sich warten. Die Erhö-
hungen fallen zunehmend geringer aus.
Das 1970 gegebene Versprechen des ‘Deutschen Vereins’, den Warenkorb in kür-
zeren Abständen zu überprüfen, ist -trotz einer ständigen Verschlechterung der
Lebenslage der Sozialhilfebezieher - immer noch nicht eingelöst.
Die folgende Analyse zeigt, daß der Warenkorb des ‘Deutschen Vereins der der
Berechnung der Regelsätze zugrundeliegt, für den 'notwendigen Lebensunter-
halt’ vorne und hinten nicht reicht.
` er „Arbeitskreis kritische So-
‚zialarbeit” (AkS) Frankfurt
‚nennt es in einem Flugblatt
einen „Skandal”, 49 Sozial-
arbeiter in Frankfurt bezeichnen es ın
einer Uhnterschriftensammlung, als
„einen besonders sozialpolıtischen
Rückschritt’’, Vertreter von „Sozialen
Brennpunkten” in Hessen reagieren in
einem Brief an den Hess. Sozialminister
mit „Empörung” und „Unverständnis’,
andere Sozialhilfeempfänger bezeich-
nen es kurz und treffend als eine „Saue-
rei” — die Rede ist von der Nichterhö-
hung der Regelsätze.'
4
”
Angriffe auf Regelsätze:
Verschleppen und kürzen
Angesichts der stetig ansteigenden Zahl
von Sozialhilfebeziehern war ab 1975
hinter den Kulissen eine aktive Regsam-
keit zu spüren. Ausschüsse und Vereine
berieten über Einschränkungen von
Sozialhilfeleistungen. Auch der „Sozial-
ausschuß des Deutschen Städtetages’”
stellte in Zusammenarbeit mit dem
„Deutschen Verein für öffentliche und
private Fürsorge”, in „Hinblick auf die
angespannte Situation der Städte, kriti-
sche Überlegungen über Maß und Um-
fang der Sozialhilfeleistungen’”? an.
„Bezirke befürchten Haushaltsplei-
te”, meldete z.B. die Süddeutsche Zei-
tung — und: „’Explosionsartige’ Steige-
rungen der Sozialhilfeleistungen bis zu
20 Prozent gefährdeten den Etataus-
gleich 1976 der sieben bayerischen
Bezirke,”
Im Januar 1978 rückten die ersten
Bundesländer (Bayern, Hessen, Nord-
rhein-Westfalen und Schleswig-Hol-
stein) von der in den vorangegangenen
Jahren geübten Praxis ab, die Regel-
sätze für Sozialhilfeempfänger jährlich
'zum Jahresbeginn oder zur Jahreshälfte
um einen bescheidenen Betrag anzu-
heben: erstes spürbares Ergebnis, der
„Kostendämpfungsdiskussion in der
Sozialhilfe”* (vgl. Tabelle 1).
Im September 1978 entschloß sıch
das Bundesland Hessen dann doch
noch, die bereits 20 Monate unverän-
derten Regelsätze für Haushaltsvor-
—
stände und Alleinstehende um monat-
lich DM 5,— und für die weiteren Haus-
haltsangehörigen um DM 3,— bzw.
DM 4,— anzuheben.
Kein zufälliger Zeitpunkt. Die Hes-
senwahlen standen bevor und der Jah-
reswechsel war so nahe, um der Forde-
rung nach einer erneuten Erhöhung der
Regelsätze zum Januar 1979 mit dem
Hinweis auf die 4 Monate vorher durch-
geführte Erhöhung entgegentreten zu
können. Genau dies geschah. — Erst-
malig erhöhten ferner nicht die Städte
Bremen und Berlin.
Die Erhöhung der Regelsätze ın den
anderen Bundesländern kann aber nicht
darüber hinwegtäuschen, daß auch hier| Zeitraum Erhöhung Empfäng.
eine restriktive Sozialpolitik betrieben inDM in%
wird. So gilt für alle Bundesländer, daß| 1972-73 14,— 6,9 7,9
die Erhöhungsintervalle immer länger| 1973-74 18,— 8,3 7,8
oder/und die Erhöhungsbeträge immer BD De d 37
1975-76 14, 3,3 1.2
geringer werden. (vgl. Tab. 1I und Tab. 2)| 197677 19— 71 48
Wie die Tab. 2 ferner zeigt, sind die| 1977-78 — jl 3,7
Regelsatzerhöhungen im Zeitraum| 1978-79 6— 24l 3,4
Tab. 1: Festsetzung der Regelsätze für Haushaltsvorstände und Alleinstehende am... auf DM...
Zusammengestellt nach Daten des „Deutschen Vereins”
1.1.75 13.75 14975 11.76 1.7.76 14.77 1727 LAB 1478 1978 1.1.99
Baden
Württemberg 255,— 267,— 283,— 290, — 294,—
Bayern 252,— 266, — 282, — 290, —
Bremen 258, — 270, — 289, — 297, —
Hamburg 260, — 268, — 285, — 292, — 300, —
Hessen 260,— 273,— 292, — 297,—
Niedersachsen 250,— 265,— 284,— 291,— 297, —
Nordrhein- 250,— 272, — 293, —
Westfalen 225, — 268, — 288, — 297, —
Rheinland- 254, — 274, — 296, — 296, — 299, —
Pfalz 250, — 268, — 286, — 292, — 295, —
Saarland 250, — 265, — 280, — 285, — 290, — 297, —
Schleswig-
Holstein 254, — 268, — 288, — 300,—
Berlin 250, — 265, — 285, — 297, —
Durchschnitt: 254, — 268, — 287, — 291, — 297, —
1977-1979 unter dem Anstieg des Preis-
index für 2-Personen-Haushalte von
Renten- und Sozialhilfeempfängern
geblieben, was praktisch einen Abbau
der Regelsätze bedeutet.
Der Angriff auf die Regelsätze steht
nicht isoliert: Ebenfalls gekürzt werden
die sog. einmaligen Beihilfen. Bujard/
Lange kamen in ihrer Untersuchung
über „Armut im Alter’ zu dem Ergeb-
Tab.2: Erhöhung der Durchschnitts-Regelsätze
für Haushaltsvorstände und Alleinstehende
in DM und Prozent
Anstieg d. Preisindex
für 2-Pers.-Haush. von
Renten- und Soz.hilfe-
nis, daß die „Beträge häufig nicht aus-
reichen, um den erforderlichen Gegen-
stand auf dem normalen Wege zu erwer-
ben... Die für die einmaligen Beihilfen
angesetzten Richtwerte sind ohne Zwei-
fel Minimalsätze.’”
Dessen ungeachtet wird weiter abge-
baut. Eine Tendenz dieses Abbaus zeigt
eine von der „Landesarbeitsgemein-
schaft soziale Brennpunkte Hessen”
durchgeführte Umfrage zur gegenwärti-
gen Handhabung der Beihilfegewäh-
rung.
Beispiele:
In Offenbach a.M. war es bis 1974
„üblich, daß 15% des Gesamtjahres-
regelsatzes pro Person zur Grundlage
für Bekleidungsbeihilfe diente, wobei in
der Regel eine Pauschalisierung gewählt
wurde. Stufenweise wurde dann 1975/76
der Betrag auf zunächst 12,5% und
dann auf 10% des Gesamtjahresregel-
satzes herabgedrückt'’. In Darmstadt
wird Bekleidungsbeihilfe für Bewohner
von „sozialen Brennpunkten” „immer
nur mit Gutscheinen gewährt. Bei For-
derung nach Bargeld wurden 10% von
der gewährten Summe abgezogen ..
Der Verweis auf die freie Wohlfahrt
geschieht häufig”. „Eine neue Variante
ist (in Fulda) die, das eine ’Hilfe zum
Lebensunterhalt-Empfängerin’, die
ohnehin schon für diese Hilfe 12 Tage
im Monat Pflichtarbeit leistet — wie ıhr
gesagt wurde für Stromschulden, die
das Amt übernahm — andere Einzel-
anträge verwehrt werden, und erst nach
Abarbeitung der Stromschulden behan-
delt werden könnten.“s
Sozialhilfe reicht
vorne und hinten nicht
Grundsätzliche Bedenken und Kritik an
der Höhe der Sozialhilfe gab es bereits
in Zeiten, als sie noch regelmäßig erhöht
wurden. Strang kommt anhand seiner
Untersuchung über „Erscheinungsfor-
men der Sozialhilfebedürftigkeit”’, 1970
zu dem Schluß, „daß die Regelsätze der-
art knapp bemessen sind, daß die tat-
sächlich realisierten Ausgaben zur
Deckung des existierenden Bedarfs den
erweiterten Lebens- und Kulturbedarf
weitgehend aufbrauchen ... Die prakti-
sche Befolgung des Prinzips der Men-
schenwürde im BSHG muß demnach
angesichts dieses Sachverhalts in Frage
gestellt werden.” Insbdsondere sieht er
„bei steigender Preistendenz’’, eine
ständige Benachteiligung der Sozial-
hilfeempfänger und warnt davor,
„leichtfertig auf ’unrationelles’ und un-
wirtschaftliches Verhalten (zu) schlie-
Ben, wenn man erfährt, daß sich ein Teil
der Befragten oft in dringenden finan-
ziellen Schwierigkeiten befindet.’”*
Auch die Münstermann, Schacht und
Young-Erhebung (1974) in einem Dort-
munder Stadtviertel ergab: „63 Prozent
der Armen gaben an, daß sie weniger als
nötig hatten... 65 Prozent der Armen..
gaben im Herbst 1974 an, sie hätten mit
den Einkommenserhöhungen die Preis-
steigerungen nicht kompensieren kön-
Inen. Hier zeigt sich, daß die Armen
"mehr bezahlen müssen’: die Konsum-
güterpreise, die sich für alle Sozial-
schichten absolut gleich erhöhen, tref-
fen die niedrigen Einkommensgruppen
natürlich stärker, da sie zumeist mit
Einsparungen bei alltäglichen Gütern
reagieren müssen.”
Ein Ergebnis, das von Bujard/Lange
bestätigt wird. „Die Skala weist auf, daß
unter den befragten alten Menschen
finanzielle Schwierigkeiten ein alltäg-
liches Problem sind, kommen sie doch
nicht nur bei besonderen und/oder
unvorgesehenen Ausgaben Ín Schwie-
rigkeiten, sondern durch die tägliche
Notwendigkeiten, sich zu ernähren, zu
bekleiden, zu wärmen etc.’’'’ Zur bun-
desrepublikanischen Wirklichkeit ge-
Pea T, pen
hört auch, daß Menschen auf die Frage,
„was sie für den Fall, sie erhielten
2.000,— DM, mit dem Geld anfangen
würden”, u.a. antworteten: „Ich würde
mich einmal richtig satt essen.” ”'
Daß die Sozialhilfe nicht ausreicht,
wurde ebenso für die Sozialhilfe bezie-
henden alleinerziehenden Mütter und
Väter in Westberlin ermittelt. Das Er-
gebnis: „acht von zehn kommen mit der
Hilfe nicht aus.”!?
Verordnete Unterernährung
Die Sozialministerien lassen diese Er-
gebnisse ungerührt. Ein Schreiben des
AKS Frankfurt, in dem die Forderung:
„Sofortige Erhöhung der Sozialhilfe auf
einen Betrag, der der allgemeinen
K.ostensteigerung angepaßt ist”, vertre-
ten wurde, beantwortete der Hess.
Sozialminister mit dem Hinweis:
„Ihrer Besorgnis über eine rechtzei-
tige Anpassung an die gestiegenen
Preise darf ich entgegenhalten, daß...
der am 1. Januar 1977 in Kraft getretene
Eckregelsatz von 292,— DM (. . .) bis
heute durch die Preissteigerung bei den
Warenkorbpositionen nicht erreicht
worden ist.“
Eine fadenscheinige Antwort. Sie
lenkt von der eigentlichen (finanz)poli-
tischen Entscheidung ab und hin zu dem
vom „Deutschen Verein für öffentliche
und private Fürsorge” erstellten Waren-
korb. — 8 22 BSHG bestimmt, daß
„laufende Leistungen zum Lebensunter-
halt“ nach Regelsätzen gewährt wer-
den. Der Inhalt und Aufbau der Regel-
sätze wird einer Rechtsverordnung
übertragen (Regelsatzverordnung).
Diese Verordnung basiert auf Unter-
suchungen des „Deutschen Vereins’,
der für die Berechnung der Regelsätze
zuletzt 1970 einen Warenkorb zusam-
mengestellt hat.'*
—_ 38 _
Die Waren und Dienstleistungen des
Warenkorbs sind so bemessen, daß der
Durchschnitts-Regelsatz von DM 297,--
für Haushaltsvorstände und Allein-
stehende für das Jahr 1979 nach Be-
darfsgruppen differenziert folgende
Beträge ergibt:'’
Tab.3: Aufteilung des Regelsatzes für
Haushaltsvorstände und Alleinstehende
nach Bedarfsgruppen in Prozent und
DM-Beträgen
Ernährung 57% 169,29
Kochfeuerung/
Beleuchtung 9% 26,73
Instandhaltung/
Neubeschaffung v.
Kleidung, Wäsche
und Hausrat 5% 14,85
Körperpflege/
Reinigung 9% 26,73
Persönliche
Bedürfnisse 20% 59,40
Schon 1976 mußte ein Student
monatlich für Ernährung (ohne Hilfe
von daheim) nach einer Untersuchung
des „Deutschen Studentenwerks’
DM 205,10 ausgeben.!® — 1976 betrug
der Durchschnitts-Regelsatz für Haus-
6 Die Erhöhungsintervalle
werden immer länger,
die Erhöhungsbeträge immer
geringer GG
haltsvorstände und Alleinstehende
DM 268,—. Der Anteil für Ernährung
(57%) betrug davon DM 152,76. Im
Jahre 1976 hatte demnach ein Sozial-
hilfeempfänger monatlich DM 52,34
weniger für Ernährung zur Verfügung,
als im vergleichbaren Zeitraum ein Stu-
dent für Ernährung ausgab. Selbst 1979
wird dem Sozialhilfeempfänger durch
den Regelsatz noch immer monatlich
DM 35,81 weniger zugestanden, als einıpflege und Reinigung?! sind ebenfalls
Student 2 Jahre vorher für Ernährungl[unzureichend. Ein praktischer Versuch,
ausgeben mußte.
Eine weitere Untersuchung ist in die-
sem Zusammenhang von Bedeutung.
Die „Barmer Ersatzkasse’’ kam in der
von ihr durchgeführten
Aktion” zu dem Ergebnis, daß 59,52%
der Bonner Studenten Untergewicht
haben.!*
Eine andere Erhebung beweist eben—
falls, daß der 57%-Anteil für Ernährung
im Regelsatz zu gering ist: Eine von der
„Zentralstelle für rationelles Haushal-
ten” (Bonn) durchgeführte statistische
Auswertung von Beratungsmaterial
ergab, daß eine Person 1977 für Ernäh-
rung DM 223,— ausgab.'!” Im vergleich-
baren Zeitraum betrug der Anteil für
Ernährung im Regelsatz DM 163,59,
also DM 59,41 niedriger.
kd
„Zweimal beschissen . . >
Daß der Inhalt und der Betrag der
Bedarfsgruppe Kochfeuerung und Be-
leuchtung nicht ausreichen kann, habe
ich schon an anderer Stelle nachgewie-
sen??. DM 7,50 mehr müßte ein Sozial-
hilfeempfänger für Strom und Gas be-
zahlen, als der Regelsatz vorsieht,
würde er sich nur an die Mengen halten,
die der Warenkorb gewährt. „Anders
ausgedrückt: den Sozialhilfeempfän-
gern wird nicht einmal der Betrag ge-
währt, den sıe benötigen würden, um
die vom „Deutschen Verein’ ermittel-
ten Minimalmengen zu bezahlen.” Zu-
dem: Die vorgesehenen Mengen von
16 kWH Strom für den Betrieb elektri-
scher Geräte müssen wie auch die
18 cbm Gas für Kochfeuerung und den
Aufwand für Bäder als völlig unzurei-
chend angesehen werden. Fazit: „Zwei-
,
mal beschissen . . .”.
den ich durchführte, ergab, daß die
60 Gramm Seife, die die Bedarfsgruppe
für Haushaltsvorstände und Allein-
stehende vorsieht, am 15. Tag aufge-
„Wiege- braucht waren. Jugendlichen von 15-20
Jahren werden sogar nur unerklärliche
37,5 Gramm (!) Seife monatlich zuge-
standen (nach meinem Test bereits am
9. Tag aufgebraucht).
„Es war Aufgabe des Arbeitskreises,
nach wissenschaftlichen Gesichtspunk-
ten... . ein neues Verbrauchsmengen-
schema für Sozialhilfeempfänger zu
entwickeln”??, wurde bereits bei der Zu-
sammenstellung des Warenkorbs 1962
versprochen. Leider hat es der Arbeits-
kreis „Aufbau der Regelsätze” bis heute
versäumt, zu veröffentlichen, welche
„wissenschaftlichen Gesichtspunkte”
nahelegen, daß z.B. Jugendlichen erst
ab 21 Jahren Rasierseife und Rasier-
klingen brauchen.
Die vorgesehenen Mengen an Zahn-
creme ermöglichen nur einmal tägliches
Zähneputzen. (Wissenschaftliche Emp-
fehlung: nach jeder Mahlzeit; minde-
stens dreimal täglich.) Kinder und Ju-
gendlichen wird umgerechnet alle
12,5 Monate eine Zahnbürste zugestan-
den. „Zahnmedizinisch-wissenschaft-
liche Gesichtspunkte” können hier
wohl nicht zugrunde gelegt worden sein;
Zahnbürsten sollen nach 2-4 Monaten
weggeworfen werden.
Mit den für Haushaltsvorstände und
Alleinstehende vorgesehenen Mengen
an Waschpulver (grob) können an die
12 kg Wäsche gewaschen werden. Dies
entspricht etwa 2 Bettbezügen, 10 Hem-
den, 15 Unterhosen und Unterhemden,
15 Paar Socken, 2 Badetüchern und
“3 Cordhosen. Nicht berücksichtigt wer-
... und so wenig Seife
den könnte ein weiterer Anfall von
schmutziger Wäsche — wie Geschirr-
Die Mengen der Bedarfsgruppe Körper-!tüchern, weitere Handtüchern, Schlaf-
—
anzüge, Vorhänge, Tischdecken, usw.
Die 65 Gramm Waschpulver (fein) er-
möglichen die Wäsche von 400 Gramm
Wolle (ein leichter Pullover).
Der Betrag von DM 14,85 für In-
standhaltung von Schuhen, Kleidung
und Wäsche sowie kleinere Instandset-
zungen von Hausrat, Neubeschaffung
von Wäsche und Hausrat von geringem
Anschaffungswert?’, soll „im wesent-
lichen der allgemeinen Haushaltsfüh-
rung dienen”. Es sind also damit abzu-
decken: Leim, Dübel, Schrauben, Nägel,
kleine Werkzeuge, kleine Haushalts-
geräte (z.B. Meßbecher), Kurzwaren
(Knöpfe, Nadeln, Garn, Strickwolle,
Reißverschlüsse), kleinere Schuhrepara-
turen (Absätze, Schnürsenkel), uunia
Wäscheanschaffungen (Taschentücher,
Schals, Krawatten) usw. —
Die Bedarfsgruppe Persönliche —
dürfnisse?* sieht für Briefporto z
Telefongespräche monatlich DM *
vor. Ferner 6 Straßenbahnkarten. em
Menge ermöglicht 3 Hın- und Rüc s
fahrten und dürfte mit den Fahrten 7
den Sozialämtern aufgebraucht —
Der Betrag der vom Stat. —
Hessen für die Berechnung der ur
scheine zugrundegelegt wird, betrag:
DM 1,16%. In den Verkehrsspitzen®S
ten beträgt in Frankfurt der Fahrprei:
ICHMOCHTE STATT/NER HALBEN
TUBE ZAHN PASTA, LIEBER N GANZE
UCK SEIFE !
DM 1,50. Sozialhilfeempfänger sind in
den Verkehrsspitzenzeiten, demnach in
ihrer „Beziehung zur Umwelt’ ausge-
schlossen. Zwar besteht in Frankfurt
die Möglichkeit, die sog. „Grüne Karte”
zu erwerben, eine Monatskarte für
sozial schwache Einkommensschichten
(die ebenfalls die Beförderung in den
Verkehrsspitzenzeiten ausschließt) die
jedoch einen Eigenanteil von DM 14,—
verlangt. Im Regelsatz ıst für Fahrten
aber nur ein Betrag von DM 6,96 vorge-
sehen. Für alle Sozialhilfeempfänger in
Frankfurt, die im Besitz der „Grünen
Karte” sind, gilt also, daß die größere
Beweglichkeit durch die „Grüne Karte”,
mit dem Verzicht aut andere Leistungen
aus dem Warenkorb erkauft werden
muß.
Für die Teilnahme am „kulturellen
Leben” wird Haushaltsvorständen und
Alleinstehenden u.a. ein Taschenbuch
im Regelsatz angerechnet. Bei dem an-
gerechneten Betrag handelt es sich um
den Preis für die „Ein-Punkt’’-Ausga-
ben, die dünnsten Taschenbücher. Eine
Rückfrage beim ’Fischer Taschenbuch
Verlag’ ergab. daß sich ım gesamten
—
ich sieben !
ich nut ss
. fs
Seint 2 hau
= —
4
ler. EF BE
EN) ya, = :
|
E E
Sotia lamt Di EP L
Taschenbuchsortiment nur noch 17
„Ein-Punkt”-Ausgaben befinden und
die letzte Neuerscheinung 5 Jahre zu-
rückliegt.
Der Betrag, der für diese „Ein-
Punkt’-Ausgaben im Regelsatz ange-
rechnet wird, beträgt DM 3,80. Dieser
Betrag reicht z.B. nicht, um wöchentlich
eine Fernsehzeitung zu kaufen.
Kindern bis zu 7 Jahren wird über-
haupt kein Fahrgeld zugestanden. In
Frankfurt müssen Kinder jedoch schon
ab 4 Jahren Fahrgeld bezahlen. Jugend-
lichen von 7-14 Jahren werden durch
die Regelsätze 2 Fahrscheine gewährt,
Jugendlichen von 15-20 Jahren ganze 4.
Für Spielzeug wird Kindern bis zu
14 Jahren monatlich ein Betrag von
DM 2,3126 gewährt. Ein „Mensch-ärger-
dich-nicht”’-Spiel kostete im September
1978 immerhin DM 9,60%; eine Puppe
DM 37,99; ein Teddybär DM 45,58; ein
Kunststoffbaukasten DM 39,34, ein
Metallbaukasten DM 58,43; eine elek-
trische Eisenbahn DM 168,34. (Für eine
elektrische Eisenbahn müßte eine Mut-
ter, die Sozialhilfe bezieht, 72 Monate
A - (
A,
BR C
AY Q “f
nA o h 2
Ergänzung zu Artikel "Warenkorb Marke Schmalhans’ aus päd.extra sozialarbeit.
ee Ki
bzw. 6 Jahre den monatlichen Betrag
für Spielzeug im Regelsatz sparen.)
Die Darstellung der Mängel des Waren-
korbs ließe sich weiterführen, soll aber
hier abgebrochen werden. Daß Berech-
nungsgrundlage der Regelsätze und die
Regelsätze selbst unzureichend sind, ist
hinreichend belegt; ebenso die höchst
fragwürdige Weise, in der der „Deutsche
Verein’ bei der Zusammenstellung des
Warenkorbs vorging.
Die (un) „saubere Logik” derer da
oben — oder:
Die „Würde des Menschen”
Petersen schreibt: „Welche Lebens-
führung der Würde des Menschen ent-
spricht, ist in den Untersuchungen des
"Deutschen Vereins’ aufgrund der
Lebenshaltung beurteilt worden, die in
der Bevölkerung besteht.”??® Und —
„die Prüfungen ergaben außerdem, daß
die Lebenshaltung der unteren Ver-
brauchergruppen geeignet sind, um sie
als Grundlage bei der Feststellung des
Ausmaßes der Regelsätze heranzuzie-
hen.””” — Zu dieser Methode bemerkt
Werkentin, daß sie darin besteht,
schlicht und einfach aufzulisten, was
faktisch vorherrscht® und daß sie in
leichtfertiger Weise unterstellt, daß die
unteren Verbrauchergruppen tatsäch-
lich über den notwendigen Lebens-
unterhalt verfügen, der der „Würde des
Menschen” entspricht.
Die Fragwürdigkeit der vom „Deut-
schen Verein” angewandten Methode
wird ferner an folgendem Umstand
deutlich: Welche Lebenshaltung in der
Bevölkerung besteht, ermittelte der
Arbeitskreis anhand der „Wirtschafts-
rechnungen” („Einnahmen und Aus-
gaben ausgewählter privater Haus-
halte“) des Statistischen Bundesamtes
Wiesbaden. — Die Ausgaben und Ein-
nahmen der unteren Verbrauchergrup-
pen werden von 2-Personen-Haushal-
ten von Renten- und Sozialhilfeempfän-
gern mit geringem Einkommen aufge-
zeichnet. ’'
„Die absolute Höhe der ausgaben-
fähigen Einkommen bzw. Einnahmen
je Haushalt, die bei den laufenden Wirt-
schaftsrechnungen anfällt, ist also kei-
neswegs, wie häufig angenommen wird,
ein statistisches Ergebnis im eigent-
lichen Sinne. Vielmehr wird sie durch
die Vorgabe von Einkommensgrenzen
bei der Auswahl der Haushalte auf
einen ganz bestimmten Bereich fi-
xiert.” >? Die Einkommensgrenzen der
unteren Verbrauchergruppe orientier-
ten sich „im Jahre 1964... an einem Ein-
kommensniveau, das in etwa den dama-
ligen Sätzen der Sozialhilfe entsprechen
sollte.” Dieser Betrag wird seitdem
„entsprechend der Steigerung der Ren-
ten und Sozialhilfesätze fortgeschrie-
ben,”
Man vergegenwärtige sich die Metho-
de des „Deutschen Vereins” konkret:
Anhand der Untersuchungen des
„Deutschen Vereins” wird die Höhe der
Regelsätze bestimmt. Die Höhe der
Regelsätze werden vom Statistischen
Bundesamt zur Bestimmung und Ein-
grenzung der unteren Verbraucher-
gruppen verwandt. Renten und Sozial-
hilfeempfänger zeichnen auf der Grund-
lage ihres durch den „Deutschen Ver-
ein” vorbestimmten Einkommens ihre
Ausgaben auf. Für den „Deutschen Ver-
ein” sind diese aufgezeichneten Aus-
gaben wiederum der Beweis, daß die
Lebenshaltung der unteren Verbrau-
chergruppen ausreichend ist und als
Grundlage für die Zusammenstellung
der Regelsätze verwandt werden kann.
9 Über das Fleisch, das in
der Küche fehlt,
wird nicht in der Küche
entschieden 99
Eine saubere Logik, die erklärbar
wird, wenn man betrachtet, welcher
Personenkreis an der Zusammenstel-
lung des Warenkorbs beteiligt war:
„Vertreter der Stadt- und Landkreise
und der Kommunalen Spitzenverbände,
— 4la—
der Obersten Sozialbehörden der Län-
der, der überörtlichen Träger, der Ver-
bände der freien Wohlfahrtspflege, des
Max-Planck-Instituts für Ernährungs-
physiologie, des Statistischen Bundes-
amtes und des Hessischen Landesamtes
— ferner ein Vertreter des Bundesmini-
steriums für Jugend, Familie und Ge-
sundheit.”’’* Sieht man von den Vertre-
tern des Statistischen Bundes- und Lan-
desamtes und dem Ernährungsphysio-
logen des Max-Planck-Instituts ab, so
finden wir all die Repräsentanten von
Gremien, die als Träger von Sozialhilfe
naturgemäß an einem niedrigen Kosten-
aufwand interessiert sind. Die aus-
schließliche Beteiligung von Vertretern
der Kommunen, Landkreise, der Sozial-
behörden etc. läßt den Schluß zu, daß
der „notwendige Lebensunterhalt”,
bzw. die „Würde des Menschen” finanz-
politischen Erwägungen ein- und unter-
geordnet ist.
Lediglich Untersuchungen in eintöni-
ger Regelmäßigkeit angekündigt
Angesichts der Unzulänglichkeit der
Regelsätze sind neben der Forderung
nach ihrer sofortigen Erhöhung wieder-
holt Aufforderungen an die zuständigen
Stellen ergangen, den Warenkorb zu
überprüfen und neu zusammenzustel-
len. — Der „Deutsche Verein” muß
daran erinnert werden, daß er im Zu-
sammenhang mit der Erstellung des
Warenkorbs 1970 ankündigte, daß sich
für ihn „die Erkenntnis ergeben (hat),
daß der Warenkorb künftig in kürzeren
Abständen als bisher überprüft werden
sollte”, Aus dieser Ankündigung ist
bisher nichts geworden. Wurde der erste
Warenkorb des Jahres 1955 nach 7 Jah-
ren (1962) erneuert, dieser wiederum
1970 nach acht Jahren modifiziert, so ist
dieser Warenkorb, bei dessen Erstellung
die Haushaltsrechnungen des Jahres
1967 zugrundegelegt wurden, mit 9 Jah-
ren der am längsten unveränderte. Eine
grundsätzliche Anderung ist auch in
nächster Zukunft nicht vorgesehen. Seit
2 Jahren werden lediglich Untersuchun-
— 41b —
gen über die „Kosten für Energie im
Haushalt” und über die „Kosten für
Schulausgaben” in eintöniger Regel-
mäßigkeit angekündigt.’
So wichtig die Beschäftigung mit dem
Warenkorb und damit ist, welcher
„Lebensbedarf’” und welche „Würde
des Menschen” Sozialhilfeempfängern
zugestanden wird, so wenig sollte ver-
gessen werden, daß eine evtl. Neugestal-
tung des Warenkorbs durch den „Deut-
schen Verein” auf den § 4 der Regelsatz-
verordnung Rücksicht nehmen wird. 84
der RegelsatzVO bestimmt, daß „bei der
Festsetzung der Regelsätze (. . .) darauf
Bedacht zu nehmen (ist), daß sie .
unter dem ım Geltungsbereich der je-
weiligen Regelsätze erzielten durch-
schnittlichen Netto-Arbeitsentgelt unte-
rer Lohngruppen . . . bleiben.” ,
Unterhalb dieser Grenze bleibt es
dem Arbeitskreis „Aufbau der Regel-
sätze” vorbehalten, Grundlagen für die
Berechnung der Regelsätze zu erstellen.
Zudem: „Die tatsächlichen Sozialhilfe-
empfänger sowie die Höhe der Unter-
stützungssätze dagegen sind zusätzlich
von politischen Faktoren abhängig,
d.h. der politische Charakter der Kri-
senbewältigung bestimmt, ob und wie
Zugangsbarrieren und Fürsorgerestrik-
tionen ab- oder aufgebaut werden.''’’
Wurde eine Anhebung der Unterstüt-
zungssätze in den 60er Jahren auf
Grund von wirtschaftlichem Wachstum,
Vollbeschäftigung und Lohnexpansion
zugestanden, so dürfte das Sozialhilfe-
system jetzt „am Ende einer Liberalisie-
rungsphase angelangt sein.“*
„Sind die Armen friedlich, bekommen
sie gar nichts, sind sie aber rebellisch,
bekommen sie manchmal ein wenig’
„A placid poor get nothing but a turbu-
lent poor sometimes get something”,
mit dieser Einschätzung endet die
Untersuchung von Piven/Cloward über
„Die Politik der öffentlichen Wohl-
fahrt” in den USA”, Ansätze einer Be-
wegung von Sozialhilfeempfängern sind
gegenwärtig in der BRD erst im Ent-
stehen begriffen*° und öffentlich noch
nicht ausmachbar. Eine solche Bewe-
gung gegen die restriktive Sozialpolitik
ist aber in der gegenwärtigen (finanz)-
politischen Situation wunabdingbare
Voraussetzung zur Erlangung von Lei-
ANMERKUNGEN
I) Vgl. Flugblatt des AKS Frankfurt und die Reaktion
der Frankfurter Sozialbürokratie, in: Informations-
dienst Sozialarbeit 21, Offenbach 1978, S. 51 ff, Brief
mit Unterschriften von 49 Sozialarbeitern in: „Brenn-
punkt"-LAG Zeitung 3/1978, S. 6, hrsg. von „Lan-
desarbeitsgemeinschaft soziale Brennpunkte Hes-
sen”,
2) Mitteilungen des Deutschen Städtetages vom 21.5.75,
S. 143.
3) Süddeutsche Zeitung vom 25.11.1975.
4)Utz Krahmer, „Menschenwürde zu teugs”, in: päd.
extra sozialarbeit, Heft 7/8, 1978, S. 30-33; vgl. ferner
Stephan Leibfried, in: Piven/Cloward, Regulierung
der Armut — Die Politik der öffentlichen Wohlfahrt,
insbesondere die ausführliche Literaturübersicht zur
„Strukturbereinigung” in der Sozialhilfe in Fuß-
note 12.
ENTF Lange, Armut im Alter, Weinheim 1978,
6) Unveröffentl. Ergebnisse einer Umfrage der „Landes-
arbeitsgemeinschaft soziale Brennpunkte Hessen”.
7)H. Strang, Erscheinungsformen der Sozialhilfe-
bedürftigkeit, Stuttgart 1970, S. 55.
8)ebenda, S. 219.
9)Münstermann, Schacht, Young, Armut in Deutsch-
land, in: Böhret u.a. (Hrsg.), Gleiche Chancen im
Sozialstaat ?, Opladen 1975, S. 27 ff.
10) Bujard/Lange, a.a.0., S. 9.
Il)ebenda, S. 101.
12) Dokumentation des Verbands alleinstehender Mütter
und Väter, Landesverband Berlin, Sommer 1978,S.2.
13) Informationsdienst Sozialarbeit, a.a.O., S. 54.
14) Petersen, Die Regeisatze nach dem BSHG, Ihre Be-
deutung, Bemessung und Festsetzung, in: Kleinere
Schriften des Deutschen Vereins, Nr. 43, 1972.
15)Die prozentuale Aufteilung ist den „Frankfurter
Richtlinien”, 2020/5, Januar 1975, entnommen. Die
Aufteilung ın den „Frankfurter Richtlinien” ent-
spricht geringfügig auf- oder abgerundet einer pro-
zentualen Umrechnung der vom „Deutschen Verein”
veröffentlichten „Monatlichen Aufwandbeträgen in
DM zur Ermittlung des notwendigen Lebensunter-
* für das Jahr 1970, in: Petersen, a.a.O., Anlage 7
16)Das soziale Bild der Studentenschaft in der BRD,
8. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks,
hrsg. vom Bundesminister für Bildung und Wissen-
schaft, Bonn 1978, S. 107.
I7)ebenda.
18) Barmer Ersatzkasse, „Wiege-Aktion” 1974-1977.
19)8. Erfahrungsbericht der Zentralstelle für rationelles
Haushalten, Bonn 1978, S. 68.
20) Vgl. päd.extra sozialarbeit, Heft 7/8, 1978, S. 28 ff.
21) Vgl. Petersen, a.a.O., Anlage 5, S. 80.
22) Petersen, a.a.O., S. 42.
23) Vgl. Petersen, a.a.O., Anlage 4, S. 78.
24) Vgl. Petersen, a.a.O., Anlage 6, S. 82.
25)Monatliche Aufwandbeträge in DM zur Ermittlung
des notwendigen Lebensunterhalts des Stat. Landes-
in
stungsverbesserungen bzw. zur Abwehr
weiterer Verschlechterungen; denn:
„Über das Fleisch, das (. . .) in der
Küche fehlt, wird nicht in der Küche
entschieden” (Bertolt Brecht). $
amtes Hessen, September 1978 (unveröffentl.).
26)ebenda.
27) Verbraucherpreise und Preisindizes der Lebenshaäl-
tung in Hessen des Stat. Landesamtes Hessen, Sep-
tember 1978.
28) Petersen, a.a.O., S. 30.
29)ebenda, S. 32.
30) Werkentin, Die Quantifizierung der Würde des Men-
schen im Rahmen des BSHG, in: Kritische Justiz,
Heft 3, 1974, S. 296.
31) Vgl. Wirtschaftsrechnungen, Einnahmen und Aus-
gaben ausgewählter privater Haushalte, Stat. Bun-
desamt Wiesbaden, Erläuterungen.
32)Möglichkeiten und Grenzen der laufenden Wirt-
schaftsrechnungen, in: wirtschaft und statistik, 1972,
S. 322.
33) Wirtschaftsrechnungen, a.a.O., Erläuterungen.
34)NDV, 1971, S. 46.
35S)NDV, 1971, S. 48.
36) Vgl. Geschäftsbericht des Deutschen Vereins 1976/77
S. 8.
37)Monika Fuhrke, Sozialpolitik in der Krise, in: Pro-
bleme des Klassenkampfs, Nr. 33, Berlin 1978, S. 18.
38) Stephan Leibfried, a.a.O., S. 15.
39) Pıven/Cloward, a.a.0., S. 390.
40) Vgl. päd.extra sozialarbeit, Heft 7/8, 1978; vgl. ferner
die Dokumentation zur zentralen Veranstaltung der
„Landesarbeitsgemeinschaft sozialer Brennpunkte
Hessen” am 30.9.1978 in Wiesbaden, an der 500 So-
zialhilfeempfänger teilnahmen. Zu beziehen über:
„LAG", Moselstr. 25, 6000 Frankfurt 1.
Ulf Luers
EIN DEUTSCHER VEREIN
— Jubiläum des Deutschen Vereins
für öffentliche und private Fürsorge —
Herr Deutsch trifft wieder mal seinen Verein:
Ach, Sie haben sich ja gar nicht verändert!
Erstaunt dieser: Ja, sollte ich das denn?
(Sehr frei nach B. Brecht)
NOT MACHT ERFINDERISCH
Vor hundert Jahren, Bismarck hatte gerade sein Gesetz "gegen die ge-
meingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" erlassen, da
trafen sich in Berlin eine Reihe Männer und gründeten einen Verein
zur Armenpflege mit dem Grundsatz:
"Es genügt nicht, dem Bedürftigen das Unentbehrliche an Nahrung,
Kleidung und Obdach zu gewähren. Es muß vielmehr würdige Aufgabe
der Armenhilfe sein, entweder zu verhüten, daß eine derartige Bedürf-
tigkeit eintritt oder, wenn sie eingetreten, dahin zu wirken, daß
ihre Folgen schnell wieder beseitigt werden und die wirtschaftliche
Selbständigkeit wieder hergestellt wird".
(Zitiert nach einer Pressemitteilung des DV von 1980)
Dieses Verständnis,meint der Jubilar heute, sei "wmälzend neu" ge-
wesen und er sei noch heute dieser Leitidee verpflichtet. Doch halt:
Wer nun die Schlußfolgerung gezogen hat, da hätten sich soziale Er-
neuerer vor hundert Jahren heimlich getroffen und mutige Bekenntnisse
abgelegt, der irrt leider sehr. Die Männer waren Herren (Frauen
stießen erst Jahre später hinzu, und sie waren "führende" Persön-
lichkeiten ihrer Zeit, die sich auf einem Kongreß zum Thema "Maßnah-
men zur Unterdrückung der Bettelei'" in Berlin zusammenfanden. Und
erst wenn man sich die Protokolle der ersten und der nachfolgenden
Konferenz (en) ansieht, wird deutlich, warum Bedürftigkeit verhütet
und ihre Folgen beseitigt werden sollen: "Zum Schutz der Armenbehör-
den gegen Mißbrauch" durch "Faule, Arbeitsscheue und Landstreicher".
Bereits 1881 beschloß auf Antrag von Staatsminister Dr. Friedenthal
der Deutsche Verein (DV) den Reichskanzler zu ersuchen, gesetzlich
wieder die seit 1855 entfallene Möglichkeit zu schaffen, "ohne vor-
gängige gerichtliche Prozedur", also durch Verwaltungsakt der örtli-
chen Armenbehörden "Personen, welche Unterstützung aus Öffentlichen
Armenmitteln erhalten und das Empfangene unnütz verwenden" in das
Arbeitshaus zu "überweisen" (siehe Kasten).
In einer ersten Würdigung der Tätigkeit des DV wurde beklagt, daß
diese und viele nachfolgenden Eingaben einen wirksamen "Schutz der
Armenbehörden gegen Mißbrauch" noch nicht erbracht haben. (Zitat aus
Oertzen, 1898, S. 95 ff).
—
Esging also nicht um die Bedürfnisse der Armen, obwohl einer der Ini-
tiatoren der Vereinsgründung sich in einer Denkschrift, die den An-
stoß zur ersten Zusammenkunft gab, auf diese berief (DOELL 1879).
Wenn man sich die Themen der Versammlungen (ab 1920 Fürsorgetage be-
nannt) ansieht und, noch deutlicher wenn man die Protokolle der Jah-
resversammlungen und die Entschließungen der ersten Jahrzehnte des
DV ansieht, so wird ersichtlich, daß es vor allem um zwei Probleme
ging, die die Herren Stadträte, Beigeordnete und Bürgermeister so-
wie die auch beteiligten Geheim- und Regierungsräte, Prälaten und
Direktoren immer wieder beschäftigten:
© Die Frage der "gerechten Kostenverteilung" zwischen örtlichen Trä-
gern der Armenfürsorge und überregionalen Verbänden der Länder. Hier-
bei spielte vor allem der Streit eine Rolle, ob das konservativere
Heimatprinzip oder der jeweilige Wohnort ausschlaggebend sein sollten.
Ebenso wichtig war aber auch
® die Hoffnung auf Kosteneinschränkungen durch neue gesetzliche Re-
gelungen zur zwangsweisen Unterbringung und Beschäftigung der Wohn-
sitzlosen. Nahtlos von 1881 bis in die Zeit des Nationalsozialismus
zieht sich die Forderung nach einem Arbeitsscheuengesetz durch die
Verhandlungen des DV.
Es ist schon beeindruckend, wenn man verfolgt, wie die Honorationen
sich stunden- und tagelang darüber stritten, ob "der Arme im einzel-
nen Pflegefall eine größere Belastung für die Ortseimwohner hervor-
bringt" (zitiert nach Bericht von 1890) oder nicht und wie man es
verhindern kann, daß er dahin wandert, wo seine Unterstützung mögli-
cherweise anderen anheimfällt (nicht etwa: wo es für ihn günstiger
wäre!),
Doch auch heute noch spielt die Frage der Kostenverteilung eine Rol-
le in der Tätigkeit des Deutschen Vereins. So zeigt ein Blick in die
Sammelhefte der Gutachten zum Sozial- und Jugendhilferecht, daß zum
Beispiel der DV 1968 ein Gutachten zur Frage "wer die Kosten für die
Übernachtungs- und Verpflegungsstätte für Nichtseßhafte zu tragen
hat" (DV Kleine Schriften Heft 37, S. 72) erarbeitete.
> *
—EXW
—
Re nn
Die Sachverständigen des Deutschen Vereins bei der Erstellung eines Gutachtens
100 Jahre Deutscher Verein — 69. Deutscher Fürsorgetag 1980
— Gesamtthema: Soziale Arbeit — Soziale Sicherheit —
Zeitplan Programm
Mittwoch, 23.April 1980 Themenbereiche:
(Referat/Informations- und Diskus-
11.00 Uhr sionsgruppen )
Eröffnung des Deutschen Fürsorgetages * Familie im System der sozialen
Sicherheit
ab 13.30 Uhr * Familienunterhalt und Sozial-
Eröffnung ‘Treffpunkt - Information leistungen
und Gespräch” /Besichtigung sozialer * Ausländische Arbeitnehmer und
Einrichtungen ihre Familien
ab 16.00 Uhr * Jugendhilfe in der Reform
Festakt loo Jahre Deutscher Verein * Aufgaben kommunaler
Sozialplanung
Donnerstag, 24. April 1980 * Ambulante soziale Dienste
* Soziale Sicherheit im Alter
9,00 — 17.30 Uhr * Integration Behinderter und
psychisch Kranker
Beratungen in 9 Themenbereichen * Soziale Berufe zwischen Generali-
sierung und Spezialisierung
Freitag, 25. April 1980
9,00 — 10.30 Uhr Abstimmung der Ergebnisse in den Themenbereichen
11.00 — 13.30 Uhr Schlußveranstaltung
Nähere Informationen: Deutscher Verein, Am Stockborn 1-3, 6 Frankfurt
ÜBERLEBEN IST ALLES
Nun ist das ja durchaus eine für die Administrationen notwendige Ar-
beit, und es wäre sicher nicht richtig angesichts einer Fülle von
Gutachten und sonstigen Tätigkeiten, hieraus alleine Folgerungen für
die heutige Bedeutung des DV zu ziehen. Dennoch: Wie immer man seine
heutige Arbeit bewerten will, sie ist nicht verständlich ohne die
Hintergründe der Entstehung, und ohne die seit dieser Zeit wesentlich-
sten Impulse zu würdigen. Das liegt offensichtlich auch ganz im Sinne
des DV selbst, der so stolz auf seine Tradition ist und sich so deut-
lich auf die Verdienste seiner früheren Vorsitzenden, vor allem auf
Wilhelm Polligkeit und Hans Muthesius, bezieht.
Verein und Vorsitzende verstanden es, eine Strategie des Überlebens
und der Ausweitung in so verschiedenen Staatsformen wie Monarchie,
Republik, Faschismus und parlamentarische Demokratie zu entwickeln.
Der Deutsche Verein (für Armenpflege und Wohltätigkeit, ab 1919: für
öffentliche und private Fürsorge) entwickelte sich nach und nach von
—
“ELEMENTE UNSCHÄDLICH MACHEN”
100 Jahre Fürsorgeerziehung = 100 Jahre Zwangsmaßnahmen
Schon im 2. Jahr seines Bestehens beschloß der Deutsche Verein für Armen-
pflege und Wohltätigkeit (heute: für öffentliche und private Fürsorge):
“die Königliche Staatsregierung zu ersuchen, der Gesetzgebung eine Bestimmung einzufügen,
wonach es in ähnlicher Weise, wie nach dem preußischen Gesetze vom 21. Mai 1855
Art. 13 der Fall war, den Behörden wiederum zustände, arbeitsfähige Personen, welchen
zu ihrem eigenen Unterhalt oder zum Unterhalt ihrer Familie öffentliche Unterstützung
gewährt werden muß, ohne vorgängige gerichtliche Prozedur
durch eine Verwaltungsprozedur, welche mit Garantien des Schutzes
gegen etwaige Willkür ausgerüstet ist, zur Arbeit innerhalb oder außerhalb des Arbeits-
hauses anzuhalten.” (Zitiert nach DV 88. Heft, 1909 S. 3)
Dieser Antrag wurde mehrfach wiederholt (1883, 1887, 1898).
Als dennoch im Reichstag rechtsstaatliche Bedenken geäußert wurden,
variierte Landsberg unter Berufung auf mehrere Schriften des DV die Vor-
stellungen:
Der Arbeitsscheue sei bis zu einem gewissen Grade der Willkür des betreffenden Unterneh-
mers unterworfen, damit dieser direkten Zwang zur Arbeit gegen ihn ausüben
kann. Nur “schwere” Mißhandlung werde dem Arbeitgeber untersagt. Die Widersetzlich-
keit des Arbeitsscheuen gegen den Arbeitgeber, ebenso wie die Flucht, werde als Verge-
hen und zwar, statt mit Haft oder Gefängnis, mit Arbeitshaus bestraft. Den Arbeitslohn
zahlt der Unternehmer an die Gemeinde oder einen autorisierten Verein bar aus, der
Verein beziehungsweise die Gemeinde reicht dafür der Familie des Arbeitsscheuen und
diesem in Höhe des Lohnes Naturalverpflegung. Dieser Zustand des Arbeitsscheuen soll
befristet sein, ist aber für den zweiten Rückfall bis zur Erledigung der Abhängigkeit der
Familie des Arbeitsscheuen von dessen Erwerb auszudehnen. Diese Behandlung des Ar-
beitsscheuen ist keine Strafe, sondern lediglich eine Maßregel der Zweckmäßigkeit, wie
die Internierung eines Irren in der Irrenanstalt. ...
Die Hauptsache aber ist es, die so gefährlichen Personen dauernd unschädlich zu machen,
ohne sie in einer der Humanität widerstrebenden Weise zu behandeln. Die geschehe
durch dauernde Verwahrung 1) in einer Arbeitsanstalt oder durch Deportation zu einer
überseeischen Straf- und Arbeitsanstalt, nicht zur “Strafe”, sondern zum Zweck der Si-
cherung. (Landsberg 1896, S. 21 u. 41)
Und endlich wird wenigstens in Preußen durch das sogenannte “ Arbeitsscheuen-
gesetz” von 1912 den sich “gegenüber den Faulen in Not und Drangsal befinden-
den Armenverwaltungen” geholfen:
$ la. Wer selbst oder in der Person seiner Ehefrau oder seiner noch nicht 16 Jahre alten
Kinder aus öffentlichen Armenmitteln unterstützt wird, kann auch gegen seinen Willen
auf Antrag des unterstützenden oder des erstattungspflichtigen Armenverbandes durch
‚Beschluß des Kreis- (Stadt-) Ausschusses für die Dauer der Unterstützungsbedürftigkeit
in einer öffentlichen Arbeitsanstalt oder in einer staatlich als geeignet anerkannten Privat-
anstalt untergebracht werden.
Also ohne Gerichtsverfahren. Doch das ging dem DV noch nicht weit genug,
zumal nicht alle Länder folgten. Zwar wurde unmittelbar nach dem Kriege zu-
nächst nur die “ Anstaltserziehung für sittlich gefährdete oder verwahrloste
Jugendliche” (Polligkeit 1920) gefordert, doch schon ab 1922 setzte der DV
eine Kommission für ein ““Bewahrungsgesetz”, wie es jetzt hieß, ein, die 1926
eine Eingabe an die Reichsregierung formulierte:
“Mit großer Genugtuunghaben unser Verein und die in ihm vertretenen Fachkreise davon
Kenntnis genommen, daß die Reichsregierung die Vorarbeiten für ein Bewahrungsgesetz
in Angriff genommen hat. Ein solches Gesetz wird seit Jahren als notwendige Ergänzung
des Systems der Fürsorge empfunden, um Personen, die infolge geistiger oder psychischer
Mängel verwahrlost sind oder zu verwahrlosen drohen, von der Gefahr der Verwahrlosung
und ihrer Folgen zu schützen, zugleich auch die Kosten herabzumindern, die heute in
Staat und Gesellschaft durch das gemeinschädliche Verhalten solcher Personen verursacht
werden. Das Fehlen eines solchen Gesetzes macht es heute unmöglich, eine wirksame Be-
kämpfung des ungeordneten Wanderns, des Landstreichens und der Prostitution aufzuneh-
men, da sich gerade unter diesen Personen solche befinden, bei denen der Hang zu einem
ungeordneten, arbeitsscheuen oder liederlichen Lebenswandel auf geistigen oder psychischen
Mängeln beruht. Wir begegnen solchen haltlosen Menschen ferner unter den Gruppen der
Trunksüchtigen und sonstigen Rauschgiftkranken und auch unter den Geschlechtskranken.
Schließlich sind die Fälle nicht selten, in denen geistesschwache oder sonst psychisch defek-
te uneheliche Mütter immer wieder das Opfer einer Verführung werden und ihre meist
ebenfalls psychisch defekten Kinder der öffentlichen Fürsorge überlassen. Es kann kein
Zweifel darüber bestehen, daß das Fehlen der Möglichkeit, solche haltlosen Personen zu
ihrem eigenen Schutz in Bewahrung zu nehmen, eine dauernde und schwere Belastung der
Öffentlichkeit darstellt. (Aus Nachrichtendienst des Deutschen Vereins (ND) von 1926
S. 346)
Immer wieder wurde ein “Zusammenwirken” der Fürsorgeträger “mit Polizei
und Gericht gegenüber Arbeitsscheuen, Landstreichern und Bettlern’’gefordert,
um ‘die Freizügigkeit zu beschränken’ (ND 1930, S. 315). Die Gedankenwelt
des Faschismus begann nicht erst 1933, sie erhielt sodann nur einen deutliche-
ren Ausdruck und der Deutsche Verein wirkte mit. In einer Festschrift des DV
zum Thema “Arbeitseinsatz und Arbeitserziehung durch Fürsorge, mit dem vor-
angestellten Leitmotiv ‘Die deutsche Fürsorge hat sich zur nationalsozialisti-
schen Hilfe der Gemeinschaft und Erziehung zur Gemeinschaft gewandelt’’,
schrieb Hans Muthesius eine zeitgemäße Begründung zur ‘“Pflichtarbeit” als
“Maßnahmen des Fürsorgeamtes, die als Auslese- und Erziehungsmittel uner-
läßlich sind”. (1938, S. 22) Und 1938 schrieb Baumgärtner in einem Beitrag
zur Schrift “Der nichtseßhafte Mensch” (Mitautoren: Reichsminister Frick
und Polligkeit):
Es finden sich unter den mittellosen Wanderern in der Tat zahlreiche gefährliche Gewohn-
heitsverbrecher, die bei ihrer unsteten Lebensweise eine besondere Bedrohung für die
Volksgemeinschaft bedeuten. Die aktiven Verbrechernaturen bleiben allerdings weit hin-
ter dem Heer der Gewohnheitsverbrecher aus Schwäche zurück. Doch auch diese
“Schwächlinge’” sind nicht minder ernst zu nehmen. 347) Zwar begehen sie nur leichte
Delikte, weil ihnen die Kraft zur schweren Kriminalität fehlt. Für die Volksgemeinschaft
aber sind auch sie in gleicher Weise eine Gefahr. 348) Ihre Gefährlichkeit ist ihre schuld-
hafte Lebensführung, ihr gemeinschaftsbelastender Zustand. 349) Bettel und Landstrei-
cherei sind lediglich die Symptome dieser chronischen Gefährlichkeit.
Diesem Autor, der sich ausdrücklich auf Polligkeit bezieht, gingen die Gesetze
des NS-Regimes noch nicht weit genug:
“Die unverbesserlichen, gewohnheitsmäßigen arbeitsscheuen Vagabunden, die Psychopa-
then, die nicht unter die Geisteskrankheit und Geistesschwäche fallen, sind auf die Dauer
zu bewahren.” (aaO S. 115)
Doch kaum ist das 3. Reich zusammengebrochen, da fordert eine Referentin
auf einer Tagung des DV “zur Überwindung der deutschen Volksnot’ Verord-
nungen
“zur Unterbringung verwahrloster Frauen und Mädchen.... Die zuständigen Stellen sollen
„ermächtigt werden, Frauen und Mädchen über 18 Jahren, die durch ihren Lebenswan-
del zur Verbreitung von Geschlechtskrankheiten beitragen und damit eine Gefahr für die
Volksgesundheit bedeuten, oder die sonst verwahrlost sind, aufzugreifen und in einer
entsprechenden Anstalt einer geregelten Arbeit, einem geordneten Leben und einer er-
zieherischen Beeinflussung zuzuführen’ (DV Heft 1, Reihe B, 1947 S. 58)
Auch für die “männlichen Jugendlichen” von 18-25 Jahren werden zur Gewöh-
nung an “geordnete Arbeit” wieder “ Arbeitserziehungsanstalten’’ gefordert.
(Ebenda, S. 59)
einer zunächst mehr losen Zusammenkunft honoriger Herren zu einer
mächtigen Organisation mit fast 100 Mitarbeitern, über 2 500 Mitglie-
dern, einer eigenen Akademie und Tagungsstätte.
Einfluß beruhen vor allem auf zwei Strategien:
Seine Erfolge und sein
® Eine breit gefächerte Mitgliederstruktur aus Kommunen, Staatsadmi-
nistrationen, Wohlfahrts verbänden und Einzelpersonen (von Wissen-
schaft, Wirtschaft und Pensionären), die bei aller Streuung doch
der Repräsentanten der Kommunen und
stets vor allem vom Interesse
Kommunalverbände beeinflußt wurde. Diese Verbindung von persönli-
chen Privilegien und delegierter Macht ist zwar auch in vergleich-
baren Verbänden vorfindbar, jedoch nirgendwo so geballt vereinigt
wie im Deutschen Verein. Das bedeutet aber zugleich: Es ist nicht
der Verband, der real von Armut und Fürsorge Betroffenen, sondern
der ihrer Verwalter.
è In seiner Aufgabenstellung hat sich der Deutsche Verein stets vor
allem als Clearingstelle der Zuständigkeiten und lange als eine
Vereinigung zum Schutze der Kommunen bzw. der Abwehr neuer Belastun-
gen verstanden und soweit hierzu inhaltlich Positionen zur Legiti-
mierung erforderlich waren, standen sie stets im Einklang mit den
vorherrschenden zeitgeschichtlichen Strömungen mit einer hinter
den Erfordernissen der Zeit nachhinkenden Bereitschaft zu Reformen.
DIE OFFIZIOSE SCHALTSTELLE
hl korporative als auch persönliche Mitgliedschaf-
ten. Gegründet von einer Reihe Einzelpersonen, überwiegend in kommu-
naler Armenfürsorge tätig traten ihm sehr bald Gemeinden, Gemeinde-
verbände und öffentliche Landesorganisationen und nur zögernd auch
kirchliche und sonstige Träger der Armenfürsorge bei. Sieben Jahre
nach der Gründung gehörten ihm 146 Städte, 19 kommunale und landes-
rechtliche Träger an, dagegen nur 27 Vereine, vorwiegend solche mit
dem Titelzusatz "gegen Bettelei", ferner rund 150 Einzelmitglieder,
durchweg mit wohlklingenden Titeln, darunter eine Reihe bekannter
Industrieller.
Heute zählt der DV neben 1 140 Einzelpersonen, 631 Städte, Kreise,
Gemeinden und kommunale Ämter, 65 Bundes- und Landesbehörden, sowie
713 Verbände, sonstige Organisationen und Betriebe zu seinen Mitglie-
dern (Stand: 1977). Es sind also sehr viel mehr Verbände und Betrie-
darunter fast alle Dachverbände konfessioneller
Dennoch bilden die Städte den größten
geschlossenen Block in der Mitgliedschaft. Und um die traditionelle
Gewichtung aufrecht zu erhalten wurde 1976 eine Satzungsänderung be-
schlossen, nach der künftig die Gemeinden (und anderen kommunalen
Instanzen), Bundes- und Landesbehörden sowie die Bundes- und Landes-
verbände der Wohlfahrtspflege jeweils 3 Stimmen je Mitgliedschaft
zählen. Dies gilt nicht für örtliche und Kreis-Verbände der sogenann-
Der DV kennt sowo
be dem DV beigetreten,
und paritätischer Wohlfahrt.
ten freien Träger.
Hieraus, wie auch aus der Zusammensetzung der Vorstände ergibt sich
die Dominanz der kommunalen Interessen, zumal auch sehr viele der
Einzelmitglieder pensionierte oder aktive Kommunalpolitiker sind,
Zwar hat sich der DV wiederholt zum subsidiären und auch pluralisti-
— 48 —
schen Prinzip bekannt, zugleich hat er aber auch für sich in Anspruch
genommen, über die Interessen einzelner Spitzen- und Fachverbände
hinweg eine Art "offiziöse Schaltstelle"zu sein. Schon 1912 begrün-
dete Wilh. POLLIGKEIT den Vorrang öffentlicher Fürsorge mit einem
Führungsanspruch gegenüber der freien Wohlfahrtspflege, wobei er
dies noch nicht auf den DV bezog und Weisungsbefugnis ablehnte.
Später, und inzwischen für Jahrzehnte der massgebliche Mann des DV,
sprach er sich für eine Art "Flurbereinigung'"
unter den Fachorganisationen aus, die nebeneinander und oft in Unkennt-
nis voneinander arbeiten. Da er jedoch richtig sah, daß der Versuch,
die "einzelnen Fachorganisationen in unseren Verein einzugliedern
...an den Widerständen ... scheitern würde", entwarf er die Vorstel-
lung einer besseren "Arbeitsteilung im Zusammenwirken" und ihm
schwebte eine Art ständiger "Ältestenausschuß" vor. (Zitate nach ND
1927, S. 270). Dieses Ziel haben dann die Nationalsozialisten auf
ihre Weise realisiert (und den DV integriert). In der Nachkriegszeit
ist es dem DV dann wieder gelungen, seine Stellung in der BRD so zu
stärken, daß er heute als die mächtigste Organisation im Fürsorgebe-
reich anzusehen ist, so mächtig, daß er alle Versuche der Bundesre-
gierung zu einer Neuordnung des Organisationswesens unbeschadet zu-
rückweisen konnte . (Vgl. LÜERS 1977, S. 268)
DIE OPPORTUNISTISCHE REFORMBEREITSCHAFT
Das Bekenntnis zur Notwendigkeit von Reformen ist im Fürsorgewesen
so alt, wie es Träger der sozialen Arbeit gibt. Dazu waren die Not
der Betroffenen und die Zweifel an den Hilfeformen zu unüberseh-
und hörbar. Auch der DV war stets für Reformen:
© In der Monarchie
zur "Überbrückung der Klassengegensätze" und gegen "selbstsüchtige
Bestrebungen einzelner Bevölkerungsteile" (aus der Gründungsver samm-
lung zitiert nach ND 1930 §. 324) - was im Klartext hieß: der DV
war Teil des Kampfes gegen die Gewerkschaften und Sozialdemokratie.
® In der Weimarer Republik
trat der DV für eine stärkere Berücksichtigung des Individualprin-
zips ein, die Fürsorge sollte von den Besonderheiten des Einzelfalls
ausgehen. Dabei wurden zwar die Finanznöte der öffentlichen Hände,
nicht jedoch die ökonomischen Zwänge des Wirtschaftssystems betont.
® Im Dritten Reich
jubelte POLLIGKEIT als Sprecher des DV: "Was lange Jahre unmöglich
war, tst jetzt erreicht" und erklärte zum neuen Grundsatz "jedem
das Seine, aber nur in dem Maße, wie es das Wohl des ganzen Staates
verlangt". (Zitate nach ND 1933, S. 67) Dieser schnellen Anpassung
verdankte der DV ein zunächst eigenständiges und später ab 1937
in das NS-Regime eingepaßtes Überleben. Rechtzeitig vor dem Kriege
wurde die Frage der Verwendbarkeit des Einzelnen als Soldat oder Ar-
beiter zum Mittelpunkt der Fürsorgetätigkeit erhoben.
© In den ersten Jahren der parlamentarischen Demokratie betonte der
DV das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit und erinnerte zunehmend
—
rwirklichung an die Kriterien der
bei der Diskussion über seine Ve 1
fähigkeit der Träger.
Wirtschaftlichkeit und Leistungs
1äßt sich immer wieder aufzeigen: In vie-
d auch Kommissionsvorschlägen zeigt der
und - selten genug -~ auch progressiven
h stößt er jedoch stets wieder auf die
So kommt es, daß alle inhaltlich
der Hürde der administrativen Kri-
Diese Widersprüchlichkeit
len Einzeldiskussionen un
DV Ansätze einer innovativen
Reformbereitschaft. Letztlic
Grenzen seiner eigenen Struktur.
weiter führenden Diskussionen an
terien der Zuordnung, Abgrenzung und Machbarkeit scheitern.
unistische Anpassungsfähigkeit auch
Offensichtlich ist diese opport t —
ein Ausdruck widersprüchlicher Gestaltung der Sozialpolitik. Die
in ihren Traditionen verharrende Administration muß Defizite der po-
litisch-parlamentarischen Politikgestaltung ausgleichen und es kann
ntanten nicht verargt werden, wenn sie
den im DV versammelten Repräse >
nd mangelnder Ressourcen ım Wider-
sich angesichts vieler Aufgaben u "
spruch zur Reformbereitschaft neuen Tendenzen abwartend gegenüber
verhalten. r —
Sehr befremdlich ist jedoch die völlig unkritische Distanz des DV
Repräsentanten, vor allem Wilh.
zu seiner Geschichte und zu seinen j a ;
POLLIGKEIT und Hans MUTHESIUS. Am Wirken von POLLIGKEIT läßt sich
zeigen, wie fließend die Übergänge von einem System zum anderen wa-
ren und wie wenig Chancen für wirklich neue Anfänge bestanden. Liest
man seine frühen Schriften mit seinem unkritischen Staatsverständnis
und der Sorge vor der "Zersetzung unseres Volkskörpers" (1908, S. 833%
so erklären sich auch die peinlichen Anbiederungsversuche an das NS-
Regime. (siehe auch S. ) Sie waren ja nicht ungewöhnlich.
Ein deutscher Sozialpolitiker, der auch unbestreitbare Verdienste hat -
doch sein Verein tut 1946 so, als habe es die NS-Zeit nie gegeben.
Auch darinein deutscher Verein.
Wie sagte doch POLLIGKEIT schon beim 50-jährigem Jubiläum: "Als
deutscher Verein will er deutsches Kulturgut auf dem beson-
deren Gebiete des Fürsorgewesens pflegen, deutscher Kultur und deut-
schem Volkstum dienen".
LITERATURHINWEISE
l. Schriften des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohltätigkeit,
1881 - 1917
2. Schriften des Deutschen Vereins für
sorge, ab 1920. Hier insbesondere:
lung der deutschen Fürsorge, 75 Jahre
ND = Nachrichtendienst des Deutschen Vereins...
LAMMERS, A.: Staatsarmenpflege, Berlin 1881
OERTZEN, Cl. von: Armenpflege in Deutschland, Gotha 1898
LANDSBERG, J.F.: Bettelei, Landstreicherei und Armenpflege,
Düsseldorf 1896
7. POLLIGKEIT, W.: Das Rec
8. Der nichtseßhafte Mensc
und Menschenordnung im Großdeutschen Reich. Darin Bei
BAUMGÄRTNER, POLLIGKEIT u.a.
9, LÜERS, U.: Im Irrgarten der Sozia
BARABAS, BLANKE, SACHSSE u. STASCHEI
1978, Reinbek 1977
öffentliche und private Für-
1955, Beiträge zur Entwick-
Deutscher Verein
ab 1920
O 60
ht des Kindes auf Erziehung, Dresden 1908
h - Ein Beitrag zur Neugestaltung der Raum-
träge von
1- und Jugendhilfeträger. In:
T: Jahrbuch der Sozialarbeit
Bes
HISTORISCHE DOKUMENTE — AUSZÜGE AUS DEM
NACHRICHTENDIENST DES DEUTSCHEN VEREINS
DER DEUTSCHE VEREIN IM GESCHEHEN SEINER ZEIT
—OFFIZIELLE GESCHICHTSSCHREIBUNG-—
(aus: 75 Jahre Deutscher Verein, C.Heymanns Verlag 1955 )
1935 Der DV erhält eine neue Sat-
zung, die eine Bildung der Ver-
einsorgane nach nationalsozialistischen
Gesichtspunkten vorsieht. Der Leiter
des Hauptamtes für Volkswohlfahrt
der NSDAP beruft den Amtsleiter Alt-
haus zum Vorsitzenden des DV. Prof.
Polligkeit wird gezwungen, seinen Vor-
sitz niederzulegen. Mit dieser Satzungs-
änderung, die den DV dem Einfluß
des Hauptamtes für Volkswohlfahrt
der NSDAP preisgibt, verliert er die
Fähigkeit, innerlich frei und selbstän-
dig nach fachlichen Gesichtspunkten
Fürsorgepolitik zu betreiben.
1936 Die Geschäftsstelle des DV von
Frankfurt a. M. nach Berlin ver-
legt. Der bisherige Geschäftsführer,
Prof. Dr. Polligkeit, wird beurlaubt.
Als Herausgeber des ND zeichnet
Reichsamtsleiter Althaus.
1937 Der DV wird in den „Reichs-
zusammenschluß für öffentliche
und freie Wohlfahrtspflege“ als dessen
wissenschaftliches Organ aufgenom-
men, wobei ihm, wie er bekannt gibt,
die Aufgabe zugedacht sei, insbeson-
dere die Fragen, die für die Zusam-
menarbeit zwischen öffentlicher und
privater Wohlfahrtspflege von Bedeu-
tung sind, in der bisherigen Weise
wissenschaftlich zu bearbeiten und für
die Praxis nutzbar zu machen.
1938 Die Zahl der von der öffent-
31.12. lichen Fürsorge laufend unter-
stützten Personen ist auf
1 462 000 zurückgegangen.
1938 Im DV befaßt man sich mit
Jan. der Frage einer Erweiterung
der gesetzlichen Unterhalts-
pflicht zu einer „Familiennotgemein-
schaft“.
23.— Die Würzburger Tagung des DV
24.5. behandelt u.a. das Thema „Ar-
beitseinsatz und Arbeitserziehung
durch Fürsorge.“ Deutschland hat sich,
wie es in der Motivierung dieser The-
matik heißt, vom „Wohlfahrtsstaat
zum Arbeitsstaat“ entwickelt. „Die kol-
lektive Fürsorge hat sich zur national-
sozialistischen Hilfe der Gemeinschaft
und Erziehung zur Gemeinschaft ge-
wandelt. Fürsorge ist nicht mehr Mit-
leid mit dem Schwachen, sondern Hil-
fe zum Starkwerden. Die Wohlfahrts-
pflege ist im nationalsozialistischen
Staat besonders darum bemüht, die
von ihr Betreuten zu arbeitswilligen
und arbeitsfähigen Menschen zu ma-
chen, die als Arbeiter in der Nation
ihre Pflicht tun.“
1938 Hitler Oberbefehlshaber der
Wehrmacht.
Nach vorheriger Zustimmung Groß-
britanniens, Frankreichs und Italiens
im Münchener Abkommen Vereini-
gung des Sudetenlandes mit dem Deut-
schen Reich.
‘Nationalsozialisten organisieren am 8.
und 9. November Ausschreitungen ge-
gen die Juden. Die systematische Ver-
folgung der Juden durch die Macht-
haber des 3. Reiches endet mit dem
Tode von Millionen in Vernichtungs-
lagern.
—
MITTEILUNG DES VORSTANDES VOM 8.MAI 1933
(aus: Nachrichtendienst des DV S.66/1933)
An die Mitglieder unseres Vereins.
Von dem ernsten Willen beseelt, audı die Arbeit im Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorzı
in den Dienst der nationalen Erhebung und des Aufbauwerkes der Reichsregierung zu stellen, hat unter dem
24. März ds. Js. eine Reihe von Vorstandsmitgliedern den Antrag gestellt, in Verfolgung dieses Zieles zunächst
die Organe des Vereins (Vorstand und Hauptausschuß) neu zu bilden. Mit allen gegen eine Stimme hat darauf-
hin der Vorstand unter Niederlegung seiner Aemter mir bis auf weiteres die Funktionen des Vorstandes im
Sinne der Vereinssatzung übertragen und midı zugleich beauftragt, zur gegebenen Zeit die Neuwahl des Vor-
standes und Hauptausschusses des Vereins in die Wege zu leiten. Im Falle einer Verhinderung werde ich durdı
Herrn Schatzrat Dr. Hartmann vertreten,
Die Neuwahl des Vorstandes, die satzungsgemäß durch den Ilauptausschuß zu erfolgen hat, setzt eine
Neubildung des Hauptausschusses voraus, da dieser durdı das Ausscheiden zahlreidıer Mitglieder zusammen-
geschrumpft ist und in seiner Zusammensetzung nicht die Kräfte umfaßt, die für eine Beteiligung des Vereins an
dem bevorstehenden Aufbauwerk unentbehrlich sind. Die für diese Wahl zuständige Mitgliederversammlung wird
erst Wahlen vornehmen können, wenn in den Kommunalverwaltungen, aus deren Kreisen sidi die Mitglieder des
Hauptausscdusses zu einem erheblichen Teil zusammensetzen, eine endgültige Besetzung der Fachdezernate fü:
Wohlfahrtspflege erfolgt ist. Aus diesem Grunde ist ein Ueberleitungsausschuft gebildet worden, dem folgende
Personen beigetreten sind:
Professor Dr. Polligkeit, als Vorsitzender
Öberbürgermeister Dr. Neinhaus, Heidelberg
Landrat Dr, Röhrig, Weimar
Pfarrer Dr. Stahl, Wiesbaden
komm. Präsident Dr. Storck, Lübeck.
Pfarrer Wendelin, Dresden.
Landesdircktor von Arnim, Berlin
1. Bürgermeister Fiehler, München
Schatzrat Dr. Hartmann, Hannover
Prälat Dr. Kreutz, Freiburg
Landrat Matthaei, Recklinghausen
Der Überleitungsausschuß hat am 29. April und 5. Mai in Berlin getagt und mir Vollmacht erteilt, die Geschäfte
des Vereins bis zur Neubildung der Vereinsorgane fortzufübren. Weiterhin ist der Hauptausschuf des Verein:
für aufgelöst erklärt worden. Bis auf weiteres übernimmt der Überleitungsausshufi die Aufgaben des Haupt-
ausschusses, Eine Neufassung der Vereinssatzungen ist in Vorbereitung, Zur Genehmigung dieser neuen Satzung
und zur Vornahme von Neuwahlen wird zu gegebener Zeit eine Mitgliederversammlung einberufen.
Getreu seiner jahrzehntelangen Überlieferung, gestützt auf das Vertrauen und die lebendige Mitarbeit seiner
Mitglieder wird unser Verein auch in der kommenden Zeit sein Bestes zu leisten suchen im Dienst au den Not-
leidenden und am Gemeinwohl. Neue Aufgaben, aber auch neue Möglichkeiten stehen vor uns, ihre Grüße und
Bedeutung für das von der Reichsregierung begonnene Aufbauwerk habe ich in einem Aufsatz gekennzeichnet,
der die vorliegende Nummer des „Nachrichtendienstes“ einleitet.
Professor Dr. Polligkeit.
Frankfurt a. M., den 8, Mai 1933.
DAS FÜRSORGEWESEN IM AUFBAUPROGRAMM DER REICHSREGIERUNG
( Aufsatz v. Wilhelm Polligkeit in NDV 1/1933, S.66 -67 — Auszüge)
Nach langen Jahren tiefer Enttäuschung durchzieht
eine Welle neuen Hoffens und des Glaubens an eine bes-
sere Zukunft unser Volk. Mit aller Wucht ist der Wille
zum Durchbruch gelangt, gegen die inneren und äußeren
Mächte anzukämpfen, die den Wiederaufstieg Deutsdı-
lands niederhalten. Dieser Wille zur Gegenwehr allein
schon ist ein Erfolg. Denn die seelischen Kräfte zu be-
leben, die unter der Wirkung der letzten Krisenjahre
nachließen und die Gefahr eines Defaitismus zeitigten,
war die unerläßliche Voraussetzung, um in gemeinsamer
Anstrengung die Not der Gegenwart zu überwinden.
— 52
Adolf Hitler, der Führer der nationalen Revolution,
hat unserem Volk dieses Vertrauen in seine eigene Kraft
wiedergegeben. ... Auf der 50-Jahr-Feier un-
scres Vereins, die am 26. November 1950 in Berlin statt-
fand und in ihren Verhandlungen dem Thema „Die
Stellung der Wohlfahrtspflege zur Wirtschaft, zum Staat
und zum Menschen“ gewidmet war, kennzeidinete der
Unterzeichnete als Vorsitzender in seiner Begrüßungs-
ansprache die Zielsetzung des Vereins mit folgenden
Worten:
„Der Name des Vereins ist ein Programm. Als
deutscher Verein will er deutsdies Kulturgut auf
dem besonderen Gebiete des Fürsorgewesens pflegen,
deutscher Kultur und deutschem Volkstum dienen.
Weit über die jetzigen Grenzen unseres Vaterlandes
reichen seine Beziehungen, und wenn wir heute die
besondere Freude haben, Freunde aus ehemals reiche-
deutschen und deutsdıstimmigen Gebieten des Aus-
landes unter uns zu sehen, so sei das ein Anlaf, er-
neut zu bekunden, daß wir unabhängig von politischen
Grenzen und Hemmungen die Erhaltung und Reinhal-
tung deutscher Art im Fürsorgewesen als eine heilige
Aufgabe deutscher Kulturpolitik und damit auch un-
seres Vereins betradıten. _........
Was lange Jahre unmöglich war, ist
jetzt erreichbar. Die straffe Zusammenfassung
der Gesetzgebungsgewalt in den Händen der Reichsre-
gierung ermöglicht eine Neuordnung des Fürsorgewe-
sens, wie es den Zeiterfordernissen entspricht. Nicht
mehr steht die Gefahr abweichender Regelung durch
die Landesgesetzgebung entgegen. Die Gefahren von
Kompromissen, wie sie sidı in den Parlamenten als die
typische Lösungsform herausgebilklet hatten, sind be-
seitigt. Gegenüber dem Gruppenegoismus, der einseitige
Vorteile ohne Rücksicht auf die Benachteiligung anderer
Volksteile erstrebte, steht zur Abwehr der Grundsatz,
daß zwar jedem das Seine gebührt, aber doch nur in
dem Maße, wie es das Wohl des ganzen Staates ver-
langt. Gegen eine Uebersteigerung des Fürsorgegedan-
kens tritt heute mit Recht die Forderung nadı verstärkter
Selbsthilfe und Selbstverantwortung auf. Im Grunde ist
es nur ein Besinnen auf die gesunden Prinzipien wohl-
verstandener Fürsorge. Kampf, Risiko und äußerste An-
spannung eigener Kräfte sind unverzichtbare Bestand-
teile des Lebens.
—
DIE WOHLFAHRTSPFLEGE IM DRITTEN REICH
( Rede des Regierungspräsidenten Matthaei auf der Mitgliederversammlung
vom Februar 1934, abgedruckt in NDV 1934, S.42 ff - Auszüge)
Deutiche Volksgenoſſen, deutſche Xolfägenojjinnen!
Seit der legten Tagung de3 Deutſchen Vereins für offent-
lihe und private Fürforge ift ein gewaltige Gejcheben über
Deutſchland hingebrauft. Jahrelang Ihon mußten ehte Man.
ner und rauen mit Sorge in die Zukunft jeben bei der Ent:
wiclung, welche die Verhältniffe in innen- und außenpoliti
iher Sinficht nahm. Wenn auh der Deutſche Verein fid nie
malg um Politik gekümmert bat, fo gebt es doh nicht an, a!
der politiihen Entwidlung vorbeizugehen und in dem Ginn
weiter zu arbeiten, wie bisher. Das ganze Tenfen und Fühlen
de3 Deutschen Volkes ift durch die nationalſozialiſtiſche Nevo-
lution jo gewaltig umgeſtaltet, dab alles, was wir wollen.
wiinfchen und bandeln, eingeftelt werden muß auf das eine
Biel: die Grundgedanfen deg Nationalloztalismus im Deut-
ihen Wolf zu verwirklichen. Deshalb mijjen wir alle, die mir
in der Moblfahrtspflege arbeiten, uns Far werden über dic
Grundgedanken des Nationaljozialismus und über ihre Mus
wirkung auf die Wohlfahrtspflege. ES iit jelbitverjtändlic.
daf; diejenigen Kreiſe, die früber oft verſucht haben, mit ihren
Ideen im Deutſchen Verein Fuß zu fallen, beute nicht mehr
unter uns weilen. Ste haben aus dem Satzungsentwurf er-
ichen, daß wir diefe Kreiſe nicht mehr unter uns als mii
beratend und mitarbeitend baben wollen.
Als alter Freund dea Vereins, der über ein Sahrzehn:
defien Arbeit bat verfolgen dürfen, zum Zeil aud jelbjt daran
beteiligt war, babe ich erlebt, daß e3 der Vereinsleitung unter
Führung von Profeſſor Polligfeit oft Schwer geweſen ift, fit
der an fie berangetragenen internationalen, pazifiſtiſchen, bon
Humanitätsduſelei erfüllten Gedanfengänge zu eriwehren. Ic:
bebe aber deutlich hervor, day e3 unter der Führung von Prof.
Nolligfeit ausgezeichnet gelungen ift, dieſe Kräfte niederzu-
“alten und fie nicht zur Führung kommen zu laſſen. Für die
Jufunft ift es felbftverftändlid, dağ nur und ausſchließlich
ser Nationalfozialismus als Grundlage der Vereinsarbeit be
rachtet wird,
Sch ſpreche in Ihrer aller Namen, wenn ich aus Anlaß der
eutigen Verſammlung erkläre, daß wir nichts anderes fein
vollen als getreue und zuverläflige Arbeiter am Aufbau des
Dritten Reiches, die nichts andere3 wollen, als ihrem Führer
ldolf Hitler feine ſchwere Arbeit erleichtern. . . ..
Entſchuldigen Sie, wenn ich in meinen Ausführungen im—
mer wieder politiſch werde, aber es ift nötig, um die Haupt—
gefahr aufzuzeigen: die Gefahr der Thjeftivität. Bon woher
fam fie? Vom Judentum. Das Judentum fonnte allein bei
joldjer Objektivität gewinnen, e8 ging davon aus, das deutſche
— —
Volk daran zu hindern, jubjektiv zu fein, und feine eigenen
Ssntereffen, Raſſe und Volfstum in den Vordergrund zu ſtel—
len. Wir Deutichen mit unferer Saglidyfeit find hereingefallen,
wenn wir dem Judentum auf dem Weg der Objektivität ge-
folgt find. Heute wijfen wir, daß dies ein falicher Weg iſt. ....
Wir werden heute dafiir jorgen, daß die Gedanfen des
Nationaljozialiamus fih durchſetzen und daß dem deutichen
Volk, ſoweit es notleidet,befier und durchgreifender gebolfenwird.
Sch babe vorher die Abfichten der. Eozialdemofratie für
Volt und Staat angedeutet. Was ift im Gegenfaß hierau das
einzige Biel unſeres Führers? Volt und Staat fo miteinander
au verbinden, daß es Feine Unterſchiede zwiichen beiden Ne-
griffen mehr gibt, jondern dab jeder Einzelne fidh als Volks—
genoſſe und Teil des Staates fühlt: und nicht Die Mochte an
crite Stelle ſiellt, ſondern die Pflichten. Wir wollen ins Xoli
die VUeberzeugung tragen., dal; Jeder Einzelne niht nur für
ſeinen enaeren Xebensfreis, die Familie, jondern aud fiir die
Geſamtheit dte Verantwortung übernimmt. Drei Geſichts
punkte müſſen für unſere Arbeit maßgebend ſein: Die Wohl
fahrtspflege muß danach trachten, fid ſelbſt überflüſſig au
machen. Das Verantwortungsbewußtſein des Einzelnen fikh
ich und feine Familie muß geſtärkt werden. Wohliahrtspflege
iſt nur Solange und in dem Umfange berechtigt und möglich—
als diewirtſchaftlichen Verhältniſſe hierfür die Mittel übrig baben.
Aus defen Grundſäßtzen ergeben ſich Me Unterſchiede zwi—
iden der früheren Auffaſſung von Wohlfahrtspflege und dem,
was künftig an deren Stelle tritt.
Der Führer hat es zum Gemeingut des Volkes gemacht.
daß jeder ſich gegenüber der Allgemeinheit verantwortlich zu
fühlen bat. Ym allermeiſten miijfen fih die Eltern kinderrei
cher Familien dieſer Verantwortung bewußt fein. Sm prakti—
ſchen Leben beſtätigt ſich, daß jedes Kind mehr eine weitere
Einſchränkung der perſönlichen Bedürfniſſe der Eltern bede-
tet. Es darf nicht ſoweit kommen, daß die geiſtesbeſchränkte
Mutter alljährlich niederkommt, ohne jemals einen Vater an—
geben zu können. Hier fehlt es am Verantwortungsbewußtſein.
Es iſt eine Sünde und Schande, daß wir unſer deutſches Voll
durch erbgeſchädigte Kinder weiter verſeuchen laſſen. Muß hier
nicht der Staat eingreifen? Entſpringt ein Eingreifen nicht
der Verantwortung, die wir unſerm Gott gegenüber übernom—
men haben?
Unſer Führer wird uns alle auf einen Nenner bringen,
Unter der Fülle der uns geſtellten Aufgaben nenne ich
Bevölkerungspolitik, Geſundheitsweſen, Siedlungsweſen. War
es nicht eine Schande, in welchem Umfange die Propaganda
für eine Geburtenkontrolle getrieben wurde? Man vergleiche
nur im Gegenſatz zu den Verhältniſſen der letzten Jahre die
Kinderzahl auf Grund von alten Stammbäumen. Hat man
— 55 —
früher gefragt, ob man fih Kinder leijten fann? Die Propa-
ganda für Geburteneinihränfung geht freilich auf das inter-
nationale Judentum zurüd, das ein Recht verfiindete auf ein
Sichausleben in jeder Hinſicht. Der Nationalſozialismus fagt
dem Ginzelnen, er diirfe fih nur inſoweit ausleben, al3 ba-
durch nicht die Allgemeinheit geichädigt wird.
Man hat die Erziehung der Jugend gröblich vernacdhläfjigt.
Die jungen Mädchen wollten lieber Damen als Dienjtmäd-
hen fein, hatten feine Ahnung von Haushalt und Kinder-
pflege, wenn fie heirateten. Nele gewaltigen Aufgaben bat
die NS-Frauenſchaft zu erfüllen, um die Mädchen zur Haus-
frau und Mutter vorzubereiten und um fie wieder ftola dar-
auf zu machen, diefe Pflichten zu erfüllen. Sie müffen erfen-
nen, daß fie dadurd) an der Zufunft des Volkes mitarbeiten!
Bei der Erziehung der jungen Mädchen hört man öfter3
den Einwand, wir fönnen nicht alle heiraten. Es gibt aud
heute noch typiiche Fyrauenberufe, 3.8. den Beruf der Für-
jorgerin. Freilich muß diejer Beruf im Einne des National-
lezialismug erfüllt werden und im Sinne einer Abkehr von
der materialiittichen Einjtellung. ....
Sd habe verjudht, in großen Zügen die Srundgedanfen des
Nationaljozialismus und ihre Muswirfung auf die Wohl:
fohrtspflege zu zeigen. Adolf Hitler trog feiner Größe wird
die gewaltigen Mufgaben allein niht bewältigen fünnen, wenn
wir nicht alle als feine Soldaten mit ibm fämpfen mit aller
Kraft und mit ganzem Herzen! HSeılSitler!
SCHLUSSWORT DES VORSITZENDEN PROF. POLLIGKEIT
( Mitgliederversammlung Februar 1934, abgedruckt in NDV 1934,
Seite 34 ff. — Auszüge )
Deutihe Volf3genojfen!
Es wird Ihnen, wie mir perfünlid, ein Bedürfnis fein,
unjerem alten Freund und Mitarbeiter Regierungspräfident
Matthaei aufrichtig und berzlidy für jeine Ausführungen zu
danfen. Er hat ung die Grundgedanken und Ziele unferer Mr-
beit dargelegt. Auch wenn er von Einzelheiten und perjönlichen
Auffaſſungen fprad), fo zeigte er dod, dag c zur Zeit nidi
darauf anfommt, über Einzelfragen zu debattieren, jondern,
daß wir uns an die große Linie halten müjjen, daß wir Sol:
daten eines Führers find, Glieder eines Nolfes, Verfechter
eines Gedanfens, verantwortliche Mithelfer an der Erfüllung
cines großen Bieles! Innerhalb unferes Irbeitägebietes
fommt e3 gegenüber mannigfachen Auseinanderſetzungen Im
— 36—
früherer Zeit, gegenüber Streitigfeiten über Cinzelfragen vor
allem darauf an, fih zufammenzufinden in dem Streben, die
Arbeit im Sinne der Nidhtlinien des Führers zu tun. Ich
ſtimme hierin mit den Musführungen von Seren Regierungs—
präjidenten Matthaei völlig überein, möchte fie nur in einigen
Nunften nod) ergänzen... ..
Zu Beginn der Tagung babe ich gelagt, dağ heute nod)
nicht der Nugenblid gekommen ift, um über die äußere Form
su ſprechen, in der die Vereinsarbeit fünftig weitergeführt
werden fann. Xediglich al perjönliches Bekenntnis und nicht
al3 offizielle Stellungnahme unſeres Vereins möchte id) fagen:
Sch habe im Laufe meiner Berufstätigkeit gelernt, dat die
Quellen, die ein Volkstum ſpeiſen, immer von unten heraus und
aus dem Bolte unmittelbar dringen. Es ift unfere Aufgabe, die-
jen Quellen nachzuſpüren. Wir alle jteben vor der Murgabe,
die Kräfte des Volkes zufammenzufafien, um damit ein ein-
beitliches Volfstum zu fihern. Tag Ziel ift von unjerem be-
gnadeten Führer Adolf Hitler aufgezeichnet, der in ciner ge-
nial intuitiven Art jedem Volksgenoſſen flar machte, daß er
jelber das Seine beizutragen habe und daß es darauf an-
fommt, al3 Soldaten des Dritten Reihs in Reih und Glied
zu ftehen. Unjer Führer bat die Arbeit der NS-Volfsmohl-
fahrt ins Leben gerufen, die in der furzen Reit ihres Be-
ſtehen Rieſiges geleiitet hat... ..
Es geht darum, deutiches Kulturgut zu erhalten und, wie
Herr Prafident Matthaei fagte, dem Fiihrer feine ichivere Mr-
beit zu erleichtern. Sollten unſere Dienſte hierzu gebraudt
werden, fol die Arbeit, die wir bisher geleiftet haben, aud
fünftig nutzbar gemacht werden, jo dürfen Sie überzeugt fein,
dag wir mit einem rüdbaltlofen Bekenntnis zum national-
foztaltjtiihen Staat und zu unſerem Führer jteben.
Wir gedenken in diefer Stunde mit Dankbarkeit und Ver-
trauen der Männer, die Deutichland aus feiner Not heraus—
geführt baben. Ein dreifaches Ziegbeil unierem Führer und
"olfsfanzler Wolf itler und unjerem Reichspräſidenten
Generalfeldmarihall von Hindenburg!
= B7
100 JAHRE DEUTSCHER VEREIN —
4 JAHRE INTERESSENGRUPPE SOZIALHILFE KÖLN
"Der Deutsche Verein besteht 1980 100 Jahre. Aus diesem besonderen
Anlaß findet der 69. Deutsche Fürsorgetag im Jubiläumsjahr am Vereins:
sitz in Frankfurt statt. Der Festakt in der Paulskirche und das Kon-
zept des Deutschen Fürsorgetages im Messegelände sind von einem be-
sonderen Vorstandsausschuß und von einer Arbeitsgruppe der hauptamt-
lichen Referenten in der Geschäftsstelle vorbereitet worden. Es wird
im Grundsatz an dem bewährten Tagungsablauf der vorhergehenden Für-
sorgetage festgehalten." (NDV 11/1979)
Und wie sieht der "bewährte Tagungsablauf'" aus? Da werden 3 Tage
lang Reden gehalten: "Fachleute" aus der ganzen BRD werden in 18
Arbeitsgruppen "Soziales" diskutieren; am Schluß gibt's dann ein
Buch, in dem nochmal alles zusammengefaßt wird, was da so an Vor-
trägen und Berichten erzählt wurde. (- Man könnte eigentlich viel
Geld sparen, wenn man gleich das Buch herausgeben würde -)
Und wer sind die "Fachleute"? Das sind u.a. Sozialarbeiter, Verbands-
funktionäre von den Wohlfahrtsverbänden, Ministerialbeamte, Verwal-
tungsleute von den Sozial- und Jugendämtern und, und, und. Die ein-
zigen, die hier fehlen, sind die über die man diskutiert: die So-
zialhilfeempfänger, Rentner, Behinderten, die Frauen aus den Frauen-
häusern. Und warum? Höchstwahrscheinlich weil sie bei soviel "Fach-
leuten" nur stören würden. So wie z.B. beim letzten Fürsorgetag in
Dortmund, wo den Vertretern der Dortmunder Selbsthilfe das Mikrofon
einfach abgedreht wurde! - Denn "es wird im Grundsatz an dem bewähr-
ten Tagungsablauf festgehalten"! - Und wo kämen wir hin, wenn auf
einmal die Leute, über deren Köpfe hinweg der Deutsche Verein Sozial-
politik macht:
® Preis- und Tragezeitlisten für Bekleidungsbeihilfen empfiehlt
® empfiehlt, die Bekleidungsbeihilfen nicht zu pauschalieren, weil
sonst alles zu teuer wird und - Gott sei Dank - noch nicht einmal
die Hälfte der Beihilfeberechtigten ihre Ansprüche geltend machen
auch einmal zu Wort kämen.
Wenn das alles mal bekannter würde, dann wäre sicherlich der "bewähr-
te Tagungsablauf" getrübt.
Und das wollen wir dieses Mal auch machen. Deswegen der Aktionstag,
deswegen gibt es auch uns: die Interessengruppe Sozialhilfe Köln e.V.!
Es ist längst Zeit, den "Fachleuten" mal zu sagen, was sie so alles
mit ihrer Fachlichkeit in den letzten 100 Jahren erreicht haben!
© So wird heute immer noch das KINDERGELD als einziger Bevölkerungs-
gruppe den Sozialhilfeempfängern als Einkommen auf die Sozialhilfe
angerechnet
© So ist es heute noch immer jedem KLEINRENTNER ganz egal, wie hoch
die Rentenerhöhung ist, ob Brutto- oder Nettorente. Denn er ist so-
wieso auf Sozialhilfe angewiesen. Und was bei der Rente erhöht wird,
wird bei der Sozialhilfe gestrichen. Unterm Strich bleibt 0!
—
“ÜBER RECHTE AUFGEKLÄRT”
—Weitverzweigte Aktionsgruppe informiert die Sozialhilfeempfänger—
Von Andrea Lindenau
Mit großem Programm hatte
die „Interessengruppe Sozialhil-
fe e.V," zum Nachbarschaftsfest
ins Gemeindehaus St. Franzis-
kus in Bilderstöckchen geladen.
Gründe zum Feiern gab es ge-
nug: gelunaene Offentlichkeits-
arbeit der Gruppe Nippes, vor
allem der große Erfolg der er-
stellten Broschüre „Tips für So-
zialhilfeempfänger“, die nur von
Betroffenen erarbeitet wurde.
Das Fest war nach einhelliger
Meinung eine gelungene Sache,
die großen Vorbereitungen hat-
ten sich gelohnt. Für nur wenig
Eintrittsgeld — die Künstler
traten alle ohne Honorar auf —
wurde den Besuchern einiges
geboten, vom Schlager bis zum
Rock. Die Nippeser Gruppe
stand auch setbst auf der Bühne:
mit einem selbstgetexteten Lied
nach einer Melodie von den
Bläck Fööss — „Hück es Zahl-
daag om Sozialamp“.
Die Interessengruppe, die in
Köln mittlerweile etwa 80 Mit-
glieder stark ist und in mehre-
ren Stadtteilen Untergruppen
aufgebaut hat, ist entstanden
aus der Erfahruna, daß man ge-
meinsam stärker ist. Die Proble-
me, mit denen man als Sozial-
hilfeempfänger zu kämpfen hat,
sind vielfältig: Es fängt — so
wurde betont — damit an, daß
mancher seine Rechte gar nicht
kennt, geschweige denn weiß,
wie man sie durchsetzen kann.
Der Gang zum Sozialamt ge-
hört für viele Betroffene nicht
gerade zu den angenehmsten
Wegen: Als Gründe nennt die
Interessengruppe die „teils er-
niedrigende Behandlung” durch
die Sachbearbeiter, zu lange
Bearbeitungsdauer auf Grund
Personalmangels, schlechte und
unpräzise Auskünfte.
In diesem Punkt hat die
Gruppe schon eine Reaktion der
Stadt erreicht: Der Leiter des
allgemeinen sozialen Dienstes,
Bernd Mauermann, der auch
zum Fest nach Bilderstöckchen
gekommen war, nannte als po
sitives Resultat der Zusammen-
arbeit eine Schulung für Sach-
bearbeiter, die eine sachgerech-
tere Bearbeitung ermöglichen
soll.
Neben der Wahrnehmung der
bestehenden Rechte formuliert
die Interessengruppe Sozialhilfe
auch darüber. hinausgehende
Forderungen. In erster Linie
fordert sie die Abschaffung der
Anrechnung des Kindergeldes
als Einkommen, denn jeder
deutsche Bürger bekommt un-
abhängig von seinem Einkom-
men für seine Kinder Kinder-
geld — der Sozialhilfeempfän-
ger allerdings bekommt es auf
Heller und Pfennig von den
Beihilfesätzen wieder abgezo-
gen. Um diese Forderung zu un-
terstützen, wurden bisher schon
etwa 1500 Unterschriften ge-
sammelt und beim Fest der
Landtagsabgeordneten Anke
Brunn übergeben, die versprach,
sich entsprechend dafür einzu-
setzen.
In ihrem Treffpunkt an der
Longericher Straße hat die Nip-
peser Gruppe mittlerweile eine
Kleiderkammer eingerichtet —
ein Stück Selbsthilfe, das gro-
ßen Anklang gefunden hat. Ne-
ben der Arbeit verbringen die
Mitglieder auch oft ihre Freizeit
zusammen: Ausflüge und Zelt-
lager wurden schon organisiert,
und ab und zu erlaubt man sich
den für Sozialhilfeempfänger
teuren Spaß des Kegelns.
Besonders stolz sind die Mit-
arbeiter der Interessengruppe
auf ihre Broschüre „Tips für So-
zialhilfeempfänger“,
Kölner Stadtanzeiger v. 25.1.1979
© So werden heute immer noch ALLEINERZIEHENDE FRAUEN diskriminiert.
Wenn sie einen Freund haben, heißt es nämlich: Sozialhilfe gestri-
chen - dein Freund kann zahlen!
und, und, und
Und um dies alles mal zu ändern, um unsere "Fachlichkeit'" als Betrof-
fene und Leidtragende ins Spiel zu bringen, gibt es seit 4 Jahren die
Interessengruppe Sozialhilfe Köln e.V. !!!
Damals haben wir ganz klein in Köln-Chorweiler angefangen. Wir haben
uns mit den damals noch herrschenden Zuständen am örtlichen Sozial-
amt auseinandergesetzt (Lebensmittelgutscheine gab's statt Bargeld;
l mal wöchentlich Zahltag; viel zu enge Räume und zu wenig Sachbear-
beiter und vieles mehr). Tja, einiges haben wir ja ändern können,
aber vieles ging nicht, weil es da z.B. Richtlinien vom Deutschen
Verein gibt, an die sich die Kölner Sozialämter halten. Oder weil
da Bundesministerien für zuständig sind und Gesetze geändert werden
müßten. Und wir haben damals noch etwas erfahren und gelernt: die
ohnmächtige Wut, die viele Sozialhilfeempfänger ihrem Sozialamt ge-
genüber empfinden:
® die Hilflosigkeit und die mangelhafte Informiertheit über die
Rechtsansprüche
@ die einseitige, meist negative Information der Öffentlichkeit über
Sozialhilfeempfänger - das sind doch alles Penner und Arbeitsscheue.
die auf Kosten der Steuerzahler in Saus und Braus leben.
Und da haben wir uns gesagt, wir müssen dreierlei machen:
© 1. müssen wir die Sozialhilfeempfänger, die wir kennen, in ihren
Rechten beraten.
Dann müssen wir 2. sehen, daß wir ein anderes Bild in der Öffent-
lichkeit über Sozialhilfeempfänger dargestellt bekommen.
© Und als letztes müssen wir versuchen - und, wo wir können, helfen -
daß es viele, viele andere Sozialhilfe-Gruppen gibt, damit eines
Tages eine "Gewerkschaft der Armen" entsteht, und wir nicht mehr
von den "Fachleuten à la Deutscher Verein" abhängig sind!!!
Heute gibt es schon über 50 Sozialhilfegruppen alleine in Nordrhein-
Westfalen. Das finden wir dufte! Im Februar dieses Jahres haben wir
unser eigenes Büro aufgemacht, wo keine "Fachleute" sitzen, sondern
"Leute vom Fach" - nämlich wir Sozialhilfeempfänger selber!!!
Wir wünschen uns, daß der Aktionstag genauso ein Erfolg wird, wie
die beiden Kindergelddemonstrationen im letzten Jahr. Wir wünschen
uns und allen anderen Sozialhilfeempfängern, daß im Jahr des 100jäh-
rigen Bestehens des Deutschen Vereins endlich eine "Gewerkschaft der
Armen" auf die Beine kommt. Denn nur gemeinsam können wir uns mit
unseren Forderungen gegen die "Fachleute des Deutschen Vereins"
durchsetzen!!!
—1
INTERESSENGRUPPE SOZIALHILFE HAGEN
Die Interessengruppe Sozialhilfe informiert alle Betroffenen im Rah-
men des Bundessozialhilfegesetzes. Alle Fragen, die von Sachbearbei-
tern ungenügend beantwortet wurden, alle Fragen, die wegen mangeln-
der Information nicht gestellt wurden, werden jeden Freitag von
15 - 19 Uhr am Rastebaum 22 mit Ihnen besprochen. Wenn nötig, schrei-
ben wir Ihren Antrag, Ihren Widerspruch oder wir gehen mit Ihnen zum
Sozialamt.
Die Kinder können zu jedem Gruppentreffen mitgebracht werden, ein
großer Spielplatz ist direkt vor der Tür.
Wir veranstalten gemeinsame Nachmittage, Wanderungen, Kinderpartys
usw. All diese Dinge lassen sich nur planen und durchführen, wenn
Sie auch mithelfen. Wir möbeln Ihr Selbstbewußtsein schon wieder auf.
KINDERGELDFORDERUNG IN BONN — ZWEITER ANLAUF —
Wie bereits in unserer ersten Broschüre berichtet, war für den
20.10.1979 eine Kundgebung aller Sozialhilfeempfänger, bezüglich der
Kindergeldforderung, in Bonn angesetzt.
Da sich unser Verein bisher noch selbst finanzieren muß, war es sehr
problematisch, das Geld für einen Bus aufzutreiben. An vielen Stellen,
die wir hier nicht einzeln aufführen möchten, wurden wir abgewiesen
oder gar nicht erst angehört. Erst nach endlosen Telefonaten und
einem Aufruf in der Zeitung sagte uns die SPD und CDU Hagen zu, je
die Hälfte beizusteuern. Wir möchten uns hiermit nochmals recht herz-
lich bedanken.
Die Abfahrt war für 8 Uhr angesetzt. Wir hatten mittlerweile 30 So-
zialhilfeempfänger und Interessierte zusammengetrommelt. Wenn man be-
denkt, daß es in Hagen ca. 3.000 Sozialhilfeempfänger gibt, war das
Interesse eigentlich recht mager.
Erster Zwischenstop war bereits in Vorhalle. Unsere lieben Kleinen
hatten es vor der Abfahrt versäumt, das stille Örtchen aufzusuchen.
Dieses mußte nun dringendst nachgeholt werden.
Nach der zweiten Pause auf der Autobahn kamen wir dann doch noch wi-
der Erwarten pünktlich um 10 Uhr in Bonn an der Beethovenhalle an.
Da unser Busfahrer, HerrSomborn, stets etwas ängstlich seinen Bus be-
obachtet hatte, konnte sich unser Schriftführer folgende Bemerkung
nicht verkneifen: "Für eine Gruppe "Asozialer' habt Ihr Euch wirk-
lich gut gehalten. Wir können ja ruhig aussprechen, was unsere Nach-
barn denken!" Hier mußte selbst Herr Somborn schmunzeln.
Leichte Panik kam beim Verlassen des Busses auf. Alles menschenleer.
Keine Busse zu sehen, Sollten wir uns im Datum vertan haben? - Nach
10 Minuten ängstlichen Wartens kam die Befreiung. Aus allen Richtun-
E re
gen strömten Busse mit weiteren Demonstranten auf die Parkplätze.
Wir mußtanuns jedoch alle noch bis zum Abmarsch zum Münsterplatz in
Geduld fassen. Wie wir vom Veranstalter der Demonstration "Sozialer
Brennpunkt Hessen eV" erfuhren, wurden ca. 50 Gruppen erwartet. Wäh-
rend der Wartezeit vertrieben wir uns die kalten Füße mit flotter
Musik. Es waren einige bekannte Schlager zur Unterstützung unserer
Forderungen umgedichtet worden. Auch nahmen wir Kontakte zu anderen
Gruppen auf. Einige von uns wurden mutig und begaben sich an den Ver-
kauf unserer Broschüre "Arm sein is dooof", Selbst die Polizisten
wurden nicht verschont und mußten den Geldbeutel zücken.
Unsere Kinder wurden nun allerdings langsam ungeduldig. Einer der
Jüngsten fragte verzweifelt: "Streiken wir jetzt hier solange, bis
wir das Kindergeld bekommen?"
Bis 11.30 Uhr hatten sich ca. 3.000 Demonstranten eingefunden,und
wir marschierten geschlossen, unsere Spruchbänder straffend, zum
Münsterplatz. Ein Kamerateam begleitete uns. Die Polizei riegelte
die Straßen ab, so daß wir ohne Unterbrechungen um 12 Uhr in der
Fußgängerzone eintrafen.
Hier war bereits vom Veranstalter ein Podium für die Redner errich-
tet worden. Die Organisation war wirklich tadellos.
Trotz Rufchören nach der Familienministerin Frau A. Huber tauchte
keiner der geladenen Politiker auf. Obwohl sie bereits seit Monaten
eingeladen waren, vermieden sie auch diesmal wieder ein Gespräch mit
uns.
Als erstes erfolgte nun die Begrüßung aller anwesenden Gruppen. Wir
waren angenehm überrascht,daß sich mittlerweile so viele Anhänger un-
serer Sache in ganz Deutschland zusammengetan haben.
Zur Unterstützung unserer Kindergeldforderung wurden 10 400 Unter-
schriften abgegeben.
Nun kamen einige der Gruppenmitglieder zu Wort. Es wurde darauf hin-
gewiesen, daß dies die erste Demonstration von Sozialhilfeempfängern
in der BRD sei. Und daß wir uns nicht mehr schämen, uns in der Öf-
fentlichkeit dazu zu bekennen. Wir wollen nun für unsere Rechte
kämpfen. Es wurde auch Kritik an der Herzlosigkeit des Staates geübt.
Obwohl dies die zweite Zusammenkunft in Bonn war, wurden wir wiederum
von den Politikern ignoriert. Wo bleibt die Gleichheit des Menschen
vor dem Grundgesetz! Uns nimmt man ganz offensichtlich nicht für voll.
Wir werden uns jedoch zu wehren wissen und auf uns aufmerksam machen.
Einer der Redner bemerkte sehr treffend: "Unsere Politiker haben ja
genug, deshalb ist auch keiner hier! Die werden trotz ihres Gehaltes
nicht rot, wenn sie auch noch zusätzlich das Kindergeld einstreichen."
Außerdem wurde beklagt, daß soviel Geld für die Rüstung und Entwick-
lungshilfe gewährt, sollten die Verantwortlichen erst einmal die Miß-
stände im eigenen Land beheben."
Gegen 13.30 Uhr löste sich die Kundgebung dann langsam auf, und wir
strebten hungrig und fußkrank zu den Bussen. Herr Somborn brachte
uns wohlbehalten wieder zurück.
Erreicht haben wir im Moment nur wenig. Aber es hat uns allen großen
Mut gemacht, daß sich so viele Menschen für die gleiche Sache ein-
setzen.
Wir machen weiter!
K. Huttegger
63 —
4 ĉa! ' Male
Kin
—*
INTERESSENGRUPPE SOZIALHILFE DUISBURG
VOR DEM ANFANG
1977 erschien in Duisburg unter dem Titel: "SOZIALHILFE IN DUISBURG"
eine Sozialhilfebroschüre. In der Broschüre stehen wichtige Hinwei-
se über die Rechte der Sozialhilfeempfänger und wie man sich gegen
die Bürokratie zur Wehr setzen kann. Diese Broschüre war Ausgangs-
punkt zur Gründung der INTERESSENGRUPPE SOZIALHILFE IN DUISBURG.
DIE GRÜNDUNG DER INTERESSENGRUPPE SOZIALHILFE
Im November 1978 lud eine Sozialhilfeempfängerin aus Duisburg, die
sich nicht mehr mit der schlechten Lage von Sozialhilfeempfängern
abfinden wollte, andere Gleichgestellte zu einem gemeinsamen Erfah-
rungsaustausch ein.
In der hiesigen Presse richtete sie einen Aufruf an alle Mitbetrof-
fenen,zu dieser Aussprache zu kommen. Weil sie auch wußte und am
eigenen Leib erfahren hatte, daß man ohne juristische Hilfe gegen
den Machtfaktor Sozialamt nicht ankommt, lud sie wohlweislich einen
Rechtsanwalt zu diesem Treffen ein. Dieser Rechtsanwalt kam und
kommt auch noch heute zu fast jeder Zusammenkunft der Interessen-
gruppe. Diesem Rechtsanwalt verdanken viele Sozialhilfeempfänger
heute, daß sie ihre berechtigten Forderungen beim Sozialamt durch-
setzen konnten und können. (Dieses nur nebenher). Das erste Treffen
der Sozialhilfegruppe war ein voller Erfolg. Es kamen viele mit
einem Paket von Sorgen.
Bei der Aussprache wurde vielen klar, daß man sich nur gemeinsam ge-
gen das Sozialamt zur Wehr setzen und seine Rechte erkämpfen kann.
Die Treffen wurden dann alle 14 Tage wiederholt und so ist es heu-
te noch.
WAS GESCHAH WEITER?
Zu diesen besagten Treffen kamen viele Leute auch aus den weiter
entfernten Stadtteilen, wie z.B. aus Hamborn. Auf die Dauer war
der Fahrtweg für viele zu lang und zu teuer. Deshalb überlegten wir,
auch in Hamborn eine Interessengruppe aufzubauen. Die AWO in Ham-
born-Kopernikusstraße war bereit, uns die erforderlichen Räumlich-
keiten zur Verfügung zu stellen. Am 19. Februar 1979 gründete sich
dann die Interessengruppe Sozialhilfe in Hamborn. Getroffen wird
sich auch hier bis heute noch alle 14 Tage im Gemeinschaftszentrum
der AWO , Kopernikusstraße 110. Unterstützt werden wir auch hier
durch den Rechtsanwalt.
= bb
WIE ARBEITET DIE SOZIALHILFEGRUPPE
In Duisburg bestanden also im Februar 1979 zwei Stadtteilgruppen,
die gemeinsam eine Interessengruppe bilden. Es können sich durchaus
auch noch neue Stadtteilgruppen in Zukunft entwickeln, aber alle
werden gemeinsam planen und Aktionen durchführen.
Nun Vorrang hat natürlich die Aussprache untereinander, d.h. wir
finden uns l4tägig zusammen und diskutieren wie wir uns und dem
Einzelnen helfen können, unsere Forderungen gegenüber dem Sozialamt
durchzusetzen. Wir gehen mit zu den Sozialämtern, wir reden über
Widersprüche gegen die Bescheide des Sozialamtes und helfen bei
der Formulierung. Einzelberatung ist ebenso möglich durch den Rechts-
anwalt, wie auch mit Sozialarbeiterinnen der AWO oder auch mit Mit-
gliedern der Interessengruppe. Wir geben dabei Erfahrungen weiter,
die wir selber gemacht haben oder die uns von anderen Gruppen aus
anderen Städten übermittelt werden. Wir helfen bei Anträgen für das
Sozialamt sowie auch bei Anträgen für einmalige Beihilfen (Kleider-
beihilfen, Kohlengeld, Möbelbeihilfen u.s.w.). Kurzum: Wir informie-
ren über alle Fragen, die ein Sozialhilfeempfänger hat. n
Wir haben eine Kontaktadresse,an die sich jeder Sozialhilfeempfän-
ger wenden kann. Die Personen der Kontaktadresse helfen selber so
gut sie können. In dringenden und eiligen Angelegenheiten vermitteln
sie an Rechtsanwalt oder Sozialarbeiter (die das Vertrauen der In-
teressengruppe haben).
AKTIONEN DER INTERESSENGRUPPE
Eine sehr wichtige Angelegenheit ist auch die Öffentlichkeitsarbeit.
Von Anfang an wurde dieses von der Interessengruppe Sozialhilfe er=
kannt. Es wurden Zeitungsartikel verfasst, Reporter wurden eingela-
den, die über das Los der Sozialhilfeempfänger in dem jeweiligen
Presseorgan berichteten. Auch das Westdeutsche Fernsehen war auf
der Kopernikusstraße und hat Aufnahmen von der Sozialhilfegruppe ge-
macht.
Die Interessengruppe hat mehrere Informationsstände zum Thema: j
"SITUATION DER SOZIALHILFEEMPFÄNGER" gemacht, um die Öffentlichkeit
auf ihre Probleme aufmerksam zu machen. ;
Beim 60jährigen Bestehen der AWO haben wir in der Mercatorhalle in
Duisburg ebenfalls einen Infostand gemacht. Dort haben wir plastisch
dargestellt mit was ein Hilfeempfänger auskommen muß. Bei jeder
Öffentlichkeitsarbeit haben wir vom Sozialamt, dem Land und Bund
gefordert:
l. Gebt uns endlich kostendeckende Regelsätze.
2. Gebt uns unser Kindergeld.
3. Laßt uns menschenwürdig leben. e ,
Dabei wurden in Duisburg ca. 1 400 Unterschriften für die Nichtan-
rechnung des Kindergeldes auf die Sozialhilfe gesammelt. Das Kinder-
geld wird den Sozialhilfeempfängern von der Sozialhilfeleistung
abgezogen, so daß sie also als einzige Bürger der BRD kein Kinder-
geld erhalten. Damit ist die Sozialhilfegruppe nicht einverstanden.
Wir waren zweimal in Bonn und haben dort demonstriert. Am 20. Ok-
tober 1979 zusammen mit rund 2 000 Sozialhilfeempfängern auch aus
anderen Städten.
= HO
WIE SOLL ES WEITERGEHEN?
Wir werden uns nach wie vor alle 14 Tage im Gemeinschaftszentrum
der AWO Kopernikusstraße 110 in Duisburg-Hamborn um 20.00 Uhr tref-
fen. Darüberhinaus kommt jede Woche dienstags die Arbeitsgruppe der
Interessengruppe Sozialhilfe zusammen, die übrigens Anfang 1980 ge-
bildet wurde. Sie hat die Aufgabe, Briefe zu beantworten, Infostän-
de vorzubereiten u.s.w.
In den einzelnen Stadtteilen sollen Informationsabende stattfinden,
bei der die Interessengruppe Sozialhilfeempfänger über allgemeine
Fragen der Sozialhilfe informieren möchte. Erstmals wird das am
25. Januar 1980 in Duisburg-Neumühl im Bürgerhaus stattfinden.
Wir haben diese Form der Information gewählt, um auch die Sozial-
hilfeempfänger, die bisher nicht in die Gruppen kamen,anzusprechen.
Zu der Öffentlichkeitsarbeit gehört auch, daß wir den engeren Kon-
takt zu anderen Sozialhilfegruppen in anderen Städten verstärken.
Dabei werden gemeinsame Aktionen geplant und durchgeführt, ebenso
wird ein intensiver Informationsaustausch gepflegt. ;
Interne Aktionen der Gruppe stehen auch noch an. Z.B. soll über eine
Vereinsgründung der Interessengruppen weiter nachgedacht werden und
eventuell noch in diesem Jahr verwirklicht werden.
SCHWIERIGKEITEN DER INTERESSENGRUPPE
Uns beschäftigt schon seit längerem die Frage der Vereinsgründung .
Wir überlegen, ob es andere Möglichkeiten gibt, eine rechtliche Kör-
perschaft zu verwirklichen oder ob unsere derzeitige Arbeits- und
Gruppenform nicht eine Alternative ist. Die Gruppe legt auch keinen
Wert auf Funktionärstum , so wie es sich manchmal in Vereinen heraus-
entwickelt.
Neue in der Gruppe haben es oft schwer, bis sie genauestens über
die Arbeit und Aktionen der Gruppe unterrichtet sind. Die älteren
Gruppenmitglieder haben meistens einen gewaltigen Informationsvor-
sprung. Um dies auszugleichen, planen wir ein Wochenendseminar, was
gleichzeitig dazu dienen soll, sich besser kennenzulernen.
Interessengruppe Sozialhilfe Duisburg
Kontaktadresse: Erna Colligno, Am Kreyenbergshof 51, 41 Duisburg ll,
Telefon: 0203/59 63 65
—
ARBEITSGEMEINSCHAFT
SOZIALBENACHTEILIGTER FAMILIEN HILDESHEIM
Auslösendes Moment der Gründung der Hildesheimer Gruppe war die skan-
dalöse Tatsache, daß das Kindergeld auf die Sozialhilfe als Einkom-
men mitangerechnet wird.
Ein Leserbrief unter dem Motto "Sozialhilfe-Empfänger sollen sich mel-
den, die es auch ungerecht finden, daß Kindergeld als Einkommen ange-
rechnet wird", war der Anfang unserer Arbeitsgemeinschaft. Am selben
Tag meldeten sich per Telefon 17 Familien. 2 Wochen später (Mai 1979)
trafen wir uns das erste Mal. Heute (Februar 1980) treffen sich etwa
40 Familien in regelmäßigen Abständen in der Altenbegegnungsstätte
der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Drispenstedt, Ehrlicherstr. 18. Hier
werden Probleme besprochen, wie zum Beispiel das Beantragen von Woh-
nungsrenovierung oder Bekleidungshilfe; nicht nur die Kindergeldfra-
ge ist hier Gesprächsthema.
Frau S., die Mitbegründerin der Hildesheimer Initiative "Für jedes
bischen Recht muß ich kämpfen. Freiwillig rücken die auf dem Sozial-
amt nichts raus, man bekommt kaum Informationen."
In Hildesheim veranstaltete die Initiative in letzter Zeit regelmäs-
sige Informationsabende, für die jeweils mit Flugblättern vor dem
Sozialamt geworben wurde. Im März wird ein Kindernachmittag veran-
staltet, wo neben Informationen auch eine Theatergruppe mit einge-
plant ist.
Weitere Aktionen waren bis heute:
® Information regionaler Zeitungen über die AG
® Einladungen und Schreiben an Ratsmitglieder, Sozialamt, Jugendamt,
Landtags- und Bundestagsabgeordnete
® Verteilen von Info-Schriften vor dem Sozialamt der Stadt Hildes-
heim
® Sternfahrt nach Bonn am 20.10.79
© Nordschau-Magazin Hannover dreht bei uns 3.12.79. 18.12.79 wurde
der Film gezeigt (19.30)
® Anrufe und Adressen entgegengenommen (wegen der Sendung) .Aus dem
ganzen Sendegebiet (Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Holstein er-
halten wir Post).
AG sozial benachteiligter Familien Niedersachsen, Ehrlicherstr. 18,
3200 Hildesheim, 05121/59841.
—
SELBSTHILFE GELSENKIRCHEN
ZWANGSARBEIT IN DER BRD — UND WIE MAN SICH DAGEGEN ZUR WEHR SETZT
Zwangsarbeit - ein Wort, das nicht gerade häufig in Zusammenhang mit
der BRD genannt wird. Aber es gibt sie, verkleidet unter dem Begriff
"Hilfe zur Arbeit", jedenfalls für Sozialhilfeempfänger. Gerade in
Gebieten großer Arbeitslosigkeit, wie bei uns im Ruhrgebiet, werden
durchgängig alle arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger zur sogenannten
gemeinnützigen und zusätzlichen Arbeit herangezogen. Die geforderten
Arbeiten bestehen etwa darin, daß Männer das Parkstadion von Schalke
04 reinigen müssen; Frauen werden als Putzfrauen in Altenheimen ein-
gesetzt, wozu gelegentlich auch einmal die Wohnung des Heimleiters
gehört. Wer die Ableistung dieser Arbeiten verweigert, da er für sie
keinenLohn erhält, bekommt auch keine Sozialhilfe mehr.
Bei diesem System sparen die Städte doppelt. Sie müssen keine Plan-
stellen schaffen und die geforderte Arbeitsleistung nach Tariflohn
bezahlen. Eine Vielzahl von insbesondere randständigen Sozialhilfe-
empfängern (Nichtseßhafte, alleinstehende junge Erwachsene) nimmt
lieber die Sperrung von Sozialhilfe in Kauf und schlägt sich anders
durch, als solche Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Betroffene wer-
den in Kriminalität abgedrängt, für die dann nicht mehr die Stadt,
sondern die Justiz zuständig ist; die Stadt spart Kosten. Es gibt
eın paar Sozialhilfeberechtigte weniger.
Nun zur Selbsthilfe Gelsenkirchen und zu dem, was wir zu dieser Si-
tuation getan haben: Im Arbeitslosenprojekt der Selbsthilfe Gelsen-
kirchen eV (Schreinerwerkstatt, Haushaltsauflösungen, Entrümpelun-
gen mit einem LKW, Teestube) arbeiten Jugendliche und junge Erwachse-
ne mit, die Sozialhilfe beziehen. Dieses Projekt wird vom Landschafts-
verband im Rahmen des Programms zur Bekämpfung der Jugendarbeitslo-
sigkeit finanziert. Gleichzeitig macht das Sozialamt aber denjenigen
Jugendlichen die Teilnahme an dieser Maßnahme unmöglich, die Sozial-
hilfe beziehen, da diese zur Pflichtarbeit herangezogen werden.
Eine der Betroffenen wehrte sich dagegen und lehnte diese Arbeiten
ab, da sie durch die Pflichtarbeit nicht von der Sozialhilfe unabhän-
gig wird, und ihr die Möglichkeit einer Betreuung durch diese Selbst-
hilfe genommen würde. Desweiteren wies sie daraufhin, daß der In-
halt der Pflichtarbeit nicht den gesetzlichen Bestimmungen entspricht,
sıe ıst Insbesondere nicht zusätzlich im Sinne des Bundessozialhilfe-
gesetzes, es werden vielmehr solche Arbeiten ausgeführt, für die
eigentlich Planstellen im Haushalt der Stadt vorhanden sein müßten
(Putz- und Aufräumarbeiten).
Sie legte also gegen die Aufforderung des Sozialamtes zur Ableistung
von Pflichtarbeit im Juni 1978 Widerspruch ein. Das Sozialamt rea-
gierte, indem es die Sozialhilfe im September 1978 um 20 % kürzte
— S
und die völlige Einstellung zum 1.10.79 ankündigte. Eine beim Ver-
waltungsgericht Gelsenkirchen beantragte einstweilige Verfügung hat-
te zunächst Erfolg. Das Sozialamt wurde verpflichtet, bis zur end-
gültigen Entscheidung über die Widersprüche Sozialhilfe zu leisten.
Auf Betreiben des Sozialamtes Gelsenkirchen änderte das Oberverwal-
tungsgericht im Mai 1979 diese Entscheidung ab und gab der Stadt die
Möglichkeit zurück, die Sozialhilfe zu kürzen. Hinzuweisen ist dabei
darauf, daß es sich lediglich um ein Verfahren um Erlaß einer einst-
weiligen Verfügung handelt, bei welchem der Sachverhalt nur grob ge-
prüft werden kann. Eine endgültige Entscheidung steht also immer
noch aus. Nachdem die Stadt die Behauptung der Betroffenen, sie sol-
le Putzarbeiten ableisten, ein halbes Jahr unwidersprochen ließ, wur-
de vor dem Verwaltungsgericht plötzlich behauptet, man erwarte von
ihr Mithilfe bei der Betreuung alter Leute, etwa durch Zeitung vor-
lesen, gemeinsame Spaziergänge etc.. Man will also vermeiden, daß
die gängige Praxis, Betroffene zu Putzarbeiten heranzuziehen, von
einem Verwaltungsgericht überprüft wird.
Ein ordentliches Gerichtsverfahren wird von der Stadtverwaltung Gel-
senkirchen erheblich verzögert. Bis heute war die Stadtverwaltung
nicht in der Lage, über Widersprüche vom Mai und September 1978 zu
entscheiden. Stattdessen beschäftigt sich die Verwaltung damit, der
Betroffenen möglichst viele Schwierigkeiten zu machen. Diese erhält
seit Februar 1979 BAFöG, da sie die Abendreal-Schule besucht. Zu-
nächst versuchte das Sozialamt Wohngeld einzubehalten, das für einen
Zeitraum gezahlt wurde, in welchem sie keine Sozialhilfe bezog.
Nachdem dieser Versuch aber mißlang, stellte das Sozialamt jetzt die
Forderung an die Betroffene auf, die gesamte Sozialhilfe zurückzu-
zahlen, da angeblich von Anfang an kein Anspruch bestanden hat, ob-
wohl die Entscheidung im Hauptverfahren vor dem Verwaltungsgericht
noch aussteht. Auf dem Hintergrund der Tatsache, daß dieses Verfah-
ren von der Stadtverwaltung verzögert wird, kann ein solches Schrei-
ben nur als eine Schikane betrachtet werden. Dahinter steckt der Ver-
such, betroffenen Sozialhilfeempfängern deutlich zu machen, mit wel-
chen Konsequenzen zu rechnen ist, wenn sie versuchen, sich gegen Ent-
scheidungen des Sozialamtes zu wehren. Für die Betroffene ist die
Forderung,ca. 1.200,- DM innerhalb von 4 Wochen zurückzuzahlen,eine
Bedrohung, zumal sie BAFöG bezieht und zu der Zahlung gar nicht in
der Lage ist.
Sozialdezernent Neumann ließ vor wenigen Tagen (WAZ vom 05.12.79)
verlauten, daß beim Sozialamt "jeder frei und offen seine ihm recht-
lich zustehenden Ansprüche geltend machen kann". Die Wirklichkeit
sieht genau anders aus.
Die Selbsthilfe Gelsenkirchen verfügt inzwischen über eine ausge-
feilte rechtliche Argumentation zu diesem Problemkreis, die gute Aus-
sichten für Betroffene bietet, sich gegen die Verpflichtung zur
Zwangsarbeit zu wehren. Wer diese braucht, kann sich mit uns in Ver-
bindung setzen:
Selbsthilfe Gelsenkirchen
Horster Straße 46 oder 75
4660 Gelsenkirchen-Buer
Telefon (0209) 59 33 28
37 85 58
—
LEITFADEN
DER
—⸗ SOZIAL
HILFE
Jutta Stößinger
“DEN ARMEN WOLLEN SIE MUT MACHEN”
— Frankfurter Leitfaden zur Sozialhilfe —
(aus: Frankfurter Rundschau v. 12.5.1979)
“Ich laß mir doch nichts schenken’, sagen die einen. “Das steht mir doch wahr-
scheinlich gar nicht zu”, vermuten die anderen. Daß Sozialhilfe kein Almosen ist,
sondern das verbriefte Recht eines jeden Bürgers, der seinen Lebensunterhalt vor-
übergehend oder längerfristig nicht alleine sichern kann, wissen längst nicht alle.
Kein Wunder: Das Amtsdeutsch zählt nicht gerade zur Umgangssprache, und
mancher Sachbearbeiter hilft lieber Vater Staat beim Sparen als einem Rentner
über die Runden.
Das haben Dozenten und Studenten
der Fachhochschule Frankfurt heraus-
gefunden und einen allgemeinverständ-
lichen „Leitfaden der Sozialhilfe“ er-
stellt: Mit zahlreichen Tips, Berech-
nungsbeispielen und Adressen.
"Mut machen — das ist eines der
Hauptanliegen der Verfasser. Und: Der
Leitfaden soll für jeden verständlich,
anwendbar und möglichst ausführlich
sein — Eigenschaften, die die Broschüre
des Hessischen Sozialministerlums
(„Sozialleistungen in Hessen — ein
Wegweiser“) nach Meinung der Fach-
hochschüler vermissen läßt. Zwar wer-
den dort verschiedene Hilfeleistungen
aufgezählt, aber „weder ist der Regel-
satz erklärt, noch sind Rechenbeispiele
aufgeführt, noch werden konkrete An-
gaben zu Bemessungsgrundlagen ge-
macht“. Die Frankfurter „Seniorenzei-
tung“ ist, so heißt es weiter, „da eine
lobenswerte Ausnahme“. Nur: Dort gibt
es mehr Informationen über Freizeitan-
gebote und städtische Vergünstigungen
als über Details der Sozialhilfe.
Anders auf den 72 Seiten des „Sozial-
hilfeleitfadens“: Da findet man Infor-
mationen über die Antragstellung, über
die sogenannten Regelsätze, über Klei-
der-, Möbel-, Hausrat- und Brennstoff-
beihilfen. Es gibt Informationen über
eine Unterstützung bei Krankheiten,
über WMüttergenesungskur, über die
Altenhilfe, über Urlaubszuschüsse, über
mögliche Übernahmen von Funk- und
Fernsehgebühren, von Umzugs-, Reno-
vierungs- und Reparaturkosten. Erklärt
werden auch Möglichkeiten des Wider-
spruchs und der Klage, wenn man
meint, nicht anders zu seinem im Bun-
dessozialhilfegesetz verankerten Recht
auf ein „menschenwürdiges Leben“ zu
kommen.
Die Studenten und Dozenten der
Fachhochschule haben den Leitfaden im
Verlauf von mehreren Semestern erar-
beitet, haben Gespräche mit möglichen
Interessenten gesucht und Informa-
tionsstände in Stadtteilen aufgebaut.
Die Ergebnisse dieser Aktionen waren
oft entmutigend. Betroffene lehnten das
Gespräch bisweilen mit den Worten ab:
„Das ist immer so ein Bettelkram, da
schämt man sich so.“ Nichtbetroffene
reagierten mitunter mit Vorurteilen:
„Geht doch schaffen, dann braucht ihr
keine Sozialhilfe.“ Und Fachkundige
kriegten’s wohl auch manchmal mit der
Angst: „Schickt uns bloß nicht noch
mehr Leute ins Amt.“
Tatsächlich sind viele Sozialstationen
überlastet. „Bereits vor 8 Uhr wartet
eine große Anzahl von Ratsuchenden
auf Einlaß ... eine Wartezeit von drei
bis vier Stunden ist keine Seltenheit“,
heißt es in einer Examensarbeit -von
Frankfurter Fachhochschülern. Die
Sozialarbeiter sind überfordert; 'manche
mögen es auch mit jenem Trierer Amts-
leiter halten, der vor zwei Jahren in
einem Gespräch mit dem „Spiegel“
äußerte: „Wenn wir die Leute über ihre
Ansprüche aufklären würden, wären
wir sehr schnell pleite.“
Die Folge: Nur 24,1 Prozent der über
65jährigen bundesdeutschen Sozialhilfe-
empfänger — so eine Studie des Kölner
Instituts für Sozialforschung — gaben
an, durch das Sozialamt über die bezo-
gene Hilfeleistung informiert worden zu
sein.
E _
In Frankfurt bekommen rund 21 500
Bürger Sozialhilfe und/oder ständige
Hilfe in besonderen Lebenslagen (Stand
Sozialhilfeleitfaden
für die Rentner
Ob jemand Anspruch auf Sozial-
hilfe hat und wie man seinen Bedarf
errechnet, zeigt folgendes Beispiel
aus dem „Sozialhilfeleitfaden“:
„Das Rentnerehepaar X bezieht
eine Rente von monatlich 960 Mark.
Um festzustellen, ob das Ehepaar zu-
sätzlich „ergänzende“ Sozialhilfe er-
halten kann, ist folgende Rechnung
notwendig:
297 Mark
Regelsatz für den Rentner
89,10
Mehrbedarfszuschlag (30 Prozent von
297 Mark), den er erhält, weil er über
65 Jahre alt ist.
238 Mark
Regelsatz für seine Frau
71,40
Mehrbedarfszuschlag (30 Prozent von
238 Mark), weil sie über 65 Jahre alt
ist.
350 Mark
Miete inklusive Umlagen, abzüglich
Wohngeld.
1045,50 Mark
Bedarf des Rentnerehepaares.
Wird von dieser Summe die Rente
von 960 Mark abgezogen, so bleibt
ein Anspruch auf Hilfe zum Lebens-
unterhalt in Höhe von 85,50 Mark
monatlich. Anders herum: das Rent-
nerehepaar liegt mit seiner Rente um
85,50 Mark unter dem Bedarfsstart
der Sozialhilfe. Das Ehepaar kann
beim zuständigen Sozialamt „ergän-
zende“ Sozialhilfe beantragen. Es
kann außerdem die Übernahme von
Kosten für Kleidung, Mobiliar,
Hausrat, Brennstoff, erforderliche
Renovierungen und Reparaturen bè-
antragen. |
Erhält das Rentnerehepaar diese
Hilfen, so braucht es in der Regel
nicht zu befürchten, daß seine Kin-
der vom Sozialamt in Anspruch ge-
nommen werden. Nur bei sehr gut
verdienenden Kindern könnte dies
der Fall sein.“ JS.
— y
einen
1977), wobei die Sozialhilfeempfänger in
Heimen und Anstalten nicht‘ mitgezählt
wurden. Die Zahl derer, die Anspruch
auf die Unterstützung hätten, sie jedoch
richt in Anspruch nehmen, ist schwer
zu ermitteln. Immerhin heißt es in der
Frankfurter Examensarbeit, daß „die
Zahl der Personen in der Bumdesrepy-
biik, deren Einkommen unter den Be-
darfssätzen der Sozialhilfe liegt, - rund
siebenmal so groß ist wie die Zhhl derer,
die Sozialhilfe beziehen“.
Der Grund: Vielen eigentlich An-
spruchsberechtigten fehlen die Informa-
tionen über Sozialhilfe; andere haben
Probleme mit der Antragstellung; wie-
der andere (und oft kommt eins zum an-
deren) fürchten, daß die Unterstützung
zurückgezahlt werden muß (was nur in
extremen Ausnahmefällen stimmt) oder
daß die Kinder und Kindeskinder in die
Pflicht genommen werden könnten (was
für Enkelkinder gar nicht und für Kin-
der nur selten zutrifft).
Schließlich: Oft schämen sich die
Armen (im Unterschied zu manchem
Reichen), staatliche Hilfen in Anspruch
zu nehmen. Die Fachhochschüler: „In
einer am Profit orientierten Gesell-
schaft, in der nur der gesunde und voll-
wertig Arbeitende mithalten kann, da
werden Alte, Kranke, Arbeitsunfähige,
Arbeitslose an den Rand gedrängt ...
Sie glauben, daß sie versagt haben, daß
sie selbst schuld an ihrer Not sind.“
Der Zusammenhang zwischen zuneh-
mender Arbeitslosigkeit und einem stei-
genden Bedarf an Sozialhilfe ist hinge-
gen unübersehbar. Dies konstatierte
auch das rheinland-pfälzische Sozial-
ministerium in einer Dokumentation
mit dem Titel „Begleiter der 'Arbeitslo-
sigkeit: Abstieg und Armut“. Staatsmi-
nister Georg Gölter berief sich auf die
amtliche Sozialhilfestatistik von 1975,
wonach schon damals die Zahl der
Haushalte, die Sozialhilfe bezogen, aber
(in der Regel, arbeitsfähigen)
HaushaltsvorsStand unter 60 Jahren hat-
ten, um 66000 (22 Prozent) gestiegen
war. Das Ministerium: „Die seither ein-
getretene Entwicklung hat die finan-
zielle Lage der Arbeitslosen erheblich
verschärft.“
Unter der sogenannten „Armuts-
grenze des Sozialhilfegesetzes“ —
sprich, unterm Existenzminimum —
kann nämlich auch derjenige liegen, der
bislang gar keine Sozialhilfe bekommt,
sondern noch Arbeitslosengeld oder
-hilfe bezieht. Im Klartext: Die Unter»
stützung vom Arbeitsamt plus Wohn-
und Kindergeld kann in einzelnen Fällen
noch geringer sein als die vom Sozial-
amt. Das hat jedenfalls das Ministerium
errechnet, Arbeitslose, die davon betrof-
fen sind, können (ergänzende) Sozial-
hilfe beantragen.
Sozialhilfe beantragen können aber
auch vor allem Leute, die gar keine Ein-
künfte und größere Ersparnisse haben
oder deren Rente oder Nettoeinkünfte
einschließlich Wohngeld, Kindergeld
und Unterhaltszahlungen unter dem Be-
darfssatz der Sozialhilfe liegen. Auch
wer keinen Anspruch auf regelmäßige
Hilfe zum Lebensunterhalt hat, aber
unter einer bestimmten Einkommens-
grenze liegt, kann in besonderen Notla-
gen (Krankheit, Kur, Zahnersatz) Un-
terstützung beantragen oder gelegent-
liche Behilfen (für Kleidung, Möbel
Hausrat) beziehen.
Der „Sozialhilfeleitfaden“ nennt in
diesem Zusammenhang nicht nur die
derzeit in Hessen gültigen Regelsätze
(zum Beispiel: 297 Mark pro Monat für
einen Haushaltsvorstand oder erwach-
senen Alleinstehenden, 267 Mark für
einen 15 bis 20 Jahre alten Haushaltsan-
gehörigen, 134 Mark für ein Kind unter
sieben Jahren), sondern erklärt auch,
wie man seinen Bedarf an Sozialhilfe
berechnet. Erklärt wird auch, was ein
Mehrbedarfszuschlag ist und wer ihn —
zusätzlich zum Regelsatz — bekommt:
Nämlich Personen, die über 65 Jahre alt
sind, Erwerbsunfähige, werdende Müt-
ter und Elternteile, die zwei, drei oder
mehr Kinder alleine versorgen.
Erklärt wird weiter, wie man einen
Antrag auf Sozialhilfe stellt und welche
Papiere man vorlegen muß (Mietver-
trag, Lohnbescheinigung, Rentenbe-
scheid, Unterlagen über Versicherungs-
beiträge zum Beispiel). Und erklärt wird
chließlich, wie man einen schriftlichen
Widerspruch gegen abschlägige Be-
scheide aufsetzt und gegebenenfalls eine
Klage einlettet, Für spezielle Probleme
gibt es im Leitfaden außerdem einen
Anhang von Adressen. Da ist die Alten-
hilfe ebenso aufgeführt wie das Frauen-
zentrum, der Verband alleinerziehender
Mütter und Väter, das Wohnungsamt
und der Evangelische Volksdienst.
Für die umfassende Informations-
schrift haben die Fachhochschüler in-
zwischen bei zahlreichen Verbänden,
Fachkrankenhäusern, Diakonischen
Werken, Bahnhofsmissionen, Behinder-
tenclubs, Altenheimen, Kinderschutz-
stellen, Anwaltsbüros, Strafvollzugsan-
stalten und Volkshochschulen aus dem
ganzen Bundesgebiet (und sogar aus
dem Ausland) Interesse geweckt. Über
600 briefliche Bestellungen und Anfra-
gen zum Leitfaden liegen vor. Rund 9000
Hefte wurden inzwischen verkauft.
Die eigentlichen Adressaten, die Be—
troffenen selbst, meldeten sich bisher
weniger zahlreich. Ihre Briefe deuten
das Ausmaß von noch vorhandener Not,
von Uninformiertheit undScham nur an.
Eine alleinstehende Mutter aus Düssel-
dorf möchte beispielsweise wissen, ob
ihr vielleicht besondere „Zuschüsse“ zu-
stehen und schreibt: „Ich bekomme
jeden Monat 425 Mark Sozialhilfe, dazu
die Miete und die Sozialversicherung.”
— Dafür braucht niemand einen Knie-
fall zu machen.
Der Sozialhilfeleitfaden ist gegen 2,50
Mark in Briefmarken zu bestellen über:
Sozialhilfegruppe TUWAS, c/o Fach-
hochschule, Fachbereich Sozialarbeit,
Limescorso 5, 6000 Frankfurt/Main
(siehe auch Kasten).
—
SOZIALHILFE - LEITFADEN
BEHINDERTEN- LEITFADEN
Zu beziehen gegen je 2.50 DM in Briefmarken bei: AG TUWAS
Fachhochschule, Fachbereich Sozialarbeit, Limescorso 5 6 Ffm 50
Frauenhaus Kassel
STELLUNGNAHME ZUM § 72 BSHG
UND DEM GUTACHTEN DES DEUTSCHEN VEREINS
Ende 1977 ließen die Stadt Frankfurt und der Landeswohlfahrtsverband
Hessen vom Deutschen Verein ein Rechtsgutachten erstellen.
Es ging um die Frage, wer für die Finanzierung des Frankfurter "Heim's
für Mutter und Kind" zuständig ist.
Das Ergebnis dieses Gutachtens bestimmt heute die öffentliche Diskus-
ston: überall sollen Frauenhäuser nach $ 72 BSHG finanziert werden.
Das Gutachten des Deutschen Vereins ist abgedruckt in: Nachrichten-
dienst des Deutschen Vereins, 1978, 5.77.
Nachfolgend kritisiert das Frauenhaus Kassel dieses Gutachten. Die
Stellungnahme haben wir der Broschüre entnommen: "Frauenhäuser sol-
len an die Kandare genommen werden! Selbstverwaltungskonzept in Ge-
fahr! $ 72 BSHG für Frauenhäuser - nein danke!" Diese Broschüre ist
über das Frauenhaus Kassel e.V., Postfach 101103, 35 Kassel zu be-
ztehen. (die Redaktion)
VORBEMERKUNG
Im $ 72 BSHG wird die besondere Hilfe für bestimmte Randgruppen wie
Obdachlose, Fixer usw. geregelt, die nicht mehr in der Lage sind,am
Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen und mit fremder Hilfe inte-
griert werden müssen.
Der gleiche Paragraph ist maßgebend für die Bewilligung von Pflege-
sätzen für mißhandelte Frauen, die ins Frauenhaus aufgenommen werden
wollen. Im Gutachten des Deutschen Vereins wird deshalb auch als eine
Voraussetzung für das Zutreffen des $ 72 BSHG ausgeführt, daß die
Lebensverhältnisse einer geprügelten Frau "von den allgemeinen
Lebensverhältnissen der Durchschnittsbevölkerung abweichen."
WEICHEN DIE LEBENSVERHÄLTNISSE MISSHANDELTER FRAUEN SPÜRBAR
VON DENEN DER DURCHSCHNITTSBEVÖLKERUNG AB?
Gegen diese These spricht allein die große Anzahl der geschlagenen
Frauen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes kommt es in 5 Mio
Haushalten in der BRD einmal monatlich zu schweren Prügeleien. Die
Dunkelziffer dürfte hier nicht unerheblich sein.
Die Anzahl der Mißhandlungen von Frauen hat sich auch mit der Fami-
lienrechtsreform nicht geändert, die formal die Vorrangstellung des
Mannes in der Familie aufheben soll. Gerichte, Lehrbücher und Ver-
waltungspraxis gehen nach wie vor von der "Hausfrauenehe" als die
typische Form der Ehe aus. Bei der Sozialhilfe, dem Armenrechtsan-
spruch, der Steuer usw. wird stets der Mann automatisch als Haus-
haltsvorstand angesehen.
JI
Es wird deutlich, daß eine Gesetzesänderung noch lange nicht die Än-
derung in der Praxis bedeutet. Es haben sich nur die Buchstaben ver-
ändert, die diskriminierende Praxis ist geblieben. Breite öffentli-
che Diskussionen, intensive Aufklärungsarbeit wurden in der Vorberei-
tungsphase nicht geführt, eine breite Bewußtseinsänderung hat nicht
stattgefunden, weder bei Männern noch bei Frauen, ebenso bei Rich-
tern, Sozialarbeitern ...
Wir gehen davon aus, daß j ed e Frau einem Unterdrückungsverhält-
nis unterliegt und nicht nur die geschlagenen Frauen; körperliche
Gewalt ist die sichtbarste Ausformung des allgemein-gesellschaftli-
chen Gewaltverhältnisses gegenüber Frauen. Oder anders gesagt: Auch
Männer, die ihre Frau nicht schlagen, haben keine inhaltliche Beden-
ken gegen Frauenmißhandlung; sie verfügen nur über ein anderes In-
strumentarium der Unterdrückung. Zudem kanm nicht davon ausgegangen
werden, daß Männer, die nicht mißhandeln, auch tatsächlich gegen
private Gewalt sind oder sich gar dagegen einsetzen. Die Macht (Ge-
walt)-Strukturen in der Beziehung Mann/Frau sind breit vorhanden
und werden nur unterschiedlich praktiziert.
INSOFERN MEINEN WIR, DASS DIE LEBENSVERHÄLTNISSE MISSHANDELTER FRAUEN
NICHT "'SPÜRBAR" VON DENEN DER (WEIBLICHEN) DURCHSCHNITTSBEVÖLKERUNG
ABWEICHEN!
Als Erscheinungsformen der besonderen Lebensverhältnisse mißhandel-
ter Frauen werden im Gutachten des Deutschen Vereins der "hohe Grad
der sozialen Ausgliederung" und die damit verbundenen "größeren
Schwierigkeiten der Wiedereingliederung'' genannt, sowie mangelnde
Außenkontakte der betroffenen Frauen und Ablehnung mißhandelter Frauen
durch ihre Umwelt. Außerdem unterstellt Herr Giese in seinem Gutachten,
daß Gewalt in der Ehe "strengster allgemeiner Mißbilligung" unterliegt.
IST DER SCHRITT INS FRAUENHAUS EINE SOZIALE AUSGLIEDERUNG?
Die soziale Ausgliederung der Frau besteht in ihrer Isolation während
der Ehe aufgrund massiver Einschränkung durch den Mann und ihrer an-
erzogenen "Bestimmung" für den Mann.
Wir sehen dies im Zusammenhang mit einer langen Kette der Erziehung
und gesellschaftlichen "Aufbereitung" von Frauen: im Kindergarten,
in der Schule, in den Medien. Werbeslogans wie "etwas schöner sein
als andere macht Sie erfolgreicher bei Männern" oder "Ihr Erfolg ist
Ihre Attraktivität" sind brutaler Ausdruck dieser gesellschaftlichen
Zustände.
Solange das bestehende Rollenbild von Mann und Frau (und die daraus
folgenden Konsequenzen) weder breit erkannt noch problematisiert
wird, wird es auch keine "strengste allgemeine Mißbilligung von kör-
perlicher Gewalt in der Ehe" geben, wie im Gutachten des Herrn Giese
behauptet wird.
_78 —
WIRD PRIVATE GEWALT
ÖFFENTLICH MISSBILLIGT?
Wir sind der Meinung, daß Gewalt in der
Ehe bzw. "Partnerschaft" allgemein als
unproblematisch, normal angesehen wird,
weil einerseits oft gar nicht bekannt
wird, wenn ein Mann eine Frau schlägt und
andererseits die meisten Frauen als auch
die Männer das übliche Rollenbild ak-
zeptieren, die Frau müsse dem Mann un-
terlegen (= untertan) sein. Auch in Ehen
und Beziehungen, in denen es nicht zu körperlicher Gewalt komt, gilt
der Mann als der Herr im Hause, der seine Frau zu Gehorsam bringen
muß.
Immer wieder müssen wir bei Interviews mit Passanten auf der Straße
feststellen, daß es als normal angesehen wird, wenn "die Frau mal
eine hinter die Ohren kriegt". Ähnlich lautenden Äußerungen begeg-
nen wir immer wieder bei Behördenbesuchen seitens der Sachbearbeiter.
Diese Grundeinstellung drückt sich aus in weitverbreiteten Sprüchen
wie "willst Du eine treue Frau, so schlage ihr die Augen blau". In
einer Infas-Umfrage für den "Stern" hatten 35 % der Befragten nichts
dagegen, wenn Frauen mißhandelt werden, allerdings würden nur 17 %
Tıerquälereien hinnehmen.
Viel geläufiger als Vorurteile gegen mißhandelte Frauen sind uns
"Erklärungen" für die Mißhandlung, die der Frau die Schuld in die
Schuhe schieben: "Sie hat ihn zur Weißglut gebracht" oder "Sie hat
ihn in seiner Ehre gekränkt" ..
Vorurteile werden viel mehr den Frauen entgegengebracht, die sich gegen
Schläge und Mißhandlungen wehren oder
ir Frauen, die ins Frauenhaus fliehen, um
a sich vor Gewalttätigkeiten zu schützen.
Hier weichen Frauen von allgemein gülti-
gen und gesellschaftlich akzeptierten
Normen ab.
Wir allerdings sehen in dem Schritt ins
Frauenhaus einen positiven Ansatz für
ihr weiteres Leben, es ist der aktive
Versuch, sich aus einer unerträglichen
Situation zu befreien. Gerade dieser
Schritt wird aber im Gutachten des Deut-
schen Vereins zum Vorwand genommen, die
Frauen einer "Randgruppe" der Gesellschaft
zuzuordnen. Es wird also vorausgesetzt,
daß diese Frauen nicht gemeinschaftsfähig sind und so auf fremde Hil-
fe in starkem Maße angewiesen sind, daß sie von der Bevölkerung als
Sonderfälle betrachtet und abgelehnt werden.
—
Im Gutachten des Deutschen Vereins heißt es: die Frauen brau-
chen "persönliche Hilfe, die als Beratung und persönliche Be-
treuung darauf gerichtet ist, die Ursachen der zutage getrete-
nen schwierigen Beziehungs- konflikte festzustellen, sie dem
Hilfesuchenden und nach Mög- lichkeit auch dem Partner bewußt
zu machen und entweder - bei Fähigkeit und Bereitschaft des
Partners - die Familienbezie- hungen wieder herzustellen oder
die Selbsthilfe der Hilfe- suchenden bis zu einer selbstän-
digen Existenz zu fördern. "An anderer Stelle führt Herr
Giese aus, welches die Ur- sachen der "schwierigen Bezie-
hungskonflikte", also der Mißhandlungen sind. Er behauptet:
o hantu suo mnetbtaudug " familie
e Train" puid diufokig, sick Alit u helm
o Doum auol mufòk 9, dut Gol inmaigakiu
IST DIE FRAU SELBST SCHULD, WENN SIE MISSHANDELT WIRD?
Hier wird eindeutig den Frauen die Schuld zugeschoben, daß sie miß-
handelt werden. Die Ursachen der Gewalt sind in dieser Einschätzung
des Herrn Giese nicht soziale Schwierigkeiten, sondern persönliche
Probleme der Frauen.
In unserer Gesellschaft werden alle Frauen dazu erzogen, dem Mann
zu gehorchen, alle Frauen werden zur Unfähigkeit erzogen, eıne part-
nerschaftliche Beziehung zu einem Mann aufzubauen, ebenso der Mann.
Somit kann es nicht das persönliche Problem von Frauen sein, wenn sie
sich gegenüber Männern nicht oder zu wenig durchsetzen. Nichts ist
widersinniger als den Frauen einzureden, daß sie einen seelischen De-
fekt haben, wenn sie sich dem weiblichen Rollenbild - passiv, alles
ertragend, bereit sich unterzuordnen - entsprechend verhalten haben.
Wir halten den Schritt, ins
Frauenhaus zu gehen, nicht
für ein Zeichen der Unselb-
ständigkeit, sondern für den
möglichen Beginn einer Ver-
selbständigung. D.h. die
Frau beginnt sich selbst zu
helfen, jedoch nicht verein-
zelt, sondern mit anderen
Frauen zusammen. Herrn Gie-
se scheint entgangen zu sein,
daß Frauenhäuser Selbsthilfe-
projekte sind.
Alle Frauen werden in finan-
zieller Abhängigkeit gehal-
ten. Bei vielen ist es so,
daß sie vom Mann Haushalts-
geld zugeteilt bekommen. Selbst in Ehen, wo die Frau selbst Geld ver-
—
dient, ist es nicht üblich, daß sie und der Mann gleichberechtigt
das Geld aufteilen. Die Verfügungsgewalt über das Geld, das die Fami-
lie verbrauchen kann, steht meist allein dem Mann zu. Viele Frauen
erhalten kein persönliches Taschengeld; wenn sie sich persönliche
Dinge kaufen wollen, müssen sie um jeden Pfennig betteln. Einerseits
wird von Frauen verlangt, daß die Familie gut zu essen hat und daß
sie selbst den üblichen Schönheitsnormen entspricht. Die Vorbilder
für das Aussehen der Frauen, der Kinder, der Wohnung werden von der
Werbung geliefert. Über das Geld, das für die Verwirklichung dieser
Ansprüche nötig ist, verfügt die Frau aber nicht. (Ein typischer
Witz über Frauen: "Meine Frau will sich schon wieder einen neuen
Pelzmantel kaufen", der mit der Realität nichts zu tun hat.)
Auch in gutbürgerlichen Familien haben Frauen oft kein eigenes Geld.
In Familien, die von Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe leben
müssen, ist die Situation der Frauen unerträglich. Es ist kei-
ner Frau vorzuwerfen, wenn sie angesichts der knappen Sozial-
hilfe von vornherein die Hoffnung aufgibt, mit dem Geld über
den Monat zu kommen. Andere Frauen haben ein erstaunliches Ge-
schick entwickelt, mit wenig Geld die Familie über den gan-
zen Monat zu ernähren. Da die meisten Frauen nicht die Ver-
fügungsgewalt über das Geld haben, ist es reiner Hohn, ihnen
Unfähigkeit im Umgang mit Geld vorzuwerfen.
Diese sozialen Schwierigkeiten, die Tatsache, daß Frauen von klein
auf dazu erzogen werden, sich dem Mann unterzuordnen, daß sie ge-
sellschaftlich isoliert werden, daß sie in finanzieller Hinsicht in
Abhängigkeit gehalten werden, werden im Gutachten des Herrn Giese
als seelische Defekte der Frauen beschrieben, als Fehler in ihren
Köpfen.
Das wirkt sich auf die Haltung aus, die nach Herrn Gieses Meinung
ein Sozialarbeiter den Frauen gegenüber einzunehmen hat: Giese be-
trachtet sie als hilflose, unselbständige Wesen, denen ihre persön-
lichen Probleme "bewußt" gemacht werden müssen, deren Schwierigkeiten
in Partnerbeziehungen aufgearbeitet werden müssen usw. Es ist die
Frage, ob man Frauen nicht gerade indem man ihnen ihre Unselbständig-
keit vor Augen hält und ihnen gleichzeitig vermittelt, daß diese ein
persönlicher Fehler von ihnen ist, ihre Unselbständigkeit untermauert
und ihnen das Selbstvertrauen raubt.
Wenn eine Frau ins Frauenhaus geht, hat sie Mut bewiesen, sich einer
neuen unbekannten Situation zu stellen. Mut, ihr Leben in die eigenen
Hände zu nehmen. Gleichzeitig ist sie verwirrt über die neue Situa-
tion und hat Angst, sie nicht bewältigen zu können. Angst vor mate-
riellen Schwierigkeiten, vor Behördengängen, vor dem Zusammenwohnen
mit vielen fremden Frauen und Kindern. In dieser Situation muß die
Frau konkret unterstützt werden. Ihr Mut, sich auf eine neue Lebens-
situation einzulassen, muß anerkannt werden. Sie muß tatkräftige Hil-
fe bekommen bei Ämtergängen usw. Vielleicht ist es auch möglich, daß
sie Erfahrungen von Frauen, die sich erfolgreich gegen ihre Männer
durchgesetzt haben, für sich verwerten kann.
Unser Ziel ist es, die Widerstandskräfte der Frauen zu stärken. Für
die Frauen heißt das, daß wir sie in ihrem Widerstand unterstützen
wollen. Wir wollen mit ihnen zusammen Wege erarbeiten, wie sie ihre
Rechte als Frauen durchsetzen können! Wir wollen Punkte für einen
neuen, besseren Anfang setzen!
eur
ANMERKUNG
ZUM INFO SOZIALARBEIT, HEFT 23
“FRAUEN UND SOZIALARBEIT”
Im Info Sozialarbeit mit dem Schwerpunktthema “Frauen und
Sozialarbeit” haben wir auf Seite 56 das Symbol des “ Frauen-
forum im Revier” unbeabsichtigter Weise auseinandergeschnitten
und in einer Weise montiert, daß der Symbolcharakter des Em-
blems nicht mehr sichtbar wurde. Darüber hinaus hatten wir ver-
gessen die Grafikerin zu nennen. Dies haben die Frauen vom Frau-
enforum im Revier zu Recht kritisiert.
In der 2. Auflage des Info “ Frauen und Sozialarbeit” haben wir
die Korrekturen bereits vorgenommen. In dieser Ausgabe drucken
wir das Emblem in der Form ab, wie es sie auch als Aufkleber
zu bekommen sind. Im nebenstehenden Beitrag wird über die Ent-
stehungsgeschichte des 1. Frauenforums im Revier berichtet.
Das Symbol des “Frauenforum im Revier” wurde von der
Grafikerin Iris Büchsenschütz entworfen.
Wir bitten unsere Fehler zu entschuldigen. (die Redaktion)
Frauentorum ım Revier Pädagogische Hochschule Ruhr Fachbereich Ill
4600 Dortmund 50 Emilfigge-Str.50 Postf.380 Tel (0231) 7552853
“FRAUEN KOMMT AUS EUEREN SCHNECKENHÄUSERN’”
—Von der Entstehungsgeschichte des 1. Frauenforums im Revier—
Die politischen Strukturen im Ruhrgebiet sind besonders von dem ur-
sprünglichen in diesen Gebieten dominierenden Bergbau geprägt. Die
Gewerkschaft hat hier bis heute noch ständisch-patriarchalische Züge.
Auch das Verhältnis der Frauen zur Politik ist infolgedessen von
dieser Situation geprägt. Die häusliche Abhängigkeit bei gleichzeitig
hoher Belastung bewirkt, daß der Stellenwert organisierter Politik
in ihrem Leben gering ist. Der Mann hat in der Familie das Privileg
"politisch" zu sein. Aber auch von diesen Männern werden die meisten
nicht politisch aktiv. Sie delegieren per Wahl ihre politische Inter-
essenvertretung. Die politische Vertretung aus diesen Stadtgebieten,
die Ratsvertreter, die sich aus der Arbeiterbevölkerung rekrutieren,
sind aber durch Herkunft und Bildung so diskriminiert, daß sie sich
häufig nur durch Anpassung an Fraktionsmehrheiten behaupten können.
Hieraus folgt, daß die spezifischen lokalen Bedingungen und Sachver-
halte, die besonders für Frauen entscheidende Bedeutung haben, nur
eine sehr schwache Interessenvertretung gegenüber der kommunalen
Verwaltung haben, in deren Aufgabenbereich letztlich die Versorgung
mit öffentlichen Dienstleistungen liegt.
Der Grundgedanke, auf dem die Konzeption des l. Frauenforums im Re-
vier aufbaut, ist die stadtteilbezogene Erwachsenenbildungsarbeit als
Zielgruppenarbeit. Sie gewinnt ihre Bedeutung dadurch, daß sie jene
gesellschaftlichen Gruppen erreicht, die in besonderer Weise benach-
teiligt sind, Hausfrauen, Arbeitslose, Rentner, Invaliden, Jugendli-
che, die durch ihre spezielle Arbeits- und Lebenssituation nicht in
der Lage sind, über eine andere Institution oder Interessenvertre-
tung z.B. über Gewerkschaftsarbeit, ihre Interessen politische zu
vertreten und die infolgedessen auch auf diesem Wege nicht von poli-
tischer Bildung erreicht werden. Der Stadtteil ist der Raum, in dem
Folgen politischer Maßnahmen sich konkret als Lebenserfahrung nie-
derschlagen und damit unmittelbar auf ihre reale Substanz überprüf-
bar sind. Diese Erfahrungen sind Ausgangspunkt für die Bildungsar-
beit.
Auf diesem Hintergrund fand in der Woche vom 20. - 25.03.79 an der
Pädagogischen Hochschule Ruhr eine große Bildungsveranstaltung für
Frauen aus dem Ruhrgebiet statt. Veranstalter waren die Pädagogische
Hochschule Ruhr als Gastgeberin und der Verein Sozialwissenschaftli-
che Forschung und Praxis für Frauen. Finanziert wurde das Projekt
teilweise über eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (Übernahme der Per-
sonalkosten für zwei Frauen zur Vorbereitung, Durchführung und Doku-
mentation). Die Honorar- und Reisekosten für die Referentinnen und
Teamerinnen wurden von der Landeszentrale für Politische Bildung,
die Sachkosten vom Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales über-
nommen. Das 1. Frauenforum im Revier sprach in über 100 Veranstaltun-
— 83
gen ca. 5 000 Teilnehmerinnen an und wird gegenwärtig ausgewertet.
Es werden zu den verschiedenen Themenschwerpunkten jeweils eigene
Materialbände für die frauenpolitische Arbeit in den verschiedenen
Institutionen zusammengestellt.
Die Idee für dieses Frauenforum brachten einige Dozentinnen vom Be-
such der 2. Berliner Sommeruniversität für Frauen im Jahre 1977 mit.
Die Planungen erfolgten in zwei Richtungen: Wissenschaftliche Er-
kenntnisse sollten betroffenen Frauen dienstbar gemacht werden und
Probleme von Frauen sollten in die wissenschaftlichen Fragestellun-
gen eingebracht werden. Dieser wechselseitige Vermittlungsprozeß
ist bei jeder Öffnung der Hochschule für andere Bevölkerungsgruppen
notwendig. Daß berufliche und politische Weiterbildung nötig und
nützlich ist, wird inzwischen allgemein akzeptiert. Eine Frau oder
eine Hausfrau aber, die Weiterbildung betreiben will für sich selbst
und nicht etwa nur, um ihren Kindern bei den Schulaufgaben besser
helfen zu können oder den Haushalt besser zu machen, hat es schwer,
ein entsprechendes Angebot zu finden. Darüber hinaus muß sie ihre
Interessen oft gegen weit verbreitete Vorurteile durchsetzen. Oft-
mals stößt allein der Plan, an einer solchen Veranstaltung teilzu-
nehmen, schon in der Familie auf schwere Hindernisse. Er wird als
Provokation empfunden, da tendenziell in einem solchen Schritt ein
Angriff auf die Rollenverteilung angelegt ist, die unter dem Heili-
genschein des Familienfriedens glorifiziert wird.
Bildungsarbeit mit Hausfrauen muß organisatorisch und inhaltlich an
den Problemen ansetzen, die im Stadtteil sichtbar und erfahrbar wer-
den. Die Bildungsarbeit soll den Frauen Wissen über ihre Situation
in der Gesellschaft, über die ihnen gesetzlich und politisch zuste-
henden Rechte vermitteln. Sie soll Argumentationshilfen geben, das
Erlernen sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten fördern, zum Artiku-
lieren der Interessen anregen, soll erreichen, daß Frauen hellhöriger
werden gegenüber Vorgängen, die sie betreffen und diskriminieren.
Dieses Wissen und diese Fähigkeiten sollen helfen, daß Frauen fähig
werden, ihr Handeln als politisch zu verstehen. Ob man diesem Ziel
näherkommt, muß sich im Alltag und der politischen Praxis der teil-
nehmenden Frauen erweisen.
Der Zugang zur Politik über Probleme des Alltags, als Politisierung
des Alltags, eröffnet allen Frauen die Chance, sich in ihrer tägli-
chen Arbeit als politisch handelnde Subjekte zu begreifen und zu-
gleich mit ihren Interessen politisch Einfluß zu nehmen.
Diesen Prozeß des Heraustretens in die Öffentlichkeit des Stadtteils
symbolisiert das Zeichen des Frauenforums. Es soll zeigen, wie Frauen
miteinander in Kontakt treten und schrittweise, gemeinsam mit ande-
ren Frauen solidarisch für ihre Rechte eintreten. In dem Zeichen
angelegt ist die freundlich-beschwingte Aufforderung doch hinzuzu-
kommen und mitzumachen.
=D
ADRESSEN DER SOZIALHILFEGRUPPEN/
SOZIALHILFELEITFÄDEN
Der Berliner Leitfaden:
„Sozialhilfeempfänger werden behandelt
wie der letzte Dreck! — Sozialhilfebro-
schüre’’ (3. Auflage). Kontakt: „Chamis-
so-Laden”, Willibald-Alexis-Str. 15,
l Berlin 61, 8& Seiten, DM 4,-, Stu-
denten DM 2,-, Sozialhilfeempfänger
kostenlos.
Der Bielefelder Leitfaden:
„Leitfaden durch das Sozialamt”. Über:
Pippi-Langstrumpf-Laden, August-Bebel-
Str. 80, 4800 Bielefeld. 14 Seiten, DM
l,— in Briefmarken.
Der Dortmunder Leitfaden:
„Sozialhilfe — Dein gutes Recht’. Hrsg.
von der Dortmunder Selbsthilfe e.V.,
Stollenstr. 6, 4600 Dortmund. 16 Sei-
ten. DM 1,-— in Briefmarken.
Der Düsseldorfer Leitfaden:
„In jeder Lebenslage”. Sozialhilfe-
Info der Selbsthilfe Düsseldorf, Koper-
nikusstr. 53 oder Buchladen, Konkor-
diastr. 81, 4000 Düsseldorf. 44 Seiten.
DM. 2,- plus Porto (in Briefmarken).
Der Duisburger Leitfaden:
„Sozialhilfe in Duisburg’ Informa-
tionen, die wir vom Sozialamt selten
hören” (2. Aufl. Jan. 1979; 3-4000
Exemp.). Über: Helmut Loeven c/o
Literaturvertrieb, Finkenstr. 56, 4l
Duisburg 1. 45 Seiten. DM 2,
alhilfeempfänger DM 0,50.
‚ Sozi-
Der Kölner Leitfaden:
„Wichtige Tips über Sozialhilfe. Entwor-
fen von Betroffenen für Betroffene.”
(Jan. 1978; Auflage 3-4000). Hrsg. von:
Interessengruppe Sozialhilfe e.V. Köln,
c/o Annegret Rückriem, Lindenthalgürtel
94, 5 Köln-41, Tel. 402870. 40 Seiten.
DM 2,- und Porto DM 0,60 (in Brief-
marken).
Der Münsteraner Leitfaden:
„Wie ich bekomme, was mir zusteht’.
Hrsg. von: Sozialhilfegruppe Münster
GESA, Ewaldistr. 29, 4400 Münster.
40 Seiten. DM 2, - in Briefmarken.
Der Stuttgarter Leitfaden:
„Sozialhilfe in Stuttgart” Hrsg. von:
Arbeiterselbsthilfe e.V., Rostocker Str. 9,
7000 Stuttgart 50. 52 Seiten. DM 2,
plus Porto DM 0,60 (in Briefmarken).
Leitfäden zu speziellen Hilfen:
Der Frankfurter Leitfaden:
„Leitfaden: Sozialhilfe für Behinderte”
Über: Sozialhilfegruppe TUWAS, c/o
Fachhochschule/Fachbereich Sozialar-
beit, Limescorso 5, 6 Frankfurt/Main.
Ca. 80 Seiten. DM 2,- plus DM 0,60
Porto (in Briefmarken).
Der Marburger Leitfaden:
„BSHG-Merkblatt” (4. Aufl. 1978). Hrsg.
von: Bundesvereinigung Lebenshilfe für
geistig Behinderte e.V., Postfach 80,
3550 Marburg 7. 40 Seiten. DM 3,50
plus Porto DM 0,60 (in Briefmarken).
(Zur näheren Beschreibung dieser Leitfäden s. päd.extra sozialarbeit Nr. 9/
1979 5., 37 ff.)
Soziale Arbeitsgemeinschaft e.V.
c/o Helmut Köhler
Großköllnstr. 33
51 Aachen
Veronika Vanca
Sandstr. 152
5010 Bergheim-3 (Quadrath)
Tel: 02271/95001
Caritasverb. Bergisch-Gladbach
- Arbeitskreis Sozialhilfe
Laurentiusstr. 32
506 Bergisch-Gladbach-2
Tel: 02202/32903 + 36315
Christa Bunzeck
Borchertstr. 20
463 Bochum
Tel: 0234/853220
Andrea Hildmann
Bunzlauerweg 2
53 Bonn |
Tel: 02221/660590
Sozialhilfegruppe Burscheid
e/o Karla Ostrowski
Dünweg 14
5093 Burscheid 2
Tel: 02174/8421
Nachbarschaftszentrum
Nettebruch 4
4354 Datteln
Tel: 02363/8916
Neuländer Club
Interessengruppe Sozialhilfe
c/o Gisela Tappe
Im Lindenort 16
493 Detmold
Frauengruppe Sozialhilfe
c/o Karin Urbanneck
Buschei 103
46 Dortmund 7
Tel: 0231/2324 36
Frauen-lnitiative Scharnhorst
c/o Christel Langiewicz
Döbelnerstr. 6
46 Dortmund 1
Barbara Linnenbrügger
Hopfenstr. 4
46 Dortmund |
Interessengruppe Soziale Hilfe e.V.
c/o Bruno Trojan
Lindenhorsterstr. 7]
46 Dortmund-I
Tel: 0231/8561 11
Gisela Böhm
Kurt-Tucholskistr. 11
4000 Düsseldorf-13
Tel: 0211/703722
Selbsthilfe Düsseldorf
Aachenerstr. 10
4000 Düsseldorf-1
Tel: 0211/349231
Erna Collignon
Am Kreyenberghof 51
41 Duisburg-l 1
Tel: 0203/596365
Gisela Sühr
Vallenziennerstr. 174
516 Düren
Tel: 02421/63499
Karin Schulz
Niederstr. 17
43 Essen |
Tel: 0201/313436
Interessengemeinschaft Sozialhilfe
c/o Harald Habich
Grabbrunnenstr. 10
7300 Esslingen
Landesarbeitsgemeinschaft
Soziale Brennpunkte Hessen e.V.
-Geschäftsstelle —
Moselstr. 25
6000 Frankfurt 1
Tel: 0611/234397
Gelsenkirchner Selbsthilfe e.V.
Horsterstr. 75
466 Gelsenkirchen-Buer
Tel: 0209/378558 od. 593328
August Egeling
Dorstenerstr. 39
466 Gelsenkirchen-Buer
Tel: 0209/370812
Willi Dünow
Gärtnerweg 14
4180 Goch
Tel: 02823/6217
Elfi Engelbrecht
Ringstr. 3
3505 Gudensberg-6
Tel: 05603/4275
Max Marquart
Neuenkirchnerstr. 46a
483 Gütersloh |
Tel: 04221/57760
Peter Coring
Tannenbergstr. 76
4432 Gronau
Barbara Lüders
Scheelring 17
2 Hamburg 61
Tel: 040/5508027
Interessengruppe Sozialhilfe
c/o Edelgard Goebel
58 Hagen-1
Tel: 02331/56454
Arbeitsgemeinschaft
sozial benachteiligter Familien
Niedersachsen
Gruppe Hildesheim
Ehrlichstr. 18
3200 Hildesheim
Tel: 05121/59841
Margret Setzkorn
Am Hoverkamp 125
4044 Kaarst
Tel: 02101/868796
NVS-Nothilfe
Vereinigung für
Sozial- u. Arbeitsförderungsberechtigte
EV,
35 Kassel
Postfach 420206
Tel. 0561/43475
Interessengruppe Sozialhilfe e.V. Köln
c/o Annegret Rückriem
Lindenthalgürtel 94
5 Köln 41
Tel: 0221/402870
Sozialhilfegruppe Köln-Mühlheim
c/o Herr Sinnhuber
von Sparrstr. 17
5 Köln 80
Tel: 0221/627190 od. privat 629996
Interessengruppe der Sozial-
hilfeempfänger
c/o Elisabeth Nannig
Remscheiderstr. 112
5000 Köln 91
Tel: 0221/854135
Marianne Düppen
Heidelbergstr. 11
5 Köln 80
Tel: 0221/623154
Wenn weitere Gruppen oder Kontaktpersonen bekannt sind, oder wenn
Gerhard Feth
Danzigerstr. 1
5910-Kreuztal
Tel: 02732/21850
Erika Beier
Düsselring 79
402 Mettmann
Tel: 02104/72625
Peter Leipziger
Humboldtstr. 6
405 Mönchengladbach 1
Tel: 02161/14369
GESA e.V..
Ewaldistr. 24
44 Münster
Tel: 0251/64477
Luise Kamper
Westlintelerweg 39
2980 Norden/Ostfriesl.
Tel: 04931/6322
Frauen helfen Frauen
c/o Ursula Tinius
Ludwigstr. 14
42 Oberhausen 1
Arbeiterselbsthilfe e.V.
Rostockerstr. 9
7 Stuttgart 50
Tel: 0711/541079
Ilse Helbach
Siegfriedstr. 3
4750 Unna-Massen
Tel: 02303/52900
Cornelia Lenartz
Frohnstr. 17
562 Velbert 11
Tel: 02127/7106
sich die Adressen ändern, gebt uns bitte Bescheid.
BERICHTE — HINWEISE — INFORMATIONEN — KLEINANZEIGEN
® JA ZUM 7. DEUTSCHEN JUGENDHILFETAG — ABER WIE UND WANN ?
(aus: Informationen zur Jugendlörderung 1/80)
Einstimmig abgelehnt hat die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe
(AGJ) auf ihrer Mitgliederversammlung am 20. November 1979 in Kiel
die Abschaffung des Jugendhilfetages. Die Mitgliederversammlung be-
schloß zugleich die Bildung einer Arbeitsgruppe, die sich aus je
zwei Vertreter(inne)n der Mitgliedersäulen zusammensetzt und auf der
Grundlage der im folgenden wiedergegebenen Position der Jugendver-
bünde (Mehrheitsbeschluß) sowie der schriftlichen Stellungnahmen der
Mitglieder und der Ergebnisse der Diskussion während der Mitglieder-
versammlung zu der Zukunft von Jugendhilfetagen eine Vorlage für
den 7. Deutschen Jugendhilfetag erarbeiten soll. Über die "Konzep-
tion" dieser Arbeitsgruppe wollen die Mitglieder auf ihrer nächsten
Versammlung im Mai/Juni 1980 endgültig entscheiden. Als Zeitpunkt
ist für den 7. Deutschen Jugendhilfetag bisher das Frühjahr 1983
vorgesehen.
Grundsätze zur Durchführung zukünftiger Jugendhilfetage der AGJ
Vorbemerkung:
Diese Grundsätze zur Durchführung zukünftiger Jugendhilfetage der
AGJ sind gemeinsame Grundpositionen der Säule Jugendverbände in der
AGJ. Sie sollen als verbindliche Leitlinie für ein durch den Vorstand
der AGJ einzusetzendes Vorbereitungskomitee beim 7. Deutschen Jugend-
hilfetag gelten.
Nach wie vor ist die Durchführung von Jugendhilfetagen ein Satzungs-
auftrag der AGJ, der für alle Mitglieder verbindlich ist, und der
mit dem Eintritt in die AGJ anerkannt wurde. Daraus ergibt sich die
unmittelbare Verpflichtung aller Mitglieder, sich aktiv am Jugend-
hilfetag zu beteiligen.
I.
Die Mitgliedsorganisationen der AGJ wollen eine offene, sachbezogende
Auseinandersetzung mit kritischen, auch radikalen Positionen in der
Jugendhilfe führen. Dies ist in verschiedenen Formen möglich. Eine
Möglichkeit ergibt sich durch die Veranstaltung des Deutschen Jugend-
hilfetages, wie er durch die Satzung der AGJ vorgegeben ist. Die
Form soll dem Markt der Möglichkeiten nach dem Modell des 6. Deut-
schen Jugendhilfetages entsprechen. Andere Formen der Auseinander-
setzung, wie z.B. in Fachkongressen oder in Fachausschüssen, sollten
deshalb nicht vernachlässigt werden.
—
Il.
Die Funktion von Jugendhilfetagen ist es, die Praxis der Jugendhilfe
in der Öffentlichkeit darzustellen und Unterstützung für die Ziele,
Aktivitäten und Probleme von Jugendhilfe zu erreichen. Jugendhilfeta-
ge dienen darüber hinaus auch dem fachlichen und jugendpolitischen
Austausch in Theorie und Praxis sowie der Einflußnahme auf jugendpo-
litische Entwicklungen außerhalb des traditionellen Mitgliederspek-
trums der AGJ.
Zielgruppe für einen Jugendhilfetag sollen nicht die Jugend im all-
gemeinen, sondern vor allem Fachleute der Jugendarbeit sein (Mit-
arbeiter in der Jugendarbeit, Studenten, Sozialarbeiter usw.).
LiL:
Um eine sachliche und fachpolitische Darstellung der Arbeit in der
Jugendhilfe zu gewährleisten, muß die Organisation des Jugendhilfe-
tages sicherstellen, daß alle Beteiligten ihre inhaltlichen Vorstel-
lungen einbringen können und eine tatsächliche Diskussion möglich
ist. Daher sind die Veranstaltungen während der künftigen Jugendhil-
fetage nach folgenden Grundsätzen zu gestalten: Da Großveranstaltun-
gen nach den bisherigen Erfahrungen nicht sinnvoll erscheinen, ist
das diesbezügliche Angebot von Räumlichkeiten so zu gestalten, daß
der Charakter der Veranstaltungen als Diskussionform gewährleistet
bleibt. Veranstaltungen können nur von einzelnen Trägern oder Träger-
gruppen in eigener Regie und Verantwortung durchgeführt werden; die
Arbeitsgemeinschaft AGJ tritt lediglich als Koordinator auf und ver-
zichtet auf eigene Veranstaltungen. Dabei werden die Träger der AGJ
dazu aufgerufen, auch die Vertreter der in der AGJ nicht vertretenen
Träger und Gruppen bei der Vorbereitung einzubeziehen.
IV.
Die Mitglieder der AGJ und alle anderen Gruppierungen nehmen insge-
samt in eigener politischer und finanzieller Verantwortung am Jugend-
hilfetag teil. Die AGJ stellt lediglich den Rahmen zur Verfügung.
Dazu gehören insbesondere Information und Werbung, ausreichende Räum-
lichkeiten und organisatorische Hilfestellung. Voraussetzung für die
Teilnahme ist in diesem Zusammenhang eine ausführliche Beschreibung
der vorgesehenen Aktivitäten während des Jugendhilfetages sowie die
verpflichtende Teilnahme an Vorbereitungstreffen und die Einhaltung
getroffener Absprachen. Die Verpflichtung zur Vorbereitung betrifft
auch die Mitglieder der AGJ, die Vorbereitungstreffen selbst dienen
lediglich der organisatorischen Koordination. Entscheidungen über
inhaltliche Vorgaben bleiben dem AGJ-Vorstand vorbehalten.
Va
Ein Markt der Möglichkeiten ist die geeigneste Form, entsprechend
den Aufgaben und der Funktion von Jugendhilfetagen den Interessen
der Beteiligten Rechnung zu tragen. Daher ist hier sowohl eine trä-
gerspezifische als auch eine thematische Aufteilung notwendig, wobei
die Teilnehmer selbst entscheiden, ob fachspezifische Projekte in
Verbindung mit einem Trägerbereich oder einem thematischen Bereich
untergebracht werden. Dies erfordert eine größere räumliche Trennung
verschiedener Blöcke als es in Köln möglich war.
—
VI./VII.
Den Beteiligten sind weitreichende Möglichkeiten einzuräumen, ihre
Selbstdarstellung nicht nur durch einen Stand, sondern vor allem
auch durch Aktivitäten - beispielsweise kulturelle und andere Pro-
dukte ihrer Arbeit, Medien - zu führen. Hierzu müssen mehrere Bühnen
bzw. Podeste zur Verfügung stehen, auch in geschlossenen Räumen.
Ein Podest, wie es in Köln im Marktbereich aufgebaut wurde, ist für
die Gewährleistung einer solchen auch programmgemäßen Struktur in
der Gestaltung des Jugendhilfetages nicht ausreichend.
Um eine vielfältige Beteiligung am Jugendhilfetag zu ermöglichen,
soll die Themenstellung zukünftiger Jugendhilfetage so allgemein for-
muliert werden, daß möglichst viele Bereiche der Jugendhilfe berück-
sichtigt sind. In diesem Rahmen ist die trägerspezifische und themen-
spezifische Aufteilung vorzunehmen. Die Wahl des Themas des 6. Deut-
schen Jugendhilfetag wird insoweit positiv bewertet. Das Thema eines
Jugendhilfetages sollte als Motto der Veranstaltung begriffen wer-
den können und einen Gesamtakzent der Arbeit aller Jugendhilfeträger
aufzeigen.
VIII.
Der Zeitraum für die Durchführung von Jugendhilfetagen muß einerseits
den Interessen und Möglichkeiten der AGJ und ihrer Mitgliedsorgani-
sationen entsprechen, andererseits den Beteiligten ausreichend Raum
für die Darstellung ihrer Arbeit geben. Daher soll der Jugendhilfe-
tag zukünftig im Abstand von vier bis fünf Jahren durchgeführt wer-
den. Eine Dauer von ca. drei Tagen erscheint in diesem Zusammenhang
als sinnvoll.
Die Verpflichtung zur Durchführung von Jugendhilfetagen darf nicht
dazu führen, daß die Geschäftsstelle der AGJ zum Veranstaltungsbüro
wird.
IX.
Aus den bisherigen Aussagen ergibt sich die Aufgabenstellung der AGJ
als Veranstalter des Jugendhilfetages: Sie stellt den organisatori-
schen Rahmen und die Voraussetzungen für die Durchführung des Jugend-
hilfetages und hat darüber hinaus die koordinierende Funktion. Sie
beteiligt sich nicht mit Beiträgen am Jugendhilfetag, es sei denn
mit einer Darstellung im Rahmen des Marktes.
Die AGJ übernimmt die formelle Eröffnung des Jugendhilfetages, jedoch
nicht in Form einer Veranstaltung. Der Jugendbilfetag läuft ohne
gesonderte Abschlußveranstaltung zu einem festzusetzenden Zeitpunkt
aus. Die Teilnehmer haben sich im vorhinein zu verpflichten, das Ge-
lände anschließend geordnet zu räumen und zu verlassen.
X.
Die Finanzierung des Jugendhilfetages - soweit die AGJ davon betroffen
ist - ist rechtzeitig durch öffentliche Zuschußgeber im Rahmen der Pro-
jektförderung sicherzustellen. Sollte dies nicht möglich sein, ver-
zichtet die AGJ jeweils per Beschluß durch die Mitgliederversammlung
auf die Durchführung eines Jugendhilfetages, und zwar unter Benennung
ihrer Bemühungen um eine finanzielle Absicherung der Veranstaltung.
Yu
© SELBSTHILFEMATERIALIEN DER JUGENDZENTRUMSBEWEGUNG
NÄCHSTES JZ — BUNDESTREFFEN 18.-20. APRIL IN BIELEFELD
In unseren Köpfen spuken sie schon seit geraumer Weile herum, doch
jetzt drängen sie mit Macht zur Realisierung: Die Selbsthilfe-Mate-
rialien für selbstverwaltete Jugendzentren und JZ-Initiativen. Her-
ausgeber sind die Regionalzusammenschlüsse der Jugendzentren, die
sich in den vergangenen Jahren in vielen Regionen (leider noch nicht
in allen) gebildet haben, um die gegenseitige Unterstützung und Koope-
ration der Jugendzentren zu ermöglichen oder zu verbessern. Die Mate-
rialien sollen aber auch bereits bestehenden Jugendzentren weitere
Erfahrungen vermitteln und neue Impulse geben und somit einen kleinen
Beitrag gegen die teilweise zu beobachtende inhaltliche Abflachung
und Entpolitisierung in schon länger bestehenden Jugendzentren lei-
sten.
Die JZ-Selbsthilfe-Materialien sollen nicht in Form eines Handbuches
oder einer Loseblatt-Sammlung erscheinen, da sich diese Form gerade
im Bereich der Medienarbeit als nicht besonders brauchbar für die
alltägliche Praxis im Jugendzentrum erwiesen hat. Es ist vielmehr an
eine Art Medien-Paket gedacht, das aus verschiedenen Teilen (Heften,
Wandzeitungen, Videofilmen, Kassetten, Dias usw.) besteht, die dann
teils von den einzelnen JZs angeschafft und teils bei den Regionalzu-
sammenschlüssen deponiert und dort ausgeliehen werden können. Somit
können die Materialien auch leichter fortgeschrieben und immer wieder
aktualisiert werden, wenn Informationen eines Themenbereiches veral-
ten. Jeder Themenbereich der Materialien soll mit dem geeignetsten
Medium dargestellt werden. Alle Bereiche zusammen ergeben das Medien-
paket.
Bisher wird an folgenden konkreten Themenbereichen (Kapiteln) der
Materialien gearbeitet:
- Selbstverwaltung in Jugendzentren (Anspruch der SV, Wirklichkeit,
Erfahrungen, Einschätzungen, Selbstorganisationsmodelle) Kontakt:
Jugendhausclub Degerloch e.V., Obere Weinsteige, 7 Stuttgart 70
Rechtliches (Trägerschaft, e.V., Gemeinnützigkeit, Satzungen,
Nutzungsverträge, Versicherungs- und Steuerfragen, GEMA usw.)
Kontakt: Verband saarländischer Jugendzentren in Selbstverwaltung
- VSJS, Feldmannstr. 92, 66 Saarbrücken.
Literatur über Jugendzentren (Bücher, Artikel, Dokumentationen,
Diplomarbeiten, kurz alles, was je von und über JZ geschrieben
wurde) Kontakt: Dieter Koschek, Freihofstr. 11, 8990 Lindau/Bodensee
Filmarbeit in Jugendzentren (Filme von und über Jugendzentren, JZ-
Filmprogramme, Verleihe, technische Hilfen) Kontakt: Thomas Scheuer,
Brombergstr. 24, 78 Freiburg (0761/70 91 93)
Musik - "zwischen Disco und Dis-Dur'" (JZ-Lieder, Gruppenadressen,
Selbermachen von Liedern und Instrumenten, Musiktheater und Revuen,
GEMA-Erfahrungen, Einsatz von Tonband und Kassette im JZ, prakti-
sche Tips zur Organisation von Konzerten, Festivals usw.) Kontakt:
Wolfgang Hering, Poststraße 54, 65 Mainz 21
Video-Arbeit (Adressen von Video-Gruppen, Zusammenarbeit, Liste von
Videofilmen über JZs, technische Tips) Kontakt: Anette Leyk, Die-
burger Straße 83, 6101 Roßdorf,Darmstadt
Foto-Arbeit "subjektiv durchs Objektiv" (Fotografie als subjektives
und politisches Medium im JZ, Dokumentationen, Ausstellungen, Tech-
nisches, Herstellung und Einsatz von Ton-Dia-Serien) Kontakt:
Martina Winkel, Alicenstraße 39, 61 Darmstadt
1 =
- Öffentlichkeitsarbeit (Aktionsformen, Informationsvermittlung nach
innen und außen, Berichte von spektakulären Aktionen, Druck, Pla-
katherstellung usw.) Kontakt: Tiedeke Heilmann, Uelzener Str. 10,
3111 Suhlendorf (05820/638)
Unsere Bitte also an alle, die an einem der Bereiche mitarbeiten wol-
len oder die Material, Erfahrungen und Hinweise dazu haben: Schickt
das Zeug an die angegebenen Kontaktpersonen oder setzt Euch mit Ih-
nen in Verbindung. Wer sich für die Materialien allgemein interes-
siert oder noch nicht aufgeführte Themenbereiche beisteuern möchte,
kann sich an Tiedeke Heilmann wenden.Also schickt, was das Zeugs
hält!
Noch zwei kurze Terminankündigungen in diesem Zusammenhang: Das näch-
ste JZ-Bundestreffen - also das 7.!! - findet vom 18. bis 20. April
bei Bielefeld statt. Das Redaktionskollektiv für die Selbsthilfe-Ma-
terialien trifft sich wieder am 30. Mai bis l. Juni im selbstverwal-
teten JZ in Waldkirch bei Freiburg. Informationen und Anmeldung für
beide Treffen beim alten Tiedeke (Adresse siehe oben). Bei dem kön-
nen sich auch alle Jugendzentren melden, die noch nicht regelmäßig
die bundesweite JZ-Wandzeitung bekommen. Die nächste JZ-Wandzeitung
gibt's nämlich in der zweiten Märzwoche.
© AMBULANTE HILFEN FÜR BEHINDERTE —
SERVICEHÄUSER FÜR BEHINDERTE MENSCHEN
Die Bundesarbeitsgemeinschaft "Hilfe für Behinderte" e.V., Dachor-
ganisation von z.Zt. 32 Behindertenselbsthilfeverbänden, hat zwei
neue Broschüren zum Thema "ambulante Hilfen" und "Servicehäuser für
behinderte Menschen" herausgegeben.
Die erste Broschüre bietet einen guten Überblick über die sozialpoli-
tischen Erwägungen zum Ausbau der ambulanten Hilfen. Ebenso versucht
sie die rechtlichen Grundlagen, sowie die wichtigen Anspruchsvoraus-
setzungen für ambulante Hilfen systematisch darzustellen. Darüber
hinaus wurden in der Broschüre die Hilfen für Behinderte über Sozial-
stationen und durch den Einsatz von Zivildienstleistenden näher be-
leuchtet.
In der zweiten Broschüre greift die BAG das Thema "Servicehäuser für
behinderte Menschen" auf und legt Empfehlungen für die Errichtung
und den Betrieb solcher Wohnhäuser vor, um hierdurch behinderten
Menschen eine echte Alternative zum ständigen Aufenthalt in einem
Heim zu bieten. Im Interesse der behinderten Menschen hofft die BAG,
daß möglichst viele Organisationen, Städte, Gemeinden und Landkreise
ihre Anregungen aufgreifen.
Beide Broschüren können kostenlos über die Geschäftsstelle Kirchfeld-
straße 149, 4000 Düsseldorf 1, angefordert werden.
© PSYCHISCH KRANKEN IN DER GEMEINDE HELFEN —
MANNHEIMER-KREIS-TAGUNG 1980 WILL ALTERNATIVEN
ZUM “ABSCHIEBEN” AUFZEIGEN
Der "Mannheimer Kreis", das große Jahrestreffen aller im psychoso-
zialen Bereich tätigen Berufsgruppen, besteht 1980 zehn Jahre. Die
"Jubiläums"-Veranstaltung soll dort stattfinden, wo diese gemeinde-
—
psychiatrische Bewegung ihren Anfang nahm, nämlich in Mannheim, und
zwar vom 15. bis 18. Mai 1980. Die Tagung steht unter dem Rahmen-
thema "Ausgrenzen oder sich ertragen - der Beitrag der Gemeinden zur
Auflösung der psychiatrischen Großkrankenhäuser". Sie soll Wege auf-
zeigen, wie durch die Aktivierung ortsnaher Hilfen das Abschieben
Gefährdeter, Kranker und Behinderter in entlegene Krankenhäuser, An-
stalten und Heime reduziert werden kann.
Veranstaltet wird die Tagung von der Deutschen Gesellschaft für So-
ziale Psychatrie (DGSP). Nach Mitteilung der DGSP werden wieder über
2.000 Teilnehmer erwartet: Ärzte, Psychologen, Pädagogen, Seelsorger,
Sozialarbeiter, Schwestern, Pfleger, Arbeits- und Beschäftigungsthe-
rapeuten, Verwaltungsleute, Laienhelfer und nicht zuletzt Betroffene,
deren Mitwirkung in den Arbeitsgruppen des Mannheimer Kreises seit
der Gründung Tradition hat. Kontakt: DGSP, Postfach 1253, 3050 Wuns-
törf 1,
© TAGUNGEN DER AG SPAK
Ausbildung und Berufsperspektive von Bewohnern in Wohngemeinschaften,
11. - 13.4. Krebsmühle. Auskunft: Koordinierungsstelle für Wohnge-
meinschaften, Westenborken 49/I, 4280 Borken.
Möglichkeiten und Grenzen von Knastgruppen in der "totalen Institu-
tion". Neue Modelle in der Reso-Arbeit. Seminar der AG SPAK, 9.-
11.5. b. Karlsruhe. Auskunft: Ruth Weikum c/o ahs, Danneckerstr. 7,
7 Stuttgart 1.
Seminar: "Theater im Knast", für Gruppen, die Theaterspiel als Me-
thode in der Knastarbeit anwenden wollen. 9.-11.5.80 Altenmelle.
Seminar: "Neue Psychiatrie - alte Strukturen in neuem Gewand?" -
Ziel dieses Einführungsseminars ist es, die Strukturen der Psychia-
trie verständlich zu machen und Anregung zum Weiterdenken, Weiter-
lesen zu geben. - 21.-23.3. in Wildbad b. Wzb.
Seminar: "Versorgung als Repression" - Theorietagung zur Dialektik
von Kontrolle und Versorgung, 18.-20.4.
Seminar: Verhaltensunsicherheiten bei Äußerungen von Sexualität oder
Aggressivität in "Laien'"-helfergruppen, 20.-22.6. in Melle.
Seminar: "Die Bedeutung der Theorie Paulo Freires für eine politi-
sche Veränderung - nur für engagierte Mitarbeiter in Initiativgrup-
pen, die sich längerfristig für eine Mitarbeit interessieren.
15.-18,5.
Seminar: "Stadtviertelarbeit - Bewußtseinsbildung - Veränderung"
13. - 20.7. Nähere Auskunft und Anmeldung - wenn nicht anderes ange-
geben bei der Geschäftsstelle, wo auch die Tagungsvorschau aller
geplanten Seminare der AG SPAK für 1980, gegen 0,50 DM (in Brief-
marken) zu beziehen ist: AG SPAK, Belfortstr. 8, 8 München 80.
© MATERIALIEN
Erfahrungsbericht _OBDACHLOSENARBEILT
Dieser Bericht enthält eine konkrete Beschreibung der Arbeit der
Gruppe von 1976 bis 1979 mit weitergehenden Informationen zur Situa-
tion der Obdachlosen, Kommunalpolitik etc., 216 S. Bezug: 7.00 DM
(einschl. Porto), Vorkasse: Postscheckamt München: Nr. 205 47-808 -
AG SPAK, oder per Briefmarken, Belfortstr. 8, 8 München 80
—
Sondernummer der HEZ - Berliner Zeitschrift für Erzieher und Sozial-
arbeiter über die Reaktionen auf den Heimerziehungsskandal im Mäd-
chenheim im Diakoniezentrum Heiligensee. Was hat eine Dokumentation
bewirkt? Gegen Voreinsendung von DM 3.-- plus Porto ist das Heft
über HEZ c/o Zeitungskooperative, Eisenbahnstr. 4, 1 Berlin 36 zu
beziehen.
Thema "Arbeitslosigkeit"
Artikeldienst der Arbeitsgemeinschaft Junge Presse NRW zum Thema
"Arbeitslosigkeit". Das 66 Seiten umfangreiche Heft enthält Beiträ-
ge zur Jugendarbeitslosigkeit, Berufsbildungssystem, ABM-Maßnahmen,
Selbsthilfen, Lehrlingsbewegung, Forderungskatalog franz. Arbeitslo-
senkomitees u.a. Bezug: AGJPNW c/o Ansgar Klein, Im Erlengrund 1,
5205 St. Augustin 2.
Spielplatz-Dokumentationen
Die Interessengruppe Spichernplatz bietet folgendes Informationsma-
terial an:
Buch: Dokumentation über die Neugestaltung des Spichernplatzes im
Stadtteil Derendorf in Düsseldorf: Band I, 1976, 191 Seiten,
Größe DIN A5, Auflage 1000,. Preis 5.-- DM/ Band II, 1977,
253 Seiten, Größe DIN A5, Auflage 1000, Preis 5.-- DM/
Band III, 1979, 292 Seiten, Größe DIN A 5, Auflage 1000,
Preis 5.-- DM
Tonbandcassette: "Kampf um einen Spielplatz", Rundfunksendung vom
29. Oktober 1976, 60 Min. Musik- und Sprechteil, Preis 5.- DM
Video-Cassette: "Ein Spielplatz", Fernsehfilm des WDR von 1976,
farbig, 20 Minuten. Kostenlose Ausleihe, Portokosten trägt der
Ausleiher.
Überweisungen bitte auf das Konto 7443211 bei der Deutschen Bank,
D'dorf. Kontaktadresse: Interessengruppe Spichernplatz, Meinecke-
straße 28, 4000 Düsseldorf 30, Tel. 0211-433729
Dokumentation "Kommunikationszentrum Honigfabrik"
schildert die Entstehungsgeschichte des Zentrums, die bisher gelei-
stete Arbeit und die Perspektiven der Arbeit in diesem Jahr.
Bezug: Honigfabrik e.V. Industriestr. 125-131, 2102 Hamburg 93.
"ausgepackt" - Informationsblatt für Sozialarbeiter, Sozialpädagogen,
Erzieher in Frankfurt und Umgebung
Bisher sind drei Ausgaben erschienen: ausgepackt wurde zu Problemen
und Konflikten an einzelnen Arbeitsplätzen, zur Sozialpolitik Frank-
furts und Umgebung, zu Unterstützungsmöglichkeiten für Klienten (z.
B. BSHG), zu Veranstaltungen und Terminen, aber auch über positive
Arbeitsansätze und Erfahrungen.
Bezug gegen Voreinsendung von DM 1,50 (einschl. Porto):
Wolfgang Scherer, Bornwiesenweg 47, 6 Frankfurt 1.
Reader; Arbeit mit Mädchengruppen
im schulischen und außerschulischen Bereich geplant.
Schickt uns Material: Examensarbeiten, Protokolle, Erfahrungsbe-
richte oder Kurzinformationen.
Erika Leuteritz, Bahnhofstr. 64, 4400 Münster
= BE.
® MATERIALIEN ZUM PROJEKTBEREICH AUSLÄNDISCHE ARBEITER
Für Initiativgruppen, Lehrer und Gesundheits- und Sozialarbeiter gibt
es schon seit längerem eine interessante Reihe, die sich mit Proble-
men der ausländischen Mitbürger beschäftigt. Die vom "Verein der
Initiativen in der Ausländerarbeit" herausgegebene Materialienreihe
bietet eine interessante Mischung von aktuellen Informationen, Hinter-
grundberichten und Analysen. Schwerpunkt des neuesten Heftes 25 ist
z.B.: Bildungsarbeit mit erwachsenen Ausländern z.b. Aktivitäten
einer spanischen Frauengruppe und Texte zum kommunalen Wahlrecht.
Daneben regelmäßig eine Auflistung der Neuerscheinungen zum Bereich
ausländische Mitarbeiter, Presseartikel, Berichte zur aktuellen Aus-
länderpolitik, Hinweise auf Veranstaltungen von Initiativen und So-
zialarbeitern sowie einen Veranstaltungskalender. Die Materialien-
reihe lebt davon, daß betroffene Initiativen in ihr ein Sprachrohr ge-
funden haben, in dem sie ihre Berichte und Erfahrungen artikulieren
können. Neben der regelmäßigen Reihe (4 Hefte im Jahr für 20.- DM)
werden noch Sonderhefte veröffentlicht, die für alle die, die mit
Ausländern zu tun haben, wichtig sind. Beispiel: Unal Akpinar:
Sozialisationsbedingungen in der Türkei, oder Faruk Sen: Volkssektor
Türkei - eine neue Wirtschaftsform.
Bestellungen und Abos bitte richten an: Verband der Initiativen in
der Ausländerarbeit (VIA), Rheinweg 34, 5300 Bonn. Dort kann man auch
ein aktuelles Verzeichnis der Veröffentlichungen erhalten.
© TAGUNGEN DES ARBEITSKREISES ENTWICKLUNGSPOLITIK (AKE)
Lehrgänge über spezielle Problembereiche der Dritten Welt und der
Entwicklungspolitik
(Grundkenntnisse über den Themenbereich Dritte Welt werden voraus-
gesetzt):
28.03. - 30.03. Massentourismus und Dritte Welt
18.04. - 20.04. Tansania
29.04. - 02.05. Algerien
30.04. - 03.05. Türkei
09.05. - 11.05. Pädagogik der Dritten Welt
15.05. - 18.05. Ausländische Frauen in der BRD
27.05. - 30.05. Entwicklungspolitische Arbeit vor Ort/Arbeit in
Dritte-Welt-Gruppen
05.06. - 08.06. Regionalplanung in der Dritten Welt
09.06. - 13.06. Frauen in der Dritten Welt
16.06. - 19.06. Entwicklungspolitik
Seminare über Probleme der in der Bundesrepublik Deutschland leben-
den ausländischen Arbeiter und ihrer Familien, vor allem für Inter-
essenten, die selbst haupt- oder ehrenamtlich in der Ausländerarbeit
tätig sind:
14.05. - 18.05. Ausländische Frauen in der Bundesrepublik Deutsch-
land
19.05. - 24.05. Probleme der Arbeit mit ausländischen Kindern und
Jugendlichen in der offenen Jugendarbeit
23.06. - 27.06. u ie
Nähere Informationen: AKE, Postfach 1109, 4973 Vlotho.
= 08
MITTEILUNGEN DER ARBEITSF ELDER
BILDUNGSARBEIT UND SOZIALARBEIT
. .
Planung Info Sozialarbeit 1980
C
Folgende Themen wollen wir in diesem Jahr bearbeiten:
@ Neustrukturierung sozialer Dienste (Heft 26)
© Aussteigen - Weitermachen - Wie
Zur politischen Strategie im Sozialbereich
© Ökologie und Sozialarbeit
Linke Politik in der Jugendarbeit
® Weitere Themen mit denen wir u
ns beschäftigen bzw. beschäftigen
wollen: Behindertenarbeit,
Schulsozialarbeit und Elternarbeit
Info-Leserinnen und Leser, die Interesse an einer Mitarbeit haben,
schreiben uns: Arbeitsfeld
Sozialarbeit im SB,Postfach 591,605
Offenbach 4
. .
Planung: Tagungen/Arbeitseminare 1980
rin
© Jugendgruppenarbeit im Stadtteil
"Jugendgruppenarbeit im Stadtteil"
ten 3-jährigen Projekt während unse
feld Bildungsarbeit im Sozialistise
Jahren verschiedene Projekte, die Jugendliche nicht nur als poten-
tielle "Klassenkämpfer", "Antifaschisten" oder "Kernkraftgegner" und
auch nicht nur in ihrem Freizeitinteregse ansprechen, sondern mit
und in einer Gruppe, die im sozialen Lebensraum angesiedelt ist,
m arbeiten. Es sollen die unterschiedlich-
sten Interessen und Bedürfnisse in der Gruppe zum Tragen kommen.
Eine solche Gruppenarbeit
wollen wir exemplarisch kennenlernen.
Termin: 25.-27. April 1980 bei Frankfurt
Genaueres über Inhalt und Ablauf wie auch den Bericht von der letzten
Tagung zur "Jugendbewegung" kann jeder im neuen Rundbrief 1/80 des
AF Bildungsarbeit nachlesen. Der Rundbrief kann gegen Voreinsendung
von DM 2.-- (Briefmarken) bestellt werden beim: Sozialistischen Büro,
Postfach 591, 6050 Offenbach.
untersuchen wir an einem konkre-
rer nächsten Tagung vom Arbeits-
hen Büro. Es gibt seit einigen
E] Arbeitsfeldtagung Ye 13. = 16, Mai 1980
Thema: Sozialpolitik in den 8oer Jahren und Auswirkungen auf eine
politische Arbeit im Sozialbereich
Diese Tagung dient der Selbstverständnis-Diskussion der im Arbeits-
feld mitarbeitenden Genossi
x % ; nnen und Genossen. Im begrenztem Umfang
können auch Gäste an diesem Seminar teilnehmen
® Arbeitsseminar (voraussichtlich Herbst 1980)
Thema: Linke Politik in der Jugendarbeit
—
INFORMATIONSDIENST
ARBEITSFELD SCHULE
INFORMATIONSDIENST
ARBEITSFELD SCHULE
7 m
Schwerpunktthema:
KINDHEIT UND LERNEN
und Protokolle des Glo« kseeschul-Kongresses *
BE SONDERSCHULE
Abstellgleis
| oder
| Freiraum?
1
« Berichte
\usserden Der Kinder
{
Arbeitsfeldmaterialien ac” >
zum Sozialbereich GESUNDHEITSWESENS
SOZIALARBEIT
ZWISCHEN
BÜROKRATIE UND KLIENT
Dokumente der Sozialarbeiterbewegung
Sozialpädagogische Korrespondenz
1969 - 1973
(reprint)
Berichte + Konzepte * Alternativen
Arbeitsteldmatenalen zum Sozial
und Gesundheitsbereich Het 9
Wolien Sie mehr wissen über die Informationsdienste und Arbeitsmaterla-
lien aus den Arbeitsfeldern Schule. Sozialarbeit und Gesundheitswesen?
Haben Sie Interesse an aktuellen Themen: Ökologie, Marismusdiskus
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