INFORMATIONSDIENST
SOZIALARBEIT
DER KAPIALISMUS
EBT AUCH VON DER
BEZIEHUNGSARBEIT
se. und wer springt einfür die Hausfraven in dieser Funktion 2
— Sosialarbeiterinnen- &’Die Weiblichsten Traven der Nation’
Schwerpunktthema:
Q FRAUEN UND SOZIALARBEIT
Offenbach im Juni 1979
Doppelnummer - Preis DM 8,--
NFU
IRSC
INFO SOZIALARBEIT, HEFT 23
INHALT
Vorbemerkung zu dieser Ausgabe 3
Conni Lang/Claudia Wieland, Tübingen
Geschichte der Frauenbewegung und Sozialarbeit 7
Friederike Harter/Marlies Paasche, Tübingen
Weiblichkeit als Beruf 15
Gertrud Meuth, Stuttgart
Arbeit von Frauen in der Gewerkschaft und gewerkschaft-
liche Frauenarbeit 2
Rosemarie Raab, Hamburg
Frauenarbeit im Stadtteil Wilhelmsburg 33
Astrid Hochwald, Hamburg
Gruppenarbeit mit alleinerziehenden Müttern und Ehefrauen 4]
Annemie Blessing, München
Das Frauentherapiezentrum München 49
Projektgruppe "Arbeitslose Mädchen" ,München
Neue Wege statt Rückzug 59
Karin Berger/Lioba Mölbert/Christa Rödel, Lüneburg
Arbeitslose Mädchen - ein Seminarbericht 65
Ilse Hans, Hamburg
Erfahrungen in der Arbeit mit Mädchen aus Arbeiterfamilien 73
Susanne Maurer, Tübingen
Buchbesprechung 79
Frauengruppe Kinderhaus
Männer und Frauen im Kinderhaus -
Ansprüche, Verhalten, Zusammenarbeit 83
Janni Hentrich/Elke Schmid, Tübingen
Familienpolitik - Frauen zwischen Herd und Fliessband lol
Horst Bossong, Bremen
Ärger mit der Jugendbürokratie
- Zum Streit um das Subsidaritätsprinzip - 115
ÖTV Kreisverband Stuttgart/Betriebsgruppe AWO
Kollegen kämpfen um die 40 Std.-Woche
AWO will Lehrlingsheim schließen
"Es bleibt die Selbstverwaltung in Quaregnon"
- Frauen kämpfen um ihre Arbeitsplätze -
Materialien, Hinweise,Stellenangebote/-suche
Stellenanzeigen
MARXISMUS
UND
NATURBEHERRSCHUNG
Beiträge
zu den
Ersten Emst-Bloch-Tagen
Tübingen 1978
Verlag 2000 10,— DM
Bezug: Verlag 2000 GmbH, Postfach 591, 6050 Offenbach 4
129
138
142
7a
VORBEMERKUNG ZU DIESER AUSGABE
Die Idee,uns einmal publizistisch mit dem Thema "Frauen und Sozialar-
beit zu beschäftigen,entstand im Frühjahr 1978 auf einem Arbeitsfeld-
treffen des Arbeitsfeldes Sozialarbeit bei der Planung zukünftiger
Schwerpunktthemen, die im Info Sozialarbeit behandelt werden sollten.
Wir-Frauen aus der Fachgruppe Sozialarbeit im SZ Tübingen - haben
die notwendigen organisatorischen und redaktionellen Arbeiten bis
zur Fertigstellung übernommen.
Wir haben Kontakt aufgenommen zu anderen im Sozialbereich arbeiten-
den Frauen aus Hamburg, München und Stuttgart.
Im Dezember 1978 trafen wir uns, diskutierten über unsere Erfahrun-
gen in der Sozialarbeit und unsere Erwartungen, wie das Thema "Frauen
und Sozialarbeit" im Rahmen des Info abgehandelt werden sollte und
planten die einzelnen Artikel. Die weitere redaktionelle Arbeit woll-
ten wir dann über Post und Telefon in Absprache mit den anderen Frau-
en erledigen. Ein schwieriges Vorhaben - das auch aus Zeitgründen
nicht ganz durchführbar war. Daß es uns als Studentinnen leichter
fällt, die Koordinations- und Redaktionsarbeiten zu machen, liegt
daran, daß wir eher als Berufstätige diese Zusatzarbeit leisten und
auch in unser Studium integrieren können.
Die Motivation dieses Info zu erstellen, steht im Zusammenhang mit
unseren Erfahrungen in der Frauenbewegung. Als Studentinnen der So-
zialpädagogik sind wir in unserem Studium ständig mit der Tatsache
konfrontiert, daß sehr viele Frauen dieses Fach studieren, ohne daß
sich die im Studienablauf und den -inhalten widerspiegelt.
Die Geschichte der Sozialarbeit wird uns immer als Geschichte großer
Pädagogen dargestellt; in den Theorien z.B. über Heimerziehung,
Jugend- und Kinderarbeit wird (unausgesprochen) immer von einer männ-
lichen Zielgruppe ausgegangen, und auch die praktische Arbeit be-
zieht sich auf die sozial "auffälligen" Betroffenen, die fast immer
Männer und Jungen sind.
Unsere Beschäftigung mit der Geschichte der Frauenbewegung und der
Geschichte der Sozialarbeit hat uns deutlich gemacht, daß seit der
Entstehung der Sozialarbeit Frauen eine wesentliche Rolle gespielt
haben und auch heute noch spielen. Denn sie waren und sind immer die-
jenigen, die die Arbeit "vor Ort" mit den "Klienten" leiste(te)n,
während Männer die gehobeneren Schreitischposten einnahmen (einneh-
men). Diese Auseinandersetzung mit der Frauenbewegung, mit geschlechts-
spezifischer Erziehung und Frauenrolle in dieser Gesellschaft zeigte
uns, daß es sicherlich kein Zufall ist, daß gerade Frauen in der È
zialarbeit tätig sind bzw. diese Ausbildung wählen.
Diese Aspekte gehen nicht in unsere Ausbildung ein, sodaß wir ge-
zwungen sind, uns selbständig mit den Fragen nach Charakter, Inhalt
der Sozialarbeit und Berufsmotivation von Frauen zu beschäftigen.
Diese Zusatzarbeit bedeutet für uns die Aufarbeitung unserer eige-
-3-
nen Geschichte, nicht als individuelle, sondern gerade als Frauen”
geschichte.
Der Erfahrungsaustausch mit anderen Frauen, die in ähnlicher Richtung
denken und arbeiten, gibt uns immer wieder Mut, weiterzumachen und
zeigte uns auch die Notwendigkeit, unsere Erkenntnisse einer breite”
ren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, Anstöße zu geben und zu be-
kommen. In Tübingen bedeutet dies zum Beispiel für uns, Erarbeitetes
und Fragestellungen in Seminare, in die Fachschaftsinitiative (Orga-
nisationsgremium der politsch aktiven Studenten/innen am Fach Pädago-
gik) und in Politische Gruppen reinzutragen. P
Auch bei unserer Arbeit in den politischen Gruppierungen merkten WIT,
daß frauenpolitische Fragen nicht selbstverständlich einbezogen sind,
sondern oft unter dem Mäntelchen der Objektivität von Analysen aus”
gegrenzt bleiben.
Diese Erfahrungen bedeuten, das herrschende Politikverständnis infrage”
zustellen. Das ist ein langer, schwieriger Weg, Frustrationen blei-
ben nicht aus. Aber wir haben schon das Gefühl, den notwendigen Anz
fang hinter uns gebracht zu haben, nicht zuletzt mit diesem Info.
Neben der Einflußnahme auf die Studiensituation und die Arbeit in
politischen Gruppierungen ist es uns wichtig, mit diesem Info bei al-
len im Sozialarbereich tätigen Frauen Auseinandersetzung über unse”
re Berufssituation und Berufsrolle beizutragen. Sollen im Reproduk-
tionsbereich politische Bewußtseinsprozesse initiiert werden, für uns
besonders auch unter dem Gesichtspunkt der Frauenproblematik, SO
drängt sich die Frage auf: "Wie sozialarbeiterisch ist die heutige
Frauenbewegung?"
Läuft nicht gerade auch das Aufgreifen sozialer Probleme und die Ein-
richtung selbstorganisierter Projekte durch die Frauenbewegung Gefahr
im öffentlichen bzw. staatlichen Interesse funktionalisiert zu werden?
Füllen die für die Frauenbewegung fortschrittlichen Projekte (z.B.
Frauenhäuser) nicht bestimmte "soziale Marktlücken", die nahtlos die
institutionelle Sozialarbeit ergänzen, ohne daß dies von den Frauen
beabsichtigt ist?
In einem eher theoretischen Teil werden Rolle und Funktion der S0-
zialarbeiterinnen behandelt. Auseinandergesetzt wird sich mit der Ge
schichte der Sozialarbeit und der Frauenbewegung, um insbesondere
aus den Fehlern gerade der bürgerlichen Frauenbewegung zu lernen und
auch ein Bewußtsein der eigenen Geschichte zu entwickeln.
Die "Weiblichkeit" als Inhalt der Sozialarbeit aufzuarbeiten, ist not“
wendig, um ihren Stellenwert für eine feministische Politik (Parter
lichkeit für Frauen) zu bestimmen, ohne jedoch der Gefahr der Selbst-
aufopferung zu erliegen. Eine andere Seite unseres Berufes ist die
Lohnarbeiterexistenz, die es notwendig macht, sich mit der Gewerk-
schaftspolitik zu beschäftigen und auch die Schwierigkeiten aufzu-
zeigen, die sich Frauen in einer aktiven Gewerkschaftsarbeit entge”
genstellen.
Praktische Beispiele einer bewußt parteilichen Sozialarbeit sind die
Erfahrungsberichte aus der Arbeit mit Müttern, Ehefrauen und arbeits”
losen Mädchen: aus dem Therapiezentrum München, der Stadtteilarbeit
in Hamburg, Seminar- und Jugendelubarbeiten in München, Lüneburg und
Tübingen.
Die Erfahrungen in einem Kinderhaus beziehen sich auf die Geschlechts-
rollenproblematik, die sich innerhalb eines Teams und in der Kinder-
erziehung deutlich niederschlägt. Den Schluß bildet ein Artikel über
die Familienpolitik unter dem Aspekt der Frauenerwerbstätigkeit und
ein Beitrag zum Streit um das Subsidaritätsprinzip am Beispiel des
Kinderhauses Ostertor in Bremen. Aktuelle Berichte und Hinweise aus
der Sozialarbeit ergänzen das Schwerpunktthema.
Wir sind uns darüber im klaren, daß uns die Verbindung zwischen dem
theoretischen Teil und den Erfahrungsverichten nicht ganz gelungen
ist, sodaß die grundlegenden Probleme, die sich Frauen in der Sozial-
arbeit stellen, in den Praxisberichten nicht genug spürbar werde. Die-
se Verbindung herzustellen ist damit eine Aufgabe der Leserinnen und
Leser, da freut ihr euch, gell?
Wir fänden es gut, Rückmeldungen über das Info zu erhalten und wären
euch dankbar für Zuschriften jeglicher Art.
Zum Schluß noch eine kurze Bemerkung zur abgedruckten Dokumentation:
die Dokumentation hat erstmal nichts mit dem übergeordenten Thema zu
tun. Wir halten es aber trotzdem für notwendig, dieses Paradebei-
spiel eines Arbeitskonflikts der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Wir fänden es gut, wenn ihr euch mit den Betroffenen solidarisiert!
Viel Spaß beim Lesen
Eure Redaktion
ID hesen SIUNE FPAUEN....
-
REIHE ROTER PAUKER
REIHE ROTER PAUKER, HEFT 16
Materialien für die Unterric htspraxis
m Sozialistische Zeitung
bringt monatlich auf etwa 28 Seiten Informationen ng ATORND:
) \EUEN on für die politische Arbeit, Beiträge zur sozialistischen Theo-
en mer Stadi N E U l N fe und Biraispie, Berichte aus der Linken international Ian:
SCHULERÖFFENTLICHKEIT THEMEN it na ln a RL
Praxis und für Praxis der Theorie
Einzelpreis DM 2
= Bezugspreis, Jährlich, DM 22,- + DM 6.- Versandkosten
REIHE
GESCHICHTE DER
ARBEITERBEWEGUNG
Heft 3
SOZIALISTISCHE
LINKE
NACH DEM KRIEG
-Beiträge
INFO SCHULE
Heft 35 a
“UMGANG MII
FASCHISMUS”
(104 S./DM 7,--)
ROSTA -Fenster und Schablonendruck
REIHE
ROTER PAUKER
Heft 15
MEDIENPRAXIS
-Öffentlichkeit für
Schüler u. Lehrlinge-
(104 Seiten, DM 7,-
von Fritz Lamm u.a.-
(240 Seiten, DM lo,--)
REIHE aM
POLITISCHES THEATER
TAL
gungen-Zentrales Problem gewerkschaft-
licher Politik
»Der Freiheit eine Gasse«
(96 Seiten, DM 6,--)
Dokumentation zur Zensur im Theater
ARBEITSFELDMATE RIALIEN
ZUM SOZIALBEREICH
SOZIALARBEIT
ZWISCHEN BÜROKRATIE UND KLIENT
Reprint der Sozialpäd.Korrespondenz 1969-1974—
(200 Seiten, DM lo,--)
INTERNATIONALISMUS RUNDBRIEF
Heft 4 ar Teer
THEMA: “REALER SOZIALISMUS” ORTE ea
(Din A4 , 48 Seiten, DM 4 ) =
y-
Postfach 591, 6050 Offenbach 4
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Verlag 2000 GmbH des Sozialistischen Büros,
Claudia Wieland/Conni Lang
GESCHICHTE DER FRAUENBEWEGUNG UND SOZIALARBEIT
1. ZUSAMMENHANG VON FRAUENROLLE UND SOZIALARBEIT
Die Frage nach dem strukturellen Zusammenhang von Sozialarbeit und
Frauenrolle drängt sich uns auf, wenn wir sehen, daß
© der Anteil von Frauen in sozialarbeiterischen Berufen (67 %) und
wieder zunehmend in den Ausbildungsstätten sehr hoch ist
© daß Frauen der überwiegenden Teil der Klienten ausmachen - in be-
stimmten Bereichen haben wir es fast ausschließlich mit Frauen zu
tun: z.B. in der Familienfürsorge, Ehe- und Erziehungsberatung,
Therapie...
und wenn wir uns klar machen, daß
© die Frauen primär Reproduktionsarbeiterinnen sind, d.h. daß sich
ihre gesellschaftliche Frunktion und ihre Identität darüber be-
stimmt, daß sie andere Menschen (den Mann, die Kinder) versorgen
und wiederherstellen,
® daß die Sozialarbeit im Reproduktionsbereich "Lückenbüßerfunktion"
hat, indem sie dort eingreift, wo "die Familie" (wer ist das an-
deres als die Frau?) versagt, wo Probleme anstehen, die in der
"Privatheit" nicht gelöst werden können und in Widerspruch geraten
zu den gesellschaftlichen Verhältnissen.
und wenn wir uns bewußt werden,
© über unsere Motivation, diesen Beruf zu wählen: "Umgang mit Men-
schen", "helfen wollen", Beziehungsarbeit als "erfüllender" Beruf
© daß dies der weiblichen Persönlichkeitsstruktur entspricht, wie wir
sie entsprechend der gesellschaftlichen Rolle der Frau übernom-
men haben: Einfühlungsvermögen, Emotionalität, Selbstlosigkeit,
Personenkonzentriertheit, "Aufgehen" im Helfen und Gebrauchtwerden
von anderen...
© daß eben diese Eigenschaften in der Sozialarbeit ausgebeutet und
funktional sind, nicht zuletzt um die objektive Funktion von So-
zialarbeit zu verschleiern und die Illusion zu schüren, "daß da
wer ist, die/der helfen will".
Es ist wohl kein Zufall,
© daß die neue Frauenbewegung sich aus einem hohen Anteil von Frauen
zusammensetzt, die in sozialen Berufen arbeiten (werden),
© daß die heutige Frauenbewegung Sozialarbeit macht, oft unbezahlt:
in Beratungsstellen (FZ), Gesprächsgruppen und Frauenhäusern
© daß es hierbei Parallelen in der Geschichte der Sozialarbeit und
Frauenbewegung gibt.
Die Geschichte hat gezeigt, daß das politis R
S F che P å
bewegung durch und in die Sozialarbeit Kanalisfert wurde” irde “im rg
. araus
-7-
zu lernen und um nicht in ähnlicher Weise unter Aufgabe der politischen
Ziele den Weg der Integration ins System zu gehen und dem Staat sozial-
arbeiterische Maßnahmen abzunehmen, wollen wir einen Beitrag zu die-
sem noch lange nicht ausdiskutierten Problem geben, indem wir den hi-
storischen Zusammenhang von Frauenbewegung und Sozialarbeit in ihrer
Entstehung darstellen.
2. GESCHICHTE DER SOZIALARBEIT UND FRAUENBEWEGUNG
Mit dem aufkommenden Kapitalismus ging die Auflösung der alten Fami-
lienform als Arbeits- und Lebenszusammenhang einher: die Einheit von
Produktion und Reproduktion löste sich in zwei voneinander getrennte
Bereiche: der Mehrwert wird in der öffentlichen Produktion der Fabrik
in die Tasche eines Produktionsmittelbesitzers durch die Lohnarbeiter
erwirtschaftet, die sich im privaten Bereich der Familie mit dem Lohn
und durch die Arbeit der Frau reproduzieren.
Die Einbeziehung der Frau in die Produktion, die grenzenlose Ausbeu-
tung aller zur Verfügung stehenden Arbeitskrfäte trug dazu bei, daß
die Repdroduktion der Arbeitskräfte nicht mehr gewährleistet war, die
Sterblichkeit und Verwahrlosung der Kinder zunahm, die Alten und
Kranken nicht mehr versorgt waren etc. Dies führte zur notwendig ge-
wordenen Erweiterung der ehrenamtlichen Fürsorgetätigkeit, die bisher
von Männern geleistet worden war. Die höheren Anforderungen an die
zum öffentlichen Anliegen gewordenen Reproduktionsarbeit (Sozialar-
beit) führten zum Bedarf an qualifizierten Fachkräften.
Um die Reproduktion der Ware Arbeitskraft auch langfristig zu sichern,
wurde als sozialstaatliche Maßnahme die Bismarcksche "Sozialgesetz-
gebung" (Kranken-, Unfall- und Altersversorgung) eingeführt; Ziel die-
ses Sozialversicherungswerkes war es auch, die Sozialstaatsillusion
zu schüren, die Klassenverhältnisse zu verschleiern und quasi als
"Entschädigung" zu den Sozialistengesetzen von 1878 anzubieten:
"Wenn es keine Sozialdemokratie gäbe und wenn nicht eine Menge Leu-
te sich vor ihr fürchteten, wäre diese Sozialpolitik nie zustande ge-
kommen" (Hollstein/Meinhold, S. 75)
ne sa ie
Die bürgerliche Frauenbewegung
EA NE
Die zunehmende Kapitalisierung der Produktion zerstörte auch die Le-
bensgrundlage der bürgerlichen Mittelschicht und des Handwerks. Die
Zünfte kämpften um ihr Überleben und weite Teile diese Bevölkerungs-
schicht wurden proletarisiert. Die Großhaushalte lösten sich ange-
sichts der wirtschaftlichen Not auf, und damit war die traditionel-
le Basis der sozialen Stellung der Frau zerstört. Für viele Frauen
war es notwendig geworden, eine Erwerbstätigkeit zu ergreifen, und
ledige Frauen verdingten sich oft als Dienst- oder Kindermädchen.
Viele wurden Prostituierte, denn nicht einmal die Lohnarbeit konn-
te ihnen das Überleben sichern, da sich ihr Lohn als "Zuverdienst"
zum Lohn der Männer bemaß. Sie waren von nahezu allen Berufen ausge-
schlossen und so forderte die bürgerliche Frauenbewegung das "Recht
auf Arbeit” und Bildung, wie ökonomische, rechtliche und politische
Gleichberechtigung. Dies ist auch auf dem Hintergrund der Forderungen
der bürgerlichen Revolution ("Freiheit, Gleichheit") zu sehen und dem
preußischen Vereinsgesetz, (Verbot der Vereinsmitgliedschaft für
=8-
Frauen), das nur ein Ausdruck ihrer allgemein rechtlosen und unter-
drückten Lage war. Sie rechneten sich als Trägerinnen von Institu-
tionen mehr politischen Einfluß aus - um u.a. das Frauenwahlrecht
durchzusetzen -, drängten so in den neuen Beruf der Sozialarbeit,
für den sie sich auch durch ihre Eigenschaften als Frauen wesens-
mäßig berufen fühlten und gründeten die ersten sozialen Frauen-
schulen.
Für den Staat waren damit zwei Fliegen auf einmal geschlagen, der Ar-
beitsmarkt der Männer war beruhigt, da die Konkurrentinnen ausge-
schaltet waren, und die Sozialarbeit wurde kostensparend zu niedri-
gen Löhnen durch den hohen Persönlichkeitseinsatz der Frauen getra-
gen, was zur Verschleierung der brutalen Ausbeutungsverhältnisse und
zur Kanalisierung des politischen Potentials der Frauenbewegung bei-
trug.
Die bürgerliche Frauenbewegung begriff nicht die allgemeinen Grund-
lagen der kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse, und erhoffte
sich und den "notleidenden Schwestern" (den proletarischen Frauen)
eine Verbesserung ihrer Lage durch formale Gleichstellung und 'Re-
formen'. Sie erkannten ebensowenig die klassenspezifische und besonde-
re Ausbeutung der Proletarierinnen, die sie zu organisieren suchten
und mit Bildungsangeboten langweilten. "So waren sie wohl bereit,
den Arbeiterinnen zu 'helfen', aber sie verstanden nicht, daß es für
sie nur eine wirksame Hilfe gab: ihre Organisierung gemeinsam mit
den Klassengenossen zum Kampf gegen den Kapitalismus und seinen Staat,
seine soziale Ordnung" (Clara Zetkin, $S.57). Im Gegenteil, sie kamen
damit dem Anliegen des Staates entgegen, '"Klassenschranken zu über-
winden' und durch die Anteilnahme, die Individualisierung der Not
und Notlinderung die realen Verhältnisse zu verschleiern.
Teile der bürgerlichen Frauenbewegung hatten auch (sehr im Sinne der
Sozialarbeit) vor allem das Anliegen, die Frauen besonders der Unter-
schicht in der sich neu stellenden Frauenrolle zu unterweisen und sie
auf die damit verbundene Ideologie festzulegen.
III
Die sozialistische Frauenbewegung
LEO O L l
Die sozialistische Frauenbewegung glich sich unter Aufgabe ihrer so-
zialistischen Ziele der bürgerlichen Frauenbewegung in der Sozialar-
beit an. Um zu zeigen, wie es dazu kommen konnte, gehen wir kurz auf
die dafür ausschlaggebenden Momente der Bewegung ein.
Die Frauenbewegung war ein Teil der durch die kapitalistische Umwäl-
zung der Verhältnisse entstandenen Arbeiterbewegung. Die Frauenfrage
wurde dementsprechend als ein Teil der allgemeinen sozialen Frage ver-
standen, die besondere Lage der Frauen als Reproduktionsarbeiterinnen
außerhalb der Produktion wurde nicht berücksichtigt.
Ziel der Frauenbewegung sollte es sein, durch die massenhafte Einbe-
ziehung der Arbeiterfrauen in die Produktion sie ökonomisch unabhän-
gig von ihrem Ehemann zu machen, und aufgrund der gleichen Erfahrun-
gen in der Fabrik sollte sich ihr Klassenbewußtsein derart entwickeln,
daß sie gemeinsam mit ihren Klassengenossen den Klassenkampf führen.
Damit wäre die Befreiung der Frau als Teil der allgemeinen Befreiung
des Proletariats gesichert.
Karl Marx prophezeite den durch die Lohnarbeit der Frau bedingten Zer-
fall der proletarischen Familie als zerstörerisches Prinzip der kapi-
talistischen Gesellschaft und zwar in dem Sinne, daß sich die gesell-
-9-
LAJ
4 vYoch
7
PET
/onnstu = x
Zennstungentagkämpferten!
schaftlichen Widersprüche durch die Verelendung der Individuen der-
art zuspitzen würden, daß sie zwangsläufig zur Umwälzung der gesell-
schaftlichen Verhältnisse drängen würden.
Für die revolutionäre Aufgabe sollten die Frauen durch "Aufklärung"
an die Seite und auf das Niveau des klassenbewußten Arbeiters geführt
werden. Doch leider waren die Klassengenossen nicht "aufgeklärt! ge-
nug, ihre Privilegien dafür aufgeben zu wollen: sie fürchteten um
ihr letztes "Privateigentum", die Ehefrau, und fürchteten, daß durch
die Frauenbewegung die häuslichen Zustände in "Unordnung" gerieten.
Außerdem sahen sie die Frauen als Lohndrückerinnen und so forderten
z.B. die Lassaleaner 1865 zum ersten Mal die Abschaffung der Frauen-
arbeit. Gegen diesen und den harten Widerstand auch in der Gewerk-
schaftsbewegung setzte sich erst nach und nach die Erkenntnis durch,
daß nicht die Frauenbarbeit selber, sondern die Ausbeutung der Frau-
enarbeit durch den Kapitalisten lohndrückend sei, und die Konkurrenz
geschaffen werde. An dem Faktum der Frauenarbeit kam man nicht mehr
vorbei und so setzte sich u.a. Clara Zetkin dafür ein, daß die Frau-
en mit den Männern den Klassenkampf gegen die kapitalistischen Ver-
hältnisse führen sollten, und zusammen mit den fortschrittlichen
Kräften (Marx, Engels, Bebel) suchte sie die Gleichstellung der Frau-
en auch in der Arbeiterbewegung durchzusetzen.
Nachdem, bedingt durch die Abschaffung der Sozialistengesetze 1889
die Frauen als Wählerpotential für die Sozialdemokratische Partei
interessant wurden, wurde 1891 auf dem Erfurter Parteitag das Wahl-
recht für die Frauen als Forderung aufgenommen sowie die Forderung
nach Abschaffung aller die Frauen benachteiligenden Gesetze. Innerhalb
der Partei wurden Frauenorganisationen gegründet, ebenso in den Ge
werkschaften, die ein Jahr später verpflichtet wurden, die Frauen als
gleichberechtigte Gewerkschaftsmitglieder aufzunehmen. In der Praxis
weigerten sich jedoch noch zahlreiche Einzelgewerkschaften, die sich
weiterhin gegen die Frauenarbeit organisierten.
In der darauffolgenden Zeit, bis 1913, wurde verstärkt Frauenagita-
tion betrieben, wobei jedoch alle über die Frauenerwerbstätigkeit
hinausgehenden Forderungen als bürgerlich’ abgetan oder als Spal-
tungsversuch erklärt wurden. Die Doppelbelastung der Frau durch Be-
ruf und Haushalt wurde nicht erkannt, ihre Stellung in der Familie
bzw. die Familienform wurde nicht in Frage gestellt und daher für
und von den Frauen auch keine besonderen Forderungen erhoben. Zur
Hauptaufgabe der Frauen innerhalb der Partei wurde Wahlhilfe, was
bereits den Weg der Integration in die bürgerliche Gesellschaft ebne-
te, die zum Parlamentarismus führte. Die Wandlung der SPD von einer
revolutionären zur staatstragenden Partei führte nach der Bewilli-
gung der Kriegskredite zu ihrer Spaltung. Diese Spaltung der Partei
schwächte nicht nur die Arbeiterbewegung, sondern auch die Frauen-
bewegung. Nachdem Clara Zetkin und die anderen fortschrittlichen Frau-
en mit dem linken Flügel aus der Partei ausgetreten waren, war die
Frauenpolitik geschwächt und veränderte sich.
Die juristische Gleichstellung und das gewährte Frauenwahlrecht wirk-
ten demobilisierend, und mit dem Einzug der Frauen ins Parlament wa-
ren die Forderungen der Frauen genausowenig erfüllt wie die der So-
zialisten allgemein.
Die Frauen der reformerischen Partei hatten bald kaum mehr etwas ge-
mein mit den früheren Vertreterinnen der sozialistischen Emanzipa-
-]1-
tionstheorie, was sich am Beispiel der Gründerin der Arbeiterwohl-
fahrt Marie Juckacz, deutlich machen läßt. Sie war 1919 die erste
Frau auf der Natioanlversammlung in Weimar. Sie selbst schrieb 1919:
"Die Revolution hat die Frauen hineingeführt in den Parlamentarismus.
Dadurch sind der Bewegung wertvolle Kräfte entzogen." Gerühmt wird
sie auf der 50-Jahrfeier der AWO mit ganz anderen Tönen: "Mit der
Rednerin Marie Juckcz tritt uns ein neuer, ein ganz anderer Typ ent-
gegen, der Typ der Frau, die ihre errungenen Rechte mit würdiger
Selbstverständlichkeit wahrnimmt. Es ist die Mütterlichkeit, die
frauliche Menschenliebe, die mit Marie Juckacz in der Volksvertretung
das Wort ergreift. Angesichts einer solchen Erscheinung, die erfreu-
licherweise nicht vereinzelt bleibt, muß die Witzelei der Spießbür-
ger, die in früheren Zeiten den Fortschritt der Frauenbewegung be-
gleitete, einer stummen Verlegenheit Platz machen." (Dokumentation
zum 50-jährigen Bestehen der AWO).
Die Witzeleien der Parteigenossen in der Zeit der starken Frauenfrak-
tion, die Diskriminierung der aktiven Frauen, denen oft vorgeworfen
wurde, sie seien zu querulant, leisteten zu wenig und sähen den Fort-
schritt ihrer Sache nicht genügend in Zusammenhang mit der allgemei-
nen Entwicklung der Arbeiterbewegung, verstummten also dort wieder,
wo sich die Frauen mit Berufung auf ihre alte Rolle in das patriar-
chalische Herrschaftssystem wieder einfügten. Genau wie allgemein
nach dem I. Weltkrieg die Frauen wieder auf ihre "wesensmäßige Be-
stimmung" verpflichtet wurden, an den Herd oder in die sich verbrei-
tende Sozialarbeit abgedrängt wurden, so war auch innerhalb der SPD
die Erschließung eines spezifisch weiblichen Arbeitsgebietes die Pa-
tentlösung für den "von den Frauen bedrängten Parteivorstand", um
mögliche Radikalisierungen zu vermeiden. "Dem Drang der Genossinnen
zur positiven Mitarbeit kommt die Einrichtung des Hauptausschusses
für Arbeiterwohlfahrt entgegen" (Görlitzer Parteitag 1921).
So entspricht dem Wandel der Sozialdemokratie zur Reformpartei die
Wandlung der proletarischen Frauenbewegung zur sozialen Nothelferin.
Das Zuschieben dieser Funktion, die Sozialarbeit, diente also dazu,
"den Schaden für die Männer so gering als möglich" zu halten (Thönes-
sen), sowie der Integration der Frauen in die bürgerliche Gesellschaft,
aus der sie auszubrechen drohten.
Aus der Geschichte lernen ....
Wie wir sehen, gingen die Frauen beider Frauenbewegungen in der So-
zialarbeit auf und ihre politischen Ziele dabei unter. Ein anderer
Teil der bürgerlichen Frauenbewegung kümmerte sich in "unpolitischen"
Frauenvereinen um Kunst, Kleidung und andere schöne Dinge. Wem fal-
len da nicht die hennagefärbten Haare und lila Latzhosen ein, die
Emigration in die "neue Weiblichkeit"... und die Unfähigkeit, unsere
feministischen Inhalte, unsere Art zu leben, unsere Vorstellungen
von "befreiten" gesellschaftlichen Verhältnissen den anderen Frauen
zu vermitteln!
Auch die neue Frauenbewegung findet sich in der Sozialarbeit wieder,
und das ist eigentlich kein Wunder, da Frauen ihre primäre Funktion
und Identität über den Reproduktionsbereich erhalten, und eine Frau-
enbewegung an den sich dort manifestierenden Widersprüchen ansetzen
kann.
Die neue Frauenbewegung hat sich entzündet an Aktionen gegen die bür-
gerliche Gesellschaft, ihrer Doppelmoral und der Festlegung auf die
traditionelle Frauenrolle im Kampagnen gegen den & 218. Und heute ist
sie Lückenbüßerin im Sozialbereich, Flickschusterin von Problemen, für
die der Staat keine Lösungen anzubieten hat, h.B. Gewalt in der Ehe
(Frauenhäuser, Beratung) oder Verhütungsproblematik.
Dies war zunächst Anknüpfungspunkt, um über das studentische Milieu
hinaus auch andere Frauen anzusprechen und für die Bewegung zu gewin-
nen. Durch die aktuelle Not der Hilfesuchenden und der sich auf Grund
ihrer Realität anders stellenden Problemlage und Perspektive (-losig-
keit) kam es nicht zu dieser von sicherlich naiv gewünschten Verein-
heitlichung von Frauen mit unterschiedlicher Klassenlage. Hier liegt
auch eine der Parallelen zur bürgerlichen Frauenbewegung, deren Ver-
suche, die Proletarierinnen in ihre Bewegung zu integrieren fehlge-
schlagen waren.
Stattdessen besteht die Gefahr, daß sich die linken Feministinnen in
der Sozialarbeit, z.B. in den Frauenhäusern, verschleißen, und durch
die starke Identifikation mit dem helfenden Beruf die Illusionen über
den "Sozialstaat! schüren und die objektive Funktion der Sozialarbeit
verschleiern helfen. Ihre Arbeit hat Gemeinsamkeiten mit der Hausar-
arbeit: sie soll Schäden beheben oder lindern, die in einer abgetrenn-
ten Sphäre(dem Reproduktionsbereich) ständig erzeugt werden; also um-
gekehrt leistet die Sozialarbeiterin "öffentliche! Reproduktion als
Reaktion auf den Verschleiß und die Zerstörung der Arbeitskraft und
Person von Frauen in der Privatheit der Familie. Das erfordert auch
Eigenschaften wie Emotionalität, ständige Bereitschaft, Arbeit ohne
Anfang, Ende und Resultat etc.
Von der Traufe in den Regen...
Unsere individuelle Geschichte als weibliche Sozialarbeiterinnen oder
solche, die es werden wollen, ist dadurch gekennzeichnet, daß wir dem
"Nur''-Hausfrauen- und Mütter-Dasein eine Berufstätigkeit vorziehen,
die uns ökonomisch erst mal unbabhängig von einem Mann leben läßt.
Ähnlich wie die Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung such(t)en wir
einen Beruf mit "Erfüllung", bei den meisten Frauen wohl unbewußt an
der weiblichen Persönlichkeitsstruktur und der "Bestimmung" von Frau-
en anknüpfend. Um einer Festlegung auf unsere '"Weiblichkeit' mit all
ihren für die Sozialarbeit funktionalen Eigenschaften entgegenzuwir-
ken, müssen wir klarmachen, daß "eine politisch-emanzipative Ver-
änderung der Sozialarbeit und Sozialpädagogik ohne eine grundlegen-
de Reflexion der geschlechtlichen Arbeitsteilung, der Frauenrolle und
der weiblichen Persönlichkeitsstruktur, die in der Sozialarbeit funk-
tionalisiert und ausgenutzt werden, nicht möglich ist". (K.Walser,
Neue Praxis 1/76, S. lo).
Diese grundlegende Kritik der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung
und der Frauenrolle ist von den früheren Frauenbewegungen ebensowe-
nig geführt worden wie die gesellschaftskritische Reflexion ihrer
Fürsorgetätigkeit.
Die sozialistische Frauenbewegung vernachlässigte den Reproduktions-
bereich als das für die Frau bestimmende Moment ihrer Unterdrückung,
erkannte nicht deutlich genug den Zusammenhang ihrer und der allge-
meinen Ausbeutung in der Produktion und ihrer Stellung in der Familie.
Entsprechend beschränkte sich die Agitation der sozialistischen Frau-
enbewegung auf den gesellschaftlich öffentlichen Bereich. Die Proble-
-13-
me in ihrem primären Lebenszusammenhang, der "Privatheit'" Familie,
wurden nicht aufgegriffen und verhinderten ein Aufbrechen der ge-
samtgesellschaftlichen Verhältnisse.
Die neue feministische Bewegung ging daran, diese "Privatheit' als
gesellschaftlich bedingte, kapitalistisch-patriarchalische Struktu-
ren zu erklären und konzentrierte sich mehr und mehr auf den Repro-
duktionsbereich. Wir als Sozialarbeiterinnen tun dies von unserem
professionellen Auftrag her ohnehin. Vielleicht liegt in unserer
professionellen Erfahrung - daß individuelles Leiden gesellschaft-
lich verursacht ist und individuell nicht oder kaum gelöst werden
kann - die Chance, innerhalb der neuen Frauenbewegung diesen ge-
samtgesellschaftlichen Zusammenhang stets im Auge zu behalten, wenn
die Probleme von Frauen behandelt werden.
Aus den Fehlern der bürgerlichen Frauenbewegung können wir u.a. ler-
nen, daß mildtätiges "Helfen wollen" und ideele Vereinheitlichung
aller Frauen keine Perspektive ihrer Befreiung sein kann - im Gegen-
teil!
Wir müssen die Unterschiede klar machen zwischen uns und den "Klien-
tinnen" der Sozialarbeit, sowie allen anderen Frauen, die nicht im
Besitz der Privilegien sind, die es uns erlauben, unsere Frauenrol-
le in Frage zu stellen und teilweise zu verweigern.
Wir haben aufgrund unserer Klassenherkunft, unserer Bildung etc. Per-
spektiven und Möglichkeiten, die andere Frauen nicht haben und die
wir ihnen nicht als Norm aufsetzen können. Denn Veränderung und ein
Loslösen von bestehenden, eingefahrenen Verhältnissen kann nur dort
geschehen, wo sich alternative Möglichkeiten realistisch auftun.
Das heißt, wir können mit unserem feministischen Anspruch den Frauen
nicht das wenige nehmen, was ihre Realität und Identität einigerma-
ßen stabil hält.
Wir sollten uns vielmehr darum bemähen, ihnen Möglichkeiten zu schaf-
fen, aus ihrer Lage heraus gemeinsam mit anderen Betroffenen neue
Perspektiven entwicklen zu können.
3. LITERATUR
Clara Zetkin "Zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung
Deutschlands", Frankfurt 1971 (Verlag Roter Stern)
Werner Thönessen "Frauenemanzipation", Frankfurt 1976
Karin Walser "Frauenrolle und soziale Berufe - am Beispiel von So-
zlalarbeit und Sozialpädagogik", in: Neue Praxis 1/1976, $.3-12
Hollstein/Meinhold "Sozialarbeit unter kapitalistischen Produktions-
bedingungen", Frankfurt 1973
sås
Friederike Harter/Marlies Paasche
WEIBLICHKEIT ALS BERUF
Wir studieren Sozialpädagogik und versuchen, aus Erfahrungen von
Frauen, die schon im Beruf stehen (Artikel "Gefühlsarbeit' im So-
zialmagazin September 78), über Diskussionen (auf dem Kongreß in
Köln-"Feministische Theorie und Praxis in sozialen und pädagogi-
schen Berufsfeldern") und aus eigenen theoretischen Überlegungen
heraus für uns zu klären, was es heißt, als Frau Sozialarbeit zu
machen.
Dabei gehen wir davon aus, daß gerade ein linkes und feministisches
Bewußtsein eine Reflexion und Neubestimmung der Berufsrolle notwen-
dig macht. Nicht alle im Sozialabereich tätigen Frauen werden sich
daher durch die hier angesprochenen Probleme betroffen fühlen.
1. “MACHT” UND “OHNMACHT” DER FRAUEN
Geschichtlich gesehen ist Sozialarbeit fast ausschließlich von
Frauen gemacht worden und die Fähigkeiten, die in diesem Beruf gefor-
dert werden (Zuhören können, auf andere eingehen...), sind größten-
teils als weibliche Fähigkeiten definiert. Gerade diese Möglichkeit
- Fortsetzung der Weiblichkeit im Beruf - hat früher die bürgerlichen
Frauen dazu bewogen, Fürsorgearbeit zu übernehmen, und auch wir
selbst können diese Berufsmotivation nicht völlig von uns weisen.
Um unsere Situation als Sozialarbeiterinnen genauer zu bestimmen,
müssen wir deshalb zunächst die Situation und Funktion von Frauen
in der Gesellschaft allgemein aufzeigen.
Durch die bürgerlich-ideologische Zuschreibung von spezifisch weib-
lichen "Qualitäten", werden Frauen festgeschrieben in der Verant-
wortung für den häuslichen psychischen Reproduktionsbereich. Diese
spezifische Weiblichkeits-/Mutterideologie, im Zusammenhang mit dem
Kleinfamilienideal, ist notwendige Voraussetzung für das Funktionie-
ren der kapitalistischen Gesellschaft, da nur durch die (Versorgungs-)
Arbeit von Frauen, Männer und Kinder lebens- bzw. arbeitsfähig gehal-
ten werden. Aus der Erfüllung dieser Aufgabe ergibt sich auch eine
Macht der Frau gegenüber ihrem Mann und ihren Kindern, die von ihr
abhängig sind. Diese Macht, die gesellschaftlich unsichtbar bleibt,
wollen wir im folgenden als "Versorgungsmacht" bezeichnen.
Trotz dieser für das Weiterbestehen der Gesellschaft entscheidend
wichtigen Aufgabe von Frauen befinden sie sich in einer Position der
Ohnmacht, der Unterdrückung. Dies zum einen, weil ihre Arbeit nicht
gesellschaftlich sichtbar ist (da privat und unbezahlt geleistet
und aus "Liebe" motiviert), zum anderen, weil in der Weiblichkeits-
ideologie die Minderwertigkeit der Frau festgelegt wird, ob angeboren
oder ansozialisiert begründet. Diese Zuschreibung schlägt sich in
allen gesellschaftlichen Bereichen und in unseren Köpfen versteckt
-]15-
oder offen nieder.
Die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft umfaßt also die reale
"Versorgungsmacht"und gleichzeitig ihre geschlechtsbedingte Gering-
schätzung, den Mangel an gesellschaftspolitischer Anerkennung und
Einfluß.
Dieser Widerspruch verdoppelt sich noch einmal in der Situation der
Sozialarbeiterin: sie hat als Frau unter diesen Zuschreibungen zu
leiden, auch wenn sie nicht Mutter und Ehefrau ist. In der Berufs-
hierarchie nimmt sie niedrigere Positionen ein, bzw. übt sie weniger
anerkannte Tätigkeiten aus. Tätigkeiten, die die "weiblichen Fähig-
keiten'-Umgang und Versorgung von anderen Menschen - erfordern.
Was sich rein äußerlich als typisch weibliche Schwäche, Zurückhal-
tung oder Minderqualifikation darstellt, kann verschiedenen Ursachen
haben:
- daß Frauen sich mit ihrer Weiblichkeitsrolle identifizieren und
von daher keine Schwierigkeiten mit ihrer Berufsstellung haben,
- daß sie sich aus Ängsten heraus nicht auf einen harten Konkurrenz-
kampf unter schlechteren Voraussetzungen einlassen wollen,
- daß sie Konkurrenzverhalten, Macht und Hierarchie bewußt ablehnen,
aufgrund eigener (linker/feministischer) Ansprüche in der Arbeit.
Sie sind jedoch in der Konsequenz unwichtig, da sie auf jeden Fall
die Einflußlosigkeit von Frauen im Sozialbereich zementieren, Höher-
gestellte Positionen werden, trotz der überwiegenden Mehrheit von
Frauen in der Sozialarbeit, größtenteils mit Männern besetzt, wo-
mit auch die Festschreibung dieses Zustandes einhergeht, da dies
die bestimmenden Positionen sind.
Verbunden mit der beruflichen Tätigkeit ist jedoch auch eine be-
stimmte institutionell bedingte "Macht" gegenüber den "Klienten"
(hinsichtlich Kontrolle, Beurteilung möglicher Einweisung, usw.) vor-
handen. Sie hört aber dort auf, wo Institution oder andere Zustän-
digkeitsbereiche die Grenzen (auch der Möglichkeiten) festlegen
(durch Gesetze, oder im Zusammenhang mit der Medizin, Psychiatrie,
Verwaltung etc.).
Da in der Arbeit mit "Klienten" ähnlich wie bei der Hausfrau/Mutter
bestimmte "weibliche'Qualitäten (als da sind Einfühlungsvermögen,
Verständnis, Aufopferung) gefordert und eingesetzt werden, entsteht
auch hier ein Abhängigkeitsverhältnis, das der Sozialarbeiterin
auf der zwischenmenschlichen Ebene "Macht", d.h. "Versorgungsmacht"
verleiht.
In dieser Parallele, Sozialarbeit als Weiterführung bzw. Ersatz
weiblicher Reproduktionstätigkeit, wird deutlich, daß Frauen in der
Sozialarbeit nicht nur dazu beitragen, gesellschaftlich kapitali-
stische Widersprüche zu verschleiern (Funktion von Sozialarbeit
allgemein), sondern auch die gesellschaftlich-patriarchalischen zu
tradieren.
Wir tun nichts anderes als Hausfrauen und Mütter, sind im Gegenteil
profesionelle "Supermütter", denn wir können besser (?) erziehen,
beraten, mit Kindern umgehen. Was uns unterscheidet, ist, daß wir
unsere Fähigkeiten gegen Lohn zur Verfügung stellen, nicht aber das
reale Verhalten. Wiederum haben wir "Macht" über Menschen als Ent-
schädigung für gesellschaftliche Ohnmacht und damit trotz veränder-
tem Bewußtsein noch keineswegs unsere traditionelle Frauenrolle
überwunden.
-16-
2. WIDERSPRUCH ZWISCHEN ROLLE UND BEWUSSTSEIN
Fortschrittliche Sozialarbeiterinnen stehen in einem sehr widersprüch-
lichen Verhältnis zu der Bewältigung der alltäglichen Schwierigkei-
ten im Beruf. Die eigenen Ansprüche reichen von "emanzipiert'
(sich auch in einer männerdominierten Welt durchsetzen können, d.h.,
weibliche Schwäche überwinden) über fortschrittlich/links (kritisch
sein, Gefühle, Offenheit, Einbeziehen von Persönlichem) bis zu fe-
ministisch (statt bloßer Übernahme männlicher Normen, die Entwick-
lung neuer weiblicher Stärke, Radikalität).
Mit all diesen Ansprüchen lavieren wir oft zwischen alter Identität
und noch nicht gefundener neuer, zwischen den Extremen zu weich/
weiblich/schwach und zu hart/männlich/kalt.
Die Distanzierung von der alten Rolle wird außerdem dadurch er-
schwert, daß sie zunächst hauptsächlich einen Verlust von Sicherhei-
ten bedeutet, es dagegen für uns noch kein positives Bild der So-
zialarbeiterin gibt, so wie auch kein Vorbild für "die neue Frau".
Emanzipation heißt nämlich nicht nur, mehr und neue eindeutige Mög-
lichkeiten, sondern bedeutet für uns oft vor allem erhöhten Lei-
stungsdruck, die Bestimmung und Erfüllung neuer Normen. Oft werden
diese Widersprüche und Schwierigkeiten individuell gelöst, frau muß
es eben schaffen, gleichzeitig Mutter, berufstätig, politisch aktiv
und gleichwertige Partnerin zu sein, wo sie jetzt doch die Möglich-
keit dazu hat!
Unsere Unsicherheit wird jedoch nach außen meist nicht deutlich. In
unserer Arbeit, in der wir sehr oft mit Frauen und Müttern zu tun
haben, erscheinen wir als perfekte Frauen, die zum einen bessere Pä-
dagoginnen (und damit auch die Normen setzen), zum anderen auch per-
sönlich emanzipierter (Berufstätigkeit) sind, was die Distanz zwi-
schen uns und den "normalen" Frauen nicht gerade verringert (im Ge-
genteil). Daß diese Frauen weniger Zeit und Mittel haben, "gute"
Erzieherinnen zu sein, daß sie weniger Möglichkeiten haben, aus ihrer
Rolle auszubrechen; und daß auch wir große Schwierigkeiten haben,
die Arbeit zu bewältigen und für uns eine neue Identität zu finden,
fällt meist unter den Tisch. Sichtbar bleibt unsere Perfektheit und
die Unzulänglichkeit der "Klientin", die wir damit noch kleiner,
noch abhängiger machen. i
Von unserer Seite kommt noch der Anspruch hinzu, in der Sozialarbeit,
die ja Arbeit mit Menschen ist, sich wirklich einzusetzen und somit
die Widersprüche, die sich aus der gesellschaftlichen Funktion von
Sozialarbeit ergeben, in der eigenen Person aufzulösen.
Aus Verständnis für die Situation eines "Klienten" arbeiten wir auch
noch am Feierabend, aus Einsicht, daß es die Falschen trifft, setzen
wir unsere eigenen Forderungen nicht mit Streik durch, oder, weil
es ja um hilfebedürftige Menschen geht, lassen wir uns oft als Per-
sonen mit Gefühlen beiseite, sind immer die Starken, Ruhigen, All-
seits-Bereiten.
Es wird immer schwerer zu unterscheiden zwischen eigenen Interessen
und den Anforderungen des Berufs, denn ist es nicht auch eigenes
Interesse, gute engagierte Sozialarbeit zu machen? Diese Verquickung
kann, je man sich mit der Arbeit identifiziert (und die Grenze ist
hier am meisten verwischt in selbstorganisierten Projekten), zur to-
E y an
talen Selbstausbeutung führen.
Doch gerade diese vollständige Identifikation mit dem Beruf und den
Interessen anderer ist genau das, was die "gute Mutter" für ihre Kin-
der leistet. Das Abhängigkeitsverhältnis ist nunmehr ein beidseiti-
ges, denn wenn wir nicht mehr gebraucht würden, uns für niemanden
mehr einsetzen könnten, woher sollten wir dann unser Selbstwertge-
fühl beziehen? Ähnlich wie eine Mutter, die ihre Kinder abhängig
macht, geht es uns mit den "Klienten". Wir müssen das Abhängigkeits-
verhältnis in der Form aufrechterhalten, um der eigenen Identität
willen, - was jedoch jeder fortschrittlichen Sozialarbeitsintention,
ee 2 7,
fits hia
Von 6. W. nach U, Mareks .
—
nämlich durch Emanzipation der "Klienten" sich selbst überflüssig
zu machen, widerspricht.
Die Festschreibung unseres aufopfernden Verhaltens wird also nicht
nur von außen an uns herangetragen oder ist durch Institutionszwänge
bedingt, sondern wir selbst tragen durch unsere unbewußten (?) Be-
dürfnisse in großem Maß zu ihrer Erhaltung bei.
Natürlich unterliegen auch fortschrittliche Sozialarbeiter (Männer)
ähnlichen Konflikten, doch ein großer Unterschied besteht darin,
daß wir durch das Einsetzen unserer weiblichen Fähigkeiten,die
wichtig im Umgang mit Menschen sind, die traditionelle Frauenrolle
vorbildhaft weitergeben, obwohl wir uns bewußtseinsmäßig von ihr
distanzieren und sie neu bestimmen wollen. Männer in der Sozialar-
beit tragen mit dem Einsetzen ihrer "weiblichen" Fähigkeiten eher
dazu bei, starre Rollenzuschreibungen aufzubrechen , Männerklischees
zu hinterfragen. (Schon allein durch ihre Berufswahl)
3. ENTWICKLUNG EINER BERUFLICHEN UND POLITISCHEN PERSPEKTIVE
Dieses ständige Infragestellen unserer Rolle als Frau und als So-
zialarbeiterin bringt uns nur weiter, wenn wir versuchen, daraus
Alternativen zu entwickeln, die uns später im Beruf (dasselbe gilt
für Frauen, die schon im Beruf stehen) die Überwindung der Schwie-
rigkeiten leichter machen.
Um die Distanz zwischen uns und den "normalen" Frauen zu verringern,
und damit auch nicht so leicht in die Rolle der Alleswissenden, die
beide abhängig macht, zu geraten, müssen wir unsere Stellung angreif-
barer, unsere Schwierigkeiten sichtbarer machen. Dies darf aller-
dings nicht zu einer oberflächlichen Solidarisierung - wir sind ja
alle so gleich - führen. Es muß klar sein, daß wir in einer privili-
gierten Stellung sind, in der wir ökonomisch und bildungsmäßig mehr
Möglichkeiten haben, aus unserer Rolle auszubrechen. Genauso wie es
auch deutlich bleiben muß, daß wir teilweise resultierend aus unse-
ren besseren Chancen andere Bedürfnisse haben, die wir nicht als
allgemeingültige darstellen können. Konkreter meint dies, daß wir
in unserer (zukünftigen) Arbeit nicht versuchen wollen, die Frauen
für unsere Ziele - da wir ja wissen, daß es eigentlich auch die ih-
ren sind - zu agitieren, sondern sie ernst nehmen in ihren Bedürf-
nissen, die unseren vielleicht total gegenläufig sind.
Es kommt viel eher darauf an, sie in ihrem Selbstwertgefühl zu
stützen, sie als Person anzuerkennen. Gerade diese Erfahrung können
die meisten Frauen nicht machen, weil sie ständig über ihren Mann
definiert werden und sich selbst über ihn definieren. Seinen Wert
in Frage zu stellen, heißt für sie selbst auch eine Entwertung, be-
deutet aber die einzige Chance ein eigenes Selbstwertgefühl zu ent-
wickeln. Ferner geht es darum, gerade aus unseren unterschiedlichen
Erfahrungen voneinander zu lernen, aber Sozialarbeiterinnen und
"Klientinnen" müssen sich gegebenenfalls getrennt organisieren. Viel-
leicht ist auf diesem Wege eine gegenseitige Anerkennung und eine
spätere Solidarisierung von Frauen, die nicht auf Gleichmacherei be-
ruht möglich.
Der Gefahr, uns total mit der Arbeit zu identifizieren und damit
-19-
auf das Abhängigkeitsverhältnis zwischen den "Klienten" und uns an-
gewiesen zu sein, können wir wohl nur dann entgehen, wenn wir auch
außerhalb unseres Berufes wichtige Beziehungen haben, aus denen wir
Selbstbestätigung und Befriedigung unserer emotionalen Bedürfnisse
ziehen können. Diese Abgrenzung zwischen Freizeit und Beruf, die wir
vielleicht gerade mit der Entscheidung Sozialpädagogik zu machen,
auflösen wollten, ist unserer Ansicht nach hier besonders notwen-
dig. Wir wollen uns nicht total auslaugen lassen, unsere Fähigkeiten,
die wichtig und gut sind, nur immer für andere Menschen einsetzen.
Und wenn wir uns von unserer Aufgabe im Beruf teilweise distanzie-
ren können, wird es möglich, Sozialarbeit sinnvoller, weil nicht so
stark von unseren eigenen Bedürfnissen belastet, zu gestalten. Was
durchaus nicht unseren Vorstellungen von befriedigender Arbeit wi-
der spricht.
Ferner geht es darum,bestimmte weibliche Qualitäten infrage zu stel-
len und in der Konsequenz zu verweigern.
Verweigerung heißt in diesem Zusammenhang zum einen die Ablehnung
der Weiblichkeitsrolle mit allen dazugehörigen Anforderungen
und Verhaltensweisen, die uns in das alte Rollenklischee mit den
oben beschriebenen Aspekten, festschreiben. Zum zweiten - und das
ist längerfristig eine politische Frage - die Verweigerung von Ar-
beitsformen und -bedingungen, die genau diesem Rollenverhalten er-
fordern, was von uns aber eben nicht mehr so widerspruchslos erfüllt
werden kann. Damit geraten wir in Widerspruch zur Arbeit selbst.
Hier werden auch gewerkschaftliche Forderungen, wie Begrenzung der
Arbeitszeit und angemessener Lohn (Lohnarbeiterbewußtsein) für uns
wichtig.
Verweigerung heißt also nicht, passiv werden, sich nicht mehr aus-
einandersetzen, Beziehungen nur ablehnen, sondern beinhaltet in
der Negation gleichzeitig das aktive Suchen und Leben neuer Verhal-
tensweisen und Umgangsformen. Für die, die bisher auf unsere weib-
lichen Qualitäten angewiesen waren, bedeutet dies eine Verunsiche-
rung aber auch gleichzeitig eine Chance, sich weiterzuentwickeln.
Damit dies nicht auf der individuellen Ebene bleibt, sondern länger-
fristig ein Gegengewicht zu männlicher (und auch struktureller)
Macht darstellt, müssen wir uns auch einen organisatorischen Rückhalt
aufbauen. Denn wir werden nicht nur mit dem Verzicht auf Bestätigung
durch abhängige "Kleinten' umzugehen haben, sondern auch mit Re-
pressionen und Unverständnis von Institutions- und Kolleg (inn)en-
Seite. Dies erfordert eine immer neue Klärung von Verhaltensweisen,
Bedürfnissen, Vorgehensweisen und auch politischen Strategiediskus-
Sionen im größeren (zunächst Sozialarbeiterinnen) Zusammenhang. Die-
se eigenständige Organisierung sollte längerfristig dazu führen, in
fortschrittlichen Organisationen (insbesondere Gewerkschaften) qua-
litativ andere Forderungen einzubringen und durchzusetzen.
All dies sind zunächst theoretische Überlegungen, die wir als Stu-
dentinnen und auch Frauen im Beruf anstellen und versuchen wollen
zu praktizieren. Dabei ist auch uns klar, daß der Kopf der alltäg-
lichen Praxis schon 10 Schritte voraus ist; doch die Schwierigkei-
ten in der Umsetzung machen die Gedanken nicht falscher.
Dieser Artikel soll ein Beitrag zu einer notwendigen Diskussion
unter uns Sozialarbeiterinnen sein.
-20-
Gertrud Meuth
ARBEIT VON FRAUEN IN DER GEWERKSCHAFT
UND
GEWERKSCHAFTLICHE FRAUENARBEIT
Ich bin Sozialpädagogin und in der ÖTV organisiert. Der Gegenstand
meines Artikels ist die gewerkschaftliche Frauenarbeit (historischer
Rückblick, Frauenpolitik des DGB, Organisationsgrad bei Frauen) und
einige Überlegungen zur Problematik der gewerkschaftlichen Organi-
sierung von Sozialarbeitern/pädagogen. Zu diesen beiden Teilen wer-
de ich abschließend ein paar Erfahrungen schildern.
Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist die Frage, was Frauen
tun können, mittels gewerkschaftlicher Aktivitäten die Bedingungen
fiir den Verkauf ihrer Arbeitskraft zu verbessern. Dabei werde ich
nicht auf die Frauenbewegung und deren teilweise entscheidenden
Beiträge zur Emanzipation eingehen. Allerdings halte
ich Positionen innerhalb der Frauenbewegung für problematisch und
politisch gefährlich, die die Interessen von Frauen, die lohnabhän-
gig beschäftigt sind, nicht bzw. außerhalb der Gewerkschaften ver-
treten. Frauenbewegung und Gewerkschaftsarbeit dürfen keine Alterna-
tiven sein. In den harten betrieblichen Auseinandersetzungen, wo wir
uns in erster Linie gegen den Druck der Arbeitgeber (Diffamierungs-
und Spaltungstaktiken, Kündigungen, Arbeitshetze etc.) und gegen die
drückenden Arbeitsbedingungen wehren müssen - was vor allem von der
Basis ausgeht -, ist die gemeinsame Organisierung und der starke
Zusammenhalt unter den beschäftigten Frauen und Männern von größter
Bedeutung und unsere einzige Waffe.
Freilich muß die Gewerkschaftsarbeit inhaltlich und strategisch die
spezifischen Problemlagen von lohnabhängigen Frauen aufgreifen
und angehen. Dazu ist es notwendig, daß wir Frauen hartnäckig unse-
re Forderungen in die Gewerkschaften tragen und uns dort Verbündete
suchen. Das soll keine abgehobene Forderung sein! Ich weiß, allein
schon die Organisationsform der Gewerkschaften mit z.T. festeinge-
sessenen und festgefahrenen Funktionären schreckt viele Frauen ab.
Sie arbeiten lieber ohne große Apparate, unbürokratisch und direkt.
Bewußte, fortschrittliche Frauen setzen eher bei den unmittelbar Be-
troffenen, an den Konfrontationsstellen im Betrieb und in der Fami-
lie an. Sie versuchen Durchsichtigkeit und Öffentlichkeit herzustel-
len, wodurch die Beteiligten besser in die Auseinandersetzungen ein-
bezogen und Veränderzungsprozesse eher in Gang gebracht werden können.
Z.B. hat sich das Rollenverständnis und das Bewußtsein über verschie-
dene Funktionen in Haus und Fabrik bei Frauen, die maßgeblich in
Streiks beteiligt waren, gründlich gewandelt (man denke an Erwitte,
Lip, VFW Fokker in Speyer).
Eine solche Form der Betriebsarbeit an der Basis muß einhergehen
mit der Verbreitung qualitativ neuer Inhalte, die zum Ziel haben:
Abbau von Hierarchie und Unterdrückungen; Frauen und Männer in ihren
==
gesellschaftlich bedingten Zusammenhängen begreifen zu lernen und
deren Probleme in Produktion und Reproduktion grundlegend anzugehen.
Innerhalb der Gewerkschaften ist dieses Vorgehen eine Gratwanderung
und ich würde mich auf sie nur einlassen, d.h. z.B. Funktionen über-
nehmen oder in Gremien mitarbeiten, wenn abzusehen ist, daß es dort
Kolleginnen und Kollegen gibt, die für solche Positionen aufgeschlos-
sen sind. Andernfalls wäre es ein sinnloser und aufwendiger Ver-
schleiß.
Klar muß da aufgepaßt werden, sich nicht von sogenannten Sachzwängen
fesseln zu lassen. Dementsprechend müßte auch eine basisnahe Bil-
dungsarbeit - und nicht nur Funktionärsschulungen - betrieben werden,
die uns Arbeitnehmer befähigt, Durchblick in die Produktionsverhält-
nisse und deren Hintergründe zu bekommen und entsprechende Gegenwehr
zu entwickeln.
1. HISTORISCHER ÜBERBLICK ÜBER DIE FRAUENARBEIT
Erst Ende des letzten Jahrhunderts wurde in Ansätzen das Recht er-
kämpft, daß sich Frauen als Arbeitende organisieren konnten, obwohl
sie schon Jahrzehnte in der Produktion standen und ihre Arbeitskraft
in Manufakturen und Fabriken ausgebeutet wurde.
Mit dem Gedanken der Gründung von Vereinen für Arbeiterinnen ging
einher die Diskussion darüber, ob Frauen überhaupt in der Industrie
arbeiten sollten: einmal galten sie als Schutzbedürftige, zum ande-
ren sollte die Konkurrenz um Arbeitsplätze nicht noch mehr verschärft
werden. Doch die Wirklichkeit sah ja anders aus. Die Wirtschaft
brauchte die Frauen als billige und willige Arbeitskräfte,die Kon-
kurrenz unter den Arbeitnehmern erschwerte deren Zusammenschluß und
diente dazu, die Löhne zu drücken. Diese Probleme und Gefahren wa-
ren den organisierten Arbeitern bekannt, so daß sie auf Vereinsta-
gen und Kongressen der Sozialdemokraten und des Allgemeinen Deutschen
Arbeiterkongresses (zwischen 1860 und 70) forderten:
© die Gleichstellung und Gleichberechtigung von Arbeiterinnen und
Arbeitern
© die gewerkschaftliche und politische Organisierung, um gerade
der Konkurrenz zwischen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt
entgegenzuwirken und gegen die Folgen der kapitalistischen Ausbeu-
tung kämpfen zu können.
Die damals entstehende sozialistische Emanzipationstheorie (August
Bebel) vertrat die Meinung, daß der Kampf gegen die kapitalisti-
schen Produktionsverhältnisse nur gemeinsam von Männern und Frauen
erfolgreich durchgeführt werden könne. Dabei wurde als ein wichtiges
Argument für die Befreiung der Frau deren Erwerbstätigkeit angese-
hen, weil sie sich dadurch ökonomische Unabhängigkeit vom Mann ver-
schaffen könne. Außerdem galt die Einbeziehung der Frauen ins Erwerbs-
leben als Voraussetzung für diesen gemeinsamen Kampf gegen unter-
drückende Verhältnisse. Daraus entstanden neben den bereits erwähn-
ten Forderungen die nach Gleichberechtigung der Frauen im Arbeits-
leben, nach gleichem Lohn für Frauen und Männer.
Dies waren Vorstellungen und Ansprüche. Die Wirklichkeit zeigte aber,
daß es ein harter Kampf für die Frauen war, diese einzulösen. Auf
=p Fa
die Unterstützung der Männer konnten sie kaum bauen, denn diese sa-
hen trotz ihrer theoretischen Einsichten in den Frauen weniger Ver-
bündete als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt, durch die sie sich
existentiell bedroht fühlten. Eine Umsetzung ihrer theoretischen
Forderungen hätte eben auch den Abbau ihrer Privilegien in Arbeit
und Familie bedeutet.
1905 wurde von der Generalkommission der Gewerkschaften ein Arbei-
terinnensekretariat eingerichtet, dem die Aufgabe zukam, Fraueninter-
essen und -probleme aufzugreifen und sie organisatorisch zusammenzu-
fassen. (Leitfaden II/31) Inhaltliches Ziel war es, das politische
Bewußtsein der Frauen zu wecken und sie für den Sozialismus zu er-
ziehen. (Leitfaden II/32, 33). Eigene zentrale Frauenverbände durf-
ten nicht gegründet werden; zugelassen wurden nur besondere Organi-
sationsformen innerhalb der bestehenden Arbeiterverbände. Trotz
Einrichtung der Sekretariate hatten die Frauen auch damals größte
Schwierigkeiten nur annähernd einen Fuß in die Gewerkschaft zu be-
kommen. Indiz dafür war u.a. auch schon damals der geringe Anteil
an weiblichen Mitgliedern sowie ehren- und hauptamtlichen Funktio-
närinnen. Versprechungen und Parolen wurden für die Frauen geschwun-
gen, doch wo es darauf ankam, sie zu verwirklichen, sprang für sie
praktisch nichts raus. "Anträge zur Lohngleichheit wurden noch auf
dem Gewerkschaftstag 1928 abgeschmettert." (Pinl S. 18).
Was einer Vereinheitlichung der Frauenarbeit innerhalb der Arbeiter-
bewegung entgegenwirkte war die Spaltung innerhalb der Frauenbewe-
gung selbst. Einige Frauenabteilungen und Vereine wurden nicht selten
von bürgerlichen Frauen gegründet und getragen, um kostenlose Für-
sorgearbeit zu leisten und sie damit in Wohlfahrtsverbände integrie-
ren zu können. Damit fielen tarifrechtliche Angelegenheiten und die
Sicherung der berufstätigen Frauen völlig heraus.
Die beruflichen Chancen und die Möglichkeit der Existenzsicherung
sind für Frauen in besonderem Maße abhängig von der Arbeitsmarktlage.
Dies wurde besonders deutlich an der Rolle, die die Frauen in den
beiden Weltkriegen einnehmen mußten. Sie wurden in Industrie und
Landwirtschaft geholt und waren unentbehrlich für die Produktion und
die Aufrechterhaltung der Versorgung mit Lebensnotwendigem. Im Zuge
der Demobilisierungspolitik nach Beendigung des 1. Weltkrieges, an
deren Ausarbeitung auch die Gewerkschaft beteiligt war, mußten die
Frauen sukzessive die Arbeitsplätze räumen,wie Männer aus dem Krieg
zurückkamen. Während der Frauenanteil in den Gewerkschaften in der
Zeit des 1. Weltkrieges mit 26 % bisher am größten war (Leitfaden
11/36), hatte der Rausschmiß der Frauen aus dem Erwerbsleben einen
gewaltigen Rückgang von weiblichen Mitgliedern und Aktivitäten in
den Gewerkschaften zur Folge. Damit waren auch die Rechte der Frauen
Insgesamt bedroht. Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Arbeitskraft der
Frauen in erster Linie gebraucht, um die riesigen Zerstörungen be-
wältigen zu können (Trümmerfrauen). Doch dies blieb ohne Folgen auf
den gewerkschaftlichen Organisationsgrad. Daran änderte sich auch
während des "Wirtschaftswunders", in dem Frauen wieder verstärkt in
die expandierende Wirtschaft gezogen wurden, nichts. Erst in jüng-
ster Zeit, vor allem durch die zunehmenden Krisen des Systems bedingt,
ist wieder ein leichter Anstieg zu verzeichnen. (Frauenanteil in
den Gewerkschaften betrug 1976 18,8 Z; 25 Z der erwerbstätigen Frauen
sind gewerkschaftlich organisiert, 50 Z der Männer).
Dh-
2. DIE FRAUENPOLITIK DES DEUTSCHEN GEWERKSCHAFTSBUNDES
Der DGB - 1945 gegründet - befaßte sich u.a. auch damit, wie die Pro-
bleme der arbeitenden Frauen aufgegriffen werden könnten. Unüberseh-
bar war zu diesem Zeitpunkt, daß sich die Stellung der Frauen in der
Gesellschaft durch die Bedeutung der weiblichen Arbeitskraft während
des Krieges kurzfristig verändert hatte.
In den Richtlinien für Frauenarbeit, dem "Programm für Arbeitsnehme-
rinnen", sind die Forderungen und Vorstellungen zusammengestellt.
Charakteristisch für dieses Programm ist, daß Probleme der Frauen in
Familie und Betrieb nicht radikal angegangen werden:
© die bestehende Familienstruktur - ideologisch und ökonomisch funk-
tional zur Stabilisierung unserer kapitalistischen Gesellschaft -
in Frage zu stellen,wird überhaupt nicht in Erwägung gezogen.
® die Doppelbelastung der Frau wird akzeptiert, lediglich werden
Überlegungen angestellt, wie durch Reformen diese erträglicher wer-
den kann.
Das DGB-Programm sieht vor, die Situation der Frauen an die der Män-
ner anzugleichen und fordert deshalb z.B. gleiche Bildungsmöglichkei-
ten und Begabungsförderung, Chancengleichheit im Beruf, gerechte Be-
wertung der Arbeit und Leistung. Dementsprechend ist das Bildungsan-
gebot für die Frauen eine Art kompensatorische Erziehung. Sie sollen
an die Formen und Inhalte gewerkschaftlicher und allgemeiner Politik
angepaßt werden. (Vergl. Pinl S. 100)
Die gewerkschaftlichen Organe für die Frauenarbeit sind die Frauen-
ausschüsse und Frauenkonferenzen, die den übrigen "ordentlichen"
gewerkschaftlichen Gremien untergeordnet sind. Diese Organisations-
form der Frauenarbeit knüpft 1945 an die Arbeiterinnensekretariate
vor 1933 an. Die Frauenausschüsse, die auf Kreis-, Bezirks- und Bun-
desebene der Einzelgewerkschaften und des DGB eingerichtet sind, müs-
sen in ihrer konkreten Arbeit allerdings recht wirkungslos bleiben,
solange sie nur Empfehlungen aussprechen und nur beratende Funktionen
wahrnehmen können. Die Entscheidungen über die gewerkschaftliche
Frauenarbeit werden auf den Gewerkschaftstagen der jeweiligen Gewerk-
schaft getroffen.
Den Frauenausschüssen können drei Funktionen zugeschrieben werden:
® Legitimationscharakter (Rechtfertigung der Unterordnung von Frauen-
interessen unter die der Männer),
® Bändigung des vorhandenen Unmuts der Kolleginnen, indem kontrol-
lierbare Bahnen geschaffen werden.
© Aufrechterhaltung des Scheins, daß für Frauen was getan wird.
(Pinl S. 104) j
Eine Politik, basierend auf der Interessenlage der Frauen, die von
autonomen Frauengremien innerhalb der Gewerkschaften getragen und
von der Gesamtorganisation mitunterstützt würde, könnte mit Sicher-
heit direkter eingreifen und eher Veränderungen bewirken. Doch dem
Gewerkschaftsapparat und dessen Politik, der primär die Interessen
der Mehrheit der männlichen Mitglieder traditionellerweise vertritt,
liegt sicher nichts an einer solchen Regelung.
-25-
3. GEWERKSCHAFTLICHER ORGANISATIONSGRAD BEI FRAUEN
Woran liegt es, daß relativ wenig Frauen gewerkschaftlich organi-
siert sind und sich noch weniger aktiv beteiligen?
Zum einen liegen die Ursachen dafür wohl in der gewerkschaftlichen
Frauenpolitik selbst, wie sie seit Jahrzehnten betrieben wird: ihre
partielle Erfolglosigkeit, Perspektivlosigkeit und auch ihre Organi-
sationsform schreckt Kolleginnen eher ab und läßt sie resignieren.
Eine selbständige und bewußte Auseinandersetzung mit der eigenen Lage
und dem Einsatz für die eigenen Interessen werden eher verhindert.
Was springt dabei heraus, Mitglied in der Gewerkschaft zu sein? Die
Ergebnisse für die Frauen waren mager und motivieren nicht gerade,
Mitglied zu werden oder welche zu werben: Lohndiskriminierung, Dop-
pelbelastung, Frauen als stille Reserve, hohe Frauenarbeitslosigkeit,
totale Abhängigkeit der beruflichen Chancen von der Arbeitsmarktla-
ge.
Zum anderen liegen die Gründe für den geringen Organisationsgrad
in den Verhältnissen, in denen Frauen in unserer Gesellschaft leben
und arbeiten müssen. Ein Desinteresse an den Gewerkschaften darf
Frauen aber nicht einfach unterstellt werden; vielmehr stehen sie im
gleichen Maße wie Männer gewerkschaftlichen Angelegenheiten aufge-
schlossen gegenüber. (Pinl S. 87) Ihre relative Inaktivität beruht
auf einer Vielfalt von Bedingungen: Erwerbstätigkeit bedeutet für
eine Frau in der Regel Doppelbelastung:
© In der Familie sind sie den Verpflichtungen und Belastungen unter-
worfen, sie begreifen sich primär als Mutter, Hausfrau, Ehegattin.
(Nur eine solche Haltung zur Familie, der ständige Aufbau und
die emotionale Stabilisierung derselben, macht es den Männern erst
möglich, ihren gewerkschaftlichen Aktivitäten nachzugehen).
Frauen identifizieren sich weniger mit ihrem Beruf. Die Haltung
der Frauen zur gewerkschaftlichen Arbeit hängt oft von der Ein-
stellung ihrer Männer ab.
© In der Arbeit sind folgende Faktoren entscheidend für gewerkschaft-
liches Engagement:
Art des Betriebs und der Beschäftigung (Produktion, Handel, Dienst-
leistung), Größe des Betriebs, Dauer der Beschäftigung, Qualifika-
tion und damit berufliche Position und Einkommen.
Die meisten Frauen sind in typischen Frauenberufen beschäftigt: im
Dienstleistungsbereich (37%) und im Handel/Verkehr (21 7), sowie in
der Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie arbeiten als Heimarbei-
terinnen, als Teilzeitbeschäftigte, ihre Berufstätigkeit ist oft
von kurzer Dauer oder unterbrochen und wird meist als etwas Vorüber-
gehendes betrachtet. Frauen sind überall in den niedrigsten Positio-
nen zu finden und werden folglich durchschnittlich schlechter bezahlt
(1/3 liegen die Frauenlöhne unter denen der Männer), u.a. deshalb,
weil sie über keine Qualifikationen bzw. nur mangelhafte verfügen
(45 % der erwerbstätigen Frauen haben eine abgeschlossene Berufsaus-
bildung) (Bösel S. 159).
Tatsache ist, daß in Betrieben, in denen vorwiegend Frauen beschäf-
tigt sind, oft die schlechtesten Arbeitsbedingungen herrschen und am
schlechtesten bezahlt wird. Gerade im Textil- und Bekleidungsbereich
und im tertiären Sektor wurden gewerkschaftliche Aktivitäten bisher
-26-
kaum bekannt, entsprechend ist der Organisationsgrad dort besonders
niedrig. Kontaktmöglichkeiten, sowie Gespräche über Betriebs- und
Arbeitsprobleme sind bei repetitiv-monotoner Arbeit nicht möglich
oder sehr erschwert. Eine solche Arbeit, womöglich noch im Akkord,
läßt kaum Lernprozesse zu. Ohnehin eher als Männer durch Rausschmiß
bedroht und damit potentieller Arbeitslosigkeit, haben Frauen Angst,
durch gewerkschaftliches Engagement diesen Prozeß zu beschleunigen.
In Untersuchungen wurde herausgefunden, daß der gewerkschaftliche
Organisationsgrad niedrig ist
@ in kleinen Betrieben (Schwankungen von 9 % in Kleinbetrieben bis
31 Z in Großbetrieben über 500 Beschäftigte)
® bei Teilzeitbeschäftigten (9 % bei Halbtagsbeschäftigten, 21 %
der Ganztagsbeschäftigten)
© bei kurzer Berufstätigkeit (weniger als 5 Jahre 8 Z, mehr als
20 Jahre 25 %)
® bei geringem Einkommen/niedriger beruflicher Position (Bösel $.162).
Dies sind einige Hintergründe für die geringe gewerkschaftliche Be-
tätigung von Frauen. Dies spiegelt sich aber nicht nur in der Mit-
gliederzahl wider, sondern auch innerhalb der Organisation der Inter-
essenvertretung der Frauen in den Gewerkschaften. In gewerkschaft-
lichen und gesetzlichen Organen aller Ebenen (Vertrauensleutekörper,
Tarifkommission, Gewerkschaftstage und im Betriebsrat) sind Frauen
entsprechend ihrer Mitgliederzahl völlig unterrepräsentiert. Haupt-
amtliche Gewerkschafterinnen gibt es aber noch viel weniger als eh-
renamtliche: sie arbeiten in den Frauensekretariaten, wenn diese
nicht von einem männlichen Funktionär, der am Anfang seiner Karriere
steht, besetzt ist.
Weibliche jugendliche Mitglieder sind wesentlich besser in ihren Kon-
ferenzen vertreten (zwischen 30 - 38 %, Pinl, S. 92). Ater die
Frauen hören in der Regel nach der Eheschließung mit den gewerkschaft-
lichen Aktivitäten auf. "Aktive Gewerkschafterinnen außerhalb der
Jugendarbeit sind geschiedene, ledige oder verwitwete Frauen mittle-
ren Alters, kinderlos oder mit bereits erwachsenen Kindern."
(Pinl, S. 94)
Es ist weniger ein Problem, daß sich keine geeigneten Frauen für
ehren- oder hauptamtliche Tätigkeiten finden ließen. Doch mehr Frauen
in den gewerkschaftlichen Gremien würde den Anteil der Männer sen-
ken. Ob diese ihre Positionen freiwillig zugunsten von Frauen abtre-
ten würden, muß bezweifelt werden. In bestimmten Funktionen kann man
dem Arbeitsalltag entkommen,oder es stehen neue höhere Positionen in
Aussicht; auf diese Privilegien will wohl keiner der Funktionäre ver-
zichten. Die Vertretung der Frauen in den Gremien ist folglich auf
eine Alibifrau beschränkt, die darf ja schließlich nicht fehlen, um
einen Mindestanschein zu wahren. Mit Einzelmandaten aber läßt sich
keine Politik machen, die die Interessen der Frauen angemessen durch-
setzen könnte. Um dieses zahlenmäßige Mißverhältnis zwischen weibli-
chen Gewerkschaftsmitgliedern und ihren Vertreterinnen aufzubrechen,
wurde in Gewerkschaftskreisen die Einführung eines Quotensystems
(pro x Mitglieder y Vertreterinnen) diskutiert, um die Repräsentanz
der Frauen in den verschiedenen Organen zu sichern .Es ist vor allem
in der Gewerkschaftsspitze und außerhalb der Frauenreferate sehr
umstritten. Meines Erachtens ist es politisch vollkommen verfehlt,
diese formale Absicherung der Frauenvertretung losgelöst von bestimm-
Tim
ten Inhalten zu sehen, um die die gewerkschaftliche Arbeit verändert
und erweitert werden muß, will sie nicht nur Vertretung sichern,
sondern tatsächlich Probleme der Frauen in unserer Gesellschaft an-
gehen: z.B. die Rollenverteilung in der Familie, Wohnbedingungen,
Versorgung der Kinder, fehlende Tagheimplätze und Ganztagesschulen
etc., kurz mehr als rein ökonomische Interessenvertretung sein.
4. SOZIALARBEIT UND GEWERKSCHAFT OTV
Erfreulich ist zu beobachten, daß im sozialen Bereich, in dem viele
Frauen arbeiten, der gewerkschaftliche Organisationsgrad zunimmt und
die Notwendigkeit der Organisierung von immer mehr Beschäftigten er-
kannt wird.
In den letzten Jahren kamen zunehmend mehr qualifizierte Pädagogen/
innen auf den Arbeitsmarkt, die ihre Arbeit nicht ehrenamtlich, son-
dern als Beruf betreiben, mit dem sie ihren Lebensunterhalt verdie-
nen müssen, und dadurch eher ein Lohnarbeiterbewußtsein entwickeln
können. In Einrichtungen und Verwaltungen der Jugend- und Sozialhil-
fe stoßen wir aber auch auf äußerst unsoziale Arbeitsbedingungen:
Viele von uns Sozialarbeitern/innen arbeiten dann, wenn andere Leute
ihre Freizeit verbringen, abends, nachts oder an Wochenenden und
sind dadurch großen sozialen Belastungen ausgesetzt. In den aller-
meisten Fällen müssen überdurchschnittlich viel Überstunden gelei-
stet werden; im Heimbereich sind Arbeitsverträge mit 50 Std. nicht
selten die Regel; ohne gewerkschaftliche Tarifvereinbarungen wird
noch immer im kirchlichen Bereich gearbeitet; wo Tarifverträge be-
Stehen, werden sie nicht einmal angewandt, weil die Beschäftigten
ihre eigenen Interessen häufig noch gar nicht erkennen oder aber
schwer durchzusetzen vermögen.
Akzeptieren wir diese Bedingungen bei Einstellungen nicht oder kämpfen
dann später dagegen, dann steht mit großer Wahrscheinlichkeit die Kün-
digung an bzw. man wird erst gar nicht eingestellt. Seit Jahrzehnten
wird mit personeller Minimalbesetzung in den Einrichtungen gearbei-
tet. Als Begründung dient den freien und öffentlichen Trägern die
Finanzknappheit. Außerdem können sie auf einen Stamm Ehrenamtlicher
bauen, die aus Idealismus und Identifikation mit dem Verein, kosten-
los oder minimal bezahlt, Sozialarbeit leisten. Die Mißstände im
sozialen Bereich sind Ausdruck einer langen Tradition: Erziehungsar-
beit, insbesondere mit sozialen Randgruppen, muß für den Staat so
billig wie nur möglich gehalten werden. Unterstützt wurde und wird
dieser Tatbestand durch entsprechende Ideologien, sich aus Nächsten-
liebe und ethischen Gründen um die Armen zu kümmern. Ein solch cari-
tatives Bewußtsein begann in dem Maße aufzubrechen, wie erkannt wur-
de, daß gesellschaftliche Verhältnisse für soziale Mißstände verant-
wortlich sind.
Viele von uns akzeptieren diese verschleißenden Arbeitsbedingungen
nicht mehr. So organisieren sich immer mehr Kolleginnen/Kollegen in
der für unseren Bereich zuständigen Gewerkschaft, der ÖTV. Sie ist
inzwischen im öffentlichen Bereich zur gewichtigsten Arbeitnehmerver-
tretung geworden, zwar vor allem in ökonomischer Hinsicht,aber auch
in politischer und sozialer.
Trotz kritischer Einwände gibt es meiner Meinung nach zur Organisie-
rung in der ÖTV keine Alternative, wenn es um unsere Interessen am
-28-
Arbeitsplatz und im Betrieb geht, z.B. um Einhaltung und Verbesse-
rung der Tarif- und arbeitsrechtlichen Bestimmungen, um die gemein-
same Abwehr von Disziplinierung und Vereinzelungsstrategien der Ar-
beitgeber.
Von offizieller Seite der ÖTV wird aber bisher recht wenig für die
Kollegen/innen im Sozialbereich getan, was sicherlich u.a. auch wegen
des relativ niedrigen Organisationsgrades noch so ist und somit
der Druck von der Basis fehlt. In den bestehenden Manteltarifverträ-
gen (MTV) fehlen ganze Arbeitsbereiche der Sozialpädagogik, so z.B.
Arbeitsplatzbeschreibungen und Eingruppierungsmerkmale für die offe-
ne Jugendarbeit. Viel schlimmer ist aber noch, daß große Arbeitgeber
in der Jugend- und Sozialhilfe sich überhaupt weigern, Tarifverträge
abzuschließen wie z.B. die Kirchen, wodurch die Mitarbeiter unter
einen ziemlich hohen Anpassungsdruck gesetzt werden.
Doch wir müssen diese Verhältnisse anfangen aufzubrechen, indem wir
konsequent unsere spezifischen Probleme und Forderungen in die ÖTV
hineintragen und die gewerkschaftlichen Organe so weit wie möglich
nutzen. Dann wird auch die ÖTV Stellung beziehen müssen und kann
nicht länger den sozialen Bereich außer acht lassen. Zur Artikula-
tion unserer Interessen, zur gegenseitigen Information unter den
Kollegen/innen, zur Durchsetzung unserer Forderungen arbeiten wir
betriebsbezogen in Betriebsgruppen zusammen mit Vertrauensleuten
(VL) und dem Betriebsrat (BR); überbetrieblich wird in Fachgruppen
(z.B. soziale Arbeit oder kirchliche Mitarbeiter) gearbeitet.
Falsch und illusionär wäre allerdings zu glauben, daß unsere Forde-
rungen und Positionen reibungslos Eingang in die ÖTV finden und dort
mitgetragen werden. Hinderlich und erschwerend erweist sich die Ver-
flechtung und teilweise Identität von Vertretern städtischer Ämter,
Stadträten und Gewerkschaftsfunktionären. Dort stimmen sie für Ein-
sparungen, hier "kämpfen" sie dagegen. Die Funktionäre stehen eher
zu uns, wenn es z.B. gegen den CDU-Stadtrat geht, handelt es sich
aber um einen SPD-Gemeinderat oder einen SPD-orientierten Arbeitge-
ber (z.B. die Arbeiterwohlfahrt), sieht man sich oft einem Bündnis
von Arbeitgeber und ÖTV gegenüber und steht fast auf verlorenem Po-
sten. Nicht selten lösen ÖTV-Kreis verwaltungen Fach- und Betriebs-
gruppen auf, werden Betriebszeitungen zensiert, wenn dort neben öko-
nomischen auch politische Forderungen aufgestellt werden, die den
offiziellen Vorstellungen der ÖTV nicht entsprechen (z.B. keine Un-
vereinbarkeitsbeschlüsse). Weil die ÖTV in einigen Städten ihre Mit-
glieder in unserem Bereich so lasch vertritt oder ihnen gar in den
Rücken fällt, haben sich Kollegen/innen aus der Gewerkschaftsarbeit
zurückgezogen und sind gezwungen, auf eigene Faust und isoliert von
anderen Beschäftigten im öffentlichen Dienst, in selbstorganisierten
Arbeitsgruppen ihrer Vereinzelung entgegenzuwirken.
Eine solche Gewerkschaftspolitik,die oft parteipolitischen Interes-
sen näher steht, als denen der Mitglieder, hat durchaus auch nega-
tive Folgen: Die ohnehin schwierige Organisierungsarbeit im sozialen
Bereich wird nicht gerade erleichtert; durch unzureichende Tarifab-
schlüsse wird den miserablen Arbeitsbedingungen und der schlechten
Bezahlung bisher wenig entgegengewirkt; die Isolation der im sozia-
len Bereich Beschäftigten von anderen öffentlichen Dienstleistungs-
bereichen bleibt bestehen, wobei durch die häufig anzutreffende
-5-
Kleinbetriebsstruktur im Sozialwesen ohnehin schon eine große Ver-
einzelung existiert.
Als Sozialarbeiter geraten wir in verschiedene Widersprüchlichkei-
ten, was mit der Art unseres Arbeitgebers und der "Objekte" unserer
Arbeit zusammenhängt. Diese Voraussetzungen bringen Schwierigkeiten
mit sich, sich primär als Lohnabhängige(r) zu definieren:
© So ist es nicht leicht, im Öffentlichen Dienst oder auch bei
freien Trägern, seinen Gegner klar auszumachen. Er nimmt allgemeine
Staatsfunktionen wahr im (vermeintlichen) Interesse des Gemein-
wohls.
© Oft scheinen wir auf den ersten Blick mit unseren Interessen nach
verbesserten Arbeitsbedingungen (z.B. kürzere Arbeitszeit) im Wi-
derspruch zu den Bedürfnissen und Interessen unserer Klienten zu
stehen. Meist wird dabei der Zusammenhang zwischen Arbeitsbelastung
und Qualität der Arbeit aber übersehen. Qualifizierte Arbeit durch
Intensivierung oder Verlängerung der Arbeitszeit leisten zu wollen
ist m.E. ein Trugschluß. Außerdem ist es von vornherein nicht aus-
gemacht, daß wir einen solchen Konflikt den Kindern, Jugendlichen
oder Eltern nicht durchsichtig machen könnten, bzw. daß wir mit
den Betroffenen nicht wenigstens streckenweise dieselben Interessen
haben.
5. EIGENE ERFAHRUNGEN AUS DER GEWERKSCHAFTLICHEN FRAUENARBEIT
Im letzten Teil meines Artikels sollen Erfahrungen aus meiner gewerk-
schaftlichen Frauenarbeit dargestellt werden, die durchaus die theo-
retischen Ausführungen des ersten Teils bestätigen können. Mein
Schwerpunkt in der Gewerkschaftsarbeit liegt jedoch im Betrieb, in
der Betriebsgruppe, wo es dauernd darum geht, gegen Repression und
die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zu kämpfen, wobei wir ge-
legentlich Erfolge erzielen konnten.
en Ir Fr
Der DGB-Frauenstammtisch
Ich bin gelegentlich Teilnehmerin eines DGB-Frauenstammtisches: das
ist ein informeller Treffpunkt für Frauen, Anlaufstelle für inter-
essierte Kolleginnen. Der Stammtisch ist kein "ordentliches" Gre-
mium, d.h.,es können dort keine Beschlüsse gefaßt werden, er ist
also auch nicht vorgesehen im offiziellen Gewerkschaftsaufbau. Monat-
lich treffen sich zum Stammtisch in der Kneipe im Gewerkschaftshaus
Frauen aus den verschiedenen Einzelgewerkschaften, um dort gemeinsam
zwanglos zu diskutieren und sich zu informieren. Der Gedanke zu
einem solchen Treffpunkt ist auf einer Wochenendschulung für Frauen
der DGB-Kreisverwaltung entstanden. Dahinter stand der Wunsch, sich
eben nicht nur gelegentlich auf Schulungen austauschen zu können,
sondern auch einen regelmäßigen Diskussionszusammenhang für Frauen
aufzubauen. So weit ich informiert bin, gibt es bereits in einigen
Städten in Baden-Württemberg solche Stammtische.
Unser Frauenstammtisch wird von einem Sekretär (!) betreut, der u.a.
zuständig ist für die Jugend- und Frauenarbeit auf DGB-Kreisebene.
Die Thematik der Stammtischgespräche wird von den Frauen selbst fest-
gelegt. Einige Kolleginnen bereiten jeweils das abgesprochene Thema
für das nächste Treffen vor und geben dann zu Beginn Informationen
-30-
z.B. in Form eines kurzen Referats, über das dann diskutiert wird.
Die bisher in Angriff genommenen thematischen Schwerpunkte beschrän-
ken sich in keiner Weise auf Probleme am Arbeitsplatz und im Be-
trieb. Einen großen Stellenwert hat auch gerade der ganze Reproduk-
tionsbereich. Themen sind z.B.: Mädchensozialisation, Frauenarbeits-
losigkeit, Lohndiskriminierung und schlechte Qualifikationsvoraus-
setzungen bei Frauen, das Bewußtsein der Angestellten, Frauen im
Streik, Frauenfeier zum 1, Mai, Auswirkungen der Arbeitsförderungs-
gesetznovelle für Frauen.
Gelegentlich finden Wochenendschulungen statt, auf denen dann inten-
siver bestimmte Problematiken behandelt werden. Themen waren hier
z.B. Einflußmöglichkeiten der Gewerkschaften auf allgemeine Lebens-
situation (Wohnung, Städteplanung etc.), neue Technologien und deren
Auswirkungen; gesetzliche Interessenvertretung im Betrieb: Vertre-
tung der Arbeitnehmerinnen im Betriebsrat, Frauen im Betriebsrat,
Wirtschaftskrise und ihre Auswirkungen auf Arbeitnehmer/innen.
Obwohl während des Schulungswochenendes für die Betreuung der von
den Frauen mitgebrachten Kindern gesorgt ist - was sicher vielen
Kolleginnen die Teilnahme erst ermöglicht - ist es für etliche Frauen
nicht einfach, sich von Haushalt und den Verpflichtungen gegenüber
dem Mann und den Kindern zu befreien - besonders am Wochenende. So
müssen sich nicht selten die Frauen ein solches Wochenende mit inten-
siver Vorarbeit verdienen. Eine aktive Kollegin und Betriebsrätin,
die ihre Kinder zur Schulung mitgebracht hatte, erzählte mir, daß
sie ihrem Mann die Mahlzeiten hätte vorkochen müssen, so daß er die-
se nur noch aufzuwärmen brauchte.
Die Auseinandersetzungen und Erfahrungen mit Frauen auf den Schulun-
gen und am Frauenstammtisch motivieren mich, intensiver bestimmten
Fragestellungen nachzugehen. Die gemeinsamen Diskussionen sensibili-
sieren mich für spezifische Probleme der erwerbstätigen Frauen, die
in der Regel im betrieblichen Wirbel um Lohn und Manteltarif leider
oft ziemlich vernachlässigt werden, auch von Frauen.
Den Frauenstammtisch halte ich für eine gute neue Form der Ausein-
andersetzung innerhalb der Gewerkschaft. Es wird immer sehr enga-
giert diskutiert, offen und solidarisch. Die Inhalte haben sich nie
auf die Betriebssituation beschränken lassen. Ganz selbstverständlich
wird die Gesamtheit der Problematik der erwerbstätigen Frauen auf
den Tisch gepackt, so daß es auch kein Tabu ist, "persönliche" Ange-
legenheiten anzusprechen. So entsteht eine gute Atmosphäre und ein
solidarischer Zusammenhalt.
Das Interesse der Frauen,im gewerkschaftlichen Rahmen nicht nur zu
arbeiten, sondern sich auch zu unterhalten und sich kennenzulernen,
drückt sich u.a. aus in kulturellen Veranstaltungen, gemeinsamen
Ausflügen, Besichtigungen von Betrieben und sozialen Einrichtungen,
wie sie z.B. vom ÖTV-Frauenausschuß gelegentlich angeboten werden.
Bei solchen informellen und überschaubaren Veranstaltungen herrscht
meist eine lockere Atmosphäre ohne Leistungsdruck, die vielen Frauen
erleichtert, sich einzubringen und sich aktiv an der Diskussion zu
beteiligen. Mir geht es so, daß, je größer und höher irgendeine ge-
werkschaftliche Veranstaltung ist, ich umso unsicherer und ängstli-
cher werde. Es braucht lange, bis ich mal wage, meinen Mund aufzuma-
chen. Da geht es mir nicht anders wie in Seminaren oder Versammlungen
an der Hochschule.
-3]-
Obwohl der Organisationsgrad der Frauen in der ÖTV ca. 24 % (1977)
beträgt, treffe ich eigentlich nur auf den unteren Ebenen der Ge-
werkschaftsorgane einen beträchtlichen Anteil von Frauen an. Was im
theoretischen Teil über die mangelhafte Vertretung von Frauen in den
Gremien gesagt wurde, kann ich aus eigener Erfahrung nur voll be-
stätigen: nsere Betriebsgruppe setzt sich vorwiegend aus Frauen zu-
sammen (insgesamt sind im Betrieb mehr Frauen als Männer beschäf-
tigt), auch fast alle Vertrauensleute sind Frauen. In VL-Versammlun-
gen, betriebsübergreifend, kann ich auch noch einen vertretbaren
Frauenanteil feststellen, doch alles was drüber ist, z.B. in der De-
legiertenversammlung, dem untersten beschlußfassenden Organ einer
Kreisverwaltung, muß man die Frauen mit der Lupe suchen!
Aufgefallen ist mir - allerdings erst, nachdem ich mich selbst in-
tensiver mit Frauenpolitik der Gewerkschaften beschäftigt habe
(z.B. im Rahmen dieses Artikels u.a.) - daß die schlechte Situation
der Frauen im Erwerbsleben nicht ernsthaft aufgegriffen und angegan-
gen wird. Das zeigen z.B. die Lohntarifverhandlungen im öffentli-
chen Dienst: die Empfehlungen des geschäftsführenden Hauptvorstan-
des der ÖTV über Lohnerhöhungen zu den jährlich stattfindenden Lohn-
tarifverhandlungen und die ausgehandelten Abschlüsse enthielten fast
immer prozentuale Lohnerhöhungen, allenfalls mit einem Sockelbetrag.
Wie bekannt ist, hat gerade eine solche Art von Lohnerhöhung für
die unteren Lohngruppen, die sich ohnehin schon an der Grenze eines
zumutbaren Lohnes bewegen, die Folge eines drastischen Reallohnab-
baus. Im öffentlichen Dienst sind immer noch etwa zwischen 20 und
30 % der Beschäftigten in der untersten Lohngruppe eingruppiert.
Das sind in erster Linie Frauen im Wirtschaftsbereich und im Reini-
gungsdienst! Berücksichtigt man dann noch die Tatsache, daß Arbei-
ter/innen Zuschläge bekommen nach der Dauer der Betriebszugehörig-
keit und nicht wie Angestellte nach Lebensalter, und daß Frauen -
wie bereits erwähnt - aufgrund ihrer familiären Verpflichtungen
weniger lang in einem Betrieb arbeiten, wissen wir, wer die Beschis-
senen sind. Doch um solch subtile aber sutschaldundn Diskriminie-
rungsmomente zu durchschauen, müssen wir uns erstmal recht ausführ-
lich einarbeiten in Tarifverträge und Gesetze, wo dies alles festge-
legt ist. Gleichzeitig müssen wir bestehende Möglichkeiten der ge-
werkschaftlichen und gesetzlichen Interessenvertretung noch viel
intensiver kennenlernen, um das Optimale aus den Gesetzen - die ge-
wiß nicht das Gelbe vom Ei sind - für uns und unsere Kollegen/innen
herauszuholen.
6. LITERATUR
Bösel, Monika, Frauen - im Erwerbsleben noch immer benachteiligt?
in: Der Bürger im Staat, 3. Sept. 77
Frau im Berufsleben, in der Gesallschaft, in der Politik.
Referentenleitfaden zum Rahmen der gewerkschaftlichen Bildungsar-
beit, Hrsg.: DGB-Landesbezirk Bayern, München 1968
Pinl, Claudia, Das Arbeitnehmerpatriarchat , Köln 1977
-32-
Rosemarie Raab
FRAUENARBEIT IM STADTTEIL
DER STADTTEIL
Wilhelmsburg, flächenmäßig größter Stadtteil Hamburgs, wäre als De-
monstrationsobjekt geeignet für ein Lehrstück über menschenfeindli-
che, an kurzfristigen Wirtschaftsinteressen orientierte städtebauli-
che Planung: Um der Entwicklung des Hamburger Hafens und der Gewer-
be- und Industrieansiedlung Raum zu schaffen, sollte die Bevölkerung
des westlichen Teils Wilhelmsburgs in neuzuerrichtende Wohngebiete
im östlichen Teil umgesiedelt werden. Nachdem dann einerseits 10
Jahre lang (1967 - 1977) im Osten ein Neubaukomplex nach dem nächsten
entstand, andererseits im Westen die Gewerbe- und Industrieansiedlung
nicht so expansiv wie geplant verlief und der Stadtteil zum Slum zu
werden drohte, entschloß sich der Senat endlich zu einer Erhaltung
des westlichen Teils als Wohngebiet und zu einem Verzicht auf weite-
re Hochausbebauung im östlichen Teil.
Hier waren allerdings inzwischen alle nur möglichen Probleme moder-
ner Stadtrand-Hochhaussiedlungen ohne ausreichende Wohnvoraussetzungs-
einrichtungen angelegt worden. Sie betreffen eine Bevölkerung, die in
ihrer Struktur gekennzeichnet ist durch einen hohen Anteil an Kin-
dern und Jugendlichen, an ungelernten Arbeitern, Facharbeitern und
Handwerkern und einen hohen Anteil an Arbeitslosen und Sozialhilfe-
empfängern. Ein Drittel der Bevölkerung gilt nach Angaben des Orts-
amtes als "sozial schwach'.
DIE SITUATION DER FRAUEN IM STADTTEIL
"Es wäre lohnend, eine 'vergleichende Sozialökologie' der Alters-
klassen, Familienstände und Lebensphasen zu schreiben und das unter-
schiedliche Gewicht der jeweiligen näheren und weiteren räumlichen
Umwelten zu erfassen." (1) Dieser Vorschlag von H.P. Bahrdt wäre zu
ergänzen durch eine "vergleichende Sozialökologie' der Geschlechter.
Wenn auch alle Bevölkerungsteile von den Bedingungen im Stadtteil
betroffen sind, so doch nicht in gleicher Weise und gleicher Inten-
sität. Während die Männer in der Regel den größten Teil des Tages
am Arbeitsplatz außerhalb des Stadtteils verbringen, ist dieser für
die Mehrzahl der Frauen und Kinder der Hauptlebensbereich. Was öko-
nomisch und gesamtgesellschaftlich zutreffend als Reproduktionsbe-
reich bezeichnet wird, ist für Frauen Produktions- und Reproduktions-
bereich zugleich. Das Wohnquartier ist für sie Arbeitsplatz und Er-
holungsstätte.
Das gilt sogar bis zu einem gewissen Ausmaß für berufstätige Frauen,
da sie in der Regel zusätzlich die Pflichten der Hausfrau (Haushalt,
Kinderversorgung und z.T. auch die Versorgung der älteren Genera-
tion) übernehmen müssen.
-33-
Wie sehr gerade Frauen von einer unzureichenden Versorgung des Stadt-
teils mit Einkaufsmöglichkeiten, Ärzten, Angeboten für Kinder und
ältere Menschen betroffen sind, zeigte am Beispiel Wilhelmsburg eine
Befragung, die 1976 im Auftrage der Hamburger Baubehörde bei Stadt-
teilbewohnerinnen durchgeführt wurde. Aufgefordert, mögliche Einrich-
tungen für ein geplantes Zentrum im Stadtteil in eine Rangordnung
gemäß ihrer Wichtigkeit einzustufen, nannten die Frauen auf den
ersten acht Plätzen verschiedene Einkaufsmöglichkeiten, Ärztezentrum
und Einrichtungen für Kinder und Alte. (2) ,
Die Folgen der unzureichenden Versorgung spüren die Frauen in der
zeitlichen Ausdehnung und Erschwernis ihrer Aufgaben im Haushalt und
für die Familie und in der Verhinderung einer möglichen Erwerbstätig-
keit.
Doch nicht nur die unzureichende soziale Versorgung eines Stadtteils
trifft Frauen in verstärktem Maße, sondern auch die Folgen der kom-
plexen Hochhausbebauung, die als "Verdünnung von Interaktion, Aus-
merzung von Selbsthilfe, Selbstversorgung und Selbstorganisation"
beschrieben wurden. (3)
Die aufgrund der nichtgewachsenen Struktur des Wohnquartiers fehlen-
den engen Nachbarschaftsbeziehungen werden in Wilhelmsburg wie auch
anderswo nicht in ausreichendem Maße durch Treffpunkte und kommunika-
tive Angebote ausgeglichen. Selbst da, wo solche Angebote Männern
noch in gewissem Ausmaß zur Verfügung stehen, bzw. von ihnen wahr-
genommen werden - wie etwa in Form von Kneipen und Sportveranstal-
tungen - sind sie den Frauen aufgrund gesellschaftlicher und ge-
schlechtsrollenspezifische Normen vielfach versperrt. (4) Gerade
diese Isolation im Stadtteil ermöglicht den Anschein einer Individua-
lität von Einzelschicksalen bei Frauen.
Sie verstärkt das geringe Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl der
Hausfrauen, das wesentlich durch die fehlende gesellschaftliche und
meist auch private Anerkennung ihrer Arbeit verursacht wird. Proble-
me mit Kindern und Ehemännern werden als individuelles Versagen er-
lebt und nicht selten mit Tabletten und Alkohol verdrängt. Nur wo es
Frauen gelingt, den sich verstärkenden Kreislauf von Isolation, Rück-
zug ins Private, Fixierung auf Haushalt und Familie, Verzicht auf
Möglichkeiten, außerhalb der Familie Anerkennung zu erlangen, Ver-
lust von Selbstwertgefühl und dessen Verdrängung zu druchbrechen und
zusammen mit anderen Frauen Erfahrungen mit sich selbst zu machen,
kann ein Bewußtsein des eigenen Wertes und der eigenen Fähigkeiten
entstehen.
AUSGANGSPUNKT DER FRAUENARBEIT IN WILHELMSBURG
Anstöße für die Entwicklung von Frauengruppen und anderen Frauen-
aktivitäten in Wilhelmsburg sind von verschiedenen Seiten gekommen:
© Durch Aktivitäten im Rahmen einer kirchlichen Gemeinwesenarbeit,
die die Verbesserung der Lebensbedingungen im Stadtteil, die Stär-
kung der Kräfte einzelner und Gruppen in der Durchsetzung berech-
tigter Lebensinteressen und die Aufhebung von Isolierung der Men-
schen untereinander zum Ziel hat.
Durch Einzelinitiativen von Frauen im Stadtteil, die durch die
Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Situation der Abhängigkeit
und fehlenden Selbstverwirklichung das Bedürfnis nach Veränderung
=gh
verspürten, aber schon bald merkten, daß diese Veränderungen nur
zusammen mit anderen Frauen zu schaffen sind.
® Durch Frauen, die durch berufliches und privates Engagement am
Stadtteil bzw. an Frauen Interesse an einer Stärkung der Frauen-
bewegung im Stadtteil haben.
Ausgangspunkt der Frauenarbeit ist bei all diesen Ansätzen die Über-
legung, daß eine Stärkung von Frauen im Sinne von Selbst-Bewußt-Wer-
dung und im Sinne des Erwerbs von Fähigkeiten, sich gegen die gesell-
schaftliche und private Unterordnung der Frau unter die Interessen
des Mannes zu wehren, nicht allein dadurch entsteht, daß die Frau
aus ihrer Hausfrauenrolle in die Rolle der Vollzeit- oder Teilzeit-
Erwerbstätigen schlüpft.
Selbst wenn man davon ausgeht, daß letztlich eine finanzielle und
soziale Unabhängigkeit der Frauen ohne eine Erwerbstätigkeit nicht
zu erreichen sein wird, so sind doch vorbereitend und begleitend
zur Erwerbstätigkeit kollektive Erfahrungen und Lernprozesse notwen-
dig, die den Frauen die Bewußtwerdung und Veränderung ihrer gesell-
schaftlichen Rolle ermöglichen.
Das gilt nicht nur für die große Zahl der stundenweise beschäftig-
ten Frauen, die im Stadtteil Büros, Schulen, Arztpraxen und Treppen-
häuser putzen und durch die Art ihrer Tätigkeit kaum Möglichkeiten
haben, Selbstbestätigung zu finden. Sie erleben diese Arbeit als Ver-
längerung ihrer sowieso schon zugeschriebenen und ausgeübten tägli-
chen Aufgaben - allerdings mit dem Unterschied der Bezahlung, die
einen Ansatz von Unabhängigkeit ermöglicht. Das gilt auch nicht nur
für die vielen Frauen, die nach langjährigem Hausfrauendasein so
sehr in ihrem Selbstbewußtsein beschädigt sind, daß sie nicht ohne
weiteres in der Lage sind, sich auf eine angebotene Stelle zu bewer-
ben bzw. eine Ausbildung oder Umschulung zu beginnen.
Angebote zur gemeinschaftlichen und individuellen Stärkung aller
Frauen zum Wiederentdecken und -gewinnen der eigenen Fähigkeiten
und zur Durchsetzung als eigen erkannter Interessen sind vonnöten.
Sie müssen allerdings da ansetzen, wo diese Frauen stehen: Als Haus-
frauen ebenso wie als berufstätige Frauen und Mütter in dem Bereich,
in dem sich ihre gesellschaftliche Rolle als Frau tagtäglich repro-
duziert: im Stadtteil.
KONKRETE ANSATZPUNKTE
Die konkreten Ansatzpunkte für eine Stärkung von Frauen im Stadt-
teil liegen in der Wilhelmsburger Praxis auf drei Ebenen:
Veröffentlichung und Kollektivierung von Hausfrauentätigkeiten
Die erste Ebene ist gekennzeichnet durch Ansätze zur Veröffentlichung
und Kollektivierung bisher isoliert und privat ausgeübter Hausfrauen-
tätigkeiten wie z.B. Einkaufen, Kochen, Kindererziehung. So kam z.B.
eine Frau aus dem Stadtteil auf die Idee, das jeweils individuelle
Kochen der Frauen in ihren Haushalten an einem Tag in der Woche auf-
zuheben und ein gemeinsames Kochen zu initiieren.
Beim "Montagskochen", das jetzt bereits über zwei Jahre in Gemeinde-
räumen stattfindet, kochen abwechselnd einige Frauen für etwa
15 - 20 Frauen und die doppelte Anzahl Kinder. Beim gemeinsamen
Kochen und Essen werden sowohl Neuigkeiten aus dem Stadtteil und
-35-
politische Ereignisse als auch Probleme aus den Gruppen und Proble-
me, die sich aus der Organisation dieser Montage ergeben, besprochen.
Ein solches Problem war z.B., daß Frauen, die berufstätig sind, von
den Hausfrauen z.T. wie müde heimkehrende Ehemänner bewirtet wur-
den, bzw. sich bewirten ließen. Damit war eine typische geschlechts-
rollenspezifische Situation, die sich sonst in der privaten Sphäre
unhinterfragt abspielt, öffentlich und für Kritik und Veränderung
zugänglich. Be
Das "Montagskochen" erfüllt auch eine Funktion als Anlaufstelle für
neue Frauen. Gerade für Frauen, die bisher weitgehend isoliert im
Stadtteil gelebt haben, bietet das gemeinsame Kochen und Essen mit
anderen Frauen und Kindern eine unverbindlichere Möglichkeit als z.
B. feste Frauengruppen, mit anderen Frauen Kontakt aufzunehmen und
sich allmählich mit ihren Fähigkeiten und auch ihren Problemen ein-
zubringen.
Weitere Beispiele auf dieser Ebene liegen im Bereich der kollektiven
Kinderbetreuung. Da gibt es z.B. ein über die kirchliche Gemeinwe-
senarbeit angeregtes, dann aber eigenständig organisiertes Selbst-
hilfeprojekt von Frauen, bei dem Kinder gemeinschaftlich stundenwei-
se in einem Kinder-Spiel-Club betreut werden.
Dieses Projekt soll sowohl den Müttern im Wohnquartier die Möglich-
keit bieten, sich bei Einkäufen, Arzt- oder Behördenbesuchen usw.
für einige Stunden von ihren Kindern zu entlasten als auch den Kin-
dern gemeinsame Spielerfahrungen zu ermöglichen. ,
Die Frauen, die die Betreuung der Kinder für jeweils einen Vormit-
tag unentgeltlich übernehmen, treffen sich regelmäßig als Gruppe,
um über ihre Erfahrungen in der Arbeit mit den Kindern zu reden.
Bei diesen Treffen trat nach einigen Monaten zunehmend das Problem
der Bezahlung der im Spiel-Club tätigen Frauen in den Vordergrund.
Was im Rahmen der Kleinfamilie widerspruchslos ohne Entgeld tagtäg-
lich geleistet wird, gewinnt im Rahmen der Öffentlichkeit ein ande-
res Gewicht. Hier wird die gleiche Tätigkeit zur entlohnbaren Lei-
stung. Was bei den Ehemännern unhinterfragt akzeptiert wird, daß
sie nämlich auf Kosten bzw. auf der Basis der Hausarbeit der Frauen
die Möglichkeit einer Berufstätigkeit mit der entsprechenden finan-
ziellen Unabhängigkeit (auch in der Ernährerrolle) und den Chancen
von Selbstbestätigung in Anspruch nehmen, wird in Bezug auf andere
Frauen im Stadtteil, die ihre Kinder gegen geringes Entgeld (für
Spielmaterial) beim Spiel-Club abgeben, um dann z.B. stundenweise
oder halbtags zu arbeiten, nicht akzeptiert. Das Gefühl von Ausnutzung
oder Ausbeutung der eigenen Arbeitskraft kommt auf und wird auch im
Hinblick auf die familiäre Situation diskutierbar.
JEP
Freizeit- und Selbsterfahrungsgruppen
—
Eine zweite Ebene der Stärkung von Frauen im Stadtteil sind die
Freizeit- und Selbsterfahrungsgruppen, in denen Frauen - anknüpfend
an ihre jeweilige Situation - ihre individuelle und kollektive Ge-
schichte aufarbeiten können und sich gegenseitig Mut machen. Ini-
tiiert und geleitet wurden solche Gruppen in den letzten drei Jah-
ren zum größten Teil von Frauen, die einen persönlichen und beruf-
lichen Bezug zum Stadtteil haben: als Ärztinnen, als Lehrerinnen,
als niedergelassene Rechtsanwältinnen, als Rechtsanwaltsgehilfinnen,
als Sozialarbeiterinnen, als Pastorin. Die meisten dieser Frauen
haben sich in einer Gruppe zusammengeschlossen, die seit drei Jahren
-36-
Kritische
Texte
Sozialarbeit
Sozialpädagogik
Soziale Probleme
Herausgegeben von Hanns Eyferth, Paul Hirschauer, Joachim Matthes,
Wolfgang Nahrstedt, Hans-Uwe Otto, Hans Thiersch
Eine Auswahl
Henrik Kreutz/
Reinhard Landwehr (Hrsg.)
Studienführer für Sozialarbeiter/
Sozialpädagogen
Ausbildung und Beruf im Sozialwesen.
282 Seiten, Paperback, DM 24,80.
ISBN 3-472-58031-3
Hans Thiersch
Kritik und Handeln
Interaktionistische Aspekte der Sozial-
pädagogik. Gesammelte Aufsätze unter
Mitarbeit von Anne Frommann und
Dieter Schramm. .
185 Seiten, Paperback, DM 17,80.
ISBN 3-472-58036-4
Peter Runde/Rolf G. Heinze
Chancengleichheit für Behinderte
Sozialwissenschaftliche Analysen für
die Praxis
ca. 250 Seiten, Paperback, ca. DM 25, —
ISBN 3-472-58045-3
Thomas Mathiesen
Überwindet die Mauern!
Die skandinavische Gefangenen-
bewegung als Modell politischer Rand-
gruppenarbeit
Mit einer Einführung von Karl F.
Schumann
ca. 200 Seiten, Paperback, ca. DM 24,—
ISBN 3-472-58044-5
Luchterhand
Elke Stark — von der Haar
Arbeiterjugend — heute
Jugend ohne Zukunft?
230 Seiten, Paperback, DM 16,80.
ISBN 3-472-58037-2
Projektgruppe Arbeitsmarktpolitik/
Claus Offe (Hrsg.)
Opfer des Arbeitsmarktes
Zur Theorie der strukturierten Arbeits-
losigkeit.
283 Seiten, Paperback, DM 19,80.
ISBN 3-472-58038-0
Barbara Schmitt-Wenkebach
(Hrsg.)
Elternbildung als sozial-
pädagogische Aufgabe
Erfahrungen, Modelle, Vorschläge
185 Seiten, Paperback, DM 19,80.
ISBN 3-472-58035-6
Walter Specht
Jugendkriminalität und Mobile
Jugendarbeit
Ein stadtteilbezogenes Konzept
von Street-Work
ca. 180 Seiten, Paperback, ca. DM 22, —
ISBN 3-472-58043-7
Martin Sauer
Heimerziehung
und Familienprinzip
231 Seiten, Paperback, DM 24, —
ISBN 3-472-58042-9
eine Beratung im Stadtteil anbietet (seit zwei Jahren auch als aner\
kannte $ 218-Beratung).
Ausgangspunkt war bei den Frauen die eigene positive Erfahrung von
Gesprächen mit Freundinnen und in Selbsterfahrungsgruppen und die
dort erlebte Stärkung des Selbstbewußtseins. Diese Erfahrung wollten
die Frauen neben ihrer jeweiligen Fachkompetenz an die Frauen im
Stadtteil weitergeben.
Die Beratungsgruppe hat sich selbst immer auch als Frauengruppe vers
standen - in der ersten Phase eher als Selbsterfahrungsgruppe, spä-
ter gekoppelt mit gemeinsamer Fortbildung und Supervision. Durch
die teilweise personelle Identität ist die Beratungsarbeit eng mit
den verschiedenen Frauenaktivitäten im Stadtteil verknüpft. Frauen
aus den Gruppen kommen zur Beratung und Frauen aus dem Stadtteil
werden über die Beratung in bestehende Gruppen weitergeleitet oder
für neue Gruppen vorgemerkt.
Die Frauengruppen, die in den letzten Jahren in Wilhelmsburg ent-
standen sind, unterscheiden sich z.T. erheblich voneinander. Das
resultiert daraus, daß die Gruppen jeweils an der konkreten Situa-
tion der Frauen ansetzen, d.h. wo sie etwas verändern wollen. Frauen,
die den Schritt, sich aus der Fixierung auf Haushalt und Kinder zu
lösen, noch nicht begonnen haben, aber ein Bedürfnis in der Richtung
'mal rauszukommen' oder 'mal was für sich selbst zu machen' formu-
lieren, haben andere Erwartungen an eine Gruppe als z.B. in Schei-
dung lebende Frauen an eine Geschiedenen-Gruppe oder Frauen, die in
ihren Beziehungen gerade zu ihren Töchtern ihre eigene Geschlechts-
rollenproblematik erleben und verändern wollen, an eine Mutter-Toch-
ter-Gruppe.
Bei den erstgenannten Frauen z.B., die zum überwiegenden Teil Haus-
frauen sind, boten die Leiterinnen zuerst eine Bastelgruppe an, aus-
gehend von der Annahme, daß das Herausgehen aus dem vertrauten Rah-
men der Familie in eine Frauengruppe für die Frauen relativ angst-
besetzt ist und das Besprechen von persönlichen Problemen bei die-
sen Frauen erst in einem längerfristigen Prozeß auf der Basis von
emotionaler Sicherheit in der Gruppe möglich sein wird, und um mög-
lichst eng an dem bisherigen Freizeitverhalten bzw. Rollenverständ-
nis der Frauen anzusetzen.
Diese Gruppe trifft sich jetzt schon seit über drei Jahren. Die
Frauen haben z.T. sehr enge Kontakte untereinander oder zu anderen
Frauen, einige treffen sich regelmäßig außerhalb der Gruppenabende.
Das Basteln spielt heute keine Rolle mehr, im Vordergrund steht die
gemeinsame Freizeit und die praktische gegenseitige Unterstützung.
In den Geschiedenen-Gruppen ist sowohl die Möglichkeit als auch die
Bereitschaft, über die persönlichen Probleme einen Einstieg in die
Gruppe zu finden, da sich die Gruppe gerade durch die Problemsitua-
tion der Scheidung oder Trennung definiert. Im Vordergrund steht
das Mutmachen für die Bewältigung der Probleme, der Austausch von
Informationen und Ratschlägen und die praktische Unterstützung in
Behördenangelegenheiten sowie das Entwickeln von Perspektiven für
ein Leben in eigener Verantwortung für sich und die Kinder.
In der Mutter-Tochter-Gruppe steht die Aufarbeitung der individuel-
len Geschichte der einzelnen Frauen, ihre eigene Mutter-Beziehung
und ihre Sozialisation zur Frau im Mittelpunkt. Psychologische Me-
thoden (z.B. der Transaktionsanalyse) oder Rollenspiele sind dabei
hilfreich.
-38-
Auch in der Dauer unterscheiden sich die einzelnen Gruppen vonein-
ander. Je klarer die Fragestellung ist, mit der die Frauen in die
Gruppe gehen, je sicherer sie wissen, was sie dort für sich errei-
chen wollen, um so klarer kann eine Gruppe zeitlich begrenzt sein.
Wichtig ist aber bei allen Gruppen der Stadtteilbezug, da er über
die Gruppentreffen hinaus eher private Kontakte, nachbarschaftliche
Hilfen und gemeinsame Aktivitäten wie z.B. den gemeinsamen Gang zum
Sozialamt ermöglicht.
Stadtteil- und Bürgerinitiativen
TA a a e Sa
Die dritte Ebene, auf der Frauen sich im Stadtteil stärken können,
ist der Bereich der Stadtteil- und Bürgerinitiativen, die sich z.B.
für die Verbesserung der sozialen Infrastruktur des Stadtteils ein-
setzen.
In Wilhelmsburg ist das z.B. eine Bürgerinitiative, die schon seit
Jahren für ein soziales und kulturelles Ortszentrum kämpft oder ein
Arbeitskreis Erziehung und Schule, der sich mit der Situation an den
Wilhelmsburger Schulen auseinandersetzt, Schulprobleme veröffentlicht
und Aktionen plant, die der Verbesserung der Situation an den Schu-
len dienen sollen.
Ein anderes Beispiel ist eine Gemeindeinitiative, die sich spontan
bildete, als die Gemeinwesenarbeit der Kirchengemeinde von Kirchen-
vorstehern als "zu sozial" angegriffen wurde und ein Pastor versetzt
werden sollte. Da die Frauenarbeit z.T. eng mit der Gemeindearbeit
verknüpft ist, solidarisierten sich insbesondere viele der Frauen
mit den betroffenen Mitarbeitern und Pastoren. Die Initiative kämpf-
te fast zwei Jahre für den Erhalt der Gemeindearbeit und viele
Frauen waren bereit, für den neu zu wählenden Kirchenvorstand zu kan-
didieren.
In solchen Initiativen, an denen Frauen verhältnismäßig stark be-
teiligt sind, lernen Frauen gesellschaftspolitische Zusammenhänge
erkennen, Ziele und Durchsetzungsstrategien entwickeln, die an ihren
persönlichen Bedürfnissen anknüpfen. Das Erfahren der eigenen Fähig-
keiten in solchen öffentlichen Bereichen hat - wenn auch teilweise
erst langfristige - Wirkungen auf das Erkennen und Durchsetzen von
Interessen im privaten Bereich.
Zu dieser dritten Ebene zählen nicht nur die Bürger- und Gemeinde-
initiativen, in denen Frauen und Männer sich für gemeinsame Ziele
einsetzen, sondern auch Initiativen für Einrichtungen, die die l
Frauenarbeit im Stadtteil stärken. So wurde in Wilhelmsburg auf Ini-
tiative der Frauen vom "Montagskochen" ein Verein gegründet, dem ca.
60 Frauen angehören und über den im Stadtteil eine Wohnung als kom-
munikativer und kultureller Treffpunkt für Frauen (Café- und Bücher-
stube) angemietet wurde. Damit lösten sich die Frauen aus der Ab-
hängigkeit von Institutionen wie z.B. der Kirche, die ihnen bisher
Raum zur Verfügung gestellt hatte und schufen sich aus eigenen Mit-
teln (Spendenbeiträge) Bedingungen für die Realisierung ihrer Inter-
essen.
Erfahrungen nicht nur in Wilhelmsburg haben gezeigt, daß Frauen,
wenn sie sich in solchen Initiativen engagieren, eher kämpferischer,
kreativer und ausdauernder sind als Männer, was sich z.T. sicher auf
ihre größere Betroffenheit von den zu beseitigenden Mißständen im
Stadtteil zurückführen läßt.
-39-
ANMERKUNGEN
a)
(2)
(3)
(4)
Bahrdt, H.P. Das Wohnquartier, in: Müller, C.W., Nimmermann, P
Stadtplanung und Gemeinwesenarbeit, München 1973 S, 31
Ein Zentrum für Wilhelmsburg-Ost. Eine Untersuchung der Baube-
hörde Hamburg, Landesplanungsamt. Hrsg. Baubehörde Hamburg,
Hamburg, Mai 1976, S. 30
R. Gronemeyer, Neubauwohnungen, Bausteine der Versorgungskultur
in: Gronemeyer, R., Bahr H.E. (Hrsg.), Nachbarschaft im Neubau-
block, Weinheim 1977, S. 51
So ergaben sich bei der o.a. Befragung im Auftrage der Baubehör-
de für Männer und Frauen deutliche Unterschiede auf die Frage
hin, an wieviel Abenden der letzten Woche die Erwachsenen zuhau-
se oder fort waren: Von den Frauen war mehr als die Hälfte an
allen sieben Abenden zuhause, von den Männern dagegen nur rund
ein Drittel. Vgl. Ein Zentrum für Wilhelmsburg-Ost asas, So 34,
Stadi vat
anra bf Caık
Astrid Hochwald
GRUPPENARBEIT
MIT ALLEINERZIEHENDEN MÜTTERN UND EHEFRAUEN
1. ZUM ARBEITSFELDRAHMEN
Ich mache gemeinwesenarbeitsorientierte Mieterarbeit in einem schnell
wachsenden Ort bei Hamburg. Von einem Wohnungsunternehmen angestellt,
betreue ich mit einem Kollegen gemeinsam ca. 550 Wohneinheiten, über-
wiegend sozialer Wohnungsbau. Dafür stehen uns insgesamt 12 Gemein-
schaftsräume zur Verfügung. Seltene Zugeständnisse eines Wohnungs-
unternehmens für mehr menschliches Wohnen in Betonsilos!
Die Gründe dafür haben 2 Seiten:
a) tatsächliches persönliches Engagement des Geschäftsführers, eine
Mustersiedlung nach dänischem Vorbild mit gut funktionierender
Versorgung zu schaffen;
b) geschäftliches Interesse: das Wohnungsunternehmen ist klein und
die Konkurrenz gerade im sozialen Wohnungsbau groß. Die Sozial-
leistungen werden ausgenutzt, um das Image der Gesellschaft zu
stärken, damit sie Aufträge zur Planung, Errichtung und Wartung
von Sozialwohnungen erhält und ihre Bauvorhaben außer der allge-
meinen Förderung für den sozialen Wohnungsbau, als Modellprojekt
besonders gefördert werden (gerade für finanzschwache Gemeinden
ist dieses Wohnmodell attraktiv, da soziale Folgeleistungen mit-
geliefert werden).
Im Rahmen dieser Mieterarbeit habe ich vor einem Jahr mit der Arbeit
in zwei Frauengruppen begonnen:
einer Ehefrauengruppe und einer Gruppe mit alleinstehenden Müttern.
2. ZUR UNTERSCHIEDLICHEN LEBENSSITUATION BEIDER GRUPPEN
Bevor ich mich mit Zielvorstellungen und methodischen Schritten für
den Gruppenaufbau beschäftigte, habe ich mich mit der Lebenssitua-
tion beider Zielgruppen auseinandergesetzt - anfangs aus eigener theo-
retischer Einschätzung, später ergänzt, vervollständigt, relativiert
durch die Selbstdarstellungen der Frauen. Kategorien für die Gegen-
überstellung beider Lebenszusammenhänge waren folgende:
© welchen Status haben die Frauen in unserer Gesellschaft?
© in welchem Arbeitszusammenhang stehen Sie?
® welche Stellung nehmen sie in ihrer Familie ein?
© wie sieht ihr Freizeitbereich aus?
Daraus haben sich folgende Erkenntnisse für mich ergeben:
Beide haben einen unterschiedlichen Status und sind einer anderen
Form von Isolation ausgesetzt.
PA
ME au a Te en en
Ehefrauen
EEE TI nn a
Der Status Ehefrau und Familien-
mutter ist in unserer Gesell-
schaft vollkommen etabliert und
normenkonform - sichert die Ehe-
frau doch durch die Akzeptierung
und Verinnerlichung ihrer tradi-
tionellen Rolle den Familien-
verband als Reproduktionsstätte,
indem sie ohne Lohn für ihre
Hausarbeit zusätzlich auch noch
Liebes- und Beziehungsarbeit
leistet.
Sie trägt durch die zusätzli-
che Belastung eines Halbtags-
jobs häufig dazu bei, daß Kon-
sumgüter, an denen der Status
der Familie gemessen wird und
die mehr und mehr zum Lebens-
inhalt gemacht worden sind,
angeschafft werden können.
Dahinter verschwinden Freun-
desbeziehungen, der Kontakt
zu anderen Ehepaaren läuft
oberflächlich oder über die
Konkurrenzebene: "Die haben
sich gerade wieder das und
das angeschafft."
Die Ehefrau zieht sich voll-
kommen in die Familie zu-
rück, Selbstdefinierung
läuft fast nur noch über
den Ehemann, Kinder und zu
erstrebende Konsumgüter.
"sich nur nicht exponieren"
"nicht ins Gerede kommen"
"nichts von den Problemen
nach außen dringen lassen".
hd
a
Alleinstehende Mütter
e
Der Status der alleinstehenden
Mütter ist dazu im Gegensatz weit-
aus geringer:
Zwar erfüllt sie noch in der Rest-
familie die gesellschaftlich not-
wendige Reproduktionsarbeit -
nämlich Erziehung der Kinder - der
tatsächliche gesellschaftliche
Wert ihrer Tätigkeit hat sich je-
doch verringert:
@ Materiell:
Oftmals kann sie wegen kleiner
Kinder nicht arbeiten und ist so
von Sozialhilfe abhängig (Unter-
haltszahlungen von Vätern erhal-
ten höchsten 50 Z aller led/gesch.
sorgeberechtigten Mütter - Quelle:
Verein alleinerziehender Mütter
und Väter, Zahlenspiegel Einel-
ternfamilien '76).
Arbeitet sie, dann vorwiegend im
unteren Angestelltenverhältnis,
so daß sie mit ihrem Einkommen
keine großen Sprünge machen kann,
sich weniger Konsumgüter leisten
kann, an denen in unserer Gesell-
schaft u.a. der Status gemessen
wird.
© Ideologisch:
Sie hat die "Säule" unseres Sy-
stems angeknackst, die Norm in
Frage gestellt. Dieses "Nichtfunk-
tionieren" löst Ängste und Abwehr-
reaktionen anderer Eheleute aus:
"Vorsicht, die hat eine geschei-
terte Ehe hinter sich, das könnte
für unsere Ehe bedrohlich sein"...
"Irgendwie muß sie ja schuld ha-
ben" ... Amoralität oder persön-
liche Schwäche werden ihr unter-
stellt. Sie wird isoliert, Freun-
de, meist Ehepaare, ziehen sich
nach der Scheidung zurück. Andere
Möglichkeiten,neue Freunde kennen-
zulernen sind begrenzt:
a) durch die Dreifachbelastung
Kindererziehung/Haushalt/Beruf
bleibt ihr eh wenig Zeit für die
eigene Freizeitgestaltung
b) die meisten Freizeitmöglichkei-
ten sind entweder auf Paare aus-
gerichtet, oder aber
c) die alleinstehende Frau hat sich
stark mit der ihr zugeschriebenen
Frauenrolle in unserer Gesell-
schaft auseinanderzusetzen: sie
ist Freiwild, vor allem auf der
Suche nach einem neuen Partner.
Dabei wird von ihr die traditio-
nelle Frauenrolle erwartet, näm-
lich keine Initiative zu ergrei-
fen, sondern abzuwarten. Fühlt sie
sich dadurch erniedrigt und will
ihre Situation verändern, hat sie
dann gegen die eigene Verinnerli-
chung genau dieser Rollenerwartung
zu kämpfen. Ihre Reaktion darauf
ist dann häufig Rückzug aus den
meisten Freizeitangeboten.
Aus diesen beiden unterschiedlichen Lebenszusammenhängen heraus
erfolgen von den Ehefrauen auf andere Reaktionsweisen auf die Frauen-
gruppe als von den alleinstehenden Müttern. Beide haben einen unter-
schiedlichen Bewußtseinsstand ihrer Bedürfnisse, was sich auf die
Strukturierung der Gruppenabende niederschlägt.
3. DIE ALLEINSTEHENDEN MÜTTER
Das erste Problem tat sich schnell auf: Wie komme ich überhaupt an
meine Zielgruppe heran?
In meinem Fall war das relativ einfach, da alle Mieter beim Einzug
in den Wohnblock für das Wohnungsunternehmen einen Fragebogen ausfül-
len, der ihre sozialen Daten, Freizeitinteressen, Fragen nach Stell-
plätzen und Garagen festhält. Bei Durchsicht dieser Daten stellte
ich fest, daß 10 % aller Wohnparteien aus alleinstehenden Müttern
bestanden.
Ich habe dann systematisch fast alle Frauen besucht; ein Großteil
der angesprochenen alleinstehenden Mütter zeigte großes Interesse
an einer Gruppe mit "gleichbetroffenen" Frauen - tatsächlich besteht
die Gruppe jetzt aus 13 Frauen, die alle Kinder haben und zwischen
30 und 40 Jahre alt sind.
Da jede Frau annehmen konnte, daß die andere ein ähnliches Scheidungs-
drama hinter sich hatte, war die Bereitschaft, über eigene Probleme
zu sprechen, außerordentlich groß. Hinzu kam das Bedürfnis, neue
Menschen am Wohnort kennenzulernen, die auch spontan bereit wären,
einen Teil der Freizeit miteinander zu verbringen.
So erzählte am Anfang fast jede Frau ihre Ehegeschichte - gegensei-
tige Ähnlichkeiten und Schwierigkeiten wurden festgestellt. Durch
die Verallgemeinbarkeit ihrer Probleme fühlten sich die Frauen ent-
lastet. Danach war bereits eine so vertraute Ebene geschaffen, daß
andere Probleme angeschnitten wurden: Kindererziehung (wobei gegen-
seitiges Babysitting nicht mehr so nötig war, da die meisten Kinder
schon im Schulalter sind); Arbeit; Partnersuche. Der letzte Bereich
war für alle besonders problematisch, hatten doch alle schon den
"Tanzlokaltick" (in ein Lokal gehen, so tun, als ob man auf jemanden
wartet und wieder abziehen) hinter sich. Diese Szenen waren für alle
Frauen ausnahmslos erniedrigend, so daß die Idee, sich mit der Grup-
-4 3-
pe eine entlastende Atmosphäre zu schaffen, nicht lange auf sich war-
ten ließ.
Inzwischen unternehmen die Frauen viel in Gruppen zusammen, sie füh-
len sich sicherer, mögen sich und können miteinander reden.
Lernt eine Frau einen Mann kennen, wird rege Anteil genommen - bis-
her hat sich wegen einer Männerbekanntschaft noch keine Frau aus
der Gruppe zurückgezogen.
Vielen Frauen ist klar, daß es für sie schwer geworden ist, für län-
gere Zeit einen neuen Partner zu finden, der bereit ist, ihre neuer-
lernte Selbständigkeit und Verantwortlichkeit zu akzeptieren. Umso
wichtiger ist ihnen deshalb der Kontakt zur Gruppe, auf den sie ge-
rade in Zeiten neuer Einsamkeit zurückgreifen können. Die Gruppenaben-
de sind gefüllt mit Klönen, Diskussionen über abgesprochene Themen
und lockeren Angeboten wie Folkloretänze, Spiele, Basteln.
Ein Großteil dieser Angebote wurde von den Frauen eingebracht, die
konkrete Realisierung fiel ihnen jedoch schwer, so daß ich anfangs
eine stärkere Strukturierung des Abends übernommen habe.
Inzwischen, wo wir uns alle gut kennengelernt haben,und die Frauen
auf das letzte Jahr zurückblicken, wo sie ständig die alleinige Ver-
antwortung für ihre Handlungen getragen haben, sind sie weitaus
bereiter, selbst dafür zu sorgen, daß das aufgestellte Programm
durchgeführt und gegebenenfalls kritisiert wird, wenn etwas schief
gelaufen ist.
Meine Rolle in der Gruppe hat sich somit verschoben. Zwar werden
Abende auch inhaltlich von mir vorbereitet, aber durch die offene
Atmosphäre in der Gruppe ist meine Berufsrolle zurückgetreten. Ich
kann einen guten Teil meiner Belange einbringen, fühle mich bei vielen
Themen in meiner eigenen Problematik als Frau angesprochen. Aller-
dings wähle ich dabei aus, was von meinen Dingen der Gruppensitua-
tion zumutbar ist.
4. DIE EHEFRAUEN
Wie habe ich die Ehefrauengruppe zusammenbekommen?
Um nicht nur diejenigen Frauen zu erreichen, die ich eh kannte und
die schon in Frauencliquen steckten, bin ich von Haustür zu Haustür
gegangen: Die Reaktion der Frauen war aufgeschlossener als am Tele-
fon, da sie sich durch das unmittelbare Gegenüber nicht so schnell
zurückziehen konnten. Letztlich haben von 50 erreichten Frauen 15
für die Gruppe zugesagt und sind auch heute noch dabei.
Da bei den Ehefrauen kein offensichtlicher, für alle akzeptierbarer
gemeinsamer Problembereich vorhanden war, galt es hier einen anderen
gemeinsamen Nenner zu finden:
"Frauengruppe mit Klönen und Erfahrungsaustausch" stieß auf wenig
Resonanz: "Da wird dann doch nur getratscht", oder: "Ich bin eman-
zipiert genug".
Ein tatsächlicher Anhaltspunkt war dann der Gedanke, daß die wenig-
sten Frauen einen eigenen, sie ausfüllenden Freizeitbereich haben.
Also definiert sich diese Gruppe, in der sich alle Frauen bereits
oberflächlich kannten, über eine Sache: Gymastik, Folkloretänze,
Bowling, Basteln.
Das Ziel dieser Gruppe konnte demnach zunächst sein, daß sich die
-44-
Kursbuch 54
Jugend
Rock me: Diskotheken. Buden. Lä-
den / Arbeitslos oder: Mit der Zeit
vergeht das/ Der macht seinen Weg/
Ichdenk,ihrwerdetmich nochsehn/
Manta-Frau undglücklich, geht das? /
Ich möchte ein anständiges Mädchen
sein / Dark Ladies: Wenn ich 'ne
Karre hab... / Ein junger Faschist.
Der neue Führer? / Fan-Club der
Bundeswehr / Dorfjugend / Drogen-
szene / Selten allein. Szenen einer
WG / Die langandauernde Jugend
der Linken
Kursbuch 54
192 Seiten, DM 8
(im Abonnement-DM 6)
Kursbuch 55
Sekten
Zwei Personen - eine Sekte / Die
Mehrheit als Sekte. Oder: Ein Alb-
traum / Die Lust des Hirns auf Haus-
mannskost/ Der linke Psychodrom /
Wozu diese dummen Fragen Genos-
sen? / Im Schoß von Begriffen / Die
Gurus der demonstrativen Lebens-
stil-Suche / Astral-Marx. Über An-
throposophie, Marxismus und ande-
re Alternatiefen / Im Club. Beob-
achtungen in verschiedenen hessi-
schen Tennisvereinen
Kursbuch 55
192 Seiten, DM 8
(im Abonnement DM 6)
Kursbuch 56
Unser Rechts-Staat
Die freiheitlich demokratische
Grundordnung als Superlegalität /
Arbeitsrecht. Der Betrieb als rechts-
freier Raum / Strafrecht und Rechts-
staat / Wie entsteht unter Juristen die
»herrschende Meinung«? / Gibt es
eine objektive Rechtsprechung? Be-
obachtungen im Gerichtssaal / Wis-
senschaft und Recht. Die Macht der
Gutachter vor Gericht / Daten-
schutz / Miet- und Ausländerrecht /
»Taktik« als»Verrat«? Die Linken auf
dem Langen Marsch
Kursbuch 56 (Juni 79)
192 Seiten, DM 8
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Rotbuch« zu.
Frauen über den kurzen "Klönschnack" auf der Straße hinaus kennen-
lernen, sich also vielseitiger wahrnehmen, schon verteilte Rollen
dadurch etwas aufweichen; daß so ein tieferer Kontakt untereinander
hergestellt wird, der es möglich macht, auch über private Schwierig-
keiten zu reden, also einen Teil ihrer Isolation auflöst.
Dieses Ziel erwies sich als keineswegs zu kurz gesteckt. Im Gegen-
satz zur anderen Frauengruppe sind die Frauen kaum bereit, persön-
lich etwas zu investieren: Der Ausflug in die Welt nach draußen wird
nur kurz wahrgenommen - die Ehe und die Familie warten. Dabei wird
die Harmonie der Ehe mit allen Mitteln nach außen und innen aufrecht-
erhalten: eventuelle Probleme, Einsamkeitsgefühle, Überlastung, Strei-
tigkeiten etc. werden vollkommen überspielt, das heißt, es gibt in
der Gruppe kaum Themen, die persönlich werden, eher gleiten die Ge-
spräche in small talk ab, der sich ständig wiederholt.
Gerade jetzt ist bei den Frauen Unzufriedenheit über diesen Zustand
spürbar - diese Art von Gesprächen führten sie auch sonst auf der
Straße.
Der Wunsch, gesetzte Programme auf dem Gruppenabend tatsächlich
durchzuführen, wird jetzt stärker vertreten. Dennoch ist die Erwar-
tungshaltung mir gegenüber, nämlich daß ich strukturiere, ankurble,
sehr ausgeprägt. Gruppenvorbereitungen und -kritik werden nur zag-
haft mitgetragen.
Wie die Ehemänner auf die Gruppe reagieren, ist schwer einzuschätzen.
Offensichtlich hat noch kein Mann einer Frau die Gruppe "verboten".
Teilweise wird über den "Frauenverein" gelästert. Deutliche Reak-
tionen gab es jedoch beim Aufbau der Gruppe: Viele Frauen wollten
erst, bevor sie sich entschieden, die Meinung (Einwilligung) ihrer
Männer hören. Insofern bilden die Frauen, die an der Gruppe teilneh-
men, tatsächlich schon eine Auswahl der sowieso aktivieren, selb-
ständigeren Ehefrauen.
5. ZUM ABSCHLUSS
Als ich mich an die Vorbereitungen beider Gruppen heranmachte, glaub-
te ich nicht, daß der unterschiedliche Status beider Zielgruppen tat-
sächlich so unterschiedliche Auswirkungen auf das Gruppengeschehen
haben würde, zumal alle Frauen derselben Schicht zuzuordnen sind
und von daher ähnliche Erfahrungshintergründe haben.
Tatsächlich haben sich jedoch die "ehemaligen" Ehefrauen aufgrund
ihres "Statusverlustes" sehr verändert:
© in vielen Bereichen selbst diskriminiert, sind sie wacher und kri-
tischer gegen Ungerechtigkeiten geworden
© durch die notgedrungen allein getragene Verantwortung für Familie
und sich selbst sind die Frauen sehr viel selbstsicherer geworden,
haben sie doch etwas geschafft, was sie sich vormals kaum zu-
trauten.
Dagegen sind die Ehefrauen sehr wenig bereit, für ihre Interessen
aktiv einzutreten, sie wiegeln eigene "Problemchen" ab, halten sich
an ihrem häuslichen Rahmen fest.
Für die Zukunft bedeutet dies für mich mühsame Kleinarbeit, d.h.:
Angebote zu finden, die den Frauen Spaß machen und die deshalb den
Wert der Gruppe für jede einzelne Frau steigen lassen; wenn Themen
angesprochen werden, den roten Faden in der Hand zu behalten, Nach-
-47-
fragen zu stellen, nicht so schnell wie gewohnt unverbindlich von
einem Thema zum anderen zu springen.
ZU MEINER ROLLE IN DEN GRUPPEN
Durch die unterschiedliche Reaktion der alleinerziehenden Mütter und
der Ehefrauen auf die Frauengruppe erlebe ich mich in beiden Gruppen
sehr verschieden.
Aufgrund der starken Erwartungshaltung der Ehefrauen habe ich mich
in dieser Gruppe vor allem anfangs fachlich stark gefordert gefühlt:
Wie leiere ich die Gruppe an? Stoßen die Angebote auf Interesse? Wie
kann ich die Frauen mehr aus ihrer Reserve locken? Wieviel an Kon-
fliktpotential kann ich den Frauen zumuten, ohne daß sie sich zurück“
ziehen? Es kommt wenig Rückmeldung - wie empfinden die Frauen mich
und das, was wir in der Gruppe gemeinsam erleben? etc. etc.
Ich fühlte mich ständig verantwortlich und unter leichtem Streß.
Im Laufe der Zeit hat sich dieser Zustand jedoch zunehmend verändert
Wir haben uns gegenseitig mehr kennen- und mögengelernt, so daß
zeitweilig die Bereitschaft der Frauen, ein neues Angebot auszupro-
bieren eher aus der Motivation resultierte, mir einen Gefallen zu
tun. Inzwischen ist der erste Sprung ins kalte Wasser getan, die
Frauen sind viel mehr in der Lage als am Anfang zu sagen, was ihnen
Spaß macht und schlagen z.T. selbst vor, wie wir den Abend verbrin-
gen wollen.
Der Erwartungsdruck an meine Fachlichkeit hat sich also gelegt, ich
bin mehr als "Frau" - mehr als ihresgleichen akzeptiert (wenn auch
mein Leben in einer Wg ohne Mann und Kinder ein völlig anderes ist,
als das ihre). Dennoch steht für mich meine fachliche Rolle mehr im
Vordergrund als meine eigene Problematik als Frau. Die tatsächlichen
Berührungspunkte oder ähnliche Erfahrungen zwischen den Frauen und
mir sind gering, wir leben in völlig verschiedenen Welten. So wähle
ich sorgfältig aus, welche persönlichen Bereiche ich in der Gruppe
anspreche und welche nicht.
In der Gruppe der alleinerziehenden Mütter erlebe ich mich vollkom-
men anders. Durch die Tatsache, daß alle Frauen am Gruppenbeginn un-
glaublich froh waren, ihre Sorgen gleichbetroffenen Frauen mittei-
len zu können, ergab sich für mich nicht die Rolle der "Macherin",
die Frauen hatten genügend Energie, ihre Interessen zu artikulieren
und einzubringen. Lediglich in Fragen der Strukturierung oder bei
Überlegungen, wie ein Thema didaktisch anzupacken sei, rückte meine
fachliche Rolle wieder stärker in den Vordergrund.
Durch die zunehmend intimen und offenen Gespräche über die Lebens-
situation jeder Frau haben wir uns schnell kennengelernt. Über die
Erfahrung, daß die Frauen in der Lage sind, sich selbst einzubringen
und die Tatsache, daß sie sich wie ich mit der Auflösung eigener
festgefahrener Rollenzuweisungen herumschlagen (was sie notgedrungen
aufgrund ihres Status tun müssen, um ihr Leben allein organisieren
zu können), erlebe ich mich in dieser Gruppe mehr als Frau und
Freundin, denn als Sozialpädagogin. Ich bin in der Lage, persönli-
che Bereiche in der Gruppe anzusprechen, kann mich engagieren, ohne
gleich Bedenken haben zu müssen, der Gruppenrahmen würde gesprengt
oder überstrapaziert. Ich weiß: die Frauen sagen, wenn ihnen etwas
nicht paßt.
-48-
Annemie Blessing
DAS FRAUENTHERAPIEZENTRUM MÜNCHEN
Die theoretische Auseinandersetzung mit den Fragen einer feministi-
schen Therapie und unsere praktischen Erfahrungen in den verschie-
densten Frauengruppen, führten im Februar 1978 zur Konkretisierung
unserer Vorstellungen in einem Frauentherapiezentrum.
Wir sind 6 Frauen zwischen 27 und 37 Jahren, fünf von uns sind Di-
plom-Psychologinnen, mit teilweise Zusatzausbildung in Gesprächs-,
Gestalt-, Verhaltenstherapie, eine kommt aus einem technischen Beruf.
Zwei von uns haben Kinder.
Alle kommen wir aus der Frauenbewegung.
Im Frauentherapiezentrum sehen wir eine reale Möglichkeit, unsere
berufliche Arbeit mit dem politischen Engagement zu verbinden, aus
dem persönlichen Interesse aneinander neue Arbeits- und Beziehungs-
formen zu entwickeln.
Für die theoretischen Vorüberlegungen zu unserem therapeutischen Kon-
zept sind zwei Gesichtspunkte wesentlich:
© Die feministische Analyse der Reproduktionsarbeit, aus der wir
den weiblichen Geschlechtscharakter und eine neue Auffassung soge-
nannter "psychischer Störungen" von Frauen herleiten.
® Unsere Kritik an der herkömmlichen Psychotherapie, die wir für un-
geeignet halten, die Probleme von Frauen adäquat zu erfassen und
zu bearbeiten.
Die Lebensbedingungen von Frauen und deren psychische Verarbeitung
sind im Zusammenhang ihrer unterdrückten Stellung im Patriarchat zu
sehen. Diese beruht auf der primären Festlegung der Frauen auf den
privaten Reproduktionsbereich und damit ihrem weitgehenden Ausschluß
von der Gestaltung des öffentlichen Lebens. Sie bestimmt Sozialisa-
tion und Lebensperspektive jeder Frau.
Die Festschreibung bestimmter Rollenzuweisungen zwischen den Ge-
schlechtern mit den damit verbundenen unterschiedlichen Verhaltens-
anforderungen, bewirkt nicht nur die Ausbildung geschlechtsspezifisch
einseitiger Eigenschaften und Fähigkeiten, sondern sie legt die Zu-
gehörigkeit zu den gesellschaftlich Herrschenden oder den Unterle-
genen fest. Mit der Herausbildung des weiblichen Geschlechtscharak-
ters im Verlauf der Kulturgeschichte und in der individuellen Sozia-
lisation eines jeden Mädchens findet das objektive Machtverhältnis
seine Verankerung in der Persönlichkeitsstruktur der Betroffenen
selbst, wird die Repression von außen durch die Selbstrepression ab-
gesichert. Die durchgängige Präsenz der Geschlechtertrennung durch
alle gesellschaftlichen und persönlichen Strukturen macht es so
schwierig, sie als historisch entstanden und daher veränderbar zu
begreifen. Sie erscheint in ihrer Selbstverständlichkeit als naturge-
geben und wird als das "Normale" betrachtet. Individuelles Leiden
daran wird schuldhaft als persönliches Versagen erlebt.
-49-
Daran hat sich auch durch die formale Gleichberechtigung nichts we-
sentlich geändert. Von den Frauen wird weiterhin die Erfüllung ihrer
weiblichen Rolle erwartet - zusätzlich soll sie jetzt dem Standard
der abstrakten Gleichheitsnorm genügen; Normen, die ausschließlich
am Mann orientiert sind. Das Rollendilemma wird ausweglos: Ob eine
Frau ganz in ihrer Ehefrauen- und Mutterrolle aufgeht, nur für Mann
und Kinder da ist, sie muß sich mit Abhängigkeit und Isolation ab-
finden; ob sie sich der Doppel- und Dreifachbelastung durch Beruf,
Haushalt und Kinder aussetzt, mit dem ständigen schlechten Gewissen,
keinem gerecht zu werden, ob sie Unabhängigkeit und eine Lebensper-
spektive im Beruf vorzieht - und dafür mit der gesellschaftlichen
Achtung der alleinstehenden Frau bezahlt. Wie sie sich auch ent-
scheidet, sie kann den Anforderungen nicht genügen.
Das Unbehagen und Leiden der Frauen an ihrer Lebensrealität bildet
in seiner Bewußtwerdung und aktiven Bewältigungsform das Potential
für die Entstehung und das ständige Anwachsen der Frauenbewegung.
Diesen Bedingungen isoliert und bewußtlos ausgeliefert zu sein ist
zum anderen wesentliche Ursache des großen Ausmasses an psychischen
und körperlichen Leiden, dem Nicht-Mehr-Funktionieren-Können vieler
Frauen in den unterschiedlichsten Ausprägungen.
Die sogenannten "psychischen Störungen" von Frauen sind unserer Mei-
nung nach sinnhaltige Reaktionen auf überfordernde und widersprüch-
liche Lebensbedingungen . Entstehung und Bedeutung einer Krise wer-
den verstehbar, wenn wir das Zusammenwirken von individueller Lebens-
geschichte und aktueller Situation mit den gesellschaftlichen Vor-
aussetzungen aufdecken. Als Grundmuster erkennen wir darin den Kon-
flikt zwischen Überanpassung an und Protest gegen widersprüchliche
Rollenanforderungen und erdrückende Lebensbedingungen. Sie enthalten
gleichzeitig den Versuch, mit den zur Verfügung stehenden Verhaltens-
möglichkeiten den Widersprüchen gerecht zu werden - und ohnmächtigen
Protest dagegen.
Wir definieren "psychische Störungen" daher als gescheiterte Lösungs-
Strategien in ausweglosen Lebenssituationen. Im Erscheinungsbild
erkennen wir darin typische Strategien der Alltagsbewältigung von
Frauen, wenn auch in extremer und überspitzter Ausprägung.
Die Anwendung unseres Erklärungsansatzes auf einige bei Frauen sehr
häufig auftretende "Krankheitsbilder", wie z.B. die Depression oder
die Agoraphobie (Platzangst), führt uns daher zu neuen Schluߣfolge-
rungen.
Uns fällt auf, daß bei der Beschreibung depressiver Symptomatiken
weitgehend Begriffe gebraucht werden, die auch für einige "typisch
weibliche" Eigenschaften gelten, wie Passivität, mangelndes Selbst-
vertrauen, Hilflosigkeit, Pessimismus, usw.
Vor dem Hintergrund der Sozialisation von Mädchen als einem fort-
schreitenden Prozeß der Einschränkung selbstbehauptender und aggres-
siver Strebungen bei gleichzeitiger Unterstützung von Abhängigkeits-
haltungen und Unselbständigkeit, sowie angesichts der realen Ein-
schränkungen des Handlungsspielraums von Frauen wird deutlich, wie
stark die Bedingungselemente depressiven Verhaltens im normalen Le-
benszusammenhang von Frauen vorliegen. Depressive Reaktionen von
Frauen werden oft erst dann als solche erkannt und behandelt, wenn
sie über das "normal" Übliche hinausgehen, Frau sozial auffällig
wird: Haushalt und Familie nicht mehr versorgen kann, Beruf oder Studium
-50-
nicht mehr bewältigt, Suizidversuche macht.
Mit der Depression bestätigt die Frau sich und anderen ihre Hilf-
losigkeit, den Mangel an Kontrolle über ihr Leben, das Gefühl von
Wert- und Sinnlosigkeit - oft bis zur völligen Lebensunfähigkeit.
Auch die Agoraphobie, ein bei Frauen sehr häufig auftretendes Symp-
tom (70 % Frauen) kann als Strategie der Selbsteinschränkung im
Konflikt zwischen Abhängigkeitskonditionierung und Selbständigkeits-
bestrebungen gesehen werden. Mit der Agoraphobie schließen sich
Frauen im Haushalt, ihrem Arbeitsbereich ein. Sie versuchen so, je-
dem Anspruch an ihre Weiblichkeit zu genügen und verbieten sich selbst
den Wunsch nach größerer Bewegungsfreiheit. Gerade unter Phobikerin-
nen finden sich oft Frauen, die aus den Einschränkungen des üblichen
Frauenlebens ein Stück weit ausgebrochen sind, durch höhere Schul-
bildung oder qualifizierte Ausbildung mehr Möglichkeiten der Selbst-
verwirklichung hätten - und der Angst vor dem Verlust ihrer weibli-
chen Identität dann nicht mehr gewachsen sind. Sie fürchten die Kon-
sequenzen, wenn sie ihr Leben eigenständig in die Hand nehmen.
Auch in den vielfältigen psychosomatischen Leiden, sowie den Phäno-
menen des Alkoholismus und der Medikamentenabhängigkeit erkennen wir
den Mechanismus der Selbsteinschränkung bis hin zur Lahmlegung psy-
chischer und körperlicher Funktionen. Insbesondere bei den psycho-
somatischen Leiden spielt das zwiespältige Verhältnis von Frauen zu
ihrem Körper eine wichtige Rolle: Die narzißtische Überbewertung
und Beschäftigung mit dem Körperäußeren einerseits und das hohe Aus-
maß an Entfremdung und Enteignung des weiblichen Körpers anderer-
seits.
Die therapeutische Bearbeitung dieser Formen des Leidens an der Weib-
lichkeit muß von der Kritik am weiblichen Rollenklischee ausgehen
und die Reflexion der Lebensrealität von Frauen miteinbeziehen. Von
den Therapeuten/innen erfordert sie die Auseinandersetzung mit der
eigenen Befangenheit in geschlechtsspezifischen Haltungen und Wert-
vorstellungen, den Mut, sich selbst in Frage zu stellen und offen
zu sein für die Auflehnung gegen Rollenzwänge, aus der geschlechts-
unabhängige . Kriterien für eine intakte Persönlichkeit zu entwickeln
sind. Diese Voraussetzungen sind in der bislang praktizierten Psy-
chotherapie nicht einmal ansatzweise enthalten. p
In unserer Kritik der herkömmlichen Psychotherapie schließen wir uns
der progressiven sozialpsychiatrischen Perspektive insofern an, als
wir psychisches Leiden in Zusammenhang mit und verursacht durch ge-
sellschaftliche Strukturen sehen. Wir lehnen die psychiatrischen
Klassifizierungssysteme sowie den individualistischen Krankheitsbe-
griff ab, weil sie einer individuellen Schuldzuschreibung Vorschub
leisten, und so eher der Verschleierung als dem Verständnis der Ur-
sachen dienen.
Nirgends wird aber bis jetzt auf die besondere Situation von Frauen
Bezug genommen. Solange diese nicht explizit in psychologischer For-
schung und psychotherapeutischer Praxis problematisiert und aufge-
arbeitet wird, halten wir sie nicht nur für ungeeignet, die psychi-
schen Probleme von Frauen adäquat zu erfassen und zu bearbeiten, son-
dern sogar für gefährlich.
Wie wenig Bewußtsein über die Geschlechterfrage bei Therapeuten be-
steht, zeigt die Broverman-Studie sehr eindrucksvoll: Die Befragung
von Therapeuten ergab, daß diese im allgemeinen eine "gesunde Frau"
-51-
als "weniger unabhängig, weniger aggressiv, leichter zu beeinflus-
sen usw..." also durchweg in negativer Abgrenzung zum "gesunden Mann"
beschreiben. Zudem decken sich die Beschreibungskategorien für den
gesunden Mann mit denen für den "gesunden Menschen", denen die gesun-
de Frau mithin niemals entsprechen kann.
Das Rollenklischee der Weiblichkeit in den Köpfen der Therapeuten
fungiert unhinterfragt als Zielvorstellung für die Therapie, die so-
mit bestenfalls als Hilfestellung für die Frauen dienen kann, besser
damit leben zu können, oft aber die Schuldgefühle, das Gefühl des
Versagens und der Minderwertigkeit noch verstärken. Das - zwar ohn-
mächtige und bewußtlose - Potential der Auflehnung, das im Psycho-
Symptom enthalten ist, wird erneut neutralisiert und gegen die Frauen
selbst gerichtet.
Das Problem des ungleichen Machtverhältnisses in der Therapie wird
in der Beziehung zwischen einem männlichen Therapeuten und einer
Klientin noch verschärft. In der Therapie mit ihrem extrem unglei-
chen Rollenverhältnis -hier der Therapeut als Experte im Erkennen
und Behandeln psychischen Leidens, dort die Klientin in ihrer Hilf-
losigkeit und Verwirrung - wiederholt sich die typische Abhängig-
keitssituation von Frauen in zugespitzter Form. Angesichts der all
gemein niedrigen Bewußtseinslage über dieses Problem keine sehr gün-
stige Konstellation, um die Folgen davon aufzuarbeiten.
FOLGERUNGEN FÜR UNSERE PRAKTISCHE ARBEIT
Eine wesentliche Voraussetzung unserer Arbeit stellt das Kollektiv
dar. Hier werden organisatorische Fragen ebenso behandelt wie the-
rapeutische Probleme. Ein weiteres wichtiges Ziel stellt die gegen-
seitige Selbsterfahrung dar. Die organisatorische Arbeit bezieht
sich auf Öffentlichkeitsarbeit, d.h. Verschickung von Informations-
briefen, Kontaktaufnahme zu Institutionen der psychosozialen Ver-
sorgung, Veröffentlichungen in Zeitungen und Zeitschriften. Weiter-
hin gibt es einmal in der Woche einen offenen Informationsnachnit-
tag, an dem sich Mitarbeiter/innen anderer Institutionen und Projekte
über unsere Arbeit informieren können.
Die weitere organisatorische Arbeit umfaßt dann Verwaltungsarbei-
ten wie Abrechnung, Buchführung, Terminplanung, Einrichtung etc.
Das therapeutische Angebot ist weit gefächert. An zwei Abenden bie-
ten wir eine offene Beratung in der Gruppe an. Hier können Frauen
miteinander und mit zwei Therapeutinnen ihre Probleme besprechen
und nach Lösungsmöglichkeiten suchen. Dies können ganz praktische
Schritte der Lebensbewältigung sein, die Zusammenarbeit mit anderen
Frauen in einer Selbsterfahrunsgruppe oder einer psychotherapeuti-
schen Selbsthilfegruppe oder eine Gruppen- oder Einzeltherapie. Eine
Frau kann auch mehrmals in die Beratung kommen und über ihre Erfah-
rungen, Lernprozesse und Unsicherheiten Rücksprache halten. Oft ist
ein solches Gruppengespräch für die Frau das erste Erlebnis, offen
mit anderen über ganz persönliche, meist sorgsam überspielte Dinge
zu reden und zu erkennen, daß andere Frauen in ähnlichen Schwierig-
keiten stecken.
Nach Vereinbarung bieten wir auch Einzelberatung an. Wir machen Ein-
zeltherapie und Therapie in Gruppen, wobei wir das Schwergewicht auf
die Arbeit in der Gruppe legen. Bei der Gruppentherapie ist es uns
-52-
wichtig, die aktive Zusammenarbeit der Frauen zu unterstützen, die
Arbeit an den Beziehungen untereinander ebenso zum Gegenstand der
Therapie zu machen wie die Einzelprobleme. Außerdem sehen wir es als
wichtiges Therapieziel, daß die Frauen auch außerhalb der Therapie
Kontakt zueinander aufnehmen, d.h. sich bei Problemen des Alltags
unterstützen oder gemeinsam Unternehmungen machen.
Alle Frauen des Kollektivs arbeiten therapeutisch, machen Beratung
und erledigen die anfallenden organisatorischen und Verwaltungsar-
beiten. Ziel ist es, eine möglichst geringfügige Spezialisierung
durchzuführen, so daß alle Arbeiten gleichermaßen von allen Frauen
der Kerngruppe übernommen werden können. In der Praxis ist dies nie
ganz herzustellen, da die einzelnen Frauen aufgrund anderweitiger
Berufstätigkeit zum Geldverdienen und Ansprüchen von Kindern und
Familie in sehr unterschiedlichem Maße Zeit und Energie einbringen
können. Trotzdem überprüfen und hinterfragen wir unsere Zusammenar-
beit immer wieder in Bezug auf diesen Anspruch,was zu Auseinander-
setzungen der Frauen untereinander führt.
In der Aufbauphase kam über den Sachzwängen der organisatorischen
Arbeit und der Darstellung nach außen der Austausch über die laufen-
den Therapien und die Beratung sowie unsere gegenseitige Selbsterfah-
rung zu kurz. Organisatorische Probleme bestimmten die Beziehungen
der Frauen untereinander. Deshalb wenden wir jetzt verstärkt Zeit
auf für den Austausch über Therapien sowie für Selbsterfahrung, zu
der die Weiterentwicklung unseres Therapiekonzeptes, die gegenseiti-
ge Vermittlung des methodischen Vorgehens, sowie die Auseinander-
setzung über unsere Beziehungen und Körperarbeit gehört.
Wir machen die Erfahrung, daß die unterschiedlichen Sichtweisen und
Vorgehensweisen in der therapeutischen Arbeit gut miteinander in
Einklang gebracht werden können und daß wir auf diesem Gebiet vonein-
ander lernen und profitieren können. Im Umgang mit den Sachzwängen,
die sich aus der Darstellung des Projektes nach außen und insbeson-
dere der Finanzierung des Therapiezentrums ergeben, erweisen sich
der unterschiedliche Erfahrungshintergrund, die unterschiedlichen
Ansprüche sowie der unterschiedliche Gradan Kompromißbereitschaft
als Konfliktstoff, mit dem wir uns ständig auseinandersetzen müssen.
PROBLEME, MIT DENEN DIE FRAUEN ZU UNS KOMMEN
Im Zeitraum seit unserer Eröffnung am 19.6.78 bis Ende Oktober 1978
haben etwa 60 Frauen unsere Hilfe in Anspruch genommen. Wir versuchen
im Folgenden zuerst die Lebensumstände dieser Frauen zu beschreiben,
in denen wir die vorher dargestellten unterdrückenden Verhältnisse
wiederfinden und sehen ihre Probleme als Ausdruck des Leidens oder
Scheiterns an diesen Lebensbedingungen. i
Es kommen Frauen zu uns, die durch mangelnde Ausbildung und typi-
sche Mädchensozialisation von ihren Ehemännern und Freunden ökono-
misch und psychisch abhängig sind. Besonders erschreckend und neu
für uns ist die Tatsache, wie viele Frauen und Mädchen durch ihre
Männer zum Animieren und auf den Strich geschickt werden und dadurch
der größten Ausbeutung anheimfallen. Zumeist geht mit dieser Abhän-
gigkeit psychische und physische Gewalt: der Männer gegenüber ihren
Frauen, Freundinnen und Töchtern einher.
Eine weitere Gruppe umfaßt Frauen, die - von außen gesehen - eine
-53-
relative Selbständigkeit erreicht haben, was sich in ihrer Berufs-
tätigkeit niederschlägt. Sie arbeiten in typischen Frauenberufen
(Sozialberufe, Sekretärinnen, Verwaltungsberufe) und sind finanziell
unabhängig. Hier ergeben sich Probleme aus den Widersprüchen von pri-
vaten und beruflichen Anforderungen sowie aus der Rollenzuschreibung
am Arbeitsplatz selbst.
Nicht wenige der Frauen, die zu uns kommen, sind in Übergangssitua-
tionen begriffen, sei es Trennung oder Scheidung, Berufswechsel oder
Berufsfindung oder Wiederaufnahme der Berufstätigkeit nach langem
Hausfrauendasein.
Weiterhin kommen Frauen zu uns, die die vorherrschenden gesellschaft-
lichen Bedingungen, vor allem die Situation, wie sie sich für Frauen
darstellt, in Frage stellen, und in der politischen Arbeit eine we-
sentliche Voraussetzung für Veränderungen sehen. Nur so wird es ih-
nen möglich, ihr Leben in einem sinnvollen Zusammenhang zu begrei-
fen.
Ihre soziale Situation ist zumeist gekennzeichnet durch Berufstätig-
keit, um den Lebensunterhalt zu sichern, und durch Engagement in
Frauen- und anderen politischen Projekten, in denen sie sich selbst
zu verwirklichen versuchen. Sowohl in dieser Zweigeteiltheit als auch
in der politischen Arbeit selbst sind diese Frauen ständig Wider-
sprüchen ausgesetzt.
Das Leiden dieser Frauen an ihren Lebensumständen bzw. den daraus
resultierenden Widersprüchen drückt sich auf der Ebene der psychi-
schen Verarbeitung in Gefühlen von Zerrissenheit, Sinnlosigkeit und
Verzweiflung, existentiellen Ängsten vor der Zukunft, Gefühl, der
Situation nicht mehr gewachsen zu sein, Hilflosigkeit, Ohnmacht, Re-
signation, Wert- und Rechtlosigkeit, geringem Zutrauen zu sich selbst,
Schuldgefühlen und Apathie aus. Nicht selten treten dann lähmende
Depressionen, Ängste und Agoraphobien, körperliche Beschwerden wie
Migräne und Kreislaufschwäche, z.T. auch quälende Selbstmordgedanken
oder tatsächliche Selbstmordversuche auf. Zu diesen Problemen kom-
men noch häufig Alkohol- und Tablettenabhängigkeit hinzu.
DIE THERAPEUTISCHE BEARBEITUNG DER SCHWIERIGKEITEN
Wir haben verschiedene Prinzipien des therapeutischen Vorgehens ent-
wickelt, die wir für die Verwirklichung einer frauengerechten Thera-
pie für nützlich erachten. Sie stehen in enger Beziehung zur Sicht-
weise unserer Rolle als Therapeutin und zur Problematisierung der
Beziehung zwischen Klientin und Therapeutin.
Zunächst gilt es festzustellen, daß wir keine bestimmte methodische
Ausrichtung als besonders geeignet für Therapie mit Frauen betrach-
ten. Wichtiger als jede Methodenfrage ist, unsere Einstellung zu
Frauen und unsere Sichtweise der Probleme, mit denen Frauen sich
herumschlagen. Wir versuchen, den "Klientinnen" zu vermitteln, daß
wir hinter ihnen und ihren Bedürfnissen stehen und nicht irgendwel-
che gesellschaftliche und "normale" Anforderungen vertreten. Oft ist
die Therapeutin die erste Frau, die die Klintin ernst und wichtig
nimmt, und ihr die Kompetenz zutraut, über sich Bescheid zu wissen
und die im Augenblick richtige Lösung zu finden.
Wir sind uns bewußt, daß es keine wertfreie Psychotherapie gibt,
und daß sich Einstellungen und Ziele der Therapeutinnen in vielfäl-
tiger Weise durchsetzen. Diese Tatsache wenden wir in offene Par-
-54-
teilichkeit und machen so die gemeinsame Erfahrung zum Ausgangspunkt
der therapeutischen Beziehung. Die Therapeutin ist nicht Expertin,
die sich raushält, sondern eine gleichfalls betroffene Frau und
macht dies gegebenenfalls deutlich. Das Bewußtsein der gemeinsamen
Betroffenheit ermöglicht ein tieferes Verständnis und stärkeres En-
gagement für die Klientinnen, als dies in anderen therapeutischen
Situationen möglich ist.
Das ungleiche Machtverhältnis zwischen Therapeutin und Klientin,
das mit einer gleichheitlichen und solidarischen Beziehung unverein-
bar ist, muß daher zum Gegenstand der Therapie werden. Wir hinter-
fragen und problematisieren die Erwartungen der Klientinnen an die
Rolle der Therapeutin als einer Autorität, die ihre Probleme defi-
nieren, Lösungen kennen, immer Bescheid wissen soll. Und wir stel-
len unser eigenes Verhalten in der Therapie zur Diskussion, wenn
wir in einer Therapiegruppe den Frauen vorschlagen, sie sollte ein-
mal untereinander ihre Erwartungen und die Gestaltung der Gruppen-
arbeit diskutieren, löst dies oft die höchsten Verwirrungen und auch
Aggressionen gegen uns aus. Vorschläge und Hilfen von anderen Frauen
in der Gruppe werden zunächst lange nicht so wichtig genommen wie
unsere. Die Selbstverantwortung der "Klientinnen" und der Abbau des
Machtgefälles sind Ziele, denen wir uns erst im Verlauf der thera-
peutischen Zusammenarbeit annähern.
Indem wir vermitteln, was wir für Überlegungen anstellen, welche
emotionalen Reaktionen bei uns ablaufen, und auch von Erfahrungen
berichten, die uns geholfen haben, treten wir in einen realen Dialog
in einer realen Beziehung. Die Frauen können uns auch außerhalb der
Therapie kennenlernen, z.B. beim Tee am Küchentisch. Sie erfahren
neben persönlichen Erlebnissen auch die organisatorischen Aspekte
unserer Arbeit, wie wir die Zusammenarbeit gestalten und wie wir das
Zentrum finanziell über Wasser halten.
Bei der inhaltlichen Bearbeitung von Problemen hat die Analyse der
konkreten Lebenssituation der Frau großen Stellenwert. Wichtig dabei
ist, herauszufinden, welcher Teil der Schwierigkeiten liegt an mir
selbst - was an den Verhältnissen. Wie greifen Selbstrepression und
Unterdrückung von außen ineinander.
Es gilt festzustellen, was an der objektiven Situation zur unerträg-
lichen Belastung wird und wie sie veändert werden kann. Wir unter-
stützen die Frauen darin, ihre Bedürfnisse hinsichtlich ihrer Lebens-
situation zu erkennen, ernstzunehmen und ihr Leben danach umzuge-
stalten: die Wohnsituation, Kontaktmöglichkeiten, Ausbildung, Beruf
usw.
Die Bewußtseinsbildung ist von Wichtigkeit, damit Frauen endlich auf-
hören, sich selbst als die Versagenden und Schuldigen zu begreifen.
Es soll erkennbar werden, daß eine Parallele zwischen Selbstverach-
tung, geringem Selbstvertrauen, Angst und Depression auf der Seite
des inneren Erlebens - und Frauenverachtung, realer Einschränkung
und Gewalt gegen Frauen auf der Seite der sozialen Realität besteht.
Für die Arbeit an individuell erfahrenen Schwierigkeiten halten wir
die Therapie in Gruppen für besonders produktiv. Im Austausch mit
anderen Frauen sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Probleme
erkennbar, und der gemeinsame Bedingungszusammenhang wird deutli-
cher. Die Isolation als eine der Hauptursachen von Leiden wird
-55-
durchbrochen. Aus der Interaktion der Frauen ergeben sich Beziehun-
gen, in denen alltägliche Grundmuster von Verhalten real erfahrbar
werden. Die Gruppe wird dann zum Ort, an dem Eigen- und Fremdwahr-
nehmung exemplarisch stattfinden und kommuniziert werden können.
Uns liegt viel daran, daß sich die Frauen gegenseitig auch in ihrer
Stärke und Kompetenz erfahren. Auch durch Identifikation mit den
Erfolgen und Einsichten der anderen entstehen Veränderungen. Die
"Expertin" ist dann nicht mehr die einzige, die einer Frau feedback
über ihr Verhalten gibt und ihr Unterstützung und echte Auseinander-
setzung bietet. Das Therapeutinnen-Übergewicht wird relativiert.
Die Kraft, die gemeinsames Erleben und Handeln geben können, wird
in der Gruppe konkret erfahrbar.
Ganz wichtig ist uns, daß Beziehungen über die Therapie hinausgehen,
die Frauen sich auch privat treffen, Freundschaften entwickeln,
In Gruppen wie in der Einzeltherapie versuchen wir, die Methoden
unserer Arbeit zu entmystifizieren: wir erklären, warum und in wel-
chem Kontext wir eine Übung eingesetzt haben, oder warum wir be-
stimmte Fragen immer wieder stellen, wir lassen eine Übung nach den
Bedürfnissen der "Klientinnen'" weiterentwickeln.
Das Vorgehen in der therapeutischen Arbeit muß den "Klientinnen"
immer durchschaubar bleiben und soll von ihnen so mitbestimmt wer-
den, daß sie die Erfahrung von selbständigen Lernschritten aus eige-
nen Erkenntnissen machen. Methoden, die eine Frau einfach in eine
Erfahrung hineinstossen (z.B. der Wut), müssen durch solche ergänzt
werden, die eine Aufarbeitung der abgelaufenen Prozesse gewährlei-
sten.
Indem wir unser methodisches Vorgehen in der Therapie verständlich
machen, geben wir den Frauen Mittel und Wege in die Hand, selbstän-
dig - allein oder in einer anderen Gruppe ohne Leiterin - weiterzu-
arbeiten.
Gegenstand der Therapie soll nicht nur das Leiden und die Schwäche
der Frauen sein, sie sollen auch lernen, ihre Stärken anzuerkennen
und für sich zu gebrauchen. Verschiedene Methoden, wie Atem- und
Entspannungsübungen, Phantasien und Meditation sollen helfen, Quel-
len der Stärke zu entdecken und auch schöne Erlebnisse hervorzuho-
len: wie frau sich körperlich gut fühlen kann, welche Idealbilder
sie von sich hat. Dies soll ein Angebot sein, daß sich die Frauen auch
außerhalb der Therapie Möglichkeiten schaffen, um Energien zu tan-
ken und sich etwas Gutes zu tun.
Ziel der Therapie ist die Selbsthilfe. Und eine gute Möglichkeit
der Weiterführung der Erfahrungen und Prozesse in der Therapie ist
die Mitarbeit in einer "Psychoselbsthilfe-Gruppe", d.h. einer the-
rapeutisch arbeitenden Gruppe ohne Leiterin.
Zwei. Gesichtspunkte bilden die Basis für die gemeinsame Problemlö-
sung:
U Tede Frau ist verantwortlich für ihre eigenen momentanen Bedürf-
nisse, sei dies die Arbeit an einem persönlichen Problem, die
Auseinandersetzungen innerhalb der Gruppe, oder das Ausprobieren
einer bestimmten Übung.
© Jede Frau ist kompetent, sich selbst zu helfen und kann durch
ihre Fähigkeiten zuzuhören und sich einzufühlen die anderen unter-
stützen.
-57-
Wir betonen diese Selbsthilfeprinzipien auch in der Therapie, um so
anzuregen, daß die eine oder andere Gruppe später als Selbsthilfe-
gruppe weiterarbeitet. Wir vermitteln Adressen zum Aufbau solcher
Gruppen und geben auf Wunsch Anleitungen.
Wir haben angeregt, daß sich die Klientinnen unseres Zentrums öfter
zusammensetzen, um ihre Erfahrungen in der Therapie auszutauschen,
Kritik und Anregungen zu sammeln. Darüber wollen wir mit ihnen in
einen Diskussionszusammenhang treten. Wir sehen darin einen wichti-
gen Schritt, das Machtgefälle in der Therapie abzubauen und die Iso-
lation der Frauen aufzuheben. Die Metakommunikation über die Thera-
pie hilft uns, die Erfahrungen in der praktischen Arbeit zu verar-
beiten und unseren Ansatz von Frauentherapie in Zusammenarbeit mit
den Klientinnen inhaltlich weiterzuentwickeln.
Von unseren Klientinnen und den Selbsthilfegruppen werden die mei-
sten Impulse ausgehen, um aus dem Therapiezentrum einen Frauentreff-
punkt zu machen. Raum für die Verwirklichung unterschiedlichster
Interessen und Aktivitäten.
FINANZIERUNG
Der schwierigste und noch ungelöste Punkt in unserer internen Dis-
kussion ist die Frage der Finanzierung des Projekts. Wir haben zum
Aufbau des Zentrums einen Kredit aufgenommen und nehmen inzwischen
genügend Geld ein, um unsere laufenden Unkosten zu decken. Vorläu-
fig arbeiten wir aber noch umsonst und einige zusätzlich in ander-
weitigen Jobs zum Geldverdienen. Das bedeutet einen enormen Ener-
gieverschleiß durch die Aufgespaltenheit und Arbeitsüberlastung für
die einzelnen Frauen und weniger Zeit und Energie für die Arbeit im
Zentrum.
Fragen, die zwischen uns noch weitgehend ungeklärt sind, beziehen
sich darauf, wie teuer oder billig wir Therapiekosten veranschlagen
können/müssen, wie wir den Wert unserer eigenen Arbeit einschätzen,
welche Vorstellungen von Lebensstandard die Einzelnen haben. Vorläu-
fig haben wir uns auf Therapiepreise geeinigt, die einer Minimalkal-
kulation entsprechen . Die Frage einer einkommensgestaffelten Bezah-
lung ist noch offen.
Einen Teil unserer Therapien können wir übers Sozialamt abrechnen.
Das bedeutet eine große Entlastung für die Frauen, für uns einen
erheblichen Mehraufwand an Verwaltungsarbeit: Anträge, Gutachten,
Behördengänge, erheblich verspätete Zahlungen.
Trotzdem gilt es, gerade in dieser Richtung weiterzuarbeiten, daß
öffentliche Träger die Kosten für Therapie übernehmen, so daß sie
letztlich zu einer Sozialleistung wird, die jede in Anspruch nehmen
kann und für die die öffentliche Hand aufkomt.
-58-
Projektgruppe “Arbeitslose Mädchen”, München
NEUE WEGE STATT RÜCKZUG
— Erste Erfahrungen im Projekt “ Beratung und Anleitung
zur Selbsthilfe für arbeitslose Mädchen” —
Wir sind eine Gruppe von 2 Sozialarbeiterinnen, 2 Psychologinnen,
l Lehrerin und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und haben mit der
Planung und Konzeption des Projekts im Juni 1978 begonnen.
Erste Schritte zur Konkretisierung waren
- Austausch von Informationen und Erfahrungen mit anderen Arbeits-
losen-Initiativen und anderen Einrichtungen für verwandte Ziel-
gruppen
- Klärung über eine mögliche Zusammenarbeit mit der nahegelegenen
Glockenbachwerksatt (stadtteilbezogene sozialpädagogische Arbeit
mit verschiedenen Werkstätten)
- Einholen von Informationen und Vorverhandlungen mit Institutionen
bezüglich der Finanzierung
- Erstellung eines Arbeitskonzepts.
Inzwischen ist eine teilweise Finanzierung durch das Bayerische
Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung gesichert, die Über-
nahme von Miet- und Sachkosten durch die Stadt München steht noch
aus.
UNSERE PRAXIS
Wir sind davon ausgegangen, daß arbeitslose Mädchen eine willkommene
Hilfe im Haushalt der Eltern sind und die Wertigkeit einer Berufs-
ausbildung und der damit verbundenen Selbständigkeit sich anders
darstellt als bei männlichen Jugendlichen. Dieses Verschwinden in der
Familie und die auch damit verbundenen psychosozialen Folgeerschei-
nungen (Resignation, Isolation, mangelndes Realitätsbewußtsein etc.)
erfordern eine intensive Öffentlichkeitsarbeit.
Diese gestaltet sich durch
- Veröffentlichungen in Tageszeitungen, Stadtteilzeitungen Illu-
strierten und
- persönliche Kontaktaufnahme bei Flugblattaktionen vor Schulen und
Freizeiteinrichtungen.
Unsere ersten Erfahrungen waren, daß eigentlich nur Mädchen kamen,
die bereits selbst Eigeninitiative entwickelt hatten zur Veränderung
ihrer Lebenssituation wie z.B. Kontakte zum Arbeitsamt, Sozialein-
richtungen und anderen Projekten.
Dieses vorhandene Interesse der Mädchen machte es ihnen möglich, bei
unserem Projekt einzusteigen, während jedoch die oben beschriebene
Gruppe durch ihre Ausgeschlossenheit von der Öffentlichkeit für uns
bisher unerreichbar blieb.
Unsere einzige Möglichkeit war bisher, durch Kontakte zu anderen
Sozialeinrichtungen wie den Allg. Sozialdienst von einigen Mädchen
zu erfahren und sie kennenzulernen. Diese Art der Kontaktaufnahme
-59-
beinhaltet für uns allerdings die Schwierigkeit, daß durch dieses
"Weiterreichen von Institution zu Institution" die Passivität und
Zurückhaltung der Mädchen verfestigt bzw. verstärkt wird.
Dies zeigte für uns u.a. die Notwendigkeit, den Mädchen konkrete
Möglichkeiten anzubieten wie Schreinern, Töpfern, gemeinsame Unter-
nehmungen, da rationale Beratungsverfahren zunächst kaum zur Anwen-
dung gelangen.
WERKEN ALS MÖGLICHKEIT ZUR INTERESSENFINDUNG UND STÄRKUNG
Die Orientierung an der Zielgruppe macht es notwendig, die gesamte
Lebenssituation der Mädchen miteinzubeziehen, Wünsche ernstzunehmen
und Ideen zu wecken.
Wir stellten fest, daß Lernen durch gemeinsame Betätigung und gemein-
same Produktivität der einzelnen den Zugang zur Gruppe erleichtert,
da die Mädchen die Art der Beziehung zu uns, zu der Gruppe, die
gewünschte Nähe oder erforderliche Distanz selbst bestimmen und re-
gulieren können. `
In der nahegelegenen Glockenbachwerkstatt können wir die Schreinerei
mitbenutzen. Dort trifft sich seit September 1978 regelmäßig eine
Gruppe von inzwischen 10 Mädchen, die unter Anleitung lernt, mit Ma-
terialien und Maschinen umzugehen. Wir finden es wichtig, daß sie
die Erfahrung machen, brauchbare und schöne Gegenstände selbst her-
zustellen, mehr Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten zu entwickeln
und dies in einer Mädchengruppe, ohne sich den männlichen Jugendli-
chen im Vergleich immer unterlegen fühlen zu müssen. Oder um allge-
meine Einschätzungen revidieren zu können wie ein Mädchen, der hand-
werkliche Fähigkeiten nach einem Berufstest aberkannt worden sind:
"Wenn die mich hier sehen würden!".
Andere Kursangebote neben der bereits bestehenden Töpfergruppe in
unseren eigenen Räumen wie KFZ-Kurse, Fototechnik, Drucken und Weben
machen wir von den Interessen der Mädchen abhängig.
DIE ENTWICKLUNG DER GRUPPE
Nach und nach wurden von einzelnen Mädchen Wünsche artikuliert, sich
doch mal nur zum "Reden" zu treffen, zum Tanzen zu gehen (sehr wich-
tig), und unsere Angebote wie gemeinsamer Kinobesuch, eigene Veran-
staltungen mit Dia-Programmen und Videofilmen, Wochenendfahrten etc.
wahrgenommen.
Auch die Entwicklung von konkreten Berufsperspektiven, das Angehen
der realen Bedingungen wie gemeinsame Arbeitsamtsbesuche , Informa-
tionen über Schulen und Weiterbildung gewannen an Raum, während dies
bisher nur sehr bruchstückweise geäußert wurde.
An diesem Punkt kristallisierten sich zwei Probleme heraus:
© die Zeitfrage: die meisten Mädchen waren gezwungen, zu joben.
© die Notwendigkeit einiger fester Termine in unseren Räumen, um
die Stabilität, die Verbindlichkeit und Verantwortung gegenüber
der Gruppe zu fördern.
Durch die Verwirklichung der oben aufgeführten Interessen wie:
zwei gemeinsame Wochenendfahrten, Organisation eines Festes mit vor-
heriger Öffentlichkeitsarbeit, Dia-Veranstaltungen (Serie "Mädchen
über sich" - Berliner Medienzentrum) usw. wurde schrittweise die Scheu
vor persönlichen Gesprächen und die geringe Artikulationsmöglichkeit
überwunden und die unterschiedlichen Problematiken konkretisiert.
Eine Radikallösung
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Berufsperspektiven
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Über den Austausch von Erfahrungen in Arbeitsstellen, Arbeitsämtern
und Schulen erlebten die Mädchen ihre Situation und ihre Probleme
nicht isoliert und als persönliches Versagen.
So erzählten sie in Gesprächen:
- nach längerer Arbeitslosigkeit wurden drei Mädchen unabhängig von-
einander nur noch Buchbinderlehren angeboten,
- mehrere hatten bereits beim Arbeitsamt einen Berufs- und Eignungs-
test absolviert, waren hinterher vollkommen fertig und nach dem
Ergebnis nur für einige Berufe "geeignet" (meist Mangelberufe),
- Sonderschülerinnen erzählten, sie müßten zum Berufsberater für
Behinderte, was allgemeine Entrüstung hervorrief,
- andere berichteten von ihren früheren Lehr- oder Arbeitsstellen,
wie ein Mädchen, das für wenig Geld mehrere Monate im Hinblick
auf eine Lehrstelle in einem Blumengeschäft gearbeitet hatte, dann
aber gekündigt wurde.
Durch das Entdecken von ähnlich gelagerten Schwierigkeiten wurde
den Mädchen klar, wie gesellschaftliche Anforderungen und Bedingun-
gen das Leben und Erleben des(r) Einzelnen bestimmen und eingrenzen,
Durch dieses Begreifen kann der Druck eigener Schwäche und Schuld
relativiert und anfängliche Resignation durchbrochen werden.
Lebensperspektiven
Vorstellungen über die eigene Berufstätigkeit und deren Stellenwert
führten zu Diskussionen über die jetzige Lebenssituation und de-
ren späteren Gestaltung. Da die Mädchen unterschiedlichen Alters
sind (15 - 21 Jahre), somit bereits über unterschiedliche Erfahrun-
gen verfügen und verschiedene Wohn- und Beziehungssituationen ha-
ben, war das gegenseitige Wissen um die anderen wichtig. Dadurch
wurde Vertrauen möglich, ein Begreifen und Verstehen, der Austausch
von bereits Erlebtem und Praktiziertem (wie z.B. eigenes Wohnen)
und neuem Ausprobieren (erst einmal aus dem Elternhaus ausziehen).
Das Erzählen von Beziehungen, Freundin, Freund, Kollegen ermöglicht
das Eingehen auf Partnerprobleme bzw. Vorstellungen über Freund-
schaften. Dabei wurde vielfach geäußert, Tanzen zu gehen, "dort hin,
wo auch Jungen sind".
Hier tauchen auch die Fragen auf:
Welchen Stellenwert hat die Freundin?
Die Erfahrung von einer Freundin sitzengelassen zu werden, nach-
dem sie einen Freund gefunden hat.
Wie gehe ich mit meinen Bedürfnissen und den meine(s)r Freund(in)
um?
Welche Perspektiven habe ich (Zusammenleben, Heirat, Kinder)
An diesem Punkt finden wir es wichtig, uns einzubringen als Frauen
mit unseren Lebensbereichen, u.U. ähnlichen Erfahrungen, "sich
direktiv zu verhalten, um alternative Verhaltensweisen anzubieten,..,
(um nicht) dabei zu(zu)sehen, wie sich die hinlänglich bekannten
Probleme der Mädchen immer wieder aufs neue reproduzieren."
("Mädchen zwischen Anpassung und Widerstand" von Carola Wildt/Moni-
ka Savier Verlag Frauenoffensive München)
Die Frage der Veränderbarkeit, ausgehend von den Problemen und
Ideen der Mädchen, muß somit immer wieder gestellt werden und ge-
meinsam Möglichkeiten entwickelt werden.
-62-
pad.extra MÄNNER
EF die irritierten
UNTERRICHT ur”
ee ana Es schreiben: Gustav Grauer,
2. mund Herbert Stubenrauch,
Gerhard Vinnai, Thomas Ziehe,
Jürgen Zinnecker.
Außerdem im Februar-Heft:
Dokumentation über das Russell-Tribunal. Gespräch
mit Schülern und Lehrern von escuela viva. Unterrichts-
projekt mit deutschen und Türkenkindern. Ernest
Bornemann über Studenten, Politik und Sexualität u.v.a.
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"Jahresabo DM 56, Datum: _________Unterschrift
PLOT ——— —
SELBSTHILFE ALS ZIEL
Trotz der bekannten Situation von arbeitslosen Mädchen (Passivität,
Resignation) und unsere Schwierigkeit, sie in größerer Anzahl zu
erreichen, ist die zentrale Perspektive die Selbsthilfe. Wir sehen
den Weg, daß zwar anfänglich mehr Information, Beratung und konsumiert.
bare Angebote im Mittelpunkt der Arbeit stehen werden, dann aber ein
gradueller Übergang zur selbständigen und kontinuierlichen Planung
und Gestaltung von eigenen Aktivitäten der Mädchen hergestellt wer-
den muß.
Genauso muß im Verhalten von uns gegenüber den Mädchen deutlich wer-
den, daß wir keine Vertreterinnen von einer Institution oder zur
Verfügung stehende, gebende und beschützende Fürsorgerinnen sind,
sondern auch wie sie Frauen mit erlebtem Wissen über das Frau-Sein
in dieser Gesellschaft mit seinen Schwierigkeiten und (aufbrechbaren)
Grenzen.
Verein für psychosoziale Initiativen e.V. - Projektgruppe: "Arbeits-
lose Mädchen", Auenstr. 31/ Tel.: 7 25 25 50 , 8000 München 5
MADCHEN KSNNEN DAS DICHT?
Karin Berger/ Lioba Möbert/Christa Rödel
ARBEITSLOSE MÄDCHEN — EIN SEMINARBERICHT
Das Seminar, das wir beschreiben wollen, fand innerhalb der Sonder-
maßnahmen des Landes Niedersachsen: "Hilfen für arbeitslose Jugend-
liche" statt. Dieses Projekt lief im Herbst 1977 an und wendet sich
besonders an diejenigen arbeitslosen Jugendlichen, die von den "An-
geboten" der Arbeitsämter und Berufsschulen keinen Gebrauch machen.
Von öffentlichen Trägern der Jugendhilfe wurden Sozialarbeiter speziell
zur Betreuung arbeitsloser Jugendlicher eingestellt. Mit arbeitsmo-
tivierenden, berufsorientierten Angeboten, sowie sonstigen Erzie-
hungs-, Bildungs- und Freizeitangeboten sollen die Jugendlichen an-
gesprochen werden.
Im Verlauf der Maßnahme, insbesondere während der arbeitsmotivieren-
den Programme (z.B. Bau eines Abenteuerspielplatzes) und der Bil-
dungsprogramme (Seminare) zeigte sich für uns, daß die Probleme der
arbeitslosen Mädchen, die "unauffälliger'" sind als die der Jungen,
unberücksichtigt blieben. Dies ist besonders bedenkenswert, denn
nach den Statistiken sind 2/3 der arbeitslosen Jugendlichen Mädchen!
Der nun folgende Bericht über ein 10-tägiges Seminar mit 10 arbeits-
losen Mädchen stellt für uns einen Versuch dar, auf die rollenspe-
zifischen Probleme aufmerksam zu machen, die die Situation der Mädchen
zusätzlich erschweren. Wir möchten die Notwendigkeit einer Mädchenar-
beit herausstellen, die in der heutigen Jugendarbeit noch immer stark
vernachlässigt wird.
Als Grundlage für die Vorbereitung des Seminares benutzten wir das
Buch von Monika Savier, Carola Wildt: "Mädchen zwischen Anpassung
und Widerstand", Verlag Frauenoffensive 1978.
1. ZIELSETZUNG FÜR DAS MÄDCHENSEMINAR
In Uelzen waren im Schuljahr 1977/78 von 120 arbeitslos gemeldeten
Jugendlichen 78 Mädchen. In der landwirtschaftlichen Berufsschule
Uelzen gibt es 5 Mädchen- und 1 Jungenklasse. Trotzdem wird die Mäd-
chenarbeitslosigkeit weniger ernstgenommen als die Jungenarbeits-
losigkeit. Das läßt sich z.B. durch die Aussage des Direktors der
Berufsschule belegen, der das Seminarangebot der Stadt Uelzen für
arbeitslose Jugendliche mit dem Satz kommentierte: "Gehn Sie mal in
die Jungenklasse, mit den Mädchen haben wir kaum Probleme". In bis-
her durchgeführten gemischten Seminaren zeigte sich ein ähnliches
Bild. Im Mittelpunkt stand das auffällige Verhalten der Jungen, d.h.
Alkohol, Kriminalität und Freizeitverhalten. Das Konkurrenzverhalten
und die Anerkennung durch die Jungen stand für die Mädchen im Vor-
dergrund. Ihr Verhalten, das angepaßter, unauffälliger, normengerech-
ter ist, führt dazu, daß auf die aus diesem Rollenverhalten entste-
henden Probleme nicht eingegangen wird. Diese typische Erscheinung
-65-
in der Jugendarbeit, die sich auf das auffälligere Verhalten der Jungen
konzentriert, weil ihre sozialen Probleme sichtbarer und wichtig
genug sind, um sich mit ihnen zu beschäftigen. Darüber hinaus ist e8
schwer, die üblichen Rollen aufzubrechen, weil sie für die Mädchen
eine Möglichkeit darstellen, sich zurückzuziehen auf das Verhalten,
was sie gelernt haben. So wurde die zu Hause gewohnte Arbeitstei-
lung auch auf das Seminar übertragen, d.h. Haus- und Schreibarbeiten
wurden in erster Linie von den Mädchen freiwillig übernommen, obwohl
von den Teamern beabsichtigt war, diese gleichmäßig auf alle Teil-
nehmer zu verteilen. Die Mädchen machten keine neuen Erfahrungen, son-
dern ließen sich von den Jungen stets in ihre altbewährte Rolle
zurückdrängen.
Uns kam es daher in einem Mädchenseminar darauf an, daß sie die Ge-
legenheit hatten, in dieser Hinsicht neue Erfahrungen zu machen und
gleichzeitig die Lebenssituation ihrer gewohnten Umgebung aufzuar-
beiten.
Wesentliche Voraussetzung dafür war, daß das Seminar von Frauen vor-
bereitet und durchgeführt wurde
® weil das typische Rollenverhalten, das die Arbeit erschwert, auch
gegenüber männlichen Teamern auftritt und der Mann in seiner er-
lernten Rolle ebenso befangen ist wie die Mädchen;
© weil Frauen aus eigener Erfahrung heraus Schwierigkeiten mit der in
unserer Gesellschaft vermittelten Frauenrolle haben, sie besser
nachvollziehen können und mit den Mädchen Ansätze zur Veränderung.‘
suchen können;
® weil der selbstverständliche Umgang der Teamerinnen mit dem Werkzeug
bewirkt , daß auch die Teilnehmerinnen ihre Angst vor Werkzeugen
bzw. "typischer Männerarbeit'" verlieren.
Aus den vorangegangenen Überlegungen ergaben sich zwei Schwerpunkte:
handwerkliche Arbeit und Gespräche über Themen, die für die Mädchen
relevant sind.
2. PLANUNGEN
Als handwerkliche Arbeit wurde die Herstellung von Setzkästen ausge-
wählt:
© der Arbeitsprozeß läßt sich in mehrere, gut überschaubare Abschnit-
te aufteilen;
© die Herstellung erfordert selbständige Planung und Durchführung
(jedes Mädchen fertigte nach eigenen Vorstellungen einen Plan für
ihren Setzkasten an, den sie im Verlauf des Seminars baute);
© eigenständiger Umgang mit Werkzeugen (Hammer, Schraubzwingen,
Zangen, Winkel, Schraubenzieher und Kreissäge).
Am Ende des Seminars stand ein fertiges Produkt, das die Mädchen mit
nach Hause nehmen durften.
Pro Arbeitsstunde wurde den Teilnehmerinnen DM 1.-- "Lohn" gezahlt.
Ihren Setzkasten konnten sie gegen DM 10.-- Materialkostenbeteili-
gung erwerben.
Die handwerkliche Tätigkeit sollte auch dazu dienen, die Situation
am Arbeitsplatz zu simulieren. Akkord- und Vorarbeitersystem, sowie
der Zusammenhang von Arbeit und Geld sollte durch die Lohnzahlung
aufgezeigt werden.
-66-
Für die Gespräche hatten wir uns folgende Themen überlegt:
Situation in Schule, Familie usw.
Verhältnis zu den Eltern (besonders Mutter-Tochter-Beziehung)
die Bedeutung des Freundes
Mädchenarbeitslosigkeit und Perspektiven
Männerarbeit - Frauenareit (Möglichkeiten für Mädchen sogenannte
Männerberufe zu ergreifen)
© Freizeitverhalten
® Sexualität, Verhältnis zum eigenen Körper
Die Themen sollten nicht nur durch Gespräche, sondern auch durch
Rollenspiele, Planspiele, Collagen, Verkleiden und einen Film bear-
beitet werden.
3. SEMINARKRITIK
Setzkästen
Am Ende des Seminars hatte jedes Mädchen seinen Setzkasten gebaut.
Dabei hatte sich gezeigt, daß im Verlauf der Arbeit die Motivation
wuchs. Die Mädchen gewannen zunehmend Selbstvertrauen durch den Um-
gang mit dem Werkzeug und der Maschine und dadurch, daß die Arbeit
Form annahm. Eine der Teilnehmerinnen hatte anfangs skeptisch geäus-
sert: "Ich habe keine Lust, das glaubt mir zu Hause doch keiner,
daß ich den Setzkasten selbst gemacht habe". Als es zum Zusammenset-
zen der Kästen kam, wurden ständig Überstunden gemacht. Dadurch, daß
die Mädchen zunehmend Spaß an der Arbeit fanden, erübrigte sich die
von uns ursprünglich beabsichtigte Problematisierung der Arbeits-
situation. Die Arbeit wurde in erster Linie als bestätigend empfun-
den. Der Zusammenhang zwischen Arbeit und Geld wurde kaum bewußt,
was sich darin ausdrückte, daß die Auszahlung von den Mädchen ver-
gessen wurde. Erst zum Ende des Seminars, als sie nicht mehr genü-
gend Geld hatten, um sich Zigaretten zu kaufen, wurde die Auszah-
lung wichtig. Der geringe Betrag von DM 1.-- pro Stunde wurde nie
in Frage gestellt, ebensowenig die Bezahlung der freiwillig gelei-
steten Überstunden gefordert. Daraus läßt sich ableiten, daß der
eigentliche Wert der Arbeit eher die Bestätigung war als die Bezah-
lung . Im nachhinein scheint uns das Verhältnis der Mädchen zum Geld
fragwürdig, was jedoch im Laufe des Seminars nicht problematisiert
wurde. Trotz der Selbstversorgung und der Auszahlung des "Lohnes"
stellte das Seminar in finanzieller Hinsicht eine Versorgungssitua-
tion dar, wie sie bei den Mädchen zu Hause wohl ähnlich zu finden
ist und wie sie auch von vielen Hausfrauen hingenommen wird, denen
das Geld vom Mann zugeteilt wird, je nachdem wieviel sie brauchen.
Um diese Situation zu ändern, müßte ein realistischer Lohn ausge-
zahlt (z.B. DM 5.-- pro Stunde) und davon das Geld für Unterkunft
und Essen eingezogen werden.
Ausgehend von den DM 10.-- Unkostenbeitrag für den fertiggestellten
Setzkasten, der von uns zunächst einfach festgesetzt worden war,
wurden noch einmal die tatsächlichen Materialkosten errechnet, wo-
bei alle von deren Höhe von DM 24.-- beeindruckt waren.
-67-
Gruppenthemen
Es war schwierig, ein Gruppengespräch mit einem festen Thema durch-
zuhalten. Am ersten Tag fand ein Kennenlern-Gespräch statt, in dem
die Mädchen ohne vorgegebenem Thema von sich erzählten. Nachdem es
am zweiten Tag nicht gelungen war, sich auf ein Thema zu einigen,
weder auf ein von uns vorgeschlagenes (Situation zu Haus) noch auf
ein von den Teilnehmerinnen vorgeschlagenes, schlugen wir für den
nächsten Tag eine Collage zum Thema "5 Jahre später" vor, in der sich
Wünsche, Vorstellungen, Perspektiven der Mädchen ausdrücken sollten,
Es stellte sich heraus, daß weder die Mädchen noch wir mit dem vorhan-
denen Material (Frauenzeitschriften und Stern) die Vorstellungen aus-
drücken konnten. Die Collage wurde nicht fertiggestellt. Aus der Un-
zufriedenheit mit diesen beiden Tagen heraus, erarbeitete eine Klein-
gruppe Themen und Vorschläge, um die Gesprächssituation zu verbes-
sern.
Vorschläge: Kleingruppen, Gesprächsleitungen
Themen: Verhältnis zu Eltern, Freund, Erfahrungen mit dem Arbeitsant,
Berufsberatung
Von da an verliefen die Gespräche konzentrierter und führten auch
zu befriedigenden Ergebnissen. Aus dem Thema "Freund" ergaben sich
einige neue Fragestellungen, die in dem Seminar aus zeitlichen Grün-
den nicht mehr aufgearbeitet werden konnten. Auffallend großen An-
klang fand das vorbereitete Planspiel zum Thema "Arbeitsamt und Be-
rufsberatung". Ein Grund für das aktive Interesse hängt mit der Me-
thode des Rollenspiels zusammen, die den Mädchen sichtlich Spaß
machte. Jede der Teilnehmerinnen hatte die Möglichkeit, ihre Erfah-
rungen im Spiel darzustellen. Aus dem Spiel entwickelte sich ein an-
geregtes Gespräch darüber, wie man die Situation ändern kann. Die
Teilnehmerinnen ermutigten sich gegenseitig zur Berufsschule zu ge-
hen bzw. in der Abendschule den Hauptschulabschluß nachzumachen.
Es kam zu konkreten Terminvereinbarungen,um die Sache in Angriff zu
nehmen. Die Berufswünsche der Teilnehmerinnen bewegten sich haupt-
sächlich in der Kategorie der Frauenberufe (Floristin, Friseuse,
Verkäuferin, Schneiderin, Erzieherin, Hausangestellte und Sekretä-
rin) und waren sehr realistisch. Eine Teilnehmerin hatte das Berufs-
grundbildungsjahr absolviert und entgegen den Voraussagen sind ihre
Chancen auf eine Arbeitsstelle dadurch nicht gestiegen.
Im Verlauf des Seminars zeigte sich, daß die geplanten Themen zu
sehr vom Anspruch der Teamerin ausgingen und zu differenziert waren.
Themen wie beispielsweise Sexualität oder Verhältnis zum eigenen
Körper wurden von den Teilnehmerinnen nicht aufgegriffen.
Freizeit
Von der Vorbereitung her standen den Mädchen nur drei Abende zur
freien Verfügung. Für die Abende waren ein Film,Spiele, Disco mit
Verkleiden, eine Nachtwanderung und eine Abschlußfete geplant, zu-
sätzlich ein ganztägiger Ausflug.
Der Film war nicht rechtzeitig bestellt worden und deshalb nicht
verfügbar. Während des Seminars nahmen die Mädchen die Gestaltung
der Freizeit selbst in die Hand. Sie organisierten eine Federbetten-
Punsch-Party, eine Nachtwanderung, eine Abschlußfete, zwei Spielaben-
-68-
de, eine Fahrt zur Disco und die Fahrt zu einer Fete nach Bleckede,
Während des Ausflugs trafen wir uns mit einer Gruppe arbeitsloser
Jugendlicher, die in Bleckede ein Seminar machten . Es entwickelten
sich schnell Kontakte, die zu einer gemeinsamen Fete führten.
Je stärker der Gruppenzusammenhang wurde, desto wichtiger wurde es
den Mädchen auch, daß die Freizeit gemeinsam verbracht wurde.
Bemerkenswert war der spontane und gute Kontakt zur Dorfjugend, die
die Mädchen zu unserer Abschlußfete eingeladen hatte. Die sonst übli-
chen Vorbehalte der Dorfbewohner gegenüber den Teilnehmern an Semi-
naren traten nicht auf. Die Dorfbewohner zeigten Interesse und Ver-
ständnis für die Situation der arbeitslosen Mädchen.
Bei der allein verbrachten Freizeit konnten die Teamerinnen sich
auf die Einhaltung der Abmachungen verlassen.
Teamer-Teilnehmerverhalten
Einige der Teilnehmerinnen kannten sich aus der Schule oder aus dem
arbeitsmotivierenden Programm in Uelzen. Trotzdem wurden die Mäd-
chen, die neu in die Gruppe kamen, sofort integriert. Das geläufige
Konkurrenzverhalten spielte kaum eine Rolle. Die üblichen Maßstäbe,
nach denen Mädchen in gemischten Gruppen beurteilt werden, traten in
den Hintergrund. Stattdessen brachten sie Verständnis auf für die
spezifischen Schwierigkeiten der einzelnen. Sie hörten einander zu,
diskutierten Lösungsmöglichkeiten und konnten ihre Kritik offen
äußern. Auch Außenseiter wurden immer wieder einbezogen.
Die Organisation des Seminars klappte erstaunlich gut. Die Mädchen
sorgten eigenständig für den regelmäßigen Tagesablauf.
In der Beziehung zwischen den Teilnehmerinnen und uns wurden Diskre-
panzen deutlich. Es war zunächst schwierig, den Mädchen zu vermitteln,
was wir mit dem Mädchenseminar wollten. Außerdem wurde ihnen kaum
einsichtig, wie unser Verhältnis zu Männern aussieht. Sie waren häufig
irritiert durch unsere Stellungnahmen. Das ging soweit, daß sie uns
für "Jungen-scheu" hielten und eine Teilnehmerin meinte, wir woll-
ten ihnen das Heiraten ausreden. Zu Ende des Seminars stellte ein
Mädchen fest, daß wir uns oft über ganz andere Dinge amüsiert hatten
als die Mädchen und für das, was ihnen Spaß machte, wenig Verständ-
nis zeigten. Sie ließen sich jedoch nicht davon beeindrucken oder
in ihren Aktivitäten stören. Für uns ist es schwierig einzuschätzen,
wie die Mädchen uns erlebt haben, inwieweit wir für sie eine Auto-
rität darstellten, oder ob das Verhältnis freundschaftlich war. Uns
ist aufgefallen, daß sie häufig sehr vernünftig und einsichtig wa-
ren und wenig in Frage stellten. Es ist außerdem sehr zweifelhaft,
ob sie in uns die Möglichkeit einer Alternative erlebt haben. Ganz
abgesehen davon, daß sie in ihren Lebensbedingungen kaum eine Chance
haben, Alternativen zu entwickeln.
Von den Mädchen kam der Vorschlag, sich über das Seminar hinaus auch
weiterhin zu treffen und sich mit den Eltern in einer Runde zusam-
menzusetzen, um über die im Seminar angeschnittenen Probleme zu re-
den.
-69-
4. EINSCHÄTZUNGEN/ERFAHRUNGEN
Am Ende des Seminars setzten wir uns mit den Mädchen zusammen und
besprachen anhand der von den Teamerinnen angefertigten Protokolle
was positiv und negativ gelaufen war. Alle Teilnehmerinnen wünschten
ein weiteres Mädchenseminar mit Begründungen wie: Frau lernt sich
besser kennen, es war gut, selbständig arbeiten zu können, nicht Nur
im Haushalt, frau könnte offener über Probleme reden, es war ruhiger,
Für uns wurde deutlich, daß ein Mädchenseminar nicht ausreicht. Um
die Ansätze weiter zu vertiefen, ist es wichtig, die Arbeit fortzu-
führen, wozu weitere Treffen eine Möglichkeit darstellen. Gemeinsaye
praktische Arbeit, die eine ganz entscheidende Erfahrung war, ist įm
Rahmen von einem Treffen wöchentlich nicht möglich, sondern erfor-
dert eine Seminarsituation oder entsprechende Einrichtungen am Ort
(z.B. eine Werkstatt) und Sozialarbeiterinnen, die mit den Mädchen
gemeinsam handwerkliche Arbeiten machen.
Das Verhältnis zwischen praktischer Arbeit und Gruppengesprächen
zeigte sich als gut ausgewogen. Es wurde von allen als positiv
empfunden, daß die praktische Arbeit vormittags angesetzt war. Der
Zeitraum von 10 Tagen war günstig, da einige Tage Anlaufzeit notwen-
dig sind, bis die Sache richtig läuft. Das Seminar bot Anreize für
weitere gemeinsame Aktivitäten.
Die Selbstversorgung machte den Mädchen sehr viel Spaß, weil sie
den Speiseplan selbständig zusammenstellen konnten und die Essens-
zeiten flexibel zu handhaben waren.
Was die Art der Arbeit anging, so hat sich die handwerkliche Arbeit
als sehr gut bewährt. Um jedoch , wie ursprünglich beabsichtigt,
eine realistische Arbeitssituation zu schaffen, wäre es notwendig,
daß die Teilnehmer kein für sich selbst verwertbares Produkt herstel-
len, sondern Auftragsarbeit und, wie oben angeführt, eine angemessene-
re Form der Bezahlung erhalten. Für eine feministische Jugendarbeit
erscheint es uns wichtiger, das Selbstbewußtsein der Mädchen über
die Erfolge bei der handwerklichen Arbeit zu stärken, als eine Ar-
beitssituation zu simulieren, die sie durch Jobben, Erzählungen von
Freunden, Eltern etc. bereits hinlänglich kennen.
Wir haben die Erfahrung gemacht, daß die Mädchen zu Hause sehr viel
leisten. Sie sind für die jüngeren Geschwister verantwortlich und
versorgen den Haushalt, während ihre Mütter dazuverdienen. Sie
selbst empfinden es kaum als Arbeit und leisten sie somit unentgelt-
lich. Es erscheint uns wichtig, ihnen diese Leistung bewußt zu ma-
chen, um ihr Selbstwertgefühl zu stärken.
Da Mädchen die oben geschilderte Funktion erfüllen, werden sie von
den Eltern auch kaum ermutigt, ernsthaft Arbeit zu suchen und wer-
den auf ein Hausfrauendasein festgelegt, das sie in Abhängigkeit
hält. Es ist den Eltern wichtiger, daß die Mädchen ordentlich sind,
als daß sie etwas Ordentliches lernen.
Für uns schließlich war die Erfahrung während des Seminars neu, daß
wir die von uns in die Gespräche eingebrachten persönlichen und ge-
meinsamen Probleme mit den Mädchen aufarbeiten konnten. Das sonst
übliche Teamer-Teilnehmerverhalten, gekennzeichnet durch ungleich-
gewichtige Verteilung und Vermittlung von Wissen und Erfahrungen und
daraus resultierenden Autoritätsproblemen, konnte ein Stück weit
über die gemeinsame geschlechterspezifische Betroffenheit aufgehoben
werden.
Wir möchten Frauen, die bereits ähnliche Arbeit mit Mädchen machen/
gemacht haben, zu einem Erfahrungsaustausch auffordern, und wir hof-
fen, daß unser Bericht einen Anstoß dazu gibt.
Unsere Kontaktadresse: Lioba Mölbert: Vor dem neuen Tore 2,
3111 Lüneburg
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ERFAHRUNGEN IN DER ARBEIT MIT MÄDCHEN
AUS ARBEITERFAMILIEN
In den letzten Jahren ist - bedingt durch die Frauenbewegung, ihr
"Praktischwerden' und durch engagierte Frauen in der Sozialarbeit -
das Bewußtsein über die Vernachlässigung von Mädchen im Freizeitbe-
reich relativ stark geworden. Im Unterschied zum Bereich des Bil-
dungs- und Ausbildungssystems hat im Freizeitsektor die Ignoranz ge-
genüber der Benachteiligung von Mädchen wohl auch deshalb so lange
angehalten, weil hier - im Freizeitbereich - kein direkter "output"
fabriziert wird: die Mädchen fallen nicht weiter auf, sie sind
nicht "aggressiv", also werden sie auch nicht weiter berücksichtigt.
Ich habe in einem Jugendclub mit Jugendlichen, die aus Arbeiterfami-
lien kommen, mit einer feministischen Mädchenarbeit begonnen und
möchte im Folgenden meine Erfahrungen schildern. Dabei finde ich es
besonders wichtig, auf die Frage: Warum eigentlich autonome Mädchen-
gruppen? einzugehen und diese Frage im Zusammenhang der Freizeitar-
beit überhaupt zu reflektieren.
1. DIE SITUATION DER MÄDCHEN IM JUGENDCLUB UND IN DER FAMILIE
Im Club werden die Mädchen von den Jungen als Objekte gesehen und
entsprechend behandelt: Sie werden "angemacht", bei "Männerunterhal-
tungen" an der Theke zum Tanzen geschickt, zum Bierholen gerufen,
und beim Skat oder Billard dürfen sie den Jungen zusehen. Die Jungen
haben ein Frauenbild im Kopf (das Mädchen muß eine gute Figur haben,
modern angezogen und gut im Bett sein, ihm nicht zuviel Freiheit neh-
men), und die Mädchen verhalten sich so, wie es von ihnen erwartet
wird und worauf hin sie erzogen worden sind. A R
Die Mädchen gehen nach der neuesten Mode gekleidet, weil sie stän-
dig erfahren, daß Aussehen, Kleidung etc. entscheidend dafür sind,
um von den Jungen beachtet zu werden. Wer aus diesem Rahmen heraus-
fällt, wird nicht anerkannt - weder von den Jungen noch von den Mäd-
chen.
Das Interesse der Mädchen am Club ist, eine Möglichkeit zum Tanzen
zu haben und einen Jungen kennenzulernen . Das Interesse, einen Freund
zu kriegen, ist gleichzeitig eine Notwendigkeit: Denn ihr Status
im Club steigt, wenn sie längere Zeit einen festen Freund oder über-
haupt schon mal einen Freund hatten. Auf der anderen Seite werden
Mädchen, die häufig wechselnde Freundschaften haben, schnell als H
"leichte" Mädchen abgewertet, mit denen "man es immer machen kann .
Die Mädchen kommen in Cliquen und haben auch sehr intensive Freund-
schaften untereinander, aber in der Werbung um einen Freund stehen
sie in harter Konkurrenz untereinander. Sie spielen sich dann gegen-
einander aus, oftmals gehen Mädchenfreundschaften wegen einem Jungen
auseinander.
-7 3-
Das Reagieren der Familien der Mädchen auf deren Freizeitinteressen
ist folgendermaßen gekennzeichnet: Die Mädchen werden wesentlich styan—
ger als Jungen behandelt: z.B. bekommen sıe sehr schnell Ärger mit
den Eltern wegen des Nachhausekommens, eine Viertelstunde über der
Zeit kann eine Woche Hausarrest nach sich ziehen. Auch müssen die
Mädchen ihren Müttern sehr viel Hausarbeit abnehmen, die Beaufsich-
tigung der kleineren Geschwister übernehmen, und so schränkt sich
die Zeit für den Club stark ein. Die Mädchen fühlen sich von den El-
tern konsequenterweise oft nicht verstanden, eingeschränkt, permaneyt
kontrolliert. Diese permanente Kontrolle verstärkt sich noch durch
die engen Wohnverhältnisse.
So ist also der Wunsch der Mädchen auf diesem Hintergrund zu sehen,
durch einen Mann und Heirat/Familiegründen aus dieser Familiensitua-
tion herauszukommen. Obwohl die Mädchen die oft trostlose und unter-
drückte Situation ihrer Mütter genau sehen und auch zu beschreiben
in der Lage sind, meinen sie, daß ein solches Schicksal ja nicht auf
sie zutreffen brauche, sie persönlich hätten die Möglichkeit, es
"anders", besser zu machen.
Hier zeigt sich, daß es den Mädchen offensichtlich nicht möglich
ist, in anderen Bahnen als denen der erfahrenen Realität zu denken
und zu wünschen: Das negativ Erfahrene wird zum psitiv zu Erfahren-
den umgewünscht.
2. SCHLUSSFOLGERUNGEN FÜR EINE FEMINISTISCHE MÄDCHENARBEIT
Eine feministische Mädchenarbeit muß nach meinen Erfahrungen auf
mehreren Ebenen ansetzen:
Da ist zuallererst einmal die Ebene des ganz normalen Jugendhausall-
tages, dort spielen sich die Konflikte ab, dort zeigt sich die oben
beschriebene Unterdrückung der Mädchen. Und genau in diesem Alltag
müssen sich die Sozialarbeiter/innen für die Mädchen einsetzen, an
konkreten Situationen diskutieren und kritisieren (z.B. wenn Mäd-
chen, die Billard spielen wollen, nicht "rangelassen" werden, man
ihnen nicht zutraut, die Diskoanlage zu bedienen etc. etc.)
Es ist auch wichtig und möglich (!), die Mädchen aufzufordern, sich
gemeinsam zu wehren und durchzusetzen, ihren Freundinnen zu helfen,-
wenn sie angemacht werden usw.
Ziel dieses Alltagskampfes (der übrigens von allen pädagogischen
Mitarbeitern zu führen ist) ist es also, die Position der Mädchen
zu stärken oder nur einfach, sie vor ständiger täglicher Unterdrük-
kung etwas zu schützen; mit den Jungen in Auseinandersetzung über
ihre Praktiken zu treten, schließlich: den Mädchen durch eine deut-
liche Parteinahme die Möglichkeit zu geben, Selbstvertrauen zu ge-
winnen.
Die nächste Ebene wäre die Bildung einer autonomen Mädchengruppe,
die aus dem offenen Bereich entsteht und in ihn integriert ist.
Das heißt, sie hat Einflüsse und Rückwirkungen auf den gesamten Ju-
gendhausalltag insofern, als sie nicht isoliert neben den sonstigen
Aktivitäten steht, sondern ihren festen Platz im Gesamtkonzept für
die Freizeitarbeit findet.
An diesem Punkt wird spätestens deutlich, daß noch eine dritte Ebe-
ne beachtet werden muß, die quer zu den beiden genannten liegt, näm-
lich die der Auseinandersetzungen im Team:
Sowohl der Alltagskampf als auch die Existenz und Notwendigkeit
-74-
Das Jugendzentrum Hammerschlag in
Schorndorf/Württ.
sucht zum baldmöglichen Termin (1.9.)
zwei Sozialarbeiter(innen)
Schorndorf ist eine Stadt mit 33.000 Einwohner 30 km östlich von
Stuttgart. Das Jugendzentrum existiert seit ca. lo Jahren in Selbst-
verwaltung. Seit 1977 gibt es eine städtische Satzung, die die Selbst-
verwaltung garantiert. Die Einstellung von Personal erfolgt auf Vor-
schlag von uns (den Jugendlichen) durch die Stadtverwaltung.
Bezahlung: BAT IVb oder Vb je nach Qualifikation.
Probezeit: 6 Monate
Aufgabenbereiche(z.T. übergreifend):
* Betreuung von Kindern und Jugendlichen am Nachmittag in
Zusammenarbeit mit älteren Jugendlichen
* Randgruppenarbeit in Problembereichen, die nicht von uns selbst
gelöst werden können.
Erfahrungen in diesen Bereichen sind wichtig.
Wir erwarten Kooperationsbereitschaft mit uns.
Schreibkram, Verwaltungsarbeiten, Hausmeistertätigkeiten,Kontakte
mit der Stadtverwaltung und anderen Behörden, Planung und Durch-
führung der Veranstaltungen am Abend und Wochenende bleibt
weiterhin unsere Aufgabe. Euere Tätigkeit beschränkt sich also aus-
schließlich auf den pädagogischen Bereich.
Festlegung der Arbeitszeit, des Urlaubs, der Freitage erfolgt in Zu-
sammenarbeit zwischen den Sozialarbeitern/innen und in Absprache
mit uns und dem städtischen Sozial- und Personalamt.
Bewerbungen
bitte an Jugendzentrum Hammerschlag, Hammerschlag 6,Postfach
1565, 706 Schorndorf
I
Das Ev. Jugendzentrum in Hannover-Kleefeld Bewerbungen an:
sucht zum Kirchenvorstand
1. Juli 1979 ev.-luth.Petri-Ge-
meinde,
einen Sozialarbeiter(in)/Sozialpädagoge(in) Hölderlinstr. 1,
oder Diakon(in) 3 Hannover 61
oder Dipl.Pädagoge(in) für offene Jugendarbeit. Rücksprache mit
Selbständigkeit ist möglich und erwünscht. den zukünftigen
Bezahlung nach Qualifikation, höchstens jedoch Kollegen(innen)
BATIVb. 0511/550978
einer autonomen Mädchengruppe müssen inhaltlich voll vom Team ge-
wollt und (auch nach außen) vertreten werden (wenngleich die Mäd-
chengruppe selbst nur von einer Frau aufgebaut werden kann). Es
reicht also nicht, wenn die Parteinahme für die Mädchen und das akti-
ve Angehen gegen ihre Unterdrückung stillschweigend oder auch wohl-
wollend gebilligt werden, sondern es muß inhaltlich gemeinsam der
Aufbau einer Mädchengruppe als integrierter Bestandteil der Konzep-
tion getragen werden.
Dieser Anspruch ist u.U. schwer zu realisieren, werden doch bei
der Diskussion um eine parteiliche Mädchenarbeit allzuviele Punkte
benannt, die auch dem einen oder anderen Mitarbeiter subjektiv zu
schaffen machen. Deshalb sind die inhaltlich/konzeptionellen Diskus-
sionen auch häufig emotional recht aufgeheizt.
Die Mädchen brauchen einen Raum, wo nicht wieder die Jungen dominie-
rend sind und wo sie ihr Verhalten und ihre Einstellungen nicht, wie
sonst, von den Jungen in Abhängigkeit zu definieren brauchen. Sie
haben in einer Mädchengruppe die Voraussetzungen und Möglichkeiten,
ihre Interessen und Bedürfnisse eindeutig (nicht ambivalent) zu
äussern, denn sie brauchen erstmal keine Angst vor der Reaktion der
Jungen zu haben.
In der Mädchengruppe haben die Mädchen durch den Austausch von Er-
fahrungen die Möglichkeit zu erkennen, daß sie gemeinsam benach-
teiligt sind, und über diese Erkenntnis lassen sich solidarische Ge-
fühle entwickeln, z.B. gegenseitige Hilfe, Unterstützung, Trost,
Sich-Stark-Fühlen, Sich-Selbstbewußt-Fühlen. Ziel ist es auch, eige-
ne Verhaltensweisen und die der Jungen zu hinterfragen und Konkur-
renzen zu den anderen Mädchen abzubauen.
Wichtig ist schließlich auch die Erfahrung, daß Unternehmungen und
Aktivitäten "nur" mit Mädchen Spaß machen.
3. WIE KANN FRAU EINE MÄDCHENGRUPPE AUFBAUEN?
Die Sozialarbeiterin, die (hoffentlich aktiv unterstützt vom gesam-
ten Team!) eine Mädchengruppe aufbauen möchte, muß längere Zeit in
dem Freizeittreff bekannt sein. Die Mädchen müssen sie in Situatio-
nen kennengelernt haben, wo sie sich für ihre Interessen eingesetzt
hat, so daß sie (die Mädchen) Vertrauen zu ihr haben.
Eine Mädchengruppe kommt nicht über Plakat-Wandzeitungswerbung zu-
stande, auch nicht über eine Flugblattaktion. Über solche Form der
Öffentlichkeitsarbeit werden die Mädchen von ihren Freunden daran
gehindert, zur Mädchengruppe zu gehen. Der Weg muß über persönliche
Ansprache laufen, zu einzelnen Mädchen und zu verschiedenen Mädchen-
cliquen. Solche Gespräche dauern eine ganze Zeit, es ist sehr wich-
tig, die Mädchen immer wieder an den ersten Termin zu erinnern, und
sie zu ermutigen, Freundinnen mitzubringen. Der erste Treff kann
auch gut von einem "persönlichen" Flugblatt (Brief) begleitet wer-
den.
Am besten ist es, mit den Mädchen von Anfang an einen eigenen Raum zu
haben, um sich mit ihnen in einer ungestörten Atmosphäre treffen,
bewegen, unterhalten zu können. Der eigene Raum und seine Gestal-
tung durch die Mädchen kann auch zur Identifizierung mit dieser
neuen Gruppe positiv beitragen.
-76-
4. WIE ENTWICKELT SICH DIE MÄDCHENGRUPPE ?
Themen für die Mädchengruppe ergeben sich ganz natürlich aus ihrer
Problemlage, es wird das geäußert, wovon sie gerade am meisten be-
troffen sind!
© Probleme im Elternhaus
© Freundschaft und Sexualität
Über die brennend wichtigen Themen: Beruf, Arbeitswelt zu reden, ist
äußerst schwierig: die Mädchen wollen darüber nicht sprechen.
Zu den Problemen im Elternhaus ergaben sich, bei meinen Erfahrungen,
oftmals spontan Rollenspiele, in denen die Mädchen ihre Eltern spiel-
ten. Wir diskutierten über die Einstellung der Eltern und versuch-
ten auch zu klären, warum sie so sind, und wie die Mädchen wohl bes-
ser mit ihnen reden könnten.
Als die Mädchen untereinander Vertrauen gewonnen hatten, wurden ihre
Sexualität, ihre Ängste und Unsicherheiten in diesem Bereich, ihre
beschissenen Erfahrungen mit Jungen zum wichtigsten Thema. Gemeinsame
Besuche beim Frauenarzt und "pro familia", Informationen und Kennt-
nisse (samt Ansehen) über Verhütungsmittel, standen im Mittelpunkt
unserer Aktivitäten.
Neben den oben beschriebenen Gesprächen und Aktivitäten haben die
Mädchen die Erwartung, "daß was passiert". Beim nur Reden verlieren
sie bald die Lust an der Gruppe. Deswegen haben gemeinsame Aktionen
wie Ausflüge, etwas für sich oder das Jugendzentrum zu organisieren
(Fest), Kochen, Feiern, Spielen, Basteln, wo die Mädchen sich noch
besser kennenlernen und Spaß haben können, einen ebenso wichtigen
Stellenwert.
5. MIT WELCHEN PROBLEMEN WIRD FRAU KONFRONTIERT,
WENN SIE EINE MÄDCHENGRUPPE MACHT ?
Ein Problem kann sich aus der Konfrontation zwischen den geäußerten
Bedürfnissen der Mädchen und den eigenen "emanzipierten" Ansprüchen
ergeben: z.B. wenn die Mädchen immer wieder nähen oder kochen wollen,
Frau selber aber diese als"weiblich" definierten Fähigkeiten nicht
noch verstärken will, statt dessen im Kopf hat, einen Elektrokurs
mit den Mädchen zu machen. Während ich zu Beginn meiner Arbeit noch
den Anspruch hatte, die Mädchen dahingehend zu beeinflussen, ihre
"weiblichen" Interessen zugunsten von eher "männlichen" abzubauen,
habe ich heute eine andere Einstellung: Es ist nicht nötig und sinn-
voll, daß die Mädchen typisch "männliche" Fähigkeiten lernen, um zei-
gen zu können: "Ich bin ganuso viel wert wie Du"
Denn damit würde ich wiederum den Mädchen aufzeigen, was sie alles
nicht können, nicht haben, sie wären damit nicht in der Lage, sich
so, wie sie sind, akzeptieren zu lernen. Sie sind mit dem, was sie
können, gut; und was sie lernen wollen (sei es auch ein Elektrokurs),
wird akzeptiert und unterstützt.
Ein weiteres Problem entsteht durch die Reaktion der Jungen auf die
Mädchengruppe: Sie sind verunsichert und reagieren meist aggressiv,
indem sie die Treffen stören und versuchen, den Raum zu demolieren.
Gerade in diesen Auseinandersetzungen haben viele Mädchengruppen er
fahren, wie wichtig es ist, zusammenzuhalten und sich das Recht, sich
-77-
zu treffen, nicht nehmen zu lassen. Auf der anderen Seite muß mit
den Jungen diskutiert werden, damit sie lernen, die Mädchengruppe zu
akzeptieren. Diese Forderung ist für die Jungen schwer einsehbar,
richtet sich die Mädchengruppe doch erstmal auch gegen sie; die Jun-
gen schaffen das Akzeptieren zum Beispiel durch eine eigene Jungen-
gruppe oder dadurch, daß die Mädchengruppe sich mit Aktivitäten im
oder fürs Jugendzentrum dargestellt hat.
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Susanne Maurer, Tübingen
“MÄDCHEN — ZWISCHEN ANPASSUNG UND WIDERSTAND”
Ein Buch "...für die, die Interesse haben, mehr über Mädchen zu er-
fahren und für die, die sich in ihrer beruflichen Praxis gemeinsam
mit Mädchen neue, adäquate Wege in der Jugendarbeit erkämpfen wollen."
Carola Wildt, die seit mehreren Jahren schwerpunktmäßig mit Frauen-
und Mädchengruppen arbeitet, inzwischen innerhalb des Teams zur wis-
senschaftlichen Begleitung des "Modellprojekts Frauenhaus Berlin"
(Verein zur Förderung des Schutzes mißhandelter Frauen), und Monika
Savier, mittlerweile Sozialpädagogin im Rahmen des Modellprogramms
"Soziales Training" mit dem Schwerpunkt "Mädchengruppen" (auch Ber-
lin), haben die Erfahrungen aus ihrer mehrjährigen gemeinsamen theo-
retischen und praktischen Arbeit mit Mädchen zu diesem Buch verarbei-
tet:
Monika Savier u. Carola Wildt,
"Mädchen - zwischen Anpassung und Widerstand".
Neue Ansätze zur feministischen Jugendarbeit.
1. Auflage, 1978. Verlag Frauenoffensive, Minchen.
201 Seiten mit 25 ganzseitigen Fotos. 14.- DM.
WOVON DIE AUTORINNEN AUSGEHEN
© Die Lebensrealität von Mädchen ist in erster Linie durch ihre Ge-
schlechtszugehörigkeit bestimmt, denn ihre lebensbestimmenden Kon-
flikte sind ursächlich mit ihrem Mädchen-sein bzw. Frau-sein ver-
knüpft.
© Als Auswirkung der geschlechtsspezifischen Erziehung (die v.a. da-
rauf abzielt, daß Mädchen mit dem Erwachsenwerden gleichzeitig
die weiblichen sexuellen Normen übernehmen, um als Frau in dieser
Gesellschaft ihre Rolle erfüllen zu können) ist die Tatsache zu
sehen, daß Mädchen im Alter der Pubertät weitgehend angepaßte,
typische weibliche Einstellungen und Verhaltensweisen haben.
© Ihre Lebensgeschichte ist weniger eine kontinuierlich verlaufende
Entwicklung als vielmehr eine permanente (sexuelle) Konditionierung,
die mehr verhindert und unterdrückt, als fördert und unterstützt.
© Alle Mädchen sind - unabhängig von ihrer Herkunftfamilie - als
Mädchen unterdrückt und diskriminiert.Die sozialen und ökonomi-
schen Lebensbedingungen spielen dabei eine untergeordnete Rolle.
Sie werden in der Realität als weibliche Wesen beachtet und beur-
teilt.
Wie verläuft der Prozeß der sogenannten "sexuellen Konditionierung"?
Welchen Einfluß haben dabei die verschiedenen Sozialisationsinstan-
zen (Familie, Schule, peer-groups)?
Wie verbringen Mädchen ihre Freizeit (Freundinnen, Jugendfreizeit-
heime, Discotheken, Treber- und Fixerscene)?
-79-
Entlang dieser Fragen machen Carola Wildt und Monika Savier den Ver-
such, den Alltag der Mädchen aus feministischer Sicht darzustellen
und zu interpretieren. Dabei geht es ihnen nicht darum, zu beweisen,
daß Mädchen "so gut sind wie Jungen", sondern darum, sie für ihre
Stärken und Schwächen zu sensibilisieren, die&ben mit männlichen
Stärken und Schwächen weder vergleichbar sind, noch mit ihnen kon-
kurrieren sollen.
Konsequenz aus der Reflexion ihrer Beobachtungen ist ein didaktisches
Konzept für eine feministische Mädchenarbeit und reicht von einer all-
gemeinen Darstellung eines Praxisansatzes über Vorschläge zum Ein-
satz von Medien bis hin zur Problematik der Interaktion von Pädago-
ginnen und Mädchen.
Die Autorinnen schreiben:
"Die Begründung für eine feministische Pädagogik liefern die Mädchen
selbst, die in zunehmendem Maße anfangen, sich gegen ihre unterge-
ordnete Rolle und ihre Alibifunktion zu wehren, die sie bislang in
der Jugendarbeit zugewiesen bekamen.
Mädchen und Pädagoginnen gemeinsam sind in der Lage, die jahrelange
Nicht-Beachtung in der Jugendarbeit - und nicht nur da - aufzuheben.
Autonomes Handeln zur Durchsetzung der eigenen Interessen und Bedürf-
nisse ist notwendig, um nicht in die patriarchalische Mühle zu gera-
ten, die alles daransetzt, die Widerstandsformen und die Selbstver-
wirklichung von Mädchen/Frauen zu verhindern" ... und
..."Dabei berücksichtigen wir, daß unangepaßtes, nicht typisch weib-
liches Verhalten von der Umwelt nicht widerspruchslos akzeptiert wird
und für die Mädchen eine erneute Verunsicherung bedeuten kann. Des-
wegen müssen wir ihnen gleichzeitig vermitteln, daß die Ablehnung
ihres nicht-rollenkonformen Verhaltens sich zwar gegen sie als Ein-
ne richtet, aber Ausdruck der gesellschaftlichen Frauenfeindlich-
eit ist."
WARUM ICH DIESES BUCH SO WICHTIG FINDE
Meine erste wirkliche "Begegnung" mit feministischer Mädchenarbeit
ereignete sich (war für mich echt ein Ereignis!) auf dem Kongreß
"Feministische Theorie und Praxis in sozialen und pädagogischen Be-
rufsfeldern", der im November 1978 in Köln stattfand.
Eine Gruppe Berliner Pädagoginnen hatte eine Arbeitsgruppe zu "Mäd-
chenarbeit'"' vorbereitet und ich ging hin, obwohl ich nicht über die
gewünschten "praktischen Erfahrungen mit Hauptschülerinnen'" verfüg-
te. Ich hatte zwar 'mal 'was von Mädchengruppen in Jugendfreizeithei-
men gehört, aber das war auch alles.
Die Berliner Frauen erklärten, warum sie es wichtig finden, mit Mäd-
chen zu arbeiten, welche Erfahrungen sie mit dieser Arbeit gemacht
haben und mit welchen Schwierigkeiten sie sich dabei konfrontiert
sehen.
Andere Frauen berichteten ihrerseits von ihren Erfahrungen - um's
kurz zu machen: eine so spannende Diskussion hab' ich nur selten er-
lebt. Dabei wurde deutlich, daß auch neue Ansätze, wie sie Ende der
60er Jahre als "progressive", "emanzipatorische" oder "antikapita-
listische" Jugendarbeit entwickelt wurden, kaum eine Veränderung für
die Mädchen brachten.
-80-
Mädchen spielten weiterhin die untergeordnete Rolle, wurden nicht
beachtet, waren immer noch in erster Linie "Sexualobjekt".
"An den jeweiligen Bedürfnissen der Jugendlichen ansetzen" - aber
über die speziellen Probleme der Mädchen machte sich keiner Gedanken,
die sollten sich durch den Kampf der Jugendlichen wohl 'von allein'
lösen!
Diese Sätze fand ich bei Monika Savier und Carola Wildt dann wieder.
Ihr Buch wurde für mich zur Grundlage dafür, mir klar zu machen,
durch welche Mechanismen die Sozialisation/Entwicklung der meisten
Mädchen einschließlich meiner eigenen bestimmt wird: wurde auch Grund-
lage für Überlegungen, die mit meiner Berufsperspektive zu tun haben
(ich studiere Sozialpädagogik und kann mir inzwischen vorstellen,
später mit Frauen oder Mädchen zu arbeiten).
Nicht zuletzt erscheint mir dieses Buch deshalb wichtig, weil es eine
der wenigen Veröffentlichungen zum Thema "Mädchen in der Jugendar-
beit" überhaupt ist.
32
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Faschismus heute?
Neuer Faschismus?: Fragen, Diskussionsbeitröge, Positionen
Zur Charakterisierung faschistischer Herrschaft; Berufsverbote
Faschismus - Adenauer-Ara
Rechte; Neonazistische Tendenzen in der Schule; Neue Repression
in der BRD: Berichte, Glossen; Sozialismus-Diskussion: Bahros
Kritik am realen Sozialismus; Nichtkommerzielle Rundfunkpraxis
in Italien.
Geschichte schreiben/SPD-Kultur
Geschichte als kollektive Proxis, Gesellschafts- oder Sozial
go hichte? Alternative Geschichtsschreibung: der
P.Thompson — Untersuchungen, Interviews und Diskussion
Kapitalismus ak Kultur Versioon;
Neue Lebensformen
Wunsch und Proxis
Zeitgeschichte der gegenkulturellen Bewegung; Zwangs
alternativen: Dialektik von Subkultur und Hinterwelt,
Diskussion über Landkommunen; Ästhetik der Alternativszene,
Dos Beispiel Longo Mai; Provinzarbeit; Analysen: Christianio, Tvind.
Kulturarbeit — Kultur selber machen
März 1979
Industrielle Kulturerfahrung; Theaterarbeit auf dem Lande.
Freie Rockgruppen; Was ist Straßenkultur? Schreiben lernen,
Neue Kulturzentren — Kulturhäuser; Animationsbewegung in
Frankreich; Stadtsanierung als Kulturzerstörung.
Linker Konservatismus? (uni 1979)
Unser konservativer Alltag; Aufklärung im Nebel; Neuer
Konservatismus von links? Besonderheiten des deutschen
Konservatismus - konservative Revolution; Das Konservative in
unseren Wünschen und Bildern; Rechte Unterwanderung der
Alternativscene; Konservatives vom Neuen Soziolisationstyp;
Dos Linke und das Rechte.
Frauenbewegung und Linke (sep. 1979
Autonomie der Fravenbewegung; Frauen und Linke in anderen
Ländern; Weibliche Identität; Schwierigkeiten linker Frauen mit
der Frauenbewegung; Was hat die Linke von der Frauen
bewegung gelernt? Rechter Feminismus - Frauen im Faschismus;
Weibliche Mythen
Kinderalltag Dez 1979)
Kinderöffentlichkeit - Kindertheater
Politik im Kindertheater; Wie grausam sind Kinder?
Geschichte des Kinderalltags; Folgen der neuen
Erziehung; Zeiterfahrung: Langeweile, Kinder
tröume, Spontaneität; Kinderfilme; Wozu
Märchen? Kinderöffentlichkeit: Straßen,
Plätze, Zimmer, Feste
heute; Die neve und die alte
Beitrag von
chung von Lebensverhöltnissen.
Bestellungen über den
Buchhandel oder
Verlag Ästhetik und Kommunikation,
Fuggerstraße 18
1000 Berlin 30
A&K akut
Nicht heimlich und nicht kühl
Entgegnungen an Dienst- und andere Herren.
Beiträge u.a. von Altvater, J. Beck, Böll, Brückner,
Chotjewitz, Gollwitzer, Karsunke, Karsunke, Kluge, Moßmann,
Negt, D. Richter, P. Schneider, Steffen, Zwerenz
136 Seiten + zahlr, Abb, 6,80 DM
Zwei Kulturen
TUNIX, Mescalero und die Folgen
Hrsg, Hoflmann-Axthelm, Kallscheuer, Knödler-Bunte, Wartmann
232 Seiten + Abb, 1250 DM
Normalzustände
Politische Kultur in Deutschland
Hrsg.Knödler-Bunte, Preuss-Lausitz, Siebel
Beitröge u.a. von J, Beck, S.Cobler, F. Dröge, K. Eschen,
O. Flechtheim, H. Hartwig, Y. Karsunke, D. Richter, G. Seyfried,
Vogelgesang, L Wawrzyn, R Wollt, P.P. Zahl
320 Seiten + zahlr. Abb., 16,80 DM
Frauengruppe Kinderhaus
MÄNNER UND FRAUEN IM KINDERHAUS
— ANSPRÜCHE, VERHALTEN, ZUSAMMENARBEIT
Drei Frauen haben das zu diesem Thema Erfahrene diskutiert. (Zwei
arbeiten im Kinderhaus, die dritte hat hier ein einjähriges Prakti-
kum gemacht). Versucht werden soll, die geschlechtstypischen Unter-
schiede der Arbeit von Männern und Frauen im Kinderhaus zu beschrei-
ben. Dem Vorwurf, alles durch die feministische Brille zu sehen,
wollen wir vorbeugen, indem wir bewußt als Frauen unsere Sichtweise
und unsere speziellen Probleme beschreiben.
Wir leben nicht als Pädagoginnen, sondern als Frauen im Kinderhaus
und sind als solche von bestimmten Verhaltensmustern der Männer wie
auch der Kinder betroffen.
Ein Alternativprojekt ist für uns keine Alternative mehr, wenn wir
im 24-Stunden-Engagement nur Verhaltensmuster und Klischeevorstellun-
gen der Kinder reproduzieren. Mit anderen Worten, wir können und wol-
len nicht in einem Projekt engagiert arbeiten und leben in dem Wissen,
daß die Kinder, die wir hier betreuen, sich entgegen unseren Ansprü-
chen und Interessen verhalten. (Die Jungen uns auf der Straße anma-
chen, die Mädchen weibliche Klischees leben). Unsere Erfahrungen als
Frauen, unsere Arbeit in der Frauengruppe können und wollen wir nicht
von unserem Leben im Kinderhaus trennen.
Sicher kann man hier problematisieren, daß wir den mütterlichen An-
spruch der Dankbarkeit in den Anspruch: Entwicklung gemäß unserer
Vorstellungen gewandelt haben. Wir finden diesen Anspruch jedoch le-
gitim und richtig, denn Zusammenleben mit Kindern bedeutet für uns,
die Pädagogenrolle zu verlassen und damit auch die Rolle derjenigen,
die abstrakt von Mittelschicht- und Unterschichtwerten redet und
Kinder nicht manipulieren will. Im Kinderhaus sind die Kinder für
uns Lebenspartner, auf deren oft frauenfeindlich oder "faschistisch"
gefärbten Sprüche wir emotional reagieren, weil sie uns betroffen
machen. Aus dieser Betroffenheit und dem Interesse an den Kindern
heraus versuchen wir,bewußt Einfluß zu nehmen, denn die Kinder le-
ben mit uns in einer Gesellschaft, die wir nicht reproduzieren wol-
len, sondern mit ihnen verändern müssen.
1. ENTWICKLUNG/GESCHICHTE DES KINDERHAUSES
Das Kinderhaus ist nicht, wie z.B. das bekannte Kinderhaus Hamburg,
eine Kindertagesstätte, sondern eine Einrichtung im Rahmen der Heim-
erziehung. Für das Landesjugendamt sind wir ein "Kleinstkinderheim".
Unser Ziel ist es, über die gemeinsame Wohn- und Lebenssituation mit
den Kindern die an der Heimerziehung kritisierten Symptome (mangeln-
de Identifikationsmöglichkeiten, große unflexible Institution, Fluk-
tuation der Erzieher, Schichtdienst, keine Beteiligung an der Haus-
-83-
wirtschaft, Unselbständigkeit, Isolierung von Freunden und Nachbar-
schaft! "ufzuheben und hier eine Alternative zu versuchen.
Die Geschichte des Kinderhauses begann vor ca. zweieinhalb Jahren.
Wir (hier: mein Freund und ich), beide Sozialarbeiter, wollten das
Jugendamt hinter uns lassen und wieder praktisch mit Kindern arbei-
ten. In einem Verein, der Träger eines Kinderhauses ist, waren wir
bereits länger organisiert. Wir haben weder lange nach einem Haus
noch nach Mitarbeitern gesucht, noch viel über unsere Vorstellungen
des Zusammenlebens mit Kindern diskutiert. Recht spontan haben wir
ein von der Raumaufteilung wie auch von der Lage her günstiges Haus
gekauft, und uns zu zweit mit ca. 200 000 DM Schulden auf dieses Pro-
jekt eingelassen. Verhandlungen mit dem Landesjugendamt, Renovie-
rung des Hauses, Weiterarbeit im Jugendamt, Diskussionen über unse-
re Zielsetzungen liefen in den nächsten Monaten parallel und waren
ein einziger Streß. Da wir glaubten, 4 Planstellen bewilligt zu be-
kommen, wollten wir mit einem Sozialarbeiterehepaar (mit Kleinkind)
im Kinderhaus arbeiten. Bewilligt wurde uns schließlich: 1 Sozialar-
beiterstelle, 2 Erzieherstellen, eine 25-Stunden Wirtschaftskraft.
Da die Hypotheken für unsere Schulden bezahlt werden mußten, waren
wir gezwungen, das Haus möglichst schnell zu renovieren und unserem
Trägerverein zu vermieten. Im Mai 76 bezogen wir unsere Wohnungen,
wenig später kamen die ersten drei Kinder. Da wir die Gruppe nur all-
mählich auf acht Kinder aufstocken wollten, konnten wir auch nicht
alle gleichzeitig kündigen und von unserem Trägerverein eingestellt
werden. So arbeitete ich bis zum Sommer, mein Freund bis zum Herbst
im Jugendant.
2. LAGE UND RÄUMLICHE AUSSTATTUNG
Das Kinderhaus liegt in einer zentralen Wohn-/Industriesiedlung.
Das Haus verfügt über 500 qm Wohnfläche, die sich auf 4 Etagen auf-
teilen und 1/2-geschossig versetzt sind. Wir Betreuer bewohnen von
den Räumen die oberen Etagen mit ca. 160 qm. Die übrige Wohnfläche
unterteilt sich in 6 Schlafräume für die Kinder, 3 Bäder, Toiletten,
Küche, Eßzimmer, Wohn-, Bastelraum, Waschküche, Werkkeller, Tisch-
tennisraum, Büro. Das Stadtzentrum, Sport- und Freizeiteinrichtun-
gen sind vom Haus aus in kurzer Zeit zu erreichen. Alle Kinder be-
suchen öffentliche Schulen und haben die Möglichkeit, am Nachmittag
Freunde zu besuchen oder ins Kinderhaus einzuladen. Für die Kinder
der Nachbarschaft erfüllt das Kinderhaus teilweise die Funktion eines
Jugendzentrums, da sie hier Spiel- und Bastelmöglichkeiten haben,
die zu Hause von den Räumen her zumeist nicht gegeben sind. Äußer-
lich unterscheidet sich unser Haus nicht von den Nachbarhäusern.
3. DIE KINDERGRUPPE
Die Kindergruppe setzt sich aus 6 Jungen und 2 Mädchen zusammen.
Die Jungen sind alt: 14, 14, 13, 12, 12, 9, die Mädchen 11 und 12
Jahre. Sowohl von der Anzahl als auch vom Alter her bestimmen die
Jungen das gesamte Gruppenleben. Es dominieren lautstarke Auseinan-
dersetzungen und besonders im ersten Jahr ein dauernder Kampf um
die Führungsposition in der Gruppe. Dieser Kampf läuft vor allem
B4-
zwischen den ältesten Jungen der Gruppe ab. Der Jüngste der Gruppe
und die Mädchen werden hier kaum einbezogen. Gerade die Fähigkeiten
der Mädchen, sich selbst zu beschäftigen (Blockflöte spielen, lesen
..) werden von den Jungen nicht anerkannt. Hinzu kommt noch, daß das
aggressive Verhalten der Jungen, das oft auch gegen andere gerichte-
te Handlungen mit einschließt, für die jüngeren und auch die stille-
ren Kinder der Gruppe einen ungeheuren Lern- und Vorbildeffekt hat.
Von einer Gruppe in dem Sinne, daß sich die Kinder füreinander ver-
antwortlich fühlen, ein positives "wir-Gefühl" entwickelt haben,
kann leider nur in wenigen Situationen (z.B. bei Bedrohung von
außen...) gesprochen werden. Feste Rollen und Freundschaften gibt
es in der Gruppe, mit Ausnahme der Beziehung zwischen den beiden Mäd-
chen, nicht.
Die Gruppensituation wechselt täglich, da sie entscheidend von eini-
gen sehr aggressiven Jungen geprägt wird, die durch ihr Verhalten
viele positive Prozesse und Aktivitäten behindern. Wir Erwachsenen
mußten die Erfahrung machen, daß wir viele Werte und Normen und die
damit verbundenen Prozesse, die in der Gruppe zwischen den Kindern
laufen, kaum beeinflussen können, der "Gruppenboss" nicht von uns,
sondern nur von den Kindern selbst "entthront" werden kann.
4. WIR ERWACHSENEN
Begonnen haben wir die Arbeit mit 4 Sozialarbeiter(n)innen ("Paar'
und Ehepaar mit Kleinkind). Unsere Voraussetzungen für eine Kinder-
hausarbeit waren denkbar ungünstig, denn wie sich in der Arbeit zeig-
te, kannten wir einander viel zu wenig, als daß ein Zusammenleben
und -arbeiten möglich gewesen wäre. Als Entschuldigung können wir
anführen, daß in der Vorbereitungszeit der Streß für alle so groß
war, daß keine Möglichkeit zu ausführlichen Diskussionen über unse-
re Ansprüche und Perspektiven gegeben war. Wir glauben jedoch nicht,
daß keine Möglichkeit zu ausführlichen Diskussionen über unsere An-
sprüche und Perspektiven gegeben war. Wir glauben jedoch nicht, daß
durch Diskussionen die unbefriedigende Lösung: wir haben uns nach
1 1/2 Jahren getrennt, das Ehepaar mit Kind ist ausgezogen, hätte
vermieden werden können.
Von Anfang an war klar, daß die Pärchen auch als solche im Haus woh-
nen und zumeist auch arbeiten würden. In der Endphase der dauernden
schwelenden Konflikte war es dann so, daß in 2 Wohnungen je 2 Leute
vielleicht das gleiche Fernsehprogramm ansahen. Eine unmögliche Sa-
che, wenn man den Anspruch hat, in einer Alternative mit Kindern
gemeinsam zu leben! Gerade dieser Anspruch des "Zusammenlebens" war
unser Hauptkonflikt. Jede Wohngemeinschaft weiß um die Konflikte,
die schon beim Zusammenwohnen entstehen. Wir wohnten aber nicht nur
zusammen (wenn auch ohne WG-Anspruch), sondern mußten auch zusammen
arbeiten. Da wir keinen Schichtdienst machten und jeder jeden bei
der Arbeit beobachten konnte, ergab sich für uns eine totale Situa-
tion.
Konflikte entstanden vor allem dadurch, daß wir sehr genau den Wi-
derspruch von propagiertem Anspruch, und dem, was der/die andere
tatsächlich in die Praxis umsetzte, mitbekamen. Aussprachen und
-85-
Kritik wurden so immer umfassender und stellten dann bald die Per-
son als ganze in Frage. Zu diesem Zeitpunkt strukturierten sich die
Konflikte dann wieder paarweise, sicher deshalb, weil eine solche
Kritik die Zweierbeziehung, in der man sich ja seit Jahren in den
gerade kritisierten Rollen und Verhaltensweisen gegenseitig stabili-
siert, in Frage stellt und damit Angst mobilisiert.
Ursachen für die Trennung waren die unterschiedlichen Einstellungen der
Erwachsenen zu den Kindern, unterschiedliche Lebensschwerpunkte, Kon-
sumverhalten, Trennung von Arbeit und Freizeit, große Widersprüche
zwischen nach außen propagiertem Anspruch, den Kindern gesetzten
Regeln - und seinem eigenen "privaten" Verhalten, daß eben unserer
Meinung nach nicht mehr privat war!!
Eine gemeinsame Basis war so nicht vorhanden, und über Absprachen
auf unseren "Team''-Besprechungen konnte auch keine gemeinsame Pra-
xis erreicht werden. Mit dieser unserer Meinung werden die ausge-
schiedenen Mitarbeiter vermutlich nicht übereinstimmen. Dazu ist
noch zu bemerken, daß eine Diskussion über alles, was verkehrt gelau-
fen ist, nicht mehr möglich war und der Auszug auch ein Abbruch un-
serer Beziehungen ist. Eine Konfliktlösung, die keine ist, und weit
hinter dem Anspruch, den wir alle hatten, zurückbleibt!
Gelernt haben wir aus diesem Prozeß, daß für eine gemeinsame Zusam-
menarbeit eine Übereinstimmung in vielen Bereichen notwendig ist, die
über formale Absprachen hinausgeht. Mit neuen Leuten haben wir jetzt
im Oktober einen neuen Anfang gemacht. Wir kannten uns noch weniger,
haben jedoch den Willen, es zusammen zu probieren und auch als WG
zusammenzuleben. Die Konflikte werden durch eine gemeinsame Wohnsi-
tuation nicht weniger, müssen aber zwingend gelöst werden und das
eben nicht zwischen den Paaren. Klar geworden ist uns auch, daß wir
von einer Alternative nicht reden können, wenn wir den Kindern ihre
"Familienidylle" in unseren Zweierbeziehungen vorleben, und damit
ihre Klischees noch manifestieren.
5. ORGANISATION DER ARBEIT
Die zur Verfügung stehenden Gehälter teilten wir so auf, daß jedem
Paar in etwa der gleiche Betrag ausgezahlt wurde. Eine Wirtschafts-
kraft stellten wir nicht ein, da wir auf das Geld angewiesen waren,
aber auch deshalb nicht, weil wir den Kindern nicht vermitteln woll-
ten, daß es eine "Frau für das Gröbste" gibt. Vielmehr versuchten wir,
die Kinder an allen anfallenden Arbeiten (putzen, kochen, waschen)
zu beteiligen. Von Beginn der Arbeit im Kinderhaus an haben wir ver-
sucht, alle anfallenden Arbeiten im Rotationsverfahren wechseln zu
lassen, um eine Rollenfestschreibung auf bestimmte Arbeiten zu ver-
meiden. Aufgaben wie: Kochen, Saubermachen wechseln wöchentlich.
Kassenführung, Wäsche und Badezimmer reinigen monatlich. Für die
Kinder ist das, was wir im Haus machen, nicht arbeiten. Besonders
deutlich wurde das, als sie sich Sorgen machten, wer denn die Schul-
den für das Haus zahlen sollte, wenn wir auch nicht mehr (im Jugend-
amt) arbeiten würden.
Mein Anspruch, daß alle Arbeiten von allen gemacht werden sollen und
auch können, wenn man den Anspruch hat, dazuzulernen, wurde nicht
-86-
von allen geteilt. Als wir unsere Arbeit in einem noch nicht fertig
renovierten Haus begannen, wurde kaum über solche Ansprüche disku-
tiert, vielmehr übernahm jede/r die Sachen, die ihr/ihm schnell von
der Hand gingen.
Einfügen will ich hier noch, daß die unterschiedliche Verantwortlich-
keit für die Arbeit im’ Kinderhaus und damit das Engagement recht bald
einen großen Konflikt darstellten. Es stellte sich auch heraus, daß
wir nicht zu viert, sondern nur zu dritt im Kinderhaus arbeiteten,
da Anne oder Bruno sich jeweils mit ihrem Kind beschäftigen mußten,
die Arbeitsbelastung für uns dadurch wuchs. Im ersten Halbjahr waren
wir durchgehend 10 bis 12 Stunden für die Kinder da, und leisteten
uns alle 2 Wochen ein freies Wochenende.
Seit Oktober wohnen wir nicht nur zusammen, sondern engagieren uns
auch gleich in der Arbeit, teilen unsere Gehälter durch vier und ar-
beiten auch an den Wochenenden nicht immer als Paare zusammen.
6. UNSERE ROLLEN UND KLISCHEES
Als 2 Paare, die auch als solche in 2 Wohnungen einzogen, stabili-
sierten wir für die Kinder das Paar- und Kleinfamilienklischee. Die
Kinder redeten dann zumeist von Anne und Bruno sowie von Christa
und Dieter. Die Praktikantin Elke war für sie, da ohne Freund, "un-
vollständig".
Jetzt, da wir zu viert ein Wohnzimmer Küche etc. haben und für die
Kinder deutlich wird, daß jede/r mit jeder/jedem zusammenarbeitet
oder auch in der Freizeit etwas gemeinsames unternimmt, reden sie
zumeist von "den Erwachsenen im Kinderhaus".
7. KLISCHEES DER KINDER
Die Klischeewelt der Kinder ist geprägt von den Werten, die sie in
Film und Fernsehen und im Elternhaus mitbekommen haben.
Unsere Mädchen spielen so: Blockflöte, mit Barbiepuppen, Hochzeit,
Modenschau, Verkleiden, spielen und basteln relativ ruhig. Sie ge-
hen davon aus, daß sie heiraten und Kinder haben und fragen oft,
warum ich nicht heirate. Da zur Gruppe nur zwei Mädchen gehören,
stehen sie oft in Konkurrenz zueinander, um die Gunst der Jungen.
Besonders ein Mädchen kann aus ihren Fähigkeiten keine Bestätigung
ziehen und ist mit 11 Jahren bereits stark auf die Anerkennung der
Jungen angewiesen. Obgleich die Mädchen im Vergleich zu den Jungen
bedeutend kreativer sind, gelten ihre Fähigkeiten in der Gruppe we-
nig, werden oft als "typischer Mädchenkram" abgetan.
Bei den Jungen dominiert das Bild des "starken Mannes", der tolle
Kisten fährt, zuschlägt, sich von Frauen umschwärmen läßt, angibt...
Dieses Klischee beinhaltet den Zwang, sich durchzusetzen, dauernd
um seine Position kämpfen zu müssen, sich nicht ruhig zurückziehen
zu können, keine Zeit zu haben, um z.B. Bastelaktivitäten zu Ende
zu führen. Fast alle Jungen der Gruppe sind im Pubertätsalter, die
meisten hatten große Schwierigkeiten mit ihren Müttern, oft zusätz-
lich verstärkt durch eine Scheidung der Eltern.
Erschreckend war für uns die "Doppelmoral" der Kinder, die Jungen
und Mädchen bei gleichem Verhalten völlig unterschiedlich beurteil-
ten. So wurde ein Mädchen der Gruppe, das in einer Woche 2 "Freunde"
-87-
hatte, von den Jungen als Hure beschimpft, während die Jungen sich
damit groß tun, viele Freundinnen zu haben, und hübsche Freundinnen
schon hier ein Prestigeobjekt sind.
8. UNSERE BEZIEHUNGEN ZU DEN MÄNNERN
Da unsere Beziehungen zu den Männern sicher wesentlich die Kritik
an ihnen beeinflußt, sollen sie hier kurz geschildert werden.
Über Bruno, der jetzt nicht mehr im Kinderhaus arbeitet, können nur
Elke (die Praktikantin) und ich etwas sagen. Bruno gegenüber hatten
wir anfangs beide starke Unterlegenheitsgefühle. Die Sicherheit, mit
der er vom Kinderhaus als Alternativprojekt redete, der Zeitspanne,
die er hier arbeiten wollte, ängstigte uns. Wir fragten uns, ob wir
diesen Anforderungen genügen würden, konnten uns die Arbeit, das
tägliche konkrete Zusammensein mit den Kindern zu wenig vorstellen,
um solche Aussagen treffen zu können. Auf politischen Veranstaltun-
gen wirkte Bruno immer sehr sicher, vertrat politische Ansprüche,
die wir vergeblich in sein Verhalten umgesetzt suchten. Wir glauben,
daß wir gerade aus den anfänglichen Minderwertigkeitsgefühlen gegen-
über Bruno sein tatsächliches Verhalten später umso enttäuschender
und schlimmer empfanden und auch stark kritisierten.
Da in die Kritik an meinem Freund Dieter auch wesentlich unsere Be-
ziehungskonflikte hineinspielen, will ich diese kurz beschreiben.
Wir kennen uns seit 4 Jahren, wohnen so lange zusammen und arbeiten
auch zusammen. Im Jugendamt fühlte ich mich Dieter oft unterlegen,
da ich die Verwaltungspraktiken nie so gut beherrschte, sie vielleicht
auch nicht lernen wollte. Im Kinderhaus fühle ich mich wohler, stehe
aber dennoch oft in einer Konkurrenzsituation, da Dieter oft ein be-
deutend positiveres feed back von den Kindern bekommt. Für Außen-
stehende bin ich im verbalen Bereich sicher dominant. Da ich immer
bemüht bin, Konflikte zu bereden und das auch vor den Kindern, kam
von denen schon der Satz: "Wenn Christa und Dieter sich streiten,
hat immer Christa recht".
9. VERHALTEN DER MÄNNER IM KINDERHAUS
Dazu muß gesagt werden, daß diemännlichen Betreuer Bruno und Dieter
im Kinderhaus sehr unterschiedliche Verhaltensweisen an den Tag le-
gen/ legten. Unser Ziel ist es nicht, einen "Prototyp des Sozialmak-
kers" zu finden, sondern konkrete Verhaltensweisen zu beschreiben
mit ihren Auswirkungen auf uns und die Kinder.
Kritisiert haben wir an Bruno seine ironisch gefärbten Sprüche, mit
denen er sehr von oben herab auf Fragen der Kinder reagierte, seine
Unfähigkeit, auf Kinder emotional einzugehen, sich in die Kinder
reinzuversetzen, ein Imponiergehabe, mit dem er einerseits Kinder
schnell abkanzelte und vor den anderen bloßstellte, auf der anderen
Seite aber selbst versuchte, über bestimmtes Verhalten Anerkennung
zu erhalten.
Wir hatten oft das Gefühl, daß Bruno sich in den Prestigekampf der
Kinder untereinander miteinbezog und vielleicht unbewußt die Rolle
des "Chefs" anstrebte. So argumentierte er zumeist ähnlich aggres-
-88-
siv, wie die Kinder und spielte in langen Streitgesprächen über
Fußball-Auf- und Abstieg eine führende Rolle. Versuchten wir bei
Tisch auf einzelne Kinder ruhig einzugehen, den Berichten aus der
Schule zuzuhören und nachzufragen, so provozierte Bruno oft, unter-
brach die Kinder mit ironischen Bemerkungen. Die Kinder waren dieser
Ironie ausgeliefert und reagierten zumeist mit Aggressionen, da sie
sich zu Recht verarscht fühlten. Ergebnis solcher Situationen: der
Lärm- und Aggressionspegel bei Tisch stieg, immer weniger Kinder
wandten sich mit Problemen und Fragen an Bruno, was ihn nicht daran
hinderte, seine Meinung vom Nebentisch herüberzurufen.
Anne, die Frau von Bruno, die sicherlich mit den von Bruno an den
Tag gelegten Verhaltensweisen nicht immer einverstanden war, bezog
kaum Stellung oder sagte nichts zu diesem Verhalten. Anne selbst
war selten in der Gruppe und in ihrem Verhalten den Kindern gegen-
über sehr unsicher, da sie nur sporadisch und unkontinuierlich auf-
tauchte und von den Kindern kaum akzeptiert wurde.
Für die Kinder und uns reduzierte sich Anne auf Brunos Frau. Bruno
selbst hatte bei den Kindern die "anerkannte" Stelle des starken
Mannes, dessen Verbote und Regeln kaum hinterfragt werden. Er ver-
suchte, aus Unsicherheit auf Verhaltengweisen der Kinder, oft mit
Strafen zu reagieren (Hausarrest...) und diese dann konsequent gegen-
über allen Kindern unabhängig von der Situation durchzuhalten. Ver-
hielten wir uns anders, so kam nicht selten von den Kindern die Auf-
forderung: "Bei Bruno müssen wir aber..." Erst nach etwa einem Jahr
waren die Kinder in der Lage, sich auch gegen Bruno wehren zu kön-
nen,
War Brunos Verhalten offensichtlich und leicht zu kritisieren, da
oft geradezu klischeehaft "männlich", so fällt eine Kritik an Dieter
wesentlich schwerer, da er kaum offensiv auftritt, sehr ruhig und
geduldig wirkt und im Gegensatz zu Bruno auch ein emotionales und
zärtliches Verhältnis zu den Kindern hat. y
Wir haben selten Situationen erlebt, in denen Dieter uns emotional
betroffen oder genervt erschien. Dieter ist für die Kinder fast immer
ansprechbar, auch wenn er "frei" hat oder z.B. gerade einen noch nicht
gelösten Konflikt mit einem Kind. Konflikte, in denen die Kinder ih-
re Aggressionen an uns abreagieren, kann Dieter zumeist geduldig
über sich ergehen lassen. Wir kritisieren an ihm dieses "Nicht-be-
troffen-sein" und sehen darin auch eine gewisse Gleichgültigkeit ge-
genüber den Kindern, die auch in einem Satz von Dieter: "Jedes Kind
entwickelt sich nun mal .... und wir sind halt auch dazu da, die Ag-
gressionen der Kinder auszuhalten..." unserer Meinung nach zum Aus-
druck kommt.
Akzeptiert wird auch Dieter von den Kindern als richtiger Mann. Wo-
bei wir als eine Ursache sehen, daß Dieter bedeutend schneller sel-
ber Entscheidungen trifft, bei denen wir erst mit den anderen Be-
treuern, aber auch mit den Kindern diskutiert hätten. Bei Wünschen
wenden sich die Kinder sehr oft an Dieter, weil sie die Erfahrung
gemacht haben, daß sie hier schnell etwas "abkummeln" können. Wäh-
rend wir immer mit ihnen reden und versuchen, sie zu einer eigenen
Entscheidung kommen zu lassen, reagiert Dieter oft mit "ja" oder
"nein", was für die Kinder wie auch für Dieter bedeutend einfacher
und bequemer ist. Wichtig ist für die Kinder nicht, wie oft Dieter
sich wirklich hat "breitschlagen" lassen und den Wünschen der Kin-
der ohne Erklärung nachgekommen ist, sondern das Gefühl der Kinder,
-89-
daß sie von ihm immer eine definitive Entscheidung bekommen. Wir kri-
tisieren an Dieter hier ein "Vaterverhalten", das die Kinder nicht
selbständig macht, vielmehr in Abhängigkeit hält. Unterstützt wird
dieses Vaterbild noch dadurch, daß er gegenüber den Kindern nie
eigene Bedürfnisse äußert, fast immer ansprechbar ist und auch
einen Dienst um die Uhr gut verkraftet.
Wir glauben, daß Dieters distanzierteres Verhältnis zu den Kindern,
seine geringe persönliche Betroffenheit, gerade eine Voraussetzung
für eine längere Arbeit im Kinderhaus ist, die wir unter diesen Um-
ständen jedoch ablehnen.
Im Freizeitbereich war er bisher derjenige, der mit den Kindern am
meisten rumtobte, Fußball spielte, schwimmen ging, Fahrräder repa-
rierte und über diese Aktionen recht viel Zuwendung bezog. Solche
Aktivitäten haben für die Kinder zumeist ein anderes Prestige als
die Sachen, die wir angeboten haben. Das heißt nun nicht, daß wir
z.B. nicht mit den Kindern schwimmen gehen oder Dieter nicht bastelt,
diese Klischeebilder haben die Kinder noch stark verinnerlicht. Oft
ist es jedoch so, daß wir diese Klischees nähren. Dieter geht z.B.
gern mit Kindern zum Schwimmen und läßt sich von den Großen hier
stundenlang tauchen, oder bei Tobespielen boxen und schlagen, ohne
eine Reaktion zu zeigen. Wir kommen bei solchen Spielen sehr schnell
an unsere körperlichen Grenzen, lehnen es aber auch ab, Schlag- oder
Boxobjekt der Kinder zu sein. Auffallend ist, daß sich die Kinder
den männlichen Betreuern gegenüber oft körperlich aggressiv nähern
und auch versuchen, Konflikte so auszutragen. Unserer Meinung nach
handelt es sich hier um ein erlerntes Verhalten, die Kinder haben die
Erfahrung gemacht, daß die Männer auf körperliche Auseinandersetzun-
gen eingehen.
Die Möglichkeit der Männer, ihre Körperkraft im Kinderhaus einzu-
setzen, wird von uns stark kritisiert. Gerade bei kleinen Konflikten
mit den Kindern setzen die Männer bewußt oder unbewußt ihre körperli-
che Autorität ein. Da wird ein Kind zum waschen gezerrt, einem gros-
sen Jungen der Arm umgedreht, ein Kind die Treppe hinaufgetragen...
Diese Verhaltensweisen haben wir bei allen Männern , die im Kinder-
haus arbeiteten (auch kurzfristigen Praktikanten) feststellen kön-
nen. Wir - Frauen - können uns auf einen solchen Machtkampf nicht
einlassen, lehnen eine Erziehung mit körperlicher Gewalt bewußt ab.
Für die Kinder sind wir so die Frauen, die reden, erklären, diskutie-
ren, bitten, zetern... aber wenig Möglichkeiten haben, sich durch-
zusetzen, also schwach sind.
Im folgenden wollen wir versuchen, unterschiedliches Verhalten und
Empfinden von Männern und Frauen im Kinderhaus an einigen Situationen,
die für uns große Konflikte darstellen, die wir aber für typisch hal-
ten, zu beschreiben.
Fußballkonflikt
Ein großer Konflikt während unseres Urlaubs war in diesem Jahr der
Fußballkonflikt. Dieter spielte in den ersten Tagen mehrere Stunden
mit den großen Jungen Fußball. Ein Spiel, das nach unseren Beobach-
tungen Aggressionen fördert, zum "Holzen" herausfordert. Wichtig
für die Jungen war immer, wer gewinnt, klar war, daß die Seite, auf
der Dieter spielte, die Siegerseite war, die andere Seite war der
-90-
"Schrott", und nach einem solchen Spiel war für den Rest des Tages
die Gruppenhierarchie wieder neu bestimmt. Die Kinder waren kaum
noch bereit, etwas anderes zu spielen oder sich allein zu beschäfti-
gen. Wichtig war, wann Dieter wieder mit ihnen Fußball spielen würde.
Dieter konnte unsere Kritik an dem Spiel nicht einsehen, hatte die
meisten Reaktionen der Kinder nicht wahrgenommen, spielte selber
gerne Fußball... Wir waren sauer, weil wir die Fußballaggressionen
mit ausbaden mußten, Streitereien schlichten, beruhigen mußten, aber
auch weil Vorschläge von uns für die Jungen vollkommen uninteressant
waren. Wir fühlten uns "out", kein Kind bezog sich mehr auf uns. In
solchen Situationen ist es schwer, eine richtige Kritik am Verhalten
von Dieter auseinanderzuhalten von einem Unwohlsein, daß die Kinder
einen selber im Moment nicht brauchen und den leicht damit verbunde-
nen Eifersuchtsgefühlen. (Konkurrenz der Betreuer)
Um einmal aus der dauernden Quatsch - und Zeterrolle herauszukommen,
hatten wir besprochen, daß die Männer versuchen sollten, auf der
Kinderbesprechung die politische Realität und die Ereignisse um die
Fußball-Weltmeisterschaft etwas zu problematisieren. Da wir uns gar
nicht für Fußball interessieren, wäre unsere Ablehnung der Fußball-
WM für die Kinder nicht überzeugend gewesen und hätte einen Verbots-
charakter gehabt. Überrascht waren wir natürlich, daß die Männer für
sich selbst sehr wenig problematisierten und jede Möglichkeit, ein
Spiel zu sehen, nutzten. Bruno reagierte dann beim Spiel seine Aggres-
sionen ab, was für die Jungen wieder einen unheimlichen Vorbild-
charakter hatte. Klar war auf jeden Fall, daß Fußball einige Wochen
im Kinderhaus dominierte. Jedes Kind stand unter dem Zwang mitreden
zu müssen, die Aggressionen stiegen wenn Deutschland verlor oder wir
Frauen das ganze als Mist bezeichneten. Wir haben oft das Gefühl
gegen einen Berg von Gewalt und Kraft und Macht anzureden, den Kin-
dern andere Werte vermitteln zu wollen aber bei solchen Situationen
einen Rückschlag zu erhalten.
Der Autokonflikt
Zwei Tage vor unserer Ferienfahrt fuhren wir Frauen mit unserem Bulli
die Fahrräder in unser Ferienquartier. Unterwegs bleiben wir mit
einem Kolbenfresser liegen. Eingeschüchtert blickten wir auf den
qualmenden Motor und waren froh als der ADAC-Mann kam. Typisch war
sicherlich auch, daß wir eine Entscheidung der Männer im Kinderhaus
abwarteten, ob der Bulli im Ort repariert oder nach Hause zurückge-
schleppt werden sollte. Nach diesem Streßtag hörten wir am nächsten
Tag von den Kindern ganz typische Sprüche: "Klar, daß die Frauen
den Wagen kaputt fahren müssen", "den Männern wäre sowas nicht pas-
siert", "Bruno fährt immer so toll Rallye mit dem Bulli auf der
Autobahn...". Wir waren sauer und betroffen, fühlten uns angegrif-
fen und mußten uns auch noch selbst verteidigen, was unsere Stellung
natürlich noch mehr schwächte. Dieter machte die Reaktion der Kin-
der kaum betroffen, er äußerte nur, daß er Rallyfahren mit einem W
Bus voller Kinder auf der Autobahn auch ganz schön bescheuert fände,
engagierte sich sonst aber wie immer nicht in der Diskussion. Wie
oft nun Bruno wirklich Rally gefahren ist, wissen wir nicht, ist
auch nicht wichtig, da sich hier viele männliche Verhaltensweisen
wieder zu dem Schema verdichten, daß Männer eben toll und schnell
=
und gewagt fahren, die Autopanne aber typisch für die Frauen ist.
Oft ist unsere Kritik für die Jungen und die Männer in gleicher Wei-
se unbequem. Sie verlangt von den Männern doch ihren politischen An-
spruch auch in der Arbeit mit den Kindern einzubringen und nicht nur
für Fußball, schnelle Autos usw. zu schwärmen, sondern diese Sachen
auch einmal für sich zu problematisieren und daraus Konsequenzen zu
ziehen. Den Jungen werden damit ihre beliebten großen Identifika-
tionsmodelle genommen.
RERE
Konflikt Kinderbesprechung
Viel Kraft gekostet hat uns der "Kinderbesprechungskonflikt". Norma-
lerweise findet im Kinderhaus wöchentlich eine Kinderbesprechung
statt, an der alle Erwachsenen und Kinder teilnehmen, Konflikte und
Probleme angesprochen werden sollen, Unternehmungen geplant werden.
Wir hatten abgesprochen, den Kindern im Urlaub vom Auszug von Anne
und Bruno zu erzählen. Während des Frühstücks wollten wir dieses
Problem während einer Kinderbesprechung ansprechen. Elke, die ihr
Praktikum bald beendet hatte, wollte sich nicht mehr so stark enga-
gieren. Dieter gegenüber hegte ich keine großen Erwartungen, daß er
diesen Punkt ansprechen würde.
Ich saß also beim Frühstück, hatte Mühe, meine Tasse ruhig zu halten
und wartete einen ruhigen Moment ab. Versuchte - Ziemlich unsicher
und ängstlich ob der Reaktion der Kinder - zu erklären, warum wir uns
trennen, Anne und Bruno ausziehen würden. Die Reaktion der Kinder
war ganz anders als erwartet. Der Auszug war viel zu wenig konkret,
als daß sie betroffen hätten sein können. Die Frage der Kinder war:
Wer wird jetzt Heimleiter? Bruno war bisher offiziell der Heimleiter
gewesen, hatte aber eigentlich nie solche Funktionen wahrgenommen,
und wir konnten uns auch nicht erinnern, mit den Kindern einmal über
die "Heimleitung" gesprochen zu haben.
Ich versuchte, den Kindern zu erklären, daß doch egal sei, wer Heim-
leiter ist, da bei uns im Kinderhaus doch alle Erwachsenen das glei-
che tun. Diese Antwort befriedigte sie jedoch nicht. Da die großen
Jungen zu dieser Zeit sich über den Fußball nur noch auf Dieter
bezogen, hatten wir plötzlich einen Sprechchor am Frühstückstisch,
der Dieter als Heimleiter wählen wollte.
Elke merkte meine Unsicherheit und versuchte, klar zu machen, wie
unnötig ein Heimleiter sei und daß alles nur ein formaler Akt sei,
der vom Landesjugendamt so verlangt würde.
Ich erzählte dann, daß Bruno Heimleiter gewesen sei, weil er die
längste Erfahrung im Heimbereich gehabt habe. Die Kinder waren über-
zeugt, daß nun Dieter am erfahrensten sei. Dieter hatte sich bisher
nicht eingeschaltet. Ich versuchte zu erklären, daß ich länger mit
Kindern zusammengearbeitet hätte als Dieter, was Sprüche der Jungen
hervorrief wie: "das stimmt nicht"... "Frauen sind immer doofer"...
Dieter ist viel besser"... Ich war unheimlich betroffen, weil ich
fühlte, daß die Jungen mich direkt haßten, weil ich ihnen ihr star-
kes Männerbild kaputtmachte und es zu behaupten wagte, daß ich mehr
Erfahrung hätte. Betroffen war ich auch, weil Dieter die ganze Zeit
kaum etwas sagte, auf unsere Frage antwortete, es sei unsinnig, sich
mit Kindern auf eine solche Diskussion einzulassen. Beendet wurde
das Gespräch dadurch, daß ich sagte, ich wollte gar nicht Heimlei-
ter werden und die Kinder sich erleichtert Dieter zuwandten. Dieter
agis
hatte in der Diskussion einmal bestätigt, daß er nicht so viel Erfah-
rung habe wie ich, dieser Einwand war aber von den Kindern nicht wahr-
genommen worden.
Am Nachmittag dieses Tages machten wir eine Schnitzeljagd. Ich ging
mit den kleineren und schwächeren Kindern vor. Wir strengten uns an,
ein gutes Versteck zu finden. Die älteren kamen mit Dieter und Elke
nach. Wir hörten sie im Wald rumbrüllen, sie brauchten aber fast noch
eine Stunde und hätten uns fast in der vereinbarten Zeit nicht ge-
funden. Elke entdeckte uns schließlich.
Die Reaktion der Jungen, die diese lange Suche als ihre und Dieters
Niederlage empfanden, zeigte mir, in welcher Zwickmühle ich als Frau
steckte. Sie verschworen sich sofort untereinander, versuchten, alle
Körperkontakt zu Dieter zu bekommen und planten für den nächsten Tag
ein Gegenspiel, bei dem wir sie gewiß nicht finden würden. Der Erfolg
"unserer Partei", bei der ja nur eine Frau dabeigewesen war, kränk-
te sie, ein Erfolg von Dieters Partei hätte ihm und den anderen Kin-
dern Anerkennung eingebracht.
Zugespitzt formuliert heißt das, daß wir den Kindern mit unserem Ver-
such, uns nicht als typische Frauen zu verhalten, ihre Klischees neh-
men und damit, da wir das starke Mann-Bild der Jungen in Frage stellen,
auch wahre Haßreaktionen herausfordern, die uns persönlich sehr be-
treffen, weil wir halt auch auf eine psotive Rückmeldung von seiten
der Kinder angewiesen sind.
Dieter reagierte in all diesen Situationen kaum auf die gegen uns
als Frauen gerichteten Äußerungen, was wir als sehr schlimm empfan-
den. Seine geringe Bereitschaft, hier Stellung zu beziehen, mußte
unserer Meinung nach die Kinder in ihrem Verhalten, daß die Frauen
zwar reden, die Männer aber stärker und besser sind, noch bestärken.
Kritisiert haben wir in solchen Situationen auch die Einstellung,
daß man mit Kindern halt solche Sachen nicht diskutieren kann und
sich von ihrer Meinung und Reaktion auch nicht so betroffen machen
lassen darf.
lo. UNSERE ANSPRÜCHE, GEFÜHLE, BEDÜRFNISSE ALS FRAUEN
Zu Beginn der Kinderhausarbeit hatte ich nur wenig Ansprüche und Be-
dürfnisse formulieren können, die für mich in einem Zusammenleben mit
Erwachsenen und Kindern wichtig sind. Was wir wollen ist uns viel-
fach klar geworden an dem Unwohlsein über das, was die Männer mach-
ten.
Wir können und wollen unsere politischen und feministischen Ansprüche
nicht von der Arbeit im Kinderhaus trennen. Die Kinder wissen, daß
wir uns in Frauengruppen engagieren und haben durch uns hoffentlich
einen Bezug dazu. Wichtig finden wir, im täglichen Kleinkram nicht
zu vergessen, daß wir die Kinder zur Selbständigkeit und Kritik er-
ziehen wollen, und von daher lieber Diskussionen anregen als bequeme
Entscheidungen zu treffen. In Entscheidungen sollten nach Möglich-
keit alle Erwachsenen und auch Kinder einbezogen werden, zumindest
sollte immer versucht werden, Entscheidungen für die Kinder durch-
sichtig zu machen.
Durch das Zusammenleben mit den Kindern sind die Kinder für mich
nicht einfach Objekte, sondern Partner, deren Reaktionen mich oft
-9 3-
sehr kränken können. Wir Frauen finden es richtig, auch zu zeigen,
wenn wir sauer sind oder uns von einem Kind beleidigt fühlen, und
nicht alle Betroffenheit zu überspielen. Eine Forderung von uns ist,
daß typische Rollenklischee: Männer reparieren das Auto, sind im
Werkkeller...Frauen sitzen an der Nähmaschine, backen Kuchen, abzu-
bauen, auch wenn man sich dabei oft selber mal einen Tritt geben
muß. Da von den Männern diese Forderung oft als übertrieben ("man
kann nicht in einem Jahr alles ändern") abgetan wird, führen wir
hier einen Kampf an drei Fronten:
-Wir müssen unsere eigene Trägheit überwinden und uns auf ein Ge-
biet begeben, was neu ist und uns zunächst wenig Erfolgserlebnisse
verspricht.
-Wir müssen mit Hilfe der Männer Fähigkeiten erwerben, die uns fremd
sind.
-Es gilt zu erreichen, daß uns die Kinder auf diesem"'neuen" Gebiet
akzeptieren und z.B. unsere Hilfe beim Fahrradreparieren nicht zu-
rückweisen.
-Wir können eben nicht nur über Rollenstrukturen jammern und schim-
pfen, sondern müssen auch wissen, wo das Reserverad, der Wagenhe-
ber sitzen, wie die Bohrmaschine im Bohrständer befestigt werden muß
usw.
Wichtig erscheint es mir, daß wir uns hier selber mal mehr zutrauen
und mutiger sind, uns vom ersten Mißerfolg nicht gleich abschrecken
lassen. Vielleicht ist es auch notwendig, daß wir aus dem Wissen
heraus, daß wir z.B. Regale bauen, Lampen anschließen können, ähn-
lich wie die Männer Bestätigung und Selbstvertrauen zu ziehen lernen.
An vielen Reaktionen unserer 11/12 jährigen Mädchen wird mir klar,
warum ich noch jetzt mit meiner Unsicherheit und Ängstlichkeit mit
dem mir nicht zutrauen soviel zu kämpfen habe. Überschätzen sich
die Jungen eigentlich in allen Situationen, "die Strecke schaff ich
in 2 Stunden, die putzen wir aber..., aus dem Rad bau ich eine tol-
le Maschine...", so trauen sich die Mädchen an viele Sachen gar
nicht heran, auch wenn es deutlich ist, daß sie wie z.B. beim Rudern
bedeutend besser sind als die Jungen. Ähnlichwie die Mädchen, die
sich auf Grund der Sprüche der Jungen und ihrer bisherigen Sozialisa-
tion nicht trauen, reagieren auch wir. Die Selbstverständlichkeit,
mit der die Männer davon ausgehen, daß man ... selbst reparieren kann,
entmutigt uns zumeist noch mehr. Wir missen also nicht nur die Mäd-
chen ermutigen und stärken, sondern auch uns selbst. An mir selber
kritisiere ich hier auch, daß ich als wir unter uns diskutiert haben,
daß ich die "Heimleiterstelle" besetzten soll, mich mit Händen und
Füßen dagegen gesträubt habe. Meine Argumente dabei waren: ich kann
und will das nicht, Dieter hat sich da schon besser eingearbeitet,
ich will keine "Aushängefrau" sein. Argumente, die keine sind, die
mich aber davor bewahrten, mich mit der geschmähten Verwaltung näher
auseinanderzusetzen und die Rückzugsmöglichkeit, "Unsicherheit! auf-
zugeben.
Schwierig ist es für uns zu unterscheiden zwischen Rollen, die es
sich lohnt aufzubrechen und Sachen, die zu einem "Krampf" werden
würden. So konnte ich mich bisher nicht aufraffen, auf dem Fußball-
feld mitzumachen und möchte das jetzt auch nicht mehr lernen, da
ich das Spiel nicht mag und die Sache für mich wirklich "krampfig"
geworden wäre. Daß ich meine Kenntnisse beim Fahrradreparieren auch
-94-
noch nicht vorangetrieben habe, muß ich gestehen. Es stimmt schon,
man stabilisiert sich in seinen Rollen gegenseitig!
Der Anspruch, typische Rollen aufzuheben, beinhaltet aber nicht nur
die Tätigkeiten im Haushalt und Freizeitbereich zu wechseln, sondern
auch im Verhalten gegenüber den Kindern ähnlich zu reagieren. Es
geht nicht an, daß wir betroffen reagieren, die Männer sich mehr ge-
fallen lassen, wir uns bei frauenfeindlichen Sprüchen der Kinder auch
noch immer selbst verteidigen müssen. Aus diesen Erfahrungen her-
aus unsere Forderung an die Männer: sensibler zu werden, sich nicht
als Pädagogen zu verhalten, sondern den Kindern auch zu zeigen,
daß sie traurig...sind.... Unsere Forderung, auch mal traurig zu
sein!!!!
Mit einem Spruch: weniger Mann - mehr Mensch!!!!
Ein wichtiger Anspruch ist für uns die Forderung, die Kinder ohne
Gewalt zu erziehen, und auch nicht über das Gefühl , daß sie halt
wissen, wir sitzen am längeren Hebel, zu irgendetwas zu zwingen.
Diese Forderung beinhaltet: weniger Entschlüsse und schnelle Ent-
scheidungen, kein Einsatz körperlicher Stärke, mehr reden, argumen-
tieren (oft ermüdend und unbequemer) und auf Einsicht warten!!
Dazu gehört auch, den Kindern unsere Einstellungen und Anschauungen
nicht zu erzählen, sondern vorzuleben. Also zu versuchen, in einer
Wohngemeinschaft zu wohnen, zu erklären, warum man bestimmte Sachen
kauft oder nicht kauft, Konflikte zwischen einzelnen Erwachsenen
nicht krampfhaft vor den Kindern zu verheimlichen.
11. WAS HABEN WIR FRAUEN GEMACHT
Bedingt durch unsere Sozialisation, durch unsere Fähigkeiten und In-
teressen, haben wir Frauen im Kinderhaus vor allem die Bereiche:
Basteln, Handarbeiten, (teilweise Küche) abgedeckt. Die Kinder se-
hen, daß wir uns auf diesen Gebieten betätigen und fragen dann auch
uns, wenn sie etwas zu nähen haben oder Klebstoff suchen. (Nach einem
Schraubenzieher bin ich noch nie gefragt worden). An Aktivitäten, die
wir mit den Kindern gemeinsam gemacht haben, sind zu nennen: malen,
töpfern, batiken, emaillieren, Kerzen gießen, Mobiles basteln, ...-
Für die Kinder strukturiert sich recht bald: Frauen/Bastelraum, Män-
ner/Werkraum. Nach Absprache haben über einen Zeitraum von einigen
Wochen nur die Frauen Angebote im Werkkeller gemacht. Die Vorstellun-
gen sind durch solche Aktionen jedoch nicht revidierbar, da im All-
tag wir Frauen halt mit dem Strickzeug rumlaufen, in der Küche Brot
backen, versuchen, die Kinder zum Beerensuchen und Marmeladekochen
zu motivieren, auf Spaziergängen Blumen pflücken und trocknen...-
Wir haben die Erfahrung gemacht, daß die Kinder sich viele unserer
Freizeitaktivitäten abgucken und über einen gewissen Zeitraum auch
interessiert sind mitzumachen. Als wir 2 Frauen z.B. einen Webkurs
bei der VHS machten, wurden die Kinder von unserern Aktivitäten mo-
tiviert, es auch einmal zu versuchen. Über einen Zeitraum von einigen
Wochen hat dann jedes Kind auf einem Webrahmen ein mehr oder weni-
ger gelungenes Stück selbst produziert.
Um meinen Anspruch durchzusetzen, geschlechtstypische Verhaltensmu-
ster im Kinderhaus abzubauen, stand ich oft unter dem Zwang, mich
frauenuntypisch zu verhalten und damit von Anne abzusetzen, die in
unseren Augen und denen der Kinder sehr stark die weiblichen Ver-
-95-
haltensmuster lebte. Grundsätzlich beziehen sich meine Aktivitäten
aber nur auf Sachen, die mir Spaß machen, hinter denen ich stehe und
in die ich die Kinder dann auch einbeziehen kann. Viele Außenaktivi-
täten werden von mir angeregt: Besuche bei Freunden, Wanderungen,
Besuche von Jugendzentren, Beteiligung am Flohmarkt, Bootsfahrten,
Museumsbesuche....
Allgemein ist es so, daß wir Frauen im Kinderhaus sehr viel mit den
Kindern reden, ihnen etwas erklären, ihnen zuhören, auf sie einge-
hen, versuchen sie von etwas zu überzeugen... Ironisch verhalten wir
uns gegenüber den Kindern eigentlich nie. Ich glaube, daß wir Frauen
zu den Kindern einen direkteren Kontakt und auch einen qualitativ
anderen haben als die Männer. Als Beispiel dafür kann ich nur nen-
nen: daß es mir immer ein Bedürfnis ist, eine Karte oder einen Brief
aus dem Urlaub an die Kinder zu schreiben, umgekehrt kann ich mich
aber auch sehr gut in die Situation der Kinder versetzen, die auf
einem Schullandheimaufenthalt sind und sich über eine Karte freuen
würden. Nach meinen Beobachtungen kommen Männer nicht auf eine sol-
che Idee.
Wir glauben, daß wir auf den oben umrissenen Gebieten sensibler rea-
gieren als die Männer und in diese "Gefühlsarbeit", die sich aus den
Kleinigkeiten: An Kleinigkeiten denken, Kinder noch einmal auf einen
Konflikt ansprechen, etwas schenken,über das man sich auch freuen
würde, Briefe an Kinder schreiben... zusammensetzt sehr viel Energie
und Gefühle investieren.
Problematisch ist für uns, wie wenig das, was wir machen, oft von
den Kindern anerkannt wird. Die Männer haben zumeist ein bedeutend
positiveres Feed back, dies dann zumeist auch noch durch Sachen,die
wir ziemlich stark kritisieren (Fußball, Einsatz von Körperkraft).
Schwierig auch das Gefühl, daß wir uns sehr viel mehr Gedanken über
die Kinder machen, meist stärker betroffen sind, abends noch lange
über das, was am Tag gewesen ist, reden müssen, das einzelne Kind
für uns wichtiger ist.
Sicherlich sind diese Gefühle typisch weiblich, wir können sie an
uns selber nicht kritisieren, da wir meinen, daß man Zusammenleben
mit Kindern schon mit einem Anspruch und emotionalem Engagement rea-
lisieren sollte.
Es bleibt jedoch unser Bedürfnis nach Anerkennung der Sachen, die
wir machen, eine positive Rückmeldung, die über das Gefühl hinaus-
geht, daß das, was wir machen,ein wichtiger "emotionaler Hintergrund"
für das Kinderhaus ist (die "Mutter", die im Verborgenen wirkt).
Emotionaler Hintergrund für das Kinderhaus insofern, als wir unsere
"Gefühlsarbeit" nicht nur in der Beziehung zu den Kindern leisten,
sondern auch in unseren Zweierbeziehungen und jetzt auch in unserer
Wohngemeinschaft. Überwiegend sind es in den meisten Fällen wir
Frauen, die Konflikte hier verbalisieren und den Anspruch haben, sie
zu diskutieren.
12. UNSERE BEZIEHUNG ZU DEN JUNGEN IM KINDERHAUS
Gerade bei den großen Jungen stehen wir oft unter dem Zwang, bedeu-
tend konsequenter sein zu müssen als die Männer, um anerkannt zu
werden. Bis wir einen Jungen von der Notwendigkeit des Duschens über-
sg:
zugt haben, vergeht oft 1 Stunde. Einige machen daraus dann ein
Spielchen und genießen die Extrazuwendung, die sie dadurch erhalten.
Auch bei Spielen und sportlichen Aktivitäten stehen wir oft unter
einem Leistungsdruck, z.B. spiele auch ich Tischtennis viel bewußter
auf Sieg, weil eine Niederlage von mir für die Jungen ein weiterer
Beweis ist, daß die Frauen eben nichts können, während Dieter so
etwas zugestanden wird. Bedrückend war für uns auch die Erfahrung,
daß die älteren Jungen, die sonst oft einen emotionalen Körperkontakt
zu uns suchen, auf einen kleinen Anstubser oder die etwas energische
Forderung, sich jetzt endlich auf den Schulweg zu machen, unerwartet
aggressiv reagierten. Von einem Mann einmal hart angefaßt zu werden,
akzeptieren sie, nicht jedoch von einer Frau, dies würde für sie eine
Demütigung bedeuten.
Die Jungen würden uns sicherlich viel mehr akzeptieren, wenn wir uns
entsprechend ihrer Vorstellungen von Frauen verhalten würden. Ihr
Idealbild ist das der jungen, hübschen, schlanken Frau. So sagt ein
Junge zu mir: "Jetzt bist du ja noch jung und schön, aber in einigen
Jahren bist du auch eine alte Oma". Da er mein Aussehen zur Zeit noch
als respektabel ansieht, geht er stolz mit mir auf Schulveranstal-
tungen, oder Hand in Hand durch die Stadt. Für die Jungen sind wir
besonders dafür da, ihre emotionalen Bedürfnisse zu befriedigen:
Schmusen, gute-Nacht-Kuss. Unsere Position wird hier zunehmend schwie-
riger, da wir das Gefühl haben, teils Mutterersatz, teils aber auch
Freundinnenersatz oder einfach Sexualobjekt zu sein. Elke, die ohne
Freund für sie offener wirkt, mußte sich schon gegen Klapse auf den
Hintern wehren. Daß auch die Männer, z.B. Dieter, zärtlich mit ihnen
umgehen, akzeptieren die Jungen, haben dann aber eine plausible Er-
klärung dafür: "Dieter hat mich gestern ganz schön gestreichelt,
das hat er sicher von dir gelernt". Fragen, die die Sexualität be-
treffen, stellen die Jungen an uns genauso häufig wie an die Männer.
13. UNSERE BEZIEHUNG ZU DEN MÄDCHEN IM KINDERHAUS
Wie bereits beschrieben unterscheiden sich die Klischeevorstellungen
der Mädchen in Bezug auf ihr Frauenbild und ihre Zukunftsträume
nicht wesentlich von denen der Jungen. Die Mädchen beobachten uns
stark und haben anfangs oft unser Aussehen, unsere Kleidung als zu
lässig kritisiert (geflickte Jeans, keine schicken Stiefel). Nach
einem Saunabesuch, an dem auch ältere Frauen teilnahmen, haben sich
die beiden Mädchen lange über deren Körper lustig gemacht (Hängebusen,
Wabbelbauch...). Schlimm empfinden wir es, daß die Mädchen Schimpf-
wörter der Jungen für ihre Geschlechtsorgane übernehmen, oder sich
bei den Jungen gegenseitig austricksen. Wir glauben, daß wir auf
dieses Verhalten der Mädchen sehr viel betroffener reagieren als die
Männer.
Anders als für die Jungen sind wir für die Mädchen in letzter Zeit
mehr Bezugspersonen und Identifikationsfiguren geworden. So kaufen
die Mädchen oft die gleichen Schuhe wie wir, leihen sich Kleidungs-
stücke von uns aus, reden von "wir Frauen", singen Texte von unse-
rer Frauenplatte, wobei die letzteren Verhaltensweisen vermutlich mehr
eine Anpassung an unsere Erwartungen sind, mit denen sie hoffen, un-
sere Zuwendung zu bekommen. Relativ offen sprechen uns die Mädchen
auf Sexualität an.
-97-
er sind, daß die Mädchen uns als Frauen und nicht
Freundin akzeptieren, kommen Fragen wie: Ob wir
sind, warum wir nicht heiraten....
Obgleich wir sich
als die Frau oder
stolz auf unseren »+-
Nach der Beobachtung von Klassenkameradinnen unserer Mädchen bei
einem Kindergeburtstag, und deren Verhalten gegenüber unseren Jungen,
haben wir überlegt, in nächster Zeit eine Mädchengruppe für unsere
Mädchen, deren Freundinnen und Mädchen aus der Nachbarschaft zu bil-
den. Wir hoffen, daß hier das Gefühl "wir Frauen/wir Mädchen" eine
echte Basis bekommen könnte.
14. BEZIEHUNGEN VON UNS FRAUEN UNTEREINANDER
Mit Elke und Erika hatte ich nach recht kurzer Zeit eine gute Be-
ziehung. Gute Beziehung insofern, als ich das Gefühl habe, meine
Probleme ansprechen zu können, verstanden zu werden, aber auch, was
ganz wichtig ist, kritisiert zu werden. Die Beziehungen zwischen
uns Frauen laufen über die gemeinsame Arbeit mit den Kindern, wo wir
feststellen können, daß wir in vielen Fällen ähnlich reagieren und
oft die Erfahrung machen, daß wenn wir das Problem nicht ansprechen,
es von der anderen Frau angesprochen wird. Diese Erfahrung hat uns
eine Sicherheit gegeben,die uns oft ermöglicht hat, auch heikle Sa-
chen bei unseren Teambesprechungen vorzubringen. Die Erfahrungen der
Übereinstimmung im Verhalten gegenüber den Kindern hat mich sehr
überrascht, kannte ich doch in beiden Fällen die Frauen vorher nicht,
bin aber schon 4 Jahre mit Dieter zusammen, ohne daß sich bei uns
solche gleichen Reaktionen, die nicht auf Absprachen beruhen, ein-
Stellen. Außer über die Kinder und unsere eigenen Gefühle nach einem
Tag im Kinderhaus, haben wir auch sehr schnell recht intensive, lan-
ge Gespräche über uns geführt. Dabei liefen die Gespräche immer zwi-
schen zwei oder drei Frauen und wurden von dazukommenden Männern
oft unterbrochen, bzw. wir haben selbst abgebrochen, das Thema ge-
wechselt und sind auf eine leicht ironische Spruch- und Plauderebene
umgestiegen.
15. PROBLEMATIK DER KINDERHAUSARBEIT
Hiermit meinen wir zunächst die Probleme, die wir als Erwachsene im
Kinderhaus haben, die wir zumeist geschlechtsspezifisch sehr unter-
schiedlich empfinden und zu lösen versuchen.
Zunächst einmal muß gesagt werden, daß die "Arbeit im Kinderhaus",
also das Zusammenleben mit Kindern, zumeist von den Alltagserfor-
dernissen strukturiert wird. Mit Kindern "Wäschedienst'" machen, Ko-
chen, zeigen, wie Klos geputzt werden, Kleidung einkaufen, Wäsche
ausbessern, Hosen flicken, Schulaufgaben machen, Zimmer aufräumen,
zum x-ten Mal ansprechen, wieso wieder alle Schuhe auf dem Flur rum-
fliegen und nicht im Regal stehen, Haare waschen, Taschengeld aus-
zahlen, Spiele aufräumen, Fingernägel schneiden.........Hinzu komt
noch eine Menge Verwaltungsarbeit, Kassenführung und Abrechnung.
(wir müssen jede Ausgabe belegen), Krankenscheine anfordern, Berichte
über die Kinder, Anträge...Situationen, in denen man wirklich mal
das Gefühl hat "pädagogisch" gearbeitet zu haben, sind selten. Man
kann halt nicht jeden Tag einen VW Bus anmalen oder alle Kinder zum
-98-
Keksebacken motivieren.
Uns ist zwar allen klar, daß Zusammenleben mit Kindern mehr heißt
als ein paar nette Freizeitbeschäftigungen anzubieten, und daß un-
ser Ziel, die Kinder an allen anfallenden Arbeiten zu beteiligen,
wichtig ist und für die Kinder auch mehr bringt - schwierig ist es
nur, aus den oben skizzierten, immer wiederkehrenden Tätigkeiten,
eine Befriedigung zu ziehen. Abends ist man oft völlig ausgelaugt
und hat das Gefühl, doch den ganzen Tag nichts vernünftiges gemacht
zu machen, nichts, was morgen noch da ist, nichts, was man sofort
imVerhalten der Kinder als positive Veränderung merken könnte,
Habe ich mich selber gegen eigene Kinder entschieden und gegen die
gefürchteten Hausarbeiten und die damit verbundene Isolation, so
komme ich mir jetzt manchmal schon als die Super-Mutter und -Haus-
frau vor, die den ganzen täglichen Klüngel eben nicht für 2 Kinder,
sondern für 8 Kinder macht. Sicher teilen sich die Arbeiten bei uns
4 Leute , es fällt aber bei unserem Haushalt auch einfach bedeutend
mehr an. Der größte Teil des Tages wird wirklich von Hausarbeiten:
Putzen, Wäsche, Einkaufen, Kochen bestimmt.
Die Schwierigkeit ist,daß diese Arbeit sicher notwendig und auch
richtig ist, wir aber selten Sachen planen können und noch seltener
positive Ergebnisse sehen können, also kurzfristig wenig Erfolgs-
erlebnisse haben, es sei denn, wir lernen es, aus den Notwendigkeiten
auch eine Befriedigung für uns zu ziehen.
Einer Isolierung zu entgehen ist für alle im Kinderhaus lebenden Er-
wachsenen schwer. Wir haben zwar intensiven Kontakt zueinander, sit-
zen täglich ca. 2-3 Stunden zusammen, um über die Kinder und am Tag
Vorgefallenes zu reden (zumeist abends von 10 Uhr bis...), finden so
aber kaum noch Zeit, uns in Gruppen zu engagieren, Kontakte zu
Freunden aufrecht zu erhalten oder aufzubauen. Gerade weil man im
Kinderhaus immer mit Kindern oder Erwachsenen konfrontiert ist, per-
manent auf jemand reagieren muß, ist auch oft nicht das Bedürfnis
nach Gesprächen in der Freizeit groß, sondern das Bedürfnis, unge-
stört in Ruhe etwas für sich zu tun. Genau dieses Bedürfnis, in der
Gewißtheit in den nächsten 2 Stunden in meinem Zimmer nicht gestört
zu werden, zu lesen, kann ich im Kinderhaus nicht befriedigen, da
die Bedürfnisse der Kinder einfach andere sind. Aus unseren bisheri-
gen Erfahrungen können wir alle sagen, daß wir in dem Zusammenleben
mit den Kindern sicherlich viele unserer Bedürfnisse befriedigen,
die Kinder bei vielen unserer "Hobbys" mitmachen, Arbeit und Frei-
zeit sich kaum trennen lassen, ein Restbedürfnis nach "Ruhe", mal
wieder Fachliteratur lesen, Zeit haben, Leute zu besuchen... aber
bleibt. Unser Ziel ist es, den Kindern auch klar zu machen, daß wir
Bedürfnisse haben, die mit ihren nicht immer übereinstimmen. Zur
Zeit ist es aber noch so, daß, wenn wir an einem "freien" Tag wirk-
lich allein sein möchten, uns nur die "Flucht" aus dem Kinderhaus
bleibt. Die "Flucht" geht dann natürlich durch das Treppenhaus, vor-
bei an Kindern, die fragen: Wo gehst du hin, kann ich mitkommen,
wann kommst du wieder, bringst du mir was mit??? Das schlechte Ge-
wissen, aber auch der Anspruch, an meinem freien Tag möglichst alles
das zu schaffen, was ich sonst nicht "in den Griff kriege", ver-
folgt mich .
Nach unseren bisherigen Beobachtungen kompensieren wir die "Begrenzt-
heit" unserer "Kinderhausarbeit' sehr unterschiedlich. Bei den Män-
-99-
nern ist auffällig, daß sie auf dem Gebiet von Werken, Renovieren,
Sachen reparieren, im Haus etwas erneuern, vielleicht ihr Bedürf-
nis nach konkreten Aufgaben, die auch ein "sichtbares" Ergebnis ha-
ben, ausleben. Bei Dieter kommt noch hinzu, daß er seine Leiden-
schaft" für die Verwaltung auch im Kinderhaus ausleben kann und in
seiner Freizeit oft Anträge für andere Kinderhäuser macht, oder de-
ren Abrechnungen übernimmt.
Wir Frauen sind im Frauenzentrum und machen Volkshochschulkurse. Im
Gegensatz zu den Männern, kann ich aus einer reparierten Lampe
kaum Bestätigung ziehen.
Wichtig wäre für uns, unser Verhalten im Kinderhaus auch einmal in
Frage zu stellen und vielleicht mit anderen Initiativen darüber zu
diskutieren. Wichtig wäre auch, sich außerhalb des Kinderhauses
noch zu engagieren. Gerade in den letzten Monaten ist mir klar- ,
geworden, daß durch unser WG-Zusarmenleben bedingt, ich noch weni-
ger Zeit und Kraft für Kontakte und Freundschaften außerhalb habe.
Unsere abendlichen Gespräche sind wichtig, unser Zusammensitzen t
ist auch zumeist recht entspannend, dennoch ist die Gefahr, daß wir
uns isolieren, recht groß, und zumindest ich empfinde es oft als
einen mir selbst auferlegten Zwang, nach 10 Stunden Kindern abends
noch etwas mit anderen Leuten zu machen. Der Vergleich mit der Mut-
ter, die abends auch nicht ausgehen kann, keine eigenen Interessen
hat, für ihre Kinder viel aufgibt, dafür dann Dankbarkeit erwartet,
trifft sicher auf uns nicht zu, die Grenze dorthin ist aber wohl
mehr in unserem Bewußtsein, als in unseren Gefühlen vorhanden.
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Janni Hentrich/Elke Schmid
FAMILIENPOLITIK —
FRAUEN ZWISCHEN HERD UND FLIESSBAND
1. EINLEITUNG
Es geht uns im folgenden darum, einen Beitrag zur ökonomischen und
geschlechtsspezifischen Analyse des Reproduktionsbereichs zu liefern.
Konkret wollen wir aufzeigen, daß Familienpolitik primär auf die
private Tätigkeit der Frau in Haushalt und Familie zielt. Je nach-
dem sollen familienpolitische Maßnahmen diese private Reproduktions-
tätigkeit fördern bzw. teilweise ersetzen.
Davon ausgehend wollen wir herausarbeiten, wie sich Familienpolitik
als Teil staatlicher Sozialpolitik auf die sich historisch verän-
dernden Bedingungen der Frauenerwerbstätigkeit bezieht.
Es geht uns also um die Darstellung allgemeiner Zusammenhänge, die
wir anhand historischer Fakten (von 1900 bis heute) belegen wollen.
Der Ausführung unserer Thesen haben wir jeweils einen Teil histori-
scher Konkretisierungen angefügt.
Natürlich wird an vielen Stellen Interesse an mehr Details und Argu-
mentationsmustern aufkommen wie auch das Problem anderer histori-
scher Interpretationsmöglichkeiten. Wir erheben jedoch keinen An-
spruch auf Vollständigkeit und wollen ebensowenig unseren Standpunkt
hinter scheinbarer wissenschaftlicher Neutralität verbergen. Viel-
mehr soll unser Artikel eine Anregung zur Weiterarbeit sein.
2. KURZER ABRISS ÜBER DEN CHARAKTER VON SOZIALPOLITIK
Wir gehen zunächst allgemein davon aus, daß im Kapitalismus der Ar-
beiter bzw. die Arbeiterin und deren Familie von Produktionsmitteln
und den Mitteln zum Lebensunterhalt getrennt, damit ausschließlich
auf den Verkauf der Arbeitskraft angewiesen sind.
Gelingt es nicht, die Arbeitskraft zu verkaufen (Arbeitslosigkeit,
Arbeitsunfähigkeit), ist die Existenz des Arbeiters bzw. der Arbei-
terin und der Familie bedroht. Diese Bedrohung ist mit dem Lohnar-
beiterdasein ständig als strukturelle Möglichkeit für die gesamte
Arbeiterklasse gegeben.
Die Existenzbedrohung der Arbeiterklasse bedeutet aber gleichzeitig
die Infragestellung des Kapitals und der gesellschaftlichen Grund-
lagen selbst. Dies läßt sich insbesondere in den Zeiten des begin-
nenden und aufstrebenden Kapitalismus immer wieder zeigen, wo unmensch-
liche Arbeitsbedingungen und bis zum Exzeß betriebene usbeutung d
Arbeiterklasse auch physisch zu ruinieren begannen (12-18 stündige
Arbeitstage, Hungerlöhne, Kinderarbeit usw.).
Sozialpolitische Maßnahmen waren daher erforderlich zur Aufrechterhal-
tung des Verhältnisses von Lohnarbeit und Kapital, sie waren aber
auch Ergebnis von Klassenkämpfen einer sich mit dem Kapitalismus
entwickelnden Arbeiterklasse.
-101-
Sozialpolitik hat demnach einen Doppelcharakter: MS
sie trägt zur Absicherung und Verbesserung der materiellen, politi-
schen und rechtlichen Lage der Arbeiterklasse bei und erhält damit
gleichzeitig die gesellschaftlichen Bedingungen der Lohnarbeit.
3. FAMILIENPOLITIK ALS TEIL STAATLICHER SOZIALPOLITIK
Familienpolitik spiegelt prototypisch das Dilemma staatlicher So-
zialpolitik wider: sie soll die vom Wirtschaftssystem und der Wirt-
schaftspolitik hervorgerufenen Mängel mittels ausgleichender und
korrigierender Sozialmaßnahmen beheben, andererseits kann sie diese
Mängel jedoch nicht in ihrer Entstehung verhindern.
Die Aufgabe insbesondere der staatlichen Familienpolitik besteht
darin, die vom Kapital nicht berücksichtigte, aber notwendige pri-
vate Reproduktion der Arbeitskraft in der Familie, und das heißt
von der Frau unentgeltlich geleistet, zu sichern. Dies geschieht
durch rechtliche Regelungen der "Pflichten" der Ehefrau und Mutter,
der Erwerbstätigkeit der Frauen, sowie durch materielle Unterstützung
in Form von Beihilfen, Zuschüssen, Vergünstigungen und sozialen Ein-
richtungen.
Der Inhalt der Familienpolitik bewegt sich im wesentlichen zwischen
zwei Polen;
© Sie soll die Familie in ihrer ideologischen und ökonomischen Funk-
tion als "Keimzelle des Staates" erhalten; insofern ist Familien-
politik auch indirektes Instrument der Wirtschaftspolitik, da die
Charaktereigenschaften, die die bürgerliche Kleinfamilie hervor-
bringt, funktional und konstituierend für die kapitalistische Pro-
duktionsweise sein müssen.
© Sie muß sich an arbeitsmarktpolitischen Interessen orientieren, am
Stand und Bedarf von erwerbstätigen Frauen. Das bedeutet, daß durch
die jeweilige Familienpolitik Frauen entweder verstärkt in die Pro-
duktion einbezogen werden (begünstigende Maßnahmen) oder an ihre
Aufgaben als Haus-Frauen erinnert werden. (Zurück-an-den-Herd-Kam-
pagnen; Abbau sozialer Leistungen, welche die Frauenerwerbstätigkeit
begünstigen; ideologische und finanzielle Stärkung der Familie, um
den Anreiz zur Erwerbstätigkeit von Frauen zu verringern).
Die prinzipielle Widersprüchlichkeit der Familienpolitik liegt also
darin, sowohl Instrument der Arbeitsmarktpolitik zu sein, auf Impul-
se des Produktionsbereichs reagieren zu müssen, als auch die Aufga-
be der Stabilisierung der Familie und damit des Systems bewältigen
zu müssen.
Historische Beispiele
© Bis zum 1. Weltkrieg stieg die Zahl der in der Industrie und in
der Landwirtschaft arbeitenden Frauen; sie nahm während des Krieges
noch weiter zu (Einbeziehung auch in traditionell nur von Männern
besetzte Arbeitsbereiche). Zu Kriegsmitte wurde fast die ganze Pro-
duktion von Frauen aufrechterhalten, auch in der Schwerindustrie und
im Bergbau. Männer- und Frauenlöhne näherten sich einander an. Gleich-
zeitig wurden Arbeitsschutzmaßnahmen und andere sozialpolitische
Errungenschaften der Arbeiterklasse (8 Std. Tag) für die Dauer des
-102-
Arbeitsfeldmaterialien zum Sozialbereich, Heft 2
ARBEITERMÄDCHEN IM JUGENDZENTRUM
Diese Arbeit versucht, die Erfahrungen aus der Praxis im Jugend-
zentrum Mettmann mit Arbeitermädchen darzustellen und zu beurtei-
len. Im ersten Teil wird die Entwicklung des Jugendzentrums in
Mettmann erläutert und die Jugendzentrumsbewegung eingeordnet.
Der zweite Teil der Arbeit (Hauptteil) berichtet über die Frauen-
Interessengruppe (Arbeitermädchen) und reflektiert die Arbeit
mit dieser Gruppe. U.a. werden dargestellt: Entstehungszusammen-
hang der Gruppe - Struktur der Gruppe - Der Lebenszusammenhang
der Mädchen (Familie, Schule und Freizeit, Jugendzentrum, die
Gruppe) - Die Entwicklung und die Aktivitäten der Gruppe (Bedeu-
tung der Sexualität, Aktivitäten für das Jugendzentrum, Fotogra-
fieren, Rollenspiel, Collagen, Interviews, Gruppenfahrten).
56 Seiten, broschiert, DM 4.--
Krieges außer Kraft gesetzt, darunter insbesondere auch Bestimmungen,
die die Frauenarbeit einschränkten (Nachtarbeitsverbot, Mutterschutz).
In dieser Zeit lag die stärkste Organisierung der Frauen, in Gewerk-
schaften und Parteien (SPD und USPD) und es kam auch zu starken Ar-
beitskämpfen der Frauen.
Der proletarischen Frauenbewegung schien damals das Ziel der voll-
ständigen Integration der Frau ins Berufsleben (Recht der Frau auf
Arbeit) erreicht. Nach Kriegsende wurde jedoch mit sogenannten Demo-
bilmachungsverordnungen ein Rückgang erwerbstätiger Frauen erzwun-
gen, unter denen besonders die verheirateten (seit 1900 waren ver-
stärkt verheiratete Frauen und Mütter berufstätig) und die Beamtin-
nen betroffen waren. Damit sollten Arbeitsplätze für die Kriegsheim-
kehrer freigemacht werden. Dieser Effekt trat jedoch gar nicht in
der gewünschten Form ein, da gleichzeitig die ersten großen Rationa-
lisierungen stattfanden und viele der freigemachten Arbeitsplätze
nicht neu besetzt wurden.
Trotz der Zwangsverordnungen bleib der Anteil erwerbstätiger Frauen
aber höher als vor dem Krieg (ca. 30 %).
Das führte zum Konflikt mit dem nun wieder mehr betonten Bild der
häuslichen Frau, die an der (Industrie-)Arbeit nur Schaden nehmen
kann. Andererseits ließ sich die Notwendigkeit von Frauenarbeit
nicht leugnen, der Anteil von Industriearbeiterinnen, weiblichen
Angestellten und Beamtinnen nahm gegenüber den traditionellen Dienst-
botinnenberufen auch immer mehr zu. Es bildeten sich spezielle
Frauenindustriezweige und Frauenberufe im öffentlichen Dienst (So-
zialarbeit).
© In der Weimarer Zeit, die die Auswirkungen von zwei Krisen zu tra-
gen hat, (Krisenmerkmale waren: Inflation, Rationalisierung, Mono-
polisierung, Arbeitslosigkeit, Veränderung der Arbeitskräftestruktur)
wird die Lückenbüßer-Funktion der Frau und das Dilemma einer zwi-
schen arbeitsmarktpolitischen und familienstabilisierenden Maßnahmen
jonglierenden Familienpolitik besonders deutlich:
Die Nachkriegsverhältnisse bewirken eine Problematisierung der Funk-
tion der Familie und damit verbunden der Frauenerwerbstätigkeit durch
den Staat (Geburtenrückgang, Rückbesinnung auf die gesunde, kinder-
reiche Familie als Wiege für den Staat und das Volk). Daraus resul-
tiert, komplementär zu Arbeitsmarkterfordernissen, der Versuch
einer zeitweiligen Ausschaltung des Motivs der Frauenerwerbstätigkeit
und zwar mittels folgender Maßnahmen:
Kinderbeihilfen; Eheschließungsbegünstigungen; steuerliche Vergünsti-
gungen; direkte Familienzulagen, die auch Frauenzulagen (!) genannt
werden, bei Wegfallen der Erwerbstätigkeit der Frau; Zurück- an-den-
Herd-Kampagnen;sowie auch bevölkerungspolitische Maßnahmen wie Ab-
treibungsverbot, Verhinderung der Empfängnisverhütung und von Schei-
dungen.
Der VorRszänler : Sus las Jer Nma ben aet
Die Nat barm : Eene Osan LM, Harn '
Rumma tat, Mh Kommt morh emer Su.
Nach wie vor besteht aber ein bestimmter Bedarf an billigen weibli-
chen Arbeitskräften (speziell für Teilzeit- und Heimarbeit) und ver-
langt einen familienpolitischen Kompromiß zwischen der Erwerbstätigen-
und der Ehefrau/Mutterrolle.
Dieses Dilemma wird "klassisch" gelöst:
es erfolgen Regelungen zur Erleichterung der Doppelbelastung
durch verbesserte Sozialgesetzgebung (Arbeitsschutzmaßnahmen für
Mütter und Schwangere, Tarifverträge, Verbesserung der Arbeitslosen-
versicherungen für Frauen, Verbesserung der Bedingungen der Heimar-
beiterinnen, Errichten von Kindergärten und Kantinen).
Daneben bleibt die erwerbstätige Frau jedoch weiterhin diskriminiert
als Doppelverdienerin.
© In der Weltwirtschaftskrise 1929-33, auf die der Staat mit Notver-
ordnungen reagierte, wurden die (verheirateten) Frauen in großer Zahl
aus der Produktion verdrängt. (Frauen brauchten nicht mehr als Lohn-
drückerinnen zu fungieren, denn der Druck der Arbeitslosigkeit zwang
auch Männer, sinkende Löhne und Ausdehnung des Arbeitstages hinzuneh-
men).
Das nachlassende wirtschaftliche Interesse an Frauenarbeit kann mit
familienpolitischen Interessen in Deckung gebracht werden:
Familienstabilisierung durch Maßnahmen wie Ledigensteuer, Familien-
ausgleichskassen, Abwesenheitsprämien für Frauen, "Auskämmen" der
Betriebe, Vermehrung von Halbtags- und Heimarbeit, Kampf gegen das
Doppelverdienertum, ideologische Stärkung des ländlichen Familien-
lebens.
© Der Faschismus stellt keine Ausnahme, sondern eher eine Zuspitzung
und Verschärfung dieser Form von Krisenbewältigung dar, wo Frauen
lediglich als Gebärmaschinen und Arbeitstiere dienen.
Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, Frauenrolle und Familien-
politik
Wesentlich für den Kapitalismus ist die Trennung von Produktions- und
Reproduktionssphäre, und zwar in der Form, daß der Produktionsbereich
als gesellschaftlich-öffentlicher den Funktionsbereich des Mannes
darstellt, wogegen der privat organisierte Reproduktionsbereich das
"Reich" der Frauen ist.
Diese herrschende geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bewirkt die
vorrangige Bestimmung der Frauenrolle als Hausfrau, Ehefrau und Mut-
ter. Die Familie als Ort der physischen wie psychischen Stabilisie-
rung, als "Freiraum" und Sozialisationsinstanz, funktioniert nur als
private, unentgeltliche Dienstleistung der Frau! Dies spielt auch dann
eine Rolle, wenn die Frau auf den Arbeitsmarkt tritt; die Nachfrage
nach ihrer Arbeitskraft ist charakterisiert durch
- ein allgemeines Interesse an ihrem Arbeitsvermögen,
- Interesse an der spezifischen Qualifikation als weibliche Arbeits-
kraft (Fertigkeiten, Einstellungen, Verhaltensmuster aufgrund ihrer
weiblichen Sozialisation, für die die Arbeitgeber so gut wie keine
Ausbildungskosten investieren müssen).
Dies macht die Frau speziell disponibel und einsatzfähig als billige
Arbeitskraft und als sogenannte Reservearmee, denn ihr Lohn wird
bloß als Zusatzverdienst definiert. Dieser spezifische Charakter
der weiblichen Arbeitskraft wird in den Frauenindustrien ausgenutzt
(Textil-, Bekleidung-, Tabak-, Nahrungsmittelindustrie und feinme-
chanischen Industriezweigen).
Familienpolitik zielt also nicht auf die Familie an sich, sondern auf
die spezifische Rolle der Frau in der Familie. Von daher interessie-
ren den Staat die Frauen in ihrer primären Funktion als Ehefrauen,
Hausfrauen und Mütter und je nach arbeitsmarktpolitischen Erforder-
nissen in ihrer Funktionalität als Arbeitskraft mit der beschriebenen
-105-
doppelten Bestimmung. Bei letzterem kommt der Familienpolitik die
Funktion zu, die "Freizeit" der Frau zur Lohnarbeit partiell herzustel-
len, nämlich für die Dauer der Anwendung der weiblichen Arbeitskraft
im Produktionsbereich. Durch die Entlastung der Frau von ihren re-
produktiven Tätigkeiten soll Familienpolitik die notwendige Basis für
die formal gleiche Einbeziehung der Frauen in das Lohnarbeitsverhält-
nis herstellen.
Wichtig ist dabei festzuhalten, daß die Frau auch als Erwerbstätige
an ihre Reproduktionsaufgaben gebunden bleibt, trotz juristischer
Verankerung von Gleichberechtigung etc. Die Frau betritt also den Ar-
beitsmarkt unter anderen ungünstigeren Bedingungen als der Mann.
Familienpolitik setzt damit an der geschlechtsspezifischen Arbeits-
teilung an und erhält diese aufrecht. Das "Recht" der Frauen auf Er-
werbstätigkeit war und ist daher nie ein generell abgesichertes.
Guss EEE rn er EE EL us ar eh A ANE P nu
Reservearmeefunktion der Frauen und darauf abgestimmte staatliche
Politik
ee nn En En E A N ae a Den ee ee en a BE
In der Familienpolitik wird deutlich, wie problematisch die Verquik-
kung von Produktions- und Reproduktionsbereich ist. Dies sei im fol-
genden zunächst analytisch, dann historisch aufgezeigt.
Um einerseits einen flexiblen Arbeitskräfteeinsatz möglich zu machen,
andererseits ein Disziplinierungsinstrument in der Hand zu haben,
ist das Kapital auf das Vorhandensein einer industriellen Reserve-
armee (Frauen, Ausländer, Randgruppen) angewiesen.
Frauen erfüllen diese Funktion einer stillen Reserve in hervorragen-
der Art, da sie je nach Arbeitsmarkt-Erfordernissen entweder auf
ihre primäre Aufgabe im Heim und Familie zurückgeschoben oder zusätz-
lich zu industrieller Arbeit herangezogen werden können; dies ist
eın rechtlich, ideologisch und sozialpolitisch abgesicherter Vor-
gang.
Der Sozialpolitik kommt die Aufgabe zu, die Flexibilität dieser Re-
Servearmee zu sichern, z.B. durch Maßnahmen wie: Ausländerrückkehr-
hilfen", arbeitsrechtliche Einschränkungen, Zurücknahmen von Ar-
beitsschutz- und Arbeitsförderungsbestimmungen. Geht es vorrangig um
das Interesse der Einbeziehung in die Produktion, so erfolgen Maß-
nahmen wie: materielle, rechtliche, ideologische Unterstützungen.
Hier gilt natürlich wie auch in den anderen Zusammenhängen, daß die
Durchsetzungsbedingungen immer von der Kampfkraft der Arbeiterklasse
und der Politik ihrer Organisationen abhängen.
Die beschriebenen Entwicklungen setzen sich jedoch nicht immer grad-
linig in direkter Logik durch. Die anfangs skizzierte Widersprüch-
lichkeit sozialpolitischer Maßnahmen bedingt ja gerade auch latente
Durchsetzungsformen, zeitliches Nachhinken oder Vorauslaufen.
Im Zusammenhang mit dem ökonomischen Interesse an Frauenerwerbstätig-
keit bzw. Nichterwerbstätigkeit läßt sich unserer Meinung nach die
gängige "Reservearmee-These" - Frauen werden als letzte geheuert
und als erste gefeuert - in ihrer bloß quantitativen Aussagen nicht
aufrechterhalten.
Folgende Punkte müssen dabei ergänzend betrachtet werden:
- Die erwerbstätige Frau ist (Schmutz-)Konkurrentin und Lohndrücke-
-106-
rin; dies kann das Kapital zur Bremsung von Lohnsteigerungen und
als Disziplinierungsinstrument (für Männer) zur Arbeit nutzen.
(vgl. dazu die Zeit während des |. Weltkrieges und die 67/68 Kri-
se, auf die wir später nochmal zurückkomen).
Gleichzeitig sind Frauen als spezifisch qualifizierte Arbeitskräf-
te mit extrafunktionalen Fähigkeiten unentbehrlich für bestimmte
Industriezweige geworden. Frauenarbeit ist Bestandteil kapitalisti-
scher Produktion (Statistiken weisen erst eine stetig zunehmende
Zahl erwerbstätiger Frauen besonders bei verheirateten Frauen und
Frauen mit Kindern auf, die sich dann in relativer Konstanz hält).
In Krisenzeiten mit einem Überangebot an Arbeitskräften geht es folg-
lich nie darum, Frauen vollkommen aus der Produktion auszugliedern.
Es hat sich ein 30 % Level an weiblichen Erwerbstätigen seit dem 1.
Weltkrieg eingependelt. (Familienbericht 1976: 37 % Frauen unter
den Erwerbstätigen, davon sind 60 % verheiratet, 40 % haben Kinder
unter 15 Jahren; und 35 % aller Auszubildenden sind Frauen).
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“KINDHEIT UND LERNEN”
vom 22.—24. Juni 1979 in Hannover
Wir wollen Gelegenheit bieten, Fragen auf einem Wochenend-Kongreß
differenziert zu diskutieren, durch Vorstellen der jeweiligen Projekte
einen Erfahrungsaustausch zu ermöglichen. Mitarbeiter solcher Projekte,
aber natürlich auch andere Lehrer, Erzieher, Sozialarbeiter, Wissenschaft-
ler und Eltern sowie Journalisten sind zur Teilnahme eingeladen. Wer nähere
Informationen zur Fragestellung des Kongresses, zu den Themen geplanter
Arbeitsgruppen und zum sonstigen vergnüglichen Ablauf erhalten möchte,
schreibe bitte an:
Glocksee-Schule — Stichwort: Kongreß
Hölderlinstr. 6, 3000 Hannover 61
Bitte einen mit 80 Pfg. frankierten, adressierten Rückantwortumschlag
(Din C 4) beilegen!
Frauenerwerbstätigkeit wird deshalb dann zum politischen und wissen-
schaftlichen Problem, wenn es um die Zu- oder Abnahme dieser 1/3 Quo-
te geht. Kennzeichnend dafür ist z.B., daß in der Zeit von 1923 bis
1925 zahlreiche Literatur über Frauenerwerbstätigkeit, Untersuchungen
über die Relevanz der biologischen Unterschiede für Erwerbstätigkeit,
aufkam.
Die Arbeitslosenstruktur in der Krise läßt sich prototypisch in zwei
Phasen beschreiben:
© In der Anfangsphase halten z.T. steigern des Frauenanteils unter
den Erwerbstätigen, da sie die billigeren und oft gefügigeren Ar-
beitskräfte sind, steigende Kurzarbeit für Frauen. Männer sind zu-
nächst oft stärker von Arbeitslosigkeit betroffen (besonders, wenn
es um Arbeitslosigkeit bestimmter Facharbeitergruppen geht), ein
Sinken des allgemeinen Lohnniveaus ist zu beobachten.
© In der zweiten Phase erfolgt die Reaktion auf die Arbeitslosigkeit
der Männer. Männer ersetzen besonders die verheirateten Frauen; Frau-
en müssen zurück in die Familie, bzw. bleiben dort. (1973: Frauen-
arbeitslosigkeit seit September 1972 um 22,3 % gestiegen, die der
Männer nur um 3,8 %; im September 1973 waren 51,5 % der Arbeitslo-
sen Frauen, Im September 1966 waren es nur 31,1 Z).
Dies erklärt sich zum einen aus der berufsfachlichen Konzentration
der Frauenarbeitslosigkeit (z.B. Rationalisierung in der Textilin-
dustrie und Bekleidungsindustrie, wie auch in Verwaltungs- und
Dienstleistungsberufen, also Bereichen, die einen hohen Anteil an
Frauen beschäftigen), der geringer gewordenen Lohndifferenz von
Frauen- und Männerlöhnen, bzw. der Disziplinierung der Arbeiter und
ihrer Organisationen.
Zum anderen erklärt sich dies aus der Notwendigkeit der Wiederher-
stellung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, deren Zerfall
und Auflösung dem patriarchalen Wertsystem seine reale Basis ent-
zieht. Außerdem nehmen Männer nicht ohne weiteres den Platz der f
Frauen in der familiären Reproduktion ein, reagieren viel eher mit
Desorientierung, die Familie bricht moralisch und faktisch zusam-
en. 2
Tn dieser Situation addieren sich ökonomischer/gesellschaftlicher
Druck und Druck der Männer (als Träger des Patriarchats) innerhalb
der Arbeiterklasse selbst.
Dies wirkt sich in der gesellschaftlich-öffentlichen Sphäre wie
auch in den persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen innerhalb der
Familie aus.
An diesem Punkt setzen auch familienpolitische Maßnahmen ein, die 30
drastische Formen annehmen können wie die Demobilmachungsverordnungen
und die Kampagnen gegen das Doppelverdienertum. Davon wird später noch-
mal die Rede sein.
Die Gefährdung der Familie durch Frauenerwerbstätigkeit wird proble-
matisiert und kritisiert (Scheels Neujahrsrede, das neue JHG, Publi-
kationen der letzten Zeit, besonders der CDU, zum Zusammenhang von
Jugendkriminalität, jugendlicher Desorientiertheit und der Stabilität
des Familienlebens). Häufig folgt daraus die Wiedererweckung alter
Wertvorstellungen von der "Keimzelle Familie". Damit verbunden ist
ein Wandel des Frauenbildes von der erwerbstätigen, "ihren-Mann-steh-
enden", volkswirtschaftlich unentbehrlichen Frau und Partnerin hin
zur Gattin, Heimchen am Herd.
Damit wollten wir aufzeigen, vor welches unlösbare Dilemma staatli-
che Sozial- und Familienpolitik in Reaktion auf ökonomische Anforde-
rungen gestellt ist:
© Ideologisch muß sie flexibel reagieren: Propagierung der Ideologie
von "Heim und Herd" und dem Ideal der vielköpfigen Familie, wenn
sich die Frauen aus der Produktion rausziehen sollen; Propagierung der
Partnerschafts- und Gleichbereichtigungsideologie, wenn Erwerbstä-
tigkeit von Belang ist.
© Auf der Planungs- und Finanzierungsebene drückt sich das Dilemma
so aus, daß in Krisenzeiten, die materiell schlechter gestellten Ar-
beiterfamilien um den wegfallenden Zuverdienst der Frau "entschä-
digt" werden müßten, um den "Anreiz" zur Berufstätigkeit der Frau
auszuschalten (man/frau denke an die Vorschläge zum Erziehungsgeld
und die Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs, Familienlastenaus-
gleiche, Heiratsdarlehen, wie Geburtsdarlehen ab Februar 1979.)
Die mit der wirtschaftlichen Krise einhergehende Finanzkrise des
Staates läßt allerdings sehr geringe Spielräume für staatliches
Handeln.
© In prosperierenden Zeiten muß der Staat, wenn die Frauen für die
Produktion gefordert sind, Einrichtungen und Leistungen bereits-
stellen, die die Doppelfunktion der Frauen, nämlich Erwerbstätig-
keit zusätzlich zur Reproduktionsaufgabe, erst möglich machen:
Mutterschutz, Tagesmütterprojekte, Vorschulerziehung, Ganztags-
schulen, Weiterbildungsmöglichkeiten für Hausfrauen, Urlaub bei
Krankheit der Kinder für Mütter und Väter.
Der ca. 2o Jahre anhaltende Aufschwung der kapitalistischen Wirtschaft
nach 1950, mit der langfristigen Tendenz eines steigenden Arbeitskräf-
tebedarfs, bewirkte die zunehmende Berufstätigkeit verheirateter
Frauen.
Dies machte die Institutionalisierung und Legitimierung der Doppel-
rolle-juristisch in der grundgesetzlichen Verankerung der Gleich-
berechtigung - notwendig. Ein Ausdruck dafür ist auch die Neurege-
lung des Scheidungsrechtes und des $ 218, wie Regelungen des Sorge-
rechts für Kinder und des Adoptionsrechts und der (Renten)-Versiche-
rungen für Hausfrauen. Vorherrschend wird das Bild der Frau als Selb-
ständige und Partnerin, so daß eine Aufweichung der starren, tradi-
tionellen Rollenschemata zu beobachtenist. Diese Entwicklung läßt
-109-
sich nun heutzutage nicht ohne weiteres zurückdrehen.
Dem noch vorhandenen Bild der "emanzipationsfreudigen'" Frau, die sich
selbst versorgen kann, muß zumindest übergangsweise Rechnung getragen
werden, sozusagen in einer Doppelstrategie: einerseits Entzug der
materiellen Möglichkeiten für eine Tätigkeit außer Haus, andererseits
eine Umbesetzung der Werte. Galt längere Zeit die erwerbstätige selb-
ständige Frau als "progressiv", so wird heute der "Mut zur Hausfrau"
als "emanzipiert" hingestellt. Beispielhaft für die Kanalisierung mög-
licher Unzufriedenheitspotentiale ist die vom Familienministerium an-
geleierte Kampagne "Aktivierung von Frauen", Broschüre: "Mitmachen
macht Mut - Frauen können mehr". Nur-Hausfrauen, die eventuell früher
erwerbstätig waren, und sich jetzt unausgelastet, isoliert, wenig an-
erkannt, uninformiert, abgeschoben fühlen, werden angesprochen. In
dem traditionell weiblichen "Beruf", dem ehrenamtlichen, nachbar-
schaftlich-caritativem Engagement sollen sie diese fehlende Bestäti-
gung finden.
Damit werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: die Unzufrie-
denheit der Frauen, die in der gegenwärtigen Arbeitsmarktlage keinen
angemessenen Job finden können, und gleichzeitig die durch den Abbau
sozialer Leistungen verschlechterte Situation des Reporduktionsbe-
reichs;
Kinderarbeit, Behinderte-, Alten-, Ausländer-, Bewährungshilfen, Frau-
engruppen und sonstige Eigeninitiativen werden in dieser Kampagne zur
"Aktivierung" angegeben.
Beispiele:
Um unsere Thesen nochmals historisch zu erläutern, wollen wir nun auf
die Zeit der Gründung der BRD bis heute eingehen, insbesondere auf die
CDU-Periode und die SPD-Reformphase.
© Die Anfänge der BRD waren gekennzeichnet durch die Rekonstruktion des
Kapitalismus, forcierte wissenschaftliche und technische Entwick-
lung, einem langfristig absehbaren hohen Bedarf an qualifizierten
und unqualifizierten Arbeitskräften, starker Nachfrage nach Frauen-
arbeitskräften.
Auf Seiten der Familienpolitik (Würmeling ) entsprach dem zunächst
die Wiederherstellung der Kleinfamilie, die durch den Krieg arg zer-
rüttet war und die den Frauen aufgrund der Abwesenheit der Männer
eine zentrale Rolle zugewiesen hatte. Die Stärkung der Familie be-
zog sich vor allem auf die Stärkung als Gefühlsinstitution, als Pri-
vatbereich, und auf die Wiederherstellung der väterlichen Autorität.
Ein gewisser Widerspruch zwischen Ökonomie und familienpolitischer
Orientierung ist erkennbar, sodaß sich die Familienpolitik diesem
Dilemma mit der Propagierung der Geburtenerhöhung zur Stabilisierung
der Familie und des Systems entzieht. Unterstützungsmaßnahmen sind
Familienlastenausgleiche (Kinderlose und Kinderarme zahlen per Um-
lage für kinderreiche Familien), Kindergeld, Heiratsdarlehen, stren-
ges Scheidungsrecht, Behinderung der Geburtenkontrolle und Abtrei-
bungsverbot, Familienermäßigungen z.B. bei der Bundesbahn.
Zur Unterstützung der Frauenerwerbstätigkeit wurden keine direkten
Maßnahmen ergriffen. Es gab lediglich Müttererholungsurlaub für
"überbeanspruchte" Mütter, denn es wurde betont, die Unzufrieden-
heit der Frau könne sich negativ aufs Eheleben und Familienleben
auswirken. Durch die partielle Widersprüchlichkeit zwischen Arbeits-
=110r
markt und Familienpolitik wurde die Ambivalenz der Frauenerwerbs-
tätigkeit allerdings aufrechterhalten, und damit die Reservearmee-
funktion der Frauen.
Unter Familienminister HECK (1962-68) zeichneten sich eine Wandlung
des Familienbildes und eine Verschiebung des Schwerpunktes von Fa-
milienpolitik ab, die sich nun funktional mit der notwendigen Frau-
enerwerbstätigkeit arrangierten: Institutionalisierung der Doppel-
rolle und deren arbeitsrechtlicher Regelung, Ausbildung für Mäd-
chen, zum Bild der Ehefrau/Mutter tritt die berufstätige Frau hin-
zu. Die Bedeutung des Kinderreichtums wird geringer geschätzt, Trend
zur Zwei-Kinder-Familie; vermehrter Bau von Kindergärten, deren Er-
ziehungsleistung positiv betont wird neben der unzureichenden Erzie-
hungskompetenz der Eltern. Erziehung rückt als öffentliche Aufgabe
ins Bewußtsein.
Die SPD-FDP-Reformphase:
Die Familienpolitik ist abgestimmt auf die Müttererwerbstätigkeit
und geht einher mit der "Entideologisierung" und "Entemotionali-
sierung" der Familie und zunehmender staatlicher Wahrnehmung von
Sozialisationsaufgaben im Kinder- und Jugendbereich.
Eine Reihe längst fälliger Reformen wird getätigt, wie Vorschuler-
ziehung, Kindertagesstätten, Ganztagsschulen, Horte, Tagesmütter-
projekte etc., die im wesentlichen die Doppelfunktion der Frau er-
möglichen sollen.
Das Bild der Frau wird durch die Ideologie gleichberechtigter Part-
nerschaft bestimmt, das Rollendilemma verlagert sich vom Widerspruch
Hausfrau-Berufstätige zu dem von Mutter-Berufstätige. Zu lösen ver-
sucht man diesen Konflikt durch vermehrte Teilzeitarbeitsplätze und
die Propagierung eines 3-Phasen-Modells: Ausbildung und kurze Be-
rufstätigkeit - Heirat und Kinderaufzucht - dann wieder Berufstätig-
keit, eventuell verbunden mit Umschulung, Weiterbildung oder Dequa-
lifizierung (!). Die Problematik vor allem der letzten Phasen dürf-
te deutlich sein.
In dieser Zeit konnten sich Familienpolitik und Sozialpolitik auf-
grund prosperierender Wirtschaft progressiv und reformfreudig ge-
ben und die Verwirklichung des Gleichheitsgrundsatzes als Element
der langfristigen Sicherung eines flexiblen Arbeitskräftepotentials
angehen.
Die Krise ab 72/73
Es handelt sich um eine strukturelle und weltweite Krise mit nicht
absehbarer Arbeitslosigkeit, die vor allem Frauen und Jugendliche
betrifft. Verwaltungsrationalisierung und Wegfall von Teilzeitar-
beitsplätzen besonders in der lohnintensiven, Verbrauchersgüter
produzierenden Industrie gehen auf Kosten vieler Frauenarbeitsplätze.
Familien- und Sozialpolitik stehen nun ganz deutlich im Dienste der
"Krisenlösung":
- Drastische Streichung von reformpolitischen Sozialmaßnahmen und
-einrichtungen.
- Arbeitsrechtliche Einschränkungen der Frauenerwerbstätigkeit neben
"Erleichterung" des Rückzugs in die Familie:
die Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs wurde ganz deutlich
mit der Hoffnung begründet, daß die Frauen dann ganz zuhause blei-
ben. (Dies wird auch damit erreicht, daß die Arbeitgeber so ungern
-111-
Frauen im gebärfähigen Alter einstellen wollen.)
Ideologische "Bearbeitung": nach dem Jahr der Frau (1975) sollen
nun im Jahr des Kindes die Frauen an ihre Mutterpflichten erin-
nert werden. Ihre Bedeutung für die Sozialisation des Kindes und
die Gefahr abweichenden Verhaltens von Jugendlichen bei Berufstä-
tigkeit der Mutter wird verstärkt hervorgehoben.
Mit der Problematisierung der sinkenden Geburtenrate werden Frau-
en wieder mal an ihre Gebäraufgabe erinnert!
Alle Parteien sprechen sich
für mehr Mutterschutz aus
Prioritäten der Familienpolitik umstritten
BONN (dpa). Die von der Regie-
rung vorgeschlagene Verlängerung
der Mutterschutzfrist erwerbstäti-
ger Frauen von acht Wochen auf
ein halbes Jahr durch einen be-
zahlten Mutterschaftsurlaub wird
von allen Parteien des Bundestages
als erster Schritt zu einer umfas-
senderen Hilfe für alle Familien
betrachtet.
Dies wurde gestern bei einer
mehrstündigen familienpolitischen
Aussprache des Bundestages über
den Gesetzentwurr der Regierung
und eine Initiative der CDU zur
Einführung eines allgemeinen Fa-
miliengeldes von monatlich 400
Mark und in besonderen Fällen
auch mehr deutlich.
Weit gingen allerdings die Mei-
nungen auseinander, ob man nicht
schon zum gegenwärtigen Zeit-
punkt über den Mutterschaftsur-
laub hinaus allen Müttern eine Fi-
nanzhilfe nach der Geburt eines
Kindes geben könne, damit sich
Mütter besser dem Neugeborenen
widmen können. Die Sprecher der
Koalition — an ihrer Spitze Bun-
desarbeitsminister Ehrenberg und
Bundesfamilienministerin Antje
Huber (beide SPD) — erklärten, es
gebe zur Zeit keinen finanziellen
Spielraum über die rund 900 Mil-
(Südwest-Presse 16.März 1979)
lionen Mark jährlich hinaus, die
der aus Bundesmitteln finanzierte
Mutterschaftsurlaub kostet.
Obwohl die CSU die Initiative
der CDU ebenfalls aus finanziellen
Gründen derzeit nicht mitträgt,
hielten die Sprecher der Opposition
dem geschlossen entgegen, daß
bessere Hilfe für die Familie auf
die Dauer Folgekosten für den
Staat spare, die durch eine ständig
sinkende Geburtenrate und unzu-
reichende Erziehungskraft der Fa-
milie ausgelöst werden.
Durch die gesamte Debatte zog
sich eine Auseinandersetzung über
Prioritäten der Familienpolitik.
Heinrich Franke (CDU) erklärte,
nur ein Familiengeld könne den
alarmierenden Rückgang der Ge-
burtenrate in der Bundesrepublik
aufhalten. Alle Mütter und wahl-
weise auch Väter müßten sich frei
für Kindererziehung und Haushalt
durch das für 18 Monate nach der
Geburt geplante Familiengeld ent-
scheiden können, ohne zur Er-
werbstätigkeit gezwungen zu sein.
Renate Lepsius (SPD) hielt der
CDU vor, mit ihrem „Milliarden-
ding“ familienpolitischen Utopien
nachzuhängen. Sie wolle wieder
mit der Gießkanne arbeiten.
- Die Bestimmungen des neuen Arbeitsförderungsgesetzes beinhalten
für die Situation der Frauen eine besondere Verschärfung: Frauen
ohne aufsichtsbedüftige Kinder, die wegen häuslicher Bindungen
nur Teilzeitarbeit wünschen oder an die Lage des Arbeitsplatzes
bestimmte Bedingungen knüpfen (daß er z.B. täglich vom Wohnort
aus erreichbar ist oder keine längere Anfahrtszeit erfordert)
sollen künftig nicht mehr vermittelt werden. Sie sollen auch kein
Arbeitslosengeld mehr erhalten. "Es muß erwartet werden, daß der
betreffende Personenkreis seine Haushaltsführung den Erfordernis-
sen des Arbeitsmarktes anpaßt". (Begründung des Ministeriums für
Arbeit und Soziales, zit. nach FR vom 16.11.78).
Wie sich zeigt, wiederholen sich in ökonomischen Krisenzeiten mit Ar-
beitslosigkeit die staatlichen Maßnahmen zur "Bewältigung" des Pro-
blems.
Die neuen Verschärfungen stehen denen früherer Zeiten in ihrer Tendenz
nicht nach. Mit dem von uns dargestellten Interpretationshintergrund
gibt die Lektüre der jüngsten Berichte und Publikationen von Ministe-
rien, Verbänden, Presse ein recht eindeutiges Bild von der Funktion
der Frauen als Reservearmee, die alle Partnerschafts- und Gleichbe-
rechtigungsreden rasch als ideologisches Instrument ausweisen.
Wir wollen damit nicht in Abrede stellen, daß sich die rechtliche und
soziale Situation der Frau in den letzten 70 Jahren verändert und ver-
bessert hat, sehen dies aber als keinen grundlegenden, garantierten
sozialen und politischen Wandel an, sondern eher als Modifikationen
in den Ausprägungen der patriarchalen Klassengesellschaft.
In den erreichten Verbesserungen stecken Lücken und Widersprüche, von
denen wir hoffen, daß sie sichtbar geworden sind und die relevante
Ansatzpunkte für die Emanzipationskämpfe der Frauen sein können.
Ein solcher notwendig kritischer Bezug auf das Erreichte zeigt u.E.
die ablehnende Stellungnahme des DGB Landesbezirks, Abt. Frauen, zur
weiteren Schaffung von Teilzeitarbeitsplätzen für arbeitslose Frauen.
Es erfolgte die Begründung, die Schaffung mehrerer Teilzeitarbeitsplät-
ze sei eine Rollenfestschreibung und Pufferfunktion für die Frauen
samt Verschlechterung von deren Rentensituation.
Für uns Sozialarbeiterinnen halten wir die Analyse dieser Zusammen-
hänge für wichtig, um die ökonomische aber gerade auch die geschlechts-
spezifische Zielbestimmung der Familienpolitik zu erkennen und daraus
Einschätzungen für unser pädagogisches und politisches Handeln zu ge-
winnen. Denn die Widersprüchlichkeiten bieten Bruchstellen, die An-
satzpunkte für eine emanzipatorische Sozialarbeit sein können.
4. LITERATUR
Petra Müller, Daten zur politökonomischen Situation der Frau: von der
französischen Revolution bis zur Gegenwart; In: Beiträge zur femini-
stischen Theorie und Praxis, hrsg.: Sozialwissenschaftliche Forschung
und Praxis für Frauen e.V., München 78 3
Karin Jurczyk, Frauenarbeit und Frauenrolle, Sonderforschungsbereich
des DJI, München 77 x
Monika Fuhrke, Staatliche Sozialpolitik; Arbeitsfeldmaterialien zum
Sozialbereich, Offenbach 76
Herta Däubler-Gmelin, Frauenarbeitslosigkeit, Reinbek b. Hamburg 77
D. Haensch, repressive Familienpolitik, Reinbek bei Hamburg, 1969
Prokla 19/20/21
Familienbericht 1976 des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Ge-
sundheit, dasselbe Ministerium: Broschüre Aktivierung von Frauen:
Mitmachen macht Mut - Frauen können mehr; kostenlose Anforderung
ebd. 53 Bonn 2, Postfach 20 04 90
Haftentlassene
Frauen- vom Regen
in die Traufe ?
Die praktische Straffälligenhilfe sieht sich vor das Problem ge-
stellt, daß Haftentlassene häufig ohne Unterkunft, ohne Arbeit,
mit hohen Schulden und ohne Bezugsperson in ein unvorberei-
tetes Umfeld entlassen werden und die daraus resultierenden
Probleme nicht zuletzt aufgrund erlittener Haftschäden
nicht bewältigt werden können. Die Zielsetzung der
"Beratungsstelle für straffällige Frauen" konzentriert
sich auf die Sozialintegration von straffällig geworde-
nen Frauen. Der Band berichtet von ihren Schierig-
keiten und ihren Erfolgen.
Einsele u.a. a
ANLAUFSTELLE FÜR STRAFFÄLLIG
GEWORDENE FRAUEN
"Beiträge zur Praxis der Arbeiter -
x wohlfahrt"'
Band 3, 112 Seiten, DM 8, --
Hamburger Allee 49
6000 Frankfurt /9o
Horst Bossong
ÄRGER MIT DER JUGENDBÜROKRATIE
— ZUM STREIT UM DAS SUBSIDARITÄTSPRINZIP —
Daß die Aktivitäten freier Initiativen in der Sozialarbeit in zuneh-
mendem Maße von der staatlichen Bürokratie be- und verhindert werden
und daß diese staatlichen Willkürakte, die jeder gesetzlichen Grund-
lage entbehren, nicht pädagogisch begründbar sind, sondern daß sie
vielmehr ein Symptom des allgemeinen staatlichen Kontroll- und Dis-
ziplinierungsinteresses gegenüber Bürgeraktivitäten und -initiati-
ven darstellen und gleichzeitig auch das Desinteresse der Bürokra-
tie an der Lösung sozialer Probleme deutlich machen, dies kann auf
Dauer nicht verborgen bleiben.
Die Weigerung öffentlicher Jugendverwaltungen, Selbsthilfegruppen
finanziell zu unterstützen, sie stattdessen in ihrer Arbeit zu be-
hindern und finanziell auszutrocknen, stellt sich für die Betroffe-
nen als ungeheuerliche Mißachtung des im Jugendwohlfahrtsgesetz fest-
geschriebenen Subsidiaritätsprinzips dar. (1)
Ein Teil der betroffenen Initiativen will sich aber mit der Willkür
und Rechtsmißachtung durch die Bürokratie nicht abfinden und kämpft
um die Durchsetzung ihrer Ansprüche. (2)
Am Beispiel der Bremer Initiative "Kinderhaus Ostertor e.V." soll
im folgenden der Standpunkt solcher Basisinitiativen und die Anwen-
dung des Rechts durch die öffentliche Verwaltung aufgezeigt werden.
1. PRAXISERFAHRUNGEN: KINDERHAUS OSTERTOR
Im Bremer Stadtteil Ostertor hat sich im vergangenen Jahr eine Grup-
pe von Eltern zusammengefunden, um für ihre Kinder im Alter von unter
drei Jahren eine pädagogisch vertretbare Möglichkeit der halbtägigen
Unterbringung zu schaffen. Die Notwendigkeit hierfür war durch die
Berufstätigkeit bzw. Ausbildungssituation der Eltern gegeben.
Das Angebot des städtischen Jugendamts: "Unterbringung der Kinder in
einzelne Tagespflegestellen' war einerseits aus pädagogischen Grün-
den für die Eltern nicht akzeptabel, zum anderen gab und gibt es
nur äußerst wenige wirklich gute Tagespflegestellen. In der Regel
liegen weite Wege zwischen Elternhaus und Pflegestelle; es mehren
sich in letzter Zeit auch Berichte, denen zufolge Sozialhilfeempfän-
ger aufgefordert bzw. genötigt werden, zur Ergänzung ihrer Sozial-
hilfe Kleinkinder zu betreuen, so daß mindestens in solchen Fällen
oft die Motivation sehr zweifelhaft ist.
Die Gruppe entschloß sich deshalb, die Kinder nicht in Tagespflege-
stellen, sondern in zwei Kleingruppen (ä 4 Kinder) unterzubringen.
Seit Dezember 1977 unterhält die Gruppe deshalb einen Kinderladen,
in dem die acht Kinder von zwei festen Bezugspersonen jeden Vormit-
tag betreut werden.
-115-
Da die Kosten für diese Einrichtung sehr hoch sind (für jedes Kind
müssen die Eltern 12,5 % ihres Nettoeinkommens ausgeben), hat sich
die Gruppe als Verein an den Jugendsenat in Bremen gewandt und finan-
zielle Unterstützung beantragt.
Die Jugendbehörde hat zwar mehrere Kontrollbesuche inzwischen in dem
Kinderhaus gemacht, finanzielle Unterstützung jedoch wurde dem Ver-
ein hartnäckig verweigert.
In der Begründung des Ablehnungsbescheids der Behörde wird verwiesen
auf angeblich ausreichend vorhandene Tagespflegestellen und einem
dementsprechend nicht bestehenden Bedarf an Kleinstkindergruppen.
Darüberhinaus vertritt die Behörde die Auffassung, "daß eine Reihe
von Argumenten, insbesondere das einer möglichen Hospitalisierung,
aber auch das der Unmöglichkeit, Kleinstkinder wirklich in Gruppen
zu erziehen, gegen eine Institutionalisierung der Kleinstkinderer-
ziehung spricht." (Bescheid des Senators für Soziales, Jugend und
Sport vom 23.12.77) Schließlich macht die Behörde geltend, daß die
Kosten für das Kinderhaus zu hoch seien, denn sie selbst zahle für
eine Tagespflegestellt monatlich nur DM 354.-- bei ganztägiger (!!)
Unterbringung, während ein Teil der Eltern diesen Betrag bereits für
eine halbtägige Unterbringung der Kinder im Kinderhaus zahlen müsse.
Der Verein hat gegen diesen Bescheid Widerspruch eingelegt, der eben-
falls abgelehnt wurde.
Er stellte in dem Widerspruch fest, daß es in Bremen zum einen durch-
aus nicht genügend Tagespflegestellen gibt, daß die vorhandenen Pfle-
gestellen mehrheitlich weit teurer als 354.-- DM sind und daß im übri-
gen es eine ganze Reihe von Eltern gibt, die ihre Kinder gern in Grup-
pen erziehen möchten, und daß diese Gruppenerziehung keineswegs ent-
wicklungsstörend oder -henmend ist, sondern daß sie vielmehr soziales
Lernen und die Fähigkeit der Kommunikation mit anderen Kindern förde-
re.
Der Auffassung des Senats, die Gruppenerziehung von Kleinstkindern
führe zu Hospitalismuserscheinungen und sei auch gänzlich unmöglich,
tritt der Verein entschieden entgegen und begründet seinen Wider-
spruch in diesem Punkt mit einem Gutachten der Universität Bremen,
in dem betont wird, "daß die von der Elterninitiative angestrebte
Form der Kleinstkindererziehung dem Kind optimale Entwicklungschan-
cen bietet." Denn: "Es liegt auf der Hand, daß im Fall der Eltern-
initiative auch nicht ein Faktor von Hospitalisierung auszumachen
ist: Die Kinder verfügen über stabile Bezugspersonen, die die Mög-
lichkeit haben, sich dem Kinde zuzuwenden, und sie verfügen über
ein ausreichendes soziales und dingliches Anregungsmilieu."
Schließlich verweist der Verein in seinem Widerspruch auf das im
Jugendwohlfahrtsgesetz verankerte SUBSIDIARITÄTSPRINZIP, das im fol-
genden näher erläutert werden soll.
Die Behörde hat inzwischen den Widerspruch abgelehnt, und zwar nun-
mehr nicht mehr mit der Begründung der "Schädlichkeit" der Gruppen-
erziehung, sondern mit Hinweis auf ihr "freies Ermessen" darüber,
ob sie zur Förderung nach dem JWG bereit ist oder ob sie eine För-
derung nicht für notwendig hält. Die Behörde stellt sich auf den
Standpunkt, daß "die Einrichtung von Elterm-Kleinstkinderinitiativen
in Hinblick auf die Möglichkeit der Unterbringung in einer Tages-
pflegestelle nicht...erforderlich" ist.
-116-
Darüberhinaus bestreitet die Behörde weiterhin, daß das Interesse an
Kleinstkindergruppen ein von vielen Eltern getragenes ist, sondern be-
hauptet, daß nur wenige Eltern ein momentanes, jedoch wenn die Kin-
der erst 'kindergartenfähig' sind (also über drei Jahre) nachlassen-
des Interesse an solchen Einrichtungen, wie dem Kinderhaus haben und
insofern "durch eine Veränderung in den Verhältnissen ihrer Mitglie-
der gleichzeitig die Kontinuität der Arbeit gefährdet wird." (Wider-
spruchsbescheid vom 6.7.78)
Die Gruppe des Kinderhauses, wie sehr viele andere betroffene Eltern,
sind hier ganz anderer Meinung. Ihnen ist klar, daß das Interesse
an Kleinstkindergruppen sehr groß ist und vielfach nur aus Gründen
der unzumutbar hohen Kosten nicht realisiert werden kann.
Andererseits wissen sie aber auch, daß das Recht auf Unterstützung,
das ihnen durch das Subsidiaritätsprinzip zusteht, nicht für sie,
sondern für die etablierten freien Träger gemacht wurde.
Dem Verein ist klar, daß in einem gerichtlichen Streit der Staat,
d.h. die öffentliche Jugendbürokratie, alle möglichen Auswege und
Ausreden heranziehen würde, um das Kinderhaus von der finanziellen
Unterstützung fernzuhalten. Dies ist nicht ein Einzelfall, sondern
seit einigen Jahren die Regel im Umgang des Staates mit freien Ini-
tiativen.
Dennoch ist es nützlich, sich den im Subsidiaritätsprinzip zum Aus-
druck kommenden Standort von freien Initiativen deutlich zu machen,
denn auch daran läßt sich die Glaubwürdigkeit von "Rechtsstaatlich-
keit" ablesen.
2. DER RECHTLICHE STANDORT VON SELBSTHILFEGRUPPEN
© Der Verein Kinderhaus Ostertor hat in seinem Antrag auf staatliche
Unterstützung zunächst auf einen allgemeinen verfassungsrechtlichen
Punkt hingewiesen, nämlich die Sozialstaatsverpflichtung des Staates
gemäß Art. 20 GG.
Danach ist es die Aufgabe der staatlichen Organe, für das Wohlerge-
hen aller Bürger im Rahmen des jeweils ökonomisch Möglichen Sorge
zu tragen.
Im JWG findet das Sozialstaatsprinzip seine konkrete Ausgestaltung
vor allem in den $$ 1 und 3.
Dort heißt es: "Jedes deutsche Kind hat ein Recht auf Erziehung zur
leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit." ($ 1,1
JWG) und weiter: "Insoweit der Anspruch des Kindes auf Erziehung
von der Familie nicht erfüllt wird, tritt, unbeschadet der Mitarbeit
freiwilliger Tätigkeit, öffentliche Jugendhilfe ein." ($ 1,3 JWG)
Der Staat, konkret die Jugendbehörde, hat also, wie auch das Bun-
desverfassungsgericht hervorhebt, "die für die Wohlfahrt der Jugend
erforderlichen Einrichtungen und Veranstaltungen anzuregen, zu för-
dern und gegebenenfalls zu schaffen." (3)
Nun wird bereits in diesem Satz des BVerfG auf einen zweiten in die-
sem Zusammenhang wichtigen Punkt hingewiesen, nämlich, daß die
Jugendbehörde zuerst einmal die freien Initiativen in der sozialen
Arbeit "anregen und fördern" soll. Die öffentliche Jugendbehörde
selbst soll nur "gegebenenfalls" Einrichtungen schaffen, nur dann
=117=
nämlich, wenn die Anregung und Förderung der freien Initiativen von
diesen nicht aufgegriffen wird, sich also keine freie Initiative
bereitfindet, tätig zu werden.
Im Fall des Kinderhauses Ostertor hat die Jugendbehörde jedoch weder
die Maßnahme angeregt, noch ist sie bereit, die Initiative zu för-
dern. Mit diesem Verhalten mißachtet die Behörde das in den §§ 5, 7
und 9 JWG verankerte Subsidiaritätsprinzip.
® Dieses gegen den Widerstand von SPD und FDP 1961 durch die damali-
ge CDU/CSU-Regierung sowohl im JWG als auch im BSHG ($$ 10 u. 93)
festgeschriebene Prinzip gilt allgemein als reaktionär, ist aber
dennoch für Selbsthilfegruppen in der Sozialarbeit brauchbar.
Es besagt, daß der Staat nur dann eigene Einrichtungen und Maßnahmen
betreiben bzw. durchführen darf und soll, wenn sich nicht ein freier
Träger (d.h. alle Vereine, Jugendorganisationen, konfessionelle Trä-
ger usw.) zur Durchführung der jeweiligen Aufgabe bereitfindet. (4)
Findet sich ein freier Träger bereit, tätig zu werden, dann ist es
Aufgabe der öffentlichen Träger, den freien Träger in seiner Arbeit
hinreichend zu unterstützen, wobei "in erster Linie...an finanzielle
Zuweisungen gedacht ist". (5)
Seine "klassische Formulierung" (6) fand das Subsidiaritätsprinzip
in der katholischen Soziallehre, was übrigens auch ein wichtiger
Grund war, weshalb die SPD und FDP gegen die gesetzliche Verankerung
votierten. (7)
Der ideologische Hintergrund des Prinzips geht, wenn es auch erst
1931 in dem Sozialrundschreiben des Papstes Pius' XI erstmalig for-
muliert wurde (8), zurück auf den klassischen Liberalismus des
19. Jahrhunderts.
Der als 'Gravissimum principium', als "oberster Grundsatz! hervorge-
hobene Passus des päpstlichen Rundschreibens besagt, daß diejenigen
Aufgaben, die der einzelne oder kleine Gruppen in der Gesellschaft
selbst aus eigener Kraft durchführen können, der Staat oder überhaupt
übergeordnete größere Gruppen in der Gesellschaft nicht an sich reißen,
den kleinen Gruppen bzw. dem einzelnen wegnehmen sollen. Der einzel-
ne bzw. die kleinen Basisgruppen in der Gesellschaft sollen "nicht
behindert, sondern unterstützt, gefördert und nur notfalls ersetzt"
werden (9), denn ein sofortiges Einsetzen staatlicher Maßnahmen
im sozialen Bereich würde "die Selbsthilfe der einzelnen und der
'kleineren'Lebenskreise beeinträchtigen, wenn nicht gar verunmögli-
chen, und dadurch der Entfaltung der eigenen Kräfte den Weg ver-
sperren. Solche Hilfe ist nicht die rechte Hilfe, ja überhaupt keine
echte Hilfe." (10)
Es geht also um zweierlei: einmal um das Vorzugsrecht der kleinen
Basisgruppen gegenüber größeren Organisationen und dem Staat. Zum
anderen geht es um den Rechtsanspruch der "kleinen überschaubaren
Lebenskreise" (11) auf Subsiduum, auf Hilfeleistung und Unterstützung
durch den Staat, freilich nur in dem Umfang, daß die kleinen Gruppen
dadurch nicht absorbiert werden.
Der Verein Kinderhaus Ostertor hat denn auch in seinem Widerspruch
zur behördlichen Ablehnung der Unterstützung dieses Recht geltend
gemacht, indem er an die Behörde schrieb: "Nach einhelliger Auffas-
-118-
sung haben die freien Initiativen in der sozialen Arbeit also ...
a) ein Recht zur Betätigung;
sie haben
b) dieses Recht vorrangig gegenüber dem Staat;
sie haben
c) ein Recht auf Subsiduum, auf Hilfeleistung durch den Staat.
In unserem konkreten Fall finden also die im JWG vorgeschriebenen
Maßnahmen der öffentlichen Jugendbehörden, die sich auf die Ergän-
zung und Unterstützung der in der Familie begonnenen und dort durch-
geführten Erziehung richten, ihre konkrete Ausgestaltung in der finan-
ziellen Unterstützung der zu Recht vorrangig tätig werdenden Initia-
tive: Kinderhaus Ostertor."
© Mit einer solchen Argumentation trennen sich Selbsthilfegruppen wie
das Kinderhaus zunächst einmal von der klassischen Forderung der
Arbeiterbewegung nach Verstaatlichung des Fürsorgewesens. (12)
Sie scheinen stattdessen auf Seiten der Reaktion zu stehen.
Tatsächlich weist beispielsweise die Argumentation eines A.-F.Utz,
eines sehr heftigen Befürworters des Subsidiaritätsprinzips, auf
den reaktionären ideologischen Hintergrund des Prinzips hin, den die
Selbsthilfegruppen ganz gewiß nicht teilen: "In der Abwehr gegen
den Kollektivisimus, wie überhaupt gegen jeden Übergriff des Staates
in Bereiche, die ihn nichts mehr angehen, hatte man eine glückliche
Formel im Subsidiaritätsprinzip gefunden." (13)
Dieser reaktionär liberalen Forderung nach reduziert sich die Funk-
tion des Staates auf eine "Nachtwächteridee'" (Lassalle), auf einen
Staat also, dessen einzige Aufgabe darin besteht, in einer Wächter-
funktion das Privateigentum und die individuelle Freiheit der Bür-
ger zu schützen, wobei freilich unterschlagen wird, daß die überwie-
gende Mehrheit der formal gleichgestellten Bürger eben gar nicht
über nennenswertes Privateigentum verfügt und sich ihre formale Frei-
heit ausweist als reale Unfreiheit, als "die völlige Aufhebung al-
ler individuellen Freiheit und die völlige Unterjochung der Indivi-
dualität unter gesellschaftliche Bedingungen, die die Form von sach-
lichen Mächten, ja von übermächtigen Sachen - von den sich beziehenden
Menschen unabhängigen Sachen - annehmen". (14)
Jeder muß für sich selbst sorgen, so die liberale Ideologie, der 'Wett-
bewerb der freien Kräfte' garantiert von selbst die gesellschaftliche
Ordnung im Produktions- wie im Reproduktionsbereich.
Der Staat hat sich aus den Privatangelegenheiten der Bürger heraus-
zuhalten, wobei mit "Privatangelegenheit' sowohl Unternehmerfreiheit
wie psychische und physische Not und Elend gemeint sind. (15)
Die Linderung von Not und Elend gehört folgerichtig natürlich auch
in den privaten Bereich. "Die Kräfte des Glaubens, des Liebens, des
Hoffens" (16) sind aufgefordert, sich um die Notleidenden zu kümmern;
ihnen ist es überlassen, sich der sozialen Probleme anzunehnen.
Die Geschichte hat jedoch insbesondere um die Jahrhundertwende sehr
deutlich gemacht, daß, je krasser die Widersprüche des Kapitalismus
zu Tage traten, je größer die psychischen und physischen Opfer die-
ses Systems formaler Gleichheit und Freiheit wurden, desto unhalt-
barer wurde die liberale Ideologie, desto nötiger und massiver wurden
die Eingriffe des Staats in Produktions- und Reproduktionsbereich.
Zu Recht bemerkt Marx: "Was könnte die kapitalistische Produktions-
-119-
weise besser charakterisieren als die Notwendigkeit, ihr durch
Zwangsgesetz von Staats wegen die einfachsten Reinlichkeits- und Ge-
sundheitsvorrichtungen aufzuherrschen?'" (17)
Ganz besonders erwiesen sich ja auch mit zunehmender Massenverelen-
dung die Bemühungen der Privaten Wohltätigkeitsverbände, die sich seit
Ende des vergangenen Jahrhunderts mehr und mehr zu wenigen großen
Vereinen konzentrierten (18), als völlig unzureichend, die Massenar-
mut einigermaßen zu lindern, so daß auch von ihnen die Forderung nach
finanzieller Unterstützung durch den Staat erhoben wurde, wenngleich
sie sich andererseits jede Form inhaltlicher Einmischung in ihre teil-
weise verhehrende pädagogische Arbeit durch den Staat energisch ver-
baten. (19)
Gleichzeitig wehrten sich diese Verbände auch heftigst dagegen, daß
der Staat etwa den Notleidenden direkt Hilfe - materielle Hilfe z.B.
= zuteil werden ließ. Nicht der Staat sollte den Armen helfen, son-
dern er sollte den Verbänden helfen, ihre Arbeit an den Armen ver-
richten zu können. (20)
Das Subsidiaritätsprinzip sollte also durchaus auch den Staat
zwingen, die letztendliche Verantwortung für die Linderung von Not
und Elend zu tragen, da die privaten Wohltätigkeitsverbände das Mas-
senelend allein nicht einmal mehr halbwegs kaschieren konnten. Inso-
fern ist die Verantwortung des Staats im sozialen Bereich, die sich
konkret 1922 bei der Verabschiedung des Reichsjugendwohl fahrtsge-
setzes niederschlug, nicht allein Resultat der Forderungen der Orga-
nisationen der Arbeiterklasse und der offensichtlich gewordenen
katastrophalen Lage des Proletariats, es kam zugleich auch den
(insbesondere nach dem ersten imperialistischen Weltkrieg) finanz-
schwachen Verbänden entgegen, die sich auf diese Weise eine weitge-
hende Finanzierung ihrer Arbeit durch den Staat sichern konnten.
Gleichzeitig aber - und dies zeigt die Doppelseitigkeit der politi-
schen Forderung der Arbeiterklasse nach Verstaatlichung des Fürsor-
gewesens - ermöglichte die primäre Verantwortlichkeit des Staates
im sozialen Bereich und sein Entscheidungsprivileg in sozialen Fra-
gen ihm auch, die in den 20er Jahren an Einfluß und Zulauf gewinnen-
den Vereine und Hilfsorganisationen der Arbeiterklasse zu reglemen-
tieren, zu be- und verhindern. (20a-vgl. Autorenkollektiv, Geschich-
te der Deutschen Arbeiterjugendbewegung; S. 302 ff.; Dortmund 1973)
Gerade dieser Aspekt staatlichen Aktivwerdens und Verantwortungsüber-
nahme in der Sozialarbeit erscheint auch heute von zunehmender Be-
deutung: durch eine Verstärkung staatlicher Aktivitäten und Verant-
wortung in der sozialen Arbeit läßt sich der Einfluß und die Aktivi-
täten unbequemer fortschrittlicher freier Initiativen relativ wir-
kungsvoll und - was die breite Öffentlichkeit angeht - widerspruchs-
los verhindern und einschränken. Teile der Linken bieten dem bür-
gerlichen Staat hierbei sogar die Schützenhilfe.
Das Subsidiaritätsprinzip freilich ermöglichte damals und sichert
auch heute noch den großen etablierten Verbänden eine relativ un-
kontrollierte (jedenfalls bezogen auf die inhaltliche Gestaltung,
Verrichtung ihrer Arbeit. (21)
® Wenn sich heute Basisinitiativen dieses Prinzip nutzbar machen,
dann stehen sie freilich nicht auf dem Boden des Liberalismus, sie
-120-
füllen vielmehr dieses reaktionäre Prinzip mit neuem Inhalt.
Es geht ihnen durchaus nicht um eine Privatisierung gesellschaftli-
cher Probleme, sondern es geht ihnen darum, anstatt die sozialen Pro-
bleme durch die staatliche Bürokratie in Aktenschränken verwalten zu
lassen, selbst Lösungsstrategien zu entwickeln, die den Bedürfnissen
und Interessen der jeweils Betroffenen entsprechen, statt zu wider-
sprechen.
Damit rücken die Basisinitiativen aber ab von der traditionellen For-
derung der Arbeiterbewegung nach Verstaatlichung des Fürsorgewesens,
die aber auch nicht losgelöst vom historischen Kontext, in dem sie
erhoben wurde, gesehen werden darf.
Denn auch die Kommunisten waren skeptisch gegenüber staatlicher
Haupt- und Alleinverantwortung in der sozialen Arbeit. In der Reichs-
tagsdebatte 1922 um die Verabschiedeung des RJWG drückten sie ihre
Bedenken deutlich aus: "Wir Kommunisten stehen prinzipiell auf dem
Standpunkt..., daß die Erziehung des Nachwuchses, der Schutz der Ju-
gend in ihrer Gesamtheit, Pflicht allein der Gesellschaft und des
Staates ist. Solange dies aber nicht durchgeführt ist - und im kapi-
talistischen Staat läßt es sich nicht durchführen -, müssen wir uns
bei jeder Kontrolltätigkeit fragen: von wem und wie wird diese Kon-
trolle durchgeführt? Da können wir erklären, daß wir eben kein Ver-
trauen zu den Organen haben..." (22)
Aber trotz dieses Mißtrauens war die Forderung der Arbeiterbewegung
klar: '"Erziehungsverpflichtet ist in erster Linie der Staat als Ver-
treter der Gesellschaft" (23), und dementsprechend sind "alle pri-
vaten Anstalten und Einrichtungen der Jugendfürsorge", so die KPD-
Forderung 1931 im Weimarer Reichstag, "aufzuheben oder... in öffent-
liche umzuwandeln." (24)
Auch heute fordern Teile der Linken die Verstaatlichung aller priva-
ten Einrichtungen in der Sozialarbeit.
Sie begründen ihre Forderung im wesentlichen mit drei Argumenten:
l. Die Hauptnutznießer des Subsidiariatsprinzips sind die traditio-
nellen konfessionellen und bürgerlichen Verbände, deren Arbeit im
Dienste des Erhalts der Klassenstruktur der Gesellschaft stehe und
die deshalb zerschlagen werden müssen.
2. Der Kampf um strukturelle und inhaltliche Veränderungen der So-
zialarbeit kann nicht in Basisinitiativen ausgetragen werden, sondern
in den staatlichen Institutionen selbst.
3. Es sei notwendig, darum zu kämpfen daß die Arbeiterklasse und
seine Organisation die Kontrolle über die jeweiligen Maßnahmen und
Einrichtungen der Sozialarbeit selbst übernehme. Dies sei jedoch in
privaten Einrichtungen nicht realisierbar.
Bei einer solchen Argumentation wird freilich übersehen, daß unter
den heutigen Bedingungen erstens keinerlei Chance besteht, die Macht
der traditionellen freien Verbände zu brechen, denn sie entlasten
nicht nur in finanzieller Hinsicht den Staat (etwa dadurch, daß sie
billigere Arbeitskräfte - Nonnen, Mönche usw. - in ihren Einrichtun-
gen einsetzen können als der Staat), sondern sie sind auch "in ihrer
Eigenschaft als Ideologieträger... äußerst nützlich für die Aufrecht-
erhaltung der Klassengesellschaft". (25) Der bürgerliche Staat hat
heute überhaupt kein Interesse, diesen Verbänden ihre Machtstellung
zu nehmen. Er ist auf ihre Arbeit angewiesen, und das wissen die Ver-
-121-
bände. (26) Die Forderung nach "mehr Staat" wird, bei realistischer
Einschätzung nicht zur Entmachtung der traditionellen freien Träger
führen, sondern sie wird die bereits eingesetzte finanzielle Aus-
trocknung und Verhinderung von Basisselbsthilfen weiter verstärken.
(27)
Auch die Forderung nach einem Kampf um Veränderung innerhalb der
Bürokratie erscheint angesichts der massiven politischen Disziplinie-
rungen und Bespitzelungen, sowie auf der Basis der Erfahrungen, die
in der Zeit gemacht wurden, als die sozial-liberale Koalition
von Reformen sprach, nicht sehr vielversprechend zu sein. Die Res-
sourcen für Reformen sind, dies hat sich seit Anfang der 70er Jahre
deutlich gezeigt, eng begrenzt. Und eine Reform der Sozialarbeit
wird von der Bürokratie eben nicht unter dem Gesichtspunkt einer
mehr den Bedürfnissen der Klienten entsprechenden Arbeit durchgeführt,
sondern unter dem einer weiteren Rationalisierung und Effektivierung
sozialer Kontrolle und politischer Indoktrination zugunsten des Er-
halts der Klassenstruktur. Und auch unter diesem Aspekt dient die
Forderung nach "mehr Staat" dazu, anstelle der etablierten Verbände
die Basisinitiativen zu zerschlagen.
Es soll hier durchaus nicht bestritten werden, daß es richtig und
wichtig ist, in den öffentlichen Bürokratien den Kampf um Veränderun-
gen zu führen, aber als einzige Alternative zu den derzeitigen Be-
dingungen im Bereich der Sozialarbeit erscheint dies nicht ausrei-
chend, vielmehr ist es ebenso notwendig, neue - alternative - Formen
sozialer Arbeit heute zu erproben. Damit kann nicht gewartet werden
bis der Stand des Kampfs in den Behörden eine den Interessen von So-
zialarbeit Betroffenen entsprechendere Sozialarbeit ermöglicht.
Weiterhin erscheint es notwendig, sich die Ausgangssituation für die
Arbeit von Selbsthilfegruppen vor Augen zu führen. Es ist einer-
seits das Nichtvorhandensein von ausreichenden und geeigneten Ein-
richtungen und Angeboten seitens der staatlichen Jugend- und Sozial-
verwaltung, und andererseits sind es die den Bedürfnissen und Inter-
essen der Klienten widersprechenden Zustände in den etablierten staat-
lichen und kirchlichen Einrichtungen, mit denen sich die Betroffenen
nicht abfinden wollen. Sie wollen sich nicht (länger) von Bürokraten
verwalten, vertrösten und bevormunden lassen, vielmehr wollen sie
selbst Einfluß nehmen auf die jeweiligen Maßnahmen der Sozialarbeit,
deren sie bedürfen.
Und diese Kontrolle, ob in Kinderläden oder Jugendzentren, ob für
Arbeitslose oder Obdachlose u.a., wollen die Betroffenen nicht
(länger) aus der Hand geben, denn die Erfahrung in den staatlichen
Institutionen zeigt ihnen, daß dort heute keine den Interessen der
Betroffenen adäquate soziale Arbeit geleistet wird und werden kann,
und daß die Kontrolle nicht von ihnen selbst, sondern von Ausschüs-
sen wahrgenommen wird, die ihre Interessen zer- und stattdessen die
Interessen des bürgerlichen Staats und des Kapitals vertreten. (28)
Die schlechten Erfahrungen haben sie mißtrauisch gemacht gegenüber
staatlicher Sozialarbeit, und: erfinderisch, was die Selbstorgani-
sation alternativer Hilfe angeht. Und gerade hiermit sind sie auch
mehr als nur spontane sich heute bildende und übermorgen, nach ge-
taner Arbeit, wieder auflösende Selbsthilfegruppen. Sie sind Signal
und Pionier für eine neue Form des Angehens von Mißständen und Lösens
-122=
von Problemen: es geht heute nicht mehr an, daß man nach den sog.
verantwortlichen politischen Instanzen schreit , nach dem Staat
ruft, sondern es ist höchste Zeit, selbst etwas zu tun, selbst aktiv
zu werden; denn gerade dies hatte der Sozialstaat den
Bürgern ja ausgeredet, in dem er für alle Probleme und Mißstände
sich selbst und allein zuständig erklärte, die Bürger gerade hier-
durch auch entmündigte. Gewiß ist es richtig, die erkämpften REchts-
ansprüche gegenüber dem Staat durchzusetzen, falsch ist es aber, sich
stets auf den Staat, auf sein Aktivwerden zu verlassen. Gerade auch
in Hinblick auf eine gesellschaftliche Perspektive, in der die Indi-
viduen mehr ihren eigenen Neigungen und Fähigkeiten entsprechend le-
ben, und die noch erst erkämpft werden muß, ist es notwendig, in
der Praxis die Bedingungen zu studieren d.h. auch die Probleme und
Schwierigkeiten, die auftreten, wenn die Menschen ihr Schicksal, d.h.
zunächst die Lösung ihrer aktuellen Probleme selbst in die Hand neh-
men und dafür nicht den staatlichen Gewalt- und Kontrollapparat be-
mühen. Auch dies muß gelernt sein und wird bereits gelernt.
© Die Abhilfe eines Mangels und die Entwicklung von Lösungsstrate-
gien sozialer Probleme ist auch die Intention der Gruppe des Kinder-
hauses.
Es geht der Gruppe um die Entwicklung und Erprobung alternativer
Kleinstkindpädagogik.
Nicht dagegen geht es ihr darum, ein "Modellversuch" einer künftig
staatlich organisierten Kleinstkindererziehung zu sein, wie sie
vergleichsweise als staatlich betriebene Vorschulerziehung aus der
Kinderladenbewegung hervorgegangen ist.
Denn gerade in der Geschichte der Kinderladenbewegung (ebenso wie
z.B. auch in der Release-Geschichte im Drogensektor) wird das Inter-
esse und die Zielrichtung der staatlichen Bürokratie an solchen "Mo-
dellversuchen" deutlich:
- Unterordnung der fortschrittlichen pädagogischen Ansätze unter
staatliche Rationalisierungs- und Effektivierungsinteressen in
der Sozialarbeit; (29)
- Entpolitisierung der Arbeit;
- Vereinzelung der Initiativen und Reduktion "auf ihre weitere Rolle
als "beachtenswertes familienpolitisches Modell! im Rahmen der
Senatspolitik'" (30);
- Erhalt des Sozialstaatsglaubens in der Öffentlichkeit durch schein-
bar großzügige, jedoch zeitlich eng begrenzte und mit zunehmender
inhaltlicher Kontrolle verbundene finanzielle Unterstützung sol-
cher Modelle durch die öffentliche Verwaltung;
- bewußtseinsmäßige Einpassung der Sozialarbeiter in die Denk- und
Handlungsweisen der Amtshierarchien durch langatmiges Taktieren
um Formalien u.ä. (so nach dem Motto: "Die sollen sich erst ein-
mal die Hörner abstoßen".)
3. SCHLUSSFOLGERUNGEN
© Es erscheint heute wenig klug, angesichts der Praxis öffentlicher
Sozialarbeit, angesichts der massiven politischen Disziplinierungen
und Kontrollen der im Bereich der Sozialarbeit Tätigen durch die
-123-
Hierarchie und politischen Gesinnungsüberwacher die weiter fortschrei-
tende Verstaatlichung der Sozialarbeit zu fordern oder zu begrüßen.
© Es wird deutlich, daß die staatliche Verwaltung in Bedrängnis ist:
einerseits ist das Subsidiaritätsprinzip nützlich für den Staat, weil
es jene etablierten bürgerlichen und konfessionellen Verbände schützt
und bevorrechtet, die als willige und eifrige Helfer der ideologi-
schen Indoktrination dazubeitragen, die herrschende Ideologie aufrecht-
zuerhalten, andererseits ist die wörtliche Anwendung des Subsidiari-
tätsprinzips, wie sie den Organen des Staats mehr und mehr von den
tatsächlich "kleinen überschaubaren Lebenskreisen' entgegengehalten
wird, dem Staat mehr als unangenehm. So hatte er sich das mit dem
Subsidiaritätsprinzip nicht vorgestellt, so war das nicht gemeint
gewesen mit der "freiwilligen Tätigkeit", die angeregt und gefördert
werden sollte, sowas hatte man nicht beabsichtigt, daß jetzt wirk-
lich kleine Gruppen an der Basis die Lösung sozialer Probleme selbst
in die Hand nehmen und in ihrem Interesse angehen.
Der bürgerliche Staat ist gezwungen, sich Gegenstrategien zu überle-
gen. Es bieten sich zwei Möglichkeiten an, wie die Geschichte der
Kinderläden und auch die der Release- Gruppen zeigt: entweder Inte-
gration der Initiativen (etwa über die Förderung und Reglementierung
als Modellversuch) in das staatliche Konzept von Sozialverwaltung,
oder aber finanzielle Austrocknung bis hin zur Kriminalisierung der
Selbsthilfegruppen.
Bei wirklich fortschrittlicher - alternativer - Sozialarbeit sieht
die öffentliche Verwaltung seit jeher rot.
© Es ist angesichts der vorherrschenden Praxis in der Kleinkindpäda-
gogik dringend notwendig, Alternativen zu erproben und dafür Ein-
richtungen zu schaffen. Diese Aufgabe sollte aber nicht aus den Hän-
den gegeben werden, sie sollte im Interesse einer wirklichen Alter-
native selbst durchgeführt werden.
© Es ist richtig und gerechtfertigt, wenn sich Selbsthilfegruppen
mit der Forderung nach Unterstützung an die öffentlichen Verwaltun-
gen wenden, denn die Argumente, die sie vorzutragen haben, sind zu-
treffender als die der traditionellen Spitzenverbände, denn sie
sind die tatsächlich dem jeweils konkreten Problem nahestehenden Ba-
sisgruppen, denen nach dem Subsidiaritätsprinzip der Vortritt ge-
bührt, die ein REcht auf Unterstützung und Respekt haben.
® Die Erfahrungen in der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips gegen-
über Selbsthilfegruppen machen allerdings deutlich, daß sich die Ba-
sisgruppen nicht verlassen können auf die Durchsetzbarkeit ihres
Rechtsanspruchs.
Stattdessen müssen sie sich auf ihre eigenen Kräfte verlassen. Sie
laufen damit aber vielleicht auch weniger Gefahr, mit der staatli-
chen Unterstützung gleich auch das Ende von Alternative eingekauft
zu haben.
Letzteres ist ein Lernprozeß, den die Selbsthilfegruppen machen
(müssen).
-124-
4. ANMERKUNGEN
(1) Ein Kernpunkt des im GG Art. 20 verankerten Rechtsstaatsprin-
zip ist die Bindung der Legislative und Exekutive (also der
Rechtssprechung und öffentlichen Verwaltungen) an das bestehen-
de Recht. Eine Änderung des Art. 20 GG ist gemäß Art. 79 GG
unzulässig. Indem öffentliche Jugendverwaltungen Grundsätze des
JWG mißachten, wie im Fall Kinderhaus Ostertor Bremen das in
$$ 5, 7, 9 JWG festgeschriebene Subsidiaritätsprinzip, verletzen
sie die Verfassung.
(2) Z.B. Kinderhaus Heinrichstaße Hamburg ; vgl. päd.extra-sozialar-
beit 2/78, S. 10
z.B. SSK Köln; vgl. päd.extra-sozialarbeit, 3/77, S. 15
z.B. Initiativgruppe von Sozialhilfeempfängern in Scharnhorst;
vgl. päd.extra-sozialarbeit 4/77, S. 32
z.B. die Frankfurter Selbsthilfegruppe '"Sozialtherapie'; vgl.
päd.extra-sozialarbeit 8/77, S. 10 u.a.m.
(3) Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht, 22 Bd.; S. 200;
Tübingen 1968
(4) Gegen den Vorrang der freien gegenüber den öffentlichen Trägern
haben verschiedene Bundesländer Verfassungsbeschwerde eingelegt.
Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch am Subsidiaritätsprinzip
festgehalten und die Verfassungsmäßigkeit betont. In der Begrün-
dung der Entscheidung des BVerfG heißt es: Das Jugendamt soll
"dort, wo geeignete Einrichtungen der Träger der freien Jugend-
hilde bereits vorhanden sind, die schon allein gewährleisten, daß
die für die Wohlfahrt der Jugend erforderlichen Einrichtungen aus-
reichend zur Verfügung stehen, keine Mittel für die Schaffung
eigener Einrichtungen einsetzen, sondern vielmehr seine Mittel
für die Förderung der freien Einrichtungen verwenden" und weiter:
"Das Jugendamt soll aber nur dann selbst Einrichtungen schaffen
und Veranstaltungen vorsehen, wenn seine Anregungen und Förde-
rungsmaßnahmen bei den Trägern der freien Jugendhilfe nicht zum
Ziel führen"! (BVerfGE, a.a.0. S. 200f.)
(5) F. Harrer, Jugendwohlfahrtskunde; S. 37; Darmstadt 1973
(6) J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht; S. 18
Berlin 1968
(7) In der Debatte um die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips ins
BSHG sagte der SPD-Abgeordnete Metzger im Bundestag: "Sie (die
CDU/CSU, d.V.) wollen mit diesem Gesetzentwurf ein bestimmtes
Ordnungsbild, das in der katholischen Kirche entwickelt worden
ist, für alle verbindlich machen... Im Grunde genommen geht es
doch darum, daß gewisse Verbände das gern möchten, was sie dem
Staat und den Gemeinden vorwerfen: sie möchten möglichst viel Macht
bekommen und von dieser Macht möglichst viel Gebrauch machen."
(Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 3. Wahlperiode, Bd. 49;
157. Sitzung; S. 9027ff, Bonn 1961
(8) In der Sozialenzyklika“*Quadragesimo anno"’wird in Passus 79 f.
der Grundsatz der Subsidiarität am deutlichsten formuliert. Wört-
lich heißt es dort: Es muß doch allzeit unverrückbar jener oberste
sozialphilosophische Grundsatz festgehalten werden, an dem nicht
zu rütteln noch zu deuteln ist: wie dasjenige, was der Einzel-
mensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften lei-
sten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zu-
gewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das,
=125=
was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und
zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete
Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; zugleich ist es überaus nach-
teilig und verwirrt die ganze Gesellschaftsordnung. Jedwede Ge-
sellschaftstätigkeit ist ja ihren Wesen und Begriff nach subsi-
diär: sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf
sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen." (zitiert nach:
0O.v.Nell-Breuning, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft,
Bd. 7, S. 826; Freiburg 1962)
(9) E. Welty, Die Sozialenzyklika Johannes! XXIII; S. 36; Freiburg
1961
(10)0.v.Nell-Breuning, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft,
Bd. 7; Spalte 827; Freiburg 1962 (6. Aufl.)
(11)0.v.Nell-Breuning, Zur sozialen Frage; S. 30; Freiburg 1949
(12)Beispielsweise forderte Clara Zetkin 1922 im Weimarer Reichstag:
"Erziehungsverpflichtet ist in erster Linie der Staat als Vertre-
ter der Gesellschaft" (Zetkin, Die Schulforderungen der kommuni-
stischen Partei Deutschlands; in: Das proletarische Kind; S. 135;
Westberlin 1974). Ein Autorenkollektiv stellte 1971 bezogen auf
die großen freien Verbände, den tatsächlichen Hauptnutznießern
des Subsidiaritätsprinzips, fest: sie seine "Instrumente der Unter-
drückung der Arbeiterklasse" (Ahlheim u.a., Gefesselte Jugend.
Fürsorgeerziehung im Kapitalismus; S. 218; Frankfurt/M. 1974)
(13)A.F. Utz, Formen und Grenzen des Subsidiaritätsprinzips;
S. 126; Heidelberg 1956
(14)K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie; S. 545;
Berlin (Ost) 1974
(15) entfällt
(16)Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode, 157- Sitzung; Rede des
CDU-Abgeordneten von Bodelschwingh; S. 9026; Bonn 1961
(17)K. Marx, Kapital I, MEW 23; S. 505; Berlin (Ost) 1972
(18)vgl. Ahlheim u.a., Gefesselte Jugend, a.a.0.; S. 49
(19)ebd. S. 48
(20)vgl. ebd. S. 48, sowie A.F. Utz, Formen und Grenzen..., a.a.0.,
S. 28 f. Utz meint: "Dabei ist wichtig, daß sie (die freien Ver-
bände, d.V.) ihren Anspruch nicht etwa nur mit dem Hinweis auf
den Armen begründen, dem sie helfen wollen, sondern vielmehr auf
ihr freies Recht, sozial tätig zu sein. Wenn also der Staat diesem
Begehren nachkommt, so mag er selbst vielleicht an die vielen
Armen denekn,die ihm sonst zur Last fallen würden. Das aber ist,
so beton en die freien Wohlfahrtsverbände, ... nicht der nächste
und eigentliche Grund, warum der Staat ihre Tätigkeit zu unter-
stützen habe. Unterstützt werde zunächst und in erster Absicht
die soziale Tätigkeit der freien Verbände." (ebd. S. 28)
(21)In der Debatte um die Verabschiedung des RJWG 1922 im Weimarer
Reichstag sagte der KPD-Abgeordnete Heydemann: "Ich will Sie nur
an die furchtbare Schreckensherrschaft der Fürsorgegewaltigen ge-
genüber den ihnen anvertrauten Wehrlosen und Schutzlosen erinnern,
die in Bayern buchstäblich zu Tode gequält worden sind, unter
der christlichen Fürsorge". (Reichstagsprotokolle, 226. Sitzung,
1l. Juni 1922; S. 7814) Tatsächlich hatte sich der Staat lange Zeit
aus der inhaltlichen Arbeit der privaten Wohltätigkeitsvereine
herausgehalten, und erst eingegriffen, als die Staatssicherheit
gefährdet wurde. Es ist insofern allein schon kein Wunder, daß
die Kommunisten sich aufs Heftigste für die Entprivatisierung sol-
cher Anstalten einsetzten.
-126-
Prokla
Zeitschrift für politische Ökonomie
und sozialistische Politik
Neue Phase
der Gewerkschaftspolitik?
Einzelheft
M
r
im Abo
DM 8.-
Rotbuch
rd Verlag
(22)ebd. Reichstagsprotokolle, a.a.0. S. 7814
(23)Clara Zetkin, Die Schulforderungen der Kommunistischen Partei
Deutschlands, 24. Januar 1922, Rede im Reichstag; in: Das Prole-
tarische Kind; S. 135; Berlin (West) 1974
(24)Ahlheim u.a., a.a.0. S. 318
(25)ebd. S. 208
(26)aus dem Informationsmaterial der Bundesarbeitsgemeinschaft der
freien Wohlfahrtspflege wird anhand von Zahlen die große Bedeu-
tung der freien Wohlfahrtsverbände deutlich:
z.B. 60 % aller Alten- und Pflegeheime,
75 % aller Heime für Kinder und Jugendliche werden von
diesen Verbänden getragen; in allen Einrichtungen der freien
Wohlfahrtsverbände sind insgesamt 395.000 Menschen beschäf-
tigt.
(27)immer häufiger versucht die staatliche Bürokratie die Förderung
von Initiativen mit dem Hinweis zu verweigern, es bestehe kein
Bedarf. So z.B. gegenüber dem Kinderhaus Heinrichstr. in Hamburg,
und so ja auch gegenüber dem Kinderhaus Ostertor.
(28)Beispielsweise setzt sich in Bremen der Jugendwohlfahrtsausschuß
zusammen aus: Vertretern der freien Vereinigungen für Jugend-
wohlfahrt, dem Senator für Soziales, Jugend und Sport, Vertretern
der in Bremen wirkenden Jugendverbände, Vertretern der evangeli-
schen Kirche, Vertretern der kath. Kirche, Vertretern der jüdi-
schen Kultusgemeinde und 11 "in der Jugendwohlfahrt erfahrene
Männer und Frauen aller Bevölkerungskreise", Vertreter des Landes-
jugendamtes, des Gesundheitsamtes, der Vormundschafts- und Jugend-
richter, und einem Lehrer. (vgl. Gesetz zur Ausführung des Ge-
setzes für Jugendwohlfahrt; Brem. GBL. S. 184)
(29) entfällt
(30)Harns u.a., Alternative Pädagogik oder Reformbürokratie?
in: Sozialmagazin 3/78; S.19,
Hole SAGEN, SIE SIND SECHZIG JAHRE
z ALT UMD HATTEN FÜNFUNDSECHZIG JAHRE
IN DER ARBEITERWOHLFAHRT GEARBE ITET,
-5 4 s
jE +) DAS IST DOCH GAR NICHT MÖGLICH. DOCH,
IR
u DOCH, SIE MÜSSEN DIE ÜBERSTUNDEN
SI a] MP miTRechwen”
ÖTV Kreisverband Stuttgart/ Betriebsgruppe Arbeiterwohlfahrt
KOLLEGEN KÄMPFEN UM DIE 40 - STD.-WOCHE
AWO WILL LEHRLINGSHEIM SCHLIESSEN
Am 1.3.79 teilte die Geschäftsführung der Arbeiterwohlfahrt, Kreis-
verband Stuttgart, dem Betriebsrat den Beschluß des Geschäftsführen-
den Vorstands der Arbeiterwohlfahrt mit, das Jugendwohnheim "Andreas-
Dreher-Heim" (ADH) Ende Juni zu schliessen. Dies, obwohl Heimplätze
für Lehrlinge in Stuttgart dringend benötigt werden und obwohl durch
eine Schließung die Arbeitsplätze von 14 Kollegen akut gefährdet
sind!
Der vorliegende Beschluß stellt den bisherigen Höhepunkt einer Aus-
einandersetzung dar, die im Herbst 1978 damit begonnen hatte, daß
Kollegen und Betriebsrat nicht länger den seit Jahren regelmäßig
anfallenden Überstunden zustimmten.
Die Forderung nach Einhaltung der 40-Std.-Woche und der Einstellung
von mehr Personal wurde aufgestellt.
Mit der Veröffentlichung des Konflikts wollen wir in erster Linie
die Kollegen im ADH unterstützen. Darüber hinaus finden solche Aus-
einandersetzungen aber nicht nur bei uns statt.
Zumindest hier in Stuttgart ist bekannt, daß das Personal in den
Krankenhäusern den Kampf aufgenommen hat gegen katastrophale Arbeits-
bedingungen. Ähnliche Auseinandersetzungen wird es sicher - ob verein-
zelt oder von ganzen Belegschaften - in kirchlichen und städtischen
Wohnheimen, in Kinderheimen usw. geben. Eben dort, wo von dem Perso-
nal nach wie vor verlangt wird, weit über 40 Stunden zu arbeiten und
das meist unter verheerenden Bedingungen und oft ohne Bezahlung. Be-
sonders betroffen sind die Einrichtungen, wo die gesamte Woche über
und auch nachts in verschiedenen Schichten gearbeitet werden muß.
Diese Bewegung hat inzwischen einzelne Einrichtungen aus allen Be-
reichen der Sozialen Arbeit ergriffen. Dies ist nur zu verstehen,
wenn sie eingeordnet wird in die weiterreichenden gewerkschaftli-
chen Kämpfe gegen die Ausdehnung und Intensivierung der Arbeit.
Die Streiks der Stahl- und Druckarbeiter und die gewerkschaftlich
verankerte Forderung nach der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnaus-
gleich stehen dabei im Mittelpunkt.
Für den gesamten sozialen Bereich kommt hinzu, daß viele Illusionen
über den "Ausbau des Sozialstaats" schwinden. Die Zeit der "großen
Reformen" ist dahin und damit auch die Illusion, durch Sozialarbeit
"gesellschaftliche Veränderungen bewirken zu können". Für Gottes
Lohn ist inzwischen kaum mehr jemand bereit, seine Arbeitskraft zu
verkaufen. Aber auch für den "demokratischen Sozialismus" der Ar-
beiterwohlfahrt sind zunehmend weniger Kollegen bereit, ihre Arbeits-
kraft übermäßig und unbezahlt zu verausgaben.
Zwar gibt es das Argument, man müßte seinen Arbeitseinsatz doch an
den Klienten orientieren und soziale Arbeit erfordere eben ein sehr
hohes persönliches Engagement. Sinnvolle soziale Arbeit, was immer
-129-
auch darunter verstanden wird, setzt aber doch gerade voraus, daß
erträgliche Arbeitsbedingungen erkämpft werden.
Der Kampf um Lohn und Arbeitsbedingungen gewinnt größere Kraft und
Bedeutung, weil die Beschäftigten im sozialen Bereich sich mehr und
mehr darüber bewußt werden, daß sie in einem Lohnverhältnis stehen,
in dem der Dienstherr einen bestimmten Preis zahlt, für den die Ar-
beitskraft verausgabt werden muß.
Wir haben diese Dokumentation erstellt, um einen Beitrag zur Aufhe-
bung der augenblicklich existierenden Zersplitterung und Vereinze-
lung dieser Auseinandersetzung zu leisten. Um längerfristig ein ge-
meinsames Vorgehen zu ermöglichen, müssen Kontakte und ein Austausch
geschaffen werden, sowohl zwischen verschiedenen Einrichtungen und
Verbänden, als auch besonders innerhalb der Arbeiterwohlfahrt in
der BRD.
Im folgenden dokumentieren wir den Verlauf der Auseinandersetzungen
um das Adreas-Dreher-Heim in Stuttgart.
DER AWO-KREISVERBAND STUTTGART
Die Verbände der Arbeiterwohlfahrt sind eingetragene Vereine auf
Kreis-, Bezirks- oder Bundesebene. In allen Teilen der Bundesrepu-
blik ist die AWO auf diesen drei Ebenen Träger verschiedenster Ein-
richtungen für Jugend- und Sozialhilfe. Die Arbeit wird von ehren-
und hauptamtlichen Mitarbeitern ausgeführt.
Der Kreisverband (KV) der AWO in Stuttgart ist folgendermaßen struk-
turiert:
Neben ehrenamtlich betriebener Arbeit mit Mitgliedern in Stadttei-
len, führt der KV eine ganze Reihe professioneller Einrichtungen
(Kindergärten/Horte,Kinder- und Jugendarbeit, Betreuung und Kurse für
ausländische Jugendliche, Heimunterbringung für Zuwanderer und Lehr-
linge, Altenarbeit, Familien- und Kindererholung etc.), deren Ver-
waltung zentral geleistet wird. In diesen Einrichtungen sind z.Zt.
insgesamt ca. 160 Mitarbeiter beschäftigt - der Stuttgarter KV der
AWO ist relativ groß.
Vor etwa fünf Jahren haben gewerkschaftlich organisierte Kollegen/
innen angefangen, eine gesetzliche und gewerkschaftliche Interessen-
vertretung aufzubauen, die jetzt intensiv und kontinuierlich arbei-
tet:
© Wir haben einen Betriebsrat (7 Mitglieder, die meisten gewerkschaft-
lich organisiert), der sich konsequent einsetzt für die Belange der
Beschäftigten.
© Teile der gewerkschaftlich organisierten Kollegen/innen arbeiten
in einer ÖTV-Betriebsgruppe, die sich 14-tägig trifft, zusammen mit
Teilen des Betriebsrats. Dort werden gewerkschaftliche und betrieb-
liche Probleme besprochen (z.B. Lohntarifverhandlungen, Disziplinie-
rungsmaßnahmen des Arbeitgebers, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Pro-
bleme aus den Einrichtungen etc.). Der Vertrauensleutekörper (7 VL
aus verschiedenen Einrichtungen) ermöglicht es, die Probleme der zer-
splitterten Betriebsteile in der Betriebsgruppe zusammenzufassen und
gemeinsam vorzugehen. Über die Vertrauensleute und eine Kreisdele-
gierte beteiligen wir uns betriebsübergreifend an der Gewerkschafts-
politik der ÖTV-KV Stuttgart und haben so auch Kontakt zu Kollegen
in anderen Einrichtungen.
-130-
WER WOHNT IM LEHRLINGSWOHNHEIM DER AWO ?
Es sind 70 männliche Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren, die eine
Lehre machen: z.B.
© Jugendliche aus Familien mit sozialen Schwierigkeiten, aus der
Heimerziehung, Halb- oder Vollwaisen.
© Jugendliche, die in Stuttgart eine Lehrstelle gefunden haben, de-
ren Familien aber irgendwo anders wohnen.
© Der größte Teil sind Auszubildende, die nach Stuttgart kommen müs-
sen, um die Berufsschule im Block (Kursdauer früher 6, jetzt
4 Wochen) zu besuchen. Sie lernen Berufe, für die es in ihrer Ge-
gend keine entsprechenden Berufsschulen gibt. Im ADH wohnen z.B.
Zimmerleute, Former, Vermessungstechniker, Modellbauer und Azubis
aus Bauberufen. Teilweise kommen sie aus ganz Baden-Württemberg.
Alle diese Jugendlichen sind auf eine Unterbringung im Heim ange-
wiesen.
Im Zuge der Lehrstellenverknappung bei gleichzeitiger Zunahme der
Schulabgänger sind immer mehr Jugendliche gezwungen, Berufe zu erler-
nen, in denen es noch vor ein paar Jahren wenig Nachfragen gab, z.B.
Zimmerer oder Former. Die Zahl dieser Auszubildenden ist gewachsen
und damit auch die Nachfrage nach Wohnheimplätzen für die Zeit des
Blockschulunterrichts in Stuttgart. So ist das Heim bis auf kurze
Ausnahmen, gerade in letzter Zeit voll belegt. Einige der Lehrlinge
haben schon Schwierigkeiten, im Juni/Juli, wenn sie wieder nach Stutt-
gart kommen müssen, eine Wohnmöglichkeit zu finden, weil das Heim
jetzt schon vollkommen ausgebucht ist.
WAS BIETET DAS HEIM ?
Die Tagessätze für die Unterbringung und Verpflegung werden von der
Pflegesatzkommission des Landes festgelegt und betragen z.Zt. 24.70 DM.
Für die Berufsblockschüler bezahlt davon 50 % das Oberschulant,
den Rest müssen sie selbst tragen oder ihr Betrieb; für die anderen
zahlt das Jugend- oder Sozialamt oder sie bezahlten selbst, dann
einen niedrigeren Tagessatz, der von der AWO festgelegt wurde.
Die Heimbewohner erhalten Vollverpflegung. In der heimeigenen Küche
sind zwei Mitarbeiterinnen und ein ZdL beschäftigt. Die Doppelzim-
mer und sämtliche Gemeinschafträume werden vom Wirtschaftspersonal
(4 Putzfrauen) gereinigt, das auch die Betten bezieht. Im Haus ist
noch eine Wäscherei untergebracht (3 Mitarbeiterinnen), in der für
alle AWO-Einrichtungen des KV gewaschen und gebügelt wird.
ARBEITSBEDINGUNGEN DER PÄDAGOGISCHEN MITARBEITER
Wie in den meisten anderen Heimen auch, muß die Heimleitung (z.Zt.
4 Pädagogen und 1 ZdL) in Schichten, an Samstagen, Sonn- und Feier-
tagen, incl. Nachtbereitschaften, sprich: rund um die Uhr arbeiten.
Außerdem fallen immer eine ganze Anzahl Überstunden an, weil sonst
immer etliche Aufgaben unerledigt blieben. Obwohl uns nach dem Man-
teltarifvertrag ÖTV/AWO Zeitzuschläge für Arbeit an Wochenenden,
für Nachtarbeit und Überstunden zustehen, wurden diese erst auf un-
ser Drängen hin ausbezahlt, nachdem wir schon ein bis zwei Jahre ge-
arbeitet hatten.
Feiert einer Überstunden ab,ist krank oder im Urlaub, müssen die an-
deren gleich mehr arbeiten, so daß die Überstunden immer nur im
-131-
Kreis herumgeschoben werden, Überschneidungen von Früh- und Spät-
schichten - die einzige Zeit, in der alle Mitarbeiter zusammen sind
- sind erforderlich, um sich über Vorgefallenes zu informieren,
sich abzusprechen und die Arbeit zu planen. Schichtdienst ergibt sich
daraus, daß die Heimleitung Verwaltungsaufgaben zu erledigen hat und
durch die pädagogische Arbeit, die abends stattfindet wie z.B. Frei-
zeitangebote in- und außerhalb des Hauses, Gespräche mit einzelnen
oder Gruppen, Schlichtung von Auseinandersetzungen, Beratung und
Unterstützung von Jugendlichen in schwierigen Lagen.
Der Personalstand reicht nicht aus, um die vielfältigen Aufgaben zu
erledigen und die erforderlichen Dienstzeiten abzudecken. Personal-
abbau und Arbeitsintensivierung verschärften das Problem in den letz-
ten drei Jahren:
Gab es für Kleinreparaturen und Hausinstandhaltung vor einigen Jah-
ren noch einen Handwerker, bzw. dann einen ZdL, oder für die Anlei-
tung des Wirtschaftspersonals und die ganze Organisation der Raum-
pflege eine Mitarbeiterin, so hat inzwischen die Heimleitung diese
Aufgabengebiete voll übernommen, ohne daß sie personell aufgestockt
worden wäre. Im Gegenteil: Im selben Zeitraum wurde nach und nach
Personal abgebaut, so daß von 3 Sozialpädagogen und 4 ZdL heute
noch 4 Pädagogen und 1 ZdL übrig Im vergangenen Jahr kam dann
noch eine weitere Arbeitsintensivierung dazu, weil die Kurse der
Berufsschüler von 6 auf 4 Wochen verkürzt wurden, was 1/3 mehr Ver-
waltungsarbeit bedeutet und noch größere Schwierigkeiten, einen Kon-
takt zu den Jugendlichen herzustellen. Immer wieder wurde mehr Per-
sonal gefordert. Auch die Geschäftsführung selbst stellte im Novem-
ber 1977 fest, daß allein zur Abedeckung der erforderlichen Dienst-
zeiten 5 1/2 Fachkräfte notwendig wären. Dennoch dauerte es genau
11 Monate, also bis Oktober 78, bis der vierte Pädagoge schließlich
eingestellt wurde.
Richtlinien für Lehrlingswohnheime unserer Größe schreiben minde-
stens vier Fachkräfte (einschl. Heimleiter) vor zur Wahrnehmung pä-
dagogischer Aufgaben. Die übrigen Arbeitsbereiche sollen von ent-
sprechenden anderen Fachkräften besetzt werden.
DER VERLAUF DER AUSEINANDERSETZUNGEN
Im Herbst 1978 diskutierte der Betriebsrat und die Betriebsgruppe
der ÖTV über den Abbau von Überstunden in der Arbeiterwohlfahrt. Es
wird erkannt, daß ein Abbau von Überstunden nur dann sinnvoll Ist,
wenn gleichzeitig eine Intensivierung der Arbeit verhindert werden
kann und mehr Personal eingestellt wird. Am 6. Dezember 1978 findet
eine Betriebsversammlung statt, in der der Betriebsrat die Kolle-
gen auffordert Überstunden abzulehnen und die Dienstpläne von der
Geschäftsleitung erstellen zu lassen.
Daraufhin schreiben am 7. Dezember 1978 die pädagogischen Mitarbei-
ter des Andreas Dreher Heims einen Brief an die Geschäftsleitung.
Darin steht, daß in Zukunft jede Woche der Dienstplan zur Genehmi-
gung eingereicht wird; daß die Dienstpläne Überstunden enthalten,
weil es nicht möglich ist, alle notwendigen Dienstzeiten ohne Über-
stunden abzudecken. Es würden also regelmäßige Überstunden anfallen
trotz der Aufforderung der Geschäftsleitung,die 40-Stunden- Woche
einzuhalten. Die Mitarbeiter wiesen darauf hin, daß nach $ 87 Be-
=132=
triebsverfassungsgesetz die Anordnung von Überstunden mitbestimmungs-
pflichtig ist.
Vor diesem Zeitpunkt waren die Dienstpläne von den Mitarbeitern selbst
erstellt worden. Das hatte Vor- und Nachteile. Der Vorteil war, daß
man die Arbeitszeiten der Mitarbeiter flexibler planen kann. Dies
wiegt allerdings die Nachteile nicht auf. Es kann praktisch nur eine
Verwaltung des Mangels stattfinden. Die Mitarbeiter ordnen sich un-
tereinander die betriebsnotwendigen Überstunden an. Eine Änderung der
Personallage und damit der Abbau von Überstunden kann so nicht er-
reicht werden, denn solange die Pläne selbergemacht werden, wird das
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats umgangen. Er kann erst eingrei-
fen, wenn die Dienstpläne von der Geschäftsleitung angeordnet wer-
den. Wenn man Überstunden abbauen will, ist die Eigenerstellung von
Dienstplänen ein Fehler.
Die Mitarbeiter reichten folglich ihren Dienstplan zur Genehmigung
ein. Dieser Dienstplan vom 11.-17.12.78 enthielt, wie alle vorherge-
henden Pläne, regelmäßige Überstunden, die aus den Nachtbereitschaf-
ten und den Samstags- und Sonntagsdiensten entstanden.
Dər Betriebsrat gibt zu diesem Dienstplan am 18.12.78 gegenüber der
Geschäftsleitung eine Stellungnahme ab. Er stimmt den Überstunden
nachträglich zu. Gleichzeitig sagt er, daß die Überstunden der Kol-
legen regelmäßige Überstunden sind, die aus einem Personalfehlbestand
erwachsen. Er kündigt an, in Zukunft diese Überstunden nicht mehr zu
genehmigen. Um das Problem zu lösen schlägt er ein gemeinsames Ge-
spräch zwischen Geschäftsleitung, Mtiarbeitern und Betriebsrat in
der Woche vom 15.-21. Januar 1979 vor.
Das gemeinsame Gespräch fand am 18. Januar statt. Die Mitarbeiter
erhofften sich davon eine Lösung des Problems. Aber die Geschäfts-
leitung schickte lediglich zwei Referenten, die nicht befugt waren,
Verhandlungen mit dem Betriebsrat zu führen. Die Vorschläge der Ge-
schäftsleitung zum Überstundenabbau:
- Es wären keine Überstunden mehr nötig, da man keinen Wochenend-
dienst mehr machen müßte.
- Es gäbe ja einen Praktikanten, den man als 5. Kraft zählen könnte.
Die Mitarbeiter lehnten beide Vorschläge ab. Der erste entsprach
nicht den Tatsachen, es waren auch weiterhin Wochenenddienste not-
wendig. Zum zweiten ersetzt ein Praktikant keine Planstelle. Beide
Vorschläge wurden vom Betriebsrat als Manöver zur Zeitverzögerung
eingeschätzt. Deshalb genehmigt der Betriebsrat am 19.1. die Über-
stunden der laufenden Woche nicht mehr.
Erst jetzt fängt die Geschäftsleitung an, sich intensiv Gedanken
über unsere Lage zu machen. Sie schaltet sofort ihren Rechtsanwalt
ein. Die Mitarbeiter werden angewiesen, Überstunden zu machen. Dies
wird verweigert, da sie nicht vom Betriebsrat genehmigt worden sind.
Daraufhin macht der Geschäftsführer an diesem Wochenende Dienst. Er
tut das auf eine sehr dubiose Weise. So gibt er einem ihm unbekannten
Heimbewohner den Generalschlüssel, damit er in alle Zimmer Essens-
marken verteilen kann. Er selbst geht abends aus dem Haus und läßt
einen geistig behinderten Heimbewohner Telefondienst im Büro machen,
mit dem Versprechen, ihm mal ein Bier zu zahlen.
Der Konflikt hatte sich also zugespitzt. Mitarbeiter und Betriebsrat
=133-
setzten sich mit einem juristisch ausgebildeten Gewerkschaftsmit-
glied zusammen, um das weitere Vorgehen grundsätzlich zu diskutie-
ren.
Sie kamen zu folgendem Ergebnis:
© Keine individuelle Verweigerung von Überstunden. Kein individuel-
les Vorgehen, da dies für die einzelnen Kollegen zu gefährlich
werden könnte.
© Alles muß über den Betriebsrat laufen. Der Betriebsrat hat Mitbe-
stimmungsrechte beim gesamten Dienstplan und muß die Einhaltung
von Arbeitszeitordnung und Tarifvertrag überprüfen.
© Sollte die Geschäftsleitung den Betriebsrat weiterhin umgehen,
kann durch eine Klage nach $ 23 BVG (Pflichtverletzung) beim Ar-
beitsgericht die Vorlage aller Pläne erzwungen werden.
Gleichzeitig nahmen wir Kontakt mit der ÖTV-Kreisverwaltung auf. Der
Kreissekretär sagte uns Unterstützung und Rechtsschutz zu. Er sag-
te, die ÖTV werde eingreifen, wenn der Konflikt sich weiter ver-
schärft. Zur ÖTV wurden in jeder Phase der Auseinandersetzung Kon-
takte gehalten.
Anschließend beschäftigten wir uns intensiver mit Arbeitszeitordnung
und Manteltarif. Daraus ergaben sich folgende Punkte, die in den
Dienstplänen berücksichtigt sein müssen:
= Höchstarbeitszeit (BMT/AWII $ 11 Zusatz-TV $ 1)
= Tagesarbeitszeit (AZO $ 3)
= Ununterbrochene Ruhezeit zwischen den Diensten (AZO $ 12 (1))
- Die Bereitschaftsdienste sind als Arbeitsbereitschaft anzusehen
und zählen damit voll als Arbeitszeit (AZO $ 7)
Ab jetzt weist die Geschäftsführung die Dienstpläne unter Umgehung
des Betriebsrates an.
Die Kollegen reagieren auf die Dienstanweisungen wiederum mit einem
Brief an die Geschäftsführung, in dem die einzelnen Verstöße gegen
die Arbeitszeitordnung (AZO) und den Bundesmanteltarifvertrag (BMT)
aufgezählt werden und informieren den Betriebsrat (BR). Da der BR
zum wiederholten Male beim Aufstellen des Dienstplanes übergangen
wurde, demgegenüber er aber nach $ 87 Betriebsverfassungsgesetz
(BetrVG) ein volles Mitbestimmungsrecht hat, beschließt er am
25.1.79 eine Klage nach $ 23 BetrVG beim Arbeitsgericht einzuleiten,
um sein Mitbestimmungsrecht zu erzwingen.
Gegenüber der Geschäftsführung lehnt er die Dienstanweisungen mit
Verweis auf die gesetzlichen Verstöße ab.
Die Geschäftsführung nimmt am nächsten Tag ihre schriftlich vorge-
legten Anweisungen wieder zurück.
Die folgende Zeit ist bestimmt von kurzfristigen Dienstanweisungen
an einzelne Kollegen, nach wie vor unter Umgehung des Betriebsrates,
Teilweise werden die Kollegen erst am Abend angewiesen, wie sie am
nächsten Tag zu arbeiten haben. Die Freizeit ist nicht mehr vorher-
planbar. Jedesmal wird die Geschäftsführung schriftlich auf die Ver-
stöße aufmerksam gemacht. Von einer Anzeige gegen die Geschäftsfüh-
rung wegen Verletzung der AZO und des BMT wird abgesehen, da sich
sonst die Auseinandersetzung auf einzelne Kollegen verlagern würde,
die Einzelklagen zu führen hätten. Man soll, um sich abzusichern,
alles über den Betriebsrat laufen lassen. Erstmals am 1.2.79 legt
die Geschäftsführung dem Betriebsrat ein Dienstplanschema zur Mit-
bestimmung vor und bietet Verhandlungen am 5.2.79 darüber an.
-134-
Das vorgelgte Schema ist so dreist, daß es an jedem Tag gegen die
AZO bzw. den BMT verstößt. Es muß hier eingefügt werden, daß die
Geschäftsführung längst zu allen Fragen ihren Rechtsanwalt hinzu-
zieht, und der auch dieses neue Schema mit ausgearbeitet hat.
Zu den Verhandlungen am 5.2.79 kommt die Geschäftsführung selbst
nicht, sie schickt den Rechtsanwalt und den verantwortlichen Referen-
ten. Aufgrund der massiven Verstöße lehnt der Betriebsrat das Dienst-
planschema ab und zeigt auch keine Bereitschaft, über Gesetzesver-
stöße zu verhandeln. Der Rechtsanwalt beteuert, daß er sonst ja
immer auf Arbeitnehmerseite stünde, verteidigt aber das vorgelegte
Dienstplanschema. Er widerspricht der Argumentation des Betriebsra-
tes und bezieht grundlegend andere Rechtspositionen.
Kern dieser rechtlichen Auseinandersetzung ist der Bereitschafts-
dienst. Während der Betriebsrat argumentiert, daß dieser als Ar-
beitsbereitschaft zu sehen und damit arbeitszeitlich voll zu rech-
nen sei, beharrt die Geschäftsführung darauf, daß der Bereitschafts-
dienst nur zu 25 % als Arbeitszeit gerechnet werden kann.
Vom "arbeitnehmerfreundlichen" Rechtsanwalt wird den Kollegen und
dem Betriebsrat vorgeworfen, sie wollten nur erreichen, ihr Geld im
Schlaf zu verdienen, da man während der Bereitschaft ja ausschließ-
lich schlafen würde. Es wird offensichtlich, daß keine Einigung über
den vorgelegten Dienstplan erzielt werden kann. Der Betriebsrat
schlägt die Bildung einer Einigungsstelle nach $ 76 BetrVG vor, der
Rechtsanwalt stimmt zu.
Um den Konflikt zu einem Problem aller Kollegen des Kreisverbandes
zu machen und eine breite Solidarität zu schaffen, führt der Be-
triebsrat am 6.2.79 eine Betriebsversammlung durch. Die Auseinander-
setzung soll auf keinenFall zu einem reinen Rechtsstreit werden.
Nach ausführlicher Schilderung der Arbeitsbedingungen der Kollegen
im ADH und Diskussion über den Stand und Verlauf der Auseinander-
setzung wird ohne Gegenstimme bei ca. 80 Anwesenden folgende Resolu-
tion beschlossen:
"Die Betriebsversanmlung ist über die Lage im Andreas-Dreher-Heim
informiert worden. Sie hält die Forderung der Kollegen nach mehr
Personal für berechtigt. Sie unterstützt das Vorgehen des Betriebs-
rates, der Arbeitszeitordnung und dem Bundesmanteltarifvertrag
widersprechende Dienstpläne sowie beabsichtigte Intensivierung der
Arbeit abzulehnen.
Sollte sich die Lage zuspitzen, halten wir die Durchführung einer
außerordentlichen Betriebsversammlung für notwendig.
Wir verurteilen das Verhalten der Geschäftsführung, nicht zu der
Betriebsversammlung erschienen zu sein.
Wir fordern die Geschäftsführung auf, als Verband Finanzierungspro-
bleme durch Forderungen nach mehr Mitteln und nicht durch Abstriche
bei den Kollegen und den Einrichtungen zu lösen.
Wenn die Geschäftsführung meint, daß die Mittel nicht ausreichen,
sollte sie dies gegenüber der Belegschaft belegen. Wir werden sie
dann bei der Forderung nach mehr Mitteln unterstützen."
Für die Einigungsstelle schlägt der Betriebsrat als unabhängigen
Vorsitzenden den Gesamtpersonalratsvorsitzenden der Stadt Stuttgart
vor und benennt die Beisitzer (PR-Vorsitzender Katharinenhospital,
Jurist u. Vorstandsmitglied der ÖTV, BR-Vors. AWO). Die Geschäfts-
führung versucht die Bildung der Einigungsstelle zu verzögern. Am
-135-
liebsten hätte sie, einer der Kollegen des ADH würde Anzeige wegen
Verletzung der AZO gegen sie erstatten. Dadurch könnte sie den Jah-
re dauernden Instanzenweg durch die Arbeitsgerichte beschreiten.
Die Geschäftsführung hat erkannt, daß der Konflikt weit über den
AWO-Kreisverband Stuttgart hinausgeht und Bedeutung für die gesamte
AWO gewinnt, vor allem in Bezug auf die Anrechnung der Bereitschaft
als volle Arbeitszeit. Sie setzt sich mit dem Bundesverband der
AWO in Verbindung.
Der vom Betriebsrat vorgeschlagene unabhängige Vorsitzende der Eini-
gungsstelle wird von der Geschäftsführung abgelehnt. Erst am 28.2.79
erkennt sie einen Arbeitsrichter als Vorsitzenden der Einigungsstel-
le an.
Hinsichtlich der Dienstpläne fährt die Geschäftsführung den Kurs der
einseitigen Anordnung ohne die Beteiligung des Betriebsrates weiter.
Zudem beginnt sie über die Dienstpläne zu disziplinieren, indem z.B.
einem Kollegen in einer Woche 4 Spätdienste aufgebrummt werden.
Das vom Betriebsrat eingeleitete Verfahren liegt inzwischen dem Ar-
beitsgericht vor. Verhandlungstermin am 30.5.79!!
Inzwischen war auf Initiative der Kollegen des ADH ein Treffen mit
dem Vorsitzenden der AWO Stuttgart zustande gekommen. Ergebnis: Er
erklärt die Forderung nach mehr Personal für nicht finanzierbar.
Am 19.2.79 spitzt sich die Auseinandersetzung weiter zu. Die Ge-
schäftsführung verschickt an alle Kollegen des ADH einen Brief nach
Hause. (einschl. Putz- u. Küchenpersonal).
Auf die Forderungen der Kollegen wird nicht eingegangen, stattdessen
wird versucht, den Kollegen ein schuldhaftes Herunterwirtschaften des
Heimes vorzuwerfen,
Schuld an den kurzfristigen Dienstplänen sowie an dem Konflikt über-
haupt seien alleine die 4 pädagogischen Kollegen, weil sie die Aus-
einandersetzung überhaupt eingeleitet und quasi völlig überhöhte For-
derungen stellen würden. Zitat: "Wir behalten uns auch deshalb Ihnen
gegenüber alle Ansprüche, die sich künftig arbeitsrechtlich ergeben
könnten, vor."
Hauptsächlich wird aber mit dem Verlust der Arbeitsplätze gedroht:
"Selbst Sozialpädagogen ohne kaufmännische Ausbildung sollte der
Zusammenhang zwischen den Einnahmen einer Einrichtung und der Sicher-
heit ihrer Arbeitsplätze verständlich sein."... "Wir möchten in die-
sem Zusammenhang mit allem Ernst und mit Nachdruck noch einmal
darauf hinweisen, daß Sie durch eine nachlässige Wahrnehmung Ihrer
Dienstobliegenheiten die Einnahmenseite des Andreas-Dreher-Heimes
negativ beeinflußt haben und durch den Versuch, ständig weitere
Investitions- und personelle Belastungen der Einrichtung aufzubür-
den, Ihre eigenen Arbeitsplätze und die der übrigen Mitarbeiter des
Heimes gefährden."
Die bisher gerüchteweise umlaufende Schließungsdrohung des Heimes
wird durch diesen Brief jetzt ganz offen aufgeworfen zusammen mit
Vorwürfen der "Verletzung von Dienstobliegenheiten". In erster Li-
nie soll jedoch das hauswirtschaftliche Personal gegegen die 4 Päda-
gogen aufgehetzt werden.
Am 28.2.79 führt der Betriebsrat eine Abteilungsversammlung im ADH
durch. Mit nur einer Ausnahme stellt sich das hauswirtschaftliche
Personal hinter die 4 Pädagogen. Die Kollegen und der Betriebsrat
-136-
weisen den Brief der Geschäftsführung vom 19.2.79 zurück und leiten
ein Beschwerdeverfahren ein.
Am 29.2.79 erhält der Betriebsrat einen Brief von der Geschäftsführung,
daß das ADH zum 30. Juni 79 als Jugendwohnheim geschlossen werden
soll. Dies sei ein Beschluß des Kreisvorstandes der AWO. Über eine
etwaige Zweckänderung solle in den nächsten Wochen diskutiert wer-
den.
Der Betriebsrat plant kurzfristig eine a.o. Betriebsversammlung und
informiert die Kollegen. Er weitet den Konflikt auf den gesamten
Kreisverband aus und fordert die Dienstpläne von allen Einrichtungen
des Kreisverbandes zur Überprüfung von der Geschäftsführung an.
RESUMEE
Das Angebot der Diskussion über eine Zweckänderung des Heimes hal-
ten wir für eine Beschwichtigungsformel. Mindestens die 4 Pädagogen
sollen über die Klinge springen, wobei aufgrund der seitherigen Er-
fahrungen auch bei dem teilweise schon über 10 Jahren beschäftigten
Hauswirtschaftspersonal nicht unbedingt Halt gemacht wird. Besonders
Teile derer haben sich durch mieseste Arbeitsbedingungen kaputt ge-
schunden und stehen jetzt vor der Existenzfrage ihres Arbeitsplatzes.
Ganz offensichtlich will die Arbeiterwohlfahrt die aufgeworfene
Auseinandersetzung regional auslöschen. Es soll ein Exempel statu-
iert werden: Wer soweit gegen uns vorgeht, dem wird es schlecht er-
gehen!
Die AWO hat erkannt, daß ihr eine Niederlage in dieser Auseinander-
setzung droht, zumindest teilweise. Dazu soll es nicht kommen, des-
halb die beabsichtigte Schließung.
Die Kollegen des Andreas-Dreher-Heimes haben mit Unterstützung gros-
ser Teile der Belegschaft des ganzen Kreisverbandes der AWO den
Kampf um die Erhaltung und den Schutz ihrer Arbeitskraft aufgenom-
men, indem sie gegen die Bedingungen der Nacht-, Schicht-, Wochen-
end- und Feiertagsarbeit vorgehen.
Besonders die Berechnung des Bereitschaftsdienstes ist dabei von
zentraler Bedeutung. Die Belastung durch die langen Blockarbeitszei-
ten nimmt erheblich ab, wenn wir eine volle Anrechnung auf die Ar-
beitszeit von wöchentlich 40 Stud. erreichen.
Sollte uns dies gelingen, so ist es nicht nur ein Erfolg für uns.
Er hätte Auswirkungen auf die AWO in der gesamten BRD als auch auf
viele der anderen karitativen und städtischen Einrichtungen. Diese
Auseinandersetzun gnur auf uns begrenzt zu gewinnen, ist sehr schwie-
rig. Wir brauchen die Unterstützung anderer Bereiche und Kreisver-
bände der AWO. Der Einschüchterungsversuch mit der Drohung des Ver-
lustes von 14 Arbeitsplätzen muß zurückgeschlagen werden.
Unterstützt uns in den Forderungen:
© KEINE ENTLASSUNGEN IM ANDREAS DREHER HEIM!
© DAS ANDREAS DREHER HEIM MUSS ALS JUGENDWOHNHEIM FÜR BLOCKSCHÜLER
WEITERBESTEHEN!
© VOLLE ANRECHNUNG DES BEREITSCHAFTSDIENSTES AUF DIE ARBEITSZEIT!
© EINSTELLUNG VON 2 WEITEREN KOLLEGEN!
Solidaritätsadressen an:
- Frieder Bohlmann, Geschäftsführer der AWO Kreisverband Stuttgart,
Olgastraße 63, 7000 Stuttgart 1
- Betriebsrat der AWO, Kreisverband Stuttgart, Olgastraße 63,
7000 Stuttgart
“ ES BLÜHT DIE SELBSTVERWALTUNG IN QUAREGNON”
— FRAUEN IM KAMPF UM IHRE ARBEITSPLÄTZE —
Quaregnon liegt im belgischen Bergbaugebiet Borinage. In den 60er
Jahren ist die Borinage wirtschaftliches Notstandsgebiet. Zechen
schliessen, die Arbeitslosigkeit steigt. Der Staat fördert neue In-
dustrieansiedlungen. Die Brüsseler Firma Salik schläft nicht. Mit
fetter staatlicher Hilfe baut sie in Quaregnon 1966 eine Jeans-Fa-
brik und verspricht 1.000 Arbeitsplätze, - billig bezahlte typische
Frauenarbeit am Band. Salik versteht sich weiterhin auf sein Ge-
schäft:
© 1973 macht er aus der Zweigstelle eine Tochterfirma: 250 Frauen von
800 fliegen raus. Die Mutterfirma verpachtet zu überhöhten Mieten
die Anlagen an die Tochter, nimmt aber die Hosen zu Niedrigpreisen
ab. Die Tochter muß in die roten Zahlen kommen
© 1976: ein (geplanter) Konkurs, wiederum bleiben 250 Frauen auf der
Strecke. Auf wundersame Weise entsteht aus den Resten der bankrot-
ten Firma eine neue Tochter.
® Sommer 1978: die Tochter steuert mit 300 Arbeiterinnen auf einen
neuen Konkurs zu
Am 17.8.78 besetzen 150 Arbeiterinnen aus Protest die Fabrik.
Die Frauen fordern von den Gewerkschaften Unterstützung. Die CSS
(christl. Gewerkschaft, deren wallonischer Teil für Selbstverwaltung
ist und noch andere selbstverwaltete Betriebe unterstützt,) ist auf
der Seite der Besetzerinnen und zahlt Streikgelder. Die FGTB (sozia-
list. Gewerkschaft) ist gegen die Besetzung. Der Bischof von Tournai
unterstützt die Arbeiterinnen mit einer öffentlichen Erklärung, - sie
hätten mit ihrer Aktion vergessene Werte neu entdeckt, sie seien
metzt mit Initiative, Liebe und Herz am Werk, sie erlebten das Teilen
von Verantwortung, die gegenseitige Hilfe und die Sehnsucht nach Ent-
faltung in einer besseren ausgeglicheneren Arbeitswelt, in der die
Arbeiter nicht mehr einfach Rädchen seien.
Die Solidarität aus der Bevölkerung und aus anderen Fabriken ist
groß. Die Näherinnen organisieren Solidaritätsreisen, Veranstaltun-
gen, Tage der offenen Tür in der Fabrik, wo sie auch ihre selbst ver-
faßtes Theaterstück spielen. Sie richten eine Kinderkrippe und ein
Restaurant ein. Im Dezember 1978 lassen sie sich als Kooperative
SANSEMPLOI (wörtl.: ohne Arbeit) offiziell eintragen.
Die Arbeiterinnen:
"Zu Anfang haben wir nicht besetzt, um eine Kooperative zu machen,
sondern weil die Fabrik geschlossen und der Konkurs eingeleitet wer-
den sollte. Wir haben besetzt, um die Öffentlichkeit auf unsere Lage
aufmerksam zu machen und die Leistungen noch zu bekommen, die uns
zustanden. Die Idee, eine Kooperative zu machen, kam später. Als die
Treuhänder in der Fabrik eine Bestandsaufnahme machten, meinten sie
zu 400 zugeschnittenen Hosen, das seinen nur Lappen, die könne man
= 138 =
r
DIE NHHERINNEN DER COOPERATIVE BRAUCHEN
UNSERE SOUDMAITÄT UND UNTERSTÜTZUNG
rar
unglaublich’...
aber wahr!...
Wiù HABEN BESCHLOSSEN :
WIR PRODUZIEREN sergst
OMNE UNTERN UHER
WIO PRODUZIEREN...
Wik VERURUFEN ...
WIA ZAHLEN UNS SELBST LOUN
Nach 9 Monaten Fabrikbesetzung entsteht die Kooperative SANSEMPLOI
und, wie es in unserem Lied heisst:
"es blüht die Selbstverwältung in Quaregnon"
wegwerfen. Da haben wir gedacht, daß man die doch zusammennähen und
verkaufen könnte und daß das ein neuer Anfang wäre. Und so entstand
die Idee, eine Kooperative zu machen". "Um andere selbstverwaltete
Betriebe kömmerten wir uns früher nicht. Wir hatten ja Arbeit, - dann
wurden wir arbeitslos; wir besetzten, um unser Recht zu bekommen. An-
dere Fabriken, in denen es SChwierigkeiten gab, - das sagte uns
ncihts. Das ist jetzt anders! Jetzt interessieren uns die Erfahrungen
in den selbstverwalteten Fabriken sehr. Wir haben die besucht, die
Bausand herstellt und die, die Teppichfäden macht. Aber vorher,
das existierte alles nicht für uns.
EE) i A l ' G
‚ei Pu
"Der Kampf war schon sehr hart und er wird noch härter werden. Die
Frauen, die geblieben sind, müssen noch schwere Aufgaben bewältigen,-
das wird immerhin eine Fabrik sein, die laufen wird. Aber wenn alle
das verstehen und die Aufgabe sehen, die auf sie zukommt, dann geht
das auch, das wird keine so große Belastung sein. Wir vom Verwaltungs-
komitee haben das ja auch geschafft und wir haben es auch gewollt,
um die Dinge vorwärtszubringen. Wenn man die Arbeit verteilt, wird
sie nicht so belastend sein. Denn die sind bei der Stange geblieben,
die sich die meiste Arbeit aufgeladen haben. Auch wenn es hart ist und
noch härter wird, wir bewältigen jetzt alles besser als vorher. Jetzt
sind wir gerade dabei, die Aufgaben auf mehrere Frauen zu verteilen,
damit alle sich beteiligen können. Wir werden zusammen alles versuchen,
um vorwärts zu kommen."
"Da waren Mädchen, die sich nie von ihrer Maschine wegrührten, die
sehr schwerfällig waren. Jetzt machen sie hier mit, übernehmen Ver-
antwortung. .."
"Du interessierst dich für Dinge, die du früher nicht machen konntest.
Jetzt hast due die Möglichkeit dazu, also machst du sie. Ich meine,
wenn du einer Arbeiterin die Möglichkeit gibst, etwas anderes zu
machen, dann hat sie auch dieFähigkeit dazu."
"Wir müssen 500 Hosen pro Tag produzieren, das haben wir versucht,
das geht. Damit die Hosen nicht im Lager schmoren und um bares Geld
zu haben, damit die Kooperative jetzt die Frauen einstellen kann,
müssen wir vor allem den Verkauf schaffen. Wir haben Schwierigkeiten
- 140 -
mit den Stofflieferanten. Sie wollen keinen Vertrag mit uns machen
weil wir uns nicht in einer "normalen" Sitaution befinden. Wir šol-
len vorher bezahlen. Jetzt müssen wir unsere ganze Energie auf den
Verkauf der 5000 Hosen richten, die auf Lager sind, also alle mobili-
sieren und soviel wie möglich verkaufen."
"Meine Verwandten fragen mich oft, wollen Informationen. Sie mögen
das, was wir machen nciht. Sie sagen "Revolution", ... für sie ist
das, was wir machen, eine Revolution."
(a
EI
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A
7300
LES ” 100” EMPLOIS
140, Coron
des Sans
EMPLOIS
Quaregnon
[ERNS SIND NICHT NUR JERNSF
DIESE KOOPERATIVE SoLL LEBENY
DESHALB: MACHT MIT
BEIN MIUTANTEN HOSEN -
VERKAUF UND-LRUF
(ca. % billiger als andeve
Morkenjeans
WIR HABEN Schon ANGEFANGEN
Kordoktadvesse:
ASH (ARRBEITERSELBITHILFE)
Adv.: KNEBSMÜHLE
O3} OBERURSELS (Wake Tankfuf)
Ted. OVAA (73494
(EX-SALIK)
100"
EMPLOIS
(Ex-Salik)
Tél.: 065/
7759 21
NONDaUVND
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A
SOLIDARITE LA LA
MATERIALIEN, HINWEISE,STELLENANGEBOTE/-SUCHE
aaa
BITTE UM MITARBEIT -
VERZEICHNIS ALTERNATIVER JUGENDHILFEEINRICHTUNGEN
Die gängigen Heimverzeichnisse verzeichnen gängige Heime. Bei kleinen
alternativen Einrichtungen besteht ein bemerkenswertes Informations-
defizit. Dies wird noch gesteigert durch die amtsübliche Praxis, er-
fahrungsbezogen eigene interne Listen anzulegen, die nur einen be-
schränkten fachlichen und regionalen Sektor offenlassen - in dem dann
oft umso mechanischer verfahren wird. Demgegenüber existieren "in-
sider-Listen", oft gar nur zufällig gehandelte Tips unter Fachkolleg-
en über experimentelle Formen von Fremdplacierung.
Über den fachlichen Informationswert hinaus gewönne ein bundesweites
Verzeichnis politischen Stellenwert durch eine Art "Leistungsbilanz'.
Empirisch abgesichert läßt sich der behaupteten Unvermeidbarkeit
von Geschlossener Unterbringung gegenübertreten mit dem Argument
einer Vielzahl funktionierender Alternativen. Abgewiesen wäre der
Bluff von: es bleibt uns ja nichts anderes übrig!
Bei dieser Sammeltätigkeit sind wir auf Euere Mithilfe angewiesen.
Jeder der eine alternative Einrichtung kennt, schreibe an:
Projektgruppe Fremdplacierung im Fachbereich Sozialarbeit an der
FHS Fulda, c/o K.H. Herr/P.Krahulec, Marquardstr. 35, 64 Fulda
SEMINARE /TAGUNGEN
21.Juli - 4. August in Melle
Thema: Alternative Ökonomie
Anmeldung: AG SPAK-Geschäftsstelle, Belfortstr. 8, 8 München
2. - 5. August in Ahrdorf (Eifel)
Thema: Standhalten - Flüchten - Gründe der Resignation und Möglich-
keiten der Überwindung
Anmeldung: AG SPAK-Geschäftsstelle
6. - 8. Juli in Frankfurt
Redaktionssitzung Info Sozialarbeit zum Thema "Behinderte - Nicht-
behinderte" und Vorbereitungsdiskussion für die Nachfolgetagung
vom 9. - Il. November (voraussichtlich) zum gleichen Thema.
Protokoll und Bericht der Arbeitsfeldtagung "Behinderte - Nichtbe-
hinderte" kann gegen Voreinsendung von DM 2,-- beim Arbeitsfeld
Sozialarbeit, Postfach 591, 605 Offenbach 4 bezogen werden.
28. - 30. September (Ort steht noch nicht fest)
Arbeitsfeldtagung Sozialarbeit
Thema:Aussteigen - Weitermachen - Wie
- 142 -
Zur politischen Strategie im Sozialbereich
Nähere Informationen: Arbeitsfeld Sozialarbeit im SB, Postfach 591,
605 Offenbach 4
———————— nn
STELLENANGEBOTE/-SUCHE
© Berufspraktikant/Sozialarbeiter sucht ab 1.Oktober 1979 Stelle
in Hamburg im Bereich Jugendarbeit, Gemeinwesenarbeit
Angebote unter Chiffre 1/1979 an Verlag 2000,Postfach 591,605
Offenbach 4
SJD-Die Falken - OV Ulm/Neu-Ulm sucht ab 1.8. oder 1.9. eine(n)
Praktikanten(in) für die verbandliche außerschulische Jugendarbeit
Bewerbungen an: Bruno Bakalovic, Augsburgerstr. 51, 79 Neu-Ulm
ZDL-Stelle ab Oktober 1979 frei. Viel Organisationstalent und
sozialpolitische Kenntnisse erwünscht. Vorkenntnisse in Verwal-
tungsarbeit wären gut. Interessenten melden sich bei: AG SPAK,
Belfortstr. 8, 8 München 40
SJD-Die Falken Kreisverband Köln sucht hauptamtlichen Mitarbeiter.
Er/Sie soll für den Aufgabenbereich der kommunalen Jugendförderung,
Buchführung, Geschäftsführung und die Betreuung der Gruppenarbeit
eingestellt werden.
Voraussetzung: abgeschlossene Berufsausbildung oder Studium als
Sozialarbeiter, Lehrer usw. und Falken-Mitglied. Bewerbung an:
SJID-Die Falken, Kreisverband Köln, Severinswall 32, 5 Köln 1
Verein Jugendhaus Herrenberg sucht zwei hauptamtliche Mitarbeiter
für die Jugendarbeit.
Bewerbungen an: Jugendhaus-Verein, Schulstr.11, 7033 Herrenberg
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WANDERAUSSTELLUNG "KINDER DES ELENDS - LATEINAMERIKA"
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Zum Internationalen Jahr des Kindes wurde eine Ausstellung erstellt
mit dem Titel:
"Kinder des Elends - Der Kampf der Armen für die Zukunft ihrer Kinder:
Lateinamerika im Internationalen Jahr des Kindes",
Diese Ausstellung kann als Wanderausstellung nach Westdeutschland,
Österreich und in die Schweiz verliehen werden (ab August 1979).
Ausgehend von der Situation der Kinder der Ärmsten - der Kinder der
Elendsviertel werden die Ursachen der Land-Stadt-Wanderung und des
Anwachsens der Elendsviertel gezeigt: Ungleiche Besitzverhältnisse
und Marktchancen auf dem Lande, fehlende Arbeitsmöglichkeiten udn
Wohnungsdefizite. in den Städten. €
Die Leidtragenden dieser Verhältnisse sind hauptsächlich die Kinder.
Inhumane Wohnungsbedingungen, mangelhafte Gesundheitsversorgung und
ungleiche Bildungschancen sind deren Folgen. Kinderarbeit, Kinder-
banden und Kinderprostitution sind dann weitere Stichwörter.
Aber es gibt auch eine Fülle positiver Ansätze dieser Menschen, ihr
Elend grundlegend aufzuheben. Demokratische Selbsthilfeorganisatio-
nen im Wohnungs-, Erziehungs-, Gesundheits- und Versorgungsbereich
aus der Zeit der Unidad Popular in Chile oder des Peronismus in Ar-
gentinien 1973/74 stehen exemplarisch für ähnliche Erfahrungen in
fast allen Ländern Lateinamerikas. Viele dieser Selbsthilfe-Ansätze
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wurden durch die Repression der Militärdiktaturen erstickt. Doch
ist damit der Kampf um eine bessere Zukunft nicht abgebrochen wor.
den. In vielfältiger Weise organisieren sich die Elendsviertelbewoh-
ner unter erschwerten Bedingungen neu und führen den Kampf gegen die
Diktaturen für demokratische Selbstverwaltung der Basis.
Ein Weg dahin sind zwei Projekte in Elendsvierteln zugunsten von
Kindern, die in der Ausstellung vorgestellt werden Eine selbstver-
waltete Kindergartenkooperative in Santiago de Chile und ein Gesund-
heitszentrum in Bogotä/Kolumbien.
Didaktisches Ziel:Über das Medium Ausstellung wird aufgeklärt über
Zusammenhänge von Verarmung in der Dritten Welt, konkretisiert an
Elendsvierteln, dem sichtbarsten Zeichen der Verarmung, an den Ur-
sachen ihrer Entstehung und an Wegen zur Überwindung der Verarmung
durch konkrete Beispiele der Basisorganisation auf dem Lande und in
der Stadt.
Zielgruppen: Die Ausstellung wendet sich vor allem an Personen, die
politische Bildungsarbeit mit Jugendarbeit im weitesten Sinne ver-
binden, also: Jugendleiter, Lehrer, ERzieher, Eltern. Aber sie wen-
det sich vor allem an Jugendliche selbst, an Schulklassen und Jugend-
gruppen.
Zusätzliche didaktische Mittel: 4 Dia-Ton-Serien über Chile, Brasili-
en, Kolumbien und Argentienien; ein großformatiger 100 seitiger Foto-
Text-Band. Weitere didaktische Zugänge, die in der Ausstellung inte-
griert sind, sind Gedichte und Lieder, Interviews mit den Betroffe-
nen (Kindern und Erwachsenen), Bildern von Kindern aus Elendsvier-
teln gemalt und Stoffbilder aus Chile, die jeweils bestimmte Situa-
tionen des Elends kennzeichnen.
Die Ausstellung, die uns über 8.000,- DM kostete, kann für 350,-DM
pro Woche beim F.D.C.L., Savignyplatz 5, 1000 Berlin 12 bestellt
werden. Die Transprotkosten müssen die Gruppen selbst tragen. Die
Dia-Ton-Serien kosten zusätzlcih jeweils 30,-DM pro Woche.
Schon verliehen ist die Ausstellung in den ersten zwei Wochen des Sep-
tember nach Stuttgart. Interessenten werden gebeten, ihre zeitlichen
Ausleih-Wünsche an die geographischen Gegebenheiten anzupassen, um die
Transprotkosten auf ein Minimum zu beschränken (eta: Süddeutscher Raum
möglichst August-Oktober, norddeutscher Raum November-Dezember und
danach).
Die Erfahrungen mit der mangelhaften und unsolidarischen Zahlungs-
moral mancher Gruppen, die wir aus der Fußball und Folter-Ausstel-
lung gewonnen haben, lassen es notwendig erscheinen, die Verleihge-
bühr vor den Verleihterminen zu verlangen, Ausnahmen sind möglich!
Es sei auch hier noch einmal daruf hingewiesen, daß wir keinerlei
Gewinn machen. Der finanzielle Überschuß gehtvoll auf die in der Aus”
Stellung propagierten Solidaritätskonten!
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EATEN aS
links
Sozialistische Zeitung
bringt monatlich auf etwa 28 Seiten Informationen und Anregun-
gen für die politische Arbeit, Beiträge zur sozialistischen Theo-
rie und Strategie, Berichte aus der Linken international. „links“
-ist illusionslos, undogmatisch — eine Zeitung für Theorie der
Praxis und für Praxis der Theorie.
Einzelpreis DM 2,—.
Bezugspreis, jährlich, DM 22,— + DM 6,— Versandkosten
CXDICS
Zeitung für BOZIGESUSTN
Betriebs- und i
Gewerkschaftsarbeit
Sprachrohr der Kollegen und Genossen, die sozialistische Be-
triebs- und Gewerkschaftsarbeit machen. Informationen über
die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit. Beitrāge,
die man nicht in den Gewerkschaftszeitungen findet.
Einzelpreis DM 1,20.
Bezugspreis, jährlich, DM 14,— + DM 6,— Versandkosten
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Verlag 2000 GmbH, Postfach 591, 605 Offenbach 4.