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Full text of "Informationsdienst Sozialarbeit (1972 - 1980)"

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INFO  SOZIALARBEIT 


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Fursorgeerzi  ehung 


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Dieser  Info  dient  der  Information  ""^"f^l^ 
zwischen  sozialistischen  Gruppen  und  Einzelnen .die  im 
Sozialisationsbereich  arbeiten  und  wendet  sich  an 
Sozialarbeiter,  SozialpHdagogen,  Heimerzieher,  Kinder 
gartnerinnen,  Sozial planer,  Psychologen,  Erziehungsbe 
ratungsstellen,  Kriminologen,  Wmr.BmKsMUto- 
rer,  Dozenten  und  Studenten  an  ^^J^^ttltZ- 
etc.  Itn  Mittelpunkt  dieser  Ausgabe  stent  die  Furso rge- 
erziehung  mit  schwerpunktmaSiger  Onenjnerung  auf  das 
Thema  "Wohngemeinschaft  mit  Jugendlichen  der  offentli- 
chen  Erziehung". 

Einzelpreis  drei  Mark 


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INFO  SOZIALARBEIT  Heft  1 


I  N  H  A  L  T 

Editorial 

Vorbemerkungen  zu  dieser  Ausgabe 

Sozialarbeit  im  Kapitalismus 

Der  Sozialarbeiter 

Soziopsychische  Situation 
der  Sozialarbeiter 

Schlaglichter  zur  Herkunft 
der  "Fursorge"jugendlichen 

Konkretionen  zum  Aufbau 
eines  Jugendkollektivs 

Verein  Soziale  Jugendarbeit  e.V. 
Konzeption  fiir  die  Einrichtung 
einer  Wohngemeinschaft  rait  Minder jahri gen 
in  b'ffentlicher  Erziehung 

Verdeutli chung  der  Klassenlage 
der  Sozialarbeiter  an  Hand  der  im 
Kollektiv  gemachten  Erfahrungen 

"DIE  KOLLEKTIV-ZEITUNG" 

Solidaritat  mit  dem  Georg-von-Rauch-Haus 

Zunehmender  Druck  der  Sozialburokratie 
auf  Jugendwohngemeinschaften 

BUCHBESPRECHUNGEN 

Gefesselte  Jugend 

Zur  Sozialisation  proletarischer  Kinder 

Mater i alien  zur  Lage 

der  Arbeiterjugend  in  Westberlin 

Geschichte  und  Funktion  der  Sozialarbeit 

Nachrichten 


Seite 

3 

Seite 

9 

Seite 

11 

Seite 

19 

Seite 

2o 

Seite 

22 

Seite 

25 

Seite 

32 

Seite 

37 

Seite 

41 

Seite 

55 

Seite  59 

Seite  63 
Seite  65 

Seite  67 
Seite  71 

Seite  72 


Is^aS 


Editorial 


Die  Wirtschaftskrise  1966/67,  das  Aufbrechen  der  Widerspriiche  insbe- 
sondere  an  den  Ausbildungsstatten  -  Hochschulen  und  Schulen  -  haben 
das  gesamte  System  der  BRD  in  eine  gesellschaftliche  Krise  gefiihrt  und 
den  Glauben  in  den  "krisenfesten  Kapitalismus"  nachhaltig  erschuttert. 

BeeinfluBt  durch  die  Studentenbevegung  und  konfrontiert  mit  ihrer  ei- 
genen  mangelhaften  Ausbildungssituation  an  den  Hoheren  Fachschulen  und 
einer  Praxis,  die  sich  auszeichnet  durch  fehlende  Mittel,  ungeniigender 
personeller  und  materieller  Ausstattung  etc.  stellte  sich  fur  einen 
iramer  groBer  werdenden  Teil  der  im  Sozialbereich  Tatigen  (Sozialarbei- 
ter,  Sozialpadagogen,  Erzieher,  Kindergartnerinnen  etc.)  die  Frage 
nach  den  Wider spriichen,  durch  die  ihre  Arbeit  gepragt  vird,  der  poli- 
tischen  Funktion  von  Sozialarbeit  und  der  Selbstorganisation  in  diesem 
Arbeit sf eld. 

Die  Funktion  von  Sozialarbeit  mit  ihren  verschiedenen  Bereichen  im  Re- 
produktionssektor  ist  allerdings  bisher  erst  auf  einer  sehr  allgemei- 
nen  Ebene  bestimmt:  AKS-Papier,  Gefesselte  Jugend,  Erziehung  und  Klas- 
senkampf  Nr.  h/Ti.    Sozialarbeit /Sozialpadagogik  sind  vernachlassigte 
Bereiche  gesellschaftlicher  Reproduktion.  Sie  sind  gesellsuhaftlich 
notwendige  Arbeit  zur  Erhaltung  und  Qualifizierung  der  Ware  Arbeits- 
kraft.  Da  der  Kapitalismus  auf  die  reibungslose  Verwertung  der  Ware 
Arbeitskraft  angewiesen  ist,  beobachten  vir  im  Verlauf  der  letzten^ 
Jahrhunderte  eine  immer  starkere  Verge se 11 sc haft ung  der  Sozialarbeit , 
die  als  Institutional sierung,  Prof essionalisierung  und  Verstaatlich- 
ung  zum  Ausdruck  kommt. 

Dabei  sind  die  gesellschaftlichen  Funktionen  der  Sozialarbeit  zu  dif- 
ferenzieren:  zum  einen  erfiillt  sie  allgemeine  und  materielle  Aufgaben, 
•die  eine  jede  Gesellschaft  im  Hinblick  auf  die  Erhaltung  der  mensch- 
lichen  Arbeitskraft  wahrzunehmen  hat  (Sozialversorgung,  Gesundheits- 
fiirsorge.  Vorschule,  Kindergarten),  zum  anderen  erwachsen  ihr  Aufga- 
ben die  sich  als  institutionalisierte  Reaktion  auf  Phanomene  verste- 
hen'lassen,  die  sich  direkt  oder  indirekt  aus  den  spezifischen  Wider- 
spruchen  der  kapitalistischen  Gesellschaft  ableiten  lassen:  so  die 
materielle  Unterstiitzung  derjenigen,  die  aus  dem  ProduktionsprozeB  her- 
ausfallen  und  nicht  voll  integriert  sind;  so  die  disziplinatorische 
Integration  derjenigen,  die  vorgangige  Erziehungsinstitutionen  nicht 
zu  den  gevriinschten  "normalen"  Verhaltensweisen  gebracht  haben.  -  Durch 
den  kapitalistischen  Widerspruch  von  gesellschaftlicher  Produktion  und 
privater  Aneignung  sind  der  Sozialarbeit  materielle  Grenzen  gesetzt. 
Die  infrastrukturellen  Bereiche  werden  nur  soueit  gefordert,  vie  es  die 
Stabilisierung  des  Systems  erfordert. 


tZ'f860'5'"  »  4itSP       ?°Sen  habe°  beute  erkannt,  daB  die 
^ZT'  8US  der  si=hP  ^fSS+n"ht  ^fgehoben  sind  und  die  Arbei- 
HS«  LS  eeSeUsch^l^hS  RH6^^  ^^den  Teil  rekrutiert, 

lnBer  «  einer  s  h&r    a  ^f?"  zu  reproduzieren  und  sich  ein 
Der  Staat  hat  ..     s  D^— eru ng  befindet. 

^ti^sr^T":::  Au:snoDeYnd  MaBnah»-  ^^en, 

""aaderl!^,    aufzufa"gen  und  nc£^?en  der  kaPi*alistischen  Pro- 
deren  Rech?»  ^     dle  FinWzierunI.  dL  Z  >?  Reforme°  nur  soveit  vor- 

uad  «wiS^fr"ffc  Un^inEb„  !£?£  °*»?   sie  «r  die  Reproduktion  der 
Ch.r.Ei!11!^?*!***.  fefi^!!!°^fn  Slnd-  "ie  sozialpolitischen 


"ierunggl'  £e  "bernehmea  nicT  °  ° a*en  *aher  einen  widerspruchliohen 

"»lit^  WH  f d  5k°nomiS  Ur«^  Sle  S°Uen  auch  abienken  von 
'  Vervahrl°sung,  Armut  etc!  V°D  0bda=hl°sigkeit,   Kriai- 

^^3rt«a^^i^£wi??"  - d~  *■*  -  **- 

Eich  So^alSrr3*101182^™,^^-  ^Srb-lt  dur<=nlief  verschiedene 
•*c.   i„  a!^1*"-,  Sozial.s,!!™66-   lQ  v^len  Stadten  nr^nisierten 


**"     J"   ■  ^it«     "•  So2ialpSdagoSn     iQ-Vlelen  Stfidten  organisierten 

I  IT?*"1'  ^^ITli^*1  W&  KindergAnerinnen 
'  »it  PursorBezfi^j.r       ?lch  ""it   Students  »,  BD^^,,r- 


etc-  ^  StTW-  S-iaIpld=r^n-Vielen  Stfidt-  organist 
PenPr°jekten"if£PPen'  bet^ligtfn  riS?1^  W&  Kindergartnerinnen 
PsychiSeh  KraSl       ^^"Sslingen        f  S*  studenten  an  Randgrup- 

V°a  ^^-nat^S:;  ^  ^"ten'etgSrr'   ?tra^an6enL,P 

aoaeUen.  n  eigene  Vereine  zur  Organisierung 

"n  erster  Vp* 

y°^Bsetzun  ^^  offen  .  Wobe.       «/T1   gemacht  -  jedoch  ^.^  noch 
*?  ^Bung  fich?i       ^e*  **  So»iSw  ?  ^^  "nterschiede  und 

**•»«*  una  erst     diesem  Berei<»  ^?irzf^reen  fur 

STkrSLMs  5oc  ^°  sUnd  d6r  ^^^pSa'r-51^  &Uf  ^^iative  des 
^ISClia,  AKTlos  fc^  daa  S^f^af°«"c^n  KorreSponaenz  Berlin 

TJZ'^°  "****  in  £?„!!0aite  fQr  S  Zuk,^Sen-  Die  Zusanmenarbeit 
fomullert;   ,M  Dnd"  a^=hlieSendea  >"  WWwisationsBtirtena 

Alt UCkten  «w.eniSf lgea  Soli^isie^nntutl0n  z™  Jugendhilfetag 
er^:re  Und  CIS  •   ^^  ■6gXi*^fhU*ea  S«6enuber  den  un- 

•l^i:r0&^^s^ 


jekt^ie*tri0rienti«rten  ^U-flnden.   Racist  "Z1".65   Jetzt'  A11' 
ta«ert!vHertsn  Grupnen  ^  &>2aal^eiter^ri.a^-SO  die  kritisch 
r^io-ii     14ete  ^ektl,2U  Sa*eW.   E^  *f .  ^;ieher  ia  lokalen  pro- 
S10aal"  »«— e^"^^  -ird  si.n^^f  v^"end  des  Jugendhil^- 
deit  befaaBen...     "  ^  ^en  Mdgiic^i^^^. 


■ Anieige 


DAS  SOZIALISTISCHE  BORO  -  WORUM  GEHT  ES? 

Clubs,  in  Basisgruppen  an  den  Hochschu     ^         innerhaib  der   'offi- 
Jugendverbande  und  als  kntische  Gruppierungen  in  b 
ziSllen-  Organisation^    Gewer  schaft en.  K     £e  .  ^ej.^.^^ 
weit  verzweigten  Praxis  liegt  die  C w    ^,  eDi  kuss1on    praktische 
Bewegung.  Aber:  Ergebnisse  der  theoret  schen  Diskuss  o      ^      ^ 
Erfahrungen.  Modelle  *?ezifischer  und  loka  P  sie  infonna. 

Auswertung  fur  die.sozial  istische  L,nke  in sgesaim.         .^^  fehu  es 
torisch  nur  unzureichend  venmttelt  weraen.  u  hfc  und  wenn 

an  Kooperation.  die  Uber  d,e  e,  ene     a      arbeit  {^  ^  ^ 

es  darauf  ankomnt.  in  ^"^^^^eich  hinausgehende  Forderungen 
spezifischen  Gruppen-  oder  J^eitsbereich  nin      s     Koordination 
und  Selbstorganisation  durchzusetzen,  dann  ist  a  ^^ 

meist  unzureichend.  Das  SoZ1al istische  Buro  w    l  heite  .  ^ 

Ko™>unikation  und  Kooperation  "jnter  der  sozia  ist  s c  ^  grbSeren 

ihren  verschiedenen  Gruppierungen  zu  entw  «ein  beitragen. 

Effektivitat  und  zur  Organisierung  sozialistischer  Rr 

Deshalb  n^chen  wir  "iinks".  f^V^^J^^dSf  &1a  Istische 
gerichtete  sozial istische  Zeitung.  Deshalb    aben  a  Informations 

Buro  und  der  Sozialistische  Le^^""dt9^bt  das  Sozialistische  Bi,ro 
dienst  fllr  progressive  Lehrer  ^%eb^X^slhe  Betriebs-  und  Ge- 
Bilt  der  GFP  "express  -  Zeitung  fur  ""fl^ziallstlsche  Berufs- 
werkschaftsarbeit"  heraus.  Weitere  Infos  fur  soz  Infonnations- 

praxis  sind  in  ihren  ersten  Ausgaben  er «hienen.  s  URBEIT_  Er. 

dienst  ARBEITERBILDUNG  und  der  I^0™^1""!^^ 5eines  Biicher-  &  Paper- 
ganzend  fdrdert  das  Sozialistische  Buro  Bitwi  Schriften  fUr 

vertriebs  die  Herstellung  und  Verbreitung  ausge  strategisch 

die  theoretische  Arbeit,  fur  Schulun       ft praxis    Aktivit3ten 

wichtigen  Feldern.  Uber  lo^le.u"dHP^^iistischen  BUros  ist  die 
Weiterer  wichtiger  Arbeitsbereich  des  Sozialistis  antiimperiali. 

Unterstutzung  von  Auslandergruppen  in  der  ™u™  punktuellen 

stischen  Dritte-Welt-Gruppen  sowie  die  Koo« nat  on 
Aktionen  im  Bundnis  mit  anderen  linken  Organisation 
In-ietzter  Zeit  kann  das  Sozialistische  Buro  eine  erhebliche^Auswei 
tung  seiner  Aktivitaten  und  f^^.^^ltlrt  vor  gut  zwei  Jahren  im- 
BUro  und  seine  Projekte  konnten  seit  de «»  »*  ,     h-  g0nS0lidiert  sind 
merhin  soweit  gebracht  werden.  daB  sie    wcnn  fullen  ksnnEn.  Urn 

und  die  zugedachte  POl^^fJ^^U™"^  und  erweitern  zu 
das  Sozialistische  Buro  und  sel"^^0^^alistisches  Buro"  gegrundet. 
kSnnen,  haben  wir  den  "Fdrdererkre «  Sozialistisc  ^  ^.^ 

Mir  bitten  alle.  die  sich  Uber  e;"  A^~ich  finanziell  leisten    ^ 
stische  Buro  engagieren  mochten  und  «le  "  pbrderer  bestimnen  die  Hohe 
kbnnen;  dem  Fdrdererkreis  beizutreten    Die^or  ^  5___} 

ihres  Beitrages  selbst  (jindestens  J^ocn  ^n  sozialistische 

halten  regel^aBig.  "links"  kostenjos  zuge sandt^  ^  sozialistiscnen 
Buro  als  einziges  standig  bes?tz;"0Hr^prer! 
Linken  auszubauen.  brauchen  wir  neue  Forderer. 
Sozialistisches  BUro.  6o5  Offenbach  4.  Postfach  591 


Jedoch  veder  dieser  BeschluB  noch  der  anschlieBende  Appell  und  Aufruf 
in  der  Sozialpadagogischen  Korrespondenz  Nr.  1 1/1970  konnten  die  An- 
satze  auf  regionaler  Ebene  vorantreiben,  -  der  Versueh,  die  Gruppen 
auf  nationaler  Ebene  zu  organisieren,  erfolgte  nicht.  Die  Grunde  hier- 
fur  durften  einergeits  unter  der  daaals  besonders  stark  vuchernden 
Fraktionierung  innerhalb  der  Linken,  andererseits  aber  aueh  in  der 
Konzentrierung  vieler  Gruppen  auf  6rtlicb.es  und  projektbezogenes  Ar- 
beiten  zu  sue hen  sein.  Ebenso  konnte  der  Anspruch  der  Oenossen  mit  der 
Zeitschrift  Erziehung  und  KLassenkampf  "die  strategisehen  Diskussionen, 
Schulung,  Initiierung  und  Verscharfung  der  Massenkampfe  und  die  Ver- 
einheitlichung  des  Organisationsprozesses  sozialistiseher  Erzieher 
und  proletarischer  Jugend  voranzutreiben"  nicht  eingelost  verden.  Sin 
vesentlicher  Grund  -  sicher  nicht  der  einzige  -  dafur  ist  die  in  vie- 
len  Beitragen  deutlich  verdende  Abhebung  von  den  alltaglichen  Erfah- 
rungen,  Konflikten  und  Problemen  der  Sozialarbeiter  und  Sozialpadago- 
gen  aus  der  Praxis.  So  notvendig  ein  theoretisches  Organ  fur  den  Er- 
ziebungssektqr  ist,  es  kann  jedoch  nicht  daruber  hinvegtauschen,  da6 
damit  allein  der  Organisierungsgrad  nicht  vorangetrieben  verden  kann. 

Im  Sozialisationsbereich  arbeiten  heute  eine  Vielzahl  von  kleinen  und 
groBeren  Gruppen,  Einzelkampfern  oft  an  gleichen  Orten,  ohne  daB  sie 
Verbindung  zueinander  haben.  Sie  sind  konfrontiert  mit  Problemen  und 
Konflikten,  nit  denen  andere  Gruppen  schon  ihre  Erfahrungen  gesammelt 
haben.  Ein  Austausch,  geschveige  denn  eine  Koordination,  findet  nicht 
statt.  Informationen  fliefien  nur  fiber  informelle  Kanale.  Auch  der  poli- 
tische  Anspruch  der  Gruppen  ist  zum  groSten  Teil  sehr  heterogen.  Ge- 
meinsam  ist  ihnen  alien  eine  Kritik  an  den  gesellschaftlichen  Zustan- 
den,  der  Wille  an  der  Ubervindung  des  Systems  zu  arbeiten  und  die 
Zielsetzung,  im  Sozialbereich  die  Interessenvertretung  der  Betroffenen 
zu  ubernehmen,  die  Deklassierung  von  Individuen  und  Gruppen  zu  ver- 
hindern  und  beizutragen  zur  Verbesserung  der  Lage  der  Arbeiterklasse. 

Pur  diese  Genossen  und  Gruppen  reicht  das  bisherige  Inforraationsange- 
bot  nicht  aus;  Publikationen  sind  entweder  auf  den  studentischen  Be- 
reich  bezogen,  lassen  die  praktische  Auseinandersetzung  vennissen 
(Erziehung  und  Klassenkampf ),  sie  sind  nicht  hinreicnend  auf  die  gesam- 
te  BED  orentiert,  urn  Ansatze  fur  Organisationsmoglichkeiten  fur  Prak- 
tiker  zu  bieten  (Sozialpadagogische  Korrespondenz)  oder  versuchen,  un- 
ter dem  Mantel  der  Wissensehaftlichkeit  und  Progressivitat  "moderne" 
.Methoden  und  In halt e  zu  vertreiben,  ohne  sie  zu  reflektieren,  zu  ana- 
lysieren  und  zu  fragen,  wem  diese  dienen  (Neue  Praxis).  Deshalb  haben 
sich  einige  Gruppen,  die  im  Sozialisationsbereich  arbeiten,  entschlos- 
sen,  im  R&hmen  des  Sozialistischen  Buros  diesen  Informationsdienst 
SOZIALARBEIT  herauszugeben  und  zukunftig  unter  Einbeziehung  veiterer 
interessierter  Gruppen  zu  einem  Instrument  der  Konmunikation,  Koordi- 
nation und  Organisierung  im  Sozialisationsbereich  auszubauen.  Das 
Sozialistische  Buro  organisiert  in  Zusammenarbeit  mit  Basisgruppen 
anderer  Bereiche  bereits  weitere  derartige  Projekte,  z.B.  den  Informa- 
tionsdienst des  Sozialistischen  Lehrerbundes  und  fur  Bildungsarbeiter 
den  Informationsdienst  ARBEITERBILDUNG. 


Der  Informationsdienst  SOZIALARBEIT  wendet  sich  an  Sozialarbeiter, 

6Sozialpadagogen,  Heimerzieher ,  Kindergartnerinnen,  Sozialplaner, 
Psychologen,  Erziehungsberatungsstellen,  Kriminologen,  Pfarrer,  Berufs- 


schullehrer,  Dozenten  und  Studenten  an  Fachausbildungsstatten,  Studen- 
ten,  die  in  sozialpolitischen  Projekten  arbeiten  und  andere,  die  be- 
ruflich  im  Sozialbereich  tatig  Bind.  Durch  den  Info  soil  den  Gruppen 
und  arbeitenden  Genossen  dadurch  UnterstOtzung  gegeben  verden,  indeo 
sie  die  Moglichkeit  erhalten  und  aufgefordert  verden,  ihre  Erfahrung- 
en, unmittelbsre  Problesae,  Konflikte  und  Bedurfnisse  darzustellen  und 
mit  anderen  Gruppen  in  einen  gemeinsamen  Erfahrungsoustausch  zu  tre- 
ten. 

An  der  Vorbereitung  dieser  ersten  Ausgabe  des  Infonnationsdienstes 

SOZIALARBEIT  varen  beteiligt: 

+  Verein  fur  Soziale  Jugendarbeit  Bochum/Essen 

+  Zentrum  fur  Sozialplanung  Essen 

+  Arbeitskreis  Kritische  Sozialarbeit  Frankfurt 

+  SPAK  Mainz  und  Freiburg 

+  Aktion  Kritische  Jugendhilfe  Mainz 

+  Sozialistisches  Buro  Offenbach. 

Es  vurden  folgende  Gesichtspunkte  fur  die  Zielsetzung  des  Infos  und 
der  moglichen  Inhalte  diskutiert: 

1.  kontinuierliche  Berichterstattung  und  Diskussionvon  Erfahrungen, 
Strategien  und  Perspektiven  in  der  Arbeit  im  Sozialbereich; 

2.  Wber  den  Erfahrungsaustausch  hinous  Koordination  und  langfristige 
Zusammenarbeit; 

3.  Aufhebung  der  Vereinzelung  und  Zersplitterung  von  Individuen  und 
Gruppen;  Aufhebung  der  Trennung  zvischen  den  verschiedenen  sozia- 
len  Berufen  und  Tatigkeitsfeldern; 

1».  Zusammenarbeit  und  organisatorische  Verbindung  mit  dea  Sozialisti- 
schen Buro,  das  die  Koordination  und  den  Vertrieb  ubernimsit  und 
vomit  auch  die  berufsspezifische  Orientierung  aufgehoben  vird; 

5.  Hetbodendiskussion,  Konf liktanalysen ,  Hinveise  auf  regionale  Orga- 
nisationsmoglichkeiten, Arbeitsmodelle,  Finanzierungsmoglichkeiten, 
Personalverschiebebahnhof ,  Rezensionen,  Dokumentationen,  Anzeigen 
u.a. 

Es  ist  beabsichtigt,  in  den  ersten  Ausgaben  des  Inforoationsdienstes 
SOZIALARBEIT  problemorientiert  schverpunktmaBig  die  Arbeit  und  Erfah- 
rungen einzelner  Gruppen  darzustellen.  Die  Vorbereitungen  ubernahmen 

Hummer  1  die  Gruppen  Bochum/Essen,  Thema:  Fursorgeerzienung 

Summer  2  AKS-Frankfurt ,  Thema:  Berufsspezifische  Probleme  von  Sozial- 

arbeitern,  Sozialpadagogen,  Kindergartnerinnen  etc.  in  In- 

stitutionen 
Hummer  3  SPAK  Mainz/Freiburg,  Thema:  Arbeit  mit  psychisch  Kranken. 

Die  inhaltliche  Gestaltung  und  Ausvahl  der  Beitrage  des  Info  aollen 
unter  Beteiligung  von  Vertretern  aller  interesBierter  Gruppen  auf 
Plenar-Redaktionstagungen  diskutiert  verden.  Dabei  bietet  sich  Gele- 

heit,  die  Kooperation  der  Gruppen  durch  unaittelbare  Kontakte  zu 
vertiefen. 

Ua  die  hier  skizzierte.Konzeption  des  Informationsdienstes  SOZIALARBEIT 
und  den  zukunftigen  Erfahrungsaustausch  und  die  Zuaanmenarbeit  zu  dia- 
fcutieren  und  verbindlich  festzulegen.  haben  vir  fur  Januar/Februar  1973/ 


eine  Arbeitstagung  vorgesehen,  an  der  alle  zur  Mitarbeit  entschlos- 
senen  Genossen  und  Gruppen  teilnehmen  sollen.  Wir  bitten  euch,  mog- 
lichst  bis  zum  1o.  Januar  1973  eure  Bereitschaft  zur  Teilnahme  an  der 
Arbeitstagung,  evtl.  auch  schon  inhaltliche  Vorschlage  sowie  erste 
Kritik  an  der  vorliegenden  Ausgabe  des  Info  an  das  Sozialistische 
Biiro,  6o5  Offenbach  It,  Postfach  591  mitzuteilen.  Uber  den  genauen  Ver- 
anstaltungsort  (wahrscheinlich  Frankfurt),  Termin  etc.  werden  wir  euch 
rechtzeitig  informieren. 


Vorbemerkungen  zu  dieser  Ausgabe 


Im  Mittelpunkt  dieser  ersten  Ausgabe  des   Informationsdienstes   SOZIAL- 
AKBEIT  steht  das  Thema   "Wohngemeinschaften  mit   Jugendlichen  der  offent- 
lichen  Erziehung".   Die  Wahl  des   Themas   erfolgte,   veil  die  Vereine 
"Soziale  Jugendarbeit"   in  Essen  und  Bochum,   die  diese  Nummer   gestaltet 
haben,   selbst   Trager  von  Kollektiven  sind.   Das   entspricht   auch  dem 
Charakter  dieses    Infos,    der  dure h  Praxis-Erfahrungsaustausch  die  Dis- 
kussion  unter  Sozialarbeitern  und  anderen  Praktikern  im  Sozialbereich 
fordern  soil. 


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8 


ANSATZPUNKTE  SOZIALISTISCHER  POLITIK  IN  DER  BRD 
THESEN  DER  ARBEITSGRUPPE  SOZIALISTISCHES  BORO 


Die  Thesen  sollen  einen  Beitrag  zur  Organisierung  sozialistischer 
Arbeit  und  zur  Kooperation  von  Sozialisten  in  der  Bundesrepublik 
leisten.  Sie  sind  das  Ergebnis  tnehrerer  der  Selbstversta'ndigung 
dienender  Diskussionen  innerhalb  der  Arbeitsgruppe  Sozialisti- 
sches  Biiro.   Keinerlei  Anspruch  auf  Vollstandigkeit  oder  Origina- . 
litat  erhebend,  sollen  die  Thesen  weder  eine  konkrete  analyti- 
sche  Aufarbeitung  der  gesellschaftlichen  und  politischen  Situa- 
tion in  der  Bundesrepublik,  noch  detaillierte  strategische  Kon- 
zepte  fur  die  sozialistische  Arbeit  ersetzen.  Die  Thesen  wenden 
sich  nicht  vornehmlich  an  ein  nur  theoretisch     versiertes  Publi- 
kum,  sondern  an  jene  zahlreichen  aktiven  oder  heute  noch  zuriick- 
haltenden  Gruppen  und  einzelne,  denen  an  Selbstversta'ndigung, 
Kommunikation  und  am  Aufbau  einer  sozialistischen  Bewegung  in 
der  Bundesrepublik  mit  dem  Ziel  einer  Umgestaltung  der  Gesell- 
schaft  gelegen  ist.  Den  Thesen  liegen  keine  systematischen, 
theoretischen  Interpretationsansatze  gesellschaftlicher  Entwick- 
lung  zugrunde,  Sie  knLipfen  vielmehr  an  die  Erscheinungsbilder 
der  heutigen  Wirklichkeit  an,  wie  sie  sich  all  jenen  darbieten, 
die  durch  den  Schleier  der  herrschenden  Propaganda  hindurch  die 
ta'gliche  Ausbeutung,  Unterdriickung  und  politische  Manipulation 
empb'rt  watirnehmen.  Mangel  und  Vorzlige  dieses  Verfahrens  ent- 
sprechen  den  grundsatzlichen  Problemen  sozialistischer  Theorie 
und  Praxis  heute. 

36  Seiten,  broschiert,  DM  2.— 

Verlag  2ooo  GmbH,  6o5  Offenbach  4,  Postfach  591 


Zu  den  einzelnen  Beitragen: 

Der  Artikel  "Sozialarbeit   im  Kapitalismus"  erschien  uns   deshalb  not- 
wendig,   veil  Sozialarbeit   im  allgemeinen  wie  auch  s'ozialpadagogische 
Arbeit   in  Kollektiven  bestinunten  Bedingungen  unterworfen   sind,   deren 
Kenntnis   und  Einbeziehung   in  die  praktische  Arbeit   uns   unerlaBlieh 
scheinen.   Dieser  Artikel  ist   einer   groBeren  Arbeit   entnommen,   die  dem- 
nachst  als   Ganzes  veroffentlicht   werden   soil. 

Der  Text  "Die  Sozialarbeiter"  wurde  von  einer  ehemals  Obdachlosen,  die 
15  Jahre  in  Notunterkiinften  gewohnt  hat,  geschrieben  und  bestatigt  den 
Beitrag  iiber  die  "Soziopsychische   Situation   der   Sozialarbeiter". 

"Zur  Herkunft   der   Fiirsorgejugendlichen"   versucht    schlaglichtartig  ver- 
schiedene  Fakten   zu  bringen,   die  klar   erkennen  lassen,   daS  Fursorge- 
abhangigkeit,   Kriminalitat ,   Armut ,   Obdachlosigkeit   etc.   vom  kapitali- 
stischen  System  produziert  werden.   Die  Beitrage   im  Mittelteil  des  In- 
fos, beschaftigen   sich  mit   der  Einrichtung  "Fursorgekollektiv".   Dieje- 
nigen,   die   sich  mit   dem  Gedanken  tragen,   ein  Kollektiv  aufzubauen, 
finden   in  dem  Artikel   "Konkretionen   zum  Aufbau  eines  Jugendwohnkollek- 
tivs"  praktische  Hinweise.  Es  folgt   eine  Konzeption,  die  als  Beispiel 
fur  Konzepte  dienen  kann   zur  Vorlage  bei  Sozialbehorden.   Die  "Verdeut- 
lichung  der  KLassenlage  der   Sozialarbeiter    ..."   soil  der   Illusion   ent- 
gegentreten,   daS  der  Sozialarbeiter   als   Kollektivberater   im  Kollektiv 
mit   den  Jugendlichen  als  Gleicher  unter  Gleichen  leben  und  arbeiten 
kann.    "Die  Kollektivzeitung"  wird  von  den  Mitgliedern  des  Kollektivs 
in  Bochum  selbst    gemacht  und  an  andere  Jugendliche  und  in  Heimen  ver- 
teilt. 

Aktuelle   Inf ormationen   geben  Berichte   fiber  das   Georg-von-Rauch-Haus  und 
iiber   die  SchlieSung  des  Kollektivs  Essen-Steele. 

In  der  Rubrik  "Buchbesprechungen"  bringen  wir  wichtige  Veroffentlichun- 
gen   zum  Thema  Fursorgeerziehung  sowie   eine   Inhaltsangabe  der  Broschiire 
"Geschichte  und  Funktion  der   Sozialarbeit".  >. 


JM 


Die  Nachrichtenspalte  zum  SchluB  des  Info  soil  ausgebaut  werden.  Es 
sollen  dort  erscheinen:  Offene  Stellen,  Nachrichten  uber  existieren- 
de  Gruppen  und  Arbeitsgemeinschaften,  iiberregionale  Veranstaltungen 
u.a. 


Sozialarbeit  im  Kapitalismus 


Diese   erste  Ausgabe  des   Informationsdienstes   SOZIALAHBEIT     urde   er- 

stellt  von   folgenden  Gruppen: 

Verein  Soziale  Jugendarbeit ,  Essen;    Zentrum  fur  Gruppenstudien  und 

Gemeinwesenarbeit,   Essen;  Verein  Soziale  Jugendarbeit,   Bochum;  Buro 

fur   Sozialplanung,   Bochum. 

Kontaktadresse:   Biiro  fur  Sozialplanung 

U63  Bochum/Ruhr-Universitat 
Lennershofstr.   66  Bar.    8 
Telefon  02321 77°  1W5 


10 


-Anzeige 


INFORMATIONSDIENST  FOR  LEHRER 


Dieser  Informationsdienst  wird  herausgegeben  vom  Sozialistischen 
Lehrerbund  (SLB)   im  Sozialistischen  Biiro.  Der  Informationsdienst 
soil  der  Kommum'kation  unter  den  sozialistischen  Lehrern  und 
deren  Organisierung  dienen. 

Einzelpreis  DM  2.5o,  Jahresabonnement  DM  lo.— 

INFORMATIONSDIENST  ARBEITERBILDUNG 

Dieser  Informationsdienst  ist  fiir  Sozialisten  in  der  Bildungs- 
arbeit,  in  den  Gewerkschaften,  in  den  Volkshochschulen,  an 
Bildungsstatten,   in  Ougendverbanden ,  Jugendgruppen  und  politi- 
schen  Gruppen. 

Einzelpreis  DM  2.5o,  Jahresabonnement  DM  lo.— 

Verlag  2ooo  GmbH,  6o5  Offenbach  4,  Postfach  591 


Wie  sehr  die  Sozialarbeit  heute  reformistisch,    individua- 
listisoh   und  psychologistisch   sich  darin   ersch6pft,sys- 
temstabilisierend  zu  wirken,   indem  sie   "gesellschaftlicbe 
Widerspriiche   und  Konflikte  nicht   unter  dem  Aspekt  von 
Repression   und  Befreiung,    sondern   unter  dem  Aspekt   des 
Erlernens   einer   jeweils   tragfahigen,   der  Aktualitat  der 
gesellschaftlichen  Verhaltnisse  angepassten  Eolle"    sieht, 
mag   einroal   daran  deutlich  werden,    dafl   im  Mittelpunkt   des 
BSHG  der  Einzelne  steht,   der  befahigt  werden  soil,  __einen 
Notstand   zu  uberwinden,    der  von  ihm  aus   eigenen  Kraften 
und  Mitteln  nicht   behoben  werden   kann,    daB   zum   anderen 
Lehrbiioher  der  Sozialarbeit  massenbaft  Methoden  disku- 
tieren  und  kritisieren,    die  Ziele   der  Sozialarbeit   aber 
als   unverruckbar  gegeben  annehmen.  Als   Eeispiel  dafiir 
kann  das  Standardbuch  der  Sozialarbeiterausbildung  von 
Friedlander/Pfaff engelder   gelten,    deren  Definitionen  der 
Ziele   und  Bereiche   der  Sozialarbeit   exemplarisch   fiir  die 
ubrige  Literatur  stehen  konnen. 

Ziel  der  Sozialarbeit  ist   es   danach; 

"Individuen,    Gruppen  und  Gemeinden  zu  helfen,    den  hochst- 
moglichen  Grad  von  sozialem,    geistigem  und   leiblichem 
Wohlbefinden   zu   erreichen" 

"Verbesserung  der  allgemeinen  sozialen  Bedingungen  durch 
Anhebung  des    gesundheitlicben   und  wirtschaftlichen 
Standards   und  durch  Beftirwortung  besserer  Wohn-  und  Ar- 
beitsbedingungen  und  einer  konstruktiven  sozialen  Ge- 
setzgebung" 

"Die  Sozialarbeit  verliert  ihren  Klassencharakter.    Ihre 
•Einrichtungen  dienen  der  Verbesserung  der  Bedingungen   fiir 
alle  Klasser.   der  gesamten   Gemeinde" 

"Diese  Aufgabe  wird  durch  soziale  Einrichtungen  wie  Wohl- 
fahrtsorganisationen,   Schulen,    Krankenhauser,    Kliniken, 
Arbeitsamter,    Kirchen,    Gerichte   usw.   angegangen  " —    das 
Wohlbefinden  der  Einzelnen  mit  der  Wohlfahrt  der  Gesell- 
schaft,    in  der  sie   leben,    in  Einklang   zu  bringen" 
"...   soziale  Krafte   zu  mobilisieren,   um  die  sozialen. und 
wirtschaftlichen  Situationen   aufzulosen,    die   zu  Krank- 
heit,   psychischen  Leiden,    Frustrationen   und  asozialem 
Verhalten  fiihren" 

"...   indem  sie  ihnen  (den  Hilfsbediirf  tigen) ,   die   zu  ihrem 
Woble    geschaffenen   Hilfsquellen  der   Gemeinde   erklart" 
"...    grundlegende  wirtschaftliche  Sicherheit  aus  Leistun- 
gen  der  Sozialversicherung  Oder  Sozialhilfe,    aus   der  Re-  11 


12 


alisierung  von  Versorgungsanspriichen  oder  aus  freiwil- 
liger  Unterstiitzung  durob  soziale  Einrichtungen  zu  er- 
langen" 

" Hilfe  duroh  Hinweis  auf  Nutzung  anderer  Einrioh- 
tungen der  Gemeinde  (Arbeitsv.ermittlung,  Berufsberatung, 
Gesundheitsdienst,  psychatrische  Behandlung,  kulturelle, 
berufliche  und  schulische  Fortbildung,  Rehabilitation 
und  Moglichkeiten  der  Erholung  und  Freizeitgestaltung" 
"...  Einzelnen  und  Gruppen  zu  helfen,  den  besten  Weg  zu 
einer  befriedigenden  Losung  zu  finden,  ohne  sie  zur  Kon- 
formitat  zu  zwingen,  es  sei  denn,  ihr  Verhalten  und  ihr 
Handeln  beeintrachtigen  Wohlergehen  und  Rechte  anderer 
-  asoziales  Verhalten  und  Handeln  konnen  von  der  Sozial- 
arbeit  nicht  unterstiitzt  werden" 

"...  ein  erfiillteres  und  befriedigenderes  Leben  aufzu- 
bauen" 

"...  alien  Biirgern  einen  angemessenen  Lebensstandard, 
soziale  Sicherheit  und  die  Befriedigung  des  allgemein- 
menschlichen  Bediirfnisses  nach  Liebe,  Akzeptiertwerden, 
Anerkennung  und  sozialem  Status  zu  sichern" 

Bedarf  es  noch  weiterer  Zitate? 
Ich  glaube  nicht. 

Die  Nennung  dieser  Ziele  im  Zusammenhang  meiner  Arbeit 
enthiillt  i  die  Sozialarbeit  von  selbst  als  das  was  sie  ist: 
als  Anpassungs instrument  psychisch  Geschadigter  an  die 
Gesellschaft,|als  Hilfe,  nicht  tief  genug  internalisierte 
Normen  und  Rollenerwartungen  zu  verstarken,  Rollen  ein- 
zuiiben. 

Der  grundlegende;  gesellschaftliche  Widerspruch  der  Tren- 
nung  der  Produzenten  vom  Produkt,  die  Erniedrigung  der 
Masse  zu  Lohnsklaven,  der  verfremdete  von  auBen  aufge- 
zwungene  Leistungsdruck  in  der  Arbeit,  die  Abschb'pfung 
des  gesellschaftlichen  Surplus  von  einigen  Kapitalisten, 
all  das  wird  nicht  angesprochen,  auf  all  diese  Punkte 
werden  die  Krankheiten,  die  Mangel  in  der  Bildung,  der 
Ausbildung,  die  psychischen  Zusammenbriiche,  die  unver- 
haltnismaBig  starke  Zunahme  von  Herzkrankheiten,  Ge- 
f aBerkrankungen ,  und  vieles  andere  mehr,  nicht  zuriickge- 
fuhrt.  Es  werden  Erscheinungsbilder  der  Leiden  angefer- 
tigt,  aber  es  wird  nicht  nach  dem  'Dahinter1  gefragt.  Es 
werden  heute  Krankenhauser,  Kindergarten,  Jugendheime  und 
andere  soziale  Einrichtungen.  errichtet ,  um  Zivilisations- 
schaden  zu  beheben.  Ihre  GroBe  hatte  vorgestern  noch  aus- 
gereicht,  fur  'morgen'  aber  wird  nicht  geplant. 
Und  schon  gar  nicht  gibt  es  Forschungs-  und  Planungszen  - 
tren,|die  sich  mit  den  wahren .Ursachen  befassen,  die  die 
Gesellschaft  dariiber  aufklaren. 

Stattdessenj  verhilft  die  Sozialarbeit  zu  einem  ' ange- 
messenem'  Lebensstandard,  wobei  zu  fragen  ware,  ob  das 
Kriterium  .' angemessen1  hier  vielleicht  schichtenspezifisch 
zu  verstehen  ist,  zu  einem  gesicherten  'sozialen  Status1 
zu  emeu  'klassenlosen'  Gesamtwohl,  womit  die  Sozialar- 
bext  exnmal  die  Tatsache  der  Klassengesellschaft  ;Sxpressis 


verbis  verleugnet,  zum  anderen  sich  als  Ideologietrager 
des  Staates   erweist,  indem  sie  den  Wohlfahrtsstaatsge- 
danken  proklamiert  und  in  ihm  auftretende  Storungenun- 
ter  den  Demokratiegedanken  subsumiert.  Zwar  tritt  diese 
Sozialarbeit  dafiir  ein  '  soziale  und  wirtschaftliche 
Situationen  aufzulosen,  die  zu  Krankheit,  psychischen 
Leiden,  Frustrationen  und  asozialem  Verhalten  fuhren  , 
aber  nicht  dort,  wo  dieses  nur  moglich  ware,  namlich 
auf  der  Produktionsebene,  sondern  dort,  wo  es  Ifiir  das 
GroBkapital,  die  Oligopole,  nicht  mehr  gefa.hr lich  xst, 
auf  der  Distributionsebene. 

Auf  der  Distributionsebene,  die  den  Pluralismus^zulaBt, 
der  in  der  Produktionssphare  systemgefahrdend  ware,  aber 
feilschen  die  Sozialbehorden  -  selbst  durch  und  durch 
biirokratisiert  -  mit  anderen  burokratisxerten  Gruppen  um 
entsprechende  Teile  des  Sozialprodukts  ,  wobex  fexlschen 
hier  vielleicht  'falsche  Hoffnungen  erweckt,  denn  Forde- 
runKen  und  Entscheidungen  richten  sich  an  den  Rentabi- 
litatskriterien  des  Profitmechanismus" ,  an  dem  Gemexnde- 
wohl'  aus. 


So  gesehen  kann  die  Sozialarbeit 
technokratischen  Abwehrsystems  g 
in  Frage  stellende,  non-konforme 
zeichnet  werden,  demgemaB  zielen 
auf:  Ich-Stiitzung,  Ich-Starkung, 
ausuben  zu  konnen,  auf  Aus-  und 
serung  des  sozialen  Status,  auf 
Resozialisierung,  d.h. Wiedereinj 
schaftsprozess  als  Lohnarbeiter 


als  Instrument  eines 
;egen  systemgefahrdende, 
Verhaltensweisen  be- 
dann  ihre  HilfsmaBnahmen 
um  Berufsrollen  adaquat 
Fortbildung,  auf  Verbes- 
Rehabilitation  und  auf 
jliederung  in  den  Wirt- 
und  Konsument . 


Obwohl  der  Sozialarbeit  durch  ihre  Inter-Disziplmarxtat 
die  wissenschaftlichen  Mittel  in  die  Hand  gegeben  werden 
konnten,  um  die  psychischen  Defekte  auf  die  sie  bedmgen- 
den  sozialen  Ungleichheiten  zuruckfiihren  zu  konnen  und 
um  analytische  Systemkritik  zu  iiben,  wird  sxe  dann  doch 
zum  Vollzugsorgan  des  kapitalistischen  Staates  und  damit 
der  vermachteten  Wirtschaft,  weil  einmal  die  Praxis  der 
Sozialarbeit  durch  und  durch  biirokratisxert  xst,  die 
■Spitzen'  der  Sozialadministration  gleichzeitig  politi- 
"sche  Amter  innehaben,  der  Einzelne  als  praktxzxerender 
Sozialarbeiter  den  sich  verselbstandigten  Apparat  nxcht 
mehr  beeinflussen  kann,  weil  zum  anderen  m  den  Ausbxl- 
dungsinstitutionen  zwar  z.T.  facherintegratxv  gelehrt 
wird  •  die  Ausbildung  sich. aber  zumeist  auf  Methoden  und 
das  Erlernen  von  verwendbaren  facts  beschrankt,  statt  em 
analytisches  Denken  anzustreben,  durch  projektorxentierte 
Ausbildungsinhalte  dieses  zu  iiben  und  Notwendigkext,  Mog- 
lichkeit,  Organisation  und  Methodik  zur  Veranderung  der 
Grundbedingungen  des  Monopolkapitalismus  nicht  nur  resig- 
nativ  anzudiskutieren,  sondern  sie  zu  theoretisxerenund 
durch  gleichzeitige  Praxis  zu  verifizieren  bzw.  falsxfx- 

Sozialarbeit  im  kapitalistischen  System,  die  sich  nicht 


14 


als  anti-kapitalistische  versteht,  um  als  solche  haupt- 
sachlxch  die  Kntik  an  der  bestehenden  Gesellschafts- 
ordnung  als  mren  Inhalt  zu  definieren,  wobei  die  Ge- 
genstande,  mit  denen  die  Sozialarbeit  -  speziell  die 
Emzelfallhilfe  -  es  zu  tun  hat,  namlich  die  psychischen 
Verkruppelungen  emzelner  Menschen  exemplarisch  als 
Spiegel  des  inhumanen  unsozialen  Systems  aufgefaBt  und 
als  Ausgangspunkt  aufklarerischer  sozialer  Lernprozesse 
gesetzt  werden,  eine  Sozialarbeit,  die  nicht  beriicksich- 
tigt,  daB  "der  kapitalistische'  ProduktionsprozeB,  im  Zu- 
sammenhang-betrachtet  oder  als  BeproduktionsprozeB,  ... 
also  nicht  nur  Ware,  nioht  nur  Mehrwert,  (sondern)  ... 
das  KapitalverhSltnis  selbst  produziert  und  reproduziert 
auf  der  einen  Seite  den  Kapitalisten,  auf  der  anderen   ' 
den  Lohnarbeiter" ,  eine  solche  Sozialarbeit,  die  fur  sich 
diese  Analyse  nieht  betrieben  und  keine  Konsequenzen  da- 
raus  gezogen  hat,  muB  notwendigerweise  zum  Stiitzungsorgan 
zum  Anpassungsinstrument  fur  das  immanent  Ungleichheiten  ' 
schaffende  kapitalistische  System  herabsinken. 

Wo  diese  Gefahr  -  bloBes  Instrument  im  Dienste  der  Herr- 
schenden  zu  sein  -  zwar  erkannt  word  en  ist,  aber  der  not- 
wendige  Schritt  zur  Ideologiekritik  des  kapitalistischen 
Systems  nicht  vollzogen  wird,  sondern  wo  die  Sozialarbeit 
xn  emeu  "ideologiefreien"  (Melzer)  wertfreien  Eaum  hin- 
uber  gerettet  werden  soil,  wird  iibersehen,  daB  gerade 
rationales,  wertfreies,  wissenschaftliches  Arbeiten,  das 
semen  Ausgangspunkt  nimmt  bei  der  Hationalitat  des 
Systems,  ohne  dessen  irrationalen  Kern  zu  beriihren,  sich 
hat  manipulativ  in  einen  dem  GroBkapital  ungefahrlichen, 
von  ihm  gewiinschten  technokratischen  Eaum  drangen  lassen. 
.Damit  aber  unterstiitzt  diese  sogenannte  'ideologiefreie1 
Sozialarbeit  nicht  minder  die  bestehenden  Herrschaftsver- 
haltnisse  als  eine  sie  offen  unterstiitzende  Sozialarbeit 
es  tut. 

Diese  'ideologiefreie  und  wissenschaftsorientierte' 
(.Melzer)  Sozialarbeit,  die  nicht  an  den  mit  ihr  konfron- 
tierten  individuellen  Versagenserlebnissen  exemplarisch 
■evlrrationale  Teilungjvon  Kapital  und  Arbeit  aufzeigt, 
sich  lhre  Aufgabe  dann  auch  nur  "in  der  Vermittlung  und 
Gestaltung  sozialer  Lernprozesse-...  die  dem  Einzelnen, 
Familien  und  Gruppen.helfen  sollen,  in  ihrer  Gesellschaft 
m  einer  Weise  zu  funktionieren,  die  sie  zum  Ertragen  und 
zum  Nutzen  von  Frustrationen  und  Konflikten  befahigt"- 
Ausgehend  von  dem  Postulat,  soziale  Schwierigkeiten'seien 
Oedem  Gesellschaftssystem  immanent,  versucht  diese  Sozial- 
arbeit nicht  als  ihr  oberstes  Ziel,  die  Gesellschaft  zu 
andern,  sondern  beschrankt  sich  auf  situative,  d.h. 
technokratische  Veranderung  der  Konfliktsituationen,  um 
em  reibungs loses  Funktionieren  zu   erreichen,  um  die 
Frustrationstoleranz  zu  erhohen. 

Dieser     funktionalen  Auffassung  von  Sozialarbeit  im 


allgemeinen  entsprechen  dann  auch  viele  Definitionen  des 
social  casework,  von  denen  ich  nur  drei  zitieren  mochte: 
iSwithuh  Bowers  sohreibt:  "Social  casework  ist  eine  Kunst, 
bei  der  die  Erkenntnis  der_Wissenschaften  iiber  die  - 
menschlichen_Beziehungen  und  die  Geschultheit  im  Hand- 
haben  von  Beziehungen  eingesetzt  werden,  um  im  Individu- 
um  Pahigkeiten  zu  mobilisieren  und  auBerdem  in  der  Ge- 
meinschaft  Hilfsquellen  zu  erschlieBen,  die  geeignet 
sind,  eine  bessere  Anpassung  des  Klienten  an  das  Ganze 
oder  einen  Teil  seiner  Umgebung  herbeizufuhren. " 
Helen  Perlman  schreibt:  "Social  casework  ist  ein  ProzeB, 
der  von  bestimmten  sozialen  Institutionen  angewandt  wird, 
um  dem  individuellen  Menschen  zu  he If en,  Schwierigkeiten 
in  seinem  sozialen  Funktionieren  besser  entgegentreten 
zu  konnen" . 

Und  Kamphius  selbst,  dem  auch  die  beiden  anderen  Zitate 
entnommen  sind,  definiert  social  casework  als  "eine  be- 
rufsmaBige' Methode,  von  Sozialarbeitern  angewandt,  um 
einem  Menschen  zu  helfen,  der  in  einem  der  Sektoren  sei- 
nes sozialen  Funktionierens  der  Hilfe  bedarf." 
Alle  drei  Definitionen  -  und  die  Eeihe  lieBe  sich  noch 
beliebig  fortsetzen  -  stellen  in  den  Mittelpunkt  des 
social  casework  den  Menschen,  der  in  seinem  sozialen  Um- 
feld  funktionsuntuchtig  geworden  ist,  und  den  es  nun  an- 
zupassen  bzw.  besser  funktionabel    zu  machen  gilt. 
Nirgendwo  wird  aber  davon  gesprochen,  daB  die  Aufgabe 
ware,  primar  auf  die  soziale  Umwelt  einzuwirken,  die  den 
Einzelnen  psychisch  uberstrapaziert,  wird  davon  gespro- 
chen, daB  den  Individuen  Mittel  in  die  Hand  gegeben  wer- 
den sollten,  um  die  Gesellschaft,  die  sie  krank  macht, 
zu  verandern,  wird  davon  gesprochen,  daB  social  casework 
die  Methode  ist,  die  anhand  von  individuellen  symptoma- 
tischen  Spannungen  und  Konflikten  exemplarisch  die  sozi- 
alen Widerspriiche  aufdecken  soil. 

Als  funktionaler  ProzeB  -  der  undialektisch  nur  die  sicht- 
baren  Folgen  von  verschleierten  Ursachen  behandelt  -  aber 
dient  die  soziale  Einzelfallhilfe  insgesamt  der  Neutrali- 
lierung  der  symptomatischen  Folgen  ungeloster  sozialer 
Probleme. 

So  wird  dann  auch  die  Beziehung  zwischen  dem  Sozialar- 
beiter  und  dem  Klienten  gesehen  als  "therapeutische  Be- 
ziehung" (Melzer),  in  der  das  "Bediirfnis  des  Klienten 
nach  Hilfe  und  Veranderung  seiner 'Lage  im  Mittelpunkt 
steht",  in  der  der  Sozialarbeiter  aber  gleichzeitig  eine 
"b'ffentliche  Rolle" .  (Melzer)  ausiibt,  deren  mit  ihr  ver- 
bundenen  Erwartungen-er  ebenfalls  erfiillen  muB,  d.h.  in 
der  der  Sozialarbeiter  funktionalorientiert  arbeitet. 
Nicht  aber  wird  diese  Beziehung  verstanden  als  politische 
aufklarerische,  in  der.  es  darauf  ankommt,  den  Arbeiter  in 
seinem  dumpfen  "UngleichheitsbewuBtsein"  zu  bestarken, 
ihn  dessen  bewuBt  zu  machen,  in  der  der- "dialektische 
Zusammenhang  zwischen  geistigen,  psychischen  und  sozialen 
Elementen  der  '  'condition  ouvriere1  "  zusammen  mit  dem  Kli-  TO 


16 


enten  diesem  bewuBt  gemacht  wird. 

In  der  therapeutischen  Beziehung  stent  per  definition^m 
die  personliche  Problematik  des  Klienten  im  Mittelpunkt, 
d.h.  aber, daB  hier  die  personlichen  Schwierigkeiten  ab- 
gehoben,  abgetrennt  von  den  okonomisqhen  und  sozialen 
lebensbedingungen  einer  ganzen  Klasse  behandelt  werden. 
Das  wird  auch  nicht  vermieden  durch  scheinbare  Offenheit, 
scheinbare  Progressivitat,  wenn  z.B.  das  lernen  des  Kli- 
enten "nicht  gedacht  (ist)  als  eine  Anpassung  an  beste- 
hende  Gesellschaftsformen.  Oder  als  Unterwerfung  und  be- 
dingungslose  Bejahung  sozialer  Zustande  ...  (sondern)  als 
ein  Vorgang  der  Einiibung  der  distanzierten  und  kritischen 
Beeinf lussung" . 

Unter  der  Postulierung  der  'Ideologiefreiheit' ,  mit  dem 
Ziel  des  Sozialarbeiters,  dem  Klienten  dann  doch  zu  hel- 
fen  "in  derartigen  Pollen  und  in  sozialen  Beziehungen 
besser  zu  f unktionieren" ,  verandert  sich  so  die  wertfreie, 
ideologiefreie  Absage  an  den  Zwang  zur  Anpassung  in  ein 
Stuck  Zucker  mit  einem  Zyankalikern. 

Aus  diesen  Griinden  kann  der  therapeutischen  Beziehung 
eine  systemfreundliche  Punktion  nachgewieseh  werden: 
erstens  tritt  der  Sozialarbeiter  dem  Klienten  von  vorn- 
herein  mit  einem  von  der  Individualpsycho'logie  ubernom- 
menen  negativen  Menschenbild  entgegen.  Denn  die  biirger- 
liche  Psychologie  bezieht  bis  heute  fast  alles,  was  sie 
zu  sagen  hat,  aus  der  Ableitung  und  Generalisierung  des 
kranken  Menschen.  (s. Kroner) 

In  dieses  Wissen  un  --  das  Wissen  iiber  Neurosen,  Psychosen, 
weniger  auffallige  Ich-Schwachen,  Anpassungsschwierig- 
keiten  -  wird  der  Klie.nt  integriert. 

Der  Ausdruck  der  therapeutischen  Oder  "helfenden"  (Bang) 
•Beziehung  charakterisiert  sehr  treffend  die  von  vorn- 
herein  angenommene,  fehlerhafte,  unvollkommene  Person 
des  Klienten.  Womit  beabsichtigt  wird,  seine  Reaktion 
auf  die  krankel  Gesellschaft  ihm  anzulasten,  seine  Reak- 
tion der-  Porderung  auf  Aufhebung  der  gesellschaftlichen 
Ungleichheit  Oder  seine  unref lektierte  sich  psychisch 
darstellende  Verweigerung  der  von  auflen  kommenden 
Leistungserwartung  als  a-normal'  und  die  gegebenen  ge- 
sellschaftlichen Bedingungen  als  normal  hinzustellen. 

Und  so  ist  es  dann  auch  in  der  Hauptsache  das  Ziel, 
KurzschluBhandlungen,  psychische  Krankheiten  und  soziales 
Versagen  auf zuarbeiten,  dem  Klienten  zu  einer  positiven 
Einstellung  gegemiber  der  Umwelt  zu  verhelfen,  ihn  an  das 
'Ganze',  das  'Gemeinwohl'  zu  erinnern  und  zu  binderi. 
Diese  primar  negative  AuSrichtung  aber  halt  die  Sozial- 
arbeit -  speziell  den  Sozialarbeiter  in  der  therapeuti- 
schen Beziehung  -  davon  ab,  die  dahinter  liegenden  sozio- 
okonomischen  Bedingungen  zu  erfragen  -  um  diese  selbst 
als  a-normal  .zu  entlarven  -  und  diese  mit  den  Klienten 
zusammen  aus  dem  Weg  zu  raumen. 

Im  persbnlichenl  Gesprach  mit  Studenten  der  Sozialarbeit 


und  praktizierenden  Sozialarbeitern  wurde  mir  oft,  wenn 
ich  auf  das  psychologisch  kurzsichtige  therapeutische 
Verhalten  hinwies,  erwidert:  'aber  meine  Aufgabe  ist  es 
doch,  meinem  Klienten  zu  helfen,  sich  selbst  zu  verstehen, 
Ich-Starke  zu.  entwickeln,  Realitatssinn  zu  erwerben.  Ich 
bin  je.   auch  dafiir,  daB  die  Gesellschaft  geandert  werden 
muB,  aber  erstens  muB  ich  doch  zuerst  dem  kranken  Men- 
schen  helfen  und  zweitens  kann  ich  die  Gesellschaft  nicht 
allein  verandern  und  drittens  ist  das  auch  nicht  mehr 
meine  Aufgabe,  sondern  die  des  Klienten1. 
Kir  den  es  dann  meistens  zu  spat  ist,  denn  in  dem  ProzeB 
der  sozialarbeiterischen  Hilfe,  ihm  zu  einem  normalen 
Funktionieren  zu  verhelfen,  werden  ihm  alle  gesellschaft- 
lichen Normen  und  Werte    oktroyiert,  die  ihm  bis  clato 
fehlten  und  die  ihm  zukiinftig  den  Einblick  in  den  Klas- 
sencharakter  dieser  Gesellschaft  verwehren. 

Damit  bin  ich  beim  zweiten  Grund,  aus  dem  die  Sozial- 
arbeit, so  wie  sie  sich  heute  versteht,  zur  Anpassung 

fiihrt.  tit  •  i 

Das  Problem  wird  individualisiert,  auch  wenn  der  aiicK 
erweitert  wird  z.B.  auf  die  Familie  (Richter),   so  wird 
das  Problem  dennoch  auch  dort  individualisiert,  indem 
das  Individuum  mit  all  seinen  Eechten,  Interessen  und 
Bedurfnissen  gegeniiber  der  Gesellschaft  fiir  vorrangig 
gehalten  wird.  Auch  wenn  der  Pamilienrahmen  mit^einbe- 
zogen  wird  in  die  therapeutische  Beziehung,  so  ist 
trotzdem  auch  dort  das  Individuum  die  letzte  Analyse- 
einheit,  der  eigentliche  Hilfegegenstand.. 
DaB  psychologische  Konzepte  wie  die  der  Annahme  der 
Aggressivitat  in  jedem  Menschen  (Freud),  des  standigen 
Konflikts  zwischen  Libido  und  Realitat,  der  zugunsten 
der  libidokontrolle  entschieden  werden  soil,  u.a.  dem 
individualistischen  Konzept  entgegenkommen,  liegt  auf 
der  Hand. 

Damit  will  ich  nicht  sagen,  daB  die  Psychologie  un- 
brauchbar  fiir  die  Sozialarbeit  sei,  nein,  die  Sozial- 
arbeit kann  nicht  ohne  die  Hilfswissenschaft  der 
Psychologie  arbeiten,   nur  muB  der  einzelne  Sozialarbei- 
•ter  immer  eines  gegenwartig  sein:  daB  die  Psychologie, 
wie  sie  bisher  betrieben  wird,  mit  all  ihren  Tests, 
ihren  lernpsychologischen  Gesetzen  den  Konstruktionen  von 
Es-Ich-Ober-Ich,  ihrem  Aggressionskonzept  u.a.  empirisch 
nicht  absehen  kann  von  den  Bedingungen  der  Gesellschaft, 
in  der  sie  steht,  d.h.  daB  die  Sozialarbeit  von  der 
Psychologie  nur  immanente  Informationen  erhalten  wird, 
daB  es  aber  fur  den  Sozialarbeiter  darauf  ankommt,  die 
systemimmanenten  Informationen  auf  dem  Hintergrund  einer 
dialektischen  -  materialistischen  Systemanalyse  auf  ihren 
Wahrheitsgehalt  abzuklopfen,  um  nicht  technokratisch  zu 
handeln   sondern  den  objektiven  Interessen  der  Mehrheit 
der  Gesellschaft,  i.e.  die  Lohnabhangigen,  entsprecbend. 


Ein 


dritter  Grund,  der  in  den  beiden  ersten  schon  implizit17 


enthalten  ist,  soil  der  Deutlichkeit  halber  noch  einmal 
genannt  werden,:  es  ist  das  sogenannte  Ziel  der  Sozial- 
arbeit 'Hilfe  zur  Selbsthilfe'  zu  geben. 
Auf  dem  Hintergrund  des  genannten  psychologischen  An- 
satzes  und  der  Tatsache,  daB  die  Sozialarbeit  sich  nicht 
als  klassenbewuBte  Ideologiekritik  versteht,  wird  hier 
nur  noch  einmal  mehr  die  Ideologie  des  Monopolkapitalis- 
mus  wiedergegeben,  daB  namlich  Chancengleichheit  bestiin- 
de,  daB  jeder  -  bei^  entsprechendem  personlichen  Einsatz 
-  alles  erreichen  konne. 

Erst  einmal  wissen  wir,daB  der  Chancengleichheit  das  die 
Herrschaftsverhaltnisse  widerspiegelnde  Klassenbildungs- 
wesen  (Volksschule  -  Gymnasium)  entgegensteht.  Im  zwei- 
ten  soil  der  Klient  zu  einem  konformeren  Eollenverstand- 
nis,  einem  tieferen,  Selbstverstandnis  und  zu  besserer 
Eealitatsbewaltigung  gebracht  werden.  Wie  aber  soil  der 
Klient  das  anders  verstehen,  als  daB  er  -  nun  fit  ge- 
macht  -  in  den  Konsumkreisel  hineinspringt,  wenn  ihm  in 
der  Auseinandersetzung  mit  dem  Sozialarbeiter  deutlich 
gemacbt  wurde,  daB  er  nicht  funktioniert  hatte,  daB  per- 
sonliche  Schwierigkeiten  fur  sein  Versagen  verantwort- 
lich  gewesen  waren. 

Zu  diesem  individualistischen  Ansatz  in  der  Sozialarbeit 
moge  folgendes  Zitat  stellvertretend  gelten:  "Ich  glaube, 
daB  Erau  C.  auf  dem  Wege  ist,  mit  allem  fertig  zu  werden, 
was  auf  sie  zukommt,  sowohl  im  Falle  der  Biickkehr  ihres 
Mamies  wie  seines  Verbleibens  in  der  Haft.  Ich  glaube, 
daB  Erau  C.  eine  Menge  persbnlicher  Eeserven  hat,  auf  die 
sie  zuriickgreifen  kann,  urn  die  Situation  zu  meistern; 
ganz  offensichtlich  ist  sie  durch  ihre  Erlebnisse  ge- 

reift...  Eigentlich  ist  Erau  C.  in  der  Lage  vieles  

aus  eigener  Kraft  zu  tun,  nachdem  sie  den  Krisenpunkt 
iiberwunden  hat,  als  sie  mit  ihren  Gefuhlen  kampfen  muBte 
und  fast  bis  zur  vollkommenen  Untatigkeit  bedrangt  war. 
Ich  glaube,  daB  Erau  C.  ...  wirkldch  erfassen  kann,  was 
es  fire  sie  bedeutet,  ohne  Anstellung  zu  verbleiben,  eben- 
so  gut  wie  mit  den  Realitaten  fertig  zu  werden,  die  aus 
der  Fortsetzung  der  Trennung  von  ihrem  Ehemann  resultie- 
ren  konnen." 


18 


Zusammenfassung  in  Thesen 

1 .  Indem  die  Sozialarbeit  in  den  Mittelpunkt  ihres  Zieles 
den  Einzelnen  stellt,  den  zugrundeliegenden  sozialen 
Konflikten.also  individualisiert,  wirkt  sie  system- 
stabilisierend. 

2.  Die  Sozialarbeit  kritisiert  nicht  die  Produktionsba- 
sis,  sondern  hochstens  -  als  biirokratisches  System  - 
die  Verteilung  des  Sozialprodukts.  Damit  aber  kann  sie 
die  zugrundeliegenden  Ungleichheiten  nicht  aufdecken. 

i>.   Erne  ideologiefreie,  w.ertfreie,  wissenschaftsorien- 
tierte  Sozialarbeit  tragt  zur  Stabilisierung  des 


Systems  bei,  daB  sie  sich  nicht  ir.it  der  Ideologie 
des  jetzt  und  hier  herrschenden  Systems  auseinander- 
setzt  und  iibersieht,  daB  ihr  von  den  Wissenschaften 
nur  immanente  Informationen  geliefert  werden. 

4.  Am  methodischen  Beispiel  der  sozialen  Einzelfallhilf e 
zeigt  sich,  daB  die  Sozialarbeit  nur  funktional 
orientiert  ist  und  die  symptomatischen  Folgen  unge- 
loster  sozialer  Probleme  nur  neutralisieren  kann. 

5.  Die  therapeutische  Beziehung  zwischen  Sozialarbeiter 
und  Klient  ist  gepragt  durch  psychologistisches  und 
individualistisches  Arbeiten.  In  ihr  soil  dem  Klien- 
ten  zu  einem  besseren  Eunktionieren  verholfen  werden. 


Die  Sozialarbeiter 

Was  haben  sie  fur  eine  Funktion? 

Was  haben  sie  selbst  fiir  ein  Problem? 

Eine  Sozialarbeiterin  hat  ein  Einkommen  und  kann  sich  nicht  in  der  Ob- 

dachlosensiedlung  zurecht  finden.   Sozialarbeiter  wissen  Uberhaupt 

nicht,  in  welcher  Stellung  sie  stehen.  Der  Druck  von  oben  zerstbrt  das 

Verhaltnis  zwischen  Obdachlosen  und  Fiirsorgerin. 

Wo  steht  der  Sozialarbeiter? 

Bei  der  Stadt  als  Beruhigungsmittel ! 

Bei  den  Betroffenen  als  Stadtverwaltung! 

Sie  sehen  sich  selber  als  hilflose  Geschb'pfe. 

(VerfaBt  von  einer  ehemals  Obdachlosen,  die  15  Jahre  in  Notunterkunf- 
ten  gewohnt  hat) 


19 


Soziopsychische  Situation 
der  Sozialarbeiter 


1.  Sozialarbeiter  kommen  zum  groBten  Teil  aus  klein-  und 
mitt  elbiirger  lichen  Schichten. 

2.  Sie  reproduzieren  in  der  Regel  kleinburgerliche  Werte: 
Eigentum  als  hb'chstes  Gut,  das  geschiitzt  werden  muB; 
Konkurrenz ,  besser  sein  als  der  Nachbar.  Leistungs- 
denken . 

3.  "Schuld"  wird  als  Grund  fur  Obdachlosigkeit,  Krimi- 
nalitat  usw.  angesehen.  Der  Wille  der  Betroffenen, 
aus  ihrer  Lage  herauszukommen,  soil  geweckt  werden. 

4-.  Der  Sozialarbeiter  bilft  einzelnen  und  dadurch  der 
kapitalistischen  Struktur.  Wenn  man  einzelnen  hilft 
("soziales  Aspirin"),  hilft  man  der  Struktur,  weil 
der  Status  quo  nicht  verandert  wird. 

5.  Rehabilitation  in  burgerliches  Wohlverhalten  hinein 
soil  dafiir  sorgen,  daB  kleinburgerliche  Werte  iiber- 
nommen  werden  und  daB  die  Betroffenen  keine  MSglich- 
keit  haben,  eigene  Fiihrer,  eigene  Hilfsmittel,  eigene 
Organisationen  zu  produzieren. 

6.  Sozialarbeiter  lernen  meist  in  der  Ausbildung,  daB  sie 
den  Betroffenen  zu  helfen  haben,  d.h.  die  Motivation 
zum  Beruf  ist  entweder  caritativ  Oder  wird  nicht  klar 
diskutiert. 

7-  Das  fiihrt  dazu,  daB  sie  mit  ihrer  beruflichen  Identi- 
tat  Schwierigkeiten  haben.  Zwar  ist  "Sozialarbeit" 
vom  offiziellen  Berufsbild  und  von  den  Tatigkeitsmerk- 
malen  her  relativ  klar  beschrieben.  Die  Beschreibung 
wird  aber  immer  von  Institutionen  geliefert  und  ist 
deshalb  immer  im  Sinne  der  Institution,  niemals  im 
Sinne  der  Betroffenen. 

8.  Bisher  ist  die  Frage  unbeantwortet ,  welche  Rolle  die 
Betroffenen,  die  in  der  Regel  Proletarier  sind,  dem 
Sozialarbeiter  zuweisen  wiirden,  wenn  sie  die  Moglich- 
keit  dazu  hatten. 

9.  Wer  sich  als  kritischer  Sozialarbeiter  versteht,  be- 
5(-.    fmdet  sich  in  einem  permanenten  Rollenkonflikt: 

^u    -  Als  Vertreter  der  Institution  muB  er  behordliche 


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MaBnahmen  durchfiihren. 

-  Andererseits  mochte  er  sich  mit  den  Betroffenen 

solidarisieren. 

Bei  behordlichen  Sozialarbeitern  muB  die  Entscheidung 
immer  zugunsten  der  Institution  ausfallen.  In  dieser 
Lage  helfen  sich  manche  Sozialarbeiter  damit,  daB  sie 
versuchen,  innerhalb  der  Behorde  zu  reformieren.  Unver- 
sehens  sind  sie  dann  mit  iiber  50  %   ihrer  Zeit  mit  Re- 
formideen,  Intrigen  und  dem  entsprechenden  Xrger  in  der 
Institution- verwickelt.  Da  sich  aber  Institutionen  im 
kapitalistischen  Staat  nicht  andern  lassen,  endet  der 
Reformer  als  Zyniker,  Versager  Oder  resignierter  Techno- 
krat.  Also  wird  er  untauglich  zur  Arbeit  mit  dem  Prole- 
tariat. Die  einzige  Art,  in  Institutionen  zu  uberleben, 
ist  die  Arbeit  in  Gruppen  von  Gleichgesinnten,  giinstigen- 
falls  in  der  Institution,  zumindest  aber  im  Stadtteil, 
sowie  Kontakte  zu  Hochschul-  und  Fachschulgruppen.  Es 
muB'  der  weitverbreiteten  Vorstellung  entgegengewirkt 
werden,  daB  ein  Sozialarbeiter  -  wie  gut  auch  immer  ge- 
schult  -  auf  sich  gestellt,  sozialistische  Praxis  ver- 
wirklichen  kann. 

Ein  nicht  zu  unterschatzendes  Handicap  fur  gute  Praxis 
ist  die  pseudo'wissenschaftliche  Ausbildung  an  Fachhoch- 
schulen,  die  dem  Wunsch  vieler  Sozialarbeiter,  zu  den 
Intellektuellen  zu  zahlen,  entgegenkommt,  und  sich  in 
ihrer  Redeweise  niederschlagt ;  diese  unterscheidet  sich 
von  der  Sprache  des  Proletariats  immer  mehr.  Auf  diese 
Weise  versuchen  die  Sozialarbeiter  ihre  Scham  iiber  ihre 
oft  "niedere  Herkunft"  zu  kompensieren.  Die  kleinburger- 
liche Linke  an'  den  Universitaten  fordert  diesen  ProzeB 
noch.  In  diesem  Zusammenhang  kann  man  von  einer  ver- 
schleierten  Aufsteigermentalitat  sprechen. 

Dazu  kommt,  daB  die  psycho-sozialen  Techniken,  die 
Sozialarbeitern  an  Fachhochschulen  vermittelt  werden 
und  die  dazu  dienen  sollen,  unangepaBte  Verhaltensweisen 
zu  korrigieren,  die  Tendenz  zur  Anpassung  an  die  biir- 
gerliche  Mittelschicht  haben.  Da  bisher  psycho-soziale 
Techniken  mit  sozialistischen  Ansatzen  kaum  vorhanden 
sind,  inussen  zur  Zeit  selbst  sozialistische  Sozialarbei- 
ter mit  unzulanglichen  Oder  unbrauchbaren  "Werkzeugen" 
arbeiten.  Nur  ganz  miihsam  werden  hier  und  da  neue  Me- 
thoden  nichtkapitalistischer  Sozialarbeit  entwickelt. 


21 


Schlaglichter  zur  Herkunft 
der   "Fiirsorge" jugendlichen 


22 


14  Mil3  .  bundesdeutsche  Familien  verfiigen  iibep  weniger 

als  DM  600,00  im  Monat. 

2,6  Mill,  davon  iiber  weniger  als  DM  300,00  im  Monat. 

-  Die  meisten  der  kriminell  gewordenen  Kinder  und 
Jugendlichen  stammen  aus  solchen  Haushalten. 
(konkret  Nr.  13,  72) 

-  Erziehungsheime  sind  zum  groBten  Teil  mit  Kindern 
aus  solchen  Familien  gefiillt;  Kinder  aus  reichen  Fami- 
lien,  die  von  ihren  Eltern  nicht  erzogen  werden  konnen, 
kommen  in  Internate 

-  Zufall? 

-  Trunkenheit,  Abhangigkeit  von  Fiirsorgeeinrichtungen, 
Mangel  an  Familienzusammenhalt,  priigelnde  Eltern,  un- 
systematisches  Denken,  Unfahigkeit  zur  Kooperation,  uber- 
wiegend  Strafe  als  Erziehungsmittel,  Vernachlassigung 
der  Kinder  durch  die  Eltern,  SchulschwSchen  u.a.  sind 
erwiesen  in  Familien  von  deliquent  gewordenen  Jugend- 
lichen und  fast  durchweg  gehoren  diese  Familien  der  Un- 
terschicht  an 

-  und  fast  durchweg  sind  die  Kinder  in  diesen  Familien 

auf  sich  allein  angewiesen,  weil  entweder  die  Mutter  -  wenn 
sie  zu  Hause  ist  -  nicht  selbstandig  erziehen,  d.h.  ver- 
antwortlich  handeln  kann,  oder  aber  die  Mutter  mitarbei- 
ten  mufi  oder  die  Familien  unvollstandig  sind  (Trennung, 
Scheidung,  Krankheit,  Einsitzen,  Tod),  sodaB  dadurch  die 
Chancen,Normen  und  Eollen  zu  vermitteln,  noch  weiter 
sinken 

-  die  Verwahrlosungserscheinungen  werden  von  der  Offent- 
lichkeit  als  dissoziale  Verhaltensweisen  eingestuft. und 
mit  Heimerziehung,  Gefangnis  beantwortet 

-  die  schichtenspezifische  Herkunft  der  Fiirsorgejugend- 
lichen  wird  dann  abgetan  mit  einerr.  sarkastischen  Salto 
in  die  Humanitat:  man  soil  doch  bloB  nicht  das  Materiel- 
le  so  iiberbewerten 

und  wahrend  man  Tausende  "zur  Besinnung"  in  die  Gefang- 
nisse  sperrt,  weil  sie  das  Materiel]e  iiberbewertet  haben 
und  sich  das,  was  sie  durch  Arbeit  ihr  Xeben  lang  nicht 


erreichen  konnen,  einfach  so-  nahmen  -  laBt  man  Horten, 
Goergen  und  Co.laufen 

-  Zufall? 

-  daB  die  (geschatzte)  Mehrwertrate  in  der  westd.  In- 
dustrie 1969  387  #  betrug  (oder  der  Arbeiter  von  8-Std. 
6  davon  fur  den  Kapitalisten  schuftete) 

-  Zufall? 

-  daB  der  durchschnittliche  Bruttostundenlohn  1969  nur 
5,29  DM  betrug  -  der  Multimillionar  und  Hauptaktionar 
der  Daimler  Benz  AG  -  Herr  Friedrich  Flick  (+)  -  1969 
allein  aus  seinem  Kapitalanteil  bei  Daimler  einen  Ver- 
dienst  von  107  Mill.  DM  kassiert  hat,  das  ist  umgerech- 
net  auf  die  Stundenzahl  eines  Arbeiters  ein  Stundenlohn 
von  62.390,00  DM 

-  Zufall? 

-  daB  Arbeiter  sich  um  tlberstunden  reiBen  und  dabei  je- 
der  der  Konkurrent  des  anderen  ist 

-  daB  von  1966  -  68  die  Netto-Profite  der  100  groBten 
AG's  um  4-5,7  %,    die  Netto-lohne  und  Gehalter  im  gleichen 
Zeitraum  aber  nur  um  3,1  %   stiegen 

-  daB  den  Berufsgenossenschaften  jahrlich  rund  2,5  Mill. 
Arbeitsunfalle  gemeldet  werden 

-  Schichtarbeit,  Stechuhr 

-  Rationalisierung,  Einsparung,  zunehmend  mehr  arbeits- 
lose  Arbeitswillige  und  -fahige  iiber  45  Jahren 

-  zunehmender  Ruin  von  Kleinbetrieben,  des  Handwerks 

-  (Obdachlosenasyle,  "Schlichtwohnungen" ,  Kasernen) 
•  -  60  %   der  Kinder  von  Obdachlosen  in  Sonderschulen 

-  zunehmende  Frauenarbeit  bei  igeringerem  lohn  bei  glei- 
cher  Arbeit  wie  die  Manner  (rund  1/3  niedriger) 

-  Akkordarbeit,  Pramiensysteme, 

-  Notstandsgesetze  gegen  politische  Streiks 

-  daB  weniger  als  2  %   der  Bundesbiirger  35  %   des  Privat- 
und  70  %   des  Produktiwermbgens  ihr  Eigen  nennen  -  das 
alles.ist  kein  Zufall  mehr,  das  hat  mit  Chancengleich- 
heit  nichts  zu  tun,  da  ist  die  Kennzeichnung  besonders 
auffalliger  Gruppen  als  Unterschicht  und  Randgruppen  nur 


23 


noch  fur  den  methodischen  Ansatz  zu  ihrer  Politisierung 
notig,  denn  diese  Probleme  sind  dem  spatkapitalistischen 
System  inherent  und  sind  Klassenfragen. 

lit.: 

-  Autoren  Kollektiv  Marx-Arbeitsgrp.  Historiker 
"Schulungstext  zur  Kritik  der  P olitischen  Okonomie" 

-  Konkret  15/72 

-  Karl  Marx:  "Das  Kapital"  Bd.  1 

Einige  Thesen  zu  den  Ausfiihrungen  iiber  die  Herkunft 
der  Piirsorgejugendlichen. 

Am  krassesten  zeigen  sioh  die  Grundwiderspriiche  unserer 
Gesellschaftsordnung  in  den  sog.  Randgruppen. 

Wohlfahrtsstaatsideologie  sowie  die  Ersatzbefriedigung 
durch  Konaum  verschleiern  die  standig  fortschreitende 
Ausbeutung  und  Verelendung  der  Arbeiter. 

Dissozial  ist,  wer  sich  nicht  an  den  sozialen  Normen  der 
Mittelschicht  orientiert. 

Juristische  Normen  sind  an  Kapitalinteressen  orientiert. 

Chancengleichheit  bedeutet:  Chancen  fur  die  Reichen, 
Machtigen,  Einf luBreichen,  aber  keine  Chancen  fur  die 
Unterprivilegierten. 

Nicht  nur  Gesetze  und  Zwang,  sondern  Sprachbarrieren, 
nur  teilweise  oder  gar  nicht  gelungene  Anpassung  an  dxe 
Normen  der  Mittelschicht,  schlechtere  Schul-  und  Berufs- 
ausbildung  u.a.  verhindern  die  Gleichberechtigung  der 
Arbeiter  in  der  Gesellschaft. 

Die  soziale  Diskriminierung  der  Arbeiter  bzw.  der  Unter- 
schicht  ist  bedingt  durch  ihre  Unterprivilegierung  auf 
.der  Produktionsebene. 

So  ist  die  gesellschaftliche  Realitat  nur  die  auBere  Er- 
scheinungsform  der  zugrundeliegenden  bkonomischen  ?er- 
haltnisse:  auf  der  einen  Seite  diejenigen,  die  die  Ver- 
fiigungsgewalt  iiber  das  Kapital  haben,  die  Kapitalisten, 
die  sich  den  gesellschaft lich  erzeugten  Reichtum  aneignen, 
und  auf  der  anderen  Seite  diejenigen,  die  gar  nichts  be- 
sitzen  auBer  ihrer  Arbeitskraft,  die  sie  gezwungen  sind_ 
zu  verkaufen,  die  nicht  am  Mehrwert  teilhaben  diirfen,  die 
aus  ihrer  bkonomischen  Abhangigkeit  heraus  nicht  die  Mog- 
lichkeit  haben,  gesellschaftliche  Prozesse  zu  durch- 
schauen  bzw.  zu  beeinflussen. 


Konkretionen  zum  Aufbau 
eines  Jugendwohnkollektivs 


24 


*<S  is 


Vorbemerkungen 

Dieser  Artikel  ist  fiir  den  "Praktiker"  geschrieben.  Ganz 
konkret  geht  er  auf  so  wichtige  Pragen  wie  Tragerschaft, 
Pinanzierung,  Mitglieder  im  Jugendwohnkollektiv,  bau- 
liche  und  Standortbedingungen  und  ihre  Auswirkungen ,  Um- 
weltkontakte,  Kollektivberater  usw.  ein.  Allerdings  kon- 
nen  hier  keine  Patentrezepte  vermittelt  werden.  Es  wird 
nur  versucht,  die  Erfahrungen  der  bisher  bestehenden 
Kollektive  zusammenzufassen  und  zu  verallgemeinern.  So 
konnen  sich  situationsbedingt  beim  Aufbau  eines  neuen 
Kollektivs  auch  andere  Entwicklungen  zeigen    wenn  auch 
die  Entwicklungstendenzen  bisher  allgemein  in  die  in 
diesem  Artikel  aufgezeigte  Richtung  gehen.  Dieser  Arti- 
kel ist  allerdings  vor  der  Zerschlagung  des  Essener  Kol- 
lektivs geschrieben  worden  (vgl.  Dokumentation) ,  die 
wohl  eine  neue  Stufe  der  Eskalation  gegen  fortschrittli- 
che  Projekte  im  sozialen  Bereich  darstellt.  AuBerdem  ist 
auch  nicht  auf  die  Erfahrungen  des  Georg-von-Rauch-Hau- 
ses  eingegangen  worden.  Dieses  "Projekt"  unterscheidet 
sich  durch  die  mit  einer  breiten  Massenmobilisierung  ver- 
bundene  Initiierung  von  der  "betroffenen  Basis"  in 
wesentlichen  Punkten  von  den  bisberigen  Projekten  und 
sollte  in  diesem  Info  an  anderer  Stelle  ausfiihrlich  be- 
handelt  werden. 


Zur  TraRerschaft 

.  Da  in  den  Anfangen  Jugendwohnkollektive  im  Zuge  der 
Randgruppenstrategie  meist  von  politischen  Tragergruppen 
(APOJ  initiiert  wurden,  ist  mit  Unterstiitzung  der  Jugend- 
wohnkollektive (Jk)  nur  zu  rechnen,  wenn  sich  die  Ini- 
tiatoren  als  "honorige"  Trager  ausweisen  kb'nnen.  So  muBte 
z.B.  ein  Miinchener  Jk  erst  nachweisen,  daB  die  Mitglie- 
der keine  "verkappten  Maoisten"  waren. 

Aber  auch  dann  bleibt  die  Unterstiitzung  zuerst  meist  nur 
ideell.  Es  empfiehlt  sich  deshalb,  einen  eingetragenen 
Verein  zu  griinden,  der  einem  Spitzenverband  der  deutschen 
Wohlfahrtspf lege  -  in  NRW  sind  gute  Erfahrungen  mit  dem 
DPWV  gemacht  worden  -  anschlieBt  und. der  eine  relativ 
groBe  Autonomie  sichert. 

Dieser  Verein  sollte  auBerdem  moglichst  schnell  versu- 
chen,  den  Status  der  Gemeinniitzigkeit  zu  erreichen. 


25 


26 


Dieser  Verein,  der  als  Trager  fungiert,   hat  die  ver- 
antwortliche  Leitung  und  Vertretung  der  Durchfiihrung 
der  offentlichen  Erziehung  im  Jk  nach  auBen  inne.  Er 
ist  zustandig  fur . finanzielle  Regelungen,  Einstellung 
und  Entlassung  des  Personals. 

Der  Trager  ist  -  und  sollte  es  auoh  sein  -  zur  Haupt- 
seite  juristischer  Trager.  Gut  sind  xiir  solch  einen 
Verein  immer  einige.  liberals  oder  progressive  Renommier- 
theologen  Oder  -intellektuelle.  Weiter  empfiehlt  sich 
die  Berufung  eines  padagogischen  Beirats,  in  den  einige 
"wissenschaftliche  Mitarbeiter"  aufgenommen  werden  soil- 
ten.  Dieser  Beirat  darf  allerdings  nur  beratende  Funktion 
haben,  d.h.  in  padagogischer  und  psychologischer  Hin- 
sicht  Hilfe  leisten. 

Ein  neues  Projekt  sollte  in  der  Regel  anfangs  von  einer 
ziemlich  kleinen  Kerngruppe  geplant  werden,  die  spater 
dann  einige  "Pachleute"  zur  Hilfe  Ziehen  sollte.  (Wir 
sind  gern  zu.solchen  Hilfestellungen  bereit.)  Doch  soll- 
te man  diese  "Fachleute"  nicht  zu  intensiv  mit  dem  Pro- 
jekt  verbinden,  da  sonst  die  Gefahr  groB  ist,  daB  sich 
zwischen  Trager  und  padagogischem  Personal  eine  Arbeit- 
geber-Arbeitnehmerposition  mit  alien  sich  daraus  erge- 
benen  Konsequenzen  entwickelt. 

So  ist  es  am  besten,  wenn  zwar  offiziell  ein  Verein  als 
Trager  fungiert,  der  Trager  im  Grunde  genommen  aber  nur 
eine  Projektgruppe  bildet,  in  die  auch  das  padagogische 
Personal  integriert  ist. 

Es  sind  also  folgende  Gremien  notwendig:  ein  gemein- 
niitziger  Verein  mit  Vorstand,  eine  Mitgliederversammlung 
und  ein  wissenschaftlioher  Beirat. 


Zur  Finanzierung 

Die  groBten  Finanzierungsschwierigkeiten  ergeben  sich  bei 
der  Erstausstattung  und  Einrichtung  eines  Jk,  da  hier  oft 
umfangreiche  Eigenmittel  aufgebracht  bzw.  vorgeschossen 
werden  miissen,  da  in  der  Vorbereitungs-  und  Anlaufzeit 
eine  Kostendeckung  durch  Pf legesatze  nicht  erreicht  wer- 
den kann  und  da  durch  die  noch  nicht  voll  erreichte  Aus- 
baustufe  des  Kollektivs  die  Kosten  pro  Jugendlicher  be- 
sonders  hoch  sind. 

Zwar  werden  die  anfallenden  Selbstkosten  zu  einem  groflen 
Teil  nachtraglich  vom  LJA  ersetzt,  doch  miissen  die  da- 
bei  entstehenden  immensen  Verzogerungen  -  die  auch  bei 
der  Zahlung  der  normalen  Pf legesatze  gang  und  gabe  sind 
-  als  bewuBte  Repressionen  verstanden  werden. 
Es  empfiehlt  sich  zur  Vorfinanzierung  dringend  das  An- 
streben  der  Gemeinmitzigkeit  des  Vereins,  da  dadurch  die 
besten  Moglic.hkeiten  gegeben  sind.,  durch  Spenden  an  Geld 
zu  gelangen.  (Antrag  auf  Aufnahme  in  die  BuBgeldkartei 
beim  OLG,  Spenden  von  Klassenlotterien,  Sparkassen,  gros- 
sen  Indus trieunternehmen  und  Kaufhauskonzernen,  Spenden- 
aufrufe  an  liberale  Organisationen  und  Personen}  Auch 


Asten  und  Fachschaften  sind  oft  bereit,  Geld  vorzu- 
strecken!  . 

Die  Pinanzierung  sollte  sonst  grundsatzlich  pauschal 
iiber .Pf legesatze  bzw.  Tagessatze  der  Jugendlichen  er- 
folgen:  Pur  Jugendliche,  die  der  PE  oder  PEH  unterste- 
hen,  durch  das  LJA,  fur  andere  Jugendliche  durch  das 
ortliche  JA.   Folgende  Kosten  sollte  das  LJA  iibernehmen: 
Personal-  und  Verwaltungskosten,  Mietausfall,  Versiche- 
rungen,  Honorare  fiir  Supervision  und  Einzelfallhilf e, 
Nachhilfe...  Bei  der  Verhandlung  iiber  die  Hohe  der  Pf le- 
gesatze sollte  man  sich  vorher  an  die  bestehenden  Kol- 
lektive  wenden,  da  die  LJAter  hier  ziemlich  willkiirlich 
verfahren  und  die  Pflegesatze  bei  den  einzelnen  Jk  sehr 
stark  differieren.  Es  tauchen  vor  alien  Dingen  immer 
wieder  Repressionen  finanzieller  Art  auf. 
Weiter  fordert  das  LJA  gewisse  Mitsprache  bei  der  Auf- 
nahme neuer  Jugendlicher. 

Die  Jugendlichen,  die  arbeiten,  miissen  einen  Anteil  ihres 
Lohns  bzw.  Lehrgeldes  ans  LJA  abgeben.  Die  in  dieser  Hin- 
sicht  bestehenden  Bestimmungen  bieten  kaum  einen  Anreiz 
zur  Arbeitsaufnahme  und  fordern  so  bei  einigen  Jugend- 
lichen ein  "Rentnerdasein". 


Zur  Frage  der  Kollektivmitglieder 

Als  geeigneter  Personenkreis  hat  sich  eine  Mitglieder- 
zahl  von  ca.  5  Jugendlichen  ergeben.  Wenn  eine  groBere 
Anzahl  aufgenommen  werden  soil,  empfiehlt  es  sich  lang- 
sam  aufzubauen,  d.h.  es  muB  erst  eine  Kerngruppe  vorhan- 
den  sein,  die  sich  einigermaBen  gefestigt  hat,  bevor  das 
Kollektiv  vergroBert  wird.  Man  sollte  sich  nicht  durch 
die  Notsituation  einzelner  Trebeganger  unter  Druck  setzen 
las sen. 

Die  Jugendlichen  sollten  zwischen  15  und  19  Jahren  alt 
sein,  wobei  16  als  das  ideale  Eintrittsalter  erscheint. 
Die  meisten  Kollektive  sind  reine  Jungenkollektive ;  es 
gibt  allerdings  auch  Madchenkollektive.  In  Berlin  sind 
Erfahrungen  mit  einem  koedukativen  Kollektiv  gemacht 
worden,  einer  MSglichkeit,  die  allerdings  z.B.  von  den 
LJAtern  in  NRW  blockiert  wird.  In  diesem  Berliner  Kollek- 
tiv (2  Madchen  -  5  Jungen)  ergaben  sich  Probleme  weniger 
im  sexuellen  Bereich  als  aus  der  Schwierigkeit  sich  von 
den  traditionellen  Rollenmustern  zu  losen;  es  bestand  z.B 
die  Gefahr  der  Ausnutzung  der  Madchen  fiir  hausliche  Ar- 
beiten. 

Es  hat  sich  als  sinnvoll  erwiesen,  bestimmte  Aufnahme- 
kriterien  zu  handhaben.  Zwar  sind  wir  der  Meinung,  daB 
ca.  2/3  aller  Jugendlichen  in  PE  und  PEH  in  Kollektiven 
untergebracht  werden  konnen,  daB  also  die  Jk  eine  echte 
Alternative  zur  Heimerziehung  darstellen;  doch  da  die  Jk 
im  Moment  noch  Modellcharakter  haben,  sollte  heute  unter 
den... Jugendlichen  noch  eine  gewisse  Vorauswahl  getroffen 
werden . 


27 


. 


1.  Die  Jugendlichen  sollten  arbeitsfahig  bzw.  arbeits- 
willig  sein  d.b.  zur  Schule  oder  zur  Arbeit  gehen  oder 
und  wenn  es  moglich  ist,  in  letzter  Zeit  auch  gearbeitet 
hab  en ; 

2.  sie  sollten  nicht  iiber  schwere  psychische  Storungen 
und  Schaden  verfiigen,  da  wir  keine  Psychotherapeuten 
sind  und  auch  der  politische  Anspruch  unserer  Arbeit 
unter  solchen  Voraussetzungen  fragwiirdig  ware; 

3.  die  Jugendlichen  sollten,  falls  moglich,  keine  zu^ 
lange  Heimerfahrung  haben,  d.h.  sie  sollten  gruppenfahig 
sein,  Verbalisierungs-  und  Artikulierungsfahigkeit  be- 
sitzen,  einen  gewissen  Toleranzbereich  gegeniiber  Frustra- 
tionen  und  Aggressionen  haben,  Eigenschaften  wie  Koope- 
rationsfahigkeit,  Initiativbereitschaft,  Rucksichtnahme  : 
auf  andere  aufweisen  und  auch  bereit  sein, an  den  Aktivi- 
taten  des  Kollektivs  teilzunehmen; 

4.  sie  sollten  aus  der  Arbeiterklasse  stammen; 

5.  sie  sollten  selbst  den  Wunsch  haben,  in  einem  Kollek- 
tiv  zu  leben; 

6.  sie  sollten  nicht  drogenabhangig  sein. 

Diese  Kriterien  lassen  sich  alle  allerdings  in  den 
wenigsten  Fallen  realisieren.  Zudem  wird  die  ganze  Pro- 
blematik  der  Jugendlichen  aus  den  Kontaktgesprachen  kaum 
und  aus  den  Akten  erst  recht  nicht  ersichtlich.  Da  aus- 
reichende  Informationen  iiber  den  Werdegang  und  die  augen- 
blickliche  Situation  fehlen,  empfiehlt  sich  eine  vier- 
wochige  Probezeit  und  eine  darauf  folgende  Aufnahme  durch 
GruppenbeschluB.  Es  kommen  grundsatzlich  nur  Jugendliche 
in  Frage,  die  FE,  PEH  oder  anderen  offentlichen  Erzie- 
hungsmaBnahmen  unter liegen  bzw.  akut  von  Heimeinweisung 
bedroht  sind,  d.h.  dringend  eine  Unterbringung  auBerhalb 
der  Pamilie  bediirfen  oder  auch  Jugendliche,  die  unter 
Bewahrung  stehen. . . ■ 

Aufnahmen  konnen  auf  dem  Verwaltungswege,Vorschlag  des 
LJA  Oder  auf  Empfeblung  des  Vereins  (entwichene  FE-Zog- 
linge,  Trebeganger)  erfolgen. 


Bauliche  Voraussetzungen  und  StandortbedinKungen 

Es  ist  ziemlich  schwierig,  geeignete  Hauser  oder  Woh- 
nungen  zu  bekommen.  Meist  sind  dazu  gute  informelle  Kon- 
takte  zu  politischen  Instanzen  der  Stadt  oder  zu  kirch- 
lichen  Kreisen  notwendig.  Bei  Einschaltung  eines  Makler- 
biiros  kann  man  mit  Unkosten  bis  zu  500, —  DM  rechnen. 
So  erscheinen  dann  manchmal  Hausbesetzungen  schon  langer 
leer  stehender  Hauser  als  ein  durchaus  angemessenes  Mit- 
tel,  die  zustandigen  Stellen  auf  die  Mangelsituation 
aufmerksam  zu  machen.. Wenn  Hauser  zur.  Verfiigung  gestellt 
werden,  sind  es  zumeist  Abbruchhauser,  die  in  den  nach- 
sten  Jahren  im  Zuge  von  SanierungsmaBnahmen  abgerissen 
werden  sollen  und  die  von  der  Stadt  schon  aufgekauft  wor- 
28   den  sind.  Der  Zustand  dieser  Hauser  ist  deshalb  oft  sehr 


miserabel  und  zumeist  muB  mit  hohen  Investitionskosten 
gerechnet  werden.  Wie  sollten  nun  die  Wohnungen  bzw. 
Hauser  geschaffen  sein  -  wobei  betont  werden  muB,  daB 
grundsatzlich  Hauser  Wohnungen  vorzuziehen  sind? 
Es  sollten  moglichst  mehrere  kleine  Haume  zur  Verfiigung 
stehen,  so  daB  jedes  Kollektivmitglied  anfangs  iiber  sein 
eigenes  Zimmer  verfiigen  kann  und  auch  Wohngelegenheiten 
fur  das  padagogische  Personal  vorhanden  sind.  AuBerdem 
sollten  ein  Arbeits-  und  ein  Gemeinschaftsraum  zur  Ver- 
fiigung stehen;  dazu  Bad,  Toilette. 

Gut  sind  auch  immer  Speicher-  oder  Kellerraume  fiir 
Tischtennis,  zum  Basteln  und  auch  ein  kleiner  Biiroraum. 
Bei  der  Ersteinrichtung  sollte  besonders  auf  eine  gute 
Einrichtung  der  Kiiche  Wert  gelegt  werden,  um  die  Kol- 
lektivmitglieder  weitgehend  von  uberf liissiger  Hausar- 
beit  zu  entlasten. 

Die  Einrichtung  der  meisten  Zimmer  kann  aus  Schenkungen 
und  vom  Sperrmiill  hestritten  werden,  doch  sind  meist 
erhebliche  Kosten  fiir  Eenovierung,  Umbau  usw.  aufzu- 
bringen. 

Die  gemeinsame  Renovierung  und  Einrichtung  kann  in  be- 
grenztem  Umfang  das  Selbstwertgefiihl  steigern  (nach 
langem  Heimauf enthalt  sehr  wichtig),  bei  zu  starker  Be- 
anspruchung  konnen  allerdings  durch  Uberforderung  in 
organisatorischen  Problemen  starke  Konflikte  auftreten. 

Da  die  meisten  Jugendlichen  aus  der  Arbeiterklasse  stam- 
men, sind  Hauser  im  gewohnten  Milieu  -  also  in  reinen 
Arbeiterwohnbezirken  am  besten  geeignet.  AuBerdem  sollten 
giinstige  Verkehrsverbindungen  zu  den  gangigen  Arbeits- 
platzen  und  zu  den  Kommunikationszentren  in  der  City  ge- 
geben  sein. 

Sehr  wichtig  sind  die  Kontakte  zur  Umwelt  und  die  Zusam- 
menarbeit  mit  den  Anwohnern.  Anfangs  sind  die  meisten 
Kollektive  Diskriminierungen,  abfalligen  Blicken,  dauern- 
der  Beschwerden  beim  Vermieter,  meist  wegen  Larms  und 
haufiger  Besucher,  ausgesetzt. 

Diese  Konflikte  werden  meist  noch  durch  das  Auftreten  von 
Polizei  und  Justiz  verstarkt,  die  in  jedem  Kollektiv  ei- 
nen potentiellen  Kriminellenhort  sehen.  So  sind  Durch- 
suchungen  der  Sitte,  des  politischen  Kommissariats  und 
des  Eauschgiftdezernats  an  der  Regel.  Wahrend  der  Biirger- 
kriegsaktionen  gegen  die  RAP  (Bader-Meinhoff-Gruppe) 
wurden  grofie  Aktionen  und  Polizeieinsatze  gegen  verschie- 
dene  Kollektive  vorgenommen.  Diese  Einsatze  bleiben  den 
Anwohnern  natiirlich  nicht  verborgen. und  sind  den  Kontak- 
ten  zur  Umwelt  nicht  gerade  f order lich. 

Dazu  noch  ein  Beispiel  aus  Frankfurt:  Als  vom  Jk  ein  Un- 
fallwagen  gerufen  wurde,  weil  ein  Jugendlicher  .die  Trep- 
pe  herunter  gestiirzt  war,  leitete  die  Polizei  sofort  Er- 
mittlungen  wegen  Gewalttatigkeit  und  DrogengenuB  ein. 
In  Diisseldorf  versuchten  Bewohner  mit  Hilfe  der  ortlichen 
CDU-Fraktion ,  die  Errichtung  eines  Jk  in  einem  klein-    29 


biirgerlichen  Bezirk  zu  verhindern,  weil  "die  Sicherheit 
von  Frauen  und  Kindern  gefeihrdet"  sei  und  "der  Wert  der 
Eigentumswohnungen  sinke" . 

Erst  durch  gezielte  Offentlichkeitsarbeit  (Presse,  Fern- 
sehen,  Rundfunk,  Rundbriefe,  Hearings)  konnte  der  re- 
aktionare  Charakter  dieser  Fraktionen  entlarvt  werden. 
Man  sollte  deshalb  fiir  die  Anwohner  immer  eine  Infor- 
mationsveranstaltung  durchfvihren,  und  iiber  die  Ziele  der- 
Wohngemeinschaft  aufklaren.  Auch  gegeniiber  dem  Vermieter 
muB  die  padagogische  Konzeption  erlautert  werden. 

Zur  Frage  und  Eunktion  von  Hausordnungen 

Zu  Anfang  erscheint  die  Erstellung  einer  Hausordnung  bzw. 
eines  Punktionsplanes  meist  erforderlich.  Sie  sollte  ge- 
meinsam  diskutiert  und  besohlossen  werden  und  sich  be- 
sonders  mit  dem  Verbot  des  Handels  und  Genusses  von 
Rauschmitteln,  der  Vermeidung  ubermaBigen  Alkoholgenus- 
ses,  der  permanenten  ttbernachtung  von  Gasten  und  ent- 
wichenen  Zoglingen  und  auf  Gebiete  wie  Aufraumen,  In- 
standhaltung,  Einkaufen  und  Kochen  beziehen. 
Diese  Hausordnung  ist  nach  langerem  Zusammenleben  im 
Kollektiv*  meist  nicht  mehr  notwendig. 

Zum  padagogischen  Personal 

Fiir  Jedes  Kollektiv  sollten  2  padagogische  Mitarbeiter 
(Fachkrafte)  eingestellt  werden.  Am  besten  ein  Sozial- 
arbeiter  und  ein  Sozialpadagoge.  Weiterhin  ist  ein  teil- 
zeitbeschaftigter  Mitarbeiter  einzustellen  (Kriegsdienst- 
verweigerer,  Jahrespraktikant) .  Empfehlenswert  ist  auch 
die  Einstellung  einer  Hauswirtschaftlerin  oder  Kochin 
fiir  2-3  Stunden  taglich,  die  kooht  und  sich  urn  die  Kiiche 
kiimmert.  Manchmal  erscheint  zur  Entlastung  des  Sozialar- 
beiters  auch  noch  die  Halbtagsbeschaftigung  einer  Sekre- 
tarin  gegeben,  die  gleichzeitig  auch  fiir  andere  Angele- 
genheiten  des  Vereins  zustandig  sein  kann. 
Die  Aufgabenteilung  zwischen  Sozialpadagoge  (Kollektiv- 
beraterj  und  Sozialarbeiter  sollte  etwa  wie  folgt  aus- 
sehen,  wobei  allerdings  echte  Team-work  Grundvoraus- 
setzung  bleibt:  der  Kollektivberater  iibernimmt  zur  Haupt- 
seite  die  Analyse  und  Interpretation  der  Gruppenprozesse, 
die  Realisierung  des  padagogischen  Konzeptes  und  in.Ein- 
zelfallen  auch  therapeutische  Aufgaben.  Der  Sozialarbei- 
ter kiimmert  sich  vorrangig  um  Arbeitsvermittlung,  Kon- 
takte  zum  Arbeitsplatz,  Jugendamt,  Eltern,  Vormund  und 
um  Versorgungsangelegenheiten. 

Das  padagogische  Personal  verfiigt  iiber  die  Aufsichts- 
pflicht,  doch  wird  die  Verantwortung  z.T.  vom  Trager 
iibemommen. 
30  Auflerdem  sollten  Kontakte  zu  psychologischen  und  psycho- 


m 


therapeutischen  Fachkraften  vorhanden  sein.  Der  padago- 
eische  Beirat  sollte  nur  beratende  Funktion  haben. 
Die  Supervision  der  padagogischen  Fachkrafte  sollte  die 
Projektgruppe  bzw.  der  Trager  iibernehmen,  d.h.  besonders 
die  Besprechung  der  Probleme  der  Position  des  Kollektiv- 
beraters  in  der  Gruppe  und  andere  Gruppenprobleme. 
Wenn  dies  nioht  gegeben  ist,  d.  h.  der  Berater  nicht 
gleichberechtigt  in  den  Tragerverein  integriert  ist,  er- 
gibt  sich  sehr  leicht  die  Gefahr  eines  Arbeitgeber-Ar- 
beitnehmerverhaltnisses  mit  den  bekannten  Konsequenzen. 


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REIHE  BETRIEB  UND  GEWERKSCHAFTEN 

GEWERKSCHAFTEN  HEUTE  -  ORDNUNGSFAKTOR  ODER  GEGENMACHT? 
Funktion  und  Strategie  der  Gewerkschaften  im  Spatkapitalismus. 

Autor:  Hansgeorg  Conert 

Ein  kritischer  Beitrag  zur  Standortbestimmung  der  Gewerkschaften 
in  der  BRD  heute.  Ausgangspunkt  ist  die  Erwartungshaltung  der 
Mitqlieder  gegeniiber  den  Gewerkschaften.  Es  wird  verdeutlicnt, 
daB  organisierte  wie  auch  nicht  organisierte  Lohnabhangige  von 
den  Gewerkschaften  die  Durchsetzung  von  Anspruchen  erwarten, 
die  den  engen  Rahmen  der  vom  Profitziel  diktierten  Funktions- 
bedingungen  des  Spatkapitalismus  sprengen.  Da3  nunmehr  auch  in 
der  BRD  die  Regierung  konsequent  daran  gent,  den  Ablaut  des 
kapitalistischen  Produktions-  und  Verwertungsprozesses  zu 
steuern,  verbessert  keineswegs  den  gewerkschaftlichen  Aktions- 
raum,  sondern  verengt  ihn  zunehmend. 

Die  Gewerkschaften  konnen  sich  daher  der  Entscheidung  nicht 
entziehen:  integrieren  sie  sich  in  das  System  des  organisier- 
ten  Kapitalismus  und  ordnen  sich  damit  den  jeweiligen  Beding- 
unqen  privater  Profitmaximierung  unter  Oder  begreifen  sie  lhre 
Aufgabe  als  antikapitalistische  Gegenmacht  und  gehen  zu  einer 
Strategie  der  Durchsetzung  systemverandernder  Reformen  uber.' 
Die  notwendigen  Konsequenzen  fur  die  konkrete  Politik  der  Ge- 
werkschaften, fur  die  innerverbandliche  Demokratie,  fur  die 
Mitbestimmungskonzeption,  fur  die  Bildungsarbeit  sow;e  fur  die 
Strategie  der  Gewerkschaften  in  der  politischen  Sphare  werden 
in  dieser  Broschure  umrissen  und  zur  Diskussion  gestellt. 

88  Seiten,  broschiert,  DM  3.3o 

Verlag  Zooo  GmbH,  6o5  Offenbach  4,  Postfach  591 


-J  31 


^a 


Verein  Soziale  Jugendarbeit  e.V. 


Konzeption  fur  die  Einricbtung  einer  Wohngemeinschaft 
mit  Minderjahrigen  in  offentlicher  Erziehung. 


32 


Als  Erziehungsziel  fur  die  Jugendlichen  wird  angestrebt, 
daB  sie  durch  Selbsterfahrung,  Selbsterziehung  und 
Selbstorganisation  die  Ursache  ihres  Scheiterns  in  der 
Familie  und  Gesellschaft  einsehen  ,und  lernen,  ihre  Pro- 
bleme  und  Konflikte  selbst  zu  losen. 

Dieses  Ziel  wird  nicht  in  alien  Fallen  zu  erreichen  sem. 
Bei  umweltgeschadigten  Jugendlicben  ist  es  aber  beson- 
ders  wichtig,  ihre  eigene  Stabilitat  zu  entwickeln.  Dazu 
gebort  Entwicklung  der  Eigentatigkeit  und  Eigenverant- 
wortung,  die  Entwicklung  der  Verantwortung  fiir  die  Grup- 
pe  und  die  Fahigkeit,  in  jenen  Umweltkonstellationen 
stabil  zu  bleiben,  in  denen  sie  friiher  zusammengebrochen 
sind.  Besonders  wird  zu  erstreben  sein,  daB  die  Jugend- 
licben kontinuierlich  einer  Berufsausbildung  Oder  einer 
Berufsarbeit  nachgehen. 

Um  das  zu  erreichen,  soil  nach  den  Methoden  der  Sozialen 
Gruppenarbeit  vorgegangen  werden.  Diese  Methoden  beinhal- 
ten  Initiierung  und  Kontrolle  gruppendynamischer  Pro- 
zesse.  Die  entsprechenden  soziometrischen  Verfahren_ (So- 
ziogramm,  Autosoziogramm)  sind  dabei  anzuwenden.  Weiter- 
hin  gehoren  dazu  auch  Gruppendiskussionen,  Soziodramen, 
Planspiele  fiir  Konfliktlosungen  und  dergleichen  mehr. 
Da  die  Ursache,  die  zur  FE/FEH-Massnahme  gefiihrt  hat en, 
im  sozialen  Umfeld  der  Jugendlicben  zu  suchen  sind,  ge- 
niigt  es  jedoch  nicht,  einen  gruppeninternen  Entwicklungs- 
prozeB  in  Gang  zu  setzen.  Daher  wird  angestrebt,  sta'ndi- 
gen  Kontakt  mit  der  Umwelt .herzustellen,  aus  der  sie^ 
kommen  und  in  der  zu  leben  sie  wieder  fahig  werden  miis- 
sen.  Das  soil  u.a.  ex'reicht  werden  durch  Kommunikation 
mit  den  Jugendlicben  des  betreffenden  Stadtteils,  ein- 
zelnen  Jugendlichen  sowie  formellen  und  informellen 
Gruppen.  Durch  Training  sollen  die  Kommunikationspartner 
lernen,  iiber  Preizeitkontakte  hinaus  voneinander  zu  lernen: 
die  Jugendlichen  der  Wohngemeinschaft,  indem  sie  erfahren 
und  erfragen,  wie  die,.. Jugendlichen  in  der  Gegend  leben; 
die  Jugendlichen  des  Stadtteils,  indem  sie. erfahren,  wie 
man  in  die  offentliche  Erziehung  kommt  und  welche  Ur- 
sachen  dazu  gefiihrt  haben. 


Der  "Verein  Soziale  Jugendarbeit  e.V.",  Essen-Steele 
ist  der  Trager  der  Wohngemeinschaft.  Dieser  Verein  ist 
dem  "Deutschen  Paritatischen  Wohlfahrtsverband"  ange- 
schlossen. 

Es  ist  vorgesehen,  in  einer  Gruppe  von  8  Jugendlichen 
zu  arbeiten,  da  erfahrungsgemaB  eine  GruppengroBe  zwi- 
schen  6  und  8  Mitgliedern  fiir  einen  dynamischen  ProzeB 
am  funktionsfahigsten  ist.  Diese  GruppengroBe  hangt  aber 
von  den  Raumlichkeiten  ab.  Zu  einem  gegebenen  Zeitpunkt 
ist  beabsichtigt,  eine  2.  Wohngemeinschaft  zu  griinden, 
die  aber  raumlich  von  der  1.  Wohngemeinschaft  getrennt 
sein  soil. 

Von  der  Aufnahme  ausgeschlossen  werden  Jugendliche,  fiir 
die  FE  oder  FEH  lediglich  beantragt  ist,  da  das  landes- 
jugendamt  dafiir  keine  Kosten  iibernimmt. 
Es  sollen  nach  Moglichkeit  nur  schulentlassene  Jugend- 
liche aufgenommen  werden.  Jugendliche  mit  erheblichen 
geistigen  oder  psychischen  Mangeln  konnen  nicht  aufge- 
nommen werden,  weil  sie  eine  Therapie  benotigen,  die  die 
Gruppe  nicht  ermoglichen  kann. 

Es  sollen  nur  Jugendliche  mannlichen  Geschlechts  aufge- 
nommen werden. 

Im  Hinblick  auf  die  Senkung  des  VolljShrigkeitsalters  von 
21  auf  18  Jahre  sollen  Jugendliche,  die  16  Jahre  alt 
sind,  aufgenommen  werden.  Dieses  Alter  ist  auch  aus 
Griinden  der  Aufnahme  einer  lehre  bzw.  des  Besuches  einer 
Schule  giinstiger  als  hohere  Altersklassen. 


Padagogisches  Personal 

a)  Sozialarbeiter 

Schwerpunkt  der  Arbeit  liegt  in  der  Kommunikation  mit 
den  Jugendlichen,  Initiierung  von  Gruppenprozessen, 
Abwicklung  der  Verwaltungsaufgaben,  Berichte  schrei- 
ben,  Kontaktaufnahme  nach  auBen:  Eltern,  Behorden, 
formelle  Gruppen,  soziales  Umfeld,  andere  Kollektive, 
Entwicklung  von  Konzeptionen  zur  offentlichen  Er- 
ziehung. 

b)  Kollektivberater 

Angestrebt  wird,  als  Kollektivberater  ebenfalls  einen 
Sozialarbeiter  einzustellen. 

Schwerpunkt  der  Arbeit  liegt  im  besonders  engen  Kon- 
takt zum  Kollektiv.  Er  kiimmert  sich  ausschlieBlich  um 
die  Angelegenheiten  der  Gruppe,  z.B. 

gruppendynamische  Prozesse,  Selbsterfahrung,  Selbst- 
organisation. 

Er  kummert  sich  um  die  Arbeitsbeschaffung,  halt  Kon- 
takt zu  den  Arbeitgebern.  Von  Verwaltungsarbeiten  und 


33 


anderen  auBeren  Aufgaben  ist  er  befreit. 

Fur  den  Sozialarbeiter  und  den  Kollektivberater  ist 
Supervision  unerlaBlich.  Die  Supervision  findet  regel- 
maBig  statt  und  wird  vom  Verein  sichergestellt . 

Weiteres  Personal  sind  eine  SekretUrin  und  eine  stunden- 
weise  beschaftigte  Putzfrau  bzw.  Wirtschafterin,  sowie 
ein  Ersatzdienstleistender  bzw.  ein  Praktikant.  Der  Er- 
satzdienstleistende  arbeitet  nach  den  Grundsatzen  fur 
den  Dienst  von  Ersatzdienstleistenden  bei  anerkannten 
Einrichtungen . 

Die  Sekretarin  ist  fiir  die  anfallenden  Sohreibarbeiten 
sowie  die  Buchfiihrung  zustandig  und  nimmt  als  Proto- 
kollfiihrerin  an  Gesprachen  teil. 


Padagogiscb.es  Konzept 

a)  Nach  einer  direkten  Phase  bei  Start  mit  neuen  Jugend- 
lichen  soil  diese  allmahlich  durch  Selbstbestimmung 
und  Selbstorganisation  der  Jugendlichen  in  Einklang 
mit  dem  Kollektivberater  und  dem  Sozialarbeiter  ab- 
gelost  werden. 

b)  Mir  die  Sauberkeit  in  ihren  Raumen  sind  die  Jugend- 
lichen selbst  verantwortlich. 

Das  Kochen  iibernimmt  zumindest  in  der  Anfangsphase 
eine  Kochin  -  stundenweise.  Eventuell  kann  das  Kochen 
bzw-  die  Gesamtverpf legung  .zu  einem  spateren  Zeit- 
punkt  von  der  Gruppe  selbst  iibernommen  werden.  Ein- 
kaufen,  Ordnungsarbeiten,  wie  Kiiche  und  andere  Raume 
sauberhalten  und  andere  gemeinsame  Arbeiten,  sollen 
von  den  Jugendlichen  selbst  organisiert  werden. 

c)  Bedingung  fiir  den  Aufenthalt  in  der  Wohngemeinschaft 
ist,  daB  jeder  Jugendliche  einer  Beschaftigung  (Schule, 
Lehre  oder  andere  Arbeit)  nachgeht. 

Nach  der  Aufnahme  eines  Jugendlichen  wird  ihm  eine 
Prist  von  14  Tagen  (im  Hochstfall  von  4  Wochen)  ein- 
geraumt,  innerhalb  derer  er  sich  einen  Arbeitsplatz, 
eine  lehrstelle  oder  einen  Schulplatz  gesucht  haben 
soil. 

Ist  ein  Jugendlicher  langer  als  14  Tage  durch  eigenes 
Verschulden  ohne  Arbeit  (z.B.  keine. lust  etc.)  muB  er 
die  Wohngemeinschaft  wieder.  verlassen. 

d)  Pur  Jugendliche  unter  18  Jahren  gelten  die  Bestimmungen 
des  Gesetzes  zum  Schutze  der  Jugend  in  der  Off entlich- 
keit . 

e)  Nach  Aufnahme  des  Minder jahrigen  wird  nach  einem  noch 
04    zu  vereinbarenden  Zeitabstand  schriftlich  iiber  seine 
°^    Entwicklung  mitgeteilt  und  es  wird  nach  dieser  Beob- 


achtungszeit  in  Absprache  mit  dem  landesgugendamt 
entschieden,  ob  ein  weiterer  Verbleib  in  der  Wohnge- 
meinschaft den  erzieherischen  Bediirfnissen  des  Ju- 
gendlichen und  der  Gruppe  entspricht . 

Das  Aufenthaltsbestimmungsrecht  des  landesjugendamtes 
wird  in  jedem  Einzelfall  voll  anerkannt. 

Es  ist  nicht  daran  gedacht,  die  Wohngemeinschaft  als 
Kontakt-  oder  Anlaufstelle  fiir  entwichene  oder  gefahr- 
dete  Jugendliche  zu  benutzen. 

Es  ist  vorgesehen,  daB  in  der  Wohngemeinschaft  anfangs 
der  Ersatzdienstleistende  und  der  Kollektivberater  mit 
den  Jugendlichen  zusammen  wohnen,  daB  der  Sozialarbeiter 
(der  zustandig  ist  fiir  Verwaltung,  Offentlichkeitsar- 
beit  etc.)  nicht  in  der  Wohngemeinschaft  lebt,  da  er 
dadurch  Gruppenprozesse  von  "AuBen"  besser  iibersehen, 
feststellen,  analysieren  und-initiieren  kann.  Zudem  soil 
er,  um  Spannungen  aus  der  Gruppe  herauszunehmen,  die 
Siindenbockrolle  ubernehmen,  deren  Aufarbeitung  und  Funk- 
tion  fiir  die  Gruppe  dann  leichter  fallt,  als  die  Siinden- 
bocksituation  in  einer  in  sich  geschlossenen  Gruppe. 
Wenn  moglich,  soil  keine  Pluktuation  in  der  Gruppe  auf- 
kommen,  d.h.  es  soil  versucht  werden,  nach  einer  Start- 
phase, in  der  gepriift  werden  soil,  ob  die  dann  in  der 
Wohngemeinschaft  lebenden  Jugendlichen  den  Anspriichen 
einer  Wohngemeinschaft  geniigen,  diese  Gruppenzusammen- 
setzung  konstant  zu  halten.  Palls  das  gelingt,  sollte  es 
nach  gegebener  Zeit  moglich  sein,  daB  die  Gruppe  ge- 
schlossen  die  Wohngemeinschaft  verlassen  kann.  Falls  es 
nach  Absprache  mit  dem  Landes jugendamt  moglich  ist,  in 
der  Endphase  die  Gruppe  sich  allein  verwalten  und  organi- 
sieren  zu  lassen,  so  sollten  dann  der  Kollektivberater 
und  der  Ersatzdienstleistende  nicht  mehr  in  die  Gruppe 
integriert  sein  und  sich  so  weit  als  moglich  aus  der 
Gruppe  zuriickziehen. 


Padagogisches  Ziel 

Es  soil  angestrebt  werden,  daB  die  Jugendlichen  sich  an 
regelmafiige  Arbeit  gewohnen  und  der  .Arbeit  schlieBlich 
auch  nachgehen,so  daB  sie  in  der  Lage  sind,  ihren  Le- 
bensunterhalt  selbst  zu  verdienen. 

Die  Jugendlichen  sollen  zur  Selbstandigkeit  gefiihrt  wer- 
den, d.h.  daB  sie  alle  Dinge,  die  sie  selbst  betreffen, 
selbst  regeln  (Amterverkehr,  Arbeitssuche,  etc.) 

Die  iiberwiegend  anzutreffende  Planlosigkeit  in  Bezug  auf 
ihre  Zukunft  soil  ersetzt  werden  durch  selbstandiges, 
vorausschauendes  Planen. 


35 


Kommunikation  und  Kooperation  im  Gruppenzusammer_h.ang  und 
"draufien"  als  Einzelne  in  ungewohnten  Umgebungen  sollen 
gefcrdert  werden. 

Am  Ende  des  Aufenthaltes  in  der  Wohngemeinschaft  (nach 
individuell  angemessener  Zeit)  soil  die  Aufhebung  der 
offentlichen  Erziehung  (IE  -  EEH)  erf ol gen. 
Die  Jugendlichen  sollen  dann  so  weit  sein,  daB  sie 
selbstandig  ihr  Leben  verantwortlich  einteilen,  planen 
und  wirtschaftlich  sichern  konnen. 


Weis 
chen 


DieWeismanner 
mad 


Verlg.g 


Zielig-Stp,  89 


H^k  H  ■   1B««B«4*fc»«       J^&    "rfnuters    Buch   1st    eine   hervor- 
WIJllI  KjHUBr*  JlFSm  rag<-nde  Analyse  des  Zusaramen- 
1B  ^r     %  «  ImT"  •    i  ?*v™   hangs   von  Informationsvermitt- 

H7IA  AlltA  HnMIWinflT ^-unS  und  Anpassung,   wie  man 
WlUVUlV  HKHUtUlK  eben   so  fntertanen  herstellt, 

1 f ffji.«.ff  jLMJjlljLlJf  -'  -U4-   nit   Zwang,    nleht   mit  Ge- 

ilieineinllODlCUlSlCIll       ^,    sondern  mit   den  feinen 
Au     j     —      .  «  -  i    *  Mitteln  der  Naehrirhtengebung". 

uberdasHerstellenvoDUatertanen  westd.Rundf.    e.so  ^/fjt^t. 


36 


GUMERWABRAfr7££l^  not  als  Pfllrht" 


.       _.   ,        —   -chulen."   BUcherei 

in)       VONEINEMDERAUSZOG  und   Bildung.    Illustriertr  Ab 
LJ\jUNDDASrVRCHTENLERNTE  13  Jahre.  dm  8.80 


J^XSS 


Breeht-Iexte   fiir  Kinder.    Der 
Hessische   Rundfunk  '.meint:  "FUr 
Kinder  das   beste  antiautori ta- 
re Huch."  JM  9.80    <ni  scjU^c 


nj\  Martin  Sperr: 
^  ^  Aussensetter 


Die  l.eute   sind   anstiindig.   "rfer 
anders   ist,   wird   anstar.riig  pe- 
jagt.    Illuntriert.    i)K  9.8C 


)X>kinders™eik 
^en  santa  nicx)la 


"Die  bisher  geschlossenste  Dar- 
stellung  ei^es  gesellschafts- 
kritisohen  Themas  fiir  Kinder." 
?AZ.  Ab  8  Jahre.  7.80 


&> 


Ernst Herhaus: 
Kinderbuch  fur 


-Kin  urkomisches,  verwirrendes 
Buch,  das  mit  jedem  Satz  I.'ach- 
denken  herausfordert .  liessi- 

kommBndEBEvolulnape-Bo  llee  elne  b  2  Jahre 


Verdeutlichung  der  Klassenlage 
der  Sozialarbeiter  anhand  der  im 
Kollektiv  gemachten  Erfahrungen 


Aufgrund  der  zumeist  an  burgerlich-mittelstandischen 
Normen  und  okonomischen  Bedingungen  orientierten  Be- 
diirfnissen  und  Verhaltensweisen  der  Sozialarbeiter  und 
Sozialpadagogen  (1)  miissen  diese  eine  den  Bediirfnissen 
der  proletarischen  Jugendlichen  entgegengesetzte  Hal- 
tung  einnehmen. 

Am  deutlichsten  sichtbar  wird  es ,  wenn  Sozialarbeiter 
mit  einer  kleinen  Gruppe  von  Arbeiterjugendlichen  zu- 
sammenarbeiten  "miissen",  und  zwar  qua  "Erziehungsauf- 
trag"  staatlicher  Oder  kommunaler  Behorden.  Das  gilt 
insbesondere  fiir  Heimerzieher  und  Kollektivberater,  da 
hier  permanent  Interessenkollisionen  als  Klassengegen- 
satze  entlarvt  werden. 


Es  kann  im  folgenden  nioht  darum  gehen,  eine  detaillierte 
Analyse,  ausgehend  vom  Widerspruch  zwischen  Lohnarbeit 
und  Kapital,  zu  liefern,  sondern  es  sollen  nur  einige 
Widerspruche,  die  sich  im  Jugendkollektiv  krass  zeigen, 
genannt  werden.  Diese  lassen  sich  generalisierend  auf 
die  derzeitigen  Arbeitsf elder  der  Sozialarbeit  iibertra- 
gen. 

Kollektivberater  gehen  als  institutionell  bezahlte  leute 
ins  Kollektiv,  urn  dort  zu  arbeiten  und  Geld  zu  verdienen, 
damit  sie  leben  konnen.  Das  ergibt  sich  aus  der  kapita- 
listischen  Produktionsweise,  in  der  die  Subsistenzmittel 
nur  vermittelt  iiber  das  Geld  zu  erwerben  sind.  Der  Kol- 
lektivberater erha.lt  das  Geld  aber  nur  dann,  wenn  er 
seine  "padagogische"  Arbeitskraft  verkauft.  Selbst  diese 
Arbeit-ist  entfremdet,  well  sie  nur  ein  Mittel  ist,  urn 
die  Bediirfnisse  auBer  ihr  zu  befriedigen.  Die  "padago- 
gische Arbeitskraft  wird  vom  Kapital  gekauft,  damit  sie 
Voraussetzungen  fiir  die  Verwertung  proletarischer  Ar- 
beitskraft schafft.  Fiir  den  Kollektivberater  bedeutet 
das  Arbeit,  fiir  die  betroffenen  Kollektiv-Jugendlichen 
jedoch  bedeutet  sie  Ereizeit.  Das  Kollektiv  ist  fiir  die 
Jugendlichen  Wohnung,  Lebensbereich,  nicht  Arbeitsbereich. 
In  diesem  Lebensbereich  sollen  die  Voraussetzungen  her- 
gestellt  werden,  damit  er  seine  Arbeitskraft  im  Produk- 
tionsprozeB  verwerten  lassen  kann. 

In  der  Praxis  sieht  das  so  aus,  daB  die  Jugendlichen  vom 
Kollektivberater  fordern,  daB  er  wie  sie  zu  arbeiten  habe  37 


8 


Oder  verschwinden  aolle.  Der  Kollektivberater  auBert  den 
Anspruch,  Gleicher  unter  Gleiohen  zu  sein.  Beide  Ein- 
stellungen  unterstellen,  daB  es  jetzt  und  im  Kollektiv 
moglich  ist,  die  gesellschaftlich-bkonomischen  Wider- 
spruche  aufzuheben.  DaB  der  Widerspruch  im  Historisohen, 
im  Klassengegensatz  von  Kapital  und  Lohnarbeit  liegt, 
wird  nicht  erkannt. 

Die  nicht  mehr  im  Kollektiv  behauptete  Gleichheit  von 
Jugendlichen  und  Beratern  laBt  die  objektiv  vorhandene 
unterschiedliche  Stellung  von  Jugendlichen  und  Berater 
auBer  aoht.  Der  Kollektivberater  wird  bezahlt  und  ar- 
beitet  dort,  weil  er  ganz  gewisse  "padagogische"  Fahig- 
keiten  hat,  z.B.  Konf liktlosungsmuster  anzubieten  und 
sie  auch  durchzusetzen  ( "einzutrainieren") .  Die  Jugend- 
lichen sollen  ja  gerade  der  gesellschaftlichen  Norm  ent- 
sprechend  erzogen  werden  von  jemandem,  der  diese  Norm 
verkorpert  -  dem  Kollektivberater.  Also  kann  er  wob.1 
kaum  Gleicher  unter  Gleichen  sein. 

Burgerlich  sozialisierte  ausgebildete  Sozialarbeiter 
glaubten,  daB  es  sehr  gut  moglich  sei,  den  Jugendlichen 
antikapitalistische  Praxis  und  Theorien  vermitteln  zu 
konnen. Teils  opponierten  diese  stark  gegen  die  verbale 
Politisierung,  z.T.  ubernahmen  sie  diese  Argumentation. 
Die  Folge  davon  war,  daB  sie  nicht  arbeiteten,  dafiir 
aber  ihr  "Rentnerdasein"  pseudo-politisch  (wie  ubernom- 
men  vom  Kollektivberater)  rechtf ertigten  ("wir  werden  ja 
sowieso  ausgebeutet") .  Das  war  die  logische  Folge  aus 
der  burgerlich-revolutionaren  Verba 1-Haltung  der  padago- 
gischen  Mitarbeiter  ,  die  zumeist  keinen  Ausweg  sehen, 
echt  politisch  zu  arbeiten,  da  sie  selbst  kaum  ihre  pri- 
vilegierte  Position  gefahrden  konnen. 

Viele  Kollektivberater  gingen  anfangs  davon  aus,  person- 
liche  Verhaltensstbrungen  zu  heilen  und  Unterprivile- 
giertheit  zu  beheben,  um  kritische  und  autonome  Ent- 
scheidungen  treffende  Kollektivmitglieder  zu  erziehen. 
Durch  diese  sozialintegrative  Zielsetzung  iibersahen  wir, 
daB  proletarischen  Jugendlichen  Grenzen  gesetzt  sind, 
kaum  aber  den  burgerlich  erzogenen  und  ausgebildeten 
Sozialarbeitern.  Dieses  Konzept  versagte,  Frustrationen 
und  Aggressionen  hauften.  sich.  Durch  die  Vermittlung  des 
Konzepts  der  "nivellierten  Mittelstandsgesellschaft" 
Schelskys  internalisierten  wir  die  These  von  der  po.si- 
tiven  MSglichkeit  zur  sozialen  Mobilitat,  gaben  sie  wei- 
ter  an  die  proletarischen  Jugendlichen,  indem  wir  Bil- 
dungsangebote  machten  (Fernsehen,  Theater,  Kurse).-Die 
Erfahrungen,  die  die  Jugendlichen  im  Heim,  in  der  Pamilie, 
im  Betrieb  gemacht  haben,  wurden  dazu- benutzt,  sie-vor 
neuerlichem  "Abstieg"  zu  warnen  und  ihnen  wurde  dann  der 
mogliche  Aufstieg  iiber  Schule/Iehre  nahegelegt.  Das  biir- 
gerliche  Aufstiegs-  und.Konkurrenzverhalten  wurde  durch 
die  Jugendlichen  kopiert-  und  kam  zum  Ausdruck:  "Ich  will 


auch  Sozialarbeiter  werden!" 

Wenn  von  den  Kollektivberatern  der  Anspruch  gestellt 
wird,  die  Jugendlichen  durch  das  Kollektiv  in  die  Ar- 
beiterklasse  zu  reintegrieren,  ihnen  KlassenbewuBtsein 
und  Klassensolidaritat  zu  vermitteln,  tritt  darin  das 
falsche  Verstandnis  vom  Verhaltnis  Produktions-  und 
Heproduktionssphare  zutage. 

Die  Reklassierung  kann  also  nur  die  gemeinsame  Aktion 
der  Jugendlichen  sein,  die  lediglich  vom  Kollektivbe- 
rater unterstiitzt  werden  kann.  Er  stellt  seine  Kennt- 
nisse  zur  Verfiigung,  wenn  sie  in  Verhandlungen/Kampfen 
mit  der  Sozialburokratie  als  Vertreter  des  Kapitals  ge- 
braucht  werden.  V'eiterhin  kann  er  als  "Vermittler"  zu 
politischen  Gruppen  werden,  da  er  ja  die  Verhaltnisse 
am  Ort,  zumindest  anfangs,  sehr  viel  besser  kennt  als 
die  Jugendlichen. 

Andererseits  muB  der  Kollektivberater  von  den  proleta- 
rischen Jugendlichen  lernen.  Er  muB  klar  seine  privile- 
gierte  Stellung  erkennen,  d.h.  auch  erkennen,  in  wessen 
Dienst  er  steht.  Das  bedeutet,  daB  er  in  jeder  Konflikt- 
situation  mit  den  Kollektivjugendlichen  reflektieren  muB: 
Verhindere  ich  durch  meine  (burgerlich  gepragten)  Ein- 
stellungen,  Verhaltensweisen  und  Machtbefugnisse  (qua 
Er^iehungsauf trag! )  eine  Sozialisation,  die  die  Einzelnen 
befahigen  kann,  sich  zunachst  in  ihrer  Klasse  zu  orien- 
tieren  und  in  der  Folge  aktiv  an  Klassenkampfen  teilzu- 
nehmen? 

Um  zu  dieser  Einsicht  zu  gelangen,  kann  man  freilich 
nicht  mehr  langer  die  biirgerlichen  liberalistischen 
Sozialisationstheorien  von  Dnterprivilegiertheit  aufrccht 
erhalten.  Ein  Beispiel:  Fursorgejugendlichen  wird  stan- 
dig  'vorgehalten,  sie  seien  nicht  kooperationsfahig,  zur 
Solidarisierung  untereinander  untauglich  etc.  Konnen  sie 
im  Heim  kooperieren,  sich  solidarisieren?  Nein.  Von  sei- 
ten  der  Institutionen  werden  die  Jugendlichen  docb  stan- 
dig  gespalten,  um  Wohlverhalten  zu  gewahrleisten.  Ko- 
operation,  nach  Vorstellungen  der  Institutionen,  meint: 
optimale  Integration  und  Arbeitskraftverwertung  in  der 
Produktion.  Solidaritat  heiBt:  im  formalen  Bereich  (Jber- 
einstimmung  erzielen  (auswahlen  der  Ferns ehprogramme ) . 
Denn  sobald  z.B.  Bewohner  der  Obdachlosenghettos  kollek- 
tiv gegen  diese  Verhaltnisse  opponieren,  versucht  die 
Bourgeoisie,  sie  mittels  ihrer  Helfershelfer  (Sozialar- 
beiter, Psychologen,  Polizei)  zu  spalten  und  zu  zerschla- 
gen.  (2) 

Man  muB  konzidieren,  daB  die  wenigsten  Sozialpadagogen 
sich  ihrer  gesellschaftlichen  Funktion,  namlich  "Klienten" 
an  die  biirgerlich-mittelstandischen  Normen  anzupassen, 
sie  dazu  zu  motivieren,  sich  der  intensiven  Ausbeutung    39 


xm  Productions-  und,  was  zunehmend  wichtiger  wird,  auch 
im  Reproduktionsbereich  willfahrig  hinzugeben,  nioht  be- 
wuBt  sind.  Weshalb  sie  sioh  dieser  Ablaufe  nicht  bewuBt 
sind,  soil  hier  nicht  erortert  werden  (Information  da- 
ruber  in  "Erziehung  und  Klassenkampf "  Kr.  V71). 

Die  Erzieher,  gleich  in  welchem  Bereich  sie  tatig  sind, 
miissen  sich  daruber  im  klaren  sein,  rait  welchen  "Klienten' 
sie  arbeiten,  zu  welcher  Klasse  sie  gehbren,  wie  sie  mit 
ihnen  arbeiten  miissen,  in-  welchem  Auftrage  und  fiir  wes- 
sen  Interesse  sie  arbeiten.  Die  Widerspriiche  zwischen 
Kapital  und  Arbeit  verscharfen  sich  zusehends,  was  fol- 
gendermaBen  zum  Ausdruck  kommt:  Zerschlagung  der  fort- 
schrittliohen  politischen  Projekte,  die  von  jugendlichen 
Arbeitern  getragen  werden  (Georg-von-Eauch-Haus  in  Ber- 
lin, Wohnkollektiv  Essen) .  ..Genossen,  die  bisher  geglaubt 
haben,  daB  es  auch  langerfristig  Arbeitsbereiche  mit  re- 
lativ  grofiem  Freiraum  fiir  politische  Arbeit  gibt,  wer- 
den ihre  Meinung  andern  miissen  und  den  verscharften 
Kampf  in  ihrem  konkreten  "sozialen"  Arbeitsfeld  gegen 
die  Bourgeoisie  aufnehmen.  miissen.  Biindnispartner  sind 
primar  diejenigen,  die  zu  neunzig  Prozent  die  "Klienten" 
sind:  die  Arbeiter  und  unteren  Angestellten. 

(1)  Gefesselte  Jugend:  Piirsorgeerziehung  im  Kapitalismus . 
Autorenkollektiv  Edition  Suhrkamp   Ffm.  1971 . 

(2)  Vgl.  Erziehung  und  Klassenkampf  Kr.  7/72 
Bericht  iiber  die  Arbeit  in  der  Obdachlosensiedlung 
BrelohstraBe  in  Bochum. 


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L. 


3n  dieyfir  Af&gflh&. 


"ErinneruDgan,'-H8UB  Eckafesrdt 
VK  -Informational) 

Gcrichtsverhandlung  

Let>en3laii:t  eiaes  TUraorge- 

zBglings... 

Heitpoisere. . . 


^*MMMa|H*iHMnHdUaHMjRnnuJ 


Witten  den  19. 4-.  72 
Brotokoll  der  Ereignisse  wafcxend  ineiaer  tfnterbrinj-uug 
iffi~f:rzie£ungsheim",  J  fta-usTScEiEerdK? 

Etw,-/  Mitte   September  wuroe   ich   nach   11/2   monatirer  UntersMOhim^s- 
haf  i.  in  das  oa.   Brziehungsheim  eii;gewie3cr..    Bis  sop   secohah  sat 

meiren  ^unsch  in   einem  3rief  an   den  VntfrsDChimgsriohter , 

in    lea  ich  averts,   icb  sal  den  Verhaltnissen  der  tTnlersnehungphaf-t 

aeelisch  nioht   gewachsen.Bei  neiner  Einlieferrung  wurde  mir 

sofort   ein  Plate  in  einem  der  8  Hauser  und  ein  Arbeit  splat z 

zugcteilt.    Ich  bekam  Arbeit skleidung  und  wurd?   beauftragt,   mich 

unv  rzuglich  in  die  Werkhalle   zu  be^eben.Die  Arbeit   b«stand  darin 

ftir   die  Fa.    Hella  Autoriieklichter   zu  nieten.  Dieses   gesohah  in 

Akkt-.rtl  und  wurde  nach  folgendem  Punktesystem  jjewertetj 

Dea  Tagespensum  War  125o  STCK.  Wurde  e.e  erreicht,   bekam  man 

6  p-nkte=  6o  Pfennig.  Filx  Jede.nicht   gescfcafften  5o  STCK.  wurde 

1  Pmkt  abgezogen.    Sehaffte  man  also  nur  95o  STCK!    so  hatte  mars 

den  lag  umsonst   gearbeltet.An  Tascbengeld  konntc  man  erreichen 

6.-  die  Woche. 

Die  Ausgangsregelung  war  folgende: 

Die  ersten  6-8  Wochen  grundsat  zlich  kein  Ausgang. 

Dan:,  je  nach  Belieben  Dea  Erziehers  2-4  Wochen  Sonntags 

von  ^-lS^TJhr. 

Hat . e  man   in   dieser   Zelt   alls  Vorschriften  eingehaltcn, wurde 

der  Ausgang  Sonntags  bis   1S22  bewilllgt. 

Samstags  und  Mittwooha  Ausgang  nur  naoh  einera  halben  Jahr  vor- 

Bildlioher  Ftihrang  und  einer  Aiffien-Arbeltsstelle. 

D-Je  erste  Woche   in  Heim  verlief  ohne  wesentlieh*  Schwierigkeltea, 
da  ich  mica  grundsatzlich  zurtiokhaltend  verh.teJt.Diese  Passlvit&t 
mit   dsr  ich  den  unwillkurlichen  Oder  willkttr lichen  Provokationfn 
vcn   3eiten  der  anderen  begegnete,   verfehlte  ihre  Wirkung  nicht. 
Als  ich  dann  noch  varsuchte,  raeine  Leidensgeaossen  fur  meine 
Id«<n  zu  begeistern,  lief  das  Mass  iiber.  2wei  meiner  Zimmer- 
nochbarci  drangen  nachts  in  mein  zunmer(Breibettziiimii»r)   ein, 
warden  mieh  samt  neinem  Bett   aufs  Gesicht,unde  stellten  mir 
ein  voll  aufgedrehtes  Gasfeuerzeug  tmter  die  Fiiae.IM.nses  schiec 
sie  aber  doch  nicht   so  ganz  zu  befriedigen  und  30  b!?3Chlo3oea 
sie  mir  noch  raitRasierklingen  die  Arme  raid  Beine  anf zuschneiden, 
was   da-nn  auch  mit  unheimlicher  Kaltbliitigkeit   get  an  wunle. 
Danach  vsrlie^en  sie  das   Simmer  mit    der  Begrundung,   <*s  wlirde 
ftir  heute   genUgen.   Awf  meine  darauff olgende   Strafanzelge  hat   sich 
bis  Jetzt  noch  nicht   das   geriiifrste  getan.Kach  elniger  Zeit   ftiichtet 
ioh   aus   dem   Heim  und  wohn<?   seltdem  ia  Bochuner  Kolektiv. 


MBBtSI; 


7?   BTTilRS   FPHRSORSSZSGIiISGS 


I  eh   bin   18  Jahr«   alt   und  nan  kann  wohl   sagfn,bir,   auf   zwei   Lebens- 
Jahr«t,  ««ir.  /*anz#s  l.»b«n  in  Hwira. 
Ton  f:.ll«n  Vsrwanton  kenn*   ich  rmr 


Ins  "'ut*-»r,di»  i.rank  ist. 


•Laaur-ntna.1 


o:i»r  ist, 


^ai3  r!»r  «i(r*ntlich»  Crund  fur  a-ln 
▼urdi   Tir  nle  r^sagt. 

Ich  k-ian  ouf  *<7  Jahre  Xind»rh«ia  zurickblleken.  Kin  •van£«llsehes 

Eaia   Obrlffens.In  aeiner  Orupps   warn.-,   oa. 85-50   Junr.an. 

2-3  >:rzi*hsrinn«n  hatt«n  uns   zu  b*aufsichtipen,nit  ur.s  :;<3hularbei',*n 

tj'ii'cjm  Oder  eb«n  ii«T»er  bel  u^.s   zu   sein. 

B«4   p,oileehten   sehuli^ohen  Leistun,«;rn,den  "ot«n   :    od-r   r   .-rir'fs.'i   :;ie 

zon  ??nbusstoek  Oder  zui.  Teprichklopfer. 

Sohl;  •e,:uchtl?:unp:?n  waren  an  der  Tap;esordr.unf,. 

Kit   '■!-   Jahren  Y.fin  ich      in   *in  J.ehrlingsh-in.Hier  war  ich  2  Jahre. 
In  d^-.ien  Heiu  bekan  ein   'r-  -'.-.hrl.tet  4,-U*.:  Taseher.^eld  in  d»r  'Hoc".-. 


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3t:ne- 
we.re  r, 

Seine 
Pa.co'". 

Besc' 
lie  U 

let  » 

Sclvir 
Ton  « 

Trots 
wei 


\  st   aus  bin  ich  dann  "auf  und  davon" . 

oaate  war  ich  unterwe/i;a,ka.Ti  nit .  Itauschglft   in    .er^>-runs  und 

^epackt . 
rid   der  U-P'aft   habe   ich  •'Woche .  nunkelhaft  aiterlebt. 
*»  nan  uinh   laufen  gelnsi?er:    hat, wurde    ich   in   '-ianburr  wieder   vcn 
ollaei   (diesnal  in  lausch    )    f;eschnappt. 

*r   Davids-'Tache  -rrurde   ich  von  rolizeibeasiten   zusaroen^rschla.'en 
ich  daaalire  Preunde  von  rair.die   ebenfalls   niichtir,  waren  nicl-t 
ten  wollte. 

1  legend   landete   ich   in   ;>idelber,i,wo   ich  !«ifh   -ine   Zeltlnnr 
rtmunen  aufhielt. 

at  i«an  aich  entgultl/;  auf^e^rlffen  und  r.scr:  Jortuund   ftir   5 
r   in  tlntersuchunsshaft    "esteckt. 

MeSend  war  ich  wieder  ?  I.'onpte   in  eineni  Iiehrliri.-shein.ffe«ren 
•'lnSfligea  Arbeitsbesuch    und   hHufi^ere.-i  Trinken  kau   ich   in 
rziehungsheini. 

-!«  ich  ~*>  .  onate  hier  war.bekan  ich  in  der  7,'oche  2  .^tuntten  ..u 
t  "onaten  erhohte  sich  sich  die  stunaensahl  .--luf  4-  Stunden  in 
oche. 

:.  bin  ich  5  Kinuten  zu  spat  ^ekounen-Kierrauf  hat  nrnn  niir  no 
'■tunden  Ausgang  fUr  4  "-'oehen  pesperrt. 

^ei   mu5t«   ich   sosenannte    "Sozialarbeit"   verrlchten.   Unter 
-tlarbeit"  verstand  man  hier,Plur.2iaaer,Klosetts  uew.   putzen. 

unserer  "Arbeitserzieher"    hat   raich,wie   auch   schon  ar.dere  /.oil 

einer  T-ppalie   zusaramen^eschla^en. 

FSuste   Bchlu^en  mir  ins  Cesicht.sein  "nie   spUrte   ich   l.i  der 
■;rube.^lut   spritzte  Diir  bus  Auren  und  der  r'ase. 

■.veren  bel  der  Heinileltung  hatte  wenig  Sinn, der  Heimleiter  lief 
nicht  nit   aich  Heden. 

.-■n  neu  in  diesem  Hause.so  kann  nan  ffir  Privatfirraen  Spielzeu^, 
oehen  und  3i!nerchen  herstellen. Schon  belra  7  Ta/r  hatte  nan  hier 
inen  in  der  Mrne, 

der  vielen    ^las-n   die    nmn   bei    dier;»r  Arbeit    bekftm   suCts    rear. 
rarbeiten. 


;anp. 


rt 


■Sin  Arbeitstait  betru*  9,5  ^tunden.von  8.00  bis   17.3o  Uhr. 
Hierzwischen  fielen  2  Zi/Tirettenpausen  und   1    :;tunde  f'itta^. 

Alf   irir  einen  nauen  SportplAtz  beknmen.HuOtfliep.  eini^e  von  uns, 
2   ''onnt*   l«n£,°,5   Stunden   pro  Ta^  :.Taulwurfe    k,i?uttnnch«n. 


Hb'i-vH   bin  ich  wieder   in  einen  Lehrlin^sheiT: 


Ira  .'vnaen  und   Interes?a   roeiner.noch  in   den   l»ef>inffnlsShnllchen  Ge^tos 
Xj^V-inden  Xolle^en.Tle  alien  in  Keiaen  lebenden  Jurendlichen, 

mfa  ich  die   fiff entlichkelt ,speziell  die   fiir  eine   b->snere  Zukunft 
kr-'n^fende^.  Juieendl4*fce   dle?es   Landes  auf, 

uns   zu      heifer.      ! 


\Aus  diesera  1st  «r  entwichen  und  i?t   nun  in  eir.-nt  Osf«nrnis. 


TeMw'WqlekhAeSd^skiQeK    I    Das  Haos  fie- Moll  detr3«#W»iaucM' 


■l 


^ 


l«  der  KuchA*  welch  afa  6WU5 


r^ept-  M  oP  rich*  dfe  Ey-fccs-ale* 


Alls.  Leyfe  ydihem  skbr» 


Z«n»  Beispiel  Kauptverhandldnp   E*8«n 
FUrsorgezHglinge    " 


Dai.    die    Justiz   nicbt    neutrsl    1st    und    )»   kapital 1st lscben   Staat 

rirht   wertfrel    urteilon   kann ,    weiB  alttlerwelle    Jeder. 

Dai-'   Heiaerziebnng    lamer   Dl skrlnlnlerucg    und    Diaziplinierung   von 

pr: letarisehen   Jugendl tchen   war    und    1st,    wird    aoeh    so   langsara 

jeoga  klar. 

Es    1st   natUrllofe    sobon    etvas    schvierlger,    dabinter   zu   seben,    vie 

die  Kl»ssenjostiz,    die   die   DicbtbUrgerltoben   den   blfrgerlicben 

An>»eklagt«D  gegenliber  veitaus  diskrlBinlerender  behandelt,   alt 

den  Helaleitern    und   Erziehern    geaeinsRise   Sacbe    maetit .    Nlc*t    a»- 

Bou.it    sind   Hauptrerbandlungen   vor   dea    Jugendsebbf fengerieht    fUr 

die   dl fentliohkeit   -jersperrt.   Nleht   etwa,.-«le   es    imaer  gesagt  wird, 

dort    personliehe    Problene    des   Jugeudlicben   verhandelt  werden,    sonden 

daieit   die   gam    lnfaae   Gericbtspraxis    bloB   nicbt    axis    Liebt    der 

Of dentil obke it   gelangt. 

Dti    kano  Vie   folgt   aussehen    : 

Dif   Jogendlicben   feoimen   in   der  Hegel   nit   den  Heinle! tern   oder 
Erziehern    znr  Verhandlung.    Eln   Rechtsanvalt   kann    ja    auch   nicbt 
vor.  den   Jugendlicben   bezablt  werden.    Oder  aogar  doch?   Von   den 
briobstens   6,-  DM   in   der  Voohe,    die   sle   krlegen? 
DU-   Erzieber  dUrfen  dann   aucb  vSbrend   der  VflThandlnng   zar  Perron 
d"ju   Jugendlicben   etwaa   aagen.    Das   hHrt   sicb  dann    so   an:?    Er   is  '- 
soistens   unebrllob",    "    er  niaat   es  nit   der  Ehrllchkeit   nlcht   no 
»*nan",    "    er   lUgt   oft",    "    er  aaoht  kleinere   Diebereien"    usw.usw. 
Nlobts   wird   dann   gesagt,    dafl   die   Jugendlicben   brutal    In  Heta  be- 
bandelt  warden.   DaB   sie   gezwungen  werden   zu   lHgen.    DaB  sle   ge- 
n(Uigt-   sind,    zu   steblen,    da   sie  voa  Arbeitsverd  ienst   Ja   docb 

»o   gut  wi»   niobts   oenalten   dUrfen    DaS   sie    unregelaSOig 

arbeiten   geben.    Soil   denn   ein  Jagendlloher  etwa  gerne   arbeiten 
geiien,  wenn  er  au*   elnem  Bauernbof  an  Tag   12  Stunden   aalocben 
buO  and   nur  elnige    luapige   Mark   bebalten  darf   ?? 
in   einer  Verh-ndlang  vor   flea  RecUinghauser  Gerioht   sagte 


Y^M 


writer   anderem  ein    Erzleber,    daB  der  Angaklagte    16-JHhrige   12 
Stunden    tSglicb    arte  i  ten    aiisse.    DaB    sind    60  Stunden  veohentlicb ! 
Ot.wobl    er    It.    JugBDCJarbeitsschutzgesetz    §    10   our  hBchstens    44    Std  . 
nrbeiten    darf,    erzSblt    der   KrzJeher   auoh   dies    noeh   vor  den  RSchter; 
3:  8    zelgt    uns   doch   klar,    doB  FUrsorgejugendliche   Freiwild   sitid  ,    die 
Tur   nooh    irgendwo,    nawlieh    In   Heinen   bzw.    in   deren   angeaohlosseneii 
'..  sbeutungsbotriefeen    ganz    legal    and   brutal  ausgebeutet  wsrdeij .    Die 
K  ;  aasenjustlz   erkenrst    das    jver,    aber   sle    1st    ja    dafitr   da,    diese 
c-.-inzan   VorgKnge   aueb   nooh   zo  versohleiern    bzv   dencn   einen    "drauf- 
yygeten,    die    alvh  wagon,    dagefen   anzugehen, 

'^er   das    1st    nlcht   alias,    was   bei    einer   solchen    HauptYerhand long 
n- a   Lloht   konat.    Zwei   veitsre   Belspiela    : 

fc*.ne»   17-jJtbrlgeo   Hilf sarbeiter,    der   in   der   "He lms tatt"( welch 
scbtfner  frledliober  Sane!"   Meckinghofen   lebt,    vorden   In   eineis- 
r*ttaluer   Batrieb   ganz   einfach    die   Haare   abgeschnitten .    Was    £«- 
Hchlabt    daraufhin?   NICHTS!    Die   Erzleber   Oder   der  Helmleiter   bielteTi 
«*    nlcbt   netig,    den   Jugendlichen    zti   raten,    zuni  Reehtsanwalt    zn 
£-3  ben  bzw.    sine   Anzeige    siu   erstatten. 


A'Jl  vessen   Selte    die    Erzleher    steheti,     ,    koaat   maistens    bei    eltien 
soloben   Gertobtster»in   raus.    Da  werden    die    Jugendlioheo    in   die 
t'lanne    gebauen,    wo    ea    nur   gebt.    Hier   kbnnen   die    Saoke    ganz    legal 
*>«  Rabmen   des    Gesetzea    ihre   Hacbe    Uben .    Das    nennt    sicb   dann    such 
roob   Erzleber    II 

Kin  welterer   Jugendl  iober ,    18   Jabre    alt,    wurde    daon   so  beurteilt: 
- gebt    seine  VerbreoberlaufDabn"  ! ! !  !    Das   wurde   Ton   einen  Er- 
zleber   zitiert.Der   Origninalaosapruob    ataaist   von   eineo  Direktor 
sinea    nordrbeinwestialisehen  Erziebangshelmes,    der   den   betrerfenders 
.'ugeDdllohen    aber  nooh   nieaals    gesehen    nooh   gesprochen   hat    !! 


lob  m«ine,    dafi   alios    Gerede    am   "    Ufcirareiorrcen"    liberates    GesehvKt* 
1st.    3p8testens   bei   der   "    Beurte  ilung"  ,    besser,    verurteilung    der 
FUrsorgeJagendliohen    erkennt  wan   genau,    was    letzten   Endes   nit 
ibnen    g*«Obeb«n    soil:    sle    sollen    total    engepaBt    warden,    sie    aollrn 
kap«ltge«aebt  warden,    daait    sie   bloB  keine    krltisehen,    ver- 
antvr,rtnngabeirnflten    Personen  werden,    die    sicb   ?>ichtB    gefallen 
lasne-n.    Die    Parole   »uB   also    lauten:    erzfthlt    das    euren    Kollegen    i-» 
ErzJenungabei«!    SoblieOt   Euoh    dort    gegen   den    Terror   der   Erzleber,    die 
la   auob    la  Auftrage    der   Bonzen  Encb   knuten,    zu9asBien    !    Kampft    nioht 
gegnr.Binander   sondern   kKapft  caltelnander      gegen   brutale    Erzleher 
ond    ieiMleiter    ! 


/^P> 


^xso^cziS^Yi^ll 


CHULDIG". 


AUCH   BU  KANNST   DEN  KRIEGSDIENS 
VERWEIGERNM 

verwalg»r«  den  Kriegsdienst    I! 


ABOh   DtT  KanDat   den  Kriegsdienst   verweigorn! 

jednr  Dentsobe  StaatsbUrger  bat  It.  Artikel  H.3.    des  Grundgesetaes 

dae     :eobt   den  KRIEGSDIEMST   za  verwelgem.    In   den  Artikel   beiflt    es    : 

«    JIIEMAND   DARr   GEGEN   SECT  GEVISSEN   MIT   DER   WAFFE    ZUM 
KRIEGSDIENST   GEZVtJNGEN   WEHDEN     ! 


Das    gilt    ebenso    filr    ainen    Fursorf-Rzogl  Ing  vie    fur  einen   Student*!* 

ScMiler,    Beaaten   und   Professor,    fiureb   di«   Verh^ndlunj?   su  kommor!  ,      jst 

fi'r      J  E   P  E  N      magllch.    Ft!r   ein*n   Arbfllter    1st   es    sojznr   leiobtox- 

durub   daa  Verfahreo   zu   komasn  ais   Mr   einen   Studenten. 

MAf-'i  BES   ER5TEN   BCHH1TT? !    INROKIERE   DICH!!    SCRRKIB    ONS  AN    1! 

W<  r    inforaieren   und   boraten   Dleb  kostenlos !Mit   una    sehaffst   T)u    »» 

a!?   Kriegsdienstverwolgerer  anerVannt   7,u  werden. 

Ho*-   aktadresse    : 


vy    jundeagesohSftsstelle 

a   8    8    9    1  />*      ^\ 

01 


35 

w-  "T>ielmshttbe    i 


-y 


VK   Wuppe 


*»63      B   o    c   b    »  ■ 
Leaner shot str .   66 


HEIMMISERE 


"    ;  le  WUrde   des  Mensoben    ist   unantaatbar.    Die    freie   Entfaltung 
der   PersBbnllcbkeit  wird   also   It.   Grundgesetz   garantlert.   Booh 
zv;"Ob«n   Tbeorie    na<J   Praxis   klaTft   eine    rieseogroSe    LUoke.    In 
vj ;- i«n   Berelehen   uiiserer  Gesellscbaf  t   wird   gegen   diesen  Artikel 
det   Cruiidgesetzes,    gegen   dlese   Kensohlicbe   SelbstverstHDdllobkeit, 
ic\i  <rnd  verstoBen.    Ein    solober   Beret  ch,    wo    die   Anlagen    and 
F^blgkeiten   junger  Menseben  rait   voller  Absiobt  abgetStet    und    z#r- 
st'i   t  werden,    i»t   die   Kel»erziebmjg   in  der  B  R  D    ! 


Tausende   gibi   es  von   solcheu  Helean    ! 

Ang<-fangen   bei   den    SSugl  lngsheiir,  ;:n ,    Kir.rterbeiwen  .    jugendneiraon    libor 

die    LehrlingsbelBe    bis   bin    zu   den    ^BfSi-.gnlaKbTi lichen    Gattos,    den 

Erxi  ebon  gsanstal  ten. 

fie    genannten   Einriobtiragen,   warden   von   elneis   GroBteil    der 

"He.imzbglinge"    tatsKcbliob    durchlaufen. 

Es    t,eglnnt    i»  SSuglingstaela   UDd    endet    im  Erzisbungsheim   bz*.    in 

GefHngnls.    1st   das    GOTTGEWOLLT !    MiiB   das    so    sein,    oder  «r    1st 

dar*n   Sebuld?? 

Es   ,?ibt  heute   Leute,    darunter  auob   Padagogen,    die   glaoben,    n»i»»9- 

wohner,    zomindest   ein  GroBteil  waren   an    ihren  Sobictsal    selbst 

Schald .   Hierbei   lassen   sie   die   Frage   der  Ursaobe   auBer  acht. 

Cnsfrer  Meinoug  naoh,   kann   a**»rB  allein   von   eineo   Selostversch-jlden 

kelne  Rede  sein. 

Die  Kinder  kennen    ihre   Eltern   teilweise   nicbt,    wlssen   nicht,    oli   eie 

Gesonwister  baben.    Sie   koraen   aus   zerrUtteten  Faailienverhaltnlssen 

Sie   komen   ans   der  Arbelterklasse. 

Die   Ursaobe    liegt   an   unseren   unaensoblicben   Syoteo. 

Vli    alls  wlasen   a»  besten,    was   dieses   System  Tag   iUr  Tag   ausriobtet. 

Vir   alle   seben  es   Tag   fUr  Tag    1    Die  Ursaobe    1st   der  Kapitalismus . 

Ein   System,   wo   der  Profit   tlber  allee   geht,    selbst   Uber   Leicben, 

Bin   Syste»,    wo   eioe   kleine   Anznhl   von   Million&ren,    Uber    die  Msssen 

d«v  Werktatigen  berrsobeD  kann!! 

Ka'-n  solob  ein  System  liber  bo  up  t   den   BefiUrfnissen   der  BevOlkeroag 

g«reobt  werden .   Tiele   der   Jagesdlloben.koameD   troti   unseren 

sogenannten   "   sozialen  Reobtsstsat"   noob    lamer   aus   azoslaleti 

Siedlnngen,  die  es  aucb  bente  i«  Zeitalter  der  Atombombe  und  der 

Moaderoberung  nocb   ismer  gibt. 

Sie  werden  Ton   der  FUrsorge   abgebolt   ond    in   die   Heiae   gesteckt. 

"   Flirsorge?*   Hiervon  kann  keine   Rede   sein.    Die    beutige   FUrsorge 

ba^iert  auf   der   alten  rerstaubten   und   autoritaren   Praktiken   d^s 

preaSentnms   and   der  Nazizeit. 

I.'l*  TTnterdrUokoiig  der  Heinkinder  beginnt  ■eistens   sohon   i» 

frUbesten  Alter.   Meistens  werden   sie   nnqnalifi^ierten  Personal 

liber  lassen. 

SchXKge.   Einsperrungen  gebOren  bier  tur  TagesordDung,   nicbt  zoletzt 


urn  die    8 ebon   von   jebnr   bdstebenden  Absebreokuagsfunktlonen   dlesar 

Einricbtungen  auirechtzuerbalt«n.    Plese   ordnnniten   lassen   sioh   oft 

sobwe)-   TOB  K&sernen    Ordnungen   untersclieideo. 

Die   vifobigen  KnttppelpKdagogen ,    sind   nicbt   in   der  Lsge   aul  Jedes 

Kind    ilnzugeben.    aicb  isit   jedeia  Kind   zu  befassen. 

Bel   »«bulpfllcbtigen   Kindera  koamt   eg   nicbt   aelten  vor,   3eD  eln* 

Klndvjrpf legerin   ait   50  Kindern   Scnnlarbeiten  aacben   aufl. 

Es    isj   so   aooh   leioht   verstandlicb,    da8  dar  GroBteil   dies»r.  Kinder 

in   cer  Sob  ale   znrtloJcbleibt   und   die   Sondersobole,   vo   gbnliebe  Ter- 

hKltritsse   berraoben,d.b.    wo  die   OnterdrUckung  nocbt   fortgesetzt  virfl  , 

frevtf  j'-tern. 

Id  dtsi  neiateD  Heiaen    1st  der  Kontakt  bzw.   der  Beaucb  Ton  Madon*'^ 

striikt  unteraagt.   Hier  lauft  dss  sexuelle  NlobtaofklHren  paralell 

aach   den  Motto.    "   Die   Frau  bzv.   der  Mann  das   unbckannte  Vesen." 


Fehiverbalten    (   Moistens   gegen   die   kleinbtirgerlioben  E^lebunga- 

*or->n),    die  bel    jed«a  Kind   noraal   alnfl,    werden   in   den   Heitsen 

alt   <;obl&ge,    die   an   ZUcbtigutigen   greozen ,    geabndet.    Vervand  werdfn 

hlf-^o  KleiderbUgel,    Han<3feg«r  an  d   Teppiobklopf  er . 

Die   binder  warden   each   auBen   bin   ureaorgt   und   gebegt. 

Der    ,rane   All  tag   dieser  Jnngen   ond   Mttdobea,    die  wie    "    Doofies"   be- 

ha-i(5'!lt   nnd   so   aucb   tiiuliert  verd<»n,    siebt   entsciileden   andera   tins. 

Nach   dea  Anfenthalt    in   eineis  Kindsrbels  koanen   s  ie   entweder  als 

ge'Jc  <kte    nnd   unterdrtiokte ,    verscbUohterte   Jngendliehe,    odor  nl* 

we3-ie,    die    gegen    alles    ibrer  A?  free  a  iyj  tat   Ausdruck  verleicben. 

(Wa.    veratandlicb    1st  I). 

Id     'leaen    Lebrlingabeiner   Nfrrt   der   Terror,    wenn   auoh   nicbt    lmaer   in 


der  gleicban  veise,    fortgesetzt.    Die    roiber  berangebildeten  Sonder- 

scbttler  taaben  nur  aeiBtena   die   HBglichkeit  Hilfsarbeiterberuie   zu 

befcleiden,    in   denen   es  Torio»»eij    kann,    <3as   nan   5   Jabre    lang    lf-O,- 

DM  vardlent  bat(    in   dieaea  Fall   an  der  Tanks telie)    und   hiervon   nur 

ela  »inl»ale»   Taacbengeld    erbKlt.    Sollte   aan    nun    auf   die    Idee    konmen 

giob   gegen   dieao  MiflstSnde    zv  wehren,    so   hat   aan  alt   Drnclc  und 

Bbilloben  MaBnabean  zc  reobaen .   Venn   der  Jngendlicb,    durcb   die   vorber 

verpfuaobte  Erziebung   1»  Klnderbeia,    alch   ntobt   der  Hansordnung  be- 

dlagongaloa  bengt.ao  wird   er   in  ein   ErziBhungabain  abgeacboben.   Hlar 

v<derfgbrt  dea  Jogendlloben   eineErxiebung    (   wenn   aan   es   nocb   so   nennen 

kaan),    die   allee   andere    in    ibrer   BlOdbeit    nnd  Verdnrsanng,   wie    in 

lbr«T  BrntalitKt,    Ubertrifft.   Die  E_zlehnDgBbel»e   habnn   kleinblirger- 

Ucba   Erziebnngaaittel   nnd    -   zlele.   ErsatzwelseniBat  nan   auoh 

anagawSblte   proletariaobe  Mittel,    z.b,    Priigel. 

TJaoptzlal    In   bezng  anf  den   ejnzelen    1st    die    totale    Vereinzelong.    Allen 

vird    getan    n«  Orappenbildungen    und    GruppensolidaritKt    zu  yerhiudern. 

/eolation    in   den  Erziehungsbeiaen   der  FUraorge    bedeutet    alao   Preaaur. 

r.'ia   Jngendlioben   warden  vie  zn   dreasierende   Tiere   aus    ibrer   I,ebes«- 

vflt   gerlaaen   nnd  naoh    ilmen   freaden    und   ihror  vorberigen   Erziebung 

eri tgegengeaetzten  Noraen    droasiert. 

Die  Bewobner  von  NotuDt*rkUnften ,    die  Jogendlicben    in   den   Heiaen 

«t-rd«n   teilweiae   ala   "    asorlal"    bezeiebnet. 

■D'.a  trifft  niobt  zo    ! 

AVOtifl     iat  das   Sjatea   ;    ea    tat   der  Kapital  isaus ,    der   dieae    jungen 

Menaoben   Tag  ftir  Tag   in   dieae  Ricbtung  bringt! 

Viel  Gerede  wnrde  biaber   im  die  EUraorgeerziebnng  geaacbt,    konkrete 

Vurbeaaarungen  blleben  aber  ana. 

lib   aobliefle  nit   den   Vorten    dea   KoaaiuniBten  Max  Holz    : 

Daa  Vort  kann   nicbt   rotten 
Das  Vort   brlcbt   keine  Ketten 
Die   Tat   allein  aaebt   frei    ! 


r..... 


jm 


Enzensberger,  Nitsche, 

Roehler,  Schafhausen  (Herausgeber) 

Klassenbuch 

Ein  Lesebuch  zu  den 

Klassenkampfen  in  Deutschland 

1750-1970 

Das  Klassenbuch  ist  in  drei  Bande  aufgeteilt.  Klassenbuch  1  umfafit 
den  Zeitraum  von  1756-1849,  Klassenbuch  2  den  von  1850-1919, 
Klassenbuch  3  den  von  1920-1971. 
Je  Band  ca.  240  Seiten,  DM  7.80,- 
Leinen  1  Band  720  Seiten,  DM  64,- 

Ein  Lesebuch  zu  den  Klassenkampfen  in  Deutschland,  das  sich  auf 
Texte  deutscher  Sprache  beschrankt.  kann  spatestens  im  Stadium  des 
Imperialismus  keine  zureichendeDarstellungderKlassenkampfe  mehr 
Ieisten.  Audi  aus  diesem  Grund  kann.  das  Klassenbuch  das  Studium 
der  historischen  Ereignisse,  der  okonomischen  Theorie,  der  Literatur 
geschichte,  der  Geschichte  der  internationalen  Arbeiterbewegung  und 
ihrer  Organisationen  nicht  ersetzen.  Doch  kann  ein  solches  Studium 
zur  Buchstabenklauberei  verkommen,  wenn  ihm  die  Anschauung 
fehlt.  Ein  Feld  von  historischen  Erfahrungen,  das  die  Klassenkampfe 
in  Deutschland  sinnlich  greirbar  und  begreiflich  macht,  versucht  das 
Lesebuch  zu  eroffnen. 

Wir  wissen,  dag  Lesebiicher  nicht  aus  sich  selbst  heraus  Erkenntnis- 
prozesse  bei  den  Lesern  einleiten  konnen.  Die  Wirksamkeit  unserer 
Arbeit  hangt  davon  ab,  ob  Schiiler,  Lehrer,  Lehrlinge  und  andere  von 
einem  politischen  Interesse  aus  an  die  Texte  des  Lesebuchs  herange- 
hen.  Das  Klassenbuch  soil  Hilfsdienste  Ieisten,  vor  allem  fiir  eine 
Arbeit  im  Ausbildungsbereich,  sei  es  im  Deutsch-,  Geschichts-  oder 
Arbeitslehreunterricht. 


Luchterhand 


Soli&aritat 

mit  dem  Georg-von-Rauch-Haus! 


Am  2.  Juli  1971  besetzten  Jugendliche  und  Studenten  eine 
leerstehende  Fabrik  in  einem  Kreuzberger  Sanierungsge- 
biet.  Im  Laufe  der  folgenden  Monate  wurde  die  Fabrik  zum 
Jugendzentrum  Kreuzberg  ausgebaut.  Die  Arbeit  stellt  ei- 
nen  ersten  Versuch  dar,  auBerhalb  der  bestehenden  Par- 
teien  und  Organisationen  ein  Zentrum  fiir  Schiiler,  Lehr- 
linge und  Jungarbeiter  zu  schaffen.  Im  November  wurde 
verstarkt  die  Diskussion  iiber  die  Moglichkeiten  der  Ein- 
richtung  von  Lehrlingswohngemeinschaften  gefiihrt. 

Am  3.12.71  wurde  dann  das  ehemalige  Martha-Maria-Haus 
auf  dem  Gelande  des  Bethanienkrankenhauses  von  einigen 
hundert  Jugendlichen  besetzt. 

Spater  wurde  zwischen  dem  Eigentiimer  der  Gebaude,  dem 
Bezirksamt  Kreuzberg  und  dem  Projekt  (Trager  ist  das 
Jugendzentrum  Kreuzberg  e.V.)  ein  Nutzungsvertrag,  der 
die  legale  Fortsetzung  des  Proj'ekts  ermoglichen  sollte, 
fiir  eine  befristete  Zeit  abgeschlossen.  Seit  dieser  Zeit 
wird  das  Gebaude  von  etwa  60  Jugendlichen  und  15  alteren 
Personen  (Arbeiter,  Studenten,  Sozialarbeiter,  Lehrer 
etc.)  bewohnt  und  in  eigener  Regie  verwaltet.  Bei  den 
Jugendlichen  handelt  es  sich  zum  iiberwiegenden  Teil  urn 
ehemalige  Heiminsassen  Oder  Jugendliche,  die  von  zu 
Hause  entwichen  sind  und  urn  eine  stabile  Gruppe  von 
Lehrlingen  und  Jungarbeitern.  Der  groBte  Teil  der  Ju- 
gendlichen wuchs  unter  sctweren  Lebens-  und  Erziehungs- 
bedingungen  auf  und  verbrachte  die  meisten  Jahre  in  FE- 
Heimen.  Nach  ihrer  Flucht  aus  dem  Heim  Oder  dem  Zuhause 
fiihrten  sie  als  Trebeganger  ein  illegales  Dasein,  was 
meistens  mit  dem. totalen  Absinken  in  die  Kriminalitat 
verbunden  ist. 

Durch  die  Aufnahme  im  Georg-von-Rauch-Haus  hatten  sie 
zum  ersten  Mai  Gelegenheit,  ihre  Lebenssituation  kol- 
lektiv  selbst  zu  gestalten  und  den  Teufelskreis  von  Ver- 
wahrlosung  und  Kriminalitat  zu  durchbrechen. 

Durch  die  kollektive  Selbstorganisation  und  die  soziale 
Zusammensetzung  waren  giinstige  Voraussetzungen  gegeben: 

-  die  Jugendlichen  in  ihrem  Selbstbewufitsein  so  weit  zu 
starken,  daB  sie  ihre  passive  Fursorgeempfangerhaltung 
iiberwinden  und  ihre  Interessen . selbst  vertreten 

-  den  Jugendlichen  solche  Erfahrungen  zu  vermitteln,  daB 


55 


sie  bei  entsprechend  kollektivem  Engagement  ihre  Bage 
verandern  konnen  und  ein  Abgleiten  in  die  Subkultur . 
der  Kriminalitat  verhindert  wird. 

Die  bisherigen  Erfahrungen  im  Georg-von-Rauch-Haus  zei- 
gen,  daB  die  kollektive  Selbsterziehung  zur  Personlich- 
keitsstabilisierung,  zur  Ausbildung  sozialer  Fahigkeiten 
und  zur  Aufhebung  sozialer  Isolierung  fiihren  kann  (s. 
Padagogengutachten  in  der  Dokumentation  der  Jugendlichen) 
und  auch  dazu  gefuhrt  haben,  daB  die  Jugendlichen  trotz 
auBerer  und  innerer  Schwierigkeiten 

-  ihren. Auf enthalt  legalisiert  haben 

-  sich  kollektiv  Oder  einzeln  Arbeits-  und  Schulplatze 
gesucht  haben  und  in  der  Bage  waren,  ihre  Interessen 
gegeniiber  der  Behorde  wahrzunehmen. 

Was  dieses  Projekt  iiber  die  bisherigen  Ansatze  der  Ju- 
gendkollektive  hinaus  interessant  und  nachahmenswert 
macht,  ist  die  politische  Brisanz,  die  in  Selbstorgani- 
sation  begriindet  ist. 

Am  19.4.1972  sturmten  800  Polizisten  das  Georg-von-Rauch- 
Haus;  250  bewaffnete  und  behelmte  Polizisten,  einige 
Staatsanwalte  und  ein  Richter  drangen  in  die  rund  90 
Zimmer  ein  und  kehrten  das  Unterste  zu  oberst. 

Gesucht  wurden  Beweise  fur  einen  Zusammenhang  zwischen 
den  Bewohnern  und  einem  Bombenanschlag  auf  den  briti- 
'  schen  Yachtclub.  Gefunden  und  ohne  Quittung  beschlag- 
nahmt  wurden  ubliche  Haushaltsgegenstande,  (Benzin, 
Isolierband,  Batterien,  Wecker,  Unkraut-Ex) ;  28  Jugend- 
liche  wurden  festgenommen,  von  ihnen  muBten  23  wieder  01s 
zum  Nachmittag'entlassen  werden,  weil  die  Vorwiirfe  un- 
haltbar  waren;  2  Jugendliche  befanden  sich  noch  am_19: 
Mai  in  Haft,  7  Jugendliche  haben  in  der  Zwischenzeit  ihre 
Arbeitsstellen  verloren. 

Bis  heute  sind  die  Verdachtsmomente  nur  Verdachtigungen 
geblieben;  was  den  Eindruck  vermittelt,  daB  es  weniger  _ 
urn  die  Aufklarung  strafrechtlicher  Taten  ging,  als  urn  die 
Verunsicherung  und  Kriminalisierung  eines  politischen 
Projekts. 

Die  wahrend  der  Durchsuchung  durchwiihlten  Raume  wurden 
in  verwiistetem  Zustand  zuriickgelassen  und  so  durch  die  _ 
Polizei  fotografiert.  Diese  Aktion  war  der  bisherige  Hohe- 
punkt  einer  Kampagne,  mit  der  versucht  wurde,  das  Georg- 
von-Rauch-Haus  zu  kriminalisieren  (Kriminalisierung.be- 
zeichnet  den  Versuch,  durch  haufige.  und  unverhaltnismaBig 
groBe  Polizeieinsatze,  durch  Falschmeldungen  und  unge- 
rechtfertigte  Verdachtigungen;  "Terrorzentrale"  und  "Hort 
von  Kriminellen",  gegeniiber  der-Offentlichkeit-den  Ein- 
druck zu  erwecken,  dort  lebten  Verbrecher,  Tagediebe, 
kurz  Kriminelle.). 

Bereits  anlaBlich  der  Besetzung  des  Hauses  hat  ein  mas- 
OD  siver  Polizeieinsatz  gegen  demonstrierende  Sympathisanten 


e~^ 


stattgefunden.  Ein  Polizeisturm  auf  das  Eaus  selbst  war 
durch  den,  das  Hausrecht  ausiibenden  Bezirksjugendstadt- 
rat  Beck  verhindert  worden.  Nicht  verhindert  wurden 
Falschmeldungen  und  andauernde  Versuche,  insbesondere 
der  Springer-Presse,  die  Bewohner  des  Hauses  zu  dis- 
kriminieren. 

Nicht  verhindert  wurden  die  mehrfachen  uberfalle  von 
Schlagern  einiger  .'Zuhalterringe;  ,  die  sich  nicht  damit 
abfinden  wollten,  daB  "ihre  MSdchen"  nicht  mehr  fiir  sie 
gewinnbringend  "arbeiten". 

Von  den  Bewohnern  selbst  verhindert  wurde  der  Versuch 
der  Biirokratie,das  Haus  mit  Hilfe  eines  Stacheldraht- 
zaunes  in  ein  Ghetto  zu  verwandeln,  urn  die  Bewohner  von 
ihrer  Nachbarschaft  zu  isolieren. 

Vor  diesem  Hintergrund  erweisen  sich  auch  die  Bemiihungen 
des  Bezirksamtes,  das  Projekt  zu  einem  "sozialpadago- 
gischen  Modellversuch"  zu  erklaren,  als  widerspruchlich. 
Der  Versuch,  die  Bestimmungen  der  Heimaufsicht  auf  das 
Haus  anzuwenden,  widerspricht  der  sichtbar  wachsenden 
Fahigkeit  des  Kollektivs  zur  Selbstorganisation  ihrer 
lebensprobleme.  Auf  die  Zerschlagung  des  Kollektivprin- 
zips  richtete  sich  auch  die  versuchte  Entsendung  von 
Jugendlichen  nicht  gewiinschter  Sosialarbeiter . 

Dieses  einzige  von  Arbeiterjugendlichen  selbst  organi- 
sierte  Wohnkollektiv  in"der  BRD  und  Westberlin  (z.Zt.50 
Mitglieder)  wird  vom  Senat  geschlossen,  falls  das  Kol- 
lektiv nicht  die  von  der  Berliner  Sozialburokratie  in 
einem  Entwurf  fiir  einen  endgiiltigen  Nutzungsvertrag ■■  f  or- 
mulierten  Bedingungen  akzeptiert.  Senatsdirektor  Kreft 
drohte,  daB  das  Kollektiv  nicht  weiter  gefuhrt  werden 
konne,  wenn  er  nicht  mit  dem  unterschriebenen  Vertrag  am 
Freitag,  dem  6.10.72,  in  einer  wichtigen  Sitzung  im  Ab- 
geordnetenhaus  von  Berlin  erscheinen  konne. 

"Uber  einzelne  Formulierungen  kann  hier  noch  verhandelt 
werden,  iiber  den  Inhalt  nicht  mehr." 
Diese  gescheiterte  Verhandlung  wurde  von  den  Jugend- 
lichen als  Erpressung  bezeichnet. 

'Es  fallt  einem  schwer,  diese  Behauptung  der  Jugendlichen 
zu  widerlegen,  wenn  man  erfahrt,  welche  Bedingungen  des 
Senats  sie  als  unzumutbar  zurtickweisen:  - 

-  sie  sollen  den  selbstgewahlten  Kamen  Georg-von-Rauch- 
Haus  nicht  verwenden  diirfen, 

-  sie  sollen  eine  Fiille  von  Daten  der  Bewohner  des  Kol- 
lektivs regelmaBig  der  Behorde  mitteilen, 

-  sie  sollen  bedingungslos  die  Kontrollen  und  MaBnahmen 
der  Ordnungsverwaltungen  (von.  der  Polizei  bis  /zum  Ge- 
sundheitsamt)  akzeptieren, 

-  sie  sollen  ihr  bewahrtes  kollektives  Verhandlungsprin- 
zj_p  _  Wesentliche  Voraussetzung  fiir  ihre  gemeinsame 
Entwicklung  und  Stabilitat  -  aufgeben  und  kleine  Kom- 
missionen  bilden,  °' 


-  sie  sollen  sich  zur  "Kommunikation  und  Kooperation" 
mit  der  Biirokratie  bereiterklaren,  die  den  Jugend-. 
lichen  eine  Mile  von  einengenden  Yerpf lichtungen 
auferlegt,  dem 

-  Senat  aber  bei  Nichteinhaltung  von  Yertragsbestim- 
mungen  eine  fristlose  Kvindigung  der  Yereinbarung  ge- 
stattet,  die  sowieso  -  wer  kann  das  verstehen?  -  auf 
einen  Zeitraum  von  6  Monaten  begrenzt  sein  soil  und 
dann  mit  einer  Prist  von  3  Monaten  kiindbar  ist, 

-  sie  sollen  sich  zu  Formen  der  Zusammenarbeit  mit  der 
Biirokratie  entschliefien,  die  dem  Prinzip  der  Selbst- 
organisation  direkt  widersprechen  und  die  das  Kollek- 
tiv  zu  einem  Erziehungsheim  der  offentlichen  Erzie- 
hung  machen  wiirde. 

Wie  die  Praxis  in  den  Erziehungsheimen  aussieht,ist  durchi 
die  Heimkampagnen  der  zuriickliegenden  Jahre  und  vielfache 
Veroff entlichungen  klar  aufgezeigt  worden:  strikte  Dis- 
ziplinierung  durch  autoritare  Erziehung;  Erziehung  zur 
Unselbstandigkeit,  Passivitat  und  Unmundigkeit  in  von  der 
Offentlichkeit  isolierter  Umgebung.  Das  Ergebnis:  Krimi- 
nalisierung  wahrend  und  nach  der  Zeit  des  Heimaufent- 
haltes  und  somit  keine  Chance  zur  Wahrnehmung  ihrer  Rech- 
te  als  politischer  Staatsburger. 

Nicht  kritische,  mit  dem  Willen  zur  positiven,  prakti- 
schen  Veranderung  der  Gesellschaft  ausgestattete  Men- 
schen  werden  gewiinscht,  sondern  gehorsame  und  unter- 
wiirfige  Individuen,  die  nicht  in  der  Lage  sind,  die  Be- 
dingungen  ihrer  eigenen  Existenz  kritisch  zu  untersuchen. 

Die  Jugendlichen  sagen  zu  dem  Vertragsentwurf  des  Senats: 
"Dieser  Vertrag  ist  eindeutig  gegen  unsere  Interessen  ge- 
richtet.  Wenn  wir  ihn  annehmen,  geben  wir  uns  selbst  auf. 
Wir  sind  zu  weiteren  Verhandlungen  bereit,  aber  es  ist 
klar,  da£  wir,  wenn  der  Senat  bei  s einen  Forderungen 
bleibt,  und  das  Georg-von-Rauch-Haus  geschlossen  wird, 
.nicht  freiwillig  unser  Kollektiv  auflosen  werden!" 


58 


(Nachtrag:  Dem.  Georg-von-Rauch-Haus  ist'  inzvischeu  zum  31.  Jaauar 
1973  gekundigt  warden,  nachdem.  das  Kollektiv  die  unterzeichnung 
eines  van  Berliner  Senat  angebotenen'  "Nutzungsvertrages"  ablehhen 
nmSfce,  da  dieser  eine  weitgehehde  "Verheimung"  und  die  standige  Kon- 
trolle  der  Selbstorganisation  der  Trebeganger  und  Lehrlinge  durch 
den  Senat  bedeutet  hatte.  Das  Kollektiv  fordert  dazu  auf,  Solidari- 
tatsadressen  fur  das  Rauch-Haus  zu  senden  an  die  Senatorin  fur 
Familie,   Jugend  und  Sport,  Frau  Use  Reichelt,    1   Berlin   3o,  Am 
Karlsbad  8  -  1o.  Von  jeder  Solidaritatsadresse  bitte  einen  Durch- 
schlag  an  das  Kollektiv  Georg-von-Rauch-Haus,    1  Berlin  36,  Mariannen- 
platz  1   a.  Weitere  Informationen  iiber' das  Kollektiv  (u.a.   gibt  es  die 
Dokumentation  "Kampfen,  lerhen,  leben"  fur  DM  5.  —  ).  Spenden  fur  die 
Verteidigung  des  Georg-von-Rauch-Hauses  sind  zu  uberweisen  an  K. 
Friederichs,  Postscheckamt  Berlin-West  Hr.   283Vjrlt.) 


Zunehmender  Druck  der  Sozialbiirokratie 
auf  Jugendwolin.gemeinsch.af ten. 


Seit  gut  2  Jahren  arbeiten  Jugendwohngemeinschaften  als 
Alternative  zur  Heimerziehung,  die  in  ihrer  padagogi- 
schen  Praxis  den  gesellschaftlicben  Anforderungen  nicht 
mehr  gefecht  werden  konnte. 

Die  Jugendwohngemeinschaften  haben  in  dieser  Zeit  ihre 
padagogische  Berechtigung  wissenschaftlich  und  praktisch 
nachgewiesen,  auBerdem  arbeiten  sie  zum  groBen  Teil  ef- 
fektiver  als  die  Heime. 

In  der  letzten  Zeit  bestatigt  sich  immer  mehr  der  Ver- 
dacht,  daB  -  entgegen  alien  AuBerungen  in  der  Offent- 
lichkeit -  die  Sozialbiirokratie  die  fortschrittlichen 
Ansatze  ungeschehen  machen  mochte. 

Das  einzige  von  Arbeiterjugendlichen  selbst  organisierte 
GroBkollektiv  in  der  BED  und  in  Westberlin,  das  Georg- 
von-Rauch-Haus,  steht  vor  der  SchlieBung  durch  den  Senat 
von  Berlin.  (s.Artikel:  "Solidaritat  mit  dem  Georg-von- 
Rauch-Haus  .") 

Ein  weiteres  Indiz  fur  den  allgemeinen  Trend  der  Sozial- 
burokratie, die  Selbstandigkeit  der  Jugendwohngemein- 
schaften einzuschranken,  sind  die  Vorfalle  im  Land- 
schaftsverband  Rheinland  in  den  letzten  Monaten. 


Dem  Jugendwohnkollektiv 
Erziehung  in  Essen-Steel 
Griinden,  ohne  Vorwarnung 
satze  von  der  Verwaltung 
gestrichen,  was  faktisch 
gleichkam,  da  der  Trager 
denen  er  evtl.  Hausmiete 
tungskosten  etc.  hatte  b 


fur  Jugendliche  der  offentlichen 

e  wurden  unter  fadenscheinigen 
ohne  Verhandlung,  die  Pflege- 
des  Landesjugendamtes  Rheinland 
einer  SchlieBung  des  Kollektivs 
keine  Eigenmittel  besaB,  aus 

,  Gehalter  fiir  Personal,  Yerwal- 

ezahlen  konnen. 


Zwar  betonte  der  zustandige  Referent  fiir  Sffentliche  Er- 
ziehung im  LJA  Rheinland,  Prof.  Dr.  Dr.  Krauss,  immer 
wieder  in  der  Offentlichkeit,  daB  Jugendwohngemeinschaf- 
ten in  der  offentlichen  Erziehung  durchaus  ihren  Platz 
hatten. 

Aber  wenn  Prof.  Krauss  von  Jugendwohngemeinschaften 
spricht,  dann  meint  er  in  Wirklichkeit  Mini-Heime,  wenn 
wir  aber  Kollektiv  sagen,  dann  meinen  wir  Selbsterfah- 
rung,  Selbsterziehung  und  Selbstorganisation  der  Jugend- 
lichen, 


59 


60 


Wenn  Prof.  Krauss  vom  LJA  sagt,  er  wiirde  die  Jugendwohn— 
gemeinschaften  weiter  fordern,  dann  meint  er,  die  be-- 
stehenden  Kollektive  -  gleich  Erziehungsheinie  -  in  die 
Sozialbiirokratie  zu  integrieren,  d.h.  sie  den  Kontrollen 
und  Mafinahmen  der  Ordnungsverwaltungen  -von  der  Heimauf— 
sicht  bis  zur  Polizei  und  dem  Gesundheitsamt  -  auszu- 
liefern. 

Wenn  wir  noch  Kollektive  unterhalten  oder  initiieren, 
dann  mit  der  Absicht,  Jugendliche,  die  ihr  ganzes  Leben 
lang  unter  der  Biirokratie  gelitten  haben,  die  zu  Fallen 
degradiert  worden  sind,  rauszureifien  aus  dieser  'Klammer- 
Biirokratie' ,  die  die  Jugendlichen  unselbstandig  und  le- 
thargisch  macht  und  sie  nicht  selten  kriminalisiert . 

Und  so  sieht  die  Verhandlungstaktik  des  LJA  Rheinland 
gegeniiber  den  Kollektiven  in  Rheinland  aus: 
In  zahfliissigen  Verhandlungen  und  mit  behb'rdlichen  Tricks, 
die  sich  in  Kompetenzschwierigkeiten,  Urlaubsvertre- 
tungen,  Zahlungsverzogerungen,  Sonderauflagen  auBern,  _ 
soil  die  Arbeit  der  Jugendwohnkollektive  und  ihrer  Tra- 
ger  zerstort  und  unmoglich  gemacht  werden. 

Ihren  deutlichen  Hohepunkt  hat  diese  Entwicklung  im 
Landschaftsverband  Rheinland  am  Beispiel  des  Jugendkol- 
lektivs  vom  Verein  Soziale  Jugendarbeit  e.V.  Essen.  Ent- 
gegen  vorherigen  schriftlichen  Zusagen  und  unter  Anwen- 
dung  oben  angefuhrter  Methoden  kiindigte  die  Verwaltung 
des  LJA,ohne  Riicksprache  mit  dem  Trager,  vbllig  iiber- 
raschend  per  Postzustellungsurkunde  die  bestehende  Fi- 
nanzvereinbarung. 

Das  aber  bedeutet  automatisch  die  Auflb'sung  des  Kollek- 
tivs.  Als  formeller  AnlaB  zur  Kiindigung  diente  die  unge- 
niigende  bauliche  Verfassung  des  Hauses,  in  dem  das  Kol- 
lektiv  1  1/2  Jahre  hatte  wohnen  miissen. 
Seit  Marz  1972  aber  stand  der  Trager  des  Kollektivs 
standig  in  Verhandlungen  mit  der  Verwaltung  des  LJA 
Rheinland  wegen  des  baulichen  Zustandes  des  Hauses , 
drang  der  Trager  auf  den  Erhalt  von  Zuschiissen  vom  LJA 
zur  Renovierung  des  Hauses. 

Da  eine  Renovierung  aber  sehr  hohe  Investitionen  erfor- 
dert  hatte,  weigerte  sich  das  LJA, in  dieses  Haus  noch 
Gelder  zu  investieren.  Der  Trager  stimmte  zu.,  jedoch 
unter  dem  Vorbehalt,  daB  dann  ein  neues  Haus  fiir  das 
Kollektiv  gefunden  werden  miisse,  und  daB  das  LJA  sich  an 
der  Suche  nach  einem  neuen  Haus  beteiligen  miisse  (z.B. 
Itbernahme  evtl.  Maklergebiihren) ,  und  daB  auBerdem  dann 
das  LJA  Mittel  zur  Ersteinrichtung  des  neuen  Hauses  zur 
Verfiigung  stellen  miiBte. 

Wiederholt  fragte  der  Trager  die  Vertreter  vom  LJA  in  den 
laufenden  Verhandlungen,  die  sichtlich  verzogert  wurden, 
ob  das  LJA.bindend  zusagen  konne,  daB  das  Kollektiv  im 
neuen  Haus  auch  weiterhin  finanziell  unterstiitzt  wiirde, 
die  Antwort  lautete  jedesmal  eindeutig:  ja! 


Wie  das  LJA  dann  aber  wirklich  handelte,  das  sah  dann 
so  aus:  Anfang  Juli,  als  noch  zwei  Jugendliche  im  alten 
Haus  lebten  (es  sollte  eine  neue  Gruppe  aufgebaut  wer- 
den) wurde  dem  Trager  mitgeteilt,  daB  aus  baulichen 
Griinden  von  einer  weiteren  Belegung  mit  Jugendlichen 
der  offentlichen  Erziehung  .zunachst  abgesehen  werde. 
Gleichzeitig  aber  wurden  die  Verhandlungen  iiber  ein 
■neues  Haus  vom  LJA  standig  verzogert. 

Gegen  Ende  Juli.  kam  dann  die  Kiindigung  der  Pflegesatze 
mit  der  Begriindung: 

a.  der  bauliche  Zustand  sei  nicht  mehr  tragbar 

b.  es  wiirde  in  dem  Kollektiv  keine  Gruppe  mehr  betreut. 

Diese  formalistische  Begriindung  erweist  sich  in  der  Zu- 
sammenschau  der  Ereignisse  als  geradezu  lacherlich,  wenn 
man  bedenkt,  daB  seit  4  Monaten  Verhandlungen  gefiihrt 
wurden  zur  Veranderung  der  Wohnverhaltnisse,  daB  diese 
Verhandlungen  aber  vom  LJA  standig  verschleppt  wurden 
("wir  konnen  noch  keine  endgiiltige  Zusage  machen,  wir 
brauchen  erst  noch  ein  Gutachten  von  der  Bauauf sicht, 
dann  noch  eins  von  der  Bauverwaltung  im  Landschaftsver- 
band"  etc.),  desweiteren  erweist  sich  der  zweite  Teil 
der  Begriindung  geradezu  als  Schlag  ins  Gesicht  der  Logik, 
wenn  man  sich  vor  Augen  halt,  daB  Anfang  Juli  das  LJA 
sich  geweigert  hatte,  neue  Jugendliche  in  das  alte  Haus 
einzuweisen,  bzw.  es  untersagt  hatte,  daB  in  dem  alten 
Haus  noch  weitere  Jugendliche  der  offentlichen  Erziehung 
betreut  wiirden! 

Besonders  kennzeichnend  fiir  die  Taktik  der  Verwaltung 
des  LJA  war,  daB  die  Kiindigung  der  Pflegesatze  den  Trager 
erreichte, als  der  Vorstand  des  Tragers  im  Urlaub  war, 
als  die  wichtigen  Kontakte  zur  Stadt  Essen,  mit  der  Ver- 
handlungen gefiihrt  wurden  wegen  eines  neuen  Hauses, 
nicht  zu  Gesprachen  genutzt  werden  konnten,  weil  die  zu- 
standigen  Sachbearbeiter  im  Urlaub  waren,  schlieBlich 
als  der  Unterzeichner  des  Kiindigungsschreibens ,  Prof. 
Krauss,  ebenfalls  in  Urlaub  war. 

Sofortige  Gesprache  mit  dem  zustandigen  Sachbearbeiter  im 
LJA  fiihrten  zu  nichts ,  weil  dieser  sich  fiir  diese  Ver- 
'  handlung  als  nicht  kompetent  erklarte. 

Ende  August  kam  Prof.  Krauss  aus  dem  Urlaub  zuriick,  seine 
erschopfende  Auskunft:.  er  kb'nne  nicht  verbindlich  ver- 
handeln,  da  jetzt  der. zustandige  Sachbearbeiter  bis  Mitte 
September  im  Urlaub  sei I 

Daraus  folgte:  erst  zwei  Monate  nach  der  Kiindigung  der 
Pflegesatze,  hatte  der  Trager  die  Moglichkeit  gehabt,  mit 
der  Verwaltung  des  LJA  und  den  dort  zustandigen  Herren 
zu  verhandeln.     -  - 

Durch  dieses  Hin-  und  Herschieben  der  Kompetenzen  und  die 
zeitliche  Verzogerung  aber  trat  dann  der  vom  LJA  gewunsch- 
te  Effekt  ein:  das  Personal,  das  ja  sein  Gehalt  iiber      61 


die  Pflegesatze  erhalten  hatte,  war  gezwungen,  sich  naoh 
anderen  Arbeitsstellen  umzusehen. 

Die  Moglichkeit,  ein  derartiges  Kollektiv  weiter  zu  be- 
treiben,  ist  damit  furs  erste  nicht  mehr  gegeben. 

Wir  meinen  der  'Fall  Essen'  ist  nicht  isoliert  zu  sehen. 
So  ist  dann  die  Schilderung  auch  nicht  als  Situations- 
beschreibung  eines  Kollektivs  zu  sehen,  sondern  als  exem— 
plarische  Darstellung  der  Strategie  der  Sozialbiirokratie. 

Das  was  hier  dem  Essener  Kollektiv  geschah,  kann  morgen 
jedem  anderen  Kollektiv  auch  geschehen. 

Die  Vorgange  um  das  Kollektiv  in  Essen  sind  im  Zusammen- 
hang  zu  sehen  mit  der  lendenz  der  Sozialbiirokratie,  den 
teilweise  erworbenen  Freiraum  der  Kollektive  wieder  ein- 
zudammen,  die  bestehenden  Kollektive  durch  Vereinbarungen 
einseitigen  Charakters  an  die  Sozialbiirokratie  zu  binden, 
die  Kollektive  zu  disziplinieren.  Auf  diesem  Wege  sollen 
die  Kollektive,  die  einst  als  Alternative  zur  Heimerzie- 
hung  entstanden  sind,  wieder  in  die  Heimerziehung  inte- 
griert  werden. 

Wenn  notig,  d'.h.  wenn  die  Kollektive,  die  finanziell  von 
der  Sozialbiirokratie  abhangig  sind,  sich  diesem  Zwang 
widersetzen,  dann  werden  Drohungen  ausgestoBen.  Nach- 
druck  hinter  diese  Drohungen  aber  wird  gesetzt  durch 
exemplarisches  SchlieBen  von  Kollektiven  nach  der  Devi- 
se: "So  geht  es  euch  auch,  wenn  ihr  nicht  spurt". 


62 


Buchbesprecttung 


Autorenkollektiv:  Gefesselte  Jugend.  FUrsorgeerziehung 
im  Kapitalismus .  Frankfurt/Main  1971 •  Ed.  Suhrkamp  514. 


Das  Autorenkollektiv  hat  es  sich  zur  Aufgabe  gesetzt, 
"die  marxistische  Theorie  fiir  die  Klarung  einiger  we- 
sentlicher  Probleme  der  Sozialarbeit  und  Sozialpadago- 
gik  wieder  nutzbar  zu  machen" .  (10) 
Untersucht  wird  . 

-  in-  Form  des  historischen  Abrisses  die  Funktion  der 
in  Heimen  betriebenen  FUrsorgeerziehung  im  Kontext 
der  Entwicklung  des  Kapitalismus  in  Deutschland 

-  die  klassenspezifischen  Ursachen  fiir  Verwahrlosung 
und  Kriminalisierung  eines  Teils  der  Arbeiterjugend 

-  die  Fiirsorgeerziehung  in  der  BED  hinsichtlich  Erzie- 
hungspraxis,  Ideologie  und  Reformtendenzen 

-  die  Geechichte  des  Kampfes  der  revolutionaren  Arbei- 
terbewegung  gegen  die  Verwahrlosung  und  Kriminali- 
sierung der  proletarischen  Jugend  und  den  burger lichen 
Fursorgeapparat 

-  die  heutigen  Perspektiven  der  Organisierung  der  Sozial- 
arbeiter  und  Erzieher.  (10) 

Das  Autorenkollektiv  ist  fast  identisch  mit  den  Verfas- 
sern  der  Beitrage  in  "Erziehung  und  Klassenkampf "  Mr.  4, 
ebenso  entsprechen  die  beiden  zuletzt  genannten  Themen 
in  den  Grundziigen  zwei  bereits  dort  veroff entlichten 
Aufsatzen. 

"Gefesselte  Jugend"  ist  kein  Beitrag  zur  akademischen 
Diskussion  um  die  Funktion  der  Fiirsorgeerziehung,  son- 
dern soil  dem  politischen  Ziel  der  Gewinnung  forts.chritt- 
licher  Sozialarbeiter  und  Sozialpadagogen  als  Biindnis- 
partner  der  Arbeiterklasse  dienen.  Es  vermittelt  Infor- 
mationen  und  gesellschaftsanalytische  Erkenntnisse,  die 
den  Sozialarbeiter-  und  Sozialpadagogikstudenten  in  der 
Ausbildung  weitgehend  vorenthalten  werden,  die  aber  not- 
wendig  sind,  um  Strategien  einer  Sozialarbeit  im  Dienste 
der  Interessen  der  Arbeiterklasse.  und  ihrer  Kinder  und 
Jugendlichen  zu  entwickeln. 

Das  erste  Kapitel  (13-65)  liefert  ein  Stiick  Sozialge- 
schichte  und  verbindet  dabei  Kenntnisse  iiber  die  Ent- 
wicklung der  Produktivkraft  und  der  Produktionsverhalt- 
nisse  im  Kapitalismus  mit  den  entsprechenden  Formen 


63 


64 


offentlicher  Erziehung.  Die  Details  dieser  Schilderung 
kbnnen  auch  anderweitig  nachgelesen  werden,  die  ab- 
schlieBende  Interpretation  jedoch  ware  es  wert,  weiter 
verfolgt  zu  werden:  Die  These  lautet,  Fursorgeerziehung 
habe  darin  ihre  notwendige  Grenze,  daB-die  '"'Unange- 
paBtheit1  proletarischer  Kinder  und  Jugendlicher  in 
ihren  verschiedenen  Ursachen  und  Formen  nicht  nur  eine 
Abweichung  von  der  Norm  (ist)  ,  die  leicht  zu  korrigieren 
ware,  sondern  eine  Folge  von  lebens-  und  Erziehungsbe- 
dingungen,  die  dem  Proletariat  durch  den  Kapitalismus 
aufgedriiekt  werden".  (61f)  Die  Fursorgeerziehung  kann 
diese  Probleme  padagogisch  nicht  losen,  "weil  sie  die 
'Schwierigkeiten'  der  Kinder  und  Jugendlichen  klassen- 
spezifisch,  d-h.  ideologisch  deutet  und  weil  sie  sich 
das  Paradoxon  zum  Ziel  gesetzt  hat,  die  proletarischen 
Kinder  und  Jugendlichen  mit  denjenigen  gesellschaftlichen 
Verhaltnissen  zu  versohnen,  an  denen  diese  zerbrochen 
sind".(62) 

Eine  materialistische  Analyse  der  Ursachen  von  Verwahr- 
losung  und  Kriminalitat  als  Haupttypen  abweichenden 
Verbaltens  proletarischer  Jugendlicher  gibt  das  zweite 
Kapitel  (66-150).  Dieses  Kapitel  diirfte  wegen  des  hier 
erreichten  Konkretisierungsgrades  als  das  wichtigste  des 
gesamten  Bandes  anzusehen  sein.  Hier  ist  es  gelungen, 
die  in  linken  Publikationen  oft  klaffende  Lucke  zwischen 
der  Darstellung  der  marxistischen  Grundkategorien  und 
der  Ubernahme  von  Detailinformationen  aus  der  biirger- 
lichen  Sozialforschung  zu  schlieBen  und  den  marxisti- 
schen Ansatz  bis  in  die  Interpretation  von  Statistiken, 
Gesetzestexten  und  lebensbedingungen  der  Arbeiterklasse 
-  einschlieBlich  sozialpsychologischer  Phanomene  -  durch- 
zuhalten.  Das  hier  zusammengetragene  Material  diirfte  ge- 
rade  fiir  die  politische  Aufklarungsarbeit  unter  Sozial- 
arbeiter-  und  Sozialpadagogikstudenten  brauchbar  sein. 

Kapitel  III  iiber  "Ideologie  und  Praxis  in  der  Heimerzie- 
hung"  macht  m.W.  erstmalig  den  Versuch,  die  in  der  Fur- 
sorgeerziehung herrschende  sozialintegrative  Ideologie 
mit  der  sozialen  Situation  der  Heimerzieher,  ihren  schlech- 
ten  materiellen  Bedingungen,  ihrem  geringen  Sozialpres- 
tige  und  ihrem  Aufstiegsdenken,  in  Zusammenhang  zu  brin- 
gen  (157-164) .  Als  Zusammenfassung  niitzlich  sind  die  Tei- 
le  iiber  das  Disziplinarsystem  und  die  Rolle  der  Familien- 
ideologie  in  der  Heimerziehung.  Wichtige  Materialien 
iiber  die  Tatigkeitsbereiche  der  Fiirsorgeverbande  und  das 
Problem  des  Subsidiaritatsprinzips  bringt  das  Kapitel  IV 
(193-218).  Nicht  ausreichend  behandelt  wird  die  Holle  der 
Kirchen  und  anderer  freier  Trager  im  Fiirsorgewesen,  da 
hier  ausschlieBlich  Veroffentlichungen  ideologiekritisch 
untersucht  werden,  ohne  der  Frage  nach  der  Sicherung  ma- 
terieller  Interessen  und  politischer  EinfluBbereiche  durch 
die  freien.Trager  nachzugehen. 


Kapitel  V  (219-239)  zeigt  die  Grenzen  jeglicher  Reform- 
bemiihungen  im  Erziehungs-  bzw.  Fiirsorgesektor  auf,  die 
Ohnmacht  der  zahlreichen  Programmentwiirfe  fiir  eine 
bessere  bffentliche  Erziehung,  die  stets  an  den  vom 
Kapitalismus  diktierten  "Sachzwangen"  scheitern  miissen. 

Die  letzten  beiden  Kapitel  sind  der  Frage  der  Strategie 
der  Arbeiterklasse  und  ihrer  Partei  auf  dem  Fiirsorge- 
bzw.  Sozialsektor  gewidmet.  (240-285)  (286-301)  Nach 
einer  Diskussion  der  Marxschen  Theorie  iiber  das  Lumpen- 
proletariat  und  der  Randgruppentheorie  folgt  die  Aus- 
wertung  von  Quellen  iiber  den  Kampf  der  KPD  gegen  die 
biirgerliche  Fursorgeerziehung  in  der  Weimarer  Zeit.  Uber- 
legungen  zur  Rolle  des  Sozialstaats,  der  Sozialpolitik _ 
und  der  Reformen  im  Kapitalismus  gehen  ein  in  Thesen  fiir 
eine  Praxis  der  Sozialarbeit,  die  im  Interesse  der  Kid - 
enten,  der  Arbeiterklasse  nand.  ihrer  Jugendlichen  steht 
und  die  auch  zu  einer  Solidarisierung  der  Sozialarbeiter 
im  Kampf  urn  gemeinsame  Interessen  fiihrt.  (298f)  Diese 
Thesen  bleiben  jedoch  in  ihrer  Allgemeinheit  hinter  dem 
entsprechenden  Artikel  in  "Erziehung  und  Klassenkampf " 
zuriick . 

Unbeantwortet  lassen  die  Verfasser  die  Frage,  welche 
organisatorischen  Konsequenzen  sich  fiir  Sozialarbeiter 
und  Sozialpadagogen  aus  ihrer  Analyse  der  Fursorge- 
erziehung ergeben.  Insofern  bleibt  "Gefesselte  Jugend" 
im  Vorfeld  politisch-strategischer  Oberlegungen. 


Jan  Raspe:  Zur  Sozialisation  proletarischer  Kinder. 
Frankfurt  1972,  Verlag  Roter  Stern. 


Die  wachsende  Anzahl  von  Arbeiten  iiber  den  Sozialisa- 
tionsprozeB  des  Arbeiterkindes  ist  fast  nicht  mehr  tiber- 
schaubar.  Auch  in  den  Bereich  von  Sozialpadagogik  und 
Sozialarbeit,  der  bis  vor  wenigen  Jahren  noch  von  den 
idealistischen  Vorstellungen  der  Reformpadagogik  gepragt 
war,dringen  immer  mehr  empirische  Einzelergebnisse  der  biir- 
gerlichen  Sozialforschung,  besonders  der  USA,  ein.  Wenn 
bisher  auch  die  Versuche  der  Erarbeitung  einer  Soziali- 
sationstheorie  in  den  Anfangen  stecken  blieben  und  es 
aufgrund  mangelnder  materieller  und  historischer  Basis 
auch  weiterhin  bleiben  werden,  erscheint  die  Zielsetzung 
dieser  Theorieansatze  in  der  augenblicklichen  Situation 
des  Erstehens  von  Klassenkampfen  klar:  Die  Bourgeoisie 
will  mit  Hilfe  der.  Ergebnisse  der  Sozialisationsfor- 
schung  und  den  sich.daraus  entwickelnden  Strategien,  wie 
z.B.  der  kompensatorischen  Erziehung,  das  Postulat  der 
Chancengleichheit  in  unserer  kapitalistischen  Gesellschaft 
proklamieren,  mit  dem  Ziel,  die  Arbeiterklasse  in  dieses  DO 


System  zu  integrieren,  den  erhohten  Bedarf  an  Arbeits- 
kraft,  d.h.  Ausbeutungsobjekten,  zu  realisieren  und  an- 
hand  einiger  individueller  Aufsteiger,  die  die  kapita- 
listische  Leistungsideologie  internalisiert  haben  und 
von  den  Herrschenden  protegiert  werden,  aufzeigen,  daB 
wir  eine.  klassenlose  Gesellschaft  haben. 

Neben  der  Arbeit  von  E.  Brechstein,  die  Sozialisation 
des  Arbeiterkindes  in  Familie  und  Schule  (Freiburg  1971/ 
Selbstverlag)  und  der  stellenweise  hervorragenden  Arbeit 
des  Autorenkollektivs  urn  Gottschalch  (Sozialisations- 
forschung),  gehort  die  vorliegende  kurze  Analyse  zu  den 
wenigen  Arbeiten,  die  iiber  einen  reformistischen  Charak- 
ter  hinausgehen. 

Easpes  Ausgangspunkt  ist,  daB  die  sozialen  Erfahrungen 
des  Arbeiterkindes  vom  friihesten  Alter  an  Erfahrungen 
des  Klassengegensatzes  sind  und  in  ihnen  gleichzeitig 
auf  Grund  der  familialen  Situation  sich  die  wesentlichen 
Lernprozesse  abspielen.  Die  daduroh  vermittelte  Struk- 
tur  der  Lernfahigkeit  des  Kindes  ist  dann  sowohl  an 
einen  bestimmten  Inhalt,  namlich  die  allgemeinen  sozi- 
alen Zusammenhange  der  Klassenlage  gebunden  als  auoh  an 
eine  bestimmte  Form  -  das  Kind  lernt  in  kollektiven  Er- 
f ahr ungs z us ammenh angen . 

Auf  dieser  Grundlage  legt  Easpe  seiner  Arbeit  die  poli- 
tische  uberzeugung  zugrunde,  daB  sich  der  widerspriich- 
liche  Charakter  der  Sozialisation  des  Arbeiterkindes  nur 
in  einer  direkten,  organisierten,  antikapitalistischen 
Erziehungspraxis  -  als  Teil  und  Ausdruok  des  proleta- 
rischen  Klassenkampf es  -  grundsatzlich  aufheben  laBt. 

Doch  hier  liegen  dann  auch  die  deutlichen  Mangel  der 
Arbeit  Easpes.  Xosgelost  von  einer  proletarischen  Organi- 
sation, ohne  Kontakt  zu  den  Anfangen  proletarischer 
Kinderarbeit  (Projekt  Brehlohstr.)  ist  seine  Arbeit  eine 
Analyse,  vollkommen  losgelbst  von  den  auf f lammenden 
Klassenkampfen  und  so  ohne  jede  praktische  und  organi- 
satorische  Konsequenzen. 

Vielleicht  sollte  man  an  diesem  Ort  auch  die  Praxis  der 
Obernanme  von  englischsprachigen  Zitaten  kritisieren. 
Soil  hierdurch  etwa  ein  Schein  von  Wissenschaftlichkeit 
gewahrt  werden?  Eine  ttbersetzung  dieser  Zitate  wiirde  den 
meisten  von  uns  wohl  besser  niitzen. 

Trotz  dieser  Mangel  linden  sich  bei  Easpe  einige  gute 
Ansatzpunkte  zur  Analyse  und  Interpretation  der  neueren 
burgerlichen  Untersuchungen  des  Sozialisationsprozesses , 
eine  gute  Zusammenfassung  neuerer  Ergebnisse  der  For- 
schungsliteratur  zur  Sozialisation  des  Arbeiterkindes 
eine  vergleichende  Betrachtung  der  Entwicklung  des  Ar- 
beiterkindes, unter.  "historisch  gesellschaftlichen  Be- 
dmgungen  offener  Klassenkampfe"? 

66  Bie  Notwendigkeit  einer  polit-okonomischen  Analyse  des 


Sozialisationsprozesses  wird  jedoch  von  Easpe  erkannt 
und  auch  in  Angriff  genommen.  Hierbei  werden  Aspekte  wie 
Klassenlage,  Widerspruch  zwischen  gesellschaftlicher 
Produktion  und  kleinbiirgerlicher  Reproduktion  in  der 
Familie  in  Beziehung  gesetzt  zu  Erziehungsverhalten  und 
Wertorientierung  der  Eltern,  familiale  Eollenstruktur, 
Aspekte  wie  Identifikation,  Abhangigkeit,  Aggression, 
Sprache,  lernen  und  Leistungsmotivation. 
Es  findet  sich  hier  auch  eine  ausgezeichnete  Kritik  der 
psychologisierenden  Erklarungsversuche  der  Situation  des 
Pro letarier kindes  bei  Eiihle. 

Aus  der  verifizierten  These,  daB  proletarische  Lebens- 
verhaltnisse  im  Kind  die  Anlage  einer  widerspriichlichen 
Personlichkeitsstruktur  fordern,  die  sowohl  Elemente 
eines  aktiven  kampferischen  Klassenhandelns  umfaBt  als 
auch  die  passiv-fatalistischer  Anpassung  (S.  33)  ergibt 
sich  fur  Easpe  die  These,  daB  nur  eine  direkte  antikapi- 
talistische  Erziehung  die  Bildung  der  kollektiven  Iden- 
titat  des  proletarischen  Kindes  zu  fordern  vermag  (S.39). 

Eichtig  erkennt  Easpe  dann  auch,  daB  eine  "derartig  ein- 
seitige  Aufhebung  von  Dysfunktionalitaten"  selbst  nur 
mit  dem  Entstehen  neuer  Widerspriichlichkeiten  einher- 
gehen  kann;  d.h.  also,  daB  der  Charakter  der  Wider- 
spriiche  und  ihre  Losung  auch  davon  abhangt,  wie  das 
Proletariat  darauf  antwortet. 

Diese  vom  Proletariat  angefangenen  Antworten  miissen  von 
alien  im  sozialen  Bereich  Tatigen  unterstiitzt  werden. 
Zur  Erkenntnis  dieser  Forderung  ist  Easpes  Buch  stellen- 
weise gut  geeignet. 


Autorenkollektiv:  Materialien  zur  Lage  der  Arbeiter- 
,-juKend  in  Westberlin.  Frankfurt  1972,  Verlag  Boter  Stern. 


Die  soziologische  Jugendforschung,  die  in  der  BED  jahre- 
lang  stagnierte  und  sich  vorwiegend  in  idealistischen 
Ergiissen  jugendbewegter  Zupfgei genhanserl  manif estierte 
und  in  denen  versucht  wurde,  kleinbiirgerliche  Lebens- 
und  Sozialisationsbedingungen  auf  die  Arbeiter jugend  zu 
iibertragen,  konnte  nicht  dazu  beitragen,  die  soziookono- 
mische  Lage  der  Arbeiterjugend  transparent  zu  machen. 

Erst  mit  dera  von  Hubner,  Reichelt  und  Liebel  in  "Erzie- 
hung und.  Klassenkampf"  Heft  1  vercffentlichten  Aufsatz 
"Politokonomische  Bestimnung  zur  Lage  der  Arbeiterjugend 
im  Kapitalismus  und  deren  Bedeutung  fur  die  Entwicklung 
des  KlassenbewuBtseins"  ergaben  sich  Perspektiven  fur 
eine-  soziockonomische  Jugendforschung,  die  den  Interessen 
der  Jugend  des  Proletariats  dient. 
Die  ersten  Ergebnisse  liegen  in  den  "Materialien"  vor.    67 


68 


Obwohl  in  ihren  Aussagen  auf  West-Ber3in  beschrankt  und 
wie  auoh  von  den  Autoren  ausdrucklich  festgestellt  wird, 
in  ihren  Aussagen  iiber  Klassenlage  und  Entwicklungsten- 
denzen  der  arbeitenden  Jugend  theoretisch  nicbt  abge- 
sichert,  weil  ein  enger  Kontakt  zu  einer  proletarischen 
Jugendorganisation  fehlte,  tritt  dem  Leser  doch  ein  re- 
lativ  geschlossenes  Bild  der  lage  der  Arbeitei-jugend  ent- 
gegen,  das  vielen  in.  diesem  Bereich  arbeitenden  Kollegen 
und  Genossen  zur  Ori entierung  diener.  kanr; . 
Richtig  erkennen  die  Autoren,  daB  ihre  Materi alien  Stoff 
fur  politische  Auseinandersetzungen  liefern,  die  aller- 
dings  nur  auf  der  Grundlage  der  Praxis  einer  proleta- 
rischen Jugendorganisation  gefuhrt  werden  kann . 
Dies  verweist  auob  inharent  auf  den  groBten  Mangel  die- 
ser  Arbeit:  das  vollige  Fehlen  einer  bistorischen  Kom- 
ponente  und  damit  die  Gefahr  des  Soziologismus . 
Ein  kurzer  histori scher  AbriB  zur  Lage  und  zur  Organi- 
sation der  Arbeiterjugend  hatte  sicher  mehr  zum  Ver- 
standnis  beigetragen  wie  der  vorgegebene  Anhang,  dem  wir, 
d.b.  wobl  die  meisten  Sozialarbeiter,  vollig  hilflos  ge- 
geniiberstehen,  da  die  empirische  Sozialforschung  erst 
langsam  in  den  Ausbildungsbereicb  Sozialarbeit/Sozial- 
padagogik  eindringt. 

Die  Autoren  verstehen  ihr  Euch  ''als  Beitrag  zur  Klarung 
der  Frage,  wie  der  ProzeB  des  Heranwacfcsens  und  der  ge- 
sellschaftlichen  Integration  von  der  Klassenstruktur  der 
kapitalistischen  Gesellschaft  und  der  jeweiligen  Klas- 
senzugehcrigkeit  gepragt  wird ,  und  wie  der  kapitalisti- 
sche  ProduktionsprozeB,  die  auf  ihn  bezogene  individuel 
le  Qualifikation  und  die  von  der  Stellung  im  Produktions- 
prozeB im  wesentlichen  abhangigen  Reproduktionsbedin- 
gungen  sich  auf  die  cbjektive  Stellung  und  dasEewuBt- 
sein  von  Kindern  und  Jugendlichen  Jewells  einwirken 
(S-7). 

Von  dieser  Themenstellung  her  ergeben  sich  4-  kiare  ae- 
reiche  fiir  das  Buch : 

1.  Die  Rolle  des  Schulsystems  beim  EntstehungsprozeB  der 
Arbeiter jugend; 

2.  die  Situation  der  arbeitenden  Jugend; 

•3.  die  Ausbildungsbedingungen  der  arbeitenden  Jugend; 
4-.  die  Reproduktionsbedingungen  der  arbeitenden  Jugend- 
lichen. 

An  dieser  Stelle  1st  nocbmal  die  unserer  Ansicbt  r.ach 
zu  enge  Beschrankung  auf  West-Berlin  zu  bemangeln. 
Doch  iiberwiegen  die  positiven  Seiten:  z.B.  wird  auf  die 
Fortdauer  der  sozialen  Selektion  auf  den  Gesamtschulen 
kingewiesen  und  die  Reformideologie  im  Schulbereich  ent- 
larvt;  es  wird  dargestellt,  wie  sich  das  Kapitalinteres- 
se  an  der  Verwertung  der  jugendlichen  Arbeitskraft  un- 
mittelbar  auf  das  Lobnniveau  und  auf  die  Stellung  der 
jugendlichen  Arbeiter  und  Lehrlinge  auswirkt. 
Weiterhin  f inden  sich  Hinweise  auf  die  Unterschiede  m-  Jn- 


Leo  Kofler /Andre as  Buro: 

Van  Handelskapitalismus 

sum  Neo-finperialismus  der  Gegenwart 

Eine  Einfuhrung  in  die  Entwiaklung 
der  huvgerlichen  Gesellschaft 

Diese  Schrift  gibt  eine  erste  Einfiihrung  in  die  Ent- 
wicklung der  biirgerlichen  Gesellschaft  und  schlieBt 
eine  LLicke  in  der  linken  Schulungsliteratur.  Allzu  oft 
beginnt  das  Wissen  von  jungen  Sozialisten  Liber  die  ka- 
pitalistisch-bsrgerliche  Gesellschaft  in  der  Gegen- 
wart, und  das  zusammenhanglose  geschichtliche  Schulwis- 
sen  reduziert  sich  auf  Daten  liber  Kriege  und  Thronbe- 
steigungen.   Der  rait  dieser  Broschlire  unternommene  Ver- 
such,  tausend  Jahre  Geschichte  auf  wenigen  Seiten  dar- 
zustellen,  zwingt  dazu,  mit  groben  Strichen  zu  skiz- 
zieren,  Einzelheiten  fortzulassen,  die  vielfaltigen 
Unterschiede  zwischen  den  einzelnen  Staaten,  die  zeit- 
liche  Ungleichheit  in  der  Entwicklung  der  Gesellschaft 
beiseite  zu  schieben  und  auch,  selbst  wenn  der  Blick  ab 
und  zu  darliber  hinausgeht,  die  europaischen  Gesell- 
schaften  in  den  Mittelpunkt  des  Blickfeldes  zu  rlicken. 
Solche  Vergrbberung  der  Wirklichkeit  hat  nicht  nur  Nach- 
teile.   Sie  hilft  zunachst  auch,  Oberblick  zu  gewinnen 
und  die  groBe  Linie  der  Entwicklung  zu  erkennen. 

Diese  Schrift,  daran  sei   kein  Zweifel   gelassen,  ist 
parteiisch  geschrieben.  Sie  steht  auf  der  Seite  der  Un- 
terdruckten,  der  Benachteiligten,  der  Nicht-Gleichbe- 
rechtigten,  denen  die  Chance  zur  Entfaltung  ihrer  Per- 
sdnlichkeit  in  dieser  Gesellschaft  und  -  in  Bezug  auf 
die  Volker  der  armen  Welt  -  von  diesen  kapitalisti- 
schen und  imperialistischen  Gesellschaften  verwehrt 
wird.  Diese  Schrift  ist  alien  kritischen  jungen  Leuten, 
all   jenen,  die  sich  in  den  letzten  Jahren  politisiert 
haben,  alien  Lernenden  und  Lehrenden  zur  Lekture  zu 
empfehlen. 

96  Seiten,  broschiert,  DM  5.— 

Verlag  2ooo  GmbH,  6o5  Offenbach  4,  Postfach  591 


dustrie  ur.d  Handwerk,  auf  die  beschissene  rechtliche  und 
soziale  Situation  am  Arbeitsplatz ,  auf  die  Fiktion  von 
Berufsberatung,  eine  Kritik  des  Stufenplans,  eine  Dar- 
stellung  der  Berufsschulsituation  und  der  Reproduktions- 
bedingungen  in  der  Arbeiterfamilie  (Arbeitsverhaltnis , 
Einkommen,  Vermogen,  Wohnsituation) . 

Kurz  wird  auch  auf  die  Konsequenzen  fur  die  weiblichen 
Jugendlichen  eingegangen. 

Wir  sind  der  Ansicht,  da£  die  Materialien  ihren  Zweck 
erfiillen.  Namlich  C"ugendlichen,  Jugendorganisationen 
und  sozialpadagogisoh  arbeitenden  Kollegen  und  Genossen, 
die  die  Lage  der  arbeitenden  Jugend  grund legend  veran-_ 
dern  wollen,  einige  Programme  und  padagogische  und  poli- 
tische  Konzepte  bereitzustellen. 


70 


M 


Geschichte  und  Funktion 
der  Sozialarbeit 


Ausziige  aus  Vorwort  und  Inhaltsverzeichnis 

Das  vorliegende  Papier,  der  Versuch  einer  material istischen  histori- 
schen  "Analyse"  und  Funktionsbestimmung  der  Sozialarbeit  ist  ein 
Novum  in  ihrer  Geschichte  -  zumindest  seit  der  offenbar  zur  Vergessen- 
heit  gewordenen  Auseinandersetzung  um  eine  "Fursorge"-Selbstorganisa- 
tion  der  Arbeiter  nach  dem  1.  Weltkrieg.   Damals  standen  sich  revolu- 
tionare  Krafte.z.B.  Clara  Zetkin,  die  das  Konzept  der  "Roten  Arbeiter- 
hilfe",  eine  Organisation  praktischer  Selbsthilfe  und  Sol  idarita't  im 
allta'glichen  Klassenkampf ,  vertraten,  und  Revisionisten  in  der  SPD  um 
die  spatere  AWO-Begrunderin  Marie  Juchacz  gegenliber,  die  aus  humani- 
stischer  Gesinnung  die  schlimmsten  Auswirkungen  kapital istischer  Aus- 
beutung  mit  Hilfe  einer  caritativen  Wohlfahrtsorganisation  verhindern 
wollte. 

Oas  vorliegende  Papier  zeigt,  daB  diese  historisch  zuriickliegende  Al- 
ternative auch  heute  nicht  an  Aktualitat  eingebiiBt  hat;  es  stellt  sich 
dar  als  ein  Arbeitsergebnis  einer  immer  groBer  werdenden  Zahl  von 
Sozialarbeitern,  die  begreifen,  daB  sie  bisher  bewuBtlos  und  ohnmach- 
tig  an  den  Symptomen  eines  Ausbeutungssystems,  der  kapital istischen 
Gesellschaft,  kuriert  haben  und  die  begriffen  haben,  daB  die  Vernach- 
lassigung  ihres  Arbeitsfeldes  (die  vielfach  beklagte  Situation  fehlen- 
der  Mittel ,  fehlenden  Personals  und  mangelhafter  Ausbildung)  strukturell 
bedingt  ist  in  einem  gesellschaft! ichen  System,  in  dem  Profit  und 
private  Aneignung  von  Reichtum  an  erster  Stelle  und  "Kosten"  verursachen- 
de  "soziale  Fragen"  an  allerletzter  Stelle  rangieren. 

Aus  dem  Inhalt:  Zur  gesellschaftl ichen  Situation  der  Armenpflege  in 
der  feudal  en  Gesellschaft  -  Sozialarbeit  im  Umbruch  zur  kapital isti- 
schen Gesellschaft  -  Marx'  Analyse  der  burger! ichen  Gesellschaft  und 
ihre  Bedeutung  fiir  eine  Analyse  der  Sozialarbeit  -  Bismarck'sche 
Sozialpolitik  und  Sozialarbeit  -  Geschichte  der  Sozialarbeit  1880  -  1930 
Sozialarbeit  im  Faschismus  1933  -  1945  -  Geschichte  des  Jugendhilfe- 
rechts  (das  RJWG  1923,  Jugendhilfe-Recht  im  Faschismus,  Diskussion  um 
die  Novelle  1953,  Diskussion  um  das  JWG  1961)  -  Ausgewa'hlte  Literatur 
zur  Sozialarbeit. 

Ca.   7o  Seiten,  vervielfaltigt  mit  festem  Utischlag.  DM  3.— 
Bezug  u'ber  AKS,  c/o  Gunter  Pabst,  6  Frankfurt,  Hamburger  All ee  47 
Sozialistisches  Bliro,  6o5  Offenbach  4,  Postfach  591 


71 


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terbildungwe^anstaituna  ^I^563?  lm  "J^gebiet  durch,  die  als  *i" 
statt  am  1.  Member  197? an?[kannLsInd-   Das  na'c^te  Seminar  findet 
Verein  Soz  ale  Juaendarh^t  ^  ^°hnen  im  Kapltallamis'1.     Auskunft- 
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Vom  12.  -  17.  Dezember  findet  in  Srh S!mil]are  u"d  Arbeitstagungen. 
teilarbeit  statt.  -Interessenten  W„S      ?™e  Ta9un9  zum  Thema  Stadt- 
stelle,  8  MUnchen  2,   Kobellstr     Y|nd?V]ch  a"  die  SPAK-Bundesgeschaft5 

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