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Full text of "Informationsdienst Sozialarbeit (1972 - 1980)"

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Kurzbericht.  iiher  die  ArheitcqruPDentaauna  des  SB  am. 


iuch 


■ — -.    um  nrueitsqruppentagung  ""   ^n  °"'  - 

derepolitisc^eM°re!!  Bede"t^9.  die  Berufsverbote  und  andere  Fo* 
Ira  SB  irtiS5?J* Unt,«Wtel«ung  fUr  die  gesamte  Linke  haben, st 
breite  AbSftfr     ?'  ^  alles  9etan  werden  muB'  um  eine,m°9Jec  ^  '" 
der  BRD  aul^Lr,°,nt  ^qenUber  der  repressiven  Offensive  derR^er 
tenm  undl^     Sn-  S°  stand  de™  auch  nach  Diskussionen  «»    „ 
29/30  11     252  re910nalsn  Zentren  auf  der  Mitgl  iederversanm  ung 
S o    all     isc  pnFR*9e  nach  den  Aufgaben  und  realen  Moglich  e  «     Unter 
drUckuna     Alln       -r°5  lm  Hi^ick  auf  die  Abwehr  der  pol^Jt  &  . 
EntwickLn  17^  WUrde  betont-  daD  ™  der  BRD  ein  WendeP""      p|)  s 
der  IteffiJWK  sei'  daB  mi*  den,  Eirtritt  in     eine  "*£&»"* . 
-Kestauratw  fur  die  linke  Bewegung  neue  VerhSUnlsse  *■»,„  8 
r  Ausdruck  eben  die  Repression  irbote 


■  ■  «cm  r\aiiinen 
Betriebsarunn^8  Qer  Unte™ehmer,  aber  auch  von  sozialdem^ 
fen  warden  TsJZ  mb?lichst  br^  Basis  des  Widerstandj 
bkonomische  Unt^H  -  <    k°nne  ein  Kon9^  9e9e"  die  P°H*1&  se:„„ 
daB  sich  die  Linl      Ckung  ei^brauchbares   Instrument  und  ^gUssif 
w.rh,i;'!    r!^1nie  nicht  hilf-  und  sprachlos  gegeniiber  der  KM 


i's'l!!' 


— ■  ^  nw  i i y  Dere 

Untern^en0ZrdnenU;sfWehr  der  Re^ssi°" ' 

Arbeitsgrupre  L  K eSS;on  statt-  D^  KongreB  muB  von  der  ges      hr 
punkt  eine?  reafnJ?  96,tra9en  we^n  und  soil   ein  poUtisch*    R 
pression  sein  9d?p  i  U?d  Joka1  z"  ™hrenden  Kampagne  gefl««  J"l1ch  * 
bezogen  werden-  Ic  ^ehf"den  Komi  tees  soil  en  soweit  wie  "^aS* 
entstehen?         *         SClle  keineswegs  eine  Art  konkurrierender         ^ 

licne  pKom?schrFPK°TeSses  und  seiner  Vorbereitung  pUsW  J{J  F> 
geklSrt  werden     R^^T"9  des  SB  in  Hinsicht  auf  wesentli"1 

e      Rechtsst»»t>FDGO.Grundgesetz,SPD  etc.  r 

Sfif  SS?3?  ftLSV-t  --  ^ntwurf  fUr  die  ^Srjj. 
ionalen  Gruppen  unH  h      e  KonzePti°n  soil   zunachst  i"ne^a^tiert 
vom  Delegiertenra? \t  «  "ntra1en  Arbeitsfelder  des  SB  disku* 
Aus  zeitlichen  Griln     6^7'  Marz  76  verabschiedet  werden.        feld 
Sozialarbeit  nicht  » !h  k°nnen  wir  diese  Diskussion  in  Arbeit      ^ 

aa-  ""--^  « ScrK^^oregne^"-;^^2 


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JNFORMATIONSDIENST 
SOZIALARBEIT 


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)ugendarbeitslosigkeit 

<h   Jugendarbeit  - 


)zialarbeit  unc 
Anti  repress  i  ons  kampagne 
politischer  Anspruch  u.  padagogische  Realitat 

Strategie  im  Arbeitsfeld  Sozialarbeit 
Sozialarbeit  in  der  Provinz 


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Portugal 


Offenbach  im  Mai  1976 
Einfachnummer  -  Preis  DM  5, 


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Dieser  Informat fonsd ienst  Sozialarbeit  wird  Im  Soz ia) i st i schen  BUro 
von  Gruppen,  die  im  Sozial i sat ionsbereich  arbeiten,  herausgegeben . 
Der  Info  dient  der  Kommunikation  und  Kooperation  von  Genossen,  die 
mit  sozial  i st ischem  Anspruch  Im  Feld  der  sozialen  Arbeit  ta"tig  slnd. 
Der  Info  entha'lt  neben  einem  Schwerpunktthema"  Darstel lungen  tiber  die 
Organi  sat  ionsmodel  le  und  Basisaktivl  ta'ten  sozial  istischer  Sozialar- 
bei  ter/-pa°dagogen,Erz  ieher  etc.  .Kurzberichte,  Informat  ionen  und  Ana- 
lysen  aus  dem  Sozial-  und  Gewerkschaftsbereich  sowie  Material ien, 
Hinweise.Stel lenangebote  und  Klelnanzeigen. 

Neben  dem  Informat ionsd ienst (erscheint  viermal  im  Jahr)  verSffent- 
1  ichen  wir  in  unregelma'Gigen  Abstanden  Arbel  tsf eldmaterial  ien  zum 
Sozialbereich.  In  dieser  Reihe  sind  blsher  erschienen: 

Arbeitsfeldmaterialien  (AMS) 

Heft  1:  Projektstudium  am  Bspl.  Heimerziehung,2oo  S.,  DM  8,-- 

Heft  2:  Arbei termadchen  Im  Jugendzentrum,  5&  S..DM  k, — 

Heft  3  Knastalltag  am  Beispiel  Mannheim,  128  S.,  DM  1 ,-- 

Heft  k:  Der  Inst  i  tut  lonal  islerte  Konfllkt,  2oo  S.,  DM  lo,— 

Heft  5:  Soz  ialpa'dagog  ik  und  Arbeiterinteressen,  1(8  S.,  DM  3," 

Heft  6:  Staatliche  Soz lalpol i t ik  ,  136  S.,  DM  8.- 

Herausgeber:  Sozial  Istisches  BUro 

6o5  Offenbach  4,  Postfach  591 

Verleger:    Verlag  2ooo  GmbH  Offenbach 

Erste  Auflage:  Mai  1976,  5ooo  Exemplare 

Alle  Rechte  bei  dem  Herausgeber 

Vertrieb:  Verlag  2ooo  GmbH.  6o5  Offenbach  4 

Postfach  591,  Hohe  Str.  28  (Souterrain) 
Postcheck  Frankfurt  Nr.  61o41  -  60^ 

Preis:  Einzelexemplar  DM5,-- 

bei  Abnahme  von  mind,  lo  Stuck  2o%  Rabatt 
WeiterverkSufer(BuchlSden,Buchhandel)  ko  t   Rabatt 
jeweils  zuzDglich  Versandkosten 

Der  Info  kann  auch  im  Abonnement  bezogen  werden.  BezugsgebUhren  fQr 
das  Jahr  1976(Heft  12  -  15)  DM  15,--  +  DM  2, 80 

Verantwortl ich:  Redakt ionskol lektiv  Info  Sozialarbeit 
Presserechtl  ich  verantwort  I  ich:  Gilnter  Pabst  Offenbach 
Foto:  Rose 
Druck:  hbo-druck  Bensheim 


INFO  SOZIALARBEIT,  Heft  13 


INHALT 

Sozialistisches  BUro: 

Aufruf  zur  Kampagne  gegen  politische  und  okonomische  Unter- 

driickung  und  zum  KongreB  -  Pfingsten  1976 

Redaktionskollektiv: 
KongreBvorbereitungspapier  zur  AG  "Sozialarbeit" 

AKS  Westberlin: 

Sozial pa'dagogische  Arbeit  im  Ougendfreizeitheim 

Herbert  Swoboda: 

Sozialarbeit  und  Jugendarbeitslosigkeit 

Gerd  Rieger: 

Arbeitslose  Jugendliche  im  Jugendzentrum 

Peter  Rich: 

Arbeitslose  Jugendliche  im  Jugendclub 

Traudel   Lucius: 

Auswirkungen  gegenwartiger  Arbeitslosigkeit  auf  die 

Situation  deklassierter  proletarischer  Ma'dchen 

Helmut  Ortner: 

Arbeitslosigkeit  im  Knast 

AKS  Dusseldorf: 

Jugendarbeitslosigkeit  im  Bereich  der  Bewa'hrungshilfe 

Projektgruppe  Munster: 

Jugendarbeitslosigkeit:  Chance  zur  Weiterbildung? 

Elke  Becker: 

Als  Sozial arbeiter  in  der  Provinz 

UJZ  Kornstr. ,  Hannover: 

Parlamentarischer  Kampf  urn  die  Weiterfbrderung 

durch  die  Stadt 

Brief  aus  Portugal  -  Portugal  Solidaritat 

Redaktionskollektiv: 

Repression  und  politische  Arbeit  im  Sozialbereich  - 

Zur  Strategie  im  Arbeitsfeld  Sozialarbeit 

Kleinanzeigen 

Arbei tsgruppe  Jugendarbeitslosigkeit: 
KongreBvorbereitungspapier  zur  AG  "Politische  Jugend- 
arbeit  und  Jugendarbeitslosigkeit" 


Seite  3 

Seite  7 

Seite  9 

Seite  45 
Seite  49 
Seite  55 

Seite  57 
Seite  63 

Seite  65 
Seite  68 

Seite  71 

Seite  76 
Seite  79 

Seite  81 
Seite  92 

Seite  95 


ARBEITSFELDMATERIALIEN 
ZUM  SOZIALBEREICH 


Monika  Fuhrke: 
STAATLICHE  SOZIALPOLITIK 


Eine  Untersuchung 

zur  Entwicklung  des  Systems 

der  Sozialen  Sicherheit  im  Kapitalismus 


Offenbach  im  April  1976  -  Preis  acht  Mark 


Sozialistisches  Biiro : 

AUFRUF  ZUR  KAMPAGNE 

GEGEN  POLITISCHE  UND  OKONOMISCHE  UNTERDROCKUNG 

UND  ZUM  ANTIREPRESSIONS-KONGRESS  -  PFINGSTEN  '76 


Die  politische  und  bkonomische  Unterdriickung  nimmt  in  der  Bundesre- 
publik  immer  groBere  AusmaBe  an.   Die  Auswirkungen  der  Wirtschafts- 
krise  auf  die  arbeitende  Bevolkerung  sind  begleitet  von  sich  ver- 
scha'rfenden  Diszipl  inierungsmaBnahmen  des  Staates,  des  Kapitals  und 
auch  der  groBen  Parteien  gegen  alle,  die  sich  dagegen  zur  Wehr  set- 
zen.   Dabei     handelt  es  sich  nicht  um  Unterdriickung  mit  vorwiegend  di- 
rekter  Gewalt,  wie  sie  flir  faschistische  Staaten  charakteristisch 
ist,  obwohl  auch  die  Formen  des  Einsatzes  der  staatlichen  Gewaltmit- 
tel ,   der  Polizei,des  Bundeskriminalamtes  und  die  Haftpraxis   in  den 
letzten  Jahren  erheblich  brutalisiert  worden  sind.   Es  handelt  sich 
vielmehr  um  eine  "schleichende"  Unterdriickung  durch  spezielle  Ge- 
setze,  Verordnungen,  Rechtsinterpretationen,  Argumentationen  rait 
der   "freiheitl ich-demokratischen  Grundordnung"   (fdGO)   und  administra- 
tive Praktiken,  die  angeblich  dem  Schutze  des  Grundgesetzes  dienen, 
in  Wirklichkeit  jedoch  darauf  zielen,  die  in   ihm  enthaltenen  demokra- 
tischen  Grundrechte  einzuschranken  und  sozial istische  Opposition  in 
der  Bundesrepublik  zu  il legal isieren.  Der  Kreis  der  von  politischer 
Repression  Betroffenen  reicht  inzwischen  liber  Angehorige  soziali- 
stischer  und  kommunistischer  Organisationen  hinaus  und  erfaBt  auch 
aktive  Gewerkschafter  und  linke  Sozialdemokraten.   Kritische  AuBerun- 
gen  haben  vielfach  existentielle  Gefahrdung  durch  Berufsverbot  oder 
politisch  motivierte  Entlassung  zur  Folge.  Duckmausertum,  Vorsicht 
bei  Meinungsa'uBerungen  und  Unterwlirfigkeit  sind  Erscheinungen  der 
Anpassung  an  die  starker  werdende  Repression.   Diese  Wirkung  geht  weit 
Liber  den  Kreis  der  unmittelbar  Betroffenen  hinaus  und  schafft  ein 
Klima  der  Unfreiheit  und  Angst. 

In  den  Betrieben,   Bliros  und  Verwaltungen  hat  sich  im  Verlauf  der 
Wirtschaf tskrise  die  Repression  verstarkt.  Die  hohe  Arbeitslosigkei t 
la'St  die  Herrschaft  des  Kapitals  unverh'u'llter  hervortreten.  Die  Ar- 
beitsleistungen  werden  hochgejagt.  Altere  Kollegen  werden  gegen  jun- 
qere  ausgetauscht,  um  die  Leistungen  zu  heben.  Auslandische  Arbeiter 
sind   noch  starker  als  friiher  der  Willklir  ausgesetzt.   Frauen  werden 
in  die  "stille  Reservearmee"  abgedrangt.  Wo  die  Belegschaf ten  es  sich 
qefallen   lassen,  werden  libertarifliche  Leistungen  gestrichen  und  bis- 
her  bezahlte  Zulagen  vom  Unternehmer  kassiert.  Selbst  Versuche  zur 
Kurzung  der  Tarifldhne  gibt  es.     Der  "stumme  Zwang  der  bkonomischen 
Verhaltnisse"   in  den  Betrieben  wird  durch  die  politische  Repression 
verstarkt.   Wenn  es  irgendwie  geht,  werden  bei    Entlassungen  die  poli- 
tisch und'gewerkschaftlich  aktiven  Kollegen  rausgeschmissen,   so  daB 
selbst  die  gewerkschaftliche  Organisierung  und  erst  recht  die  poli- 
tische Betatigung   in  vielen  Betrieben  sehr  erschwert  wird.       Mit  der 
Argumentation,  daB  den  privaten  Unternehmern  nur  recht  sein  miisse, 
was  fur  den  Staat  mit  seinen  Berufsverboten  und  flir  die  Gewerkschaf- 
ten  mit  den  Unvereinbarkeitsbeschliissen  billig  ist,  wurde  vielen  ak- 


tiven  Kollegen  bereits  der  Arbeitsplatz  genommen. 

Opportunistisches  Sich-Arrangieren  mit  denjenigen,  die  die  Repression 
ausliben  und  die  Hoffnung  auf  ein  "Oberwintern",verstarken  die  Mbg- 
lichkeiten  politischer  Unterdrlickung  ebenso  wie  verzweifelte  Akte 
individueller  Auflehnung  oder  leichtfertiges  Martyrertum  von  linken 
Organisationen.   Der  politischen  Unterdrlickung  kann  nur  wirksam  ent- 
gegengetreten  werden,  wenn  die  individuelle  Angst  in  Widerstand  ge- 
gen  diese  Unterdrlickung  umschlagt,  wenn  dieser  Widerstand  organisiert 
erfolgt  und  wenn  damit  flir  wirksame  politische  Arbeit  Perspektiven 
erbffnet  werden.  Also,   lassen  wir  uns  nicht  durch  die  Repression 
lahmen,  organisieren  wir  den  Widerstand! 

Das  AusmaB  der  politischen  Unterdrlickung  ist  nicht  mehr  nur  Folge 
der  Schwache  der  Arbeiterbewegung  in  der  BRD,  sondern  ist  auch  Zei- 
chen  der  Schwache  der  herrschenden  Klasse.   Konnte  noch  in  den  Jah- 
ren  des  "Wirtschaftswunders"  des  westdeutschen  Kapitalismus  auf  eine 
sehr  breite  Obereinstimmung  mit  dem  herrschenden  System  gerechnet 
werden,  so  ist  mit  dem  deutlichen  Hervortreten  der  Krisenhaftigkeit 
des  Kapitalismus  dessen  scheinbare  Oberlegenheit  nicht  mehr  wie  bis- 
her  gegeben.  Angesichts  schwerer  werdender  wirtschaftlicher  Krisen, 
anhaltender  Massenarbeitslosigkeit,  der  Gefahrdung  der  Real ein kommen, 
gesteigerter  Leistungsanforderungen  und  niedrigerer  staatlicher  So- 
zialleistungen  fUrchten  die  Herrschenden  in  unserem  Land,  daB  die 
Linke  bei  aufbrechenden  Klassengegensatzen  zunehmend  Gehbr  bei  den 
Lohnabhangigen  findet.  Dem  soil  die  Unterdrlickung  jeder  konsequenten 
linken  Opposition  vorbeugen. 

Alle  kapitalistischen  Staaten  sind,  wenn  auch  in  unterschiedl ichem 
AusmaB,  den  zunehmend  schwerer  werdenden  Krisenzyklen  unterworfen. 
Die  Bundesregierung  und  das  westdeutsche  Kapital  versuchen,  um  den 
Krisenfolgen  entgegenzuwirken,  eine  wirtschaftl ich  und  letztlich  auch 
politisch  fuhrende  Stellung  der  Bundesrepublik  gegenuber  den  anderen 
westeuropaischen  Staaten  durchzusetzen.  Dies  flihrt  zu  verstarkten 
Konflikten,  nicht  nur  mit  der  herrschenden  Klasse  in  diesen  Landern, 
sondern  auch  mit  der  Arbeiterbewegung  in  den  westeuropaischen  Lan- 
dern. Gerade  flir  diese  ist  es  ein  alarmierendes  Zeichen,  wenn  die 
tendenzielle  Hegemonialmacht  Bundesrepublik  die  Linke  und  die  demo- 
kratische  Opposition  im  eigenen  Land  zunehmend  unterdrlickt.  Der  Wi- 
derstand gegen  Repression  in  der  Bundesrepublik  muB  deshalb  eine 
enge  internationalistische  Zusammenarbeit  in  Westeuropa  anstreben. 

Bislang  ist  es  den  Herrschenden  in  der  Bundesrepublik  noch  gelun- 
gen,   ihre  RepressionsmaBnahmen  so  darzustellen,  als  betrafen  sie  nur 
eine  kleine  Gruppe  von  "Extremisten".   Breite  Solidarisierungen  hat 
es  daher  nur  in  Einzelfallen  gegeben.  Mit  zunehmender  Schwere  der 
Krisen  des  Kapitalismus  wird  auch  die  Unterdrlickung  zunehmen.  Wir 
mlissen  deshalb  schon  jetzt  darauf  hinarbeiten,  daB  eine  derartige  Ver- 
scharfung,  die  sich  mehr  als  bisher  auch  auf  Sozialdemokraten  und  Ge- 
werkschafter  erstrecken  wird,  uns  nicht  unvorbereitet  trifft. 

Wie  organisiert  man  den  Widerstand?  Wie  verhindert  man  Anpassung  an 
die  Repression?  Die  Einsicht  in  den  Charakter  politischer  Unterdruk- 
kung  allein  hilft  nicht,  wenn  sie  auch  zur  Abschatzung  der  Chancen, 
zum  Begreifen  ihrer  Ursachen  notwendig  ist.  Forderungen  wie  "Weg  mit 

-  4    - 


links 

Sosrialistische  Zeitung 

AKTUELLE  SONDERNUMMER 
MIT  MATERIALIEN, 
ANALYSEN 

UND  EINSCHATZUNGEN 
ZUR  POLITISCHEN 
DISZIPLINIERUNG 
UND  UNTERDROCKUNG 
IN   DER  BRD 


AOS  DEM  INHALT  DER  SONDERNUMMER  •  Stellungnahme  des  Ar- 
beitsausschusses  des  SB  zur  Rolle  der  westdeutschen 
Sozialdemokratie  in  der  gegenwartigen  Phase  der  Repres- 
sion •  Altvater/NeusuB :  Thesen  zum  Zusammenhang  von 
okonomischer  Krise  und  politischer  Unterdrlickung  • 
Arbeitsgruppe  Ruhrgebiet:  Unterdruckung  im  Betrieb  • 
Brand:  Repression  und  Widerstand  in  Betrieb  und  Gewerk- 
schaft  ■  Autorenqruppe :  Repression  im  Schulalltag  -  Er- 
fahrungen  Hamburger  Lehrer  •  SLB- Schu Lgruppe  Frank f urt ; 


Der  Kampf  der  Ernst-Reuter-Schule  gegen  Berufsverbote  • 
Seifert:  Innerer  Feind  und  Restauration  -  Seine  Bestim- 
mung  und  Behandlung  in  der  Geschichte  der  BRD  •  Perels: 


Der  Staat  als  politische  Konfessionsschule?  Das  Bundes- 
verfassungsgericht  und  die  Treuepflicht  der  Beamten  • 
Wiegreffe:  Rechts-  und  Verfassungsentwicklung  in  der 
BRD  seit  1968  auf  dem  Gebiet  der  "inneren  Sicherheit" 
•  Kldnne:  Der  offentliche  Dienst  als  Herrschaftsreserve 
-  Zur  Kontinuitat  des  Antidemokratischen  •  Schneider: 
Zur  Lage  der  Beschaftigten  im  Sffentlichen  Dienst  t 
Hirsch:  "Reformokonomisierung" ,  Repression  und  Wider- 
stand  im  offentlichen  Dienst  •  Ausziige  aus  einem  Inter- 
view mit  Ernest  Mandel  •  Bruckner:  Berufsverbote  -  M6g- 
lichkeiten  der  rechtlichen  Gegenwehr  •  Funk/Werkentin: 
Materialien  zur  Entwicklung  des  innerstaatlichen  Gewalt- 


apparates  -  Polizei,  Bundesgrenzschutz, 


Bundeskriminal- 
amt  u.a.  •  Wesel:  Am  Beispiel  Stammheim  •  Cobler :  Das 
Gesetz  zum  Schutze  des  Gemeinschaftsfriedens  •  Blanke/ 
Narr:  "Kampf  um  die  Verfassung"  oder  "Sozialistische 
Strategie"?  •  Gesprach  mit  Heinz  Brandt  t  Vack:  Ober- 
wintern  in  repressiver  Epoche?  Anmerkungen  zur  Lage- 
einschatzung  fiir  die  westdeutsche  Linke 

64  Seiten,  illustriert,  " links" -Format ,  DM  4.— 
Erhaltlich  gegen  Vorauszahlung  (Briefmarken  beilegen) 
tiber  Sozialistisches  Buro  +  Verlag  2ooo  GmbH 
6o5  Offenbach  4,  Postfach  591         


den  Berufsverboten"  Oder  der  Appell  zur  Verwirklichung  der  Grund- 
rechte  reichen  keineswegs  aus,  auch  rn'cht  Solidaritat  allein  mit  den 
von  der  Repression  unmittelbar  Betroffenen.  Gerade  unter  den  er- 
schwerten  Bedingungen  der  Repression  mussen  wir  eine  offensive  po- 
litische Arbeit  am  Arbeitsplatz  und  im  allgemeinen  politischen  Be- 
reich  entfalten.  Dazu  gehbrt,  Organisationsformen  zu  entwickeln, 
die  zu  einer  Oberwindung  der  Vereinzelung  flihren  und  die  der  Angst 
entgegenwirken,  durch  den  Verlust  des  Arbeitsplatzes  isoliert  und 
politisch  handlungsunfahig  zu  werden.  Fiir  diejenigen,  die  durch  die 
politische  Repression  Oder  als  Folge  der  wirtschaftlichen  Krise  ih- 
ren  Arbeitsplatz  verloren  oder  gar  nicht  erst  gefunden  haben,  muB 
die  Mbglichkeit  geschaffen  werden,  ihre  Qualifikationen  zu  nutzen, 
phantasievoll  und  gezielt  politisch  zu  arbeiten  und  damit  Verein- 
zelung zu  verhindern.  Es  gent  darum,  sich  nicht  einschuchtern  zu  las- 
sen,  sondern  unsere  Fahigkeiten  organisiert  fiir  unsere  Interessen  und 
Zielsetzunqen  einzusetzen. 

Dies  zu  diskutieren,  Ansatzpunkte  vorzustellen,  Erfahrungen  zu  vermit- 
teln  und  gemeinsame  politische  Konsequenzen  zu  Ziehen,  ist  die  Auf- 
gabe  von  Kampagne  und  KongreB  des  Sozialistischen  Biiros  gegen  politi- 
sche und  bkonomische  Unterdru'ckung.  Wir  wollen  mehr  Klarheit  liber 
folgende  Fragen  gewinnen: 

-  Welche  Mbglichkeiten  bestehen  fiir  uns,  die  Bedingungen  fiir  die 
Fortsetzurg  sozialistischer  Orgam'sierung  und  Arbeit  angesichts 
der  verscha'rften  Repression  zu  erhalten? 

-  Wie  kbnnen  wir  an  unserem  Arbeitsplatz,  in  Fabrik,  BUro,  Verwal- 
tung,  Schule  oder  Universitat  den  Widerstand  gegen  verscharfte  bko- 
nomische Ausbeutung  und  politische  Disziplinierung  organisieren? 
Was  sind  unsere  Aufgaben  in  den  Gewerkschaften? 

-  Welche  Mbglichkeiten  bestehen  fiir  arbeitslose  Kollegen  und  Genossen, 
sinnvolle  politische  Arbeit  auszuuben?  Beschaftigte  und  Arbeits- 
lose durfen  nicht  in  einen  entsol idarisierenden  Gegensatz  zuein- 
ander  gerateni 

-  Welche  Mbglichkeiten  des  Basiswiderstandes  durch  Burgerinitiativen, 
Einsatz  aufklarerischer  Publizistik,  Selbsthilfeprojekte,  Auslan- 
derkomitees,  Ougendzentren  und  -initiativen  Oder  Frauengruppen  gibt 
es? 

-  Welche  rechtlichenMbglichkeiten  der  Abwehr  von  Berufsverboten  ha- 
ben wir  trotz  Einschrankung  unserer  Rechte?  Wie  kbnnen  wir  davon 
organisiert  Gebrauch  machen?  Organisieren  wir  unseren  Rechtsschutz 
und  unsere  Rechtsberatung  selbst! 

-  Wie  kbnnen  wir  einen  Sol idaritatsfonds  fiir  die  Betroffenen  der 
Repression  aufbauen?  Wir  miissen  verhindern,  daB  Betroffene  indivi- 
duell  in  Not  geraten.  Wir  wollen  erreichen,  daB  sozialistische 

Sol  idaritat  praktisch  wird! 

-  Wie  kbnnen  wir  den  Protest  gegen  die  politische  Repression  im  In- 
land und  Ausland  wirksam  organisieren?  Wir  mussen  neue  Formen  des 
Protests  entwickeln,  urn  nicht  von  der  politischen  Repression  ka- 
putt  gemacht  zu  werden.  Wir  miissen  unsere  Phantasie  entfalten  und 
sie  als  Waffe  gegen  die  Repression  einsetzen! 


Der  KongreB  ist  nicht  der  SchluBpunkt  unserer  Kampagne  gegen  Unter- 
dru'ckung. Der  KongreB  soil  dazu  beitragen,  daB  der  Protest  gegen  die 
Repression  praktisch  wirksam  wird.  Wir  rufen  deshalb  alle,  die  von 
der  bkonomischen  und  politischen  Repression  betroffen  sind  und  alle, 
die  den  Widerstand  wagen  wollen, auf,  sich  an  der  Kampagne  und  am  Kon- 
greB zu  beteiligen.  Wir  rufen  zu  Kampagne  und  KongreB  auf,  urn  damit 
den  Widerstand  voranzutreiben! 


Redaktionskollektiv: 

ASPEKTE  OKONOMISCHER  UND  POLITISCHER 

REPRESSION  IM  SOZIALBEREICH 

-  Vorbereitungspapier  zum  Antirepressions-Kongress- 


Die  Reformil  lusionen  gerade  fiir  den  Bereich  Jugend-  und  Sozialpolitik 
sind  hin,  der  Traum  von  "unabhangigen  Sachverstandigen" ,  der  nach 
MaBgabe  wissenschaftlicher  Erkenntnisse  fachlich  kompetent  interve- 
niert,   ist  ausgetraumt.  Der  enge  Zusammenhang  von  wirtschaftl icher 
Entwicklung  und  Sozialpolitik  wird  fiir  die  meisten  Sozialarbeiter 
derzeit  hautnah  und  handgreiflich  erfahrbar. 

Warf  bereits  die  aufkommende  Jugendarbeitslosigkeit  alle  Konzeptionen 
fiir  fortschrittliche  Arbeit  im  Jugendfreizeitbereich  Liber  den  Haufen, 
so  haben  heute  massive  Kurzungen  das  Kl ima  im  gesamten  Sozial bereich 
(von  der  Famil  ienfiirsorge  liber  Vorschul-  und  Heimerziehung  bis  hin 
zur  Jugendbildungsarbei t)  einschneidend  verandert.  Wer  jetzt  noch 
aus  Parteinahme  fiir  die  Betroffenen  an  fortschri  ttl  ichen  Ansa'tzen 
festhalt,  wird  mit  einer  ganzen  Skala  von  Repressionen  belegt.   Das 
fangt  schon  an  mit  der  scharferen  Oberprufung  der  simpelsten  Mittelbe- 
willigung  -  wenn  bei spiel sweise  die  von  einer  Sozialarbeiterin  fiir 
eine  Obdachlosenfamil ie  bewilligten  Gardinen  von  dem  Amtsleiter  nach- 
gemessen  werden  -,   setzt  sich  fort  liber  direkte  Einschuchterung, 
daB  ma"  gefalligst  im  Sinne  der  Behbrde  zu  handeln  hatte,  und  macht 
auch  nicht  halt  vor  dem  direkten  RausschmiB  bis  hin  zum  Berufsverbot. 

Die  bkonomische  Krise  verstarkt  die  Nachfrage  nach  materiel len  und 
sozialen  Hilfen  und  legt  den  Stellenwert  fur  die  betroffenen  Lohnab- 
ha'ngigen  wieder  offen,  den  verku'rzte  Analysen  mit  dem  Akzent  auf  der 
psycho-sozialen  Beratung   in  den  vergangenen  Jahren  mit  Vorliebe  ver- 
wischen  wollten.   Die  hbhere  Arbeitsbelastung  fiir  den  Sozialarbeiter 
wird  durch  Stellenklirzungen  zusatzlich  verscharft,  wodurch  die  Qua- 
litat  der  Bemiihungen  des  einzelnen  Kollegen  drastisch  herabgesetzt 
wird,  zum  Nachteil  der  Betroffenen.   Erganzt  werden  diese  MaBnahmen 
durch  sogenannte  Rational isierungen  (z.B.   in  NRW  sollen  die  bisher 
freigestellten  Kindergartenleiterinnen  wieder  in  den  Gruppendienst 
zurlickversetzt  werden),  die  in  ihrer  Konsequenz  fiir  Eltern,   Kinder 
und  Sozialpadagogen  als  Repression  wirksam  werden. 
Gleichzeitig  entsteht  durch  die  Einsparung  von  Stellen  fiir  die  Ab- 
solventen  der  Fachhochschulen  eine  verscharfte  Konkurrenz,  die  nur 
noch  angepaBtes  Nachbeten  der  offiziellen  Strategie  der  Sozialbiiro- 
kratie  als  geeignete  individuelle  Verhal tensweise  erscheinen  la'Bt. 
Andererseits  werden  Berufspraktikanten  auf  voile  Planstellen  gesetzt 
und  somit  die  Einstellung  von  arbeitslosen  Sozialarbeitern  verhin- 

Sozialarbeit  wird  so  auf  ihren  funktionalen  Kern  reduziert,   naml  ich 
sozial-technisches  Disziplinierungsinstrument  gegenuber  der  Arbeiter- 
klasse  zu  sein. 

□en  Sozialarbeitern  und  Erziehern  wird  nachdriicklich  ihre  eigene  Exi- 

-  7  - 


stenz  als  ebenfalls  Lohnabhangige  vor  Augen  gefUhrt.  Hier  besteht 
die  Gefahr,  daB  sich  die  Interessen  der  Sozialarbeiter  von  den  Be- 
diirfnissen  des  "Klientels"  vollstandig  abtrennen  und  sich  in  berufs- 
standischerWeise  gegen  die  Betroffenen  wenden.  Der  Spielraum  flir 
fortschrittliche  Initiativen  und  selbstorganrsierte  Projekte  geht 
zunehmend  verloren.  A1 lenthalben  festzustellende  Resignation  bei 
den  Initiatoren  zeigt  eine  tendenzielle  Verunmbgl ichung  alternativer 
Modelle  sozialer  Arbeit  an,  die  im  Vorgriff  auf  eine  klinftige  Ge- 
sellschaft  sozialistische  Momente  beinhalten.   Damit  drohen  aber  auch 
wichtige  Impulse  flir  die  Arbeit  in  den  traditionellen  Bereichen  der 
Sozialarbeit  verlorefi  zu  gehen. 

Wie  kbnnen  unter  diesen  Bedingungen  Sozialisten  im  Sozialbereich 
wieder  handlungsfahig  werden  und  an  welchen  Punkten  ist  kollektiver 
Widerstand  zu  organisieren?  Diese  Fragen  wollen  wir  auf  dem  Pfingst- 
kongreB  anhand  folgender  Schwerpunkte  diskutieren: 

a)  Orientierung  am  Arbeitsplatz 

Wie  kbnnen  wir  uns  im  Gruppenzusammenhangen  gegenseitig  bei  dem  Pro- 
blem unterstutzen,  den  eigenen  Arbeitsplatz  so  in  den  Griff  zu  be- 
kommen,  da3  anstelle  von  Fatalismus  oder  nicht  einlbsbarer  Anspriiche 
realistische  Handlungsstrategien  entwickelt  und  durchgesetzt  werden 
kbnnen? 

b)  rechtliche  Rahmenbedinqunqen 

Die  Parteinahme  tur  die  Betrottenen  erfordert  gerade  im  Zeichen  der 
Krise  eine  grlindlichere  Auseinandersetzung  mit  den  rechtlichen  Rah- 
menbedingungen  der  materiellen  Hilfeleistungen  sowie  der  Aufsichts- 
und  Kontrollinstanzen;  wichtig  ware  z.B.  die  Erstellung  eines  Leit- 
fadens  flir  die  Beratung  von  Sozialhilfeempfangern  und  Merkblatter 
flir  die  extensive  Ausnutzung  des  BSHG. 

c)  Gewerkschaftsarbeit 

wie  lassen  sich  bestimmte  Arbeitsansatze  mit  einer  linken  Gewerk- 
schaftsarbeit vermitteln,  und  an  welchen  Kriterien  macht  sich  eine 
linke  Strategie  in  der  0TV  fest? 

d)  Orqanisierung  im  Arbeitsfeld  Sozialarbeit  des  SB 

Die  Gruppenzusammenhange  im  Arbeitsfeld  wie  die  Arbeitskreise  Kriti- 
sche  Sozialarbeiter  (AKS)  haben  in  diesem  Zusammenhang  eine  wichtige 
Funktion.  Wie  kbnnen  sie  ihre  Arbeitsweise  auf  die  jetzigen  Anfor- 
derungen  neu  einstellen? 

e)  "Rotarbeit" 

Wir  brauchen  Auffangsstrukturen  flir  arbeitslose  Genossen,  urn  deren 
Qualifikation  nicht  brach  liegen  zu  lassen,  sondern  in  auBerinstitu- 
tionellen  Projekten  einzusetzen.  Hierzu  gehbren  sowohl  Forschungs- 
projekte  als  auch  praktische  Initiativen  (z.B.   Unterstlitzung  von 
Jugendwohnkollektiven,  Beratungsstellen,  Schaffung  von  Arbeits-  und 
Ausbildungsplatze  flir  arbeitslose  Jugendliche) .   Ferner  die  Schaffung 
einer  zentralen  Dokumentations-  und  Auswertungsstelle,  eines  regio- 
nalen  und  uberregionalen  Stellenmarktes  und  eines  Solidaritatsfonds 
zur  materiellen  und  juristischen  Unterstlitzung. 


Arbeitskreis  Kritische  Sozialarbeit, 
Westberlin: 

SOZIALPADAGOGISCHE  ARBEIT  IM  JUGENDFREIZEITHEIM 

-  Zum  Verhaltnis  von  politischem  Anspruch  und  padagogischer  Realitat 


1.  Vorbemerkungen 


Die  Probleme,  mit  denen  sich  der  folgende  Beitrag  beschaftigt,  sind 
ein  Teil  der  Schwierigkeiten,  mit  denen  es  Kollegen,  die  im  AKS 
Westberlin  mitarbeiten,   im  Jugendfreizeitheim  "Prisma"  zu  tun  hatten. 
Als  wir  die  Arbeit  an  diesem  Artikel   begannen,  war  es  zunachst  unse- 
re  Absicht,  uns  Klarheit  Liber  die  politische  Bedeutung  der  Selbst- 
verwaltung   in  Jugendfreizeitheimen  zu  verschaffen.   Ausgangspunkt  un- 
serer  Diskussion  war  dabei  der  gescheiterte  Versuch,  das  JFH  Prisma 
in  Berlin  in  Selbstverwaltung  zu  ubernehmen. 

Als  wir  daran  gingen,  die  Grlinde  dieses  Scheiterns  zu  suchen,  sties- 
sen  wir  auf  eine  Anzahl   Probleme,  die  unserer  Auffassung  nach  bis- 
her  unzureichend  bearbeitet  waren. 

Selbstverwal tung  gait  allenthalben,  auch  uns,  fraglos  als  progres- 
siv,  weil   sich  damit  offenbar  der  Gedanke  der  Reduzierung  staatli- 
cher  Kontrolle  liber  die  Freizeit  der  Jugendlichen  verband.   Dies  gilt 
iedoch  nicht  ohne  Einschrankung.   Insbesondere  die  Tatsache,  daB  der 
Staat  ,   bzw.   im  Falle  des  "Prisma"  das  zustandige  Bezirksamt,  die 
Bereitschaft  signal isierte,  auf  die  Forderungen  nach  Selbstverwal- 
tung  einzugehen  und  mit  den  Jugendlichen  entsprechende  Nutzungsver- 
trage  abzuschlieBen,  veranlaBte  uns,  die  SV-Forderung  noch  einmal 
zu  problematisieren. 

Die  Forderung  nach  Selbstverwal tung   hat,  wie  wir  meinen,  nur  dann 
einen  Sinn,  wenn  sich  mit  ihr  die  Vermittlung  politischer  Erfahrung 
verbindet.  Sie  kann  Teil   eines  sich  politisch  verstehenden  Konzepts 
sein,  wozu  dann  gehbren  wlirde,  die  Jugendlichen  zur  Selbstverwal  tung 
zu  befahigen  und  gleichzeitig  dieses  Konzept  zu  relativieren. 
Unterstellt  man,  uaB  Selbstverwaltung  fur  die  Jugendlichen  in  erster 
Linie  die  Mbglichkeit  bedeutet,  ohne  Kontrolle  Bedurfnissen  nach- 
qehen  zu  kbnnen,  die  sich  anderswo  nicht  befriedigen  lassen,  muB  in 
Frage  gestellt  werden,  ob  Selbstverwaltung,  die  ja  eine  Menge  tat- 
sachlicher  Verwal tungsarbeit  bedeutet,    ihnen  liberhaupt  etwas  nutzt. 
Sie  wiirde  eine  Menge  produktiver  Energie  binden  und  zugleich  dem 
Staat  viel  Arbeit,  vielleicht  sogar  Kosten  abnehmen.  Diesen  Aufwand 
kbnnte  man  nur  dann  rechtfertigen,  wenn  es  sich  erweist,  daB  die  Ju- 
qendlichen  dabei  mehr  profitieren  als  in  einem  gesellschaftl ich 
wenig  relevanten  Bereich  einen  Spielraum  zu  bekommen,  den  sie  auch 
anderswo  haben  kbnnten,   z.B.    in  einer  Wohngemeinschaft. 

Diese  und  andere  Oberlegungen  waren  fur  uns  AnlaB,   uns  zunachst 
nicht  zentral  mit  der  Selbstverwaltungsproblematik  an  sich  zu  be- 
schaftigen,  sondern  uns  zu  fragen,  ob  und  unter  welchen  Umstanden 

-  9  - 


sie  den  Interessen  von  Jugendlichen  entspricht,  und  dabei  von  den 
recht  unterschiedlichen  Auffassungen  des  Inhalts  von  SV  auszugehen. 
SchlieBlich  kann  es  nicht  Selbstzweck  sein,  sich  selbst  zu  "verwal- 
ten",  sondern  es  kann  nur  Mittel  sein,  womit  sich  andere  Intentio- 
nen,  sowohl  der  Jugendlichen,  als  auch  der  Sozialpadagogen,  verbin- 
den.  Welche  sind  das?  Diese  Fragestellung  veranlaBte  uns,  uns  mit 
den  Bedurfnissen  der  Jugendlichen  einerseits,  mit  den  Aufgaben  der 
Sozialpadagogen  ira  Freizeitbereich  andererseits  zu  beschaftigen. 
Wir  gelangten  SchlieBlich  zu  der  Auffassung,  daB  hinter  dem  Gedanken 
der  SV  auf  Seiten  der  Jugendlichen  eine  qanze~A"nzahl  unbefriediqter 
Bedurfnisse  stent,  deren  a  I Igemeinster  Nenner  das  Bedurtnis  ist.  die 
hreizeit  einigermaBen  unkontrolliert  und  ohne  vorgegebene  Programme 
zu  verbringen.  Es  stellt  sich  dann  die  Frage,  welche  Aufgabe  ein 
Sozialpadagoge  dabei  hat. 

So  wurde  in  der  Diskussion  deutlich,  daB  einige  der  oft  schlagwort- 
artig  verkiirzten  Redewendungen  wie:  "an  den  Bedurfnissen  ansetzen", 
"mit  den  Jugendlichen  solidarisch  sein",  "in  Auseinandersetzungen 
mit  dem  Staatsapparat  BewuBtsein  entwickeln  (Konfliktstrategie)", 
nach  denen  man  gehandelt  oder  zu  handeln  geglaubt  hatte,  gar  nicht 
so  eindeutig  und  klar  waren  wie  zunachst  angenommen.  Erst  die  Re- 
flektion  innerhalb  der  Arbeitsgruppe  lieB  uns  das  erhebliche  AusmaB 
an  Schwierigkeiten  und  Widerspriichen  erkennen. 
Gerade  bei  der  Auseinandersetzung  mit  den  Bedurfnissen,  die  wir  in 
unserer  Aufarbeitung-weitgehend  theoretisch  abgehoben-anaegangen  sind, 
wird  deutlich,  wie  schwierig  es  ist,  theoretisch  Erarbeitetes  auf  die 
stattgefundene  Praxis  zuruckzubeziehen  oder  gar  in  konkrete  Hand- 
lungsanweisungen  fiir  zuklinftiges  Arbeiten  umzusetzen. 

Die  von  uns  geteilte  Auffassung,  daB  Lernprozesse  notwendigerweise 
zu  Konflikten  mit  der  gegenwa'rtigen  Realitat  von  Staat  und  Gesell- 
schaft  fiihren,  ist  in  den  letzten  Jahren  oft  zu  einer  verkiirzten 
"Konfliktstrategie"  ganacht  worden,  derzufolge  der  Konflikt  zum 
Ausgangspunkt  von  Lernprozessen  gemacht  wurde.  Unter  dem  weitver- 
breiteten  Druck,  sich  politisch  legitimieren  zu  miissen,  wurde  ins- 
besondere  von  Sozialpadagogen  ein  falsches  Konfliktverstandnis  ent- 
wickelt. 

Das  zeigt  sich  daran,  daB  nicht  die  aktuellen  Erscheinungs-  und  Ver- 
mittlungsformen,  in  denen  die  Jugendlichen  ihre  Konflikte  erleben, 
zum  Ankniipfungspunkt  weitergehender  Lernprozesse  gemacht  wurden, 
sondern  der  Konflikt  mit  dem  Staatsapparat  unmittelbar  gesucht  wur- 
de. Die  Konfliktstrategie,  miBverstanden  als  Konfrontationsstrategie 
mit  dem  Staat,  muB  aber,  wenn  sie  in  einem  isolierten  Bereich  be- 
trieben  wird,  notwendigerweise  zum  Rlickschlag  fiihren.  Der  Staatsap- 
parat ist  durchaus  "lernfahig"  und  in  der  Lage,  ungeniigend  ibgesi- 
cherte  Vorstbfte  abzuwehren.  Was  dann  als  Lernerfolg  dabei  neraus- 
kommt,  kann  nur  allzuleicht  das  Gegenteil  des  urspriinglich  Intendier- 
ten  sein:  statt  der  Veranderbarkeit  der  Gesellschaft  wird  die  eige- 
ne  Ohnmacht  noch  einmal  erfahren. 

Die  generelle  Fragestellung,  ob  namlich  die  im  Freizeitbereich  ge- 
machten  Erfahrungen  und  Lernprozesse  Auswirkungen  auf  die  Vera'nde- 
rung  der  Arbeitsbedingungen  haben,  konnte  vnn  uns  nicht  beantwortet 
werden  und  scheint  uns  -  wenn  uberhaupt  -  nur  aufgrund  langfristig 
angelegter  empirischer  Untersuchungen  zu  beantworten  zu  sein.  Eine 

-  lo  - 


einfache  Kausalitat  zwischen  diesen  unterschiedlichen  Bereichen 
kann  jedenfalls  nicht  angenommen  werden.  Ausgehend  von  den  "Prisma"- 
Erfahrungen  haben  wir  uns  zunachst  mit  der  Interessenkonstellation 
beschaftigt,  die  hinter  der  SV-Forderung  steht,  wozu  ein  kurzes  Ein- 
gehen  auf  die  Geschichte  der  Jugendfreizeitheim-Arbeit  in  der  BRD 
nach  1945  notwendig  war.  Die  Bedurfnisproblematik  und  die  Funktion 
des  Sozialarbeiters  im  JFH  sind  dann  die  Schwerpunkte  dieses  Arti- 
kels. 

Derjenige  Leser,  der  hofft,  ganz  konkrete  Arbeitshilfen  in  Form 

von  Arbeitsanweisungen  en  detail  zu  bekommen,  nuB  Enttauschungen 

einkalkulieren. 

Auch  deshalb,  weil  die  jiingste  Entwicklung  die  erheblich  veranderten 

Bedingungen  durch  die  Jugendarbeitslosigkeit  nicht  berucksichtigt 

werden  konnte. 


2.  Zur  geschichtlichen  Entwicklung 

Die  Geschichte  von  Jugendfreizeitheimen  (auch  "Hauser  der  Jugend" 
oder  "Hauser  der  Offenen  Tiir")  beginnt  1945. 

Die  Lage  der  Jugend,  behbrdlich  als  "Jugendnot"  bezeichnet,  stellte 
sich  nach  Kriegsende  in  der  BRD  folgendermaBen  dar:  "Ober  2  Mill. 
Kinder  und  Jugendliche  waren  Heimatvertriebene  und  lebten  z.T.  noch 
in  Lagern  und  Massenunterkiinften,  1,6  Mill,  waren  Waisen  bzw.  Halb- 
waisen.  Es  gab  liber  500  000  jugendliche  Arbeitslose  und  nicht  unter- 
qebrachte  Lehrstellenanwarter.  Ein  Drittel  aller  Kinder  und  Jugend- 
lichen lebte  in  vbllig  unzureichenden  Wohnverhaltnissen. .. 
Die  meisten  Einrichtungen  der  Jugendpflege  waren  zerstbrt  oder  zweck- 
entfretndet,  nur  wenige  standen  fiir  die  Arbeit  zur  Verfugung." 

(Anneliese  Keil,    "Jugendpolitik  und  Bundesjugendplan",   Munchen 
1969,   S.    38) 

Dazu  kam  die  allgemeine  materielle  Notlage,  sowie  auf  der  Ebene  des 
BewuBtseins  die  Erfahrung  des  Kriegsendes,  das  von  der  Mehrheit  der 
Bevblkerung  nicht  als  Befreiung  vom  Faschismus,  sondern  als  Nieder- 
lage  und  Besatzungszeit  verstanden  wurde.  So  bestanden  auf  der  mate- 
riellen  wie  auf  der  BewuBtseinsebene  (Orientierungslosigkeit)  Vor- 
aussetzungen  fiir  ein  "jugendliches  Abweichungspotential",  das  sich 
auf  den  "Wiederaufbau"  stbrend  auswirken  konnte.  "Weg  von  der  StraBe" 
hieB  daher  die  Parole. 

Die  ersten  Freizeitheime  nach  dem  Krieg  wurden  von  den  amerikani- 
schen  Besatzern  finanziert  und  verwaltet  und  waren  zum  einen  gedacht 
als  kontrollierbare  Aufenthaltsorte  der  Jugendlichen,  zum  anderen 
als  Orte  ihrer  ideologischen  Beeinflussung  (Umerziehung  von  der  HJ 
oder  vom  BDM  hin  zum  american  way  of  life).  Die  Jugendfreizeitheime, 
von  denen  in  Westberlin  bis  1954  14  eingerichtet  wurden,  waren  Be- 
standteil  der  Umerziehungskampagne.  Einmal  sollten  sie  diejemgen 
erfassen,  die  sich  nicht  in  Jugendverbanden  organisiert  hatten,  zu- 
aieich  dienten  sie  der  ideologischen  Auseinandersetzung  mit  den 
kommunistischen  und  sozialistischen  Jugendorganisationen. 

Aus  dem  burgerlichen  Selbstverstandnis  der  Ursachen  von  Faschismus 

-  11  - 


war  es  nur  natiirlich,  allem  "Kollektiven"  das  "Individuum"  gegeniiber 
zu  stellen.  Notwendigerweise  resultierte  daraus  eine  Jugendpolitik, 
die  die  Gruppe  nur  als  Sammlung  von  Individuen  ansah,  den  einzelnen 
in  der  Gruppe  zu  starken  suchte  und  damit  ausschlieBen  wollte,  daB 
sich  kollektive  Handlungsmoglichkeiten  entwickelten,  die  als  poten- 
iell  "diktaturanfa'llig"  angesehen  werden. 

Nach  1949  wurden  diese  Freizeitheime  zuna'chst  von  den  Kommunen  u'ber- 
nommen.  Mit  den  Mitteln  des  Bundesjugendplanes  und  kommunalen  sowie 
Landeszuschussen  wurden  ab  1950  vor  allem  "freie  Trager"  wie  Kirchen 
und  Jugendverba'nde  beim  Bau  und  der  Unterhaltung  von  Jugendfreizeit- 
sta'tten  gefbrdert. 

In  den  "Gautinger  Beschlussen"  vom  Friihjahr  1953  versuchten  die  in 
der  AGJJ  (Arbeitsgemeinschaft  fiir  Jugendwohlfahrt  und  Jugendpflege, 
heute  AGJ  -  Arbeitsgemeinschaft  fiir  Jugendhilfe)  zusammengeschlosse- 
nen  Trager  einen  gemeinsamen  Nenner  zu  finden.  Zieht  man  in  Leerfor- 
meln  ausgedrlickte  Wiinsche  wie  "Wege  zur  Welt  der  Erwachsenen  zeigen", 
"Gemeinschaftserlebnis  vermitteln",  ab,  bleibt  im  wesentlichen  eine 
Bewahr-  und  Integrationsfunktion  formul iert:  die  Jugendl ichen  sollen 
lernen,  "daB  mit  dem  Erwerb  von  Rechten  auch  die  Obernahme  von  Pflich- 
ten  vorhanden  ist".  Die  Gautinger  Beschliisse  wurden  1955  erganzt 
durch  die  "Frankfurter  Richtlinien",  die  sich  hinsichtlich  der  Ziel- 
bestimmung  nicht  unterschieden  und  ebensowenig  eine  begrlindete  Kon- 
zeption  fiir  die  Arbeit  im  Jugendfreizeitheim  liefern. 
Die  wirtschaftliche  Aufwartsentwicklung  erlaubte  es  auch  den  Arbei- 
ter jugendl ichen,  ihre  Freizeit  im  Sinne  von  Konsumtion  zu  gestalten. 
Die  Jugendpflege  muBte  nuwiehr  erleben,  daB  ihre  Ideologie  "gegen 
den  Kollektivismus"  sich  gegen  die  Jugendpflege,  sowohl  die  Jugend- 
organisationen  der  Parteien  und  Verbande,  als  auch  gegen  Jugend- 
freizeiteinrichtungen  richtete. 

Anstatt  die  Jugendl  ichen  "empfanglich  machen  (zu  kdnnen)  fiir  das 
Wahre,  Gute  und  Schbne",  zogen  sich  diese  in  Spielhallen,  die  kommer- 
ziell  betrieben  wurden,  fiir  die  Jugendpflege  unerreichbar  zurlick. 
Staatliche  Jugendpflege  sah  sich  plbtzlich  dem  Dilemma  gegeniiber, 
Angebote  unterbreiten  zu  miissen,  die  sie  selbst  als  pa'dagogisch  frag- 
wiirdig  ablehnte.  Spielautomaten  wurden  in  die  Heime  gestellt.  Tanz- 
veranstaltungen  losten  die  Spiel-  und  Bastelgruppen  teilweise  ab. 

Die  grundsatzliche  Schwierigkeit  von  Jugendpolitik,  bezogen  auf  Ju- 
gendfreizeitheime,  liegt  darin  begrlindet,  daB  das  Konzept  nur  gelingt, 
wenn  tatsachl iche  Bediirfnisse  von  Jugendl  ichen  aufgegriffen  und  an- 
gemessen  auf  sie  eingegangen  werden,  denn  im  Gegensatz  zur  Schule 
ist  der  Besuch  von  Jugendfreizeiteinrichtungen  freiwillig,  sie  miissen 
also  attraktiv   sein.  Hier  liegt  der  Grund,  warum  (theoretisch) 
das  Prinzip  "an  den  Bediirfnissen  der  Jugendl  ichen  ansetzen",  sich  im 
Rahmen  der  Jugendfreizeitarbeit  allmahlich  durchsetzte  -  theoretisch, 
denn  faktisch  waren  die  Heime  im  Laufe  der  Zeit  nicht  mehr  in  der 
Lage,  den  Bediirfnissen  Jugendlicher  (die  nicht  mehr  einfach  "ein 
Dach  Liber  den  Kopf"  brauchten)  gerecht  zu  werden. 

Fiir  die  jetzige  Lage  in  der  BRD  ist  nicht  nur  die  Konzeptionslosig- 
keit  der  staatlichen  Jugendpolitik  von  Bedeutung.  Allein  der  nach 
wie  vor  giiltige  Subsidiaritatsgrundsatz  "garantiert"  ein  Spektrum 
von  Jugendarbeit,  das  sich  als  totale  Konzeptionslosigkeit  entpuppt. 
Die  Jugendverba'nde  kbnnen  nur  noch  liber  die  Zuschusse  des  Bundesju- 

-   12  - 


gendplanes  existieren:   Voraussetzung  ist  eine  Arbeit,  die  den  Ziel- 
setzungen  der  freiheitlich-demokratischen  Grundordnung  dient,  was 
im  Regelfall  durch  die  Zugehbrigkeit  des  Verbandes  in  den  jeweiligen 

Jugendringen  unterstellt  wird.  

Von  der  rechtsorientierten  "Deutschen  Jugend  des  Ostens     bis  zu  der 
"Sozialistischen  Jugend  Deutschlands  -  Die  Falken  -"  sind  die  Orga- 
nisationen  vertreten  und  werden  gefbrdert.  Die  Konzeptionslosigkeit 
staatlicher  Jugendpolitik  endet  jedoch  regelma'Big  bei  weiter  links 
stehenden  Verba'nden  und  Organisationen:  deren  Aufnahmeantra'ge  (z.B. 
der  FDJ,  SdAJ  usw.)  werden  regelma'Big  abgelehnt. 
Wo  linke  Organisationen  in  die  Jugendringe  aufgrund  formal -demokra- 
tischer  Entscheidungen  aufgenommen  werden,  so  z.B.  die  Westberliner 
FDJ   im  Bezirksjugendring  Steglitz,  versucht  man  kurzerhand,  dem  ge- 
samten  Jugendring  die  Mittel   vorzuenthalten.   Die  Konzeptionslosig- 
keit gilt  jedoch  fur  alle  Einrichtungen.  Was  in  ihnen     zu  geschehen 
hat,   ist  weitgehend  davon  abha'ngig,  was  der  jeweilige  Jugendwohl- 
fahrtsausschuB,  Stadtra'te  etc.   als  sinnvoll    erachten. 

Es  wird  auch  ha'ufig  ubersehen,  daB  Jugendarbeit  sich  nur  zum  gerin- 
nen  Teil  direkt  im  staatlichen  Bereich  abspielt.   So  befanden  sich 
1965  53  2  %  der  Heime  in  kirchlicher  Tragerschaft,  29,5  X  waren  in 
kommunaler  (staatlicher),  9,9  %  in  der  Tragerschaft  von  Freizeit- 
und  Jugendpflegevereinen,  6,5  %  waren  sonstig  (uberwiegend  gewerk- 
schaftlich)  getragene. 

Die  Situation  in  Westberlin,  wo  per  30.12.74  sich  54  Jugendfreizeit- 
einrichtungen in  kommunaler  Tragerschaft  befanden,   ist  demnach  mit 
der  in  der  BRD  nur  sehr  begrenzt  zu  vergleichen. 

nie  rlicklaufigen  Besucherzahlen  Mitte  der  60er  Jahre,  der  Zerfall   der 
herkbmml ichen  Jugendgruppen-  und  Verbandsarbeit,  sowie  die  allge- 
meine  Verunsicherung  innerhalb  des  Staatsapparats  aufgrund  der  stu- 
dentischen  und  anderer  auBerparlamentarischer  Opposition  ermbglich- 
ten  die  Einrichtung  von  Projekten,  die  sich  von  der  traditionellen 
Jugendarbeit  vbllig  unterschieden:   Schuler-  und  Lehrl ingszentren, 
jungarbeiterwohnkollektive  usw. 

Herrschte  in  den  Freizeitheimen  die  groBe  Leere,  so  hatten  diese 
Initiativen  erhebl ichen  Zulauf. 

Im  Gegensatz  zur  traditionellen  Jugendarbeit  setzten  diese  Initia- 
tiven namlich  an  den  Wiinschen  und  Bediirfnissen  der  Jugendl  ichen  an. 
Auf  die  dabei  aufgetretenen  Schwierigkeiten,  Fehlentwicklungen  usw. 
aeht  unser  Artikel   noch  ein.  _  . 

Dort    wo  diese  Initiativen  staatlicherseits  zummdest  tolenert  wur- 
den -  in  Einzelfallen  auch  finanziell   unterstiitzt  -,  begnff  man 
diese  Initiativen  als  kompensatorische  Erziehung. 
Aufqrund  der  Entwicklung  der  letzten  2  Jahre  wissen  wir,  daB  Projek- 
te  der  beschriebenen  Art  heute  kaum  noch  durchzusetzen  sind,   da  wir 
schon  erhebliche  Schwierigkeiten  bei  der  Erhaltung  und  Verteidigung 
der  bestehenden  haben. 

Staatliche  Jugendpolitik  machte  sich  zum  Ende  der  60-er,  Beginn  der 
70-er  Jahre  Gedanken  daruber,  wie  der  Charakter  von  Jugendfreizeit- 
heimbewahreinrichtungen  zu  padagogischen  Einrichtungen  im  Sinne  kom- 
pensatorischer  Erziehung  verandert  werden  kann.  Ausdruck  dafur  sind 
die  diversen  Jugendberichte. 

Neben  einer  qualitativ  veranderten  Jugendarbeit  sollte  vor  allem 
durch  Beratung  und  Intervention  der  Familien  (Eltern  und  Kinder) 


eine  vorbeugende  Arbeit  betrieben  werden.  Ausdruck  dieser  Tendenz, 
die  sich  klar  als  Erga'nzung  zur  MaBnahmefursorge  der  Behbrde  (Fami- 
lienfiirsorge)  begreift,  ist  die  Planung  und  teilweise  bereits  reali- 
sierte  Arbeit  von  Hausern  der  Familie. 

Unter  den  Vorzeichen  wirtschaftlicher  Prosperita't  und  der  damals  zu- 
mindest  theoretisch  gegebenen  Mbglichkeit,  Uber  die  staatliche  Um- 
verteilung  zu  den  erforderlichen  Mitteln  zu  gelangen,  sind  in  vielen 
Bereichen  entsprechende  Konzeptionen  erarbeitet  worden,  deren  Reali- 
sierung  einerseits  aufgrund  der  nun  fehlenden  Mittel  andererseits 
durch  die  massenhafte  Arbeitslosigkeit  weitgehend  gegenstandslos  ge- 
worden  sind. 


3.  Entwicklung  im  "PRISMA" 
Jugendfreizeitheim  in  Berlin— Reinickendorf 

Mit  dem  Erscheinen  der  "Vier  Versuche  zu  einer  Theorie  der  Jugend- 
arbeit"  lbsten  die  Autoren  Mliller,  Kentler,  Mollenhauer  und  Giesecke 
im  Oahre  1964  rege  Oiskussionen  aus,  die  sowohl  in  den  Institutionen 
der  behbrdlichen  Jugendpflege  als  auch  unter  den  Sozialarbeitern  ih- 
ren  Uiederschlag  fand.  Das  Buch  war  der  Auslbser  fur  eine  Tagung  der 
Jugendpflege  Reinickendorf,  die  unter  dem  Thema  "bezirkliche  Jugend- 
pflege als  politische  Aufgabe"  fur  alle  Mitarbeiter  der  Jugendpflege 
1965  stattfand.  Die  vier  Beitrage  bildeten  die  Grundlage  fiir  die  Be- 
ratung  in  Arbeitsgruppen.  Im  Vergleich  zur  praktischen  Arbeit  in 
Form  einer  Bestandsauf nahme  wurden  dann  Vorstellungen  fiir  die  weite- 
re  Arbeit  entwickelt. 

In  einem  Referat  des  Bezirksjugendpflegers  wurden  die  Aufgaben  der 
Jugendpflege  und  die  daraus  resultierende  Arbeit  kurz  skizziert: 
"Die  Jugendpflege  hat  die  Aufgabe,   jungen  Mensahen  die  Zusammenhange 
der  Gesellsohaft  deutliah  und  verstdndliah  zu  maohen,    gteichzeitig 
soil  sie  dem  jungen  Meneahen  die  eigene  Stellung  in  der  Gesellsohaft 
bewuBt  maohen.   Venn  gesellsahaftliahe  Jugendarbeit  geleistet  werden 
soil,   dann  kommt  der  politisahen  Bildung  eine  beeondere  Bedeutung 
zu,   dann  mttssen  Streitgespraahe  oiler  politisahen  Riohtungen  ermdg- 
lioht  werden,  dann  muli  kritisohe  Aufkl&rung  Uber  alte  und  neue  Tabus 
in  der  Industriegesellschaft  geleistet  werden,   dann  muB  Uber  Proble- 
me  einer  umfassenden  Gesohlechtererziehung   -  womit  nicht  nur  aufkla- 
rende  Sexualerziehung  gemeint  ist  -  beraten  werden. 
Um  Beitrage  der  Jugendpflege  zur  Integration  junger  Mensahen  in  die 
Arbeits-  und  Freizeitwelt  zu  leisten,  muB  expansiv  gearbeitet  werden, 
d.  h. ,  wir  mUssen  in  die  Reinickendorfer  Betriebe  gehen.   Hierbei  ist 
nioht  nur  an  die  Mithilfe  oder  DurchfUhrung  von  Betriebsjugendstun- 
den  gedaoht,   sondern  auch  an  Angebote,die  dem  Jugendlichen  unter  Be- 
rUoksiahtigung  seiner  Arbeitswelt  gemacht  werden  kOnnen.    Venn  wir 
uns  ddrtiber  klar  sind,   daB  wir  dem  Jugendliahen  die  Welt  nioht  nur 
Uberschaubar  maohen,   sondern  auch  kritisohe  Aufkl&rung  leisten  wol- 
len,   dann  mUssen  andere  Voraussetzungen  fttr  diese  Jugendarbeit  ge- 
sohaffen  werden."  ("Bezirkliche  Jugendpflege  als  politische  Aufgabe", 
Bezicht  uber  einen  Lehrgang  der  Jugendpflege  Reinickendorf  1965) 

Als  Problemkreise  nennt  die  Zusammenfassung: 

"Die  Rolle  der  Jugendpflege  in  der  Freizeitpddogogik,   der  wirkungs- 
vollere  Einsatz  pSdagogisaher  Yxafte,   Xnderung  der  Organisations- 

-   14  - 


struktur  behordliaher  Jugendpflege,   Bildung sauftrag  der  Jugendpfle*- 
ge,    Verbesserung  der  Kommunikation  zwisahsn  den  Versohiedenen  Ebenen 
jugendpflegerisaher  Arbeit. "  lebenda) 

Die  konkreten  Forderungen  am  SchluB  der  Tagung  bezogen  sich  dann 
auf  eine  Veranderung  der  Planung  und  DurchfUhrung  zentraler  Veran- 
staltungen,  gesicherte    Vorbereitungszeiten,  Intensivierung  der  Ar- 
beit mit  Kindern  und  Jugendlichen,  regelma&ige  Dienstbesprechungen 
und  Fortbildung,  Erstellung  von  Informationsmaterial   fiir  neue  Kolle- 
gen,  die  Schaffung  von  themenzentrierten  Teams  und  die  Vorbereitung 
und  Auswertung  liber  die  soziale  Situation  der  Kinder  und  Jugendli- 
chen im  Bezif.k.   Ein  Clubhaus  fiir  junge  Erwachsene  wurde  ebenso  ge- 
fordert  wie  die  finanzielle     FreizUgigkeit  der  Einrichtungen. 

Die  Arbeitsergebnisse  der  Tagung  und  die  Fortentwicklung  dieser  Er- 
qebnisse  fanden  ihren  Niederschlag  in  einer  Arbeitsgemeinschaft  zur 
Erarbeitung  einer  Konzeption  fiir  ein  "Clubhaus  fiir  junge  Erwachsene". 
Unter  diesem  Arbeitstitel  sollte  ein  Bildungs-  und  Kontaktzentrum 
entstehen,  das  sich  in  seinem  umfassenden  Angebot  auf  Besucher  ein- 
stellt,  die  dieser  Altersgruppe  in  der  Gesellschaft  entsprechen.   Als 
untere  Altersbegrenzung  war  deshalb  das  18.   Lebensjahr  vorgesehen, 
wobei  diese  Begrenzung  auf  die  persbnliche  Entwicklung  bezogen  wer- 
den sollte  und  nicht  absolut  zu  verstehen  war. 

Von  der  Atmosphare  ebenso  wie  von  dem  Angebot  sollte  sich  das  Club- 
haus eindeutig  von  den  bestehenden  Jugendfreizeitheimen  unterschei- 
den.  Es  sollte  zu  einer  Begegnungsstatte  von  jungen  Erwachsenen  al- 
ler'sozialen  und  gesellschaftlichen  Schichten  werden.  Die  Skala  des 
-Angebots  sollte  von  dem  Bereich  der  qual ifizierten  Unterhaltung  bis 
zur  Vermittlung  von  Angeboten  eines  definierten  Bildungsprogramms 
reichen.  Das  Clubhaus  sollte  jedoch  nicht  Hilfsmittel  fur  eine  tota- 
le  Freizeitverplanung  sein.   Nicht  um  die  Ausfiillung  von  Freizeit  sol  1- 


zu  befa'higen. 


Ohne  Abend-  oder  Vol kshochschule  sein  zu  wollen,  sollte  das  Club- 
haus doch  Bildung  vermitteln!  Neben  dem  unterhaltsamen  Programm, 

-  Hilfen  fur  die  Bewaltigung  des  praktischen  Lebensalltags,  insbe- 
sondere  Hobbyaktivitaten; 

-  Aufklarung  Uber  wesentliche  politische,  soziale,  kulturelle,  wirt- 
schaftliche  Fragen  innerhalb  der  bundesrepublikanischen  Gesell- 

Diskussionskreise,  in  den  die  Clubgaste  mit  Persbnlichkeiten  des 
offentlichen  Lebens   konfrontiert  werden. 

Am  12    April  1967  wurde  das  Prisma  erbffnet. 

Die  Besucher  der  ersten  Phase  waren  uberwiegend  Studenten  der  ver- 
schiedenen  Berliner  Universitaten  und  Hochschulen,  sowie  Gymnasia- 
sten     In  dieser  Zeit  wurde  der  Versuch  unternormen,  ein  Programmgre- 
miumzu  bilden,  das  die  kunftigen  Programme  ausarbeitet  und  fur  die 
DurchfUhrung  verantwortlich  ist.  Unter  der  Programmgestaltung  der 
Mitarbeiter  des  "Prisma"  und  der  Jugendpflege  des  Bezirksamtes  fan- 
den u.a.  folgende  Veranstaltungen  statt: 

-  15  - 


Politik  der  USA  -  Rassenunruhen,  Vietnam  usw. ; 

Neues  deutsches  Chanson  -  Mey,  Waderj 

Presse  in  Berlin,  Straf rechtsreform  und  Sexual itat; 

Nahost  (Podiumsd i skuss ion); 

17.  Juni,  Tag  der  deutschen  Einheit  -  Kooperatipn  gegen  Koexistenz; 

Bericht  an  eine  Akademie  -  Kafka,  drei  Interpretat ionen  mit  an- 

schl ieSender  Diskussion. 

Das  Clubhaus  fur  junge  Erwachsene  stand  grundsatzl ich  jedem  offen. 
Alien  eine  Basisgruppe  der  AuSerparlamentarischen  Opposition  (Schiiler 
und  Lehrlinge)  konnte  hier  arbeiten.  Sie  fand  Raum  fUr  ihre  Sitzun- 
gen,  stellte  auf  clubeigenen  Maschinen  ihre  Flugblatter  her  und  ver- 
suchte,  andere  Jugendliche  zu  gewinnen  und  das  Clubprogramm  zu  beein- 
flussen.  Spannungen  blieben  nicht  aus,  weil  nach  und  nach  Jugendli- 
che  erschienen,  die  an  dem  Programm  und  'zwanglos'  geflihrten  Diskus- 
sionen  nicht  interessiert  waren,  sondern  das  "Prisma"  nur  als  Treff- 
punkt  benutzten,  um  dort  ihre  Freizeit  verbringen  zu  kbnnen. 
Diese  Tendenz  hatte  zur  Folge,  daB  viele  der  vorherigen  Stammbesu- 
cher  nicht  mehr  erschienen,  wahrend  die  an  dem  Programm  Desinteres- 
sierten  schwer  ansprechbar  waren.  Eine  Veranderung  setzte  allmahlich 
ein,  nachdem  die  Mitarbeiter  des  Hauses  diese  Besucher  zur  Mitar- 
beit  aufgefordert  hatten  und  sie  immer  wieder  auf  diese  den  Rahmen 
des  Hauses  ausmachende  Aktivitat  hinwiesen. 

Hinzu  kam  der  Druck  der  Administration.  Immer  ha'ufiger  geriet  das 
Jugendamt  in  die  Verlegenheit,  die  Initiativen  und  Aktivitaten  des 
Clubs  da'mpfen  oder  umorientieren  zu  m'Jssen,  weil  bei  verschiedenen 
Stellen,  auf  deren  Wohlwollen  das  Jugendamt  angewiesen  ist  (Jugend- 
wohlfahrtsausschuB,  einzelne  Jugendverbande  und  einzelne  Abgeord- 
nete,  aber  auch  Lehrer  und  Direktoren  der  Schulen  und  die  Presse) 
ein  zunehmendes  MiBtrauen  gegen  den  Club  entstand: 
Man  vermutete  hier  ein  Zentrum  revolutionarer  Jugendgruppen,  ein- 
seitig  beeinfluBtvon  der  APO. 

Um  Angriffen  vorzubeugen,  durften  bestimmte  Flugblatter  im  Club  nicht 
mehr  ausgelegt  werden,  eine  geplante  Diskussion  mit  dem  SDS  muBte 
ausfallen;  bei  den  Programmbesprechungen  versuchten  die  Mitarbeiter 
des  Jugendamtes,  auf  die  willensbildung  der  Clubmitglieder  EinfluB 
zu  nehmen.  Die  jungen  Leute  fiihlten  sich  gehemmt,  es  entstand  bei 
ihnen  der  Eindruck,  doch  nichts  andern  zu  kbnnen,  sie  wurden  lustlos. 
Viele  nahmen  am  Clubleben  nicht  mehr  teil. 


Durch  d 
hinaus 
Eine  im 
"Sexual 
des  "Pr 
auf  die 
anderen 
gendamt 
andert 


ie  Medien  wurde  das  Ende  des  "Prisma"  weit  Liber  Westberlin 
bekannt: 

Club  arbeitende  Basisgruppe  hatte  nach  einem  Seminar  liber 
ita't  im  Jugendalter"  auf  einer  bffentlichen  Veranstaltung 
isma"  Antibabypillen  versteigert.  Dabei  ging  es  einmal  darum, 
sexuelle  Notlage  der  Jugendlichen  aufmerksam  zu  machen,  zum 
sollte  die  fortschrittlich  erscheinende  Konzeption  des  Ju- 
es  Reinickendorf  als  eine  bloBe  liberale  Attitude,  bei  unver- 
autoritaren  Strukturen  im  Ganzen,  entlarvt  werden. 


Der  allgemeinen  Strategie,  auf  dem  Campus  entwickelt,  folgend,  mein- 
te  man, den  Staatsapparat  entlarvt,  an  seiner  verwundbarsten  Stelle 
getroffen  zu  haben,  als  dieser  als  Reaktion  mit  Hilfe  von  Polizeiun- 


-  16 


terstutzung  am  29.1.69  das  Prisma  schloB. 

Zu  einer  Demonstration  gegen  das  Vorgehen  des  Bezirksamtes  fanden 

sich  mehr  Jugendliche  ein,  als  jemals  an  einem  Abend  im  Club  waren. 

"Wie  in  einem  LehrstUck  sind  durch  dieses  Ende  des  Jugendclubs 
"Prisma"  die  Grenzen  jugendpflegerischer  Arbeit  deutlich  geworden. 
Kritisohes  BewuBtsein  sollte  zwar  erzeugt  werden;   in  dem  Augenbliak 
aber,    da  sich  Einstellung  und  Haltung  der  Jugendliahen  in  oppositio- 
nelles  Handeln  umsetzte,   zeigte  sich,   dali  selbst  eine  fortschrittli- 
che  Konzeption  der  Jugendpflege   letztlich  nur  zum  gesellschaftlichen 
Wohlverhalten  erziehen  harm,  weil  sie  dorauf  angewiesen  ist,   dali  Ju~ 
qendliche  sich  mit  einer  bloBen  Akkumulation  kritischen  BewuJStseins 
begnugen  und  praktische  Folgen  fur  spater  aufheben,   wenn  sie    'reif 
genug '  sind,   um  in  den  offiziell  zugelassenen  Institutionen  politisch 
tdtig  zu  werden. "  (Helmut  Kentler) 

H.  Kentlers  Einschatzung  mag  fur  einen  Teil  der  Clubbesucher  zutref- 
fen,  sicherlich  nicht  fur  alle.  Nicht  wenige  Besucher  und  Demonstran- 
ten  fanden  sich  nicht  aufgrund  eines  ausgepragten  BewuBtseins  ein, 
sondern  weil  man  ihnen  :die  Mbglichkeit  genommen  hatte,  im  Club  ihre 
Freizeit  zu  verleben. 

Der  politische  Eklat  der  SchlieBung  hat  weitgehend  eine  Aufarbeitung 
der  anderen  Schwierigkeiten  (insbesondere  die  verschiedenen  Interes- 
sen  der  Besucher  und  die  daraus  resultierenden  unpolitischen  Konflik- 
te)  abgeschnitten,  was  fur  die  weitere  Entwicklung  des  "Prisma"  erheb- 
liche  Folgen  hatte. 

nip  Wiedererbffnunq  des  "Prisma"  im  Frlih.iahr  1970 

Hatte  die  vorangegangene  Konzeption  noch  den  Anspruch,  alien  Club- 
besuchern  etwas  'bieten'  zu  wollen,  wobei  das  Programm  ausschlieB- 
lich  'studentisch'  orientiert  war,  ergab  sich  der  Arbeitsansatz  dies- 
mal  anhand  der  Drogenscene,  die  Zahl  der  Opiatabha'ngigen  in  Westber- 
lin wurde  auf  Zwei-  bis  Dreitausend  geschatzt.  Im  Herbst  1970  hatte 
der  Drogenkonsum  derart  zugenommen,  daB  die  Auseinandersetzung  mit 
diesem  Problem  unumganglich  wurde.  Im  November  war  der  Besucherkreis 
des  "Prisma"  fast  ausschlieBlich  auf  Rauschmittelkonsumenten  redu- 
ziert,  wobei  die  Gruppe  der  Fixer  zunahm.  Zum  Jahresende  war  das 
"Prisma"  zu  einem  der  Umschlagpla'tze  fur  Haschisch,  LSD  und  harte 
Drogen  im  Norden  Berlins  geworden. 

"Wie  wohl  die  meisten  Sozialarbeiter     Wurden  die  damaligen  Mitarbei- 
ter ohne  jede  theoretischen  Kenntnisse  oder  praktischen  Vorbereitun- 
aen  mit  dem  Drogenproblem  konfrontiert,   es  dauerte  zwei  Monate,  bis 
sie  sich  mit  Hilfe  von  Beratern  und  Faahleuten  in  die  Materie  einge- 
arbeitet  hatten."  (Konzeption  des  Jugendzentrums    "Prisma",    unverbf- 
fentlichtes  Manuskript,   Berlin  1971,   S.    Iff) 

Nach  intensiver  Analyse  und  Diskussion  entschloB  sich  das  Team,  der 
"anschwellenden  Rauschgiftwelle"  durch  ein  langfristiges  Hilfsange- 
bot  entgegenzutreten  und  nicht  etwa  durch  Polizeieinsatz  lediglich 
eine  regionale  Verlagerung  des  Treffpunktes  zu  bewirken. 

In  Zusammenarbeit  mit  spezialisierten  Rrzten  und  Psychologen  began- 
nen  die  Sozialarbeiter  ihr  Hilfsprogramm,  das  hauptsachlich  in  Infor- 
mation, Aufklarung  und  Einzelberatungsgesprachen  bestand. 
"  .dabei  begann  sich  die  Problematik  der  Uberaus  rasch  einsetzenden 

-  17  - 


Fixierung  der  Drogenabhangigen  auf  einzelne  Teaimritglieder  sehr 
deutlioh  abzuzeiehnen.  "  (ebenda,   S.   9) 

Da  diese  Fixierung  nur  schwer  abzubauen  war,  kam  es  zu  einer  erheb- 
lichen  Belastung  des  Teams,  das  sich  schlieBlich  der  Arbeit  nicht 
mehr  gewachsen  sah,     zumal  es  feststellen  muBte,  daB  es  in  Berlin 
seinerzeit  keine  weiterfiihrenden  Einrichtungen  gab,  an  die  die  be- 
troffenen  Jugendlichen  hatten  verwiesen  werden  kbnnen.  SchlieBlich 
sah  das  Team  keine  andere  Mbglichkeit,  als  den  Drogenkonsum  im 
"Prisma"  grundsa'tzlich  zu  verbieten.nachdem  auch  die  Bemiihungen  der 
Mitarbeiter, zumindest  den  harten  Drogenkonsum  zu  verhindern.scheiter- 
ten  und   "hochgradig  aggressive  Reaktionen  der  Besucher, die  sioh  in 
planloser  Demolierung  grofier  Teile  der  Inneneinrichtung  entluden, 
erfolgten.  "  (ebenda,  S.    11) 

3.   Phase:  Lehrlingsarbeit 

Fur  die  Konzeption,  die  im  Sommer  71  erarbeitet  wurde  und  die  Grund- 
lage  fiir  die  weitere  Arbeit  sein  sollte,  waren  die  Erfahrungen,  die 
das  Team  vom  Herbst  70  bis  zum  Sommer  71  gemacht  hatte,  maBgebend. 
Aus  den  Erfahrungen  der  Vergangenheit  werden  die  SchlUsse  gezogen: 

1.  daB  therapeutische  Arbeit  und  politische  Arbeit  zugleich  nicht 
moglich  sind; 

2.  daB  die  Arbeit  mit  unterschiedlichen  Zielgruppen  (Schiilern  und 
Lehrlingen)  zugleich  schwierig  werden  wurde; 

3.  erklartes  Ziel   ist  die  Aufhebung  der  Fremdbestimmung  zugunsten  der 
Selbstbestimmung. 

Aus  den  Einschatzungen  heraus  entschloB  man  sich  zur  Konzentration 
auf  die  Bildungsarbeit  mit  Lehrlingen  (Arbeitsplatz,  Familiensitua- 
tion,  Sexual itat). 

Selbstorganisation  der  Besucher  und  ihre  Mitbestimmung  bei  der  Pro- 
grammgestaltung  -  als  Obergangsphase  -  sind  im  Konzept  vorgesehen. 
Weiter  heiBt  es:   "Die  Hauptaufgabe  des  "Prisma"  soil  es  sein,  die 
Entwicklung  kritischen  BewuBtseins  bei  den  Jugendlichen  zu  stimulie- 
ren,  zu  fb'rdern  und  zu  stabil isieren. " 
Als  Bedingungen  des  Gelingens  werden  genannt: 

die  Bildung  eines  seine  Arbeit  standig  reflektierenden  und  korrigie- 
renden  Teams  von  Mitarbeitern,  die  Bildung  fester  Gruppen  unter  den 
Jugendlichen  und  vor  allem  die  Gewinnung  des  Vertrauens  der  Jugend- 
lichen. 


4.  Konflikte  urn  die  Selbstverwaltung  im  "PRISMA" 

Im  Folgenden  soil   schwerpunktma'Big  auf  2  konkrete  Probleme  im 

"Prisma"  eingegangen  werden: 

einerseits  auf  die  Probleme  einer  Selbstverwaltungsgruppe,  anderer- 

seits  auf  die  Probleme  von  Mitarbeitern  untereinander. 

Zur  Erklarung  vorab: 

Beim  Jugendfreizeitheim  "Prisma"  waren  im  April  74  folgende  Mitarbei- 

ter  beschaftigt:   1  Dipl .Politologe,  2  Erzieher  (Sozialarbeiter)  und 

eine  Honorarkraft. 

Die  Besucher  setzten  sich  zu  diesem  Zeitpunkt  aus  Lehrlingen,  Jung- 

arbeitern,  Haupt-  und  Oberschulern  zusammen.  Gemeinsame  Motivation 

dieser  Besucher  war,  wenig  Geld  auszugeben  und  Kontakte  im  "Prisma" 

zu  kniipfen. 

-  18  - 


Zu  den  Schwierigkeiten  unterschiedlicher  Interessen  und  Erwartungen, 
die  die  verschiedenen  Jugendlichen  an  das  "Prisma"   hatten  (die 
einen,  liberwiegend  Oberschliler,  hatten  ein  Interesse  an  politischer 
Arbeit,   die  anderen,  die  zahlenma'Big  uberwiegende  Gruppe,  Lehrlinge 
und  Jungarbeiter,  wollten  Hobbys  nachgehen     Oder  einfach  nur  gammeln), 
dem  dauernden  Konflikt  urn  die  insgesamt  zu  wenigen  Raume,  begrenzten 
finanziellen  Mbglichkeiten  etc.,  kam  das  Problem,  daB  die  im  "Prisma" 
arbeitenden  Sozialpadagogen  ans  Portopee  gefaBt,  namlich  an  ihre  for- 
mulierten  Anspruche,  sich  plbtzlich  der  Widersprlichlichkeit  dieser, 
bezogen  auf  ihre  Person,  ihre  Anstellungsverhaltnisse  usw.,  bewuBt 
zu  werden  begannen. 

Eine  Anfang  1974  entstandene  Selbstverwaltungsgruppe  (SVG),  die  sich 
Uberwiegend  aus  Oberschulern  zusammensetzte,  stellte  ihre  Forderungen: 

-  Uber  die  Raumlichkeiten  verfiigen  und  auch  bestimmen,  welche  Grup- 
pen das  "Prisma"  besucher  kbnnen. 

-  Entscheidungsfreiheit  Uber  die  Gelder  des  Bezirksamts,  Cffnungs- 
zeiten        und  die  Arbeit  der  Mitarbeiter. 

Weiterhin  verlangten  sie  von  den  Mitarbeitern  voile  Solidaritat  in 
etwaigen  Auseinandersetzungen,  auch  wenn  die  Mitarbeiter  die  Verhal- 
tensweisen  der  SV-Gruppe  nicht  billigen  wlirden.  Diese  Ziele  der  SVG 
unterschieden  sich  stark  von  denen  der  Mitarbeiter,  die  so  etwas 
wie  ein  abgesichertes  Mitbestimmungsrecht  liber: 

-  Gestaltung  und  Ausstattung  des  Hauses; 

-  Inhalt  und  Ablauf  des  Programms,  Hbhe  und  Verteilung  der  Mittel; 

-  Auswahl,  Einstellung  und  Entlassung  der  hauptamtlichen  Mitarbeiter 
ha ben  wollten. 

Die  ehrlich  gemeinte  Deklaration,   'Fremdbestimmung'  durch   'Selbstbe- 
stimmung' ablbsen  zu  wollen,  zugleich  aber  deren  Inhalte  zu  bestim- 
men, die  sich  letztendlich  auf  Mitbestimmung  reduzierten,  wurde  von 
den  Jugendlichen  nicht  akzeptiert. 

Weitere  Schwierigkeiten  in  der  Diskussion  urn  die  SV  waren  die  Kommu- 
nikationsschwierigkeiten  und  das  Verhalten  der  Jugendlichen  unterein- 
ander.  Es  herrschte  grbBtenteils  das  Prinzip  der  Starke,  sowohl   im 
geistigen  wie  auch  im  kbrperlichen  Bereich  vor.  Es  fand  ein  gegen- 
seitiges  Ausspielen  statt  und  die  Schwachen  der  anderen  wurden  aus- 
genutzt,wo  es  nur  ging. 

So  kan  es,  daB  die  anfangs  erwahnte  SV-Gruppe  im  Fruhjahr  74  in  2 
Teile  zerfiel,  wobei  die  zwei  Gruppierungen  unterschiedl iche  Auffas- 
sungen  von  Selbstverwaltung  hatten  und  es  nur  dann  zur  Solidaritat 
untereinander  brachten,  wenn  Auseinandersetzungen  mit  einem  "AuBen- 
feind",  z.B.  mit  dem  Bezirksamt,  anstanden.  Ursache  fiir  die  Zersplit- 
terung  der  ohnehin  zahlenma'Big  kleinen  Selbstverwaltungsgruppe  waren 
einerseits die  unterschiedlichen  Inhalte,  die  unter  Selbstverwal- 
tung subsumiert  wurden,  andererseits  der   'Parteienansatz'   bzw.  -nicht- 
ansatz.   In  diesem  Zusammenhang  ist  es  nicht  moglich,  detailliert 
auf  alle  'Varianten'  dieser  scheinbaren  Oder  tatsa'chlichen  politi- 
schen  Unterschiede  einzugehen.  Dies  wird  jedoch  spa'ter,  wenn  es  urn 
die  Darstellung  der  Mitarbeiterkonstellation  geht,  wieder  aufzuneh- 
men  versucht. 

In  den  Vollversammlungen,  in  denen  die  wichtigsten  Entscheidungen  ge- 
troffen  werden  sollten,  reproduzierte  sich  dieses  teilweise  politisch 

-  19  - 


verbramte  Konkurrenzverhaltnis.  Politische  Gruppierungen  ergingen 
sich  in  endlosen  Darstellungen  des  richtigen  Weges,  aber  auch  die 
personliche  Diffamierung  kam  nicht  zu  kurz.  Die  Folge  war,  daB  die 
Jugendlichen,  die  nicht  redegewandt  waren  (vornehmlich  die  Lehrlin- 
ge  und  Jungarbeiter)  und  deren  Interesse  auch  nicht  die  ' internatio- 
nale  Lage'   und  das  Verhaltnis  von   'Jugendfreizeit  in  ihr'  war,  sich 
nicht  mehr  daran  beteiligten;  gefaBte  Beschllisse  blieben  unverbind- 
lich,  waren  ohne  Konsequenzen. 

Zeitweise  gab  es  positive  Ansatze  der  Zusammenarbeit  der   'Fraktionen' , 
so  wurde  z.B.   eine  Zeitung  gemacht,  wurden  Feten  organisiert,  ergab 
sich  ein  hoher  Grad  an  Solidarisierung  der  anderen  Jugendlichen, 
wenn  sich  Selbstverwaltung  als   'Schllisselgewal  t'  darstellt,  also  an 
den  Interessen  der  Mehrzahl  der  Freizeitheimbesucher  ansetzte. 
Bei  der  Auseinandersetzung  urn  die  administrative  SchlieBung  des 
Heimes   'Putte'  war  die  Mehrzahl  aller  Heimbesucher  aktiv  an  den  Aus- 
einandersetzungen  beteiligt.   Der  Versuch,   innerhalb  des  "Prisma" 
zu  la'ngerfristigen  Aufgaben  zu  kommen,  scheiterte  an  den   'Fraktions- 
kampfen'    (und  der  Ratlosigkeit  der  dort  tatigen  Sozialpadagogen?). 
SchlieBlich  wurden  die  Selbstverwaltungsgruppen  aufgerieben,  sie 
fanden  keinerlei  Anklang  mehr  bei  der  Mehrzahl  der  Freizeitheimbe- 
sucher. 


Die  Rockergruppe 

Eine  Rockergruppe,  aus  ca.   18  Mitgliedern  bestehend,  hatte  von  Zeit 
zu  Zeit  im  "Prisma"    'aufgemischt' :  Veranstaltungen  wurden  gestbrt, 
die  Einrichtung  demoliert,  Schlagereien  inszeniert.  Gelenkt  wurde 
diese  Gruppe  von  einem  Anfuhrer,  der  von  den  ihm  seit  langem  bekann- 
ten  Sozialarbeitern  deren  Methoden,  wie  z.B.   Bekraftigungslernen 
und  Gegenkonditionierung  angenommen  hatte.   Er  half  seinen  Leuten 
bei  Schwierigkeiten  mit  Gerichten,  Sozialamt,  Eltern  und  Arbeitsamt. 
Nach  einiger  Zeit  des  "Terrors"  schienen  sich  die  Rocker  integriert 
zu  haben.  Die  Antwort  auf  die  Frage  nach  der  Verhal tensanderung  lau- 
tete  etwa:   "Das   'Prisma'   ist  fur  uns  die  letzte  Mbglichkeit,  einen 
AnschluB  an  die  Gesellschaft  zu  bekoramen.  Wir  wollen  die  Vorurteile 
gegen  uns  abbauen  und  im   'Prisma'  mitarbeiter." 

Auf  BeschluB  der  VV  wurde  die  Gruppe  aufgenommen.  Die  standigen  Mit- 
arbeiter  hatten  zwar  Bedenken,  auBerten  diese  aber  nicht,  zumindest 
nicht  in  grbBeren  Diskussionsrunden  mit  den  Jugendlichen. 
Die  Rockergruppe  arbeitete  zunachst  entscheidend  an  der  Herstellung 
eines  Programms  mit  und  baute  einen  Raum  zu  einer  Teestube  aus. 
Diese  Teestubengruppe  gab  den  anderen  Jugendlichen  wieder  Auftrieb 
zu  neuen  Aktivitaten. 

Je  larger  die  Rockergruppe  im  "Prisma"  war,  je  sicherer  sie  sich 
fiihlte  und  je  mehr  sie  feststellte,  daB  die  anderen  Besucher  Angst 
vor  ihr  hatten  und  kaum  einen  Machtfaktor  darstellten,  desto  star- 
ker brachen  die  alten  Verhal tenswei sen  wieder  durch  (Einschuchte- 
rung  anderer  durch  Prligel,  Randal  ieren  usw. ).  Das  wiederum  lbste 
bei  den  anderen  "Prisma" -Besuchern  Angst  aus,  viele  blieben  weg, 
andere  redeten  der  Rockergruppe  nach  dem  Munde. 

Die  Rockergruppe  sollte  das  "Prisma"  verlassen.  Eine  Bescha'ftigung 
mit  dieser  Gruppe  hatte  bedeutet,  daB  man  die  anderen  Aufgaben  im 

-  2o  - 


"Prisma"  hatte  vernachlassigen  mlissen.  AuBerdem  wurde  die  Chance  - 
auch  aus  der  Erfahrung  in  andern  Jugendfreizeitheimen  heraus  -,  solche 
Jugendlichen  zu  beeinflussen,  als  sehr  gering  eingeschatzt. 
Den  negativen  EinfluB  dieser  Gruppe  den  anderen  Jugendlichen  zu  ver- 
mitteln,  sahen  die  Mitarbeiter  als  ihre  Aufgabe  an.   Dieser  Versuch 
schlug  jedoch  weitgehend  fehl    :  die  Problematik  konnte  nicht  genii- 
gend  vermittelt  werden,  die  Jugendlichen  orientierten  sich  nicht  an 
den  Sozialarbeitern,  sondern  an  den  Rockern.  Am  31.4.74  eskalierte  der 
beschriebene  Konflikt.   Es  kam  zu  schweren  Verwiistungen  und  Ausschrei- 
tungen  im  "Prisma".   Die  SV-Initiative  war  am  Ende,  weil    sie  von  nie- 
mandem  mehr  ernsthaft  getragen  wurde.  Auch  ein  aufgrund  der  Aus- 
schreitungen  sofort  ausgesprochenes  Hausverbot  gegen  die  Rocker  an- 
derte  nichts  mehr. 

Konflikte  im  Team 

Obwohl  man  aufgrund  der  vorherigen  Erfahrungen  wuBte,  daB  weder  die 
personellen  ,  noch  finanziellen,  noch  ra'umlichen  Voraussetzungen 
qegeben  waren,  urn  alien  Interessen  der  unterschiedl ichen  Freizeitheim- 
besucher (einschlieBlich  Rocker)  gerecht  werden  zu  kbnnen,  man. sich 
qanz  bewuBt  auf  die  Lehrlingsarbeit  konzeptionell   beschrankt  hatte, 
konnte  diese  Entscheidung  nicht  durchgehalten  werden,  mit  alien  sich 
daraus  ergebenden,  beschriebenen  Konsequenzen. 

Zu  Konflikten  zwischen  den  Mitarbeitern  kam  es  an  der  Frage  der  Funk- 
tion  von  Sozialpadagogen  im  Jugendfreizeitheim  und  der  Einschatzung 
der  Selbstverwaltungsforderung. 

Die  eine  Fraktion  sprach  vom  "Kampf  um  die  Selbstverwaltung,  den  die 
jugendlichen  gegen  den  Widerstand  des  Bezirksamts  zu  fiihren  hatten. 
Ihre  Aufgabe  sahen  sie  offenbar  vorrangig  in  der  linterstlitzung  die- 
ses Kampfes.  Der  anderen  Fraktion  der  Mitarbeiter  warfen  sie  vor, 
daB  sie  die  "Fahigkeit  und  Bereitschaft  proletarischer  Jugendlicher, 
ihre  Interessen  selbst  wahrzunehmen  und  durchzusetzen"  unterschatzen 
wiirden.  Das  eigene  Engagement  dieser  Fraktion  in  der  Sache  blieb 
abstrakt  und  unverbindlich. 

Das  in  der  Konzeption  des  "Prisma"  formulierte  programmatische 
Selbstverstandnis,  das  hieBrdie  Jugendlichen  zur  "SELBSTBESTIMMUNG" 
zu  befahigen,  wurde  im  Team  nie  richtig  im  Hinblick  auf  seine  Reali- 
sierbarkeit  eingeschatzt.   Weder  wurde  reflektiert, ob  Selbstbestim- 
mung   im  Jugendfreizeitheim  iiberhaupt  ein  real isierba res  Ziel    fst, 
noch  wurden  einzelne  gangbare  Schritte  formuliert. 

Im  September  1972  wurde  zwar  Einigkeit  daruber  erzielt,  daB 

dem  Team  in  bezug  auf  die  gemeinsam  beschlossene  Zielgruppenarbeit 
mit  Schulabgangern  der  Hauptschule,  Auszubildenden  und  Jungarbeitern, 
die  dazu  notwendigen  Kenntnisse  fehlen.   Es  wurde  beschlossen,  sich 
gemeinsam  in  bezug  auf  diese  Zielgruppe  einen  gleichen  Minimalkennt- 
nisstand  anzueignen.  Zu  diesem  Zweck  wurden  arbeitsteilig  dafur  in- 
frage  kommende  Bucher  von  einzelnen  gelesen,  um  anschlieBend  Zusam- 
menfassungen  im  Team  durchzuarbeiten.   Dies  wurde  nicht  konsequent 
durchgeflihrt.   Zur  Abklarung  und  Beseitigung  von  bestimmten^llen 
Teamern  bewuBten  Arbeitsblockierungen  wurde  Oktober  72  eine  Klausur- 
tagung  durchgeflihrt. 
Ein  Aufbrechen  der  Situation  durch  das  gemeinsame  Aufarbeiten  der 

-  21  - 


Spannungen  wurde  dort  scheinbar  erreicht.  Die  Spannungen  und  Vor- 
wiirfe  bestanden  aber  -  wie  sich  danach  herausstellte  -  genauso  wie 
vor  dem  Seminar. 

Es  la'Dt  sich  nicht  mehr  rekonstruieren,  wie  aus  der  vorgesehenen  - 
und  wie  man  heute  sagen  muB  -  abstrakt  und  unklar  gebliebenen  Selbst- 
bestimmung  die  Forderung  nach  Selbstverwaltung  geworden  ist.   Es 
bleibt  nur  eine  folgenreiche  Unterlassung  festzustellen:   die  Selbst- 
verwaltungsforderung  wurde  innerhalb  des  Teams  nicht  politisch  dis- 
kutiert  und  in  Hinblick  auf  mbgliche,  auch  personelle  Konsequenzen 
analysiert.  Das  flihrte  dazu,  daB  die  Auseinandersetzungen  innerhalb 
des  Teams  auf  die  subjektive  Ebene  verlagert,  d.h.  zweifellos  vor- 
handene  politische  und  padagogische  Differenzen  wurden  personali- 
siert  und  psychologisiert. 

Das  niachte  sich  wie  folgt  bemerkbar:   konkrete  Situationen  wurden 
ebenso  wenig  wie  zuvor  dazu  benutzt,  urn  im  Team  zusammen  dariiber  zu 
diskutieren.  Es  wurde  nicht  mit  den  jeweils  Betroffenen  Uber  miGver- 
standliche  Situationen  gesprochen,  sondern  man  verfuhr  -  wie  gehabt  - 
nach  der  Methode,  Gesprache    untereinander  zu  flihren.  Manchmal  fand 
man  sich  in  der  nahe  gelegenen  Curry-Wurst-Bude  zusammen,  um  sich 
gegenseitig  sein  Leid  zu  klagen. 

Diese  Situation  hielt  bis  Februar  73  an.  Ein  Teil  des  Teams  hatte 
sich  in  einer  "konspirativen  Sitzung"  getroffen,  um  unter  sich  Liber 
die  Situation  im  "Prisma"  zu  beraten.  Das  Ergebnis  dieser  Sitzung 
war:  zwei   hauptamtliche  Mitarbeiter  und  drei  Honorarkra'fte  bildeten 
eine  Fraktion  und  postulierten,  die  wissenschaftliche  Mitarbeiterin 
habe  zu  klmdigen.   Der  Team-Rest, zwei  Hauptamtliche,  eine  Honorarkraft, 
wollte  sich  dieser  Forderung  nicht  anschlieBen.  Sie  hielten  die  Griin- 
de  nicht  fiir  stichhaltig,  die  Art  der  Problemlbsung  fur  falsch  und 
fraktionierten  mit  der  Leiterin. 

Hit  den  Jugendlichen  wurde  der  Konflikt  -  wie  sich  spa'ter  herausstell- 
te -  zu  fruh  diskutiert. 

Uenn  wir  sagen,  daB  der  Team-Konfl  ikt  mit  den  Jugendlichen  zu  fru'h 
diskutiert  wurde,  dann  heiBt  das  zuna'chst:  zu  unvorbereitet.  Da  in- 
nerhalb des  Teams  die  Positionen  und  daraus  folgende  Konsequenzen 
nicht  abgeklart  waren,   konnten  sie  auch  den  Jugendlichen  nicht  auf 
einer  sachlichen  politischen  Ebene  vermittelt  werden,  so  daB  die 
Diskussion  mit  den  Jugendlichen    zu  einem  Kampf  um  Machtpositionen 
der  Mitarbeiter  in  der  "Prisma"-Offentl  ichkeit  flihrte,  was  fur  die 
Jugendlichen  nutzlos  war.  Letztendlich  vermittelte  keine  der  Frak- 
tionen  den  Jugendlichen,  daB  ihre  Forderung:   "Selbstverwaltung  ohne 
Sozialpadagogen"  eine  Illusion  war,  weil   sie  die  SchlieBung  des 
Hauses  zur  Folge  gehabt  hatte.  Denn  diese  personelle  Entscheidung 
hatte  gegenliber  dem  Bezirksamt  nicht  politisch  vertreten  werden  kon- 
ne. 

Die  Wiederherstellung  der  Vertrauensbasis  zwischen  den  Mitarbeitern 
konnte  zu  diesem  Zeitpunkt  faktisch  ausgeschlossen  werden,  an  erneu- 
te  Zusammenarbeit  war  nicht  zu  denken. 

Verbitterte  Grabenkampfe  kennzeichnetendie  Situation,  jede  Seite  ver- 
suchte,  urn  jeden  Preis  "Boden"  zu  gewinnen:  die  eine  Fraktion  ver- 
suchte,  die  Starke  der  gegnerischen  Kerngruppe  zu  schwa'chen:  sie 
wandte  sich  an     den  Bezirksjugendpfleger  und  trug  Sorge,  daB  die 

-  22  - 


Vertrage  der  Honorarkra'fte  nicht  verlangert  wurden.  Die  anderen 
hingegen  betrieben  in  anderen  Jugendzentren"Basisverbreiterung". 

Ende  April  erreichte  der  Konflikt  seinen  Hbhepunkt:  beide  Gruppen 
unternahmen  den  Versuch,  die  konzeptionellen  Differenzen  gegenliber 
den  Jugendlichen  und  der  Verwaltung  schriftlich  zu  fixieren.  Dieser 
Versuch,  die  Diskussion  zu  versachlichen,  schlug  fehl.  Stadtrat  und 
Bezirksjugendpfleger  filtrierten  aus  den  vorliegenden  Darstellungen 
die  Oberzeugung,  die  Unmbgl ichkeit  der  Zusammenarbeit  sei  mit  den 
tatsa'chlich  minimalen  Konzeptionsunterschieden  nicht  zu  erkla'ren. 
Damit  war  der  Versuch  gescheitert,  die  Behbrde  parteiisch  zu  engagie- 
ren,  sie  war  nicht  bereit,  sich  fur  die  eine  oder  andere  Seite  zu 
entscheiden.  In  "Prisma"  selbst  war  der  Konflikt  mittlerweile  "aus- 
serhalb  der  Kontrolle"!  Auf  einer  Vollversammlung  Ende  April  73  ge- 
lang  es  keinem  der  Anwesenden  (nicht  dem  Bezirksjugendpfleger,  nicht 
den  Mitarbeitern,  nicht  den  Jugendlichen),  sich  flir  ihre  Argumente 
Gehbr  zu  verschaffen.  Die  Mobil isierungskampagne  zeigte  bedenkliche 
Ergebnisse:  Gruppen,  obwohl  mit  dem  im  "Prisma"  existierenden  Pro- 
blem nicht  vertraut,  dominierten  die  Versammlung.  Bei  vielen  schien 
gar  nicht  mehr  das  Interesse  an  der  Sache  im  Vordergrund  zu  stehen, 
sie  waren  eher  in  der  Hoffnung  auf  ein  spannendes  Spektakel  ins 
"Prisma"  gekomraen.Die  Entwicklung  gewann  ihre  Eigendynamik. 


5.  Zur  Rolle  des  Sozialarbciters  im  Freizeitheim 

"Insbesondere  soil  die  Jugendpflege  Mbglichkeiten  zum  Einliben  einer 
Vielzahl   sozialer  Rollen  (soziales  Lernen)  und  zum  Bewa'ltigen  von 
Konfliktsituationen  privater  und  gesellschaftlicher  Art  anbieten. 
Wichtigste  Voraussetzung  eines  derartigen  sozialen  Verhaltens  sind 
die  Ermoglichung  von  Autonomie,  die  Ermutigung  zur  Mundigkeit  und 
die  Befreiung  von  Angst...  Eine  sich  demokratisch  verstehende  Gesell- 
schaft  muB  es  flir  wichtig  halten,  Konflikte  auszutragen.  Jugendpfle- 
ge soil   daher  Kindern  und  Jugendlichen  die  Mbglichkeit  der  Konflikt- 
austragung  in  der  allta'glichen  gesellschaftlichen  Praxis  aufzeigen." 
(jugendpflegebericht  der  Westberliner  Senatsverwaltung  fiir  Familie, 
jugend  und  Sport,    1973,   S.    3) 

Der  Jugendpflegebericht  flir  Westberlin  muB  neben  Konfliktsituationen 
privater  immerhin  auch  solche  gesellschaftlicher  Art  zur  Kenntnis 
nehmen.  Als  Lbsungsmbgl ichkeit  sieht  er  ein  Feld  -  Jugendfreizeithei- 
me  -,  innerhalb  dessen  Konflikte  ausgetragen  werden  kbnnen,  Autono- 
mie, die  Ermutigung  zur  Mundigkeit  und  die  Befreiung  von  Angst,  un- 
ter 'sozialpadagogischer  Hilfestellung,  erlernbar  sind. 
Dahinter  stent  die  alte  Auffassung  von  Sozialisationsdefiziten,  die 
notwendigerweise  Klassenunterschiede  und  ihre  fluBerungsformen  im 
Verhalten,  bei  der  Artikul  ierung  und  Entstehung  von  Bedlirfnissen, 
leugnen  muB,  will  sie  das  nivellierte  Idealbild  des  mlindigen,  demo- 
kratisch aktiven  Burgers,  der  den  Mittel standsvorstellungen  entspringt, 
aufrechterhalten. 

Staatliche  Jugendpolitik  befindot  sich  immer  in  dem  Dilemma,  in  ihrer 
Arbeit  von  der  Aufteilung  des  staatlichen  Haushalts  abhangig  zu  sein 
und  damit  von  den  Stellen,  in  denen  die  Aufrechterhaltunn  der  be- 
stehenden  Wirtschaftsordnung  notwendigerweise  absolutes  Primat  hat. 

-  23  - 


Nicht  nur  in  den  Zeiten  wirtschaftlicher  Krise,  in  denen  mittels 
Eventual  haushalten,  Steuerverglinstigungen  fiir  Unternehmen,  erheb- 
licher  Einsparungen  im  Bereich  des  sogenannten  Systems  sozialer  Si- 
cherungen  der  wirtschaftliche  Aufschwung  wieder  eingeleitet  werden 
soil,  sondern  auch  in  Zeiten  sogenannter  Hochkonjunktur  stehen  nur 
minimale  Mittel  zur  Verfugung. 

Gegenwa'rtig  befinden  wir  uns  in  einer  Periode,  in  der  nicht  einmal 
der  verbale  Anspruch  aufrecht  erhalten  werden  kann,  stattdessen  an 
den  "Genieinsinn"  appelliert  wird,  der  da  heiBt:  "Unternehmergewin- 
ne  sichern".  (Anmerkung:  Zumindest  in  Westberlin  ist  dieTendenz  der 
Jugendbehorde  zu  erkennen,  in  den  Verwal tungsbezi rken  sich  aus  der 
praktischen  Jugendf  reizei  tarbei  t  zuriickzuzieher, .  Die  Tendenz  a'uBert 
sich,  entgegen  den  formul ierten  Anspruchen  des  Jugendpf legeber ich- 
tes,einerseits  darin,  daB  die  Arbeit  mit  Kindern  (Miniclub)  in  den 
Heimen  absoluten  Vorrang  hat, und  die  Jugendarbeit  an  die  Kirchen  de- 
legiert  wird,  andererseits  modellhaft  'Ha'user  der  Familie1  entstehen, 
in  denen  'vorbeugend'gearbei tet  werden  sol!,  d.h.  durch  Beratung 
und  Therapie  bei  Kindern  und  Eltern  eine  Generation  heranwachst,  von 
der  man  of fensichtl ich  hofft,  daC  sie  die  Schwier igkei ten  der  jetzi- 
gen  Jugendf reizeitheimbesucher  nicht  mehr  haben  wird. 
0a3  diese  Konzept ion  zu  einer  Zeit  zum  Tragen  kommt,  in  der  die  zuneh- 
mende  Jugendarbei tslosigkei t  die  Verwaltung  zu  entsprechenden  MaBnah- 
men  zwingt,  die  gegen! auf iger  Natur  sind,  kann  wohl  nur  damit  er- 
klart  werden,  daB  die  Planung  und  deren  Umsetzung  innerhalb  der  Ver- 
waltung mit  einer  erhebl ichen  zeitlichen  Verzogerung  verbunden  sind. 
Hinzu  kommt,  da3  in  Zeiten  wirtschaftlicher  Krise,  die  hochstens 
noch  Reformen,  die  nichts  kosten,  gestatten,  die  Jugendpol i t i k  bei 
der  SPD  in  den  Hintergrund  treten  la'Bt.  In  diesem  Bereich  ist  z.Zt. 
nichts  zu  holen.  So  ist  es  wohl  auch  kaum  zufallig,  daB  von  den 
12  Westberliner  Bezirken  nach  den  Wahlen  im  Marz  1975  nur  zwei  Ju- 
gendstadtrate  der  SPD  angehBren,  die  Jugendpol i t i k,  die  die  SPD  bis- 
her  als  ihre  politische  DomSne  ansah,  sang-und  klanglos  an  die  CDU 
iiberg  ing .  ) 

Die  Konsequenzen  eines  "progressiven  Anspruchs"  der  Burokratie  und 
ihrer  Unfahigkeit,  diesen  umzusetzen,  schla'gt  voll  in  die  Jugend- 
freizcitheime  durch. 

Die  dort  tatigen  Sozialpadagogen  stehen  zwischen  den  Forderungen  der 
Jugendl ichen,  der  Erwartung  des  Anstellungstragers,  die  "Probleme 
in'den  Griff  zu  bekommen"  und  ihrem  eigenen  Anspruch,  mehr  als  nur 
im  Vorfeld  staatlicher  MaBnahmefursorge  ta'tig  zu  sein. 

Entgegen  dem  durch  die  Medien  und  linken  Publikationen  vermittelten 
Eindruck  ist  der  All  tag  der  Jugendfreizeitheimarbeit  nicht  von  der 
Forderung  nach  Sel bstverwaltung,  der  Besetzung  von  Ha'usern,  die  mit 
oder  ohne  Polizeigewalt  geraumt  werden  oder  aber  fur  die  Jugendar- 
beit erkampft  werden  kdnnen,  bestimmt,  sondern  von  den  Schwierig- 
keiten  der  Sozialpadagogen  gepragt,  sich  den  Jugendl ichen  gegenuber 
ganz  bestimmt  verhalten  zu  mu'ssen  und  zu  wollen  und  zugleich  ihrem 
Dienstherrn  verpflichtet  zu  sein.  Er  ist  bestimmt  von  dem  Konflikt 
der  in  den  Heimen  Tatigen,  den  Freiraum,  den  die  Burokratie  erst 
einmal  einra'umt,  urn  Jugendliche  in  die  Einrichtungen  zu  bekommen, 
sie  sozialpa'dagogisch  beeinflussen  zu  lassen,  so  nutzbar  zu  machen, 
daB  ein  gemeinsamer  LernprozeB  erfolgen  kann.  Er  ist  bestimmt  von 
der  Unmbglichkeit  der  Aufhebung  von  Klassenunterschieden  und  deren 

-  24  - 


Auswirkungen  auf  die  Arbeit,  von  der  Schwierigkeit  Liber  die  verbale 
Erkenntm's  der  "Lebenssituation  der  Arbeiterklasse"  und  der  Notwen- 
digkeit,  diese  zu  verandern,  ganz  praktisch  hinaus  zu  kommen. 

(Anmerkung:    Die  staatliche   Jugendpol it ik  befindet   sich   seit  einigen 
Jahren    in  volliger  Hi  If losigkeit.    Auf  die  Probleme  der   Jugendlichen 
weiB   sie   keine  adaquate  Antwort  mehr   zu   geben,    seitdem  mit  den  Mit- 
teln    traditioneller   Jugendarbeit  die  Ha'user  nicht    zu    fallen   sind. 
In   diesem  Zustand  der  Ratlosigkeit  experiment ierte  sie  notgedrunge- 
nermaBen,    HeB  auch    'linke'    Projekte  zu.   Mit  der   allaemeinen  Ver- 
scharfung   staatlicher   Eingriffe   und    Di szipl inierung   haben    sich  diese 
M8gl  ichkeiten   fur   uns  erhebl ich   reduziert,    hat  der  Druck  auf   beste- 
hende  Projekte  zugenommen,   werden  Angriffe  gegen   sie  nicht  nur  fron- 
tal     sondern  durch  die   Reduzierung   und  den  Wegfall    notwendiger   staat- 
licher  Zuschusse  gefahren.) 

Diese  Schwierigkeiten  verhindern  allzuoft,  daB  uberhaupt  der  vorge- 
qebene  Rahmen  ausgeschopft  wird  und  sich  dann  erweisen  kbnnte,  wie- 
viel   Enanzipation  staatlicherseits  zugelassen  ist  und  welche  Ansatze 
kollektiver  Lernprozesse  geeignet  sind,  daruber  hinauszugehen, 
die  Arbeit  mit  Jugendlichen  mehr  werden  zu  lassen  als  nur  einen  Be- 
reich innerhalb  dessen  die  sonstige  ta'gliche  Hisere  wieder  ertragbar 
wird   ' Fur  den  Sozialpadagogen  bedeutet  dies,  partiell  die  ihm  staat- 
licherseits zugedachte  Rolle  zu  verlassen:  Allerdings  kann  dies  mcht 
so  qeschehen,  wie  es  wahrend  der  letzten  Jahre  haufig  propagiert 
wurde     Eine  Bestimmung  der  Aufgaben  des  Sozialpadagogen,  wie  sie  et- 
wa  in  E  +  K  Nr.   10/11-73  gegeben  wird,  la'Bt  sich  nach  den  Erfahrun- 
aen  der  letzten  Zeit  nicht  aufrechterhalten.   Dort  heiBt  es: 
"Thre  Punktion   (die  der  Sos.Pad.)    liegt  aber  gerade  darin,    dali  sze 
alles  das  unterstiitzen,   was  Selbstorganisation  und  damit  verbundene 
Frfahrungswerte  ermoglioht.    .  . .    Ihr  Verhaltnis  zu  den  Jugendlichen 
\m.P,  Pin  solidarisahes  sein  und  nicht  ein  pSdagogzsches.  "   (B  +  K 
In/il   73     s     42)  Was  uns  an  der  obigen  Forderung  problematisch  er- 
crhtint  'ist  der  linke  Altruismus,  der  darin  steckt. -Was  sollte  denn 
^npndliche  dazu  veranlassen,  das  Solidaritatsangebot  derjenigen  an- 
,,,nPhmen,  die  objektiv  ihre  Kontrolleure  sind,  auch  wenn  sie  es  sub- 
ipktiv  nicht  sein  wollen?  Die  Jugendlichen  haben  recht,  wenn  sie  dem- 
ieniqen  miBtrauen,  der  sich  so  "selbstlos"  fur  ihre  Interessen  ein- 
setzen  will,  dabei  vielleicht  sogar  seinen  Job  riskiert  und  schein- 
bar  keine  eigenen  Interessen  hat. 

nip  "Schlusselszene"  zu  diesem  Problem  wurde  von  Jugendlichen  auf 
dem  Jugendpol itischen  Forum  1974  in  Frankfurt  in  einer  kleinen  Thea- 
tPrszene  dargestellt:  Ein  Sozialarbeiter  erklart  sich  solidansch 
mit  "er  Forderung  der  Jugendlichen  nach  Sel  bstverwaltung     Diese  neh- 
!pn  ihn  beim  Wort  und  verlangen  den  Hausschliissel .  Den  aber  kann  der 
Sozialarbe  ter  nicht  hergeben.ohne  seine  Stellung  zu  riskieren.   Er 
5       nit  drh  zu  erkl'a'ren,  bittet  um  Verstandnis  fur  seine  Situation, 
windet  si        D  e  Ju  endlichen  lassen  nicht  locker,  Stuck  fur  Stuck 
1         sie  den  solidarischen  Genossen  und  locken  den  Funktions- 
traaefhervor     Er  muB  schlieBlich  eingestehen,  daB  er  sein  Solidari- 
tatlversprechen  nicht  einhalten  kann.   Die  Lektion,  mt  der  sich  die 
^nwesenden  Jugendlichen  vom  JUPOF0  verabschiedeten,  war  k  ar:  macht 
keine    nhaltbren  Versprechungen  und  redet  nicht  von  GmlnsHke  t 
Hpr  Interessen,  wo  es  objektive  Interessengegensatze  gibt. ,  Was  in 
Jer  "SchlUssIlszene"  zusaWnbrach.  war  nicht  die  Solidantat,   son- 

-  25  - 


dern  die  Illusion  des  Sozialarbeiters  davon.  Der  Verzicht  auf  eigene 
Intentionen,  die  Verdrangung  eigener  Interessen  und  die  Zwange,unter 
denen  er  selbst  arbeiten  muB.schlagen  auf  ihn  zurlick,  indem  er  im 
entscheidenden  Moment  unglaubwurdig  wird.  DaS  jemand  sich  selbstlos 
flir  ihre  Interessen  einsetzt,  widerspricht  den  Erfahrungen  der  Ju- 
gendlichen.  Wohl  auch  deshalb  wird  das  Solidarita'tsversprechen  so  hart 
auf  die  Probe  gestellt,  weil  man  wissen  will,  was  man  gewinnt,  wenn 
man  sich  von  seinen  bisherigen  Erfahrungen  trennt.  Selten  geschieht 
das  in  so  netter  Form  wie  auf  dem  JUPOFO,  oft  werden  diejenigen,  die 
mehr  versprechen  als  sie  einhalten  kbnnen,  provoziert. 

Die  Realitat  der  Ougendlichen  ist  zu  weit  entfernt  von  der  eigenen 
Realitat, als  daB  sich  gemeinsame  Interessen  konkret  bestimmen  lieBen. 
Die  wirklichen  Differenzen  lassen  sich  nieht  durch  die  theoretische 
Konstruktion  des  "objektiven"  gemeinsamen  Interesses  aus  der  Welt 
schaffen.  Nur  aufgrund  der  vermittelten  Differenz  der  gesellschaft- 
lichen  Stellung  von  Sozialpa'dagogen  und  Jugendlichen  scheint  uns 
ein  Verhaltnis  zu  den  Jugendlichen  liberhaupt  moglich.  Wenn  man  nicht 
nur  Pseudo-Aktivitaten  entfalten  will,  muB  man  sich  auch  dem  BewuBt- 
sein  stellen,  wie  begrenzt  die  Mtiglichkeiten  von  Praxis  gegenwartig 
sind. 


Mi t  der  durch  die  Praxis  zerstbrten  Vorstellung  einer  "sozialisti- 
schen  Beruf spraxis"  ging  die  Strategiefindung  einer  wenigstens  an  be- 
stimmten  Punkten  den  staatlichen  Auftrag  verlassenden  und  uberschrei- 
tenden  Sozialarbeit  einher.  Auch  im  Bereich  der  Jugendfreizeitarbeit 
ist  der  verbale  Anspruch.sich  mit  den  Arbeiterjugendlichen  zu  sol i- 
darisieren,  aufgrund  der  konkreten  Schwierigkeiten  einer  Analyse  un- 
terzogen  worden  (z.B.  in  dem  Aufsatz  von  A.  Diemer  in  "betrifft 
erziehung"  von  Juli  75),  die  die  Widerspriiche  im  Verhaltnis  Sozial- 
padagoge/Arbeiterjugendlicher  berlicksichtigt.  Dies  schlieBt  nicht 
aus,  daS  der  KlarungsprozeB  in  unterschiedliche  Richtungen  innerhalb 
der  Linken  verlaufen  ist.  Wahrend  sich  ein  geringer  Teil  darauf  be- 
schrankt,  die  Phrase  "dem  Volke  dienen"  mit  noch  grbBerer  Vehemenz 
weiter  zu  klopfen,  hat  die  Mehrzahl  der  Linken  den  Versuch  der  Auf- 
arbeitung  von  Erfahrungen  und  der  Entwicklung  von  neuen  Arbeitsan- 
satzen  unternommen,  wie  u.a.  der  Seminarbericht  Uber  Probleme  der 
institutional isierten  JFZ-Arbeit  zeigt  (E  +  K  Nr.   17,  s  l5ff). 
Arbeit  im  Jugendfreizeitheim  bedeutet  flir  den  Sozialarbeiter  zunachst 
-  so  banal  das  klingen  mag,  hier  sei  es  gesagt  -  sich  seinen  Lebens- 
unterhalt  zu  verdienen.  Hat  er  darLiberhinaus  einen  politischen  An- 
spruch,  dann  muB  er  die  Mbglichkeiten  gesellschaftlicher  Veranderun- 
gen  auch  am  Arbeitsplatz  analysieren  und  nutzen.  Es  ware  aber  eine 
Fehleinscha'tzung  zu  glauben,  daB  sich  innerhalb  eines  begrenzten  Sek- 
tors  der  Sozialarbeit  mehr  bewirken  lieBe  als  sich  insgesamt  gesell- 
schaftlich  tut.  Es  ist  aber  moglich  und  notwendig,  den  Veranderungs- 
prozeB  am  Arbeitsplatz  mitzugestalten.  Dieser  ProzeB  beinhaltet  den 
LernprozeB  in  der  Arbeit  mit  Jugendlichen  und  umgekehrt,  aber  auch 
den  Kampf  urn  die  Verbesserung  der  eigenen  Arbeitsbedingungen. 

Wie  die  Aufarbeitung  der  Arbeit  im  "Prisma"  und  in  anderen  Freizeit- 
einrichtungen  deutlich  macht,  sind  es  bestimmte,  sich  wiederholende 
Schwierigkeiten  und  Probleme,  die  die  Arbeit  behindern  und  zu  denen 
man  sich  verhalten  muB.  Auf  einige  soil  an  dieser  Stelle  eingegangen 
werden. 

-  26  - 


Per  institutionelle  Auftrag  von  Sozialarbeit  im  Juqendfreizeitbereich 

staatliche  Jugendpolitik  verfolgt  den  Zweck,  Kinder  und  Jugendliche 
^rmittels  auBerfamiliarer  Erziehung  in  die  Gesellschaft  einzuglie- 
ZZ     Der  "Funktionsverlust"  der  Familie  erfordert  Ersatzeinnchtun- 
™n     wie  Kindergarten,  Vorschulen  und  Jugendfreizeiteinrichtungen. 
q?nd  erstere  vornehmlich,  wie  die  Schule  und  die  Berufsausbildung, 
auf  die  Zurichtung  und  "Qualifizierung"  der  spateren  Arbeitskraft 
»M«erichtet,mit  der  Vermittlung  von  werten  und  Normen  beschaftigt, 
In  dfenen  die  Freizeiteinrichtungen  als  ein  Teil  staatlicher  Daseins- 
!^rsorae  zur  allgemeinen  Sicherung  der  Verwertungsbedirgungen,  in- 
™    °s„  Hie  Bereitschaft  der  Individuen  dazu  starken,  sie  psychisch 
fur  den  A  Hag  wieder  fit  werden  lassen  soil.  Sie  bildet  einen  Rah- 
lln  innerhalb  dessen  ein  Stuck  eigener  Verwirklichung  moglich  sein 
cnll     im  Gegensatz  zum  Produktionsbereich,  wo  man  beim  Gang  durchs 
FabHktor  sich  seiner  Persbnlichkeit  zu  entauBern  hat.  uber  die 
,,!«nirket  der  Realisierung  dieses  Auftrags  ist  bereits  eimges 

5  w!r en.  Han  wurde  aber  den,  Spektrum  staatlicher  Jugendpol Itik 
Richer  nicht  gerecht,  wenn  man  ihr  einzig  die  Erhaltung  und  Zurich- 
V.Z*  Lr  Arbeitsfahigkeit  als  Antriebsmoment  unterstellte.  Vor  al- 
^^shalb  n  cht,  weil  mit  einer  solchen  Erklarung  die  Ansatze 
'^oSress  ver    Jugendpolitik,  wie  sie  z.B.  die  Westberliner  Senats- 

P     aitiinn  fUr  Familie,  Jugend  und  Sport  betreibt,  nicht  erfaBt  waren. 
nt     Srogrel  iven    Anlstze!  die  den  subjektiv  ehrlichen  Anspruch 
I  per  P£nlnz  patorischen  Padagogik  einlbsen  so  1  en     bewirken  jedoch 
e^!tttv  die  Vermeidung  bzw.   Reduzierung  von  Legitimationsverlusten 
t\  It  tehenden  Sy terns,  die  etwa  dadurch  auf treten  kbnnen,  daB  die 
-iLntlicte  Heinungsichtbare  "MiBstande"  der  Jugendpolitik  als  Sy- 
of       ov-cpnpn  interDretiert.   Dies  staatliche  Interesse  an  der  Vermei- 
^na  von  It  i     mat    nsverlusten  kann  fur  eine  weitergehende  politi- 
6Zl  Arbeit  genutzt  werden.  Da  die  administrative^  Organe  selbst 
S-htws     n     wie  im  Detail  Jugendarbeit  auszusehen  hatte,  die  das 
nich    !  7  el   sicherstellt,  bleibt  das  "wie"  wenigstens  punktu- 

oben  genannte  Ziel   sicnerste.     .  verfUgung  stehende  Diszi- 

6  nSungs  n ItSiSf  um  reicht  allemal,  urn  notwendige  'Korrektu- 
ff  durchzusetzen,  wenn  nicht  eine  breite  Solidansierung  dem  gegen- 
ubersteht. 

•   h+  7„fallia  setzt  die  "progressive"  Jugendpolitik  auf  die  grund- 
Nl-tzlich  er  clgre  chere  Interventionsmbgl  ichkeit  (wie  sie  meint) 
5S  Juaendfreizeitheimen.  Unabhangig  davon,  daB  die     klwsische 
c     ^larbeit  sich  schon  lange  als  unfahig  erwiesen  hat  und  trotz 
SoTn     wlthnrtpn  auforund  der  gesellschaftlichen  Verhaltmsse  erweisen 
alI?e  Mb  ete     sec     noch  irmer  Mbglichkeiten,  die  grbbsten  Aus- 
muBte,   bietet  sie  Produktionsweise  wenigstens  partiell  an- 

^nenfz! 1  "helfen"!  gleichzeitig  kontrollierend  und  diszipl  inierend 
zu  wirken. 

c^iaisrhpiter  insbesondere  im  Kommunalbereich  mit  uber- 

Da"aend  r  A  be  t  e'run     im  Jugendfreizeitheim  zwarn.it  den  glei- 

wiegender  ArDeixer  a,  einer  Vielzahl  von 


riegender ^^^Z^l'ai *r  eben  nicht  rait  einer  Vlelzahl  von 

ihe"  lf°a  E6  s  nd        I     'der^e "dieser  "individuellen"  Probleme 
_inzelfallen,  soroer  Vationeller"  gearbeitet  werden  kann. 

Per  G^tPvon  So  itischer  Bedeu  ung,  wenn  man  sich  klar  macht     daB  mit 
°3  SurchkSp?Slisierung  aller  Lebensbereiche  das  Potential  der  KHen- 
?en  notwendigerweise  grbBer  wird.  .  27  . 


Sozialarbeit,  dies  wird  von  biirgerl  ichen  Theoretikern  ininer  wieder 
hervorgehoben,  ist.gemessen  an  ihren  Kosten,  ineffektiv.  Zugleich 
bedarf  man  ihrer,  wie  oben  ausgefiihrt. 

Dieser  klassischen  Sozialarbeit  sind  vor  allem  finanzielle  Grenzen 
gesetzt,  denn  letztendlich  handelt  es  sich  dabei  um  tote  Kosten. 
Nicht  zufa'llig  hat  die  'Einzelfallhilfe'  ihren  Vorrang  an  die  'Grup- 
penarbeit1  abtreten  miissen,  bietet  letztere  doch  die  kostengiinstige- 
ren  Mbgl ichkeiten. 

Staatliche  Jugendfreizeitpolitik  -  darunter  ist  auch  die  anderer 
Trager  zu  verstehen,  die  mittels  staatlicher  Zuschlisse  und  in  staat- 
lichem  Auftrag  stellvertretend  tatig  werden  -  ist     als  eine  Ver- 
bindung  von  klassischer  Sozialarbeit  (Hilfen  und  Disziplinierung 
bzw.  Kontrolle)  und  der  Gestaltung  eines  spezifischen  Lebensbereiches 
(Freizeit)  anzusehen. 

Diese  Verbindung  flihrt  einerseits  dazu,  dap  der  in  diesem  Bereich 
Tatige  von  der  Vielzahl  'individueller'  Schwierigkeiten  erdruckt 
wird,  hat  andererseits  den  Vorteil,  daB  die  sonstige  behordlich  ub- 
liche  Vereinzelung  (der  'Klient'trifft  den  anderen  'Klienten'  hoch- 
stens  beim  Warten  auf  dem  Flur)  schon  von  der  Arbeitsanlage  her  aus- 
geschlossen  ist.  Der  Widerspruch,  Jugendliche  in  Freizeiteinrichtun- 
gen  'sozialpadagogisch  beeinflussen1  zu  lassen,  zugleich  aber  Mbg- 
1  ichkeiten  kollektiven  Lernens  und  Handel ns  rait  einraumen  zu  miissen, 
aie  durch  Kontrolle  und  das  gesamte  Instrumentarium  der  mbglichen 
Disziplinierung  der  Sozialpadagogen  kalkulierbar  gehalten  werden 
soil,  ist  der  wesentliche  Ansatz,  von  dem  linke  Sozialpadagogen  aus- 
gehen  miissen. 

Der  behordlich  angestellte  Sozialpadagoge,  aber  auch  der  bei  einem 
Freien  Trager  angestellte  Freizeitheimarbeiter,  vn'rd  sich  dem  'Erzie- 
hungsauftrag1  immer  nur  in  mehr  oder  weniger  engen  Grenzen  entziehen 
kbnnen.  Insofern  muB  zur  Kenntnis  genommen  werden,  daB  dieses  'Hand- 
langerverhaltnis'  nicht  per  persbnlichem  Kraftakt  aufzuheben  ist. 
Was  allgemeingesellschaftlich  anerkannt  ist,  namlich,  daB  das  subjek- 
tive  Wollen  die  objektiven  Bedingungen  zwar  beeinfluBt,  nicht  aber 
die  objektiven  Gegebenheiten  ersetzen  kann,  scheint  sich  innerhalb 
der  Jugendfreizeitarbeit  nur  sehr  allmahlich  durchzusetzen.  Es  ist 
deshalb  nur  sehr  bedingt  widerspriichlich,  wenn  in  den  vergangenen 
Jahren  trotz  Kenntnis  der  Verhaltnisse  (zumindest  theoretischer) 
viele  Linke  in  den  Jugendfreizeiteinrichtungen  arbeiteten.  Auf  die 
unterschiedlichen  Beweggrlinde  wird  spa'ter  noch  eingegangen. 

Zum  Verhaltnis  Sozialarbeiter  und  Juqendfreizeitheimbesucher 

Eine  wesentliche  Erfahrung  war,  daB  wir  uns  nicht  nur  schwer  taten, 
wenn  es  darum  ging  zu  bestimmen,  an  welchen  Punkten  wir  uns  -  not- 
wendigerweise  gegen  die  Biirokratie  -  mit  den  Jugendl  ichen  zu  soli- 
darisieren  hatten,  wie  diese  Solidaritat  auszusehen  und  welche  Kon- 
sequenzen,  bei  Zugrundelegung  welcher  Kriterien  man  auf  sich  zu  neh- 
men  hatte,  sondern  daB  wir  es  mit  einem  Teil  des  Proletariats  zu  tun 
hatten  und  haben,  das  sich  keineswegs  so  verhalt,  wie  analytisch 
angenommen.  Obwohl  uns  bekannt  war,  daB  die  sogenannte  Entpolitisie- 
rung  ziemlich  erfolgreich  ist,  waren  wir  doch  vom  'Erfolg'  und  des- 
sen  Konsequenzen  bestlirzt.  DaB  Klassenzugehb'rigkeit  und  Klassenbe- 
wuBtsein  durchaus  zwei  verschiedene  Schuhe  sein  kbnnen,  zeigt  sich 
nicht  zuletzt  an  den  auch  bei  Arbeiterjugendlichen  haufig  vorfind- 

-  28  - 


baren  faschistoiden  Denkgdiemata,  die  eben  nicht  allein  per  besserem 
Argument  der  Linken  aufgehoben  werden,  sondern  nur  in  einem  langer- 
fristigen  ProzeB,  innerhalb  dessen  das  emotionale  Verhaltnis  von 
Jugendlichen  zu  den  Sozialpadagogen  haufig  von  entscheidender  Bedeu- 
tung   ist:  die  Erfahrung,  daB  man  sich  auf  den  Typ  verlassen  kann, 
daB  er  sich  fiir  die  Durchsetzung  von  Interessen  der  Freizeitheimbe- 
sucher  (und  nicht  nur  auf  den  Freizeitbereich  beschrankt)   einsetzt. 

Die  wenig  reale  Kenntnis  dessen,  was  proletarischer  Lebenszusanmen- 
hang  tatsachlich  bedeutet,   inwieweit  Arbeit  in  der  Produktion,  die 
dortige  totale  Unmlindigkeit  entsprechendes  Freizeitverhalten  produ- 
ziert  usw. ,  zwingen  den  Sozialpadagogen,  von  den  Arbeiterjugendlichen 
in  einer  Weise  zu  lernen,  die  sich  erheblich  von  dem  ublichen  ver- 
balen  Anspruch  unterscheidet.   Dieses  Lernen,  das  -  entgegen  dogma- 
tischer  Verkiindigung  -  jedoch  ein  gegenseitiges  ist,  bildet  die  Grund- 
lage  fur  einen  ProzeB,  innerhalb  dessen  erst  lang^ristig  die  Um- 
setzung  eines  politisch  bestimmten  Verstandnisses-  von  Padagogik   'Erfol- 
qe'  erkennen  laBt.  Zu  diesem  Lernen  gehbrt,  bestehende  Interessen- 
unterschiede  zwischen  Sozialpadagogen  und  Jugendlichen  nicht  einfach 
unter  den  Tisch  zu  kehren,  zumal  die  Erfahrung  zeigt,  daB  dieses  von 
den  Jugendlichen  auch  langerfristig  nicht  akzeptiert  werden  kann. 

Verdeutlicht  werden  soil  das    an  dem  Beispiel  von  Freizeit  (Jugend- 
liche) und  Arbeit  (Sozialpadagogen).   Es  ist  sicherlich  schwer  zu 
vermitteln,        daB  der  Sozialpadagoge  fur  die  Freizeitgestaltung 
der  Jugendlichen  bezahlt  wird  und  daB  diese  Bezahlung  zur  Reproduk- 
tion  seiner  Arbeitskraft  notwendig  ist.  Khnlich  verhalt  es  sich  mit 
den  Offnungszeiten  der  Einrichtungen.  Hier  hat  der  Jugendliche  not- 
wendiqerweise  ein  Interesse,  seine  Freizeitbedurfnisse  extensiv  zu 
hefriedigen,  wahrend  der  Sozialpadagoge  an  der  Einhaltung  seiner  Ar- 
heitszeit  interessiert  ist,  nicht  nur,  weil  gewerkschaftlich  er- 
kamDfte  Rechte  ira  Freizeitheim  auch  Gultigkeit  haben  mussen,  sondern 
wpil   zur  Reproduktion  der  Ware  Arbeitskraft  des  Sozialpadagogen 
mphr  als  nur  das  Gehalt  erforderlich  ist:  das  Zusammenleben  mit  den 
f-pnossen  in  der  Wohngemeinschaft,  der  Familie  usw.,  sowie  der  politi- 
crhen  Arbeit,  die  nicht  zuletzt  den  drohenden  Identitatsverlust, 
der  sich  in  der  institutionellen  Arbeit  einstellt,  aufzufangen  su- 
chen  muB. 

Am  Beispiel  des  "Prisma"  wird  deutlich,  daB  die  Zusammensetzung  der 
Rpsucher,  ihre  unterschiedlichen  Bedurfnisse,  ihre  Fahig-  und  Un- 
f^hiakeit,  diese  durchzusetzen,  zu  erheblichen  Schwierigkeiten  in 
llr  Arbeit  fUhrte.     In   'Kampf  um  die  Selbstverwaltungl  wesentlich 
von  Oberschulern  getragen,  zeigte  sich,  daB  dort.  wo  eine  Interes- 
sen i dent i tat  gegeben  schien,  namlich  als  die  Mehrzahl  der  Freizeit- 
hPimbesucher  die  Selbstverwaltung  aktiv  forderte,  doch  erhebliche 
nffferenzen  daruber  bestanden,  was  Selbstverwaltung  beinhaltet.   Ging 

c  Hpr  kleineren  Gruppe  um  eine  Verwaltung  in  eigener  Regie,  r.nt 
piaener  Programmgestaltung,  der  Verwaltung  der  Gelder  usw.,  so  ver- 
ctfnd  die  Mehrzahl  der  Besucher,  die  Arbeiterjugendlichen,  unter 
Iplbstverwaltung  -  Schliisselgewalt:  Raume,  in  denen  man  die  Freizeit 
nnkontrolliert  gestalten,  mit  der  Freundin  pennen  kann,  weil  dies 
TehZs  ichen  Verhaltnisse  nicht  zulassen  etc.  Hier  ist  einer  der 
Punkte  erreicht,  an  dem  sich  der  Sozialpadagoge  die  Frage  nach  der 
So'lidarisierung  stellen  muB,  nicht  damit  sich  begnugen  kann,  daB  die 

-  29  - 


Solidarisierung  mit  Jugendlichen  notwendig  und  deshalb  in  jedem  Fall 
vertretbar  ist  (hierbei  wird  von  den  Konsequenzen  im  Verhaltnis  zur 
Burokratie  einmal   vol lig  abgesehen),   sondern  politisch  verantwort- 
lich  handeln  muB,  seine  eigenen  Erfahrungen  einbringen,  die  llbglich- 
keiten  und  Ergebnisse  mit  anderen  besprechen  und  mit  den  Jugendli- 
chen diskutieren  muS- 

Auch  bei  den  bereits  angesprochenen    unterschiedlichen  Bedlirfnissen 
von  Besuchern  aufgrund  ihrer  unterschiedlichen  Klassen-  und  Schicht- 
zugehbrigkeit,  der  daraus  resultierenden  Sozial isation,  muB  der 
Sozialpadagoge  Stellung  beziehen,  diese  Interessen  soweit  zusammen- 
bringen,  daB  ein  gemeinsames  Handeln  mbglich  ist,  eine  Entscheidung 
fur  sich  jut  den  Jugendlichen  fallen. 

Dabei  wirddie  Entscheidung  in  kommunalen  Ra'umen  mit  uberwiegender 
Arbeiterbevblkerung  notwendigerweise  zu  deren  Gunsten  ausfallen  miis- 
sen,  nicht  weil  wir  meinen,  daB  die  Arbeit  mit  Oberschiilern,  Hittel- 
standsjugendlichen  usw.   politisch  nicht  notwendig  und  wichtig  ware, 
sondern  weil  wir  davon  ausgehen,  daB  -  wenn  beides  nicht  mbglich 
ist  -  die  Arbeit  mit  Kindern  und  Jugendlichen  der  Arbeiterklasse  nb- 
tiger  ist.  Damit  soil   nicht  gesagt  werden,  daB  wir  ein  gemeinsames 
Handeln  unterschiedlich  sozial isierter  Kinder  und  Jugendlicher  fur 
unmbglich  halten,  sondern  es  wird  lediglich  auf  die  reale  Situation 
in  den  Freizeitheimen  Bezug  genommen:    fehlende  personelle  und  r'a'um- 
liche  Voraussetzungen,  um  auf  unterschiedliche  Interessen  der  Besu- 
chergruppen  eingehen  zu  kbnnen. 

Der  linke  Sozialpadagoge  kommt  nicht  umhin,  Entscheidungen  (s.o.)  zu 
fallen  und  dabei  seine  Autoritat  geltend  zu  machen.  Nicht  allein 
deshalb,  weil  die  Jugendlichen  Autoritat  erwarten  und  weil  es  gera- 
de  bei  einer  politisch  orientierten  Pa'dagogik  unabdingbar  ist,  For- 
derungen  an  die  Jugendlichen  zu  stellen  und  auf  die  Einhaltung  getrof- 
fener  Obereinklinfte  zu  achten,  sondern  vornehmlich  deshalb,  weil  es 
zum  politischen  Anspruch  dazugehbrt,  eine  erarbeitete  und  an  der 
Praxis  uberprufte  Konzeption  dann  durchzuhalten  und  weiterzuverfol- 
gen,  wenn  sie  im  Interesse  der  Jugendlichen  liegt.  Wo  dies  nicht  pas- 
siert,  besteht  die  Gefahr,  daB  eine  langerfristig  sinnvolle  Arbeit 
zugunsten  spontaner  Entwicklungen  aufgegeben  wird.  Ein  besonders 
negatives  Beispiel  daf'ur  ist  die  Zerstbrung  einer  Wohngemeinschaft 
fur  Straffallige  zugunsten  eines   'Jugendzentrums' .    ("Kippe  kaputt" 

-  "links",   Sozialistische  Zeitung,   Juni   1975)    Das  vbllig  kritiklose 
Eingehen  auf  die  Forderung  von  Jugendlichen,  die  Negierung  eigener 
Bedurfnisse  und  Anspruche  bei  der  Konzipierung  und  Durchflihrung  der 
Arbeit,  hat  in  der  Konsequenz  lediglich  'linkscaritativen'   Charak- 
ter  und  ist  damit  politisch  perspektivlos. 

Das  Team 

Obwohl  im  "Prisma"  eine  Arbeitskonzeption  bestand,  auf  die  alle 
Teammitglieder  'eingeschworen'  wurden,  resultierten  die  meister 
Schwierigkeiten  aus  dem  zeitweise  vbllig  desolaten  Zustand  des  Teams, 
bedingt  durch  die  'kleinen  Alltagsquerelen'  und  die  persbnlichen 
Unzula'nglichkeiten  der  Teamer.  Auch  darin  scheint  das  "Prisma"  bis 
zu  einem  gewissen  Grad  repra'sentativ  zu  sein.  Um  sich  uberhaupt 
zwischen  den  verschiedensten  Anspriichen  (Institution,  Jugendliche, 
eigenen)  verhalten  und  padagogisch  arbeiten  zu  kbnnen,  ist  mehr  als 

-  3o  - 


nur  die  verbale  politische  Obereinstimmung  notwendig. 

Die  Voraussetzung  ist  eine  Obereinstimmung  darliber,  was  innerhalb 
des  Bereichs  mbglich  und  nbtig  ist,  welche  konkreten  Schritte  not- 
wendig sind,  gemeinsame  Zielvorstellungen  auch-tatsachl ich  errei- 
chen  zu  kbnnen.  . 

Entgegen  der  haufig  vertretenen  Auffassung,  daB  die  eine  wesentliche 
Voraussetzung  fur  eine  politisch  orientierte  Pa'dagogik  die  Zusammen- 
arbeit  von  "Linken  schlechthin"  im  Team  ist,  zeigt  sich  am  "Prisma", 
daB  diese  'Zusammenarbeit'   so   'problemlos'  gar  nicht  ist. 
Insbesondere  dann  nicht, 

-  wenn  Teamer  aufgrund  ihrer  Anspruche  die  Effektivitat  ihrer  politi- 
schen Arbeit  ausschl ieBlich  an  der  Anzahl  und  der   'Schwere'   der 
Konflikte  der  Jugendlichen  gegen  die  Burokratie  messen; 
.  wenn  sie  unter  dem  Zwang  der  immer  als  gegeben  unterstellten  Ba- 
sisradi kali  tat  der  BewuBtseinsveranderung  durch  Konfrontation  das 
Primat     einraumen,  egal,  was  bei  den  Einzelnen  in  diesen   'Ka'mpfen' 
dabei  zum  Teufel  geht; 
.  wenn  sie  sich  selbst  zu  politischen  Ma'rtyrern  stilisieren. 

Es  kbnnte  der  falsche  Eindruck  entstehen,  daB  innerhalb  des  Freizeit- 
bereichs  in  Westberlin  die  Linken  das  Bild  beherrschen,  was  nur  sehr 
bedingt  zutrifft.   Vielmehr  hat  man  es  auch  hier  mit  Kollegen  zu  tun, 
die  sich  keineswegs  als  "links"  verstehen.   Insoweit  ist  der  "Prisma"- 
Teamkonflikt  sicherlich  auch  innerhalb  Westberlins  nur  sehr  bedingt 
verallgemeinbar. 

nie  Zuverla'ssigkeit  der  Teamer  ist  von  groBer  Bedeutung,  dazu  gehbrt 
die  Einhaltung  von  Zusagen,  Absprachen,  Punktlichkeit  etc.  Dies  ist 
nicht  nur  im  Interesse  der  Arbeit  unabdingbar,   sondern  auch  deshalb, 
wj.il  Freizeitheimbesucher  die  Teamer  an  ihren  konkreten  Handlungen 
mfUsen     z  B.   kein  Verstandnis  daflir  haben,  daB  ein  Termin,  eine  Ver- 
"^staltung  nicht  eingehalten  werden  kann,  weil   ein  oder  mehrere  So- 
cial Dadaqogen  nicht  punktlich  sind,  oder  Absprachen  nicht  einge- 
halten  werden.  Die  Erfahrung  zeigt,  daB  diese   'persbnlichen  Schwie- 
^akeiten'  auch  unter  Linken  nicht  selten  sind.  Es  ist  sicherlich 
Inch  nicht  zufallig,  daB  neben  dem  politischen  Anspruch, in  der  Ju- 
^ndarbeit  etwas  verandern  zu  wollen,  die  weniger  starke  direkte 
2nntrolle  (im  Verhaltnis  zu  den  Kmtern)  auch  dazu  genutzt  wird,  sich 
^rtfnliche  Freiraume  zu  schaffen,  die  keineswegs  immer  vertretbar 

■nd     Solche  Probleme,  die  inmer  wieder  auftauchen,  mussen  innerhalb 
aIk  Teams  sol idarisch  diskutiert  werden,  dort  aber,  wo  durch  das  Ver- 
bal ten  einzelner  Teammitglieder  die  gesamte  Arbeit  in  Frage  gestellt 
mH  Pine  Bnderung  trotz  Diskussion  nicht  erreichbar  ist,  wird  man  die 
Trennung  vollziehen  mussen.  Wie  die  "Prisma"-Erfahrung  zeigt,  zwin- 

en  notfalls  die  Jugendlichen  die  Teamer,   'klare  Verhaltmsse'   zu 
schaffen. 

7„  diverqierenden  Auffassungen  kommt  es  auch  haufiger  zwischen  fest 
fnaestellten  Teamern  und  solchen,  die  auf  Honorarbasis  arbeiten.   Ober 
f!ces  Problem  wird  in  dem  Seminarbericht  Liber  die  'Probleme  institu- 
♦  ^nalisierter  Jugendfreizeitarbeit'   (b  +  k,  nx.   n,  . 

t1onalisierxe  ^^.^  bericntet.  Hier  soil  deshalb  nur  auf  ein 

t'J!t  hinqewiesen  werden:  Honorarkrafte  sind  regelmaBig  nur  fur  eine 
JegreJzte  Zelt  Im  Heim  tatig.  Sie  koroien  aus  dem  student! schen  Be- 

-  31   - 


reich  (Liberwiegend)  und  sind 
stigen  Berufsperspektive  im_ 
auBerdem  nur  iiber  einen  geri 
halb  der  Blirokratie  verfugen 
arbeiter  zu  diszipl inieren, 
heimbesuchern  auch  auf  subti 
scheiden  (ohne  spektakulare 
'risikobereiter'  und  agieren 


von  daher  weniger  an  einer  langerfri- 
Jugendfreizeitheim  interessiert.  Da  sie 
ngen  Einblick  in  die  Zusammenha'nge  inner- 
i,  insbesondere  deren  Hbgl  ichkeiten,  Mit- 
Auseinandersetzungen  mit  den  Freizeit- 
le  Art  und  Weise  zu  ihren  Gunsten  zu  ent- 
Polizeieinsatze  etc.),  sind  sie  haufig 

auch  entsprechend. 


Die  EinfluBnahme  der  Teamer  und  der  Jugendlichen  auf  die  Einstellung 
und  Entlassung  von  Mitarbeitern  erscheint  als  eine  zentrale  Forde- 
rung,  die  Jugendliche  und  Sozialp'a'dagogen  gemeinsam  vertreten  mu'Bten. 
Wo  ein  solches  Mitspracherecht  nicht  eingeraumt  wird  (wobei  dieses 
aufgrund  der  Personal hoheit  des  Dienstherrn  wohl  nur  infcrmellen 
Charakter  haben  kann),  i st  jede  weitergehend  konzipierte  Arbeit  dem 
Zufall   iiberlassen,  wenn  nicht  gar  unmbglich. 

Was  kann  der  Sozialpadagoge  tun? 

Wir  sind  bereits  am  Beispiel  des  "Prismas"  darauf  eingegangen,  daB 
der  Kampf  der  Jugendlichen  nur  dort  von  ihnen  aufgenommen  wird,  wo 
eine  Veranderung  ihrer  Situation,  die  konkrete  Wahrung  ihrer  Inter- 
ess  en    wobei  es  erst  einmal  unerheblich  ist,  ob  es  sich  urn  von  uns 
definierte  scheinbare,  tatsachliche,  eigentliche,  vordergrundige 
Oder  hintergriindige  Interessen  handelt,  sichtbar  ist.  Hier  liegt  eine 
erhebliche    nicht  nur  pa'dagogische  Verantwortung  derjenigen,  die 
mit  ihnen  in  den  Freizeiteinrichtungen  zusammen  arbeiten.   Fur  den 
Erfolg  des  Kampfes  ist  entscheidend,   inwieweit  die  Solidantat  im 
Stadtteil  herzustellen,  Gegenbffentlichkeit  zu  mobilisieren  ist. 
Entscheidend  ist  auch  die  Einschatzung  des  politischen  Kraftever- 
haltnisses  (wie  verhalten  sich  die  entsprechenden  Gremien:  Jugendwohl- 
fahrtsausschuB,  Komunal-  und  Landesparlamente) ,  wie  ist  die  Kampf- 
bereitschaft  der  Jugendlichen  langerfristig  gesichert,  welche  objekti- 
ven  Grenzen  sind  zu  berucksichtigen.   DaB  es  dabei   zu  Fehleinschatzun- 
qen  durch  die  Teamer  kommt,  ist  durch  die  Praxis  wiederholt  bewie- 
ien    Verschwiegen  werden  kann  auch  nicht,  daB  der  Sozialpadagoge, 
steilt  er  sich  auf  die  Seite  der  Jugendlichen,  mindestens  so  vie! 
wie  diese,  wenn  nicht  mehr  zu  verlieren  hat,  sich,  wenn  auch  in  ra- 
tionalisierter  Form  (er  meint  die  Verwaltung  zu  kennen)  angstlich 
und  bremsend  verhalt.  Deshalb  die  Erfahrungen  des  Sozialpadagogen 
bei  der  Einschatzung  vbllig  negieren  zu  wollen,  wurde  eine  Verken- 
nung  dessen  bedeuten,  was  Jugendliche  auch  vom  Sozialpadagogen  er- 
warten  kbnnen,  namlich,  daB  sich  auf  die  Seite  der  Jugendlichen 
stellen  auch  beinhalten  muB,  ihnen  die  Erfolgsaussichten,  Risiken 
etc.  nitzuteilen.   Diese  Haltung  des  im  Freizeitheim  Tatigen  muB  da- 
durch  objektiviert  werden,     daB    sich  die  politische  Intention  nicht 
nur  auf  das  eigene  Team  reduziert,  sondern  zu  anderen  Freizeiteinrich- 
tungen, Gruppen  im  Stadtteil   (wie  Wohnkollektive,   Initiativgruppen) 
Kontakte  hergestellt  werden.  Dies  scheint  auch  notwendig,  urn  mit  dem 
'Dauerfrust' :  standige  Auseinandersetzung  mit  dem  Anstellungstrager 
(Zerstbrungen  in  der  Einrichtung,  Veranstaltungsinhalte) ,  politisch 
bei  den  Jugendlichen  nicht  schnell  genug  voranzukommen,  unglinstige 
Arbeitszeit  usw. ,  fertig  zu  werden. 

Im  Freizeitheim  trifft  der  Sozialpadagoge  liberwiegend  auf  Jugendli- 


32  - 


che,  die  von  ihren  sonstigen  Lebenszusammenhangen  (Arbeit,  Familie, 
Schule)  dermaBen  frustriert  sind,  daB  sie  in  ihrer  Freizeit  nicht 
auch  noch  mit  Problemen  konfrontiert  werden  wollen.  Sie  wollen  den 
beschissenen  Alltag  vergessen.  Selbst  die  SchlieBung  der  Freizeit- 
einrichtung  -  dem  Ersatzzuhause  -  aktiviert  nicht  in  alien  Fallen. 
Die  Aufklarung  per  Argument  alleine  hilft  hier  nur  selten,  vieles 
geht  nur  u'ber  persbnliche  Kontakte,  durch  die  Intervention  im  Einzel- 
fall,  wie  Beschaffung  von  Wohnraum,  Gesprache  mit  den  Eltern,  RUck- 
sprachen  mit  der  Jugendgerichtshilfe  Oder  dem  Jugendrichter.um  Haft- 
verschonung  zu  erreichen  etc.  Urn  Liberhaupt  solche   'Hilfen'  geben 
zu  kbnnen,  bedarf  es  schon  eines  erheblichen  Vorschusses  an  Vertrauen, 
denn  die  Jugendlichen,  die  die  Erfahrung  gemacht  haben,  daB  Gesprache 
mit  anderen  liber  ihre  Situation  nichts  andern,  teilen  sich  nicht  be- 
reitwillig  mit.  So  befindet  sich  der  linke  Sozialpadagoge  in  dem  Kon- 
flikt,  scheinbar   'klassische  Sozialarbeit1   zu  betreiben  (mit  erst 
einmal   schlechtem  Gewissen,  versteht  sich)  und  unter  einem  Legitima- 
tionszwang  zu  stehen,  der  in  Fragen  von  Genossen  nach  der  politischen 
praxis  gipfelt. 

Und  doch  ist  hier  die  Identitat  mit  der  klassischen  Sozialarbeit  nur 
eine  sehr  oberflachliche,  weil   sie  eine  weitergehende  Zielsetzung 
hat,  ohne  auBer  Acht  lassen  zu  kbnnen,  daB  psychische  Verelendung, 
durch  die  kapitalistische  Produktionsweise  bedingt,  ebenso  wie  die 
Verhinderung  weiterer  Deklassierung  angegangen  werden  mu'ssen.  Wir 
meinen,  daB  es  notwendig  ist,  diese  Gegebenheiten  nicht  zu  negieren. 

Deshalb  darf  bei  diesen  Gegebenheiten  auch  von  einer  politisch  not- 
wendigen  sozialpadagogischen  Arbeit  gesprochen  werden,  nicht  im  Sinne 
hlirgerlicher  Padagogik,  die  meint,  damit  sei  das  Notwendige  getan, 
sondern  in  dem  Wissen,  daB  nur  in  Verbindung  mit  der  Mbglichkeit  einer 
kritischen  Reflektion  des  gesellschaftlichen  Seins  und  die  Erkenntnis 
in  die  Notwendigkeit  von  Vera'nderungen  Arbeit  im  Interesse  und  mit 
den  Jugendlichen  mbglich  ist. 

Auch  dann,  wenn  es  nicht  gelingt,  daB  sich  die  Jugendlichen  mit  ihrer 
Lage  auseinandersetzen  und  sich  organisieren,   ist  die  Arbeit  notwen- 
dig und  auch  politisch  sinnvoll. 

Nicht  nur  aufgrund  der  "Prisma"-Erfahrungen  muB  weitgehend  offen  blei- 
hen     ob  im  Rahmen  von  Freizeitarbeit  in  Jugendheimen  die  generelle 
politisierung  der  Besucher  eine  reale  Perspektive  darstellt. 
Frfahrungsgema'B  gelingt  es  nur  einem  kleinen  Teil   der  Besucher,  auf- 
nrund  von  Lernprozessen  politisch  aktiv  zu  werden.  Schon  in  diesen 
wpniqen  Fallen  ist  es  sehr  schwierig  anzugeben,  welche  Einzelfakto- 

en  dazu  beigetragen  haben,  insbesondere  welche  Einflusse  auBerhalb 
a%  Freizeiteinrichtung  (insbesondere  im  Betrieb,  im  Wohnviertel) 

frksam  wurden.  Vbllig  unbeantwortet  bleibt  im  Regelfall   auch  die 
Praae     weshalb  unter  scheinbar  gleichen  Voraussetzungen  eine  Politi- 

•pruriq  erfolgte  bzw.  nicht  erkennbar  war,  wobei   ebenfalls  offen  ist, 

-p  sich  Politisierung  fur  den  Sozialpadagogen  relevant  zu  auBern, 
^nnerhalb  welchen  Zeitraumes  sie  zu  erfolgen  hat,  ob  sie  sich  ube.rhaupt 
•Freizeitheim  auBern  muB  oder  nicht  in  erster  Linie  im  Betrieb  usw. 
cl-fahrunqsqemaB  ist  es  zudem  auBerst  schwierig,  mit  Hilfe  schon  poli- 
*-<:ierter  Jugendlicher  die  Arbeit  in  der  Einrichtung  voranzubringen, 
il   die   'Ungleichzeitigkeit'   politischer  BewuBtwerdung  notwendiger- 
^fise  auch  anders  geartete  Bedurfnisse  produziert. 
JJfcht  selten  reicht  den  politisch  aktiv  werdenden  Individuen  und 

-  33  - 


Gruppen  der  Rahmen  der  Freizeiteinrichtung  nic 
Betrieb  (Gewerkschaft)  oder  im  Stadtteil  (Init 
oder  wollen  gemeinsam  eine  Wohngemeinschaft  bi 
hang  zum  Freizeitheim  wird, wenn  Uberhaupt,  nur 
unverbindlicher  Form  aufrechterhalten. 
Auch  dann,  wenn  sich  solche  Gruppen  weiter  im 
notwendigerweise  an  der  Aufarbeitung  der  sie  i 
me  interessiert,  bilden  sich  im  Laufe  der  Zeit 
heraus,  wird  eine  Verbindlichkeit  in  der  Arbei 
es  schwierig  macht,  'Neue'  zu  integrieren. 

Es  muB  deshalb  als  Frage  an  die  Leser  weitergegeben  werden,  ob  es 
unter  den  geschilderten  Bedingungen  nicht  das  'Schicksal'  der  in  den 
Freizeiteinrichtungen  Arbeitenden  ist,  daB  die  mit  ihrer  Hilfe  poli- 
tisch  bewuBt  gewordenen  Ougendlichen  die  Einrichtung  verlassen  und 
daB  kollektive  Lernprozesse  (bei  quantitativer  und  qualitativer 
DeCkung)  die  Ausnahme  von  der  Regel  bleiben? 


ht,  sie  werden  im 
iativgruppen)  tatig 
lden.  Der  Zusammen- 
in  sehr  lockerer, 

Haus  treffen,  sind  sie 
nteressierenden  Proble- 
Gruppenstrukturen 
t  gefordert  usw.,  die 


6.  Was  heifit,  an  den  BedLirfnissen  ansetzen? 

In  Verbffentlichungen  zum  Thema  Jugendarbeit  ist  eine  haufig  an  zen- 
traler  Stelle  anzutreffende  Forderung,  daB  man  als  Sozialpadagoge 
an  den  Bedurfnissen  der  Jugendlichen  anzusetzen  habe.  Die  alte  For- 
me! der  methodischen  Sozialarbeit,  "anfangen,  wo  der  Klient  stent", 
scheint  damit  eine  durch  den  Bedurfnisbegriff  bezeichnete  Konkretion 
gefunden  zu  haben. 

Die  Schwierigkeit  jedoch,  diese  Formel  in  die  Praxis  umzusetzen,  ist 
durch  die  Redeweise  von  den  Bedurfnissen  nicht  aufgehoben.  Wenn  es 
zunachst  scheint,  als  sei  mit  dem  Bed'u'rfnisansatz  eine  gemeinsame 
Erfahrungsbasis  von  Jugendlichen  und  Sozialarbeitern  gegeben  und  da- 
mit die  Verstandigung  erleichtert,  so  wird  die  Sache  in  dem  Moment 
schwierig,  wo  dieser  Ansatz  zur  Grundlage  eines  Arbeitskonzepts  wer- 
den soil.  Was  anscheinend  sinnliche  GewiBheit  ist,  zu  wissen,  was 
Bedurfnisse  sind,  wie  man  sie  erkennt  und  was  man  mit  ihnen  anfangt, 
lost  sich  auf  in  eine  fast  unendliche  Vielfalt  von  Annahmen  darliber, 
was  denn  nun  die  Bedurfnisse  derer  sind,  mit  denen  man  in  der  Arbeit 
konfrontiert  ist:  sind  deren  Bedurfnisse  identisch  mit  den  eigenen? 
Sind  Bedurfnisse  nur  je  individuelle  oder  sozusagen  "objektiv",  nach 
bestimmten  Kategorien  verallgemeinbar  aufzufassen,  evtl .  nach  Lebens- 
alter,  Arbeitsbedingungen,  Klassenlage?  Gibt  es  im  (Catalog  der  Bedurf- 
nisse einige,  die  grundlegend,  "allgemein  menschlich"  sozusagen  sind 
und  die  deshalb  als  "Grundbediirfnisse"  bezeichnet  werden  kbnnten? 
Gibt  es  weiterhin  eine  Rangordnung  der  Bedlirfnisse,  derentsprechend 
wesentliche  und  unwesentliche  unterschieden  werden  kbnnen  und 
schlieBlich;  hilft  einem  die  Differenzierung  in  "richtige"  und  fal- 
sche"  Bedurfnisse  bei  der  Suche  nach  einem  Ansatz  weiter?  Wenn  ja, 
wie  erkennt  man  die  richtigen,  wenn  diese  hinter  den  falschen  ver- 
schwunden  sind? 

Schon  diese  kurze  Erbrterung  verdeutlicht,  daB  mit  dem  Bedurfnisan- 
satz  so  ohne  Probleme  nicht  umzugehen  ist.  Wenn  wir  im  Folgenden 
versuchen,  Antworten  auf  die  angeschnittenen  Fragen  zu  skizzieren, 
so  geschieht  das  in  aller  Unvollstandigkeit  und  bedarf  weiterer  Kon- 
kretion. Im  Ubrigen  ist  unser  Problem  nicht,  zu  klaren,  was  BedurT- 

-  34  - 


nisse  "an  sich"  sind,  oder  welche  verschiedenen  Inhalte  der  "Be- 
oriff"  haben  kann,  etwa  im  Sinne  einer  Natur-,  bzw.  Sozialgeschich- 
tp  der  Bedurfnisse.  Was  wir  zu  klaren  haben  ist  vielmehr,  was     an 
HPn  Bedurfnissen  ansetzen"  unter  dem  Gesichtspunkt  sozialpadagogi- 
crhpr  Arbeit  heiBt.     Um  diese  Frage  beantworten  -zu  kbnnen,  erscheint 
s     ns  notwendig  darzulegen,  durch  welche  gesellschaftliche  Konflikt- 
konstellation  die  Formen  der  BediirfnisauBerung  allgemein  bedingt  sind. 

Uprmittlung  von  Natur  und  Gesellschaft  im  Bedurfnis 

lpdes  Bedurfnis  enthalt  Momente  der  physischen  und  psychischen  Natur 
rips  Menschen.   Diese  Naturbasis  der  Bedlirfnisse  ist  jedoch  nicht  als 
ctatisch     ein  fur  allemal  festgelegt  aufzufassen,  sondern  unterliegt 
*inem  historischen  EntwicklungsprozeB,  sie  kann  immer  nur  als  be- 
rpits  qesellschaftlich  vermittelt  in  Erscheinung  treten.  Die  wesent- 
lirhe  Seite  der  Sache  ist  fur  unseren  Zusammenhang  nicht  die  Natur 
sondern  die  gesellschaftliche  Bestimmtheit  der  Bedurfnisse;  die 
hUtorische  Form, in  der  sie  befriedigt  werden,  sowie  die  mit  der 
Fntwicklung  der  gesellschaftlichen  Produktion  gegebene  Entwicklung 
dpr  Bedlirfnisse  selbst  und  deren  Modifikation  durch  die  gesellschaft- 
lichen Verhaltnisse  im  weitesten  Sinne.  Essen,  Schlafen,  Sexualitat, 
vprkehr  mit  anderen  Menschen,   sind  allgemeine  Bedurfnisse  zu  jeder 
7pit    Wie  aber  gegessen,  geschlafen,  SexualitSt  und  sozialer  Umgang 
nraktizTert  werden,  darin  unterscheiden  sich  die  historischen  Epochen. 
/mem  Bd     3  s.    71    "Die  verschiedene  Gestaltung  des  materiellen  Lebens 
■Rt  naturlich  jedesmal  abkangig  von  den  schon  entwickelten  Bedurf- 
nissen,   und  sowohl  die  Erzeugung  wie  die  Befriedigung  dieser  Bedurf- 
nisse ist  selbst  ein  historischer  ProzelS. .  .  " 

"Hunger  ist  Hunger;  aber  Hunger,  der  sich  durch  gekochtes,  mit  Mes- 
Jr  und  Gabel  gegessenes  Fleisch  befriedigt,  ist  ein  anderer  Hunger, 
Is  der  rohes  Fleisch  mit  Hilfe  von  Hand,    Nagel  und  Zahn  verschUngt. 

(Marx,    Grundrisse  der  Kritik  der  politischen  Okonomie,    Berlin  52, 

f^lna  ailt  fur  alle  Bedurfnisse.   Diese  entwickeln  sich  aus  der  Na- 
turroheit  in  dem  MaBe,  wie  durch  die  Entwicklung  der  Produktion  so- 

rZ  die  Gegenstande  der  Bedurfnisbefriedigung  als  auch  deren  Art 
nnS  We  se  verSndert  werden.  Die  erweiterte  Produktion  schafft  Be- 
^n-i^e     die  uber  Naturbedlirfnisse  hinausgehen.    "Diese  Erzeugung 

Zlediirfnisse  ist  die  erste  geschichtliche  Tat."  (mew,  Bd     3, 
fis,  BedUVfnis  1st  also  keine  aus  der  menschlichen  Natur  oder  aus 

■»mI  duellen  Eigentuml  ichkeiten  der  Persbnl  ichkeit  abzuleitende, 
cnndernene  gesellschaftliche  Kategorie,  die  Natur  einschlieBt 
I das  gesellschaftliche  und  das  naturliche  Moment  des  Bedurfnis- 
SslTslen  sich  nicht  als  sekundar  unc Ipnmar  voneinxnder  abspalten, 
^danach  eine  Rangordnung  von  Befriedigungenaufzustellen. 
^Idorno,    Gesarmelte  Schriften  Bd.    8,   Ff».    1972,    S.    392) 

,       hahpn  die  Mittel  der  Bedurfnisbefriedigung  in  keiner  bisherigen 
^cpllschaft  a     en     ndividuen  gleichermaBen  zur  Verfugung  gestagen . 
^lllmll  der  Produktion  und  der  Aneignung  des  Produzierten  voll- 
Slehen  sich  nach  gesellschaftlichen  Gesetzen,  deren  wesentlichstes 

d1-6  nl^eiShel^SMdlvlduen  miBtsich  an  der  Verfugung  oder  Nicht- 
^fffg  SS  die  Ltenenen  Bedingungen  der  Bedurfnisbefriedigung, 


stets  hat  eine  herrschende  Klasse  Liber  diese  Bedingungen  derart  ver- 
fiigt,  daB  die  Mehrheit  der  Menschen  auf  einem  -  an  den  gesell schaft- 
lichen  Mb'glichkeiten  gemessen  -  zuru'ckbleibenden  Niveau  der  Bedlirf- 
nisbefriedigung  zu  leben  gezwungen  war. 

Die  kapitalistische  Produktionsweise  hat  daran  grundlegend  nichts  ge- 
andert.  Sie  hat,  bezogen  auf  die  Bedlirfnisbefriedigung,den  alten  Ge- 
gensatz  von  Reichtum  und  Knappheit  in  scharfer  Weise  reproduziert. 
Armut  und  Elend  sind  noch  immer  die  Kehrseite  einer  Produktionswei- 
se, die  wie  keine  andere  vorher  den  gesell schaftlichen  Reichtum  ent- 
wickelt  hat. 

Die  fur  den  Kapitalismus  grundlegende  Tatsache,  daB  eine  Ware  nicht 
urn  ihres  Gebrauchswertes,  sondern  um  ihres  Tauschwertes  will  en  pro- 
duziert  wird,  hat  weitreichende  Folgen  fur  die  Art  und  Weise  der  Be- 
d'drfnisb^efriedigung:  Das  entscheidende  Kriterium  tier  Herstellung 
einer  Ware  ist  nicht  die  Frage:was  nLitzt  sie,  sondern:wie  la'Bt  sie 
sich  verkaufenj  nicht  das  Gebrauchswertinteresse,  sondern  das  Ver- 
wertungsinteresse  bestimmt,  was  produziert  wird.  Das  auf  den  Ge- 
brauchswert  gerichtete  Bedurfnis  der  Individuen  ist  daher  immer  erst 
durchzusetzen  gegen  den  bestimmenden  Zweck  der  kapitalistischen  Ge- 
sellschaft,  die  Mehrwertproduktion. 

Diejenigen,  die  nicht  Liber  die  materiellen  Bedingungen  der  Produk- 
tion  verfLigen,  sind  in  ihrer  Bedlirfnisbefriedigung  vom  Verkauf  ihrer 
Arbeitskraft  abhangig;  ihre  Lebenszeit  wird  weitgehend  in  Arbeits- 
zeit  verwandelt. 

Dies  betrifft  nicht  nur  die  materiel len,  aus  der  physischen  Natur 
sich  ergebenden  Bediirfnisse,  sondern  in  ahnlicher  Weise  die  Bedlirf- 
nisse,  die  aus  der  Eigenart  der  menschlichen  Existenz  stammen.  Die- 
se werden,  etwa  von  Fromm,  als  Bedlirfnis  nach  Verbundenheit,  nach 
Verwurzelung,  nach  Identitat  und  Orientierung  beschrieben.    (Erich 
Fromm,    Der  moderne  Mensch  und  seine  Zukunft,    Ffm.    1967, E.    27  ff.) 
Diese  Bediirfnisse  kbnnen  unter  dem  Stichwort  soziale  Bediirfnisse 
zusammengefaBt  werden.  Anders  als  bei  den  materiellen  Bedurfnissen, 
wo  die  soziale  Vermittlung  nur  Mittelcharakter  hat,  ist  hier  die 
Sozietat  unmittelbar  der  Zweck,  etwa  in  dem  Sinne  wie  Marx  von  einem 
"Bedurfnis  des  Verkehrs  mit  anderen  Menschen"  spricht.  Unter  dem 
Druck  Libermachtiger  gesell schaftlicher  Verhaltnisse  werden  die  Be- 
diirfnisse auch  in  der  Privatheit  und  Freizeit,  wo  sie  der  Ideologie 
zufolge  ihr  Reservat  haben,  nur  als  deformierte  erscheinen  kbnnen. 
Die  deformierten  Bediirfnisse  sind  Folge  des  Arbeitsprozesses,  der 
die  Menschen  zwingt,    ". .  .auBerhalb  der  Arbeit  sich  auf  die  Reproduk- 
tion  der  Ware  Arbeitskraft  zu  reduzieren"  (Adorno,   a.a.O.    S.   393) 

Da  in  der  kapitalistischen  Gesellschaft  Arbeit  und  Leben  getrennt 
sind,  ist  die  Arbeit  bloBes  Mittel.um  Bediirfnisse  auSer  ihr  zu  be- 
friedigen. 

"Der  Mensch  rechnet  die  Arbeit  nicht  selbst  in  sein  Leben  ein,   sie 
ist  vielmehr  Opfer  seines  Lebens.   Das  Leben  fangt  da  fur  ihn  an,   wo 
diese  Tiitigkeit  aufhbrt,  am  Tisch,  auf  der  Wirtshausbank,  im  Bett. 
Der  Arbeiter  fiihlt  sich  eher  erst  auBer  der  Arbeit  bei  sich  und  in 
der  Arbeit  auBer  sich.   Zu  Hause  ist  er,  wenn  er  nicht  arbeitet  und 
wenn  er  arbeitett  ist  er  nicht  zu  Hause.    ...    WeshaVb  arbeitet  er  denn? 
Aus  Lust  am  Schaffen,   aus  Naturtrieb?  Keineswegs.    Er  arbeitet  um  des 
Celdes  Willen,   um  einer  Sache  Willen,   die  mit  der  Arbeit  selbst  gar 
nichts  zu  schaffen  hat.  "  (Marx,   bk.phil.Manuskript,    S.    101) 
-  36  - 


Das  Leben,  die  MSglichkeit, Bediirfnisse  zu  befriedigen,  ist  auf  die 
Freizeit  beschrankt.   Die  Freizeit  ist  aber  nur  zum  Schein  indivi- 
dual!  disponible  Zeit,  sie  ist  zunachst  bestimmt  als  eine  Art  von 
Rest,  den  die  Arbeit  dem  Individuum  zum  Leben  Librigla'Bt.    (Habermas: 
Soziologische   Notizen   zum   Verhaltnis   von  Arbeit   und   Freizeit, S. 219) 

Die  Lebensa'uBerung  des  Menschen  in  Form  von  pfoduktiver  Arbeit  und 
seine  Selbstverwirklichung  kann  nicht  mehr  bei  der  Arbeit  oder  durch 
die  Arbeit  geschehen,  sie  findet^  wenn  liberhaupt,  in  der  Freizeit 
statt.  Jedoch  setzt  sich  in  der  Freizeit  die  Form  des  am  Wertgesetz 
orientierten  Lebens  fort,  d.h.,daB  der  Anspruch  auf  Selbstverwirkli- 
chung auch  hier  durch  den  entfremdeten  ArbeitsprozeB  deformiert  ist. 

Die  Zwange,  die  aus  dem  ArbeitsprozeB  resultieren,  sind  nach  Feier- 
abend  nicht  aufgehoben.  Produktivitat  und  Phantasie,  die  den  Jugend- 
lichen  wahrend  der  Arbeit  ausgetrieben  werden,  sind  in  der  Freizeit 
nicht  umstandslos  wieder  vorhanden.  Deshalb  ist  es  der  Freizeitindu- 
strie  gelungen,  die  Inhalteder  Freizeit  weitgehend  vorzuschreiben, 
indem  sie  an  Traumen,  Wiinschen  und  Vorstellungen  der  Jugendlichen 
anknlipft  und  diese  in  ihrem  Interesse  funktional  isiert  (Tanzabende 
in  Diskotheken  und  Jugendclubs,  eine  Vielzahl  von  Plattenangeboten, 
Film  und  Fernsehen,  Jugendtourismus) .  Mit  diesen  deformierten  Bedurf- 
nissen, die  nicht  mehr  als  zielgerichtete  Bediirfnisse  artikuliert 
werden,   sondern  sich  in  Formen  von  Aggressionen,  Konkurrenz,  Lange- 
weile,  Phantasielosigkeit,  Resignation  und  ziellosen  Aktivitaten 
auBern,  hinter  denen  aber  der  Anspruch  auf  Selbstverwirklichung  steht, 
ist  der  Sozial arbeiter  im  Jugendfreizeitheim  konfrontiert.   Wenn  da- 
her die  Rede  davon  ist,  eine  sinnvolle  Arbeit  mit  Jugendlichen  habe 
an  den  Bedurfnissen  anzuknlipfen,  so  gilt  es  sich  deutlich  zu  machen, 
daB  man  es  nicht  mit  Bedurfnissen  unmittelbar,  sondern  mit  durch 
objektive  Zwange  vermittelten  Erscheinungsformen  von  Bedurfnissen 
zu   tun  hat.   Obgleich  man  davon  ausgehen  kann,  dab  die  Bedurfnisstruk- 
tur  bei   alien  Menschen  gleich  ist,  so  ist  doch  ihr  Erscheinungsbild 
von  einer  Anzahl   von  realen  Lebensbedingungen  abhangig.    Insbesondere 
sind  Arbeits-,  Wohn-  und  Familienverhal tnisse  zu  nennen,  Sozialisa- 
tion  und  Lebensalter  spielen  sicher  eine  Rolle.   Es  ware  also.um  den 
Bediirfnisansatz  fruchtbar  zu  machen,  notwendig,  liber  die  allgemeinen 
Lebensbedingungen  der  Jugendlichen  einiges  zu  wissen. 
Die  generelle  Schwierigkeit  des  Bedlirfnisansatzes  liegt  allerdings 
darin,  daB  die  wesentlichen  gesellschaftlichen  Bedingungen,  die  die 
Deformation  der  Bediirfnisse  verursachen,  nicht  unmittelbar  aufhebbar 
sind.   DaB  die  Reduzierung  der  produktiven  Fahigkeiten  des  Menschen 
auf  bloBes  Funktionieren  im  ProzeB  der  Kapitalverwertung  und  damit 
zusammenhangend  die  Isolierung  der  Individuen  durch  die  Konkurrenz 
sich  taglich  reproduzieren,  macht  ja  die  Schwierigkeit  aus, sich 
einen  sinnvollen  gesellschaftlichen  Zusammenhang  Liberhaupt  noch  vorzu- 
stellen,  geschweige  denn  zu  schaffen. 


yprinnerlichung  des  auBeren  Zwanges 


Die  gesellschaftlichen  Zwange  bleiben  den  Betroffenen  nicht  auBer- 
lich,  sondern  greifen  in  die  Bedlirfnisstruktur  selbst  ein. 
"Die  Gefdhr  der  Eimxmderung  der  Herrschaft  in  die  Menschen  . .  .   ist 
nicht  ein  Ketzerglaube ,   der  durch  Bannspriiche  zu  exofzieren  ware, 
sondern  eine  reale  Tendenz  des  spdten  Kapitalismus."  lAdorno,   a.a.O. 
S.    393) 

-  37  ■ 


FUr  die  sozialen  Bedlirfnisse  gesprochen  ist  das  so  aufzufassen,  daB 
die  aus  der  Tauschabstraktion  abzuleitende  Erwagung  der  NUtzlich- 
keit  und  die  aus  der  Konkurrenz  heryorgehenden  Angste  einen  entspre- 
chend  sich  verhaltenden  Sozialcharakter  bilden,  E.  Fromm  legt  an- 
schaulich  dar,  wie  sehr  das  soziale  Leben  der  Gegenwart  (hier  ist 
das  sog.  Privatleben  angesprochen)  nach  den  MaBstaben  des  Geschafts- 
lebens  ausgerichtet  ist:  in  einer  Art  kaufmannischer  Rechnungsweise 
wird  dariiber  Buch  gefUhrt,  ob  diese  Oder  iene  Handlung,  sei's  ein 
Abend  mit  der  Freundin,  ein  Gesprach  Oder  ein  Spaziergang,  eine 
Reise  oder  ahnliches  die  Zeit  bzw.  das  Geld  wert  gewesen  sind. 
(vgi.  e.  Fromm,  a.a.o.  s.  i34f.)   Die  quantitative  Messung  nach  den 
Kriterien  kaufmannischer  BuchfUhrung  wird  auch  im  Privaten  zum  Orien- 
tierungsmaB  sozialer  Bedlirfnisse.  Tauschabstraktion  und  die  weitge- 
hende  Verwandlung  der  Lebenszeit  in  Arbeitszeit  erzwingen  eine 
Orientierung  der  sozialen  Bedlirfnisse  nach  der  Ukonomie  des  Geldes 
und  der  Zeit,  ohne  daB  dies  den  Individuen  als  solche  bewuBt  wird. 

Die  Absicht  Marcuses,  der  den  Begriff  "falsche  BedUrfnisse"  gebraucht, 
ist  wohl  zu  klaren,  wie  die  einzelnen  BedUrfnisse  zum  Fortbestand 
des  Bestehenden  sich  verhalten.  "Falsch"  sind  dann  all  die  BedlirfniS' 
se,  die  die  Erkenntnis  der  Veranderbarkeit  verhindern.  Darin  steckt 
eine  Aufforderung  zur  Askese,  die  verkennt,  daB  die  BedUrfnisbefrie- 
digung  in  unmittelbarer  Form  sich  nicht  unendlich  aufschieben  la'Bt! 
Marcuses  AusfUhrungen  sind  auch  deshalb  problematisch,  weil  sie  eine 
um'verselle  Manipulation  unterstellen,  (die  als  solche  nur  bedingt 
gilt),  so  wenn  er  schreibt:  "Die  meisten  der  herrschenden  BedUrfnisse, 
sich  im  Einklcmg  mit  der  Reklame  zu  entspannen,    zu  Vergniigen  zu  be- 
nehmen  und  zu  konsumieren,    zu  hassen  und  zu  lieben)  was  andere  hassen 
und  lieben,   gehoren  in  diese  Kategorie  der  falsohen  BedUrfnisse.  " 
(Herbert  Marcuse,    Der  eindimensionale  Mensch,    Neuwied/Berlin   1962, 

s.   25)   Der  manipulative  Eingriff  ist  aber  erst  sekundar,  prima'r  ist 
die  Deformation  der  BedUrfnisse  durch  die  Organisation  des  Produk- 
tionsprozesses  selbst. 

Das  Verwertungsinteresse  heftet  sich  insbesondere  auch  an  die  sozia- 
len BedUrfnisse  und  verheiBt  deren  Befriedigung  durch  den  Warenkauf. 
In  Form  des  Konsums  soil  sich  das  frustrierte  Individuum  Ersatz 
schaffen  fur  die  sozialen  Beziehungen,  die  kaurn  raehr  zu  realisieren 
sind.  Die  Ware  wird  so  zum  Surrogat  der  zerstbrten  sozialen  Verha'lt- 
nisse,  wobei  in  manchen  Werbespots  der  Anschein  erweckt  wird,  daB 
der  Konsum  mit  der  Realisierung  der  sozialen  BedUrfnisse  unmittelbar 
verbunden  sein  konnte,  der  Ersatz  gibt  sich  nicht  als  solcher,  son- 
dern  als  die  Sache  selbst.  Es  kbnnte  sich  ergeben,  daB  schlieBlich 
nicht  mehr  unterscheidbar  ist,  was  BedUrfnis  und  was  Ersatz  ist,  das 
heiBt,  der  Ersatz  kann  selbst  derart  zum  BedUrfnis  werden,  daB  die 
Intention  wirklicher  Befriedigung  dahinter  verschwindet.. 
"Wahrseheinlioh"   so  Haug,  "meint  die  Rede  von  den  falsohen  Bedurf- 
nissen  niohts  anderes  als  diese  Versohiebung".    t.W.F.    Haug,   Kritik 
der  warenasthetik,    Ffm.    1971,    S.    65) 

Das  von  Marcuse  in  diesem  Zusammenhang  formulierte  Problem  stellt 
tatsa'chlich  ein  schwerwiegendes  Hindernis  der  Aufklarung  und  der 
Bildung  kritischen  BewuBtseins  dar:  ein  Tribunal  kann  die  Autoritat 
der  Entscheidung  darUber  beanspruchen,  welches  wahre  und  falsche 
BedUrfnisse  sind,  diese  Frage  muB  von  den  Individuen  je 

-  38  - 


selbst  beantwortet  werden,  diese  aber  sind  nicht  frei,  ihre 
eigene  Antwort  zu  geben.  Solange  sie  (die  Individuen)  davon  abgehal- 
ten  werden,  autonom  zu  sein,  solange  sie  bis  in  ihre  Triebe  hinein 
geschult  und  manipuliert  werden,  kann  ihre  Antwort  auf  die  Frage 
nicht  als  ihre  eigene  verstanden  werden.  (w.f.  Haag,  a.a.o.,  s.   67; 
Das  "falsche  BedUrfnis"  ist  letztlich  das  korrumpierte  BedUrfnis, 
eins,  dern  seine  eigentlichen  Intentionen  im  wahrsten  Sinne  des  Wor- 
tes  abgekauft  worden  sind:  "Das  bessere  Leben  und  die  Mittel  und  Wege 
dazu  werden  den  Individuen  unvorstellbar.  "  )Marcuse,   a.a.o.,   s.    26) 

Die  vom  Kapital  erzwungene  Reduzierung  der  Individuen  auf  das  bloBe 
Funktionieren  scheint  das  falsche  BewuBtsein  geradezu  notwendig  zu 
machen,  die  verdinglichte  Existenz  scheint  anders  nicht  auszuhalten zu  sein. 
Gleichwohl,  das  ist  der  widerspruch.in  der  durchs  Kapital  vermittel- 
ten  und  modifizierten  Bedurfnisstruktur  lassen  sich  die  BedUrfnisse 

icnt  restlos  deformieren,  korrumpieren  und  funktionalisieren.  Die 
"Modem erung  der  Sinnlichkeit"  (Haug)   hat  ihre  Grenze  und  erzeugt 
eine  eigene  Dynamik.  Der  Ersatz  kann  als  solcher  zu  weitergehenden 
Anspruchen  fuhren,  die  auf  reale  Befriedigung  zielen  und  nicht  mehr 
durch  individuellen  Konsum  zufriedenzustellen  sind.  So  kann  z.B. 
die  Kollektivitat,  die  die  Werbung  verspricht,  nicht  in  der  Ware  mit- 
□  eliefert  werden.  (vgi.   w.f.  Haag,   s.   67  ff.) 

Auch  wird  der  Anspruch  auf  Selbstverwirkl ichung  den  Individuen  nicht 
restlos  auszutreiben  und  zunichte  zu  machen  sein.  Die  zumindest  vor- 
handene  Ahnung  -  wenn  auch  zunachst  nicht  das  BewuBtsein  -  daB  das, 
Ls  man  schlieBlich  bekommt.das  nicht  ist,  was  man  wollte,  bleibt  ein 
unruhiges  Moment  .Der  KompromiB,  zu  dem  das  Kapital  zwingt,  bleibt 
den  Individuen  als  solcher  spurbar,  darUber  konnen  sie  resigmeren, 
her  auch  zu  BewuBtsein  kommen,  sich  Gedanken  darUber  machen,  wie 
die  eigene  Realitat  verandern  kbnnte.  Die  scheinbare  Ziellosig- 
it  mit  der  die  deformierten  BedUrfnisse  sich  auf  diese  und  jene 
art  befriedigen,  enthalt  letztlich  die  Suche  nach  Mbglichkeiten  der 
cpibstverwirkl ichung.  Sie  kann  somit  nicht  nur  Anknupfungspunkt  fur 
^m-roqate  sein,  sondern  auch  von  Aufklarung  und  einem  BewuBtsein, 
a**   sich  nicht  mehr  in  der  Privatheit  und  im  individuellen  Konsum 
isolieren  la'Bt,  sondern  bffentlich  und  kollektiv,  also  politisch 
seine  Zwecke  verfolgt. 

n-iP  Erscheinungsformen,  in  denen  Jugendliche  im  Freizeitheim  ihre 
BedUrfnisse  auBern,  die  Rangordnung  der  BedUrfnisbefriedigung,  dle 

rh  anscheinend  "spontan"  und  "naturwuchsig"  dabei  herstellt,  druckt 
mir  aus  was  sie  am  nbtigsten  haben.  Wer  sauft  und  Beat  hort,zeigt 
Hamit  auch,  daB  er  im  Moment  nicht  mehr  kann.  Diesem  eine  Rangord- 
„una   der  BedUrfnisse  entgegenzusetzen,  die  man  als  Sozialpadagoge 
fUr  richtig  halt,  kann  nicht  gelingen.  Dennoch  ist  der  Sozialpada- 


a 

ma 

ke 


ulrhaltnissen.  Diese  Ohnmachtserfahrung  aufzugreifen,  und  zwar  der- 
rt     daB  Uberhaupt  wieder  andere  Erfahrungen  gemacht  werden  konnen, 
ist'der  Zweck  des  Ansetzens  an  den  "BedUrfnissen" . 

Ein  solcher  Ansatz  ist  politisch,  sofern  er  die  gesellschaftlichen 

-  39 


Verhaltnisse  ausgehend  von  der  eigenen  Situation  der  Jugendlichen 
als  veranderbar  erfahrbar  macht.  Er  ist  zugleich  therapeutisch, 
wenn  es  gelingt,  die  Resignation,  die  aus  der  Erfahrung  der  eigenen 
Aktivitat  als  sinnlos  resultiert,  zu  bekampfen.  Er  ist  pa'dagogisch, 
sofern  er  BewuBtsein  herstellt  liber  die  Verhaltnisse,  in  denen  die 
Bed'Jrfnisse  der  Individuen  ihnen  selbst  unklar  sind. 
Diese  3  Momente,  von  denen  keins  als  vorrangig  oder  nachrangig  ange- 
sehen  werden  kann,  sind  nur  analytisch,  nicht  aber  in  der  praktischen 
Arbeit  voneinander  zu  trennen. 


7.  Thesen  zu  einer  bediirfnisorientierten  Arbeit  im  Jugendfreizeitheim 


Das  Freizeitverhalten  der  Jugendlichen  ist  hauptsa'chlich  durch  ihre 
Arbeits-,  bzw.  Schul situation  bestimmt.   Lohnarbeit  und  Lernarbeit  wir- 
ken  sich  a'hnlich  aus,  so  daB  wir  davon  ausgehen  kbnnen,  daB  die  Frei- 
zeit  fur  alle  Jugendlichen  die  gleiche  Hauptfunktion  erf'ullt,  nam- 
lich  die  der  Regeneration  der  Arbeitskraft.   In  Jugendfreizeitheimen 
treffen  wir  daher  hauptsa'chlich  auf  folgende  Aktivita'ten: 

-  zum  einen  Entspannen,  Musik  hbren,  mit  Freunden  zusammensein, 
gammeln,  abschalten. 

-  zum  anderen  Ta'tigkeiten,  die  an  den  in  der  Arbeits-  bzw.  Schul si- 
tuation erworbenen  Fahigkeiten  ankniipfen:  Kbrperliche  und  techni- 
sche  Fahigkeiten  drlicken  sich  z.B.   bei  Arbeiterjugendlichen  aus 

in  Tanz,  Moped-Basteln    usw. ,  bei  Schiilern  im  Diskutieren,  Litera- 

turgruppen  usw. 
Dabei  liberwiegt  allerdings  der  "Gammelbereich".  Blirgerliche  Pa'dago- 
gen  stehen  oft  versta'ndnislos  der  Tatsache  gegeniiber,  daB  Menschen, 
die  z.B.  auf  technischem  Gebiet  qualifiziert,  sogar  Spezialisten  sind, 
nur  liber  sehr  verklimmerte  Fahigkeiten  verfligen,  aktiv  Freizeitinter- 
essen  zu  entwickeln.  Das  ist  allerdings  nicht  erstaunlich,  da  bei 
der  derzeitigen  Entwicklung  der  Produktion  nur  diejenigen  Fahigkeiten 
entwickelt  werden,  die  flir  den  ProduktionsprozeB  relevant  sind.  Die 
librigen  Fa'higkeiten,  wie  etwa  GenuBfahigkeit,  verklimmern  in  der 
Scheinbefriedigung  durch  die  Konsumindustrie. 

Die  genannten  Freizeitpadagogen,  Kulturkritiker  und  auch  linke  Pa'da- 
gogen  Ziehen  sich  aus  der  Arbeit  im  Freizeitheim  oft  zuriick  mit  der 
BegrUndung,  in  der  Freizeit  wollten  die  Leute  halt  nur  ausspannen 
^elegentlich  geben  sie  sogar  zu:  zu  Recht),  dort  kbnne  man  nicht 
qualitativ  etwas  verandern,  deshalb  kbnne  man  nur  dort  ansetzen,  wo 
dieses  Verhalten  entsteht,  na'mlich  im  Produktionsbereich:  eine  gelau- 
fige  Argumentationsweise  in  der  Auseinandersetzung  um  antikapitalisti- 
sche  Jugendarbeit. 

Das  bedeutet  jedoch  eine  kurzsichtige  und  schematische  Ausgrenzung 
von  Bed'Jrfnissen,  die  sich  in  der  Freizeit  auBern    und  bietet  den 
Genossen,  die  in  Freizeitheimen  arbeiten,  keine  Perspektive. 
Dagegen  ware  folgender  Ansatz  produktiv  zu  machen: 
"In  der  Geschichte  der  Arbeiterbewegung  traten  immer  wieder  Ansprti- 
che  der  Avbeiter  gegeniiber  der  Uffentlichkeit  auf,   die  von  den  Or- 
ganisationen  der  Arbeiterklasse  nur  unbefriedigend  beantwortet  yur- 
den.    Van  diesen  Bediirfnissen  kann  man  sagen,    da/3  sie  entweder  vn 
Sinne  einer  proletarischen  Vffentlichkeit  sich  ent fatten,   oder  aber 
sie    werden  -  ...   -  zu  einem  Instrument  der  Unterdruckung  der  Ar- 
beiter."   (Negt/Kluge,    Pioletarische  Uffentlichkeit,   Ffm.  ) 


Das  heiBt:   Bezeichnen  wir  doch  das  Konsumverhalten  und  die  unver- 
bindlichen  Kommunikationsformen  nicht  mehr  nur  als  unpolitisch,  vor^ 
politisch,  als  Fluchttendenzen  -  deuten  wir  dieses  Verhalten  doch 
mal    von  seinem  unbewuBten  Anspmch,   von  seinem  emanzipatorischen 
Potential   her:   Als  Bedurfnis  nach  sinnlich  faBbarer  Sol  idarita't, 
"in  dem  sich  der  im  ProduktionsprozeB  erreichte  Stand  von  Vergesell- 
sahaftung,    Kooperation,    gegenseitigem  Schutz  ausdrttckt.  "   (Negt/Kluge) 
Wie  stark  dieses  Bedurfnis  besonders  bei  Jugendlichen  ist,  sieht  man 
auch  daran,  daB  selbst  nlichtern,  langweilig,  unerotisch  wirkende 
Jugendfreizeitheime  als  Angebot  (und  sei   es  nur  als  Aufenthaltsraum) 
wahrgenommen  werden  ,um  irgendwie  aus  den  elterlichen  vier  Wanden 
herauszukommen. 

Dieses  Bedurfnis  nach  physischer,  direkter  Kommunikation  ist  nicht 
an  sich  emanzipatorisch,  es  kann  sich  auch  reaktionar  auswirken;  es 
sind  nicht  wenige  Arbeiter  in  der  SA  mitmarschiert-  es  sind  deklas- 
sierte  Arbeiterjugendl iche,  die  sich  in  Rockergruppen  organisieren. 
Bed'Jrfnisse  bleiben  eben  nicht  auf  der  StraBe  liegen  (Negt),  sie 
werden  von  links  auf gegrif fen  oder  von  rechts.  Aus  diesen  Oberlegun- 
qen  miiBten  sich  konsequenzen  flir  die  offene  Arbeit  in  Freizeitheimen 
ergeben,  die  nicht  die  Entspannungs-  und  Kommunikationsbedurfnisse 
der  Jugendlichen  abwerten,  die  diese  nicht  nur  (notgedrungen)  akzep- 
tieren,   sondern  die  sich  an  ihnen  so  orientieren,  daB  diese  Bedlirf- 
„i„P  in  emanzipatorischer  Absicht  orqanisiert  werden,  d.h.  den 
Tchennbar  ziel losen  Aktivitaten  eine  Richtung  gegeben  wi rd . 

Mar)<  hat  einmal   bemerkt,  daB  man  von  der  sinnlichen  Erfahrung  nie 
wisse  "wohin"  und  "woher"    (mew  2,  s.   23).   Das  macht  es  so  schwierig, 
die  Bedingungen  anzugeben,  unter  denen  sich  Erfahrungen  bzw.  Bedurf- 
nisse  "organisieren"  lassen,  noch  schwieriger  zu  sagen,  wohin  sich 
die  organisierten  Erfahrungen  und  Bed'drfnisse  entwickeln  werden. 
Die  Menge  von  Konstruktionen  und  Spekulationen  in  diesem  Punkt  sind 
nur  Hinweise  auf  diese  Schwierigkeit,  nicht  schon  Lbsungen.   Falsch 
werden  sie  dort,  wo  sie  sich  selbst  als  Lbsungen  verstehen.   Das  zeigt 
sich  z  B.   an  der  Stelle,  wo  die  Autoren  von  E  +  K  die  Tatsache,  daB 
juqendl'iche  in  der  Auseinandersetzung  um  die  Selbstverwaltung  be- 
stimmte  Erfahrungen  machen  und  Bedurfnisse  befriedigen  konnten,  zum 
Ausgangspunkt  einer  Klassenkampfperspektive  erklaren. 

Wenn  Jugendliche  durch  so  etwas  wie  Selbstverwaltung  nur  um  weniges 
freier  werden,   ist  das  eine  wichtige  Vera'nderung  fur  sie.    (vgi. 

+  K  10/11-73)   DaS  aber   "das  Bediirfnis  nach  einer  unkontrollierten 
und  selbstbestimmten  Freizeit  sich  weiterentwickelte  zu  dem  Bedtirf- 
r,is     den  Kampf  auf  andere  Lebensbereiche  auszudehnen"   (E  +  K  10/u- 
7i     s     23).  ist  in  der  Einfachheit  falsch.  Welchen  anderen  Lebensbe- 
reich'qibt  es  denn  auBer  der  "Freizeit"?  Wenn  man  den  Arbeitsbereich 
Lint,   hatte  man  das  sagen  kbnnen.   Nur  sind  dort  die  Zwange  harter, 
Aie  Auseinandersetzungen  um  eine  Vera'nderung  am  Arbeitsplatz  erfor- 
dern  andere  Mittel  als  in  der  Freizeit,  andere  Organisationsformen 
p+c       Damit  nicht  genug,  es  wird  auch  noch  der  Kampf,  bzw.   dessen 
Ausdehnung  zum  "Bedurfnis"  erkla'rt.  Das  ist  nicht  nur  eine  unzulas- 
ciae  Natural isierung  des  Kampfes,  sondern  Unsinn.  DaB  schlieBlich  die 
in  der  Freizeit  entwickelten  Autonomiebestrebungen  in  dem  "Bediirfms, 
Ln  Klassenkampf  (!)   Uberall  zu  fiihren"  IE  +  K  10/11,   S.    26)    kumu- 
fieren  sollen,  ist  eine  Redensart,  die  wohl   eher  den  Wunsch  der 

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Autoren  als  die  Realitat  der  Jugendlichen  ausdrlickt.   Kampf,  zunal 
"Klassenkampf"  ist  eine  auBere  Notwendigkeit,  der  man  sich  stent, 
weil  man  dazu  gezwungen  ist,  nicht  weil  er  zum  Bedurfnis  wlirde.  Er 
setzt  auch,  wie  Seve  bemerkt,  Toleranz  gegenliber  Nichtbefriedigung 
VOraus.    (Vgl.    L.    Seve,   Marxismus  und  Theorie  der  Persdnlichkeit, 

Ffm.   73,  s.  3241.  Diese  wiederum  bedarf  der  Kompensation. 

Es  ware  der  Rede  wert,  zu  liberlegen,  welche  Bedingungen  dazu  not- 
wendig  sind.  Ein  lockerer  Zusammenhang  im  Freizeitheim  geniigt  dazu 
nicht.  Die  in  E  +  K  geschilderten  Akteure  einer  Hausbesetzung  lassen 
keine  Anhaltspunkte  der  bei  Seve  als  Bedingungen  des  "Kampf bedlirf- 
nisses"  geforderten  Leistungen  erkennen.  Gerade  ihre  Intoleranz  ge- 
genliber Nichtbefriedigung,  das  nicht  mehr  Aushalten  des  Bestehenden 
scheint  sie  zu  verbinden,  hat  sie  eine  Gemeinschaft  der  Desinte- 
grierten  bilden  lassen.   Ihr  primares  Ziel   scheint  zu  sein,  erstmal 
nach  dem  Lustprinzip  zu  leben     Oder,  wie  sie  es  ausdrUcken,   "aus  die- 
sem  Haus  die  ScheiB-Arbeit  und  das  Profit-System  herauszuhalten." 
(E  +  k  Nr.   w/11,  s.   17),  Es  ist  legitira,  daB  diese  Jugendlichen  erst 
mal  nachholen  wollen,  woran  sie  zu  kurz  gekommen  sind.  Nichts  spricht 
auch  in  dem  eigenen  Bericht  der  Jugendlichen  daflir,  daB  es  nach  dem 
1.  Schritt  zur  Realisierung  des  Programms  "Nieder  mit  der  Arbeit  - 
her  mit  dem  Reichtum"   (E  +  k,  Nr.   lo/n,  s.   17),  der  Hausbesetzung, 
einen  2.   Schritt  geben  wird.  Die  Radikalitat  der  Parole  verdeckt  nur 
miihsara  die  Enttauschung,  die  ansonsten  aus  dem  Bericht  spricht.   DaB 
ein  "Bedurfnis, den  Klassenkampf  uberall  zu  flihren"jenen  Jugendli- 
chen unterstellt  wird,  ist  bloBe  Phrase.   Ebenso  wie  die  Parole,  daB 
"das, was  man  braucht,  man  sich  nehmen  muB  und  daB  dies  mbglich  ist" 
(E  +  k,  Nr.   lo/n,  s.  40),  mit  der  die  Autoren  jene  Jugendlichen  be- 
lehren,  die  sich  ein  Jugendhaus  vom  "Staatsapparat"  haben  schenken 
lassen,  statt  daflir  zu  kampfen,  und  die  eben  jenes  nicht  gelernt 
ha'tten.  Solche  Belehrung  ermutigt  nicht,  sondern  macht  miBtrauisch, 
weil   sie  ebenso  arrogant  wie  unwahr  ist. 

Da  die  Arbeit  der  Lohnabhangigen  Arbeit  fur  andere  ist,  die  sich 
ihre  Ergebnisse  aneignen,  sind  sie,  wie  Marx  sagt,  in  der  Arbeit 
auSer  sich  und  nur  auBerhalb  der  Arbeit  bei  sich.   Ihre  Bedurfnisse 
richten  sich  auf  ein  befriedigendes  Zusammenleben  im  Freizeitbe- 
reich,  auf  Erkenntnis  ihrer  sozialen  Umwelt,  besonders  aber  auf 
ihre  Alltagsprobleme  im  weitesten  Sinne:   Familie,  Berufsausbildung/ 
Beruf/Betrieb,  Schule,  Sexualitat,  Freizeit,  Meinungsbildung  ebenso 
wie  Probleme  des  Verhaltens  in  konkreten  Lebenssituationen,   "sei  es 
nun,  ob  man  in  die  Kirche  geht  oder  was  man  anziehen  soil  oder  wie  man 
sich  in  einem  betrieblichen  Konflikt  verhalten,   ob  man  in  die  Ge- 
werkschaft  eintreten  oder  den  Kriegsdienst  verweigern  soil" 

Die  Mbglichkeit  zur  genaueren  Bestimmung  ihrer  Bedurfnisse  durch  die 
Jugendlichen  selbst  setzte  voraus,  daB  sie  bereits  gelernt  flatten, 
die  eigenen  Interessen  und  die  Moglichkeiten  ihrer  Realisierung  zu 
erkennen.    "Gerade  das  ist  ihnen  jedoch  durch  die  bundesrepublikani- 
sahen  Erziehungseinrichtungen  weitgehend  erschwert  worden".    (Damm) 
Das  auBert  sich  in  den  bereits  beschriebenen  Ver- 
haltensweisen,  aber  auch  -  ein  Hauptproblem  der  Arbeit  im  Jugend- 
freizeitbereich  -  im  Fluchtverhalten  mit  Hilfe  von  Alkohol,  Drogen 
u.a. 


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Hier  liegt  die  Aufgabe  einer  "problemfomiulierenden  Bildungsarbeit" 
(dieser  Ausdruck  stammt  von  dem  brasilianischen  revolutionaren  Er- 
wachsenenbildner  Paulo  Freire).   Die  Aktivitaten  lassen  auf  die  ge- 
nannten  Bedlirfnisse  schlieBen,  diesen  Bediirfnissen  wiederum  liegen 
bestimmte  Situationen  zugrunde:  z.B.  die  Situation  der  Ausbeutung, 
der  Fremdbestimmung,  der  enttauschten  Hoffnungen,  der  Isol  iertheit; 
Situationen,  die  sich  als  Probleme  stellen,  die  in  den  Freizeithei- 
men  spezifisch  untersucht  werden  miissen  (z.B.  das  Problem  turkischer 
Jugendlicher,  ohne  HauptschulabschluB  zu  sein,  oder  das  Problem, 
Arbeitermadchen  zu  sein).  Diese  Situationen  als  Problem  zu  formu- 
lieren,  das  hei&t  nicht,  den  Wlinschen,  Sehnslichten,  Hoffnungen,  ihren 
reduzierten  Befriedigungsformen  intellektuell   kritisch  zu  begegnen, 
sondern  es  miissen  angemessenere  Befriedigungsformen  oder  -richtungen 
gefunden  werden, 

Die  Mbglichkeit  hierzu  ergibt  sich  daraus,  daB  in  den  Freizeitaktivi- 
ta'ten  immer  ein  "OberschuB"  enthalten  ist:  Sie  sind  stets  mehr,  als 
sie  zu  sein  scheinen    und  beinhalten  den  Anspruch  nach  wirklicher 
Befriedigung.   Die  subjektiv  in  Aktiyita'ten  geauBerten  Bedlirfnisse 
sind   in  diesem  Sinne  nur  die  Spitze  eines  Eisbergs,  nur  die  Aktivi- 
taten, die  gesellschaftlich  zugelassen  sind  (wozu  auch  die  ungelenk- 
ten  Aggressionen,  die  scheinbar  sinnlosen  Zerstbrungen  gehoren). 
wird  aber  die  Dimension  der  bisher  unerprobten  Mbglichkeit  erbffnet, 
so   konnen  sich  die  Aktivitaten  ganz  anders  entfalten:   "Alle  anderen 
Bedurfnisse,   Bedurfnisse  naoh  erweiterter  Reproduction,    Bedurfnisse 
danach,    zu   lernen,    zu  lieben,    zu   leben,   werden  standig  abgedrangt 
und  deshalb  auch  nicht  spontan  formuliert.   Man  unterhalt  sich  norma- 
lerweise  liber  Freundinnen,   Motorrader,   FuBball  oder  ahnliches.   Aber 
M^r  wissen,   daB  Arbeiterjugendliche   sehr  plastisch  uber  ihre  ungelo- 
sten  Probleme  und  unterdriickten  Bedurfnisse  reden,   wenn  ihnen  das 
nersSnlich  oder  politisch   lohnend  erscheint"   (Medienzentrwn  Kreuzberg) . 
Das  heiBt,  daB  realisierbare  Vernal tensalternativen  gezeigt  und  er- 
probt  werden  miissen. 

Bedlirfnisse  sind  letztlich  nicht  isoliert  zu  organisieren.  Darauf 
weist  der  Zusammenhang  von  kommunikativen  und  ProblemlSsungsbedlirf- 
nissen  hin:  mehr  oder  weniger  bewuBt  ist  den  Individuen  die  Reduziert- 
heit  verschiedener  Bedlirfnisfomten  gegenwartig  und  hoffen  sie  auf 
Befriedigung  nicht  nur  in  vereinzelten,  sondern  in  alien  Lebensbe- 
reichen.    "So  wurde  ich  unterstellen,   daB  sich  das  Orientierungsbe- 
diirfnis  eines  jungen  Gewerkschafters,   das  er  an  eine  Gewerkschafts- 
aruppe  herantrdgt,   nicht  nur  auf  Fragen  des  Verhaltens  im  Betrieb, 
sondern  ebenso  auf  das  in  der  Familie,   gegenuber  dem  Freund  bzw.   der 
Freundin  usw.    bezieht"   (Damm  ........ 

wierin  liegt  die  Problematik  der  bedlirfmsorientierten  Arbeit  in  Ju- 
aendfreizeitheimen:  Die  dort  geauBerten  Bedurfnisse  z.B.   nach  Pro- 
hlemlbsung  zielen  uber  den  Freizeitbereich  hinaus  und  sind  letztlich 
nicht  in  ihm  zu  befriedigen.  Das  gilt  z.B.  fur  das  oft  an  ein  Jugend- 
freizeitheim  herangetragene    Bedurfnis,  dort  zu  ubernachten  oder  zu 
wohnen,  woruber  in  vielen  Berichten  geschrieben  wird,  Aus  dieser 
Tatsache  konnen  Entta'uschungen  resultieren,  die  Resignation  oder 
aaqressives  Verhalten  der  Jugendlichen  fordern,  An  diesen  Punkten 
muB  die  Zusammenarbeit  mit  Gruppen  und  Institutionen  uber  den  Bereich 
Hes  einzelnen  Freizeitheimes  hinaus  angestrebt  werden:  mit  Gewerk- 
schaften,  Schulen,  Jugendgruppen,  Burgerinitiativen  usw. 

-  43  - 


Mogl ichkeiten  liegen  auch  in  der  Erweiterung  der  Freizeitheim-Arbeit 
zur  Stadtteilarbeit  (s.   Artikel  der  Autorengruppe  Bremen  im  Info 
Sozialarbeit  Nr.  9).   Ansatze  gibt  es  ferner  mit  den  Methoden  der  Pro- 
jekt-  und  der  medienpadagogischen  Arbeit.   -  Am  ehesten  lassen  sich 
noch  BedLirfnisse  nach  Erholung  und  Entspannung  sowie  nach  sozialer 
Anerkennung  und  nach  Orientierung  im  Jugenfreizeitheim  verwirklichen. 
Andererseits  liegt  aber  die  Chance  der  bedurfnisorientierten  Arbeit 
darin,  daB  liber  die  Art  der  BewuBtwerdung  der  eigentlichen  Bed'urf- 
nisse  und  deren  Reduzierung  unter  den  gegenwartigen  Bedingungen 
weitere  gesellschaftliche  Zusammenhange  und  eigene  Interessen  er- 
kannt  und  Konsequenzen  gezogen  werden  kbnnen. 


8.  Zusammenfassung 

Als  ein  allgemeines  Ergebnis  unserer  Diskussion  anhand  des  vorliegen- 
den  Artikel s  ist  festzuhalten,  daB  die  Mbgl ichkeiten  politischer  Ar- 
beit im  Jugendfreizeitbereich  wahrend  der  letzten  Jahre  falsch  ein- 
geschatzt  worden  sind. 

Dies  mag  z.T.  auch  daran  liegen,  daB  man  sich  die  selbstorgamsie- 
renden  Wohnkollektive,  wie  etwa  das  Rauch-Haus,  als  Modelle  fort- 
schrittlicher  Praxis  in  Jugendfreizeiteinrichtungen  vorgestellt  hat. 
Hinzu  kommt,  daB  der  Wunsch  nach  politisch  legitimierter  Praxis  - 
und  das  heiBt  gleichzeitig  nach  kurzfristig  zu  realisierenden  und 
vorweisbaren  Erfolgen  -  zu  einer  Vernachlassigung  bzw.  Unterschat- 
zung  der  zahen  ta'glichen  Kleinarbeit  gefiihrt  hat,  welche  die  Bil- 
dung  politischen  BewuBtseins  erfordert.    (Dies  Letzte  gilt  vorwiegend 
fur  die  im  "Prisma"  im  Rahmen  ihres  Projektstudiums  zeitweise  be- 
schaftigten  PH-Studenten) . 

Die  falsche  Bestimmung  der  politischen  Arbeit  im  Jugendfreizeitheim 
liegt  unserer  Meinung  nach  darin,  daB  man  meinte,  Lernprozesse,  die 
dort  eingeleitet  worden  sind,  mu'Bten  sich  auch  unmittelbar  im  Frei- 
zeitheim  selbst  auswirken,  d.h.   sich  in  auf  das  Freizeitheim  bezo- 
genen  Aktivitaten  und  Aktionen,  etwa  der  Erka'mpfung  der  Selbstverwal- 
tung,  auBern.   Wir  meinen  dagegen,  daB  in  der  Bildung  politischen  Be- 
wuBtseins der  begrenzte  Bereich  des  Jugendfreizeitheims  nur  einen 
mdglicherweise  geringen  Anteil   haben  kann  und  daB  die  dort  vermit- 
telten  Anregungen  und  BewuBtseinsprozesse  in  ganz  anderen  Lebensbe- 
reichen  wirksam  werden  mlissen  und  nicht  ira  Freizeitheim  selbst. 
Nichts  ware  verkehrter.als  die  Aktivita'ten  der  Jugendlichen  im  Frei- 
zeitheim zum  Selbstzweck  zu  machen.  Sie  kdnnen  ihre  Probleme  nicht 
im  Freizeitheim  Ibsen,  sondern  nur,  wenn  sie  sich  davon  emanzipieren, 
17h.   sich  kollektive  und  solidarische  Lebenszusammenhange  schaffen, 
sei's  in  Wohngemeinschaften  Oder  politischen  Organisationen.  Die  Ar- 
beit von  Sozialarbeitern  im  Jugendfreizeitheim  kann  dazu  AnstbBe  und 
Unterstlitzung  geben,  die  -  wenn  uberhaupt  -  sich  erst  langfristig 
und  unliberprlifbar  auswirken.   Es  steht  in  Frage,  ob  die  Mbgl  ichkeiten 
zu  einer  solchen  Arbeit  wirklich  ausgeschbpft  worden  sind  oder 
ob  nicht  vielmehr  ein  kurzsichtiges  Verstandnis  von  politischer  Ar- 
beit blind  gemacht  hat  fur  den  oben  genannten  Zusammenhang  und  poli- 
tische  Arbeit  reduziert  wurde  auf  die  unmittelbare  Aktivitat  im  und 
urn  das  Freizeitheim.  i 


44 


Herbert  Swoboda: 

SOZIALARBEIT  UND  JUGENDARBEITSLOSIGKEIT 


Nach  der  Drogenwelle  sieht  sich  die  Sozialarbeit  einem  neuen  Problem 
qegenuber,  an  das  sich  altere  Sozialarbeiter  noch  gut  erinnern  kbn- 
nen-  dem  Problem  der  Jugendarbeitslosigkeit.  Aufs  engste  verknupft 
mit'der  allgemeinen  Arbeitslosigkeit  stellte  die  Arbeitslosigkeit 
Juqendlicher  bereits  in  der  Weimarer  Republik  -  besonders  in  der 
Zeit  von  1929  bis  1933  und   in  der  BRD  von  1945  bis  1954  -  nicht  nur 
die  Sozialarbeiter  in  Jugendpflege  und  Jugendfursorge  vor  eine  Reihe 
schwieriger  Aufgaben,  sondern  pragte  auch  das  BewuBtsein  der  Betrof- 
fenen  nachhaltig. 

Fs  gibt  wohl   keine  Arbeiterfamil ie  in  der  BRD,   in  der  keine  bitteren 
Erfahrungen  aus  diesen  Zeiten  zu  berichten  waren.   Damit  wird  u.a. 
auch  deutlich,  dafj  Arbeitslosigkeit  kein  "Betriebsunfall"   konjunk- 
tureller  Art  ist,  sondern  eine  dem  kapital istischen  Wirtschaftssy- 
stem  notwendig  innewohnende  Erscheinung. 

Ein  bestimnter  Prozentsatz  von  Arbeitslosen  gehbrt  nach  Marx  zum  We- 
sensmerkmal  des  Kapital ismus:  als  industrielle  Reservearmee.    "Sie  bil- 
aen  eine  industrielle  Reservearmee,  welche  wahrend  schlechter  oder 
mittelma'Biger  Geschaftszeiten  unter  dem  Wert  ihrer  Arbeit  bezahlt  und 
iinregelmaBig  beschaftigt  wird  oder  der  bffentlichen  Armeripflege  an- 
Lir.ifallt,  die  aber  der  Kapitalistenklasse  zu  Zeiten  besonders  leb- 
haften  Geschafts  unentbehrl ich  ist,  wie  dies  in  England  handgreif- 
lich  vorliegt,  die  aber  unter  alien  Umstanden  dazu  dient,  die  Wider- 
standskraft  der  regelma'Big  beschaftigten  Arbeiter  zu  brechen  und  ih- 

p  Lbhne  niedrig  ZU  halten."  ("Die  Kategorie    'Deklassierung'   bezeich- 
r    t   den   Versuch,    die   im  Kapitalismus   notwendig  produzierte   besondere 
verelendung  bestimmter  Teile  des  Proletariats  sowohl   in   ihrem  prozes- 

ualen  Ablauf  als  auch  in   ihrem  Ergebnis  begrifflirh   zu  fassen    (qua- 
si  als  Kurzformel).") 

Bo-i   alien  MaBnahmen  der  Sozialarbeit  muB  daher  klar  sein:   das  Problem 
III  jugendarbeitslosigkeit  kann  grundsatzl ich  nur  durch  die  Oberwin- 
dung  des  kapitalistischen  Wirtschaftssystems  gelost  werden. 

rrjnQ  dauerhaften  Lbsungen 

„   rn  die  historischen  Beispiele  zeigen  keine  dauerhafte  Lbsung  der 
^  h»lts?osiqkeit.  Wahrend  das  Hitlerregime  die  uberzahligen  Arbeits- 
Arsfte  und  weit  mehr  im  Krieg  verheizte  (3  Millionen  Manner  in  den 
kra!en  Arbeit  jahren),  hatte  die  BRD  das  "Gluck",  durch  die  verhee- 
be  Hpn  LUcken  an  qua  ifizierten  Arbeitskraften  mittelfnstig,  d.h. 
r?n  ^65/66     sowie  durch  den  notwendigen  Wiederaufbau  und  Kapital - 
b1nlzen  aus  den  USA  fast  alle  Arbeitswilligen  -  auch  das  Heer  der 
nUchtlinge  und  Heimatvertriebenen  -  in  der  konjunkturel  1  gepragten 
[jirtschaft  unterzubringen.  ^         ^ 


Sie  konnte  es  sich  sogar  "leisten",  qualifizierte  Krafte  aus  der 
DDR  abzuwerben  und  spa'ter  Millionen  unqualifizierter  Arbei tsimmigran- 
ten  aus  den  Randzonen  Slideuropas  ins  Land  zu  holen. 
Der  letzte  Ausweg  fur  viele  jugendliche  Arbeitslose.in  die  Fremden- 
legion  zu  gehen,  wurde  schlieBlich  mit  dem  Aufbau  der  Bundeswehr 
unnotig.  Heute  bindet  die  Bundeswehr  gut  eine  halbe  Million  jugendli- 
che Arbeitslose. 

Aufgrund  dieser  glinstigen  Unstande  gelang  es  in  der  BRD  jahrelang, 

die  Jugendarbeitslosigkeit  gering  zu  halten  bzw.  durch  zeitliche  Ver- 

zbgerung  zu  verbergen.   Urn  so  krasser  tritt  sie  jetzt  ins  BewuBtsein, 

wo  eine  Reihe  von  Entwicklungen  so  zusammenfallen,  daB  sie  sich  in 

ihrer  Wirkung  iiberlagern  und  enorm  verstarken: 

0Einfiihrung  neuer  Technologien  und  damit  Wegrational  isieren  von  Ar- 
bei tspl  a  tzen, 

#Kapitalkonzentration  und  damit  Pleitegehen  vieler  ausbildungsinten- 
siver  Klein-  und  Mittelbetriebe, 

#Tief  stand  des  schleichenden  Abbaus  der  Lehrstellenangebote, 
geburtenstarke  Jahrga'nge, 

^personelle  Absattigung  von  Bundeswehr,  Polizei, 
Bundesgrenzschutz,  Stagnieren  der  Berufsbildungsreform, 

#Numerus  clausus  an  den  Hochschulen, 
und  im  Gegensatz  zu  frliher  (oder  zu  den  USA):   kein  menschenver- 

^schlei  Bender  Krieg, 

keine  Enttriimmerung  und  akuter  Wiederaufbau, 

#Auflbsung  der  Freradenlegion. 

Zur  Debatte  steht  -  wie  z.B.  in  Irland  seit  Jahrhunderten  und  nach 
1945  auch  in  Deutschland  -  die  Auswanderung.  Hierfiir  wirbt  bereits 
Sudafrika. 

Selbst  der  Direktor  der  Bundesanstalt  fur  Arbeit,  Stingl,  muB  zuge- 
ben,  daB  man  sich  darauf  einzurichten  hat,  mit  einer  gewissen  Prozent- 
zahl   an  Arbeitslosen  zu  leben.   Keine  rosige  Zukunft  also  fiir  Jugend- 
liche, die  bisher  ohne  Arbeits-  und  Lehrstelle  sind,  kaum  Hoffnung 
fur  die  geburtenstarken  Jahrga'nge,  die  im  Sommer  die  Schulen  verlassen 
werden.   In  dieser  Situation  wird  den  Sozialarbeitern  die  Aufgabe  zu- 
gewiesen,  die  Jugendlichen  "ausbildungswillig"  zu  halten,  von  der 
StraBe  zu  holen,  sie  sinnvoll   zu  beschaftigen,  kurz:   bei  guter  Laune 
zu  halten.  Zu  verhindern  sei  ferner  das  Abgleiten  in  die  Kriminali- 
tat  sowie  das  Zweifeln  an  der  Funktionsfahigkeit  dieses  Wirtschafts- 
systems  und  dieses  Staates  -  gemessen  an  den  vitalen  Interessen  der 
jugendlichen  Arbeitslosen. 

Da  nicht  allein  die  Abwesenheit  von  Arbeit  Probleme  aufwirft.  son- 
dern  eine  Reihe  weiterer  Deklassierungserscheinungen  ("Das  Arbeits- 
lager  sollte  nicht  selbstzweck,   sondern  Keinzelle  seini   eine  Schu- 
lungsstufe  des   Zusammenlebens ,    von  der  aus  weitere  Schritte  zu  einer 
genossenschaftlichen  Vberwindung  der  als  strukturell  erkannten  Krj.se 
unternommen  werden  sollten.    Das  Arbeitslager  war  also  nur  der  Antang 
einer  wahren  inneren  Kolonisation,   die  zu  einer  Intensivierung  des 
Lebens,    vor  allem  auf  dem  Lande  fiihren  sollte.    Hier  spielte  der  Ge- 
danke  der  Siedlung  naturgemaB  die  groBte  Rolle. "    (Raupach,    Soziale 
Selbsthilfe  freier  Jugendgruppen,   S.    93  in:  Jahrbucb  der  Jugendar- 

beit,  mnchen  1949)  hinzutreten,  ist  die  Zielgruppe  der  Sozialar- 
beit  sehr  differenziert  und  entsprechend  unterschiedlich  sind  one 


MaBnahmen,  die  historisch  getroffen  wurden.  Zur  blanken  Arbeitslosig- 
keit  kommen  hinzu  Alkoholismus,  Vagabundieren  (auf  Trebe  gehen), 
Schwarzhandel ,  Einbrliche,  Diebst'a'hle,  Dealen,  Prostitution,  gestei- 
gerte  Aggressivitat  oder  Apathie. 


Wie  man  in  der  Weimarer  Republik  der  Jugendarbeitslosigkeit 
begegnete 


Arbeiter,  Bauern  und  Studenten,   in  den  Wohnheimen  fiir  Studenten  und 
Werktatige  und  in  der  landwirtschaftlichen  Genossenschaftssiedlung 
als  neue  Lebensformen  der  deutschen  Jugend  entwickelt  hatte. 

C  "Arbeitsmarktprobleme  Jugend  licher",    Arbeitspapier  der   BAA   vom 
29.1.1975,    S.    32) 

Am  3.3.1933  wurde  zusatzlich  die  "Landhilfe"  fiir  jugendliche  Arbeits- 
lose eingerichtet,  am  26.6.1935  ein  "Reichsarbeitsdienstgesetz" 
erlassen.  Hinzu  kamen  noch  -  speziell   fur  Madchen  -  das  "hauswirt- 
schaftliche  Jahr"  und  das  "Landjahr".  Der  Arbeitsdienst  diente  der 
DurchfUhrung  von  Arbeiten,  die  der  Wirtschaft  wenig  Profit  brachten 
und  die  nun  unter  Umgehung  tarif licher  Vereinbarungen  verrichtet  wur- 
den.  Die  geleisteten  Arbeiten  dienten  zunehmend  Kriegsvorbereitungen, 
etwa  dem  Bau  von  Befestigungsanlagen. 


Na 
ei 


ch  dem  Krieg  waren  die  Arbeitsdienste  verpbnt,  und  man  griff  auf 

ne  Reihe  anderer  MaBnahmen  zuru'ck,  wie  z.B. 

Jugendwohnheime  fiir  Lehrlinge  und  Jungarbeiter 

Vollberufsschulklassen  fiir  erwerbslose  Jugendliche 

(eine  Berliner  MaBnahme  von  1949,  die  durch  Gesetz  als 

Schulpflicht  gait) 

Grundlehrgange 

Jugend noteinsatz 

Notstandarbeiten 

(z.B.   Enttrummerungen) 


Bereits 
1 ichen 
beitslo 
es  aber 
1 ichen 
bei  all 
ha'ltnis 
dekommt 
tiert  i 
daB  sie 


in  der  Weimarer  Republik  hatte  man  den  arbeitslosen  Jugend- 
eingeredet,  daB  der  Arbeitsdienst  zur  Beseitigung  ihrer  Ar- 
sigkeit  beitrage  und  ihre  Lage  verbessere.   Im  Gegenteil  ging 

urn  den  Abbau  der  von  der  Arbei terbewegung  erkampften  tarif- 
Vereinbarungen.  Auch  in  der  Zeit  nach  dem  2.  Weltkrieg  ist 
en  MaBnahmen  entscheidend,  daB  kein  Arbeits-  oder  Dienstver- 

im  Sinne  sozial-  oder  arbeitsrechtlicher  Vorschriften  zustan- 
also  auch  keine  Vertretung  von  Arbeitnehmerinteressen  garan- 
st.  Entscheidend  ist  ferner  fur  die  Mehrzahl  der  MaBnahmen, 

nicht  auf  die  Lehrzeit  angerechnet  werden. 


Beide  Kriterien  treffen  im  wesentlichen  auch  heute  fiir  die  vorge- 
schlagenen  und  teilweise  in  Angriff  genommenen  MaBnahmen  zu,  wie 

etwa: 

0Berufsschulgrundjahr 

#Lehrgange  fiir  berufs-  und  arbei tsunreife  Jugendliche 


47  - 


MATERIALIEN    ZUR   JUGENDARBEITSLOSIGKEIT 

1.)  ARBEITSLOS  -  Analysen  und  Berichte  zur  Jugendarbeitslosigkeit 
Erziehung  &  Klassenkampf  Nr.  2o/21,  Verlag  Roter  Stem, Frankfurt 
2.)  JUGENDARBEITSLOSIGKEIT  -  Faktcn  -  Analysen  -  Argumente 
Hessischer  Jugendring,  62  Wiesbaden,  Albrechtstr.  15 
3.)   WIE  SAG  ICH's  DEM  KOLLEGEN?  -  Allgemeinverstandliche  Er- 
klarungen  zum  Thema  Arbeitslosigkeit  und  zum  Schlufi  "RATIONALI- 
SrERUNG  BEI  DER  MEHRWERT-ZENTRALE(ein  Rollenspiel):  erar- 
beitet  im  Jugendzentrum  Hamburg-  Hamm;  35  S.,  DM  3,--  gegen  Vor- 
einsendung  von  Briefmarken/Scheck  an:  Dieter  Lucke,Grevestr.l7, 
2  Hamburg  76,  Telefon  o4o/229  08  23 

4.)  DIA-TON-SCHAU:  "Vielleicht  kommt  'ne  Arbeitsstelle  an  mir  ran- 
geflogen!  "  —  Berichte  arbeitsloser  Jugendlicher  iiber  ihre  Lage;  Kontakt: 
Medienzentrum   1  Berlin  41,  Wielandstr.  42  a 


#Nachholen  des  Hauptschulabschlusses  (VHS) 

^Sprachkurse  flir  junge  Auslander. 

Auch  sie  bieten  keine  Garantie  fur  einen  Arbeitsplatz. 

Sozialarbeiter  sind  weder  flir  die  Jugendarbeitslosigkeit  verantwort- 
lich,   noch  kbnnen  sie  sie  beseitigen.  Sie  sollten  aber  die  ihnen 
zugewiesene  Funktion,  die  Jugendlichen  bei  guter  Laune  zu  halten, 
nicht  durch  Verbreitung  von  Illusionen  erfullen.   Es  gilt  vielmehr, 
den  Jugendlichen  die  Augen  zu  bffnen,  mit  ihnen  die  wahren  Hinter- 
grlinde  der  Arbeitslosigkeit  zu  erarbeiten  (siehe  dazu  die  Tonbiid- 

schau    "Berufliche  Bildung  und  Arbeitslosigkeit"  auszuleihen  beim 
BDP/BDJ,    6  Frankfurt/M.    90,    Hamburger  Allee  49)   materiel  1    flir   sie 

herauszuschlagen,  was  mdglich  ist,  und  den  DeklassierungsprozeB  auf- 
zuhalten,  indem  sie  die  Jugendlichen  an  die  organisierte  Arbeiterbe- 
wegung  heranfuhren. 

Der  Realisierung  dieser  mit  Sicherheit  richtigen  Forderung  stehen 
allerdings  massive  Hindernisse  entgegen.  Auf  der  subjektiven  Seite 
gibt  es  psychische  Mechanismen,  die  einerseits  als  Neid,  andrer- 
seits  als  Oberhebl  ichkeit  bezeichnet  werden  kbnnen.  Es  gibt  irrmer 
noch  eim'ge,  denen  es  noch  dreckiger  geht,  so  daB  man  sich  von  die- 
sen  abheben  kann.  So  wird  das  ladierte  SelbstbewuBtsein  auf  Kosten 
anderer  aufgebessert. 

Dadurch  wird  nicht  nur  einer  auch  von  der  herrschenden  Ideologie 
betriebenen  Spaltung  der  Arbeiterjugend  in  "Tuchtige"  und  "Versager" 
Normale  und  Randstandige  Vorschub  geleistet,  sondern  auch  innerhalb 
der  deklassiert  werdenden  Teile  zusatzlich  Hierarchien  geschaffen, 
die  einer  Solidarisierung  entgegenwirken. 

Tatsachlich  ist  aber  die  Arbeiterjugend  insgesamt  von  Dequalif izie- 
rung  und  Deklassierung  bedroht  und  eine  Aussonderung  deklassiert 
werdender  Teile  -  die  teilweise  auch  von  Sozialarbeitern  vorgenom- 
men  wird  -  bedeutet  Spaltung. 

Im  Bereich  der  Interessenvertretung  nimmt  die  Gewerkschaft  diese 
Funktion  bisher  wahr:  Arbeitslose  Schulabganger  haben  keine  Mbglich- 
keit,  sich  in  der  Gewerkschaft  zu  organisieren. 

In  den  folgenden  Praxisberichten  werden  einige  Probleme  einer  Arbeit 
mit  arbeitslosen  Jugendlichen  in  den  Institutionen  der  Sozialarbeit 
aufgezeigt. 


Gerd  Rieger: 

ARBEITSLOSE  JUGENDLICHE 
IM  JUGENDZENTRUM 


Die  Euphorie  und  Oberschatzung  der  politischen  Mbglichkeiten  von 
selbstverwalteten  Jugendzentren  ist  in  Mettmann  vorbei.    (zur  Entwick- 

lungsgeschichte  des  JZ  Mettmann,    vergl.    Informationsd ienst   Sozial- 
arbeit,   Heft   9,    S.    7-20/   zur   Zielgruppenarbeit  mit  Arbeitermadcben: 
Almut   Jodicke,    Arbeitermadchen   im  Jugendzentrum,    Offenbach   1975), 
Die  bisherigen  Trager  der  Initiative,  vor  allem  Gymnasiasten,  anpo- 
litisierte  Lehrlinge  und  Studenten,   haben  sich  aus  der  Jugendzentrums- 
bewegung  zuruckgezogen,  als  sie  erkannten,  daB  ihre  abstrakten  Vor- 
stellungen  einer  weiterreichenden  Perspektive  im  erkampften  Haus 
sich  nicht  ad  hoc  verwirkl ichen  lieBen.   Sie  sind  aus  der  Kleinstadt 
in  Universitatsstadte  gezogen,  arbeiten  heute  in  anderen  politischen 
Zusammenhangen,   kurz:   sie  kommen  nur  sehr  selten  in  das  Jugendzen- 
trum. 

Das  Jugendzentrum  wurde  durch  Schlagereien  und  Zerstbrungen  immer 
ungemutl  icher.   Der  Mangel  an  finanziellen  Mitteln  verhindert  ein 
qualitativ  gutes  Freizeitangebot,  das  den  Interessen  der  Besucher 
und  Organisatoren  entspricht.    Nur  noch  wenige  Jugendliche  kommen 
regelma'Big  in  das  Jugendzentrum,  meist  arbeitslose  Jugendliche  und 
Auslander. 

Die  Stadtverwaltung  reagiert  unter  dem  Druck  der  allgemeinen  Finanz- 
misere  mit  zunehmender  Repression  auf  die  Praxisbereiche  der  Sozial- 
arbeiter:  Streichung  der  Mittel,  Beendigung  der  Forderung  der 
"Selbstverwaltung",   keine  zusatzlichen  Planstellen,  Einfrieren  der 
bereits  offenen  Stellen,  Dienstanweisungen.  Den  Sozialarbeitern 
wird  die  letzte  Illusion  genommen,  Reformmodelle  der  Sozialarbeit 
zu  verwirkl ichen  und  auszubauen.  Die  Verwaltung,  die  sich  vor  2  Jah- 
ren  entschlossen  hat,   ihre  Fortschrittl ichkeit  durch  den  Bau  des 
teuren  Jugendzentrums  und  die  Anerkennung  der  Selbstverwaltung  zu 
beweisen,  bemu'ht  sich  auf  ihre  Weise,  das  Gebaude  vor  Besucher- 
schwund  und  Zerstbrung  zu  retten.   Sie  schlagt  vor,  Ausweise  an  Ju- 
gendliche auszustellen,  die  farblich  gekennzeichnet  fur  verschiedene 
Al  tersgruppen  ausgegeben  werden  sollen.  Die  Ausweise  sollen  eine 
bessere  Kontrolle  der  Besucher  gewahrleisten,  die  Durchsetzung  von 
Hausverboten  erleichtern  und  die  Registrierung  arbeitsloser  Jugend- 
licher und  anderer  Gruppen  ermbgl ichen. 

Wir  Sozialarbeiter  reagieren  hilflos  und  defensiv  auf  den  Besucher- 
schwund,  die  vermehrten  Zerstbrungen  und  Schlagereien  und  auf  die 
verstarkte  Kontrolle  und  Angriffe  der  Stadtverwaltung  auf  unsere  Pra- 
xis- Sie  war  bisher  stark  auf  die  Aktivisten  der  Jugendzentrums-Be- 
wegung  und  deren  Forderungen  ausgerichtet.   Die  Forderungen  und  das 
Vernal  ten  der  Gymnasiasten  bedeuteten  fur  uns  den  Ausdruck  der 
"objektiven  Bedurfnisse"  der  Jugend.  Wir  fanden  in  dem  Sel  bstverwal- 

-  49  - 


tungsmodell   und  dem  Versuch  seiner  Umsetzung  ira  Jugendzentrum 
politische  Legitimation  und  Selbstbestatigung.  Dies  haben  wir  heute 
in  Frage  gestellt  und  bemuhen  uns, mit  verschiedenen  Zielgruppen 
ein  neues  Konzept  zu  erproben. 

Das  Jugendzentrum  1st  fur  die  arbeitslosen  Jugendlichen  eine  Art 
Asyl .  Hier  kann  man  sich  ohne  Konsumzwang  aufhalten  und  trifft  even- 
tuell   Freunde.  Hier  sind  die  Repressionen  der  Umwelt  (Eltern,  Ver- 
wandte,  Nachbarn  und  Polizei)  nicht  so  stark.   Die  oft  zu  engen  woh- 
nungen.besonders  bei  den  Auslandern,  zwingen  die  Jugendlichen  in  das 
Jugendzentrum.  Andere  Mbglichkeiten  gibt  es  in  Mettmann  kaum.   Einige 
Jugendliche  schlafen  bis  mittags,  andere  werden  schon  friih  auf  die 
StraBe  gesetzt,  weil   in  der  Wohnung  kein  Platz  fur  Faulenzer  sei. 
Man  trifft  sich  dann  am  Jubila'umsplatz,  bei  Tschibo,  Oder  auf  Spiel- 
pi  a'tzen  bei   Lambrusko  Oder  Bier  und  wartet  auf  die  Offnung  des  Ju- 
gendzentrums. 

Die  Langeweile  beherrscht  das  Leben  starker  denn  je.  Sie  tbtet  jeden 
Antrieb  aus  der  Lethargie  auszubrechen.   So  baut  der  eine  geduldig 
wochenlang  an  seinem  Model  If  lugzeug,  ein  anderer  la'St  sich  keine 
SesamstraBe  im  Fernsehen  entgehen,  ein  dritter  fullt  sich  die  Zeit 
durch  einen  Karatekursus.  Was  soil  man  sonst  auch  machen?  Irgendwann 
nach  langem  Hin  und  Her,  der  Lauferei  von  Amt  zu  Ant,  von  Arbeits- 
stelle  zu  Arbeitsstelle,  wird  einem  alles  egal .  Man  beginnt,  sich 
mit  seinem  Schicksal   abzufinden,  sich  als  faul  und  minderwertig  zu 
erfahren.   Die  Reaktionen  der  Umwelt  bestatigen  das  ta'glich.  Die  Iden- 
tifikation  mit  seiner  Lage  nimmt  die  letzte  Mbglichkeit,  sich  im  ge- 
sellschaftlichen  Zusammenhang  wiederzuf inden.   Die  ohnehin  nicht  sehr 
stabile  Identitat  vieler  Jugendlicher  bricht  total   zusammen. 

Der  HaB  auf  die  Urheber  der  Misere  richtet  sich  gegen  die  eigenen 
Kumpels,   im  Jugendzentrum  besonders  gegen  die  Ausla'nder,  die  einen 
groBen  Teil   der  Schuld  fur  die  Misere  tragen  sollen.  Die  Tendenzen 
zur  Individualisierung  und  dem  Kampf  aller  gegen  alle  zerstort 
jeden  Ansatz  von  Solidarita't.   Einen  Job  zu  bekommen  heftt  in  diesem 
Kontext,   nur  "Glu'ck"  zu  haben.  Arbeitslos  sein  heiBt:   kein  Geld  und 
viel   Zeit,   in  der  man  "ScheiBe  bauen"  kann. 

Bei  Ma'dchen  macht  sich  die  Arbeitslosigkeit  nicht  so  direkt  bemerk- 
bar.  Sie  werden  voll   in  den  elterlichen  Haushalt  mit  eingeplant  und 
lernen  kochen  und  putzen.  Nur  wenige  haben  sich  beim  Arbeitsamt 
gemeldet,  weil   sie  wissen,  daB  ihre  Chapcen  gering  sind,  eine  Lehr- 
stelle  Oder  Arbeitsplatz  zu  f inden.   Im  Jugendzentrum  sitzen  die  Mad- 
chen  oft  stundenlang  fast  regungslos  auf  den  Ba'nken  in  der  Disko 
und  warten  auf  den  Jungen,  der  sie     zum  Tanzen  auffordert.  Wenn  kei- 
ner  kommt,   tanzen  sie  ab  und  zu  mit  ihrer  Freundin.   Im  Vergleich  zu 
frliher  sind  die  Ma'dchen  unauffal liger  und  beteiligen  sich  nicht  am 
Geschehen  und  den  Aktivitaten  im  Jugendzentrum.    (vgi.  Aimut  jodicke: 

Arbeitermadcben  im  Jugendzentrum,    Offenbach  1975) 

Die  Hilflosigkeit  der  Sozialarbeiter 

Die  Anwesenheit  der  arbeitslosen  Jugendlichen  bzw.  das  Fehlen  der 
bisherigen  "Basis"  von  Gymnasiasten  im  Jugendzentrum  bedroht  unser 
Selbstverstandnis  als  Sozialarbeiter.  "Politische  Arbeit"  (Durch- 

-  5o  - 


flihrung  des  formal -demokratischen  Selbstverwaltungsmodells,  usw.) 
scheint  nicht  mehr  mbglich.  Man  muB  sich  beschr'a'nken  auf  die  typi- 
schen  Formen  der  Sozialarbeit:   individuelle  Hilfe  fur  Systemgescha- 
digte,   Kontrolle  der  industriellen  Reservearmee,   notdlirftige  Versor- 
gung  und  eventuelle  Diszipl  inierung.  Unter  alien  Umstanden  muB  das 
Abrutschen  von  Jugendlichen  in  die  Deklassierung  zu  verhindern  ver- 
sucht  werden.  Hatten  wir  unsere  Unsicherheit  vor  kurzem  noch  durch 
Hausverbote,  SchlieBung  des  Jugendzentrums  und  Polizei   uberspielen 
wollen,  versuchen  wir, uns  jetzt  konkreter  mit  der  uns  relativ  frem- 
den  Gruppe,  den  arbeitslosen  Jugendlichen,  zu  bescha'ftigen.  Dabei 
kann  unsere  Arbeit  nicht  mehr  so  offen  sein,  wie  sie  frliher  schien. 
Die  Krise  zwingt  uns    die  Absicherung  erreichter  Positionen  auf. 
Kampften  einige  von  uns  noch  vor  einem  Jahr  gegen  die  formal e  Gre- 
mienpolitik  im  Jugendzentrum,   so  verteidigen  wir  heute  die  Einwir- 
kungsmbglichkeiten  der  Jugendlichen  auf  die  Jugendpol itik  der  Stadt- 
verwaltung.  Wir  lernen  defensiv:  nur  keine  schlechte  Presse,  nur  kei- 
ne Erhbhungen  der  padagogischen  Kosten,  nur  keine  neuen  Stellenfor- 
derungen,   kein  Vertrbdeln  der  Zeit  mit  u'berflussigen  Teamgespra'chen. 
Die  Fahrtkosten  fiir  die  nebenamtl  ich  arbeitenden  Sozial  pa'dagogen  wur- 
den  mit  Zustimmung  und  Unterstlitzung  der  hauptamtlich  arbeitenden 
Sozialarbeiterin  gestrichen.   Ihr  Anspruch,  die  Interessen  der  "lohn- 
abhangigen  und  werkta'tigen"  Bevblkerung  zu  vertreten  und  "gewerk- 
schaftliche  Orientierung"  zu  praktizieren,   kehrt  sich  ins  Gegenteil. 
In  der  taglichen  Praxis  wird  aus  der  beliebten  Parole  "Preisstop", 
die  angeblich  darauf  abzielen  soil,  den  Real lohnabbau  zu  bekampfen, 
die  Aktion  Lohnstop.   Diese  Ruckzugsgefechte  im  Hinblick  auf  die 
"politische  Arbeit"  im  Jugendzentrum  verursacht  im  Zusammenhang  mit 
der  Erkenntnis,  daB  die  Auswirkungen  der  Krise  nicht  mit  Mitteln  der 
Sozialarbeit  zu  beheben  sind,  resignative  Tendenzen  bei  den  Sozial- 
arbeitern. 

Die  Leere  im  Jugendzentrum,  die  Perspektivlosigkeit  der  Arbeit  und 
der  Druck  der  Verwaltung  auf  die  Praxis  zwingen  uns  zur  neuen  Kon- 
zeptionserstellung:   Zielgruppenarbeit  mit  Auslandern,  Ma'dchen,  Haupt- 
schulern  und  arbeitslosen  Jugendlichen.   Die  Arbeit  mit  arbeitslosen 
jugendlichen  erfordert  im  Gegensatz  zur  Arbeit  mit  festen  Interessen- 
gruppen   (Theater-,  Foto-,  Kochgruppe)  viel  mehr  Zeit  und  persbnli- 
ches  Engagement.  Auf  Briefe  und  Plakate,  die  zur  Gruppe  einluden, 
reagierte  niemand.  So  waren  und  sind  wir  gezwungen,  die  Jugendlichen 
zu  Hause  aufzusuchen,  Vorurteile  bei  den  Eltern  gegen  das  Jugendzen- 
trum auszura'umen,  die  Berufsschule  zu  besuchen,  urn  auch  andere  be- 
troffene  Jugendliche,  die  noch  nicht  im  Jugendzentrum  verkehren,  an- 
zusprechen;  Kontakte  mit  Gewerkschaften,  Volkshochschule,  Arbeitsamt 
und  Sozialamt  herzustellen,  urn  eine  bessere  und  schnellere  Zusam- 
menarbeit  zu  praktizieren,  ein  langeres  Dffnen  des  Jugendzentrums 
fiir  arbeitslose  Jugendliche  durchzusetzen,  urn  gemeinsam  mit  ihnen 
ihre  Freizeit  zu  organisieren.  Unsere  Perspektive  neben  dem  allge- 
meinen  Jugendzentrums-Dienst  stadtteilbezogen  mit  den  Jugendlichen 
Zu  arbeiten  und  gleichzeitig  mit  Kollegen  bei   freien  Tra'gern,  Stadt- 
verwaltung  und  Bildungseinrichtungen  zu  kooperieren,  kann  durch  den 
unzureichenden  Etat  und  den  Personalmangel    nicht  verwirklicht  werden. 


51 


Das  Dilemma  der  Sozialarbeit  wird  offensichtlich 

Die  Sozialarbeiter  in  Mettmann  wollen  mit  ihrer  Praxis  die  Ver- 
schlechterung  der  Lebenssituation  der  Jugendlichen  verhindern.   Dies 
gelingt  ihnen  im  Freizeitbereich  nur  bedingt.  Daraus  wird  ein  schon 
immer  bestehendes  Dilemma  der  Sozialarbeit  deutlich.  Die  in  den 
letzten  Jahren  gefu'hrte  Diskussion  urn  die  Verbindung  von  Produktions- 
und  Reproduktionsbereich  zur  Bestimmung  der  Arbeit  im  Freizeitbe- 
reich, blieb  bisher  ohne  praktisch  richtige  Konsequenzen. 
Im  Jugendzentrum  Mettmann  versuchten  wir,  diese  Vermittlung  durch 
sporadische  Veranstaltungen  und  Diskussionen^z.B.  Uber  die  Arbeits- 
welt  herzustellen.  Auf  diesen  Veranstaltungen  -  eingestreut  in  den 
allt'aglichen  Betrieb  neben  Kicker,  Disko  und  Tischtennis  -  propa- 
gierten  wir  die  Notwendigkeit  der  gewerkschaftl ichen  Organisierung. 
Doch  sie  fanden  nur  bei  den  Jugendlichen  Anklang,  die  eh  schon  ge- 
werkschaftlich  organisiert  waren.  Andere  Ougendliche  hielten  sich 
lieber  in  der  Disko  Oder  Cafeteria  auf.  Unsere  Sozialarbeiter-Praxis 
machte  aber  nach  auBen  den  Eindruck  einer  politischen  Arbeit  im 
Jugendzentrum. 

Diese  Aktivita'ten  vermittelten  weder  den  Jugendlichen  noch  den  So- 
zialarbeitern  praktische  Perspektiven  zur  Vera'nderung  der  Situation 
im  Freizeitbereich.  Das  Image  des  selbstverwalteten  Jugendzentrums 
wurde  mit  aller  Kraft  aufrecht  zu  erhalten  gesucht.  Da  die  Offent- 
lichkeit  nicht  wissen  durfte,  daB  im  Jugendzentrum  nach  und  nach 
kaum  noch  Aktivita'ten  und  Veranstaltungen  waren  und  nur  noch  wenige 
Besucher  kamen,  wurde  mit  alien  Mitteln  versucht,  "stbrende  Elemen- 
te",  die  das  Jugendzentrum  in  negatives  Licht  bringen  kbnnten,  zu 
unterdriicken.  Selbst  als  das  Haus  noch  vol  1  mit  Aktivita'ten  war, 
wurden  die  "Randgruppenjugendlichen"  auch  als  solche  von  den  Sozial- 
arbeitern  behandelt,  na'mlich  als  Randproblem.  Der  Kontakt  zu  diesen 
Jugendlichen  stellte  sich  dann  nur  her  Uber  Hausverbote,  Wegnahme 
von  Alkohol,  Streit  schlichten  und  Disziplinierungen.  Auseinander- 
setzungen  wurden  formal   zu  Ibsen  versucht,  Schla'gereien  verboten, 
weil  der  Ruf  des  Hauses  leide,  usw.  Das  Vernal tnis  zwischen  den 
"guten,  normalen"  Jugendlichen  und  den  librigen  Besuchern  blieb  w^™- 
matisiert,   ebenso  die  Formen  und  Inhalte,  durch  die  sich  das  Selbst- 
bewuBtsein  der  jeweiligen  Gruppen  ha'tte  sta'rken  kbnnen.  Die  Notwen- 
digkeit der  Arbeit  mit  den  "Randgruppenjugendlichen"  neben  der  In 
teressensgruppenarbeit  wurde  allenfalls  in  den  Teamgespra'chen  formu- 
liert.  Man  hoffte,  daB  sich  irgendwann  die  Perspektive  fiir  die  Ju- 
gendzentrumsarbeit  entwickeln  wurde. 

Da  die  repressiven  MaBnahmen  der  Sozialarbeiter  gegeniiber  den 
"Randgruppenjugendlichen"  im  Widerspruch  zu  unserem  Anspruchstan- 
den,  die  Jugendlichen  sich  eh  von  diesen  Disziplinierungen  nicht  be- 
eindrucken  lieBen  und  weil   es  notwendig  wurde,  sich  mit  arbeitslosen 
Jugendlichen  zu  befassen,  wurde  im  Jugendzentrum  die  padagogische 
Arbeit  neu  u'berdacht. 

Bisher  haben  die  Sozialarbeiter  versucht,  formal  die  Einbeziehung 
des  Produktionssektors  in  ihre  Praxis  herzustellen.   Dadurch  ist  oTt 
bei  den  Jugendlichen  die  Abwehr  vergrbBert  worden,  sich  in  af.1-™1" 
zeit  mit  Fragen  aus  dem  Betrieb  Oder  ihrer  momentan  als  unbefnedi- 
gend  erlebten  Situation  zu  beschaftigen.  Die  Informationen  aus  dem 

-  52  - 


Produktionsbereich  bei  Filmen,  Diskussionen,  Politrockbands  usw. 
hatten  keinen  direkten  und  praktischen  Gebrauchswert  fur  die  Jugend- 
lichen, weil   sie  nicht  zu  ihren  unmittelbaren  Bedlirfnissen  und  Pro- 
blemen  hin  vermittelt  waren.  Zum  Beispiel   kbnnen  die  Minderwertig- 
keitsgeflihle  der  arbeitslosen  Jugendlichen  nicht  per  Postulat  besei- 
tigt  werden,  wie  "Du  gehbrst  zu  uns",  "Wir  sind  alle  betroffen",  usw. 

Die  Jugendlichen  verschafften  sich  Gehbr  und  Aufmerksamkeit  durch 
Zerstbrungen  und  Aggressionen.   Die  arbeitslosen  Jugendlichen  und 
auch  minder  qualif iziertere  Jugendliche  fu'hlen  sich  nicht  anerkannt, 
zu   nichts  nutze  und  gesellschaftlich  wertlos.   Wie  entfremdet  und 
unbefriedigend  die  Arbeit  im  Kapital ismus  auch  ist,   so  bietet  sie 
doch  der  arbeitenden  Jugend  zumindest  die  Mbglichkeit,  sich  als 
nlitzlich  zu  erleben  und  als  gebraucht  zu  fu'hlen. 

Die  Erfahrungen  der  letzten  Monate  mit  einer  Gruppe  von  arbeitslo- 
sen Jugendlichen  im  Jugendzentrum  Mettmann  haben  aber  deutlich  ge- 
zeigt,  bevor  man  zu  Solidaritat  und  gewerkschaftl icher  Organisie- 
rung aufrufen  kann,   ist  es  notwendig,  daB  die  Jugendlichen  Anerken- 
nung  finden,  Qua! ifikationen  an  sich  entdecken  und  entwickeln  und 
dadurch  ihr  SelbstbewuBtsein  herstellen  kbnnen.  Der  ZusammenschluB 
als  Gruppe  ist  eine  Form  der  Abwehr  gegen  die  pathologische  Situa- 
tion der  Arbeitslosigkeit.  Die  Qualifikationen,  die  sie  in  dieser 
Gruppe  entwickeln  kbnnen,  mu'ssen  nicht  unbedingt  den  Charakter  einer 
Behelfslehre  oder  eines  Schulabschlusses  haben,  die  eh  nur  schwer 
qenug  zu  erreichen  sind,  sondern  kbnnen  auch  Fa'higkeiten  bedeuten, 
die  nicht  auf  dem  Papier  nachzuweisen  sind,  aber  zur  unmittelbaren 
BedUrfnisbefriedigung  und  Stabilisierung  der  Jugendlichen  beitragen. 

Seit  einem  halben  Jahr  lief  die  Arbeitslosengruppe  mit  groBer  Be- 
qeisterung  bei  den  Jugendlichen.   Es  gab  kein  isoliertes  Rumha'ngen 
in  der  Disko  mehr.  Das  Klima  im  Jugendzentrum  wurde  freundschaftl  i- 
cher  und  kameradschaftl icher.   Kommunikationsstrukturen  hatten  sich 
entwickelt,  die  schon  lange  nicht  mehr  im  Jugendzentrum  herrschten. 
Wir  begru'Bten  uns  stlirmisch,  quatschten  oft  den  ganzen  Abend  und 
besuchten  uns  gegenseitig.   Zu  Silvester  organisierten  einige  eine 
eigene  Party.   Im  Jugendzentrum  war  wieder  was  los.   In  der  Stadt 
sprach  man  wieder  positiv  Liber  das  Jugendzentrum.  Und  die  Stadtver- 
waltung  war  erfreut  liber  die  Aktivita'ten  der  Sozialarbeiter.  Endlich 
ein  Konzept!  Endlich  tun  die  Sozialarbeiter  mal  was! 

Aber  Neid  und  Konkurrenzangste  verleiteten  die  Gruppe  urn  die  haupt- 
amtliche  Sozialarbeiteri^mit  gefalschten  Aussagen  von  Jugendlichen 
pinen  unliebsamen  Kollege'n  abzuschieBen,  der  in  der  Arbeitslosen- 
aruppe  arbeitete.   Das  Vertrauensverhaltnis  zwischen  den  arbeitslosen 
luqendlichen  und  den  5ozialarbeitern  wurde  zerstbrt.  Mit  Recht 
fraqen  die  Jugendlichen:   "Wie  soil  man  Leuten  trauen,  die  ihre  Kolle- 
aen  auf  so  eine  linke  Tour  in  die  Pfanne  hauen  "•   Zwei  Kollegen 
haben  gekundigt.  Die  begonnene  Arbeit  ist  gestorben  und  ebenso  das 
vor haben,  die  Werkstatten  im  Keller  des  Jugendzentrum  fur  eine  Selbst- 
hilfeinitiative  auszubauen.   Die  Arbeitslosengruppe  fa'llt  allma'hlich 
ajseinander.   Einige  haben  vorlibergehend  Arbeit  gefunden,  fur  andere 
gent  es  weiter    wie  bisher. 


53 


Wir  sollten  hieraus  lernen,  uns  unsere     Hi  1  f  1  osigkei t  und  das 
Scheitern  der  Praxis  offen  zuzugestehen,  daB  andere  daraus  lernen 
kb'nnen.  Was  nutzen  all   die  guten  Konzepte,  die  auf  Solidaritat  aus 
sind,  wenn  selbst  die  Sozialarbeiter  sich  nicht  einig  sein  konnen 
und  unfahig  sind,   ihre  Schwierigkeiten  in  der  Praxis  zu  diskutie- 
ren.  Durch  eine  Politik  der  Diffamierungen,  Intrigen  und  Geru'chte 
werden  eigene  gute  Ansa'tze  liquidiert.   Darunter  leiden  in  erster 
Linie  die  Jugendlichen,  denen  kaum  bessere  Mbgl ichkeiten  offenste- 
hen,  als  die  Freizeit  im  Jugendzentrum  zu  yerbringen.  Die  Erfahrun- 
gen'im  Jugendzentrum  Mettmann  bestatigen  ihr  Vorurteil:   Sozialarbei- 
tern  kann  man  nicht  trauen. 


Zeitschrift  fur  politische  Okonomie 
und  sozialistis(he  Politik 


Bodo  v.Greiff  •  Wo  der  Gegensatz 

i  wischen  Mnteriolismus  und  Idealismus 

in  der  Erkenntnist  heorie  radii  sitzt 

Ludmilla  Muller  ■  Die  Wertlosigkeit 
der  Arbeit  derKinderoulzuthtimKopiralismus 

Christel  Hopf/WuH  Hon*  •  Gleithgultigkeit, 
Identification  und  Klassenbewuftaein 

Mokato  ttoh  •  Krisentheorie  bei  Marx 

M.  R  Buddeberg  ■  Wer  herrsdtt  in  den  -nadir 

kapitalistisih  en « Gesellsihoften  und  warum? 

Renpte  Damus  -  Reproduktion  von  Her rsihufl 
in  nnchkopitafist  ischen  Gesellsdiaften 

Wolfgang  Urthardt 
Zur  Formel  vom  »sozialen  Redihstaat« 


Einzelhefl 
DM9.- 


Peter  Rich: 

ARBEITSLOSE  JUGENDLICHE 
IM  JUGENDCLUB 


Der  Club  ist  eine  Einrichtung  des  Vereins  "Haus  der  offenen  Tlir"  e.V., 
Frankfurt.    Die  Clubraume  befinden  sich   in  3  leerstehenden  Obergangs- 
wohnungen  einer  zur  Sanierung  anstehenden  Obdachlosensiedlung  in 
Frankfurt-Eckenheim.    Die  standigen  Besucher  sind  Krisenarbeitslose, 
Oauerarbeitslose,  Aushilfen,Arbei ter,  Lehrlinge,  Hauptschiiler,  Son- 
derschiiler,  Verheiratete  und  Ledige,  Vater  und  Mutter.   Die  Alters- 
spanne  reicht  von  14  -  26  Jahren.   Es  stellen  sich  auch  sehr  oft  ein- 
zelne  Erwachsene  ein.  Betreut  wird  die  Einrichtung  von  einer  Sozial- 
padagogin  und  einem  Sozialpadagogen. 

Dem  Thema  entsprechend   lassen  sich  viele  Clubbesucher  in  drei  Gruppen 
einteilen:  Arbeitende,  Arbeitssuchende  und  solche,  die  derzeit  keine 
Lust  haben,   zu  arbeiten.  Das  Engagement  fur  die  Belange  des  Jugend- 
clubs  ist  bei   alien  drei  Gruppierungen  etwa  gleich  stark  bzw.   schwach. 
Eine  durchgangige  Beziehung  der  Gruppierungen  untereinander  la'Bt  sich 
pauschal   mit  "Neid"  bezeichnen.   Die  Arbeitslosen  beneiden  die  Arbei- 
tenden  urn  die  verdienten  "Kohlen11.  Die  Arbeitenden  beneiden  die  Ar- 
beitslosen  urn  deren  Freizeit  und  Unabhangigkeit.    Eine  nicht   immer 
verstandl iche  Position  nehmen  dabei  die  padagogischen  Mitarbeiter 
ein:   sie  sind  die  ganze  Zeit  im  Jugendclub  und  werden  noch  dafur  be- 
zahlt.    Die  Schuler  f'uhlen  sich  merkwu'rdigerweise  trotz  aller  Gespra- 
che  und  trotz  alien  Anschauungsunterric htes  bei  El  tern  und  Clubbesu- 
chern  nicht  von  der  Arbeitslosenproblematik  betroffen.    Sie  sind  der 
unerschutterl ichen  Hoffnung,  daB  sie  nach  der  Schulentlassung  eine 
Arbeitsstelle  erhalten  werden. 

Die  individuellen  Wege  zum  Geld  flihren  fur  die  Clubbesucher  liber 
GlLicksspiele  bis  zur  Sozialhilfe.   Von  "Brlichen"   ist  seit  langer  Zeit 
nichts  mehr  an  die  Clubbffentl ichkeit  gelangt.    Seit  einigen  Monaten 
qreift  bei  den  Jugendlichen  auch  eine  Amtermlidigkeit  um  sich.   Fur  sie 
stent  der  Aufwand  an  Zeit  und  Energie  auf  die  Dauer  im  umgekehrten 
Verhaltnis  zum  Erfolg.    "Was   soil    ich  wegen  ein  paar  lumpiger   'Krb'ten' 
oder  wegen  eines  Krankenscheines  2-3  Tage  zwischen  Arbeitsamt  und 
Sozialamt  hin  und  her  laufen?  Wenn  ich  den  Papierkram  nicht  zusam- 
menhabe  oder  so'n  Wisch  nicht  richtig  ausgefLillt  habe,  werde  ich  hbch- 
stens  von  so 'm  Burokraten  noch  zur  Sau  gemacht." 

Also  verlegt  man  sich  auf  gegenseitige  Hilfen.  Wer  Geld  hat,   spendiert 
Bier  und  Zigaretten.  Wer  einen  Job  hat,    sieht  zu ,  daB  er  einen  ar- 
beitssuchenden  Kumpel   beim  Chef  empfiehlt,   und  wenn's  "nur"  um  einen 
Aushilfsjob  geht.   Einige  V  Iter  und  Bekannte  der  Clubbesucher  sind 
selbstandig   im  Metallverschrottungsgewerbe  tatig.   Auch  hier  gibt  es 
ofters  fiir  harte  Arbeit  einige  Mark  zu  verdienen. 

pie  padagogischen  Mitarbeiter  unterbreiten  unverbindlich  Angebote: 


-  55  - 


1.   Informationen  Uber  Arbeitslosengeld,  Arbeitslosenhilfe,  Sozial- 
hilfe,  Fortbildungsmbglichkeiten; 

2  Regelma'Big  treffen  sich  Arbeitssuchende  mit  den  Mitarbeitern  im 
B'uro,  sehen  die  Stellenanzeigen  in  der  Zeitung  durch  und  mac  hen 
mit  den  infrage  kommenden  Stellen  sofort  telefonisch  Vorstel lungs- 
termine  aus. 

3  An  FortbildungsmaBnahmen  nehmen  die  Jugendlichen  nur  teil,  wenn 
es  SpaB  macht.  Derzeit  lauft  ein  Schreibmaschinenkurs.   Eine  werk- 
gruppe  Holz  ist  geplant.   Fortbildungsbemuhungen  auf  eigene  Faust, 
z.B.  Fuhrerschein,  sind  Ausnahmen  (nicht  zuletzt  wegen  der  hohen 
Unkosten). 

In  unregelmaBigen  Absfa'nden  breiten  sich  ansteckende  Stimungen  ent- 
weder  der  "Arbeitsgeilheit"  oder  des  Arbeitsu'berdrusses  unter  den 
Clubbesuchern  aus.  Die  Mitarbeiter  kennen  diese  Phaser  von  sich  sel- 
ber    Urn  die  Arbeitsmoral   etwas  zu  unterstutzen,  wird  an  Arbeitstagen 
besonders  auf  plinktliche  SchlieBung  des  Clubs  urn  24  Uhr  geachtet. 
Die  Wochenenden  laufen  dafur  vol  1  ig  nach  den  Vorstellungen  der  ver- 
schiedenen  Besuchercl iquen.   Das  Verlangen  nach  einem  Ersatz-Zuhause 
kommt  dabei   stark     zum  Ausdruck.  Mangels  stadtischer  Zuschiisse  wird 
das  Improvisations-  und  Crganisationstalent  der  Jugendlichen  enorm 
gefordert.  So  werden  die  Oberlegungen  zur  Gestaltung  der  Clubraume 
und  des  Programmes  jetzt  im  Winter  unter  folgenden  Gesichtspunkten 
angestellt:   warmer  als  drauBen,  gemiitlicher  als  zuhause,  billiger 
als  in  Diskotheken  und  Kneipen.  Fur  einzelne  Jugendliche  mussen  die 
Clubraume  auch  ab  und  zu  mehrere  Tage  und  Nachte  als  Quartier  dienen, 
z.B.  wenn  bei  Freunden  nicht  unterzukommen  ist  Oder  wenn  zunause 
dicke  Luft  herrscht. 

Unter  den  geschilderten  Bedingungen  kommt  es  bemerkenswerterweise 
fast  nur  bei  ubermaBigem  AlkoholgenuB  zu  Schlagereien,  obohl  die  Luft 
mancMal   spurbar  aggressionsgeladen  ist.  Die  Jugendlichen,  besonders 
die  Clubvorstande,  bringen  die  Streithahne  in  der  Regel  jedoch  schnell 
und  wirkungsvoll  auseinander. 

Im  Zuge  der  laufenden  Bemu'hungen    um  die  raumliche,  finanzielle  und 
juristische  Absicherung  des  Clubs  mit  moglichst  weitgehender  Selbst- 
bestimmung  der  Clubbesucher  soil   in  Zukunft  versucht  werden 

a)  die  jiingeren  Clubbesucher  mehr  in  das  Geschehen  mit  einzubeziehen, 
damit  sie  lernen  kbnnen,  daB  man  auch  Probleme  wie  die  Arbeitslo- 
sigkeit  gemeinsam  angehen  kann  und 

b)  soil  der  Aufbau  einer  autonomen  Wohngruppe  fur  Clubbesucher  mit 
den  Jugendlichen  diskutiert  werden. . 


MATERIALIEN  ZUR  JUGENDARBEITSLOSIGKEIT 

1.)  Ulrich  Miickenberger:  JUGENDARBEITSLOSIGKEIT  UND  KEIN  ENDE? 

in  Theorie  und  Praxis  der  Sozialen  Arbeit  Nr.  4/76;  AWO,  53  Bonn 

2.)  Okonomie-Info  Nr.9  zu  Jugendarbeitslosigkeit  und  Jugendarbeitsschutz 

ui;  DM  1.2o  uber  Verband  Progressiver  Pazifisten  und  Kriegsdienstverweigerer, 

Mengstr.  38,  24oo  Liibeck  1 

3  )  TUGEND  IN  DER  KLASSENGESELLSCHAFT  -  Arbeitspapiere,Berichte, 

Dokumente  desjugendpolitischen  Forums  1974;  272  S.,  DM  8  -!bei  grofieren 

Mengen  Rabatt;  Bezug:  Verlag  Jugend  &  Politik,  Hamburger  AUee  49,  6  Ffm. 


Traudel  Lucius: 

AUSWIRKUNGEN  GEGENWARTIGER  ARBEITSLOSIGKEIT 

AUF  DIE  SITUATION 

DEKLASSIERTER  PROLETARISCHER  MADCHEN 


nie  oeqenwartige  Krise  macht  uns  den  unterdruckenden  Charakter  der 
Frauenlohnarbeit  klarer,  verdeutlicht  wieder  einmal  die  Tendenzen, 
wie  sie  schon  seit  den  Anfangen  der  Industrial isierung  bestanden 

Nur6ein  Drittel  aller  Frauen  (Erwerbsquote  1972:   29,4  %,  die  Erwerbs- 
ouote  der  Manner  lag  1972  bei   58,5  %)  haben  reell   eine  Chance  zu 
^hPiten     Das  verdeutlicht  auch  den  uberwiegend  vorubergehenden  Cha- 
pter von  Frauenlohnarbeit.  Hausfrau  und  Mutterdasein  ist  nach  wie 
vor  das  Dominierende  im  Leben  der  Frau.  Denn  die  Berufstatigkeit 
wird  bei   Heirat  und  Kindern  haufig  unterbrochen. 

i^-in  Wunder,  daB  ein  verstarkter  Ausbau  von  Kindergarten  und  Ganz- 
^fnJcrhulen  Liberfllissiq  ist,  solange  nicht  alle  Frauen  im  Arbeits- 
nrozle  sie  en     Die  Verhinderung  der  Abschaffung  des  §  218  druckt  in 
S-esem  Zusammenhang  die  bestehende  Realitat  und  die  Grenzen  der  ge- 
ceflschaftlichen  Funktion  der  Frau  aus:  mehr  denn  je  wird  der  Frau 
verdeutlicht,  daB  ihr  Platz  daheim  bei  den  Kindern  zu  sein  hat. 
Schon  der  Pillenknick  hat  ja  die  Rentenversicherung  gefahrdet  (!?). 
jeder  Ausbruch  muB  bestraft  werden. 

Fur  rund  ein  Drittel   aller  Frauen  (unverheiratete,  Frauen  mit  Kin- 
1    d1e  trotz  der  Kinder  arbeiten  gehen  mussen)  gilt  zwar  die  Be- 
Sstat  gkeit  als  kontinuierliche  Perspektive.   In  Knsenze  ten  er- 
^tct  sich  diese  Perspektive  gerade  fur  die  mit  "einfachen"  Arbeiten 
he  chart  gten  Frauen  sowohl   im  Dienstleistungsbereich  als  auc     in  der 
t   HM^Hearbeit  als  unrealistisch.   Von  der  Arbeitslosigkeit  allge- 
iein  si nd  i   sgesamt  Hilfsarbeiter  und  Angelernte  verstarkt  betroffen, 
Til  juoendarbeitslosigkeit  trifft  in  aufsteigenden  Prozentzahlen 
HluoSler     Hauptschuler  ohne  AbschluB,  Sonderschuler.   Frauen  sind 
HarUberhinaus  verstarkt  die  Leidtragenden  der  Krise,  denn  nach  wie 
tr  lieSt  ihre  Qual  ifikation  unter  der  der  Manner.   Fursie  gi  t  die 
R°cervelrmeefunktion:   in  Hochkonjunkturzeiten  kbnnen  sie  zu  Hilfsar- 
Slnen  h™angezogen  werden,   in  der  Krise  verschwinden  sie  hinterm 
Kochtopf. 
nas  bisher  Gesagte  weist  daraufhin,  daB  fur  proletarische  Madchen 

nd  verstarkt  noch  fur  deklassierte  proletarische  Madchen,z.B.   aus 
UetZ  0  dachlosengebiet,  die  Chancen  schon  immer  extrem  mies  waren, 

,c  dPr  traditionellen  Rolle  auszubrechen  und  zur  Zeit  fast  aus- 
"irhtslos  sind     Insofern  ist  es  auch   'logisch1,  daB  die  proletarische 
InHal   sat  on  am  starksten  darauf  abzielt,  Madchen  fur  Hausfrauen-, 
^febten-  und  Mutterdasein  abzurichten.   "Du  heiratest  ja  doc  ,  des- 
Ge \l  hraurhst  du  nichts  zu  lernen",  sind  Ausdruck  fur  die  reale  Le- 
bensperspeEive  der  Madchen  und  laBt  hbchstens  das  notwendige  Zuver- 
dienerbewuBtsein  zu. 

-  57  - 


Die  gegenwartige  Krise  rUckt  diese  Tatsache  wieder  ins  BewuBtsein 
z.B.  von  Sozialarbeitern,  die,  wie  ich,   in  einem  Obdachlosengebiet 
arbeiten  und  mit  diesen  Auswirkungen  direkt  konfrontiert  sind.  Im 
Gegensatz  zu  der  Zeit  vor  ein  paar  Jahren  ist  es  nahezu  aussichtslos, 
Lehrstellen  oder  Arbeitsplatze  fur  Madchen  zu  finden. 
Wen  wundert  da  noch,  daB  die  Madchen  selbst  von  einer  durch  nichts 
zu  erschlitternden  Apathie  bezuglich  kiinftiger  Lohnarbeit  durchdrun-     ■ 
gen  sind.  Sie  sehen  bei   ihren  M'uttern,   ihren  Freundinnen  die  Aussichts- 
losigkeit  ihrer  Lage. 

Ihre  Hauptaktivitat  liegt  demzufolge  konsequenterweise  darin,  den 
Traummann  zu  ergattern.  DaB  dieser  Traummann  in  der  liberwiegenden 
Zahl  aus  der  gleichen  Unterschicht  koramt  wie  sie  selbst,  ist  nur  ein 
kleiner  Schbnheitsfehler,  der  sich  zwar  fatal   auswirkt,  so  aber  noch 
die  Mbglichkeit  la'Bt,  in  Dreigroschenromanen  weiter  vom  ritterlichen 
Mann  mit  viel    'Kohl en1   zu  traunen. 

Drei  Hauptfunktionen  der  Frauen  sind  mir  aufgrund  der  Erfahrungen 
mit  proletarischen,bzw.  deklassierten  proletarischen  Madchen  wieder 
deutlicher  ins  BewuBtsein  geriickt: 

1.  Heimchen  am  Herd 

2.  Prostitution,  um  den  Traummann  zu  bekommen  bzw.  als  Mbglichkeit 
Geld  zu  verdienen 

3.  Aggressionsabladeinstanz  fur  Manner 

1 .  Heimchen  am  Herd 

Geschwister  beaufsichtigen,  Kochen,  Putzen,  Einkaufen  etc.,  dies  al- 
les  sind  Pflichten  fur  Madchen  im  Obdachlosengebiet,  die  sie  schon 
frlih  erfullen  miissen.  Dies  gilt  auch  flir  andere  proletarische  Mad- 
chen. Im  Obdachlosengebiet  gehen  diese  Pflichten  soweit,  daB  deshalb 
der  Schulbesuch  ha'ufig  als  zweitrangig  angesehen  wird.  Dies  ist  zum 
Beispiel  ein  auffa'lliger  Unterschied  zu  den  ma'nnlichen  Jugendl ichen. 
Bei  den  Jungens  legen  die  Eltern  viel  eher  Wert  auf  regelmaBigen 
Schulbesuch.  Spricht  man  die  Eltern  auf  das  Schuleschwanzen  der  Mad- 
chen an,  so  stellt  sich  heraus,  daB  dieses  Verhalten  haufig  genug 
von  den  Eltern  verlangt  wird. 

So  ist  es  auch  nicht  verwunderlich,  daB  nach  Beendigung  der  Schul- 
pflicht  die  Madchen  die  Mutter  solange  im  Haushalt  unterstlitzen,  bis 
sie  selber  heiraten.  Die  Madchen  werden  frlih  schwanger  (ab  15  Jahren) 
und  damit  sind  zusatzlich  ihre  Chancen  aus  dem  'vorbestirnmten'  Gang 
der  Ereignisse  auszubrechen,  gleich  Null.  Haufig  genug  haben  die 
Madchen  ihre  Mutterrolle  derart  verinnerl icht,  daB  sie  nicht  einmal 
bereit  sind,  Liber  Abtreibung  im  Falle  einer  Schwangerschaft  als  Ld- 
sungsmbglichkeit  nachzudenken:  'Ich  bin  doch  keine  Mbrderin'. 

Auch  wenn  im  Obdachlosengebiet  uberdurchschnittlich  viele  uneheli- 
che  Geburten  zu  verzeichnen  sind,  so  ist  ha'ufig  genug  eine  Schwan- 
gerschaft groteskerweise  genau  die  Versorgungsmbglichkeit  fur  die 
Madchen  im  Rahmen  einer  eigenen  Familie.  So  gesehen  ist  auch  fehlen- 
de  Empfa'ngnisverhu'tung  gleichzeitig  ein  Mittel,  moglichst  frlih  das 
gesteckte  Lebensziel  zu  erreichen,  auch  wenn  sich  dies  letztlich  wie- 
derum  zum  Nachteil  der  Madchen  auswirkt. 


-  58 


Die  Chance,  die  Madchen  zum  Beispiel  an  Fbrderkurse  des  Arbeitsam- 
tes  zu  vermitteln,  sind  ziemlich  gering  und  zwar  auch  von  Seiten  der 
Madchen:   "Wir  haben  keinen  Bock  drauf",  "Bringt  doch  eh  nichts".   Sie 
werden  auch  von  ihren  Eltern  nicht  unterstlitzt,  auch  wenn  gegenliber 
den  Sozialarbeitern  versucht  wird,  den  Schein  ru  erwecken,  daB  man 
einen  solchen  Kurs  flir  furchtbar  wichtig  und  notwendig  halt.   Aber 
die  Entbehrung  einer  Arbeitskraft  daheim  ist  nur  dann  mbglich,  wenn 
es  unumga'nglich  ist:   bei  Heirat  oder  wenn  entsprechend  Geld  dabei 
herausspringt. 


hlosengebiet  ist  auch  nicht  zu  verglei- 
en'   Vier-Personen-Haushalt.   Bei  der 
cken  durchschnittlich  4  Kinder)  und  den 
qm  pro  Person  im  Extremfall)   laBt  sich 
i  machen.   So  kommt's,  daB  man  als  Sozial- 
die  Chance  hat,  Erfolge  bezuglich  der 
Hervorzeige-  und  Starklientel ,   immer 
eistete  Arbeit,  verschwindet  fast  ga'nz- 
r  negativ  gesehen  werden  kann. 


Die  Hausarbeit  in  einem  Obdac 
chen  mit  der  in  einem  'normal 
hohen  Kinderzahl  (in  den  Bara 
engen  Wohnverhaltnissen  (2 
diese  Arbeit  nicht  so  nebenbe 
arbeiter  eigentlich  kaum  noch 
Betroffenen  vorzuweisen.  Das 
wieder  Aushangeschild  fur  gel 
lien.   Was  allerdings  nicht  nu 

?     Prostitution  der  Madchen 

Der  reale  Rahmen  der  Madchen  ab  15  aufwa'rts  ist  das  Helfen  daheim. 
Daneben  suchen  sie  einen  Mann.   Diese  Suche  erfordert  sehr  viel   Ener- 
qie  und  Aktivitat:   Gut  Tanzen  ist  wichtig,  scharfes  Aussehen  eben- 
falls.  Ha'ufig  putzen  sich  die  Madchen  zusammen  mit  Freundinnen,  liben 
qemeinsam  das  Tanzen  mit  soviel   Ernst,  daB  man  merkt,  daB  bittere 
Notwendigkeit  daftir  vorherrscht.  Als  Treffs  bieten  sich  der  Jugend- 
club  in  der  Siedlung  an  und  einige  Diskotheken  im  Stadtzentrum.   Hier 
ist  die  Chance  vermeintlich  grbBer,   einen  anderen  als  jemand  aus 
der  Siedlung  kennen  zu  lernen.   In  Mannheim  sind  ziemlich  viel  ame- 
Hkanische  Soldaten  stationiert.   Die  Kneipen  und  Diskotheken,   in  de- 
nen  sich  die  Amerikaner  aufhalten,  sind  ebenfalls  sehr  beliebt,  weil 
die  Vorstellung  vom  groBen  Gllick  in  Amerika  das  hbchste  uberhaupt 
ist. 

Die  Manner,  die  sie  kennenlernen  (gleichaltrige  aus  dem  gleichen 
Milieu)   sind  allerdings  nicht  so  sehr  fixiert  aufs  baldige  Heiraten. 
Sie  wollen  ne  'Alte'   zum  Bumsen,  zum  Angeben.  Allerdings  sind  sie  im 
Falle  einer  Schwangerschaft  durchaus  bereit,  sich  ins  Unvermeidliche 
zu  fuqen     Den  Sexualwlinschen  der  Manner  unterwerfen  sich  die  Madchen 
hpdinqunqslos.  Sie  sind  bereit,   sofort  die  Beine  breit  zu  machen, 
wpnn  sie  nur  einen  Funken  Hoffnung  haben,  daB  der  entsprechende  Typ 
sie  liebt.   Sie  glauben  dies  nur  allzu  oft  und  fallen  immer  wieder 
darauf  rein. 

Ganz  kraB  habe  ich  die  ohnma'chtige  Situation  der  Madchen  in  einer 
aemischten  Jugendwohngemeinschaft  in  Mannheim  erlebt.   Fur  die  Mad- 
rhen    die  von  zu  Hause  abgehauen  waren,  aus  dem  Heim  kamen,  aber  aus 
dem  Obdachlosengebiet  stammten,  wurde  diese  Wohngemeinschaft  zu  einem 
■Puff '   je  mehr  sich  flir  sie  die  Aussicht  auf  Lohnarbeit  verschlech- 
terte  (auch  Aushilfsjobsgab's  im  Laufe  der  Zeit  kaum  noch). 
K,  daB  etwa  die  Madchen  flir  ihre   'Liebensdienste'   bezahlt  worden 
wSren     viel   schlimmer:  die  Madchen  pennten  scheinbar  wah  los  mit  den 
verschiedensten  Typen,   immer  wieder  in  der  Hoffnung,  end! ich  einen 

-  59  - 


festen  Freund  zu  bekommen.  DaB  die  Manner  sie  gerade  wegen  ihrer 
'Vbgel bereitschaft '   beschimpften  und  im  Grunde  ablehnten,  bringt 
die  Madchen  in  einen  Teufelskreis,  der  nicht  selten  in  richtiger 
Prostitution  endet.   Fur  diese  Madchen  ist  in  der  Tat  der  Kbrper  ihr 
einziges  Kapital .   Allerdings  sind  die  Moralvors'tellungen  der  Madchen 
so   'konservativ' ,  daB  sie  sich  wegen  ihres  Sexualverhaltens  furcht- 
bar  schamen  und  es  zu  vertuschen  suchen,wo  es  nur  geht  und   immer 
wieder  die   'Ehrbare'   versuchen  zu  spielen. 

Dies  sind  auch  die  Madchen,  die  ihren   'Marktwert'   im  Grunde  kaum  so 
wahrnehmen,  daB  es  ihnen  zumindest  finanziell  was  bringt.    Wenn  sie 
vor  lauter  Liebe  fur  einen  Typ  anschaffen  gehen,  also  aufn  Strich, 
dann  sind  sie  auch  bereit,  ihm  das  ganze  Geld  zu  uberlassen. 

Die  Grenzen  zwischen  richtiger  Prostitution  und  dem  oben  beschriebe- 
nen  Verhalten  sind  flieBend.  So  kann  blitzschnell  aus  einem  'ehrba- 
ren'   Madchen  eine   'Prostitutierte'  werden  und  umgekehrt.   Entweder 
treibt  sie  Geldmangel   Oder  die  Suche  nach  einem  Mann  zu  einem  sol- 
chen  Verhalten. 

Ich  persbnlich  wlirde  es  als  ziemlich  wichtig  ansehen,  daB  man  ver- 
sucht,  den  Madchen  dieses  Verhalten  bewuBt  zu  machen.   BewuBt  heiBt 
in  diesem  Zusammenhang,  daB  die  Madchen  begreifen,  was  sie  wert  sind 
und  gegebenenfalls  sich  entsprechend  bezahlen  zu   lassen.   Nichts   ist 
entwurdigender  fur  eine  Frau  als  die  Illusion  von  Liebe,  die  zum 
Beine  breitmachen  zwingt. 

Richtige  Prostitution  ist  durchaus  ebenfalls  eine  realistische  Be- 
rufsperspektive.   Sie  moral isch  zu  verdammen,   die  Madchen  davor  zu 
schlitzen,   hieBe,  die  ganze  Verlogenheit  dieses  Systems  zu  unterstutzen. 
Solange  aber  die  Madchen  nicht  einmal  ansatzweise  ihre  Rolle  bewuBt 
sehen,  sondern  sich  nur  ausheulen    und  realistischerweise  keine 
'Hi If e'   erwarten,  da  sie  wissen,  daB  Sozialarbeiter.und  seien  sie 
noch  so  gutwillig,  sie  nicht  aus  ihrem  Elend  befreien  kbnnen,  solan- 
ge sie  noch  auf  den  Traummann  hoffen,  fur  den  sie  alles  machen,  so- 
lange ist  es  auch  fast  aussichtslos, diese  beschriebene  BewuBtmachung 
zu  erreichen. 

Dieses  beschriebene  krasse  Verhalten  ist  sicher  nicht  reprasentativ 
flir  die  uberwiegende  Mehrzahl   der  proletarischen  Madchen.   In   'Nor- 
malfall'   tritt  das  gleiche  nur  verschleierter  auf,  auch  bei  prole- 
tarischen Madchen,  da  das  Ergattern  des  Traummanns  mit  soviel   sicht- 
barer  Selbstaufgabe  verbunden  ist. 

3.  Aggressionsabladeinstanz  flir  die  Manner 

Haushal tsdasein  und  Prostitution  in  den  verschiedenen  Ausformungen 
bilden  die  Voraussetzung  dafur,  daB  die  Frauen  in  einer  weise  zur 
Stabilisierung  des  Systems  beitragen,  die  in  ihrer  Wirkung  einzig- 
artig  ist.   Durch  diese  totale  Entmundigung  ist  erst  die  Voraussetzung 
gegeben,  fiir  die  Manner  mit  all   ihren  Frustrationen  Aggressionsabla- 
deinstanz  zu  sein.   Nur  wer  eine  solche  entmlindigte  Rolle  einnimmt, 
wie  die  Frauen,   ist  bereit  alles  zu  ertragen,  um  das  biBchen  Gl Lick. 
das  sie  zu  besitzen  glauben,  nicht  ganz  zu  verlieren.Die  Aggressionen 
ertragen  die  Frauen  geduldig.   Wenn,  wie  im  Obdachlosengebiet,  die  Ar- 
beitslosigkeit   infolge  der  Krise  schlagartig  zunimmt,  die  Manner  be- 
schaftigungslos  zu  Hause  rumhangen,  den  Frauen  zur  Last  fallen,  sich 

-  60  - 


u'berfllissig  vorkommen  -  kein  Wunder,  Hausarbeit  haben  sie  nie  ge- 
lernt  -,  verstarkt  trinken,  schlagen  sie  ihre  Frauen.   Nur  weil   es 
eine  Gruppe  gibt,  an  denen  sie  ihre  Wut  auslassen  kbnnen,   kann  ver- 
hindert  werden,  daB  sie  ihre  Wut  an  der  richtigen  Stelle  auslassen. 
(Kein  Wunder,  daB  also  gerade  bei  der  proletarischen  Frau  die  Ideo- 
logic der  Weiblichkeit  am   'notwendigsten'    ist). 

Das  eben  Beschriebene  spielte  sich  in  der  schon  zitierten  Wohnge- 
meinschaft  ab.  Die  Madchen  bekamen  alle  Aggressionen  ab  von  den  mann- 
lichen  Bewohnern,  von  einem  Teil   der  Jugendlichen  aus  dem  Stadtteil 
(die  zum  grbBten  Teil  arbeitslos  waren).  Wenn  man  auch  sonst  standig 
qetreten  wird  und  seine  Interessen  nicht  durchsetzen  kann,  kann  man 
immer  noch  mit  den  Madchen  ne  Nummer  machen,  gegebenenfalls  sie  her- 
umkoinmandieren.   Der  einmalig  unternommene  Versuch  von  mir,  die  Mad- 
chen vor  den  Mannern  zu   'retten',  erwies  sich  als  zusa'tzliche  Eska- 
lation  der  angespannten  Situation.   Ihrer  letzten  'legalen'  MSglich- 
keit  beraubt,   ihre  Aggressionen  abzuladen,  demolierten  sie  ein  wenig 
das  Inventar  und  besoffen  sich  bis  zur  Erschbpfung.  Dies  zeigt  aller- 
dings auch,  daB  es  vollig  falsch  ist,   stellvertretend  fur  Frauen  und 
Madchen  zu  handeln,  auch  wenn  sie  noch  so  sehr  darum  bitten. 


ie  Perspektive  von 
int  es  notwendig, 
zu  verdeutlichen, 
ktionen  standig  kon- 
ig,  daB  wir  uns  von 
hkeiten  unserer  Ar- 
eine  Vorteile:  man 
Emanzipation  der 
angel  eiert  werden 


Ich  habe  versucht,  an  drei  auf  fall  enden  Punkten  d 
proletarischen  Frauen  zu  verdeutlichen.  Mir  sche 
diese  Realitat  so  kraB,  wie  sie  sich  darstellt, 
weil  wir  als  Sozialarbeiter  genau  mit  diesen  Fun 
frontiert  sind  in  unserer  Arbeit.  Es  ist  notwend 
Illusionen  befreien  bezuglich  der  Erfolgsmoglic 
beit  Dies  ist  zwar  ern'u'chternd,  aber  hat  auch  s 
wird' real istischer.  Man  sieht  z.B.  auch,  daB  die 
proletarischen  Frauen  von  Sozialarbeitern  nicht 
kann. 

Ansatzpunkte  fiir  eine  Arbeit  liegen  nicht  darin,  sich  moralisch  in 
die  Lebenssituation  von  proletarischen  und  deklassierten  Familien 
pinzumischen  und  ihnen  Vorschriften  uber  richtiges  Verhalten  zu  ma- 
rhen     sondern  in  der  BewuBtmachung  des  beschriebenen  Vernaltens,  um 
ihnen  so  ein  Wissen  um  die  reale  Rolle  zu  ermbglichen  (z.B.  was  das 
Sexual verhalten  betrifft)  und  in  der  Beratung  von  medizinischen, 
iuristischen  und  finanziellen  Fragen.   Sicher  werde  ich  auch  nach  wie 
vor  versuchen,  Madchen  in  Kurse  unterzubringen.   Sicher  werden  wir 
weiter  versuchen,  Er.ipfangnisverhutung  bekannter  zu  machen.  WiBt  Ihr 
noch  was?? 


61  - 


Uwrenfca 


Jorg  Kraufilach  /  Friedrich  W. 
Diiwer  /  Gerda  Fellberg: 
Aggressive  Juftendliche 
Jugendarbeit  zwischen  Kneipe 
und  Knast 
260  Seiten,  Paperback,  DM  16,- 

Dieser  Bericht  dokumentiert  die 
Praxis  in  einem  der  schwierigsten 
Arbeitsfelder  der  Sozialpadagogik: 
Er  schildert  die  Arbeit  in  einem 
Jugendclub,  in  dem  sich  als 
„Rocker"  bezeichnete  Jugendliche 
treffen.  Was  vcrbirgt  sich  hinter 
der  auficren  Schale  dieser  Jugend- 
lichen?   Was  kann  ein  solcher  Ju- 
gendclub fur  Sie  bedeuten?   Aus 
den  Schilderungen  der  Clubarbeit 
entsteht  ein  sehr  plastisches  Bild 
eines  wahrhaft  „aufregenden" 
Arbeitsfeldes.  Und  der  Bericht 
vermittelt  den  in  einer  siebenjah- 
rigen  Arbeit  gewonnenen  Erfah- 
rungsschatz  in  Form  ganz  konkre- 
ter  Anregungen  fiir  die  Praxis. 


Aus  dem  Inhalt:  Wie  der  Club  entstand, 
unser  Friede  gestort  wurde  und  was 
dann  allcs  passierte  /  Der  Club  wird  von 
aggressiven  Jugendlichen  besucht:  Wir 
beschreiben  ihre  Erfahrungen  mit  Fami- 
lie,  Schule  und  Amtspersonen  /  Ver- 
schiedene  Ausdrucks-  und  Ausbruchs- 
formen  aggressiven  Verhaltens  und  wie 
wir  reagieren  /  Probleme  mit  Alkohol 
und  Sexualitat  /  Wie  und  liber  was  wir 
mil  den  Jugendlichen  reden  /  Die  Ju- 
gendlichen wollen  feiern,  der  Club  mufi 
attraktiv  scin  /  Was  man  im  Club  alles 
machen  kann  und  worauf  es  dabei  an- 
kommt  /  Wie  wir  gclernt  haben,  die  oft 
banalen  Probleme  zu  losen  /  Die  Jugend- 
lichen brauchen  konkrete  Hilfen  in  den 
verschiedenen  Situationen  /  Wie  konnen 
wir  helfen. 


Die  Autoren  sind  in  dem  hier  dargeslell- 
ten  Praxisfeld  tatig.  Trager  des  Jugend- 
clubs  ist  das  Jugendberatungszentrum 
der  Apostelkirche  in  Hamburg. 


Klaus-Jiirgen  Tillmann  (Hg.): 
Sozialpadagogik  in  der  Schule 
Neue  Ansatze  und  Modelle 
256  Seiten,  Paperback,  DM  16,- 


Zwei  aktuelle  Problemlagen  for- 
dern  dazu  heraus,  das  bisherige 
Nebeneinander  von  Sozialpadago- 
gik und  Schule  zu  iiberwinden: 
Immermehr  Schuler  scheitern  an 
Belastungen  durch  die  Schule.  Und: 
Neue  Schulformen  bieten  die 
Chance,  sozialpadagogische  Aufga- 
ben  in  die  Schule  zu  integriercn. 
Von  diesen  beiden  Ansatzen  aus 
liefert  der  Band  eine  Bestandsauf- 
nahme  der  aktuellen  Diskussion  zum 
Verhaltnis  von  Schule  und  Sozial- 
padagogik. Wie  die  neuen  Aufgaben 
und  Probleme  gelost  werden  konnen, 
wird  an  konkreten  Beispielen  und 
Erfahrungen  aus  der  Praxis  aufge- 
wiesen. 

Aus  dem  Inhalt:  G.  Ibcn:  Das  Verhaltnis 
von  Schule  und  Sozialpadagogik  / 
J.  Reyer:  Die  Barrieren  zwischen  Schule 
und  sozialpadagogischen  Institutionen  / 
K.-J.  Tillmann:  Schulreform  als  neue 
Herausforderung  der  Sozialpadagogik?    / 
J.  Schlomerkemper:  Konfliktquellen  im 
reformierten  Schulsystem  /  H.-G.  Hom- 
feldt  u.a.:  Abweichendes  Verhalten  und 
reformiertes  Schulsystem  /  G.  Drenkel- 
fort  u.a.:  Reorganisation  einer  Gesamt- 
schule  nach  dem  Team-Stammgruppen- 
Modell  /  H.  Prior:  Tutorensystem  an  der 
Gesamtschule  /  G.  Reichel-Kaczenski: 
Soziale  Beratung  an  der  Schule  /  G.  Bin- 
stciner  und  K.  Hoyer:  Freizeit  in  der 
Schule  /  B.  Kath:  Schule  als  Bildungs- 
zentrum. 


Der  Hcrausgeber,  Dr.  Tillmann,  ist  Pro- 
jektleiter  der  Arbeitsstelle  fiir  Schulent- 
wicklungsforschung  der  PH  Dortmund. 
Autoren  der  Beitrage  sind  Erziehungswis- 
senschaftier,  Sozialpadagogen  und  Lchrer 
an  Gesamtschulen. 


Helmut  Ortner: 
ARBEITSLOSIGKEIT  IM  KNAST 


Will  man  sich  nicht  auf  die  zensier 
lassen,  so  sind  Informationen  aus  d 
bekommen.  Der  Knast  wird  systematis 
abgeriegelt.  Vor  diesetn  Hintergrund 
keit,  genaue  Zahlen  und  Information 
im  Knast"  an  dieser  Stelle  geben  zu 
von  den  einzelnen  Lander-Gustizmini 
sind  vbllig  unbrauchbar.  Aus  ihnen 
viele  der  Gefangenen  aufgrund  der  " 
sind,  bzw.  es  zuvor  schon  waren,  od 
gern.  Weiterhin  werden  die  Untersuc 
sondert  aufgeflihrt,  was  notwendig  i 
beit  verpfl  ichtet.  So  bleiben  einze 
beitenden  Sozialarbeitern,  sowie  Au 
oder  entlassenen  Gefangenen.  Zunach 
che  RuBerungen  zur  Arbeit  im  Gefang 


te  Dffentl ichkeit  der  Justiz  ver- 
em  Knast  oft  nur  sehr  schwer  zu 
ich  vor  jeglicher  Off entl ichkeit 

zeigt   sich  auch  die  Schwierig- 
en  zum  Problem  "Arbeitslosigkeit 

konnen.  Statistiken,  soweit  sie 
sterien  herausgegeben  wurden, 
geht  nicht  deutlich  hervor,  wie- 
aktuellen  Situation"  ohne  Arbeit 
ler  aber  ihre  Arbeitskraft  verwei- 
hungs-Gefangenen  dort  nicht  ge- 
st,  denn  diese  sind  nicht  zur  Ar- 
Ine  Informationen  von  im  Knast  ar- 
ssagen  von  betroffenen  Gefangenen 
st  sollen  hier  einige  grundsatzl  i- 
nis  folgen: 


Arbeit  im  Gefangnis   ist  primar  durch  die  Ausgliederung  des  Gefange- 
nen aus  dem  privatwirtschaf tlichen  Arbeitsmarkt  (nicht  aus  dem  pri- 
vatwirtschaftlichen  ProduktionsprozeB  !)  gekennzeichnet.   Ist  der  in- 
dustrielle  Lohnarbeiter  in  der  Lage  -  bei   alien  praktischen  wirt- 
schaftlichen  und  politischen  Zwangen  -  frei  seine  Arbeitskraft  auf 
dem  Markt  anzubieten,  zu  verkaufen,    ist  gerade  dies  fiir  die  Gef'a'ng- 
nisarbeit  nicht  gegeben.   Der  Gefangene  verkauft  nicht  seine  Arbeits- 
kraft,  sie  wird  ihm  schlichtweg  genommen,  er  wird  ihrer  beraubt. 


Bereits  die  begr 
beitslohn  weist 
npnenarbeit  zur 


iffliche  Unterscheidung  vom  Arbeitsentgeld  zum  Ar- 
auf  diesen  grundsatzl ichen  Unterschied  von  Gefan- 
Lohnarbeit  hin. 


Der  Gefangene  wi 
nur  des  Wertes  s 
beraubt,  sondern 
Arbeitskraft  zu 
lerdings  ist  die 
graduelle:  fiir  d 
krafte  dar,  die 
kalkulation  eing 
beit  schlagt  sic 
leistungen  etc. ) 
nieder:   es  gibt 


rd  im  Gefangnis  doppelt  ausgebeutet: 
einer  Mehrarbeit  wie  in  der  "normale 

auch  seiner  einzigen  "gesellschaftl 
besitzen,  die  er  verkaufen  kann.  Fiir 
se  grundsatzl iche  Unterscheidung  led 
en  Unternehmer  stellen  Gefangene  bil 
im  Rahmen  der  allgemeinen  Produktion 
esetzt  werden  konnen.  Die  Besonderhe 
h  fiir  den  Unternehmer  in  Ersparnisse 

und  in  einfacherer  Regelung  der  Arb 
keine  Kiindigungsfristen,   keinen  Arbe 


er  wird  nicht 
n"  Lohnarbeit 
ichen"  Eigenschaft: 

das  Kapital   al- 
igl ich  eine 
1 igere  Arbeits- 
s-  und  Ertrags- 
it  der  Zwangsar- 
n  (Lohn,  Sozial- 
eitsdiszipl  in 
itsschutz. 


Kiun  ist  der  Kapitalismus  in  einer  Krise  und  Teile  der  Arbeitskraft 
eind  iiberflussig  geworden.   Dies  hat  notwendigerweise  auch  auf  die 
Arbeitsauftragslage  der  Gefangnisse  sichtbare  Auswirkungen.  Weniger 

-  63  ■ 


Auftrage  -  weniger  Arbeitsplatze.  Dennoch'Arbeitslosigkeit  ist  im 
Gefangnis  kein  aktuelles  Problem.  Ein  Gro[3teil  der  Gefangenen  ist 
wa'hrend  der  Haftzeit  periodisch  ohne  Arbeit. 

Das  Perfide  am  Arbeitssystem  im  Gefangnis  ist,*  da(3  der  Gefangene 
zwar  merkt,  daB  er  doppelt  ausgebeutet  wird,  andererseits  er  selbst 
ein  Bediirfnis  nach  Arbeit  entwickelt.  Hat  er  Arbeit,  bekommt  er  Haus- 
geld,   kann  er  davon  teilweise  einkaufen.   Beim  Einkauf  ist  es  dem  Ge- 
fangenen nicht  gleichgiiltig,  ob  er  monatlich  fLir  5  DM  oder  aber  flir 
25  DM  einkaufen  kann.   Ist  ein  Gefangener  ohne  Arbeit,  erhalt  er  nur 
minimale  finanzielle  Unterstutzung   (in  der  Regel   0,90  DM/tgl.).    Hau- 
fig  bekommt  er  gar  nichts.   Dem  Gefangenen  ist  also  nicht  gleichg'Jl- 
tig,  ob  er  Arbeit  hat  oder  nicht,  selbst  Arbeit  fiir  Pfennigbetrage 
am  Tag.   Deutlich  wird  dies  in  den  folgenden  Aussagen  eines  Gefange- 
nen: 


"Mit  Arbeit  ist  es  hier  schon  seit  Jahren  mies.  Wer  Arbeit 
gehort  zu  den  Gliickl  ichen.  Das  ist  hier  schon  so  richtiger 
wer  denn  Arbeit  bekommt.  Ich  hab  da  relativ  Gliick  gehabt  bi 
hei8t,  jetzt  hat's  mi ch  auch  erwischt.  Erst  war  ich  unten  i 
genkeller,  das  war  der  absolute  Stumpfsinn.  Fur  2,70  DM  den 
Tag  irgendsolche  Gratisproben  verpacken...  Dann  war  ich  paa 
mit  zwei  Mann  auf  Zelle,  da  haben  wir  dann  so  Art  Schalter 
gesetzt.  Seit  drei  Wochen  ist  SchluB.  Der  Unternehmer  hat  d 
trage  zurUckgezogen,  jetzt  sitzen  wir  alle  hier.  Sicher,  di 
war  schon  immer  mies,  aber  irgendwie  noch  besser  als  gar  ke 
die  anderen  Gefangenen,  die  drauSen  bei  einer  Neonrohrenfab 
beitet  haben,  sind  jetzt  ohne  Arbeit.  Da  war  auch  eine  irre 
dort  in  der  Fabrik.  Die  Leute  hatten  Angst,  dal3  i  hnen  die  L 
dem  Knast  die  Arbeitsplatze  wegnehmen.  Kann  man  sich  ja  vor 
was  das  fur  ein  Kl ima  war...  Keine  Arbeit  hier  und  wenn  man 
sen  wird,    sieht   es  auch  recht   tru'b  fiir  uns  aus..." 


hat,    der 
Wettkampf , 
sher,    das 
m   Kartona- 

ganzen 
r   Monate 
zusammen- 

e  Auf- 
e  Arbe  i  t 
ine.Auch 
r  i  k  gear- 

St  immung 
eute  aus 
stel len, 

ent las- 


czzzzzzzLest  und  abonniert  6\ewxmnsnmmmmsrssaL 

In  Geqensatz  zur  Ublichen  "Fachpresse"  berichtet  die  'hez'  Uber  die 
Berufswirklichkeit.  Probleme  im  Heim.  i.  d.  Kindertagesstatte  und  im 
Juqendfreizeitbereich  werden  nicht  isoliert  betrachtet.  die  Probleme 
■<jair-»^  1 1  der  Kollegen,  Kinder  und  Jugendl ichen  nicht  als  zufalltge, 
ItJirTl-vU.   Die  'hez'  nimmt  dabei  kein  Blatt  vor  den  Mund  und  kriecht 
lrZlener  niemanden  irgendwo  'rein.  Sie  macht  keine  Gewinne  und  zahlt 

[T. _.  j-.  keine  Honorare.  Den  Inhalt  gestalten  die  Leser  in  dem 

,ftSCnrflt  MaBe,  wie  sie  sich  durch  ihre  Korrespondenzen  daran  be- 

i  teiligen.  Die  'hez'  erscheint  monatlich  und  kostet  pro 

Halbiahresabo  (Mindestdauer! )  12. -DM  einschl.  Porto,  Probeexemplare  gegen  Vor- 
auseinsendung  von  2. -DM  in  Briefmarken  Auszubi ldende  zahlen  geqen  Zusendung 
einer  Bescheinigung  der  Ausbi ldungsstatte  pro  Halbjahr  nur  9.-DH.  Bestellung 
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Im  Selbstverlag,  Reihe  Arbeltsmaterialien  zur  HeiinerziehuiKi.  in  2.  Auflage  er- 
schienen:  "Eingeschlossen  -  Dokumentation  Hauptpflegeheim  Ollenhauerstr.  Kol- 
legen  berichten  aus  diesem  geschlossenen  Madchenheim,  was  bache  ist.  Preis  o.- 
Die  'Arbeitsmaterialien'  u.  d.  'hez'  gehbren  an  jede  Ausbildungsstatte  wo  Schil- 
ler u.  Studeneten  ein  Interesse  an  der  Berufswirklichkeit  haben! ! !!!!!!!!!!!!!!! 


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126 


64 


AKS  Diisseldorf: 

TUGENDARBEITSLOSIGKEIT 

IM  BEREICH  DER  BEWAHRUNGSHILFE 


Die  Situation  der  Strafentlassenen  bzw.   unter  "Bewahrung"  stehenden 
Personen  auf  dem  Arbeitsmarkt  war  und  ist  gekennzeichnet  durch  sozia- 
le  und  rechtliche  Ungerechtigkeiten  und  Diskriminierungen.   Vor  allem 
jugendliche  Strafentlassene  haben  kaum  Anrecht  auf  Arbeitslosengeld 
oder  Arbeitslosenhilfe. 

"Die  Anwaetsahaft    (fiir  das  Arbeitslosengeld)   hat  erfullt,   wer  in  den 
letzten  drei  Jahren  vor  seiner  Arbeitslosenmeldung  wenigstens  £S 
Uoehen  oder  6  Monate  beitragspfliohtig  besohaftigt  oar. " 

"Die  Gewahrung  von  Arbeitslosenhilfe  setzt  voraus,   dali  der  /die  Be- 
treffende  innerhalb  eines  Jahres  vor  der  Arbeitslosenmeldung  Arbeits- 
losengeld besogen  oder  mind,    zehn   Wochen  in  entlohnter  Besahaftigung 
qestanden  haben.    Die  Arbeitslosenhilfe  hangt  auBerdem  von  ihrer  Be- 
durftigkeit  ab.  " 

Nach  einem  meist  aufreibenden  Bin  und  Her  zwischen  den  fimtern  mit  de- 
fen  "Antragsausflillflut"  landet  die  Person,  falls  sie  es  bis  dahin 
aushalt,  auf  dei.i  Sozialamt. 

GrbBere  Arbeitsa'mter  sind  dazu  libergegangen,  fur  den  Personenkreis 
der  Strafentlassenen  eine  hierf'Jr  bestimmte  Anlaufstelle  im  Arbeits- 
amt  einzurichten.  Flir  diesen  Sonderbereich  der  Arbeitsvermittlung 
hat  sich  die  Situation  im  Verlauf  der  krisenhaften  Entwicklung  der 
Gesamtwirtschaft  sehr  verscharft. 

An  der  personlichen  Einstellung  der  Firmenleitung  bzw.  des  Personal- 
chefs  gegenuber  straffallig  gewordenen  Personen  hat  sich  sowohl   an 
der  tolerierenden  als  auch  abweisenden  Haltung  nichts  geandert.  Die 
wirtschaftlichen  Mbglichkeiten,  neue  Arbeitskra'f  te  einzustellen, 
sind  aber  generell  geringer  geworden,  obwohl   es  Unterschiede  in  den 
einzelnen  Berufssparten  gibt.   Besonders   in  Gebieten,  wo  Monopolbe- 
triebe  ein  GroBteil   der  ungelernten  Arbeiter  an  sich  binden,  wirkt 
sich  die  Arbeitslosigkeit  der  ehemaligen  Straffal ligen  und  unter  Be- 
wahrung stehenden  Personen  noch  ha'rter  aus.  Die  arbeitslosen  jugend- 
1  ichen  Straftater  sehen  sich  zudem  noch  einer  gleichzeitigen  wachsen- 
den  Konkurrenz  der  arbeitslosen  berufserfahrenen  Erwachsenen  gegen- 
uber.  FLir  einige  der  strafentlassenen  Personen  sind  damit  die  evtl. 
erlernten  Fahigkeiten  im  Strafvollzug  -  wie  z.B.  SchweiSen,  Drehen, 
in  der  Schreinerei,  Schlosserei  u.a.   -   in  der  momentanen  wirtschaft- 
lichen Lage  praktisch  wertlos  geworden. 

In  den  Strafanstalten  wurden  seit  Sommer  dieses  Jahres  die  ohnehin 
nicht  ausreichenden  "Freizeitangebote",  z.B.  Gesprachs-  und  Kreativi- 
tStsgruppen  aller  Art,  mit  Hinweis  auf  die  Haushaltslage  sofort  er- 
satzlos  gestrichen     (JVA  Siegburg).  Selbst  Kurse  zur  Erlangung  des 

-  65  - 


Hauptschulabschlusses  wurden  in  der  JVA  Hennen  abgebrochen,  da  an- 
geblich  kein  Geld  mehr  zur  Bezahlung  der  Padagogen  da  sei. 

Vor  all  em  die  langer  einsitzenden  Straffalligen  fiihlen  sich  zusa'tz- 
lich  zu  ihrem  lacherlichen  Entgelt  und  durch  die  Nicht-Versicherung 
im  Rentenbereich  abermals  verschaukelt,  da  sie  trotz  wahrgenommener 
anstaltseigener  Ausbildung     nachher  in  diesem  gelernten  bzw.  angelern- 
ten  Bereich  keine  Anstellung  finden. 

Fur  die  betreffenden  Sozialarbeiter  der  Jugendgerichtshilfe,  der  Be- 
wahrungshilfe  und   in  den  Verbanden  stellt  sich  gerade  durch  die  poli- 
tische  und  wirtschaftliche  Entwicklung  eine  neue,  verscharfte  Situa- 
tion dar. 

Anfang  der  70er  Jahre,  zu  der  Zeit,  in  der  "Reformpolitik"  versp.ro- 
chen  wurde,  erwarteten  nicht  wenige  Sozialarbeiter  eine  qualifizier- 
te  Verbesserung  ihrer  Arbeitssituation    aufgrund  des  allgemeinen  In- 
teresses  an  Sozialarbeit,  durch  Aufstockung  der  Planstellen  und  durch 
die  verstarkte  Einrichtung  von  "Model lvorhaben". 

Auch  in  der  Bewahrungshilfe  und  Jugendgerichtshilfe  erwarteten  die 
Sozialarbeiter  eine  positive  Veranderung  ihrer  Arbeitssituation. 
Z.B.  die  Gewa'hrleistung  einer  vernunftigen  Nachbetreuung,   Einrich- 
tung von  Gespra'chsgruppen  flir  die  Betroffenen  und  die  Hoffnung,  daB 
Uberhaupt  die  eigene  Sozialarbeit  method ischer  werden  wtirde. 
Diese  Forderungen  und  Wlinsche  sind  angesichts  der  heutigen  politi- 
schen  und  wirtschaftlichen  Gegebenheiten  gegenstandslos  geworden.  So 
konmt  es  z.B.   zur  paradoxen  Entwicklung,  daS  fortschrittliche  Sozial- 
arbeiter im  Jugendamt,  welche  noch  vor  zwei  Jahren  gegen  die  Ein- 
flihrung  der  Teamarbeit  in  der  vorgesehenen  Form  waren  (Teamarbeit 
mit  hbher  bezahltem  verantwortlichen  Teamleiter),  heute  vor  der  Situa- 
tion stehen,  die  Teamarbeit  verteidigen  zu  mtissen,  da  das  alte.noch 
starrere  Konzept  wieder  eingefiihrt  werden  soil.   In  der  jetzigen  Situa- 
tion gilt  es  flir  viele  Sozialarbeiter,  besonders  flir  die,  welche 
stark  von  Verwaltung  oder  Blirokratie  im  Arbeitsfeld  abhangig  sind, 
das  bisher  Erreichte  rigoros  abzusichern. 

Neue  Ideen  und  Versuche,  anders  geartete  Formen  der  Sozialarbeit 
einzufuhren,  werden  mit  kurzem  Hinweis  auf  die  Finanzmisere  abge- 
wUrgt,  ohne  daB  es  uberhaupt  zu  einer  inhaltlichen  Auseinandersetzung 
liber  Inhalte  und  Ziele  dieser  Sozialarbeit  koromt.  Von  der  Seite  der 
Sozialarbeiter  wird  dann  versucht,  individuell  wenigstens  einigen 
Personen  zu  "helfen".  Der  ubliche  Weg  ist  der,  daB  man  sich  die 
"fbrderungswlirdigen"  Personen  heraussucht  und  mit  diesem  Personen- 
kreis  eine  intensive  Zusammenarbeit  praktiziert,  auf  die  eigentlich 
alle  Betroffenen  ein  Recht  haben.   Kriterium  hierfur  ist  das  eigene 
subjektive  Empfinden.  Je  nach  Kontakt  des  Sozialarbeiters  gibt  es 
auch  im  Einzelfall  die  Mdglichkeit  des  illegalen  Agierens.      So     ist 
es  z.B.   ohne  viel   Umstande  fur  einen  Sachbearbeiter  im  Arbeitsamt 
mbglich,  unter  Wegfall   einiger  Papiere  einem  Ungelernten  eine  Um- 
schulung  zu  gewahren. 

Solche  Wege  kbnnen  kurzfristig  gewisse  Perspektiven  erbffnen,  letzt- 
lich  werden  aber  auch  solche  Versuche  nicht  die  eigentliche  Misere 
der  Resozialisierung  und  vor  allem  die  Ursachen  der  Straffa'lligkeit 
nicht  beseitigen  kbnnen. 


Projektgruppe  Miinster: 

JUGENDARBEITSLOSIGKEIT: 
CHANCE  ZUR  WEITERBILDUNG? 


Hinter  diesem  provokativen  Titel  verbirgt  sich  der  Mifimut  einiger 
engagierter  Padagogen  Liber  einen  Model Iversuch  der  Stadt  Miinster  im 
Rahmen  des  Vol kshochschulprogrammes  zur  Erlangung  des  Hauptschulab- 
schlusses flir  arbeitslose  und  "sozial  auffallige"  Jugendliche.   Eine 
evt.   im  Artikel   anklingende  Polemik  basiert  nicht  auf  einer  resigna- 
tiven  Haltung  der  Verfasser  bezogen  auf  zukunftige  FortbildungsmaB- 
nahmen,   sondern  bezieht  sich  allein  auf  die  Geschehm'sse  dieses  noch 
laufenden  "Model lversuchs". 

Unseren  MiBmut  konnten  wir  positiv  kanalisieren  in  einer  dokumentari- 
schen  Auswertung  unserer  Erfahrungen  und  Tatigkeit  im  Rahmen  dieses 
Modells.   Die  Dokumentation  kann  gegen  Vorauszahlung  von  DM  5.- 
+  -.70  DM  Porto  auf  Postscheckkonto  5390-100  Berlin-West  (Hermann 
Behlaus  Sonderkonto)   Liber  AG  Spak-Publ  ikationen,   Friesenstr.    13, 
1   Berlin  61   bezogen  werden. 

Oer  Bericht  soil   einen  Oberblick    geben  Liber  die  wesentlichen  Inhal- 
te dieser  Dokumentation. 


Entwicklungsgeschichte 

Im  Herbst  1974, aufgrund  der  sich  zuspitzenden  Entwicklung  auf  dem  Ar- 
beitsmarkt  -  3,4  %  der  Arbeitslosen  sind  unter  20  Jahre/in  regionalen 
Gebieten  z.B.   Dortmund  ca.   28  %  -,planten  Sozialarbeiter  in  freier 
Verantwortung  die  Einrichtung  eines  Kursus,   in  dem  die  von   ihnen  be- 
treuten  Jugendlichen  aus  offentlicher  Erziehung  und  sogenannten  sozia- 
len  Brennpunkten  den  HauptschulabschluB  nachholen  konnten.   Diese  Ju- 
gendlichen besitzen  in  den  seltensten  Fallen  die  Qualifikation,  urn 
die  Einstiegsanforderungen  einer  Lehre  zu  erflillen.  Uns  war  von  An- 
fang an  klar,  JaD  eine  rein  schulische  MaSnahme  nicht  den  Bedlirfnissen 
und  Mbglichkeiten  der  Jugendlichen  entsprechen  kann,  deren  Situation 
sich  so  darstellt: 

ilangelnde  Erfahrung  von  Zuwendung  seitens  Eltern,   Lehrer  und  sonsti- 
qer  Erzieher  ist  bei  den  meisten  Jugendlichen  die  Ursache  daflir,  daB 
sie  kaum  Selbstwertgeflihl  entwickeln  konnten.   Diese  Unsicherheit 
versuchen  sie  oft  durch  aggressives  Verhalten  gegen  andere  wie  auch 
gegen  sich  selbst  zu  Liberspielen,  sie  werden  anfallig  fiir  kriminelle 
Handlungen  und  fiir  DrogenmiBbrauch.   Da  sie  immer  wieder  erfahren,  da|3 
sie  vor  den  Anforderungen  in  der  Schule  und  am  Arbeitsplatz  versagen, 
da3  sie  es  nicht  schaffen,  sich  aus  eigener  Kraft  "zu  bewa'hren",  ge- 
raten  sie  in  eine  fatalistische  Haltung.    Die  fehlende  Einsicht  in 
die  von  ihnen  nicht  verschuldeten  Bedingungen  ihrer  Situation  und  feh- 
lende Verhaltensalternativen  bestatigen  den  Teufelskreis,  in  dem  sie 
leben.   Verstarkt  werden  die  "persbnl ichen"  Schwierigkeiten  zum  einen 
dadurch,  daB  diese  Jugendlichen  von  ihrer  Umgebung  zur  Randgruppe  ge- 

-  67  - 


Das  Blatt 
fiir  die  Praxis. 


Liebe  Info-Sozialarbeit-Leser, 

ab  1.1.1977  erscheint  monatlich  ein 
neues  aktuelles  Magazin  fiir  Euch:  pad. 
cxtra-sozialarbeit.  Die  neue  Zeitschrift 
wird  kcine  Konkurrenz  fiir  das  Info- 
Sozialarbeit  sondcrn  eine  wichtige  Er- 
giinzung.  Nicht  nur  deshalb  arbeiten 
wir  cng  mit  der  lnfo-Redaktion  zusam 
men.  Helmut  Ortner  als  Redaktcur  so- 
wie  Giinther  Pabst  und  Erhard  Wede- 
kind  im  Redaktionsbcirat  (alles  Mitar- 
beilcr  beirfi  Info-Sozialarbeit)  nehmen 
an  den  Start- Vorbereitungen  teil. 


pad.extra-sozialarbeit  wird 

•  Probleme  der  alteraativcn  Praxis 
aufgreifen; 

•  Ausdruck  der  Diskussion  innerhalb 
engagierter  Sozialarbeit  sein; 

•  praktisch  vcrwertbare  Erfahrungs- 
berichte  darstellen; 

•  dazu  beitragen,  daB  aus  Fehlcrn,  die 
z.B.  eine  Initiative  in  Berlin  ge- 
macht  hat,  auch  in  Miinchen  und 
Hamburg  gelernt  wird; 

•  bei  konkreten  Auseinandersetzun- 
gen  (z.B.Jugcndzentrumsbesetzung) 
auch  konkrete  Hilie  lcisten. 


pad.extra-sozialarbeit  bringt: 

aktuelle   Praxisberichte   und   -informa- 

tionen, 

Dokumentationsdicnst    wichtiger    Ar- 

bcitsmaterialien, 

Kommunikationsmarkt  Tiir  Leser, 

Archiv    rnit    aktuellen    ..historischen" 

Tcxtcn, 


Besprechungen  und  Hinweisc  auf'neue 

Biicher, 

Daten  und  Fakten  ats  Argumcntations- 

hilfen, 

Diskussion      kontriirer      theoretischer 

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jedes  ca.  40-seitige  DIN  A  4  Heft  hat 

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c/o  padex-Verlags-GmbH,  Postfach 
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liegt  dicser  Info-Ausgabc  ein  Subskrip- 
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fordert  (ab  1.9.1976)  eine  kostenlose 
Probenummer  an. 


sqzia! 
arbeit 


stempelt  werden,   zum  anderen  durch  ihre  finanzielle  Armut  im  Ver- 
gleich  zu  vielen  anderen  Gleichaltrigen. 


In  diesem  Sinne  konnte  es  nur  d 
lernfahig  zu  machen.  Der  zweite 
schluB,  sollte  sich  dann  anschl 
ation  an,  die  sich  vom  herkb'mml 
inhaltlich  unterscheiden  sollte 
vorstellungen  der  "Schulraume" 
Erfahrungen,  die  jeder  mit  der 
tieren.  Stattdessen  sollten  in 
se  die  Raumlichkeiten  ausgesuch 
Angst  und  Assoziationen  zu  Vore 
lichen  die  Raume  als  ihren  Bere 
auch  heiBen  ,  daB  die  Raume  nac 
tivitaten  genutzt  werden.  Es  so 
die  Jugendlichen  als  Gruppe  sic 
gemeinsame  MiBerfolgsserie  zu  ii 
Die  anzusprechenden  Lehrer  soil 
chen  kennen  und  verstehen  und  d 


arum  gehen,  die  Jugendlichen  erst 
Schritt,  der. tatsachl iche  Schulab- 
ieBen.   So  strebten  wir  eine  Lernsitu- 
ichen  Schulunterricht  auBerlich  wie 
Auswahl kriterien  und  Einrichtungs- 
sollten  sich  nicht  an  den  bisherigen 
Institution  Schule  verbindet,   orien- 
einer  unkonventionellen  Art  und  Wei- 
t  und  eingerichtet  werden,  dafj  ohne 
rfahrungen  mit  der  Schule  die  Jugend- 
ich  annehmen  konnten,  das  sollte 
h  dem  Unterricht  noch  fur  Freizeitak- 
llte  Wert  darauf  gelegt  werden,  daB 
h  verstehen,  un  gemeinsam  die  alien 
berbrlicken. 

ten  die  besondere  Lage  der  Jugendli- 
ie  Jugendlichen  nicht  uberfordern. 


Im  November  1974  verlief  die  Suche  nach 
jekt  zunachst  negativ.  SchlieBlich  bot  s 
maler  Trager  an,  die  Planung  und  inhaltl 
staltung  sollten  weiterhin  bei  den  Initi 
Vorbereitungsphase  tauchten  dann  paralle 
ten  der  VHS  auf,  das  Projekt  in  alleinig 
wurden  wir,  mi r  nichts  dir  nichts,  von  d 
flihrung  des  Kursus  ausgeschlossen.  Unser 
,ier-  Offentlichkeit  als  Projekt  der  Stadt 
stellt.  Damit  war  uns  jegliche  Verantwor 
tung  des  Kursus  aus  den  Handen  geglitten 
Ergebnis:  Das  Projekt  entfernte  sich  vom 
entwickelte  sich  zu  einer  traditionellen 


Geldgebern  fur 
ich  die  VHS  Mun 
iche  Vorbereitu 
atoren  liegen. 
1   dazu  Bestrebu 
er  Regie  durchz 
er  weiteren  PI  a 
Projekt  wurde 
Munster  und  de 
tung  fur  die  we 


dieses  Pro- 
ster  al s  for- 
ng  und  Ausge- 
Wahrend  der 
ngen  von  Sei- 
ufuhren.   So 
nung  und  Durch- 
von  nun  an  in 
r  VHS  darge- 
itere  Gestal- 


ursprunglichen  Konzept  und 
SchulmaBnahme. 


qituationsschilderung  Marz  1976 

Heute  nach  gut  1   1/2  Jahren  (zur  Zeit  laufen  die  ersten  inoff iziel len 
pr'u'fungen  fiir  diesen  Kursus)  sieht  die  Situation  folgendermaBen  aus: 
Durch  die  Verschulung  anderte  sich  notv;endigermaBen  die  Zielgruppe 
des  Kursus,  das  bedeutet  also,  daB  die  Jugendlichen,  fiir  die  der  Kur- 
sus ursprlinglich  geplant  war,   den  Anforderungen  nicht  gewachsen  sein 
konnten.   Sie  gingen  entweder  von  selbst  oder  sie  wurden  von  der  VHS 
aUfgrund  mangelnden  Schiilerverhal tens  vom  Unterricht  ausgeschlossen. 
c0   besteht  der  heutige  Kursus  aus  Jugendlichen,  die  auch  keinen 
HauptschulabschluB  haben,  die  aber  nicht  ahnliche  Lern-  und  Verhal- 
tensschwierigkeiten  aufweisen. 

ner  von  den  Institutionen  erzwungene  VerschulungsprozeB  und  seine 
Konsequenzen  waren  zunachst  nicht  erkennbar  und  hinterlieBen  sowohl 
^ei  den  Jugendlichen  als  auch  bei   einigen  Lehrern  ein  Gefuhl   des 
persbnlichen  Versagens. 


Ziele  der  nnkumpntation 

Durch  die  Auswertung  des  Kursverlaufs  haben  wir  di;e  Ursachen  fiir  das 
Scheitern  des  Projektes  an  Hand  der  folgenden  Punkte  entwickelt: 

-  schwetste  organisatorische  Fehlplanungen  von  "Setten  der  VHS-, 

-  Konzeptionslosigkeit  vor  allem  im  pa'dagogischen  Bereich; 

-  Verantwortungslosigkeit  hinsichtlich  der  Problematik  der  Zielgrup- 
pe  seitens  der  VHS  und  des  Jugendamtes; 

-  Projekt  als  Prof il ierungsobjekt  einzelner  und  von  Institutionen; 

-  Ablehnung  der  Verantwortung  fur  das  Scheitern  des  Kurses,  Abschie- 
ben  der  Schuld  auf  das  Vernal  ten  der  Jugendlithen  von  Mitarbettern 
des  Ougendamtes  und  von  Vertretern  der  VHS; 

-  Desavouierung  der  pa'dagogischen  Bemiihungen  und  Arbeit  eines  freien 
Tragers  der  Jugendhilfe; 

-  Verschwendung  und  nicht"  sachgerechte  Anwendung  von  bffentlrchen 
Geldern. 

DaB  diese  sieben  Punkte  den  allgemeinen  Rahroen  fur  eine  solche  insti- 
tutional isierte  Arbeit  ausmachen,  soil   in  der  Dokumentation  abgelet- 
tet  werden.  Wir  hoffen,  mit  der  Dokumentation  einen  solidarischen 
Beitrag  zu   leisten  fiir  eine  zukunftige  Arbeit  in  diesera  Bereich  im 
Interesse  aller  betroffenen  Jugendlichen.  


Materialien    der     AG    SPAK 

Arbeltageoelnaohert  Sozlalpolltl.eher  Arb.lt.kr.l.e  »n  d.r  BRD  . 
».uer.or,lnung.n  zu  Thaorle  «<  tTOU  d.r  Arb.lt  1.  B.produktlon.bar.lch 

natarlUUm  -ur  .lt.rn.f-f"  Okonole  I 
M19  ei„  Reader  v.r.chl.dener,  alternate   zur  ba.t.h.nd.n  lebane- 
und  Vlrt.chert.ro™  eowlakeUer,  iv»h  pr.ktitl.rt.r  Modell.i  alne 
Xrltlk  en  dan  kl|UUUW  ModeU.n.-  196  S.,  broach.,  DM  6.5o 

laplrl.  elnor  «..hm.lt,ir  -  nivi.chloe.n.l.dlung  HIMt.l 
M*Oc|-    25o  S.,    broach.,   DM  7,5© 

-t.ri.u.n  aur  tmii  ■"■  MaatMll  Krf*»"  1 

***lrl»n«W»P«li"  """  s.lbetdaretellung.n  ""■  »r<"11   '"  Un" 
d.akrankenhgu.em.    *ur  S.lb.torganlaetton  °«  °«trorr.n.n.   *u  Kont.Kt- 
und  Oruppan=.ntr.n  au8.rh.lb  -on  An.t.lten,   zu  S.lbet.rrahrung  una 
Moditetlon.-  122  S..   broach.,  DH  5.- 
,  .        .  ...H.U..  ;ur  Arb—  -"  """»•  '" 
M**3.1b.t(l.rat«lli™an  una  Arbelt.analv.an  von  ProJ.ktgrupp.n, 
dla   In  Obd.chlo.an.l.dluns.n  od.r  1.  BtaARtejU  Kinder-,  Jug.nd-  und 
Er».ch..n.nerbelt  mchan.-  a..  25o  3..  broaah.,  DM  7.5o 

■_.  --  nir  ilr  Flnnihmv  as  T.nnnhfi  una  smii.vjirnohfnim  m  But 

M23  nu  Bro.ohtlr.  dDku.ent iert  und  krltlalart  da.  «>n»ntana  Beloh- 
nung.ev.te.  und  b.l.gt  dla  Pord.rune  n.ch  Tarirlolm  ■mlh  d.r  In- 
aa-l.ch.n  »o.  Bunde.tag  v.reb.cnled.ten  -Rarer."  d.r  Entlohnung   1. 
Strarvollzug.-  16?  S.,   broach.,  DM  6,- 

_~  —      Hauaverbot 

P  »      Dla  TrJMln.  d.a  Bonn.r  Bunde.t.gee  bll.b  lo  Jugendllchen  aua 
dar  strarvoll2UB.an.talt  Slegburg  aur  Intervention  der  Bunde.t.MpM.1- 
d.nlln  var.parrt.  Dla  R.aktlon  dar  Orr.ntllchk.lt  a«l.  da.  Eln.ehla- 
r.rn  dialer  srr.ntllch.n  WHMKn  »•»  •f««l.XW  Salt.  «lrd  In  dla.-r 
fgezelgt.-  5o  S.,    Broach.,    DM  2,- 

1m  November  1Q75 


•  •* 


Dokumentation  I 


Jug  end  z< 


■  trefrei.    LUcl.; 


*  01.  Dokumentation  MUW  Vorb.r.ltung  und  V.rlaur  und  brln=t 
Dl.kuaalona.rg.bnl...  alnaa  Trcrr.n.  z.hlrelcher  unebhUnslger,  .clb.tor- 
UnUUTUf  Jug.ndr.entren  aua  d.r  Uln.burger  Halda.  lob  o..br„  DM  .,50 
Be.t.llungen  (nur  gg.  Vorauaka...  *  DM  -,7o  Porto  aur  PSchKto  539°-loo 


Berlin  Welt    (hjahlau.    Sonderkonto) >    WU   "atalog  all.r  ll.r.rbaren 
Tltal  Ubari  »0  SP»K,  *bt.|.,   looo  Berlin  61.   Frle..n.tr.   13  .- 


MM: 

Zur  Praxh  von  Vonehul-  und 

SchOlarartMK  mlt  Obdaeh' 


Dieses  liichenbuch  v.rsucht.  «lw  LUefce  lu 
fUllen:  «  anthKU  tine  .usTUhrllch.  £u- 
taBtasulling  von  »rbe(tsaeterl.l  uM 
ruaau  elnar  LUHtivsrapae  all  Klnoer.e- 
belt  in  Obd»chlosemiedlvnaen  berunan. 
Dee  .inl.itend.  theoretttcn.  1."   <•'  >"" 
atlulun.  well  ~n  J.von  •«!«««»  """; 
a.B  es  geniioend  rhaarla-n»i«|>te  and  80- 
char  guar  (Undgrjppens02l.11s.ttan  gm1 
D«r  T«*t  1st  In  dret  Tail,  geglted.'-t: 
1.  Thaoratlscber  Anssti 
e.  SchUl«r.rbeU:  Besehrelbung  und  Aus«r- 
tung  von  s«h(  Projelten      «*;""  " 
Krleg;  K.I.  -  r»111ai  »«1  '»£jr 
laaga  -  StroakralsUar^  pr.nakiieHim. 
michi  aalt.re  Vorichllge  ).  ^rt™!: 
Wnrt  alt  SaWlOT  '■■•  "aiW;"-"""'" 
ul  untar  Ven*ndung  von  sal bstanb.1  fc- 
kelttn  Aratlts-  und  L.mbdgen. 
3.  VarlcMiIrtait!  Anragungen  ""•*"'*: 
lichen  und  org.nls.tor1scn.n  Aufbau  el- 
nar schulvorbereltanden  Arbeit  ait 
Obdichlosenklndem. 
Oar  T..t  anthllt  vl.le  "agrodultlonen  .oa 
LernWgen,  die  b.1  den  bttchrlBOenen  Pro- 
Jekten  veraendet  wurden. 
Ma  5..  a.  S.  Abb.,  eallap*.  Pip.rb.tl. 
ON  7,80  lUtUgl.  -,?o  VerS.ndsosMn. 
IHUlluagan  (nur  ,«en  »r.u.;.bl"ng  Jul 
PSchAto  SS9o-loo  terlm  Wast  (  H.  Wi™. 
Sondarkonto-))  scle  PuiUlM  '< \"  "*'" 
bare.  Ilt.l  (bltt.  RUdkporto  belleaen) 
Uber  AC  SPAK.  Abt.  t.  Frlesenstr.   13. 
looo  Berlin  61. 


Elke  Becker: 

ALS  SOZIALARBEITER  IN  DER  PROVINZ 


Die   Vevfaasevin  avbeitet  seit  Januav  1975  in  Limburg  in  einem  Jugend- 
zentmm,    dem  einzigen  Jugendtreff  am  Ort  nebe.n   traditinnellen  Vp.r— 
eineangebotenl  eingeriahtet  von  der  evangelischen  Kirche.    Hier 

werden  Eindrucke,   Assoziationen  zu  einem  Thema  geboten,   fiir  dessen 
systematische     Bearbeitung  der  Verfasserin  die  Zeit  fehlt  -  oder 
uie  sie  in  einem  Begleitbrief  schreibt:    "Die  Bedingungen  der  offenen 
Arbeit  lassen  es  nicht  zu,   meine  Erfahrungen  festzuhalten,    zu  iiber- 
arbeiten  und  zu  verallgemeinern."  Den  Beitrag  haben  wir  mit  freund- 
licher  Genehmigung  aus  der  Zeitschrift  des  Hessisahen  Jugendrings 
"hessisahe  Jugend"  llr.    5/6-1975  entnornmen  und  verstehen  ihn  als  Auf- 
forderungj   starker  als  bisher  auch  die  Situation  und  die  politisohe 
Arbeit  in  der  Provinz  zu  diskutieren. 

Fin  erster  Besuch 

Alte  Fachwerkhauser,  enge  Gassen,  herausragender  Dom,  zusammenge- 
drangte  -  sich  einigelnde  Innenstadt,  Abgeschlossenheit,  Kirchen, 
Touristen,  schbne  alte  Wohnhauser,  Gemutlichkeit,  Freundesgruppen; 
mu3  docn  schdn  sein,   hier  zu  wohnen! 

uenn  es  nur  nicht  so  katholisch  ware.  So  eine  Stadt  mit  Bischof  be- 
deutet  ja  auch  Tradition,  und  Tradition  bedeutet  auch  Rlickstandig- 
keit,  sieht  man  ja  schon  am  Wahlergebnis  -  absolute  Mehrheit  der 
CDU. 

uas  willst  Du  nur?  Die  SPD  wlirde  sich  hier  als  Regierungspartei 
auch  nicht  viel  anders  gebarden!   Oberschatze  nicht  die  GroBstadt!  Sie 
kornnt  Dir  nur  deshalb  so  fortschrittlich  vor,  weil   Du  fast  immer 
unter  Leuten  bist,  die  Deiner  Meinung  sind  -  aber  sieh     Dir    mal  die 
aanze  Stadt  hier  an,  Du  wirst  feststellen,  daB  der  grSBte  Teil  der 
gewohner  nicht  so  fortschrittlich  ist. 

AuBerdem:   die  Probleme  dieser  Gesellschaft  machen  nicht  vor  den  To- 
ren  dieser  Stadt  halt,  und  das  bringt  mit  sich,  daB  es  auch  Leute 
aibt,  die  diese  Probleme  erkennen,  vielleicht  sogar  versuchen,  ver- 
Indernd  zu  wirken.   Vielleicht  sogar  -  "Linke"? 

Anpassungsdruck!?  Die  Revolution  geschieht  nicht  durch  linke  Spriiche 
iind  vergammelte  Jeans,  gerade  auf  dem  Land  ist  es  doch  notwendig, 

olitisch  zu  arbeiten.   Ich  muB  die  Realita't  sehen  -  es  gibt  sie  noch. 
Hie  Burger,  man  muB  versuchen,   sie  zu  verstehen,  beim  Anspruch  pak- 
ken.   1st  doch  egal,  ob  man  es  Solidaritat  oder  Nachstenliebe  nennt, 
auf'den  Inhalt  kommt  es  an. 

u'r  werden  nicht  akzeptiert  werden,  wir  sind  doch  nicht  verheiratet 

rfie  Schwierigkeiten  hatten  wir  auch  in  der  GroBstadt.   Mensch, 
jenk'   doch  daran:  wir  haben  die  einmalige  Chance, zusammen  leben  und 
arbeiten  zu  kbnnen.  _  71  . 


Knnt.aktaufnahme 

Verschlossene  Hauser,  verschlossene  Gesichter.  Unsicherheit  dariiber, 
was  die  von  uns  erwarten.  Wie  verkauft  man  sich  am  besten?  Wie  holt 
man  Informationen  heraus,  ohne  zu  direkt  zu  sein  und  unhdflich  zu 
werden?  Was  bezwecken  die  mit  der  Frage?  Welche  Antwort  wollen  sie 
hbren?  Welche  Antwort  kann  ich  geben? 

Vielleicht  ist  das  ja  ein  fortschrittlicher  Pfarrer!?  Ich  war  schon 
seit  10  Jahren  nicht  mehr  in  der  Kirche.  MuB  ich  jetzt  den     Religio- 
sen"  rauskehren?  Wovon  sprechen  die  eigentlich?  Ich  verstehe  die 
Leute  Uberhaupt  nicht:  ein  Menschenbild  bei  Gott?  Und  wie  ich  mir 
danach  meine  Arbeit  vorstelle?    MuB  das  nicht,  wenn  schon,  eher  heis- 
sen:  Wie  ist  das  Gottesbild  bei  den  Menschen?  Ich  will  doch  mit  Ju- 
gendlichen  arbeiten! 

"Wenn  Sie  ein  biBchen  auf  die  Leute  hier  eingehen,  werden  Sie  schon 
gut  mit  ihnen  auskommen!"  Aber  das  MiBtrauen,  dieundurchschaubaren 
Verbindungen 


"Sie  mlissen  das  verstehen,     alteingesessene  Burger 


Verstecken  der  eigenen  Person,  oberflachliches  Geplankel,  nur  die 
Fassung  wahren  -  wie  weit  kann  ich  jetzt  gehen?    Oh,  en  femme 
terrible.  Naja,  sie  ist  noch  Jung,  aber  doch  sehr  nett.  Nettes  jun- 
ges  Paar.  Ihre  Vorstellungen  sind  doch  gar  mcht  so  unvernunftig. 

Vorstellungen  von  mpiner  Arbeit 

Direkten,  kontinuierl ichen  Kontakt  zu  den  Juge ndlichen     nicht .nur 
m  f  Seminaren  (weit  weg  von  der  konkreten  Situation)  Keine  Tips  zur  Hro- 
b "JTs  n        ben?  sondiW'vor  Ort"  erleben,  wie  Konfliktbewa  tigung 
»u«  eht     Ich  will   spuren,  wo  persbnliche  und  gesell  schaftl  iche 
Gr      I    me    er  Arbei?  sind.  Schulen  nuissen  doch  mall  aufgeknackt  war- 
den.  In  den  Kleinbetrieben  herrschen  wahrscheinllch  noch  feudal e  Zu 
^tsnde     Die  Fortschritte  in  Bezug  auf  Zusammenleben,  gewerkschatt- 
iche  und  po 11t££  Arbeit  mussen  doch  auch  in  die  Provinz  ge  bracht 
wprdPn    eine  Geqenkultur  zu  den  traditionellen  Angeboten  schaffen, 
JuaenSiiche  uber  ihre  Situation  aufklaren,  in  Gruppen  Alternatives 
entwickeln?  Kontakte  zu  anderen  Verbanden  und  Gruppen    Langsam  aber 
licher  ein  Netz  von  Andersdenkenden  und  Andershandelnden  spinnen  - 
bis  hin  zu  bffentl ichen  Protesten. 

Beziehunqen  zum  Tra'qer 

Hnffentlich  falle  ich  nicht  gleich  als  "Linke"  auf.  Erst  muB  ich 
!ine Basis  urter  den  Jugendllchen  haben,  die  werden  ganz  scton  kon- 
trollieren,  Unruhestifter  dulden  die  nicht,  ich  muB  mich  formal  ab 
sichern  -  da  versuchen  sie  zuerst,  mir  ems  a""™"^?^™ 
Rauswurf  kann  ich  es  erst  ankommen  lassen,  wenn  die  J^endlichen  es 
gelernt  haben,  ihre  Interessen  selbst  zu  vertreten,  die  merken  doch 
bald,  daB  sie  jemanden  bezahlen,  der  nicht  in  lhrem  Interesse  arbei 
tet. 

"Sie  tun  mir  richtig  leid,  jeden  Tag  diese  desinteressierten  Ougend- 
1 ichen."  "Verzweifeln  Sie  nicht  an  den  vielen  Problemen?       Meinen  sie, 


-  72  - 


es  ist  richtig,  wenn  im  Jugendzentrum  geknutscht  wird?"   "Es  sind 
ja  auch  Hascher  da."   "Vielleicht  sollte  kein  Alkohol   verkauft  wer- 
den."  "Ein  biBchen  unsauber,  aber  wenn  es  den  Jugendl ichen  gefallt." 
Sind  das  wirklich  die  Probleme  meines  Arbeitgebers?  Was  steckt 
hinter  diesen  Fragen?  Irgendwo  bin  ich  Fachautoritat,  jedenfalls 
greifen  sie  mich  nicht  an  und  widersprechen  auch  nicht,  wenn  ich 
etwas  erklare.   Sie  kommen  mir  verunsichert  vor,  Uberfordert  von  den 
Problemen,  die  auf  sie  eingestiirzt  sind. 

Aber  sie  bleiben  miBtrauisch  bis  hin  zur  Ablehnung  durch  Nichtbeach- 
tung,  ganz  wenige  Sympathiebeweise  und  Unterstiitzungsangebote. 
Manchmal   bemerke  ich  auch  Verwunderung,  wenn  ich  Interesse  an  ihrer 
Arbeit  zeige,z.B.  Redaktionssitzung  fiir  das  Gemeindeblatt:  Wer  ist 
Verbiindeter  -  wer  ist  Feind?  Ich  durchschaue  nicht,  was  "bei  denen" 
ablauft. 

Immer  sind  sie  mir  mit  Informationen  einen    Schritt  voraus,  liber  Ka- 
nale,  die  ich  nicht  kenne.    Ich  durchblicke  nicht  das  System,  uber 
das  die  Finanzierung,  die  Material beschaffung  u.a.   lauft.  Wer  hat 
denn  nun  schon  wieder  mit  wem  gemauschelt?  Es  gibt  doch  Gesetze,  die 
meine  Rechte  beinhalten    und  um  mein  Recht  zu  bekommen,  gibt  es  bf- 
fentl iche  Wege. 

Es  ist  doch  Vertrag,  daB  Kreis  und  Stadt  das  Jugendzentrum  mitfinan- 
zieren  -  warum  soil    ich  ein  Dankesfest  arrangieren?  Die  Presse  muB 
natiirlich  auch  dabei   sein,  heute  loben  wir  die  guten  Taten  des  Herrn 
I  andrat  und  daflir  wird  morgen  der  eigene  Verein  lobend  erwahnt  und 
vor  all  em  bei  der  nachsten  Mittelvergabe  nicht  vergessen. 
Nur:   ich   komme  mir  doch  etwa  komisch  in  dem  Getriebe  vor.  Wo  bleibt 
mein  politisches  Verstandnis,  wenn  ich  Leuten  die  Hand  geben  muB, 
die  ich  bekampfen  will? 

Unumgangl iche  Reprasentationspfl ichten?  Anpassung?  Kbnnte  ich  nur 
mal   sagen,  wie  dumm  ich  ihre  Reden  finde:   "Die  jugendl ichen  Pflanzen, 
die  man  gieBen,  hegen  und  pflegen  muB,  damit  sie  wachsen  und  erblii- 
hen!" 

Mffpntlichkeit 

nie  Stadt  ist  zu  eng  und  damit  das  Beziehungsgeflecht,  ich  sehe  nicht, 
ho  Freund  ist  und  wo  Feind,  hier  schlagen  sie  sich,  dort  sitzen  sie 
am  Stammtisch  und  duzen  sich.   Sind  die  Auseinandersetzungen  nicht 
r  Scheingefechte?  Bestimmend  ist  der  eigene  Vorteil,   egal,  woher 
aenommen.   Ich  denke,  der  ist  Genosse?  Was  macht  der  im  Vorstand  des 
SchU'tzenvereins?  Der  duzt  sich  ja  sogar  mit  diesem  offensichtl  ichen 

nie^sogenannte  Offentlichkeit  ist  die  Offentlichkeit  ausschl  ieBlich 
der  Vereinsvorstande  und  in  denen  sitzen  ausschlieBl ich  die  Honora- 
tionen. 

rrh  werde  wohl   vom  gesellschaftl  ichen  Leben  Limburgsausgeschlossen 
Kipiben     Ich  habe  keine  einfluBreichen  Bekannten,   lasse  mich  nicht 
hei  gesellschaftlichen  Ereignissen  wie  Orgelkonzert,  Limburger  Fase- 
rht  u  a     einflihren.  Ansonsten  gibt  es  anscheinend  nur  Leben  hinter 
o«hlossenen  Wohnungsturen,  ich  weiB  von  keiner  Wohngemeinschaft, 
gf.n  keinem  Fest,  wo  man  mal  vorbeischauen  kann.  Nicht  mal   Sozialar- 
beiter,  zu  denen  ich  Kontakt  Uber  die  Arbeit  habe,  treffen  sich  pri- 

vat. 

-  73  - 


Ich  komme  mir  vor  wie  ein  AuBenseiter:  undef inierbar,  was  arbeitet 
die  den  ganzen  Tag?  Jugendzentrum  -  kennt  man  doch  aus  der  Zeitung: 
"Brutstatte  flir  Radikal inskis  und  langhaarige  Gammler!" 

Unverheiratet  lebt  sie  auch  noch  mit  einem  zusammen,  einen  Jugend- 
lichen  in  der  Wohnung  aufgenommen,  keine  Referenzen  -  konnte  ja 
ruhig  Juso  sein,  dann  wenigstens  wiiBte  man,wohin  mit  ihr. 

Sind  das  die  Stimmen  der  Offentlichkeit?  Wenn  doch  wenigstens  offe- 
ne  Angriffe  kamen,  aber  so  komme  ich  mir  wie  von  der  Dffentlichkeit 
totgesagt  und  doch  lebend  vor. 

Die  Jugendl ichen 

Die  Jugendlichen  haben  das  gleiche  MiBtrauen  wie  ihre  Eltern.  Sie 
kennen  die  Gruppen,  in  denen  man  sein  muB,  urn  anerkannt  zu  sein. 
Sie  wehren  sich  gegen  mich,  die  sie  als  Erwachsene  sehen,  in  der 
Hoffnung,  doch  anders  zu  werden.  Wenige  sind  bereit,  mich  zu  akzep- 
tieren  und  mit  mir  Freundschaft  zu  schlieBen. 

Ich  bin  flir  sie  "eine  Studierte",  "ein  Besserwisser",  "ein  Aufpas- 
ser".  Jedesmal,  wenn  ich  etwas  sage,  was  mit  Verhalten  zu  tun  hat, 
bin  ich  auch  nur  so  ein  intoleranter,  verstandnisloser,  autoritarer 
Erwachsener. 

Sie  haben  keine  Freiraume,  standige  Kontrolle  durch  die  Dffentlich- 
keit Jeder  kennt  jeden,  Nachbarn  setzen  Eltern  unter  Druck,  Lehrer 
haben  noch  Allmacht,  im  Betrieb  ist  kein  Chef,  sondern  ein  neuer 

Vater 

Der  qanze  Frust  wird  natlirl  ich  im  Jugendzentrum  abgeladen  -  wo  auch 
sonst"?  Doch  wo  bleibe  ich?  Ihr  kbnnt  mich  doch  nicht  darauf  redu- 
zieren,   "Organisationsheini" ,   "Problemlbser" ,   "Beschaftiger"  fur 
Euch  zu  sein i   Wenn  ich  Interessen  oder  AnsprLiche  habe,  habt  Ihr 
"keinen  Bock",  und  ansonsten:  Welch  ein  Fluch,  daB  ich  immer  sehr 
miide  und  geschafft  bin  und  kaum  Zeit  habe,  etwas  anderes  zu  tun  als 
Jugendzentrumsarbeit. 

Es  gibt  nam! ich  kein  Biichergeschaft  mit  nur  einem  linken  Buch,  kein 
Kino  mit  anspruchsvolleren  Filmen  als  "LiebesgruBe  aus  der  Leder-    _ 
hose"     kein  Theater  -  auBer  Gastspiele  drittrangiger  Ensembles,   kei- 
ne vefraucherte  Kneipe  zum  zwanglosen  Treffen,   keine  Leute  in  meinem 
Alter  -  studieren  entweder  in  Frankfurt  oder  sind  verheiratet,  haben 
zwei   Kinder  und  andere  Sorgen  und  sehen  abends  fern.   Keine  groBen 
Kaufhauser,  wo  man  wenigstens  mal   seinen  Kummer  sublimieren  kann, 
keine  Sportmoglichkeit,  Sporthallen  und  -platze  sind  an  Vereine  ver- 
geben,  denen  man  beitreten  muB,  Sportclubs  nehmen  "unsereins     nicht 
auf . 

Der  Artikel    ist  nicht  so  resignativ  gemeint,  wie  es  jetzt  vielleicht 
erscheint.    Er  ist  aus  der  augenbl ickl ichen  Situation  heraus  geschrie- 
ben.  Urn  diesen  Erfahrungen  Struktur  und  Perspektive  zu  geben,  muB 
m.E.   das  PROBLEM  "Sozialarbeit  in  der  Provinz"  an  folgenden  Fragen 
weiter  diskutiert  werden  (mal   abgesehen  von  politisch-okonomischen 
Bedingungen): 


74 


Von  welchem  Anspruchsniveau  her  messen  Sozialarbeiter  ihre  Erfol- 

ge? 

Was  wird  allgemein  als  Erfolg  in  der  politischen  Arbeit  angese- 

hen? 

Faktor  "Zeit". 

Veranderung  durch  Vorleben  alternativer  Lebensformen? 

Abfragbares  Wissen  oder  Verhaltens-  und  Einstel lungsanderung? 

Verhaltnis:  eigenes  Verhalten  -  politische  AnsprLiche. 

Erfahrbarmachen  des  politischen  Verstandnisses. 


Der  Gewerkschaftsfunktionar 

soil  so  sein  wie  der 

Vbrsitzende-nurkleiner 


Wie  die  0TV  die  f.ri.Go  verteidigt. 

fjber  Radikale  in  der  Gewerkschaft  und  wie 
man  mit  ihnen  fertig  wird. 

Der  „Fall"  Heidi  Pflanz 


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UJZ  Kornstr.,  Hannover: 

PARLAMENTARISCHER  KAMPF 

UM  DIE  WEITERFORDERUNG  DURCH  DIE  STADT 


Wir  haben,  wieder  einmal,  eine  Weiterfbrderung  unseres  Jugendzen- 
trums  durch  die  Stadt  durchsetzen  kbnnen.  Gegen  die  Stimmen  der  CDU 
hat  der  Stadtrat  von  Hannover  -  nun  schon  zum  vierten  Mai   -  fur  eine 
Weiterfbrderung  des  UJZ  in  der  Kornstr.   stimmen  miissen.  Diese  liegt 
an  der  unteren  Grenze  des  Existenzminimums,  aber  ohne  diese  bffent- 
lichen  Mittel  waren  wir  augenbl icklich  nicht  in  der  Lage,  das  Ju- 
gendzentrum  zu  halten.   Diese  Mittel   sind  uns  nicht  geschenkt  wor- 
den,  wir  muSten  sie  erkampfen.  Ein  entscheidendes  Mittel  war  dabei 
die  Auseinandersetzung  rait  den  politischen  Parteien  im  Stadtparla- 
ment.   Die  Argumentation  der  CDU  war  nichts  als  demagogisch  und  ver- 
suchte,  das  UJZ  als  ein  Hort  von  Extramisten,  Staatsfeinden  und 

RechtSbrechern  darzUStellen.    ("Hier  soil   das  Feuer  fiir  die   Weltrevo- 
lution   und  den   Klassenkampf  geschurt   werden."  So     das  Zitat   eines 

CDU-uatsherrn.)   Die  CDU  war  allerdings  gehandicapt:  einer  ihrer  Spre- 
cher,  Stadtrat  Wedekind,  hatte  wenige  Monate  vorher  vom  Verwaltungs- 
gericht  untersagt  bekommen,  weiterhin,  wie  in  der  BILD,  zu  behaupten, 
das  UJZ  Kornstr.   "sei   fest  in  kommunistischer  Hand". 

Die  Verwaltung,  insbesondere  der  Dezernent  fur  Jugend,  Gesundheit 
und  Sport,  Klaus  Beste,   versuchte,   nachdem  sie  zunachst  eine  Weiter- 
fbrderung zu  verhindern  getrachtet  hatte,  sich  abzusichern  und  for- 
derte  den  Tragerverein  des  UJZ  auf,  seine  Stellung  zur  freiheitl ich- 
demokratischen  Grundordnung  und  zum  Grundgesetz  schriftlich  zu  pra- 
zisieren.    (s.   Dokument)   Innerhalb  der  sozialdemokratischen  Fraktion 
setzten  sich  jene  reformistischen  Kra'fte  durch,  die  im  UJZ  ein  Mo- 
dell  fortschrittlich-sozialintegrativer  Jugendarbeit  sehen.   Ein 
SPD-Ratsherr  meinte,  man  "mu'Bte  das  UJZ  Kornstr.   schaffen,  wenn  es 
so  etwas  nicht  bereits  gabe."  "Es  sei   immer  schwierig,  Jugendliche 
in  die  Gemeinschaft  einzufuhren.  Das  gelte  insbesondere  fur  die,  die 
aus  irgendwelchen  Grunden  kein  konkretes  berufliches  Ziel  vor  Augen 
ha'tten  oder  die  arbeitslos  seien." 

Aus  diesem  Diskussionszusammenhang  verbffentlichten  wir  zwei  Papiere, 
mit  denen  wir  direkt  in  die  parlamentarische  Auseinandersetzung  ein- 
gegriffen  haben.  Sie  ermbgl ichten  es  der  Verwaltung,   ihre  Rechtsstaat- 
lichkeit  zu  wahren  und,   unter  Hinweis  auf  die  "hervorragende  Sozial- 
arbeitr'im  UJZ  einer  Weiterfbrderung  zuzustimmen.   Desgleichen  konnten 
die  SPD-  und  FDP-Ratsherren  -  teilweise  erst  nach  intensiven  Diskus 
sionen  mit  Leuten  aus  dem  UJZ  -  in  ihren  Fraktionen  Mehrheitenfur 
die  Weiterfbrderung  zustandebringen.  Mit  dem  zweiten  hier  verottent- 
1  ichten  Papier  versuchten  wir,  diesen  fiir  die  entscheidenden  Sitzun- 
gen  im  JugendwohlfahrtsausschuB  und  Rat  gegen  die  undifferenzierte 
CDU-Motzerei  Argumentationshilfen  in  die  Hand  zu  geben. 


-  76 


Dokument:  Arqunipnt.ationshilfe 

DaB  selbstverwaltete  Jugendzentren,  auch  wenn  sie  sich  "unabhangig" 
nennen  wie  das  UJZ  Nordstadt  in  der  Kornstr.   Hannover,   nicht  wirk- 
lich  unabhangig  vom  burgerlichen  Staat  stind,   i-st  eine  Binsenweis- 

heit.     (Die  Jugendpolitik  der  Stadt  Hannover,    Brziehung  und  Klassen- 
kampf 10/11,  1974)  Die  Notwendigkeit,  von  den  regionalen  Stadtverwal- 
tungen  finanzielle  Zuschusse  zu  fordern,     macht  diese  Zentren  not- 
wendigerweise  zu  einem  Bestandteil    staatlicher  Jugendpolitik.    Der 
Grad  der  "Unabhangigkeit"  ist  ein  Reflex  der  verschieaensten  Tendenzen 
innerhalb  der  burgerlichen  Fraktionen  im  Staatsapparat  selbst,   in 
denen  sich  immer  auch  widerspiegel t  die  Starke  und  Macht  reformi- 
stischer  Teile,  deren  Durchsetzungsmbglichkeiten  gebunden  sind  an 
die  Entfaltetheit  und  Mobil itat  der  Arbeiterbewegungen.   Es  ist  eine 
weitere  Binsenweisheit,  wenn  wir  konstatieren  miissen,  daB  der  Orga- 
nisationsgrad  der  Arbeiterbewegung  in  der  BRD  gering  ist     und  das 
Kapital   sich  in  der  Offensive  befindet. 

Notwendigerweise  sind  der  sozialistische  Anspruch  und  die  Mbglich- 
keiten  antikapitalistischer  Politik  innerhalb  eines  Arbeiterjugend- 
zentrums  auch  gebunden  an  die  Entwicklungen  der  Arbeiterbewegung 
selbst.  Wir  haben  -  insbesondere  in  der  letzten  Zeit  -  nie  verhehlt, 
daB  es  notwendig  ist     zu  akzeptieren,  daB  wir  im  Jugendzentrum  in 
diesen  Zwiespalt  eingebunden  sind.    (a.   Diemer,  Bericht  aus  einem 
unabhangigen  Jugendzentrum,    leben   -  lernen   -  kampfen,   betrifft 
erziehung,   7,   1^75)   Konkret  heiSt  das:  die  vom  UJZ  praktizierte 
sozialistische  Tendenz  h'a'ngt  ab  von  dem  BewuBtsein  und  den  Lernmbg- 
lichkeiten  der  Arbeiterjugendlichen,  die  ins  Zentrum  komraen,  dem 
Organisationsgrad  der  Linken  in  Hannover  (die  halt  auch  nicht  mehr 
und  nicht  weniger  darstellt  als  die  Linke  in  der  BRD  insgesamt)  und 
der  Reformbereitschaft  der  regionalen  Stadtverwaltung  (die  desglei- 
chen nicht  auBerhalb  des  bundesrepublikanischen  Staatsapparats  ha'ngt). 
Das  Umschlagen  der  Reformanspruche  in  blanke  Restaurations-  und 
Stabilisierungsstrategie  im  Staatsapparat  muB  notwendigerweise  auch 
ein  Reformprojekt  wie  unser  UJZ  infrage  stellen.   Wir  aber  meinen,  daB 

qerade  im  Augenbl  ick  entscheidend  ist,  u.a.  selbstverwaltete  Ju- 
aendzentren,  die  einen  Anspruch  fortschrittl icher     Jugendpolitik 
stellen  und  zu  realisieren  trachten,  zu  halten,  auch  wenn  in  der 
augenbl icklichen  Situation  keine  sogenannte     "Jugendzentrumsbewe- 
gung"  dahinter  steht. 

Nach  der  keineswegs  ganz  verfassungskonformen  Logik  eines  CDU-Rats- 
herrn  allerdings  geht  das  nicht  an:   "Jeder  kbnne  in  dieser  Bundes- 
reDublik  denken.was  er  wolle"  aber,   so  "wolle  er  noch  in  diesem 
7usammenhang  erinnern",  daB  es  nicht  anginge,   "daB  jeder  fur  jeden 
npnkcrozeB  auch  bffentliche  Mittel   bekommen  solle",  denn  -  so  der 

plthistorische  Purzelbaum  -  einer  Rosa  Luxemburg  "sei  es  zu  keiner 
ylit  einaefallen,  Geld  von  denen  zu  nehmen,  deren  Macht  sie  zu  be- 
c!  tiqen  angetreten  sei."   Da  hat  sich  der  CDU-Mensch  aber  ganz 
S„in  der  Arbeiterbewegung  geirrt.  Auch  wenn  es  uns  schmeichelt, 

„       n  historischen  Zusammenhang  einer  Rosa  gebracht  zu  werden,  so 
'"ilen  wir  doch  konsequent  und  dialektisch  nach  ihren  Prmzipien 
handeln    Mindest  in  der  Geldfrage.   Denn  natiirlich  wol   en  wir  Geld 
£n  denen,  die  die  Macht  haben,  gerade  urn  sie  ein  wenig  weniger 

mSchti!  w  macherl-  Reformen  wollen  Wir  natUrlich'  sofern  S1e  die 

-  77   - 


Lage  und  Organisierungsfahigkeit  der  Arbeiterklasse  verbessern.  Da 
sind  wir  ganz  Lux  em  burg  is  ten. 

Es  ist  richtig  und  wichtig,  gerade  in  einer  Phase, in  der  derartige 
Plattituden  unseres  CDU-Mannes  zur  Staatstheorie  werden,   sich  kon- 
sequent  auf  die  in  der  Verfassung  verankerten  Recht  zu  beziehen. 
Gerade  wo  alluberall  die  sozial  istische  Tendenz  sich  in  der  Defensive 
befindet  und  der  kapital istische  Staat  dies  ausnutzt,  urn  aus  dem 

i- -J ,-,,*.-r     —  J  mm     l.ln-P-Prt     1-1  an  an     rVmfl  4  *»  h«     ama  nvi  natftVi  e/-l-ns     AflSStZG     ZU 


ich 


1JCI     MIUC  v     unu     ugi        [\up  i  w«  ■    i  j  ^  •  -jwi  n_      ^  uu  ut.      u   •  u*«      —  —  w  ■—  <•—  v  p      — ...      —  —  —      — 

Grundgesetz  eine  Waffe  gegen  samtliche  eraanzipatorische  Ansatz 
machen,  ist  es  notwendig,  erkampfte  Positionen  zu  erhalten,  au 
durch  Rekurs  auf  die  "Rechtsstaatlichkeit".  Die  Arbeiterbewegung 
braucht  Luft  zutn  Atmen  -  wir  soil  ten  uns  nicht  freiwillig  ersticken 
lassen.  Unsere  Erfahrungen  und  Argumentationen  kbnnten  auch  fur  an- 
dere  selbstverwalteten  Jugendzentren,  die  in  Clinch  mit  der  Staats- 
verwaltung  stehen,  brauchbar  sein. 


DOKUMENTATION 

•  ** 

AUF  96  SEITEN  DIESER  DOKUMENTATION  WIRD  DER  IN  DER  GESCHICHTE 
DER  TUGENDZENTRUMSBEWEGUNG  WOHL  EINMALIGE  FALL  DER  AKTION 
TUGENDHAUS  WERTHEIM  DARGESTELLT.  DIESE  INITIATIVE  KAMPFT  SEIT 
7  IAHREN  (')  FUR  EIN  JUGENDHAUS  UND  HAT  TROTZ  DREIER  HAUSBESET 
ZUNGEN   1971,1973,  UND  1975  HEUTE  IMMER  NOCH  KEIN  JUGENDHAUS. 

DIE  GESCHICHTE  DER  AKTION  JUGENDHAUS 

IST  EINE  GESCHICHTE  VON  HAUSBESETZUNGEN 

DIE  DOKUMENTATION  SCHILDERT  NICHT  NUR  DIE  ERFAHRUNGEN  IN  BE- 
ZUG  AUF  DIE  3  HAUSBESETZUNGEN'  SONDERN  BEFASST  SICH  MIT  DEN 
GRUNDLIEGENDEN  PROBLEMEN  DES  JUGENDHAUSKAMPFES  IN  DER  PRO- 
VINZ  INSOFERN  IST  DIESE  DOKUMENTATION  EINE  BEREICHERUNG  DER 
THEORIEDISKUSSION  INNERHALB  DER  JUGENDZENTRUMSBEWEGUNG. 

DIE  DOKUMENTATION  IST  GEGEN  VOREINSENDUNG  VON  DM  5, —  +  DM 

I PORTO  AUF  DAS  KONTO  DER  AKTION  [UGENDHAUS.SPARKASSE 

WERTHEIM  NR.  3  8  o  6  3  7  9    ERHALTLICH.  BEI  MEHRFACHBESTELLUNG 
G1BT  ES  RABATTE.  WIR  KONNEN  "  UNSER  WERK"  NUR  GEGEN  VORAUS  - 
ZAHLUNG  ABGEBEN,  DA     WIR  UNS  KEINE  DEFIZITE  LEISTEN  KONNEN. 
WIR  BEKOMMEN  VON  DER  STADT  KEIN  GELD  UND  WURDEN  IN  DEM  IM 
MARZ  1975  BESETZTEN  HAUS  REGELRECHT  "AUSGEHUNGERT". 
EINE  BESTELLUNG.SPENDE  ODER  NUR  DIE  BEZAHLUNG  IST  DAMIT  EIN 
TEIL  VON  SOLIDARITAT.  i  .  ^ 

AKTION. JUGENDHAUS 


SPENDEN  FtIR  PORTUGAL  -  SOLIDARITAT 
MIT  DEN  PORTUGIESISCHEN  KINDERN 


Im  Info  Nr.   12  haben  wir  den  Kindergarten  in  Pragal/Almada  vorge- 

stellt  und  zur  Unterstutzung  aufgerufen. 

In  einem  Brief  vom  9.2.1976  berichtet  der  Rat  der  Einwohner  liber  die 

weitere  Entwicklung.  Wir  drucken  Auszuge  aus  diesem  Brief  ab  und 

fordern  alle  Kollegen  und  Genossen  auf,   ihre  Unterstutzung  nicht  zu 

versagen. 

Der  Kindergarten  benbtigt  dringend  finanzielle  Hi  If e,  sowie  folgende 

Arbei tsmaterialien:  Filz-  und  Wachsstifte,   Knetmasse,  Marionetten, 

Spielzeug,  Puzzles,  Puppen,  Musikinstrumente  (Xylofon,  Triangel   etc.) 

Sachspenden  nimnt  entgegen: 

Friaiericke  Borlinghaus-Adami ,  Rosenplatz  la,  4400  Munster 

Geldspenden  sind  einzuzahlen  auf  das  Sonderkonto  Portugal, 

Michael   Schwelien,  Bank  flir  Gemeinwirtschaft,  Niederlassung  Offenbach 

Nr.    17455702. 


Rat   der   Einwohner 
Quinta   da   Horta-Pragal 
Pragal-Almada 


"Genossen, 

wjr   fuhlen   uns   sehr  glucklich  zu  wissen,   da8  unser   Kampf    in   Eurem 
Land    bekannt    ist.    Wir  meinen,    daG  das  Geld,    das    Ihr   ftlr  den   Kinder- 
hort   besorgt   habt,   sehr   nutzlich   sein  wird.    Schon   seit    langem  planen 
wir  eine  Treppe  zu   bauen,   die  den  unteren  Teil   des  Hauses  mit  der 
oberen   Etage  von    innen   verbindet. 

Die   Erz i eherinnen   sind    ideal.    Die  Art,   wie   sie  die  Kinder  erziehen, 
aefallt   uns   sehr  gut.    Den  GroReren   bringen    sie   bei,   wie  der  Garten 

rsorgt  wjr(j   und   wie  die  Tiere  betreut   werden.    Sie   haben   selbst 
pinen   Stall    gebaut  und   Kaninchen  und   Kuken   reingetan.    Die  Kinder  ma- 
chen  viele   handwerki iche  Arbeiten.    Sie    lernen   singen.    Sie  machen 
Ti schlerarbei ten.    Sie   haben   sogar   eine   kleine  Werkstatt    in  einer   Ecke 
,        unteren   Raumes.    Dieser   Raum  war  die   Garage  des   Colonels.    Wir    ha- 
ben   sie 


namlich    in  den  Aufenthal tsraum   fur   die    Kinder   umgewandelt. 


In   diesem  Raum   sind   die  4-6jahr igen   Kinder.    Im  oberen  Raum  die  3-^jah- 


rigen- 


Da    ist  auch  ein  Teil    fur  die   Babies. 


o-sher   hat  uns  der  Staat   nur  unterstiitzt ,    indem  er  die  Gehalter  der 
Frzieherinnen    bezahlt.    Wir   haben   auSerdem  3   Hi  If skrSf te.    Aber  diese 

rdienen   sehr  wenig,   denn  zu    ihrer   Bezahlung  dient   das  Geld,   wel- 
Vhes  die    Eltern   am  Monatsende    bezahlen.    Das    ist    sehr  wenig,   denn  die 
Eltern   konnen   auch  nicht  mehr   zahlen.    Ware  das   nicht    so,    ware   es   auch 

-  79  - 


kein  Vol kskinderhort .    Aber  die  drei    Helferinnen   sind   gewissenhaf te 
Personen,   denn   es    1st   so,   daS  wir  alle  unsere  Arbeit   haben,   und  da- 
rum  haben   sie  groBes    Interesse  an  der   Arbeit,    obwohl    sie  nur    so  we- 
nig   verdienen   -  2   200  Escudos/Monat . 

Hier    im  Rat  von  Almada  gibt   es   5  Volkskinderhorte,    unserer    inbegrif- 
fen.    Wir   wollen   nicht   eitel    sein,    aber  die  Personen,    welche   unsern 
Hort   besuchen  kommen ,   meinen,   daD  unserer  am  besten   funkt ioniert . 
Von  den   5  Horten    sind   zwei,    die   bisher   nicht  geoffnet  waren,    denn 
sie  hatten    Schwier igkei ten  mit  der   Herrschaft  wegen   Besetzung.und 
jetzt  mussen   sie  noch  einige  Bauarbeiten  machen.   Jeden  Samstag  ver- 
sammeln   sich  die  Vertreter  der   Horte.    Wir  bereiten  eine  Liste  rait 
Forderungen  vor,   urn   sie  der  Regierung  vorzulegen,    in  der  wir  finan- 
zielle  Unterstiitzung   fur  die  Horte  verlangen. 

Der   25.    November  war   ein   Putsch  der   Rechten.    Das   war    ein    schwerer 
Schlag  gegen   die  Organ! sat ionen  des  Volkes.   Man   spiirte  danach  eine 
schwere   Entmutigung   bei    den   Leuten.    Trotzdem     die   bewuBtesten   Genos- 
sen  aus  der   Bevolkerung  wissen,   daB  es  notig    ist,   auf  alien  Gebieten 
gegen  den  Vormarsch  des  Faschismus  zu   kampfen. 


,t  we  iter.  Aber  wir  mussen  wachsam  sein. 
gut  gearbeitet,  und  wir  sehen  nicht  die 
ns  rausschmeiBen  konnte.  Der  Hort  funk- 
e  Bevolkerung  empfindet    i hn  als    ihr 

t   sehr   fortschri ttl ichen   Kraften   belegt 
ungen   untersttltzten ,   wurde  durch  die 
litars   wurden  durch  den   25-    November 

rausgesaubert .  ...      m 

t    sind   wir   nicht  sehr   angstlich.    Wir 

Errungenschaften  zu  verteidigen  weiB, 
t    ist. 


Hier    in  Pragal    arbeitet  der  Ra 
In   Bezug  auf  den   Hort   hat  man 
Moglichkeit,    da6  der    Colonel    u 
tioniert   schon   h  Honate  und  di 
Eigentum. 

Die  Kaserne  von  Almada,  die  mi 
war,  welche  uns  bei  den  Besetz 
Regierung  aufgelSst.  Einige  Mi 
eingesperrt  und  andere  wurden 
Trotzdem,  in  Bezug  auf  den  Hor 
vertrauen,  daB  das  Volk  seine 
wenn   es  ausreichend  organisier 

Damn,   hat  die  Regierung    bisher   nicht  die   Einwohnerrate  verboten 
Sie   bereitet    ihnen  die  grSBtmogl  ichen   Schwi  er  Igkei  ten  oder  versucnt, 
sie  fur    ihre  Zwecke  zu  gebrauchen.   Aber  wir  wissen,   was  wir  wollen 
und    sind   vorbereitet. 

Hier    in   Pragal    haben  wir   schon   begonnen,   dagegen  zu   kSmpfen,   daB   eine 
Herrschaft   einen  Mieter   auf  die  StraSe  wirft.    Seit  dem  25-    November 
haben  die  Faschisten    ihre  Haupter  erhoben.    Vor   etwa   15  Tagen  wol Ite 
die  G   N   R.    in   Lissabon   Bewohner,   welche  ein  Haus   besetzt   hatten,   aut 
die  StraBe  werfen.   Aber  die  Bevolkerung   hat  das  nicht   zugelassen. 
Und   so  mussen  wir  es  auch   in  Pragal   machen.   Und  mussen  es  auf  andern 
Stel len  machen. 

Revolutionare  GriiBe  -  Rat  der   Einwohner  von  Pragal" 


Redaktionskollektiv: 

REPRESSION  UND  POLITISCHE  ARBEIT  IM  SOZIALBEREICH 
-  Zur  Strategic  im  Arbeitsfeld  Sozialarbeit  - 


Wenn  wir  uns  in  der  folgenden  Argumentation  mit  einigen  Tendenzen 
der  Organisierung  linker  Sozialarbeiter  und  Erzieher  streckenweise 
Uberpointiert  kritisch  auseinandersetzen,  so  geht  dieser  Vorgehens- 
weise  die  Einschatzung  voraus,  daB  die  Entwicklung  der  letzten  Jah- 
re  unseren  Arbeitsansatz  grundsatzlich  bestatigt  hat:   naralich  an 
den  Interessen  und  Bedurfnissen  der  Genossen  im  Sozialbereich  konkret 
anzusetzen  und  organisatorische  Schritte  nicht  von  vorgegebenen 
dogmatischen  Konzepten,  sondern  von  der  Aufarbeitung  gemeinsamer  Er- 
fahrungen  abhangig  zu  machen.   Der  engere  Arbeitszusammenhang  um  den 
Info  hat  sich  gefestigt,  die  Abonnentenzahlen  steigen  und  das  Ar- 
beitsfeld Sozialarbeit  im  Sozialistischen  Euro  ist  zu  einem  verbind- 
lichen  Uberregionalen  Bestandteil   politischer  Arbeit  im  Sozialbereich 
qeworden. 

Vor  diesem  durchaus  erfreul ichen  Hintergrund  mag  der  nachstehende 
Artikel   als  Beitrag  zu  den  Organisationsbestrebungen  des  Sozialisti- 
schen Bros  und  der  damit  verbundenen  Strategie-Debatte  manchen 
Genossen  provozierend  erscheinen.   Als  ersten  AnreiBer  fur  eine  in- 
tensivere  Auseinandersetzung  halten  wir  freilich  die  Betonung  gera- 
de  der  wunden  Punkte  fur  mitzlich. 

pr0blematik  des  Organisationsprozesses  im  Arbeitsfeld 

nie  beiden  letzten  AF-Tagungen  in  Schnackenburg  (Mai   75)  und  in  Kas- 
cel    (Nov.   75)  haben  Problemstellungen  aufgeworfen,  die  die  bisheri- 
Sp  AKS-Arbeit,  die  iiberregionale  Zusamuenarbeit,  sowie  die  bislang 
raktizierte  Konzeption  des  Informationsdienstes  Sozialarbeit  in  Fra- 
stellen,  freilich  ohne  daB  eine  klare  Perspektive  fiir  die  weitere 
Arbeit  schon  in  greifbare  Nahe  gerUckt  ist. 

auf  der  Taqung  in  Schnackenburg  wurde  erstmals  in  groBerem  Rahmen  der 
vLUuch  jnternommen,  liber  die  im  Editorial  des   Infos  Nr.    1  definierte 
c  nktion  des  Infos  und  des  sich  daran  festmachenden  uberregionalen 
7»«mnenhangs  der  AKS-Gruppen  hinauszugehen.   In  dem  Editorial   heiBt 

"nurch  den  Info  soil   den  Gruppen  und  arbeitenden  Genossen  dadurch 
nntprstUtzung  gegeben  werden,    daB     sie  die  Moglichkeit  erhalten  und 

Wordert  werden,  ihre  Erfahrungen,  unmittel  baren  Probleme,  Kon- 
lilkte  und  Bedurfnisse  darzustellen  und  mit  anderen  Gruppen  in  einen 

i^insamen  Erfahrungsaustausch  zu  treten."   (Info  Sozialarbeit, 
gemeinsamen  tr       ^  »  ^s  entsprach  in  pragmatischer  Weise 

a!  Anforderungen  der  damaligen  Situation  und  bestimmte  den  Rahmen 
der  Zusammenarbeit  als  einen  locker-assoziativen. 

n  r  VorstoB  in  Schnackenburg  bewegte  sich  allerdings  noch  vorwiegend 
D6f  Her  Ebene  organisatorischer  Regelungen  und  kaum  spezifizierter 
^stufate     Es  wurden  zwei  Delegierte  des  AF  fur  den  Delegiertenrat 

-  81    - 


des  Sozialistischen  Biiros  (SB)  gewahlt.   Damit  wurden  formal  die  orga- 
nisatorischen  Anstrengungen  des  SB  nachvollzogen.  Andererseits  war 
den  Betei ligten  eigentlich  klar,  daft  dieser  Schritt  Liber  eine  nur 
vage  inhaltliche  Basis  verfiigte,  denn  niemand  konnte  sagen,  welche 
politische  Perspektive  des  Arbeitsfeldes  die  Delegierten  im  Delegier- 
tenrat  vertreten  sollten.   Dazu  waren  namlich  politische  Kriterien 
notwendig,  um  die  eigene  AF-Praxis  einschatzen  zu  kbnnen  und  konkre- 
te  Vennittlungsschritte  zu  einer  Libergreifenden  sozialistischen  Po- 
litik  mit  den  Genossen  der  anderen  AF  (Betriebe,   Lehrer,  Gesundheits- 
wesen  etc.)  zu  entwickeln. 

Obwohl   in  Schnackenburg  als  "gemeinsame  Erkenntnis"  angegeben  wurde, 
"daD  die  Arbeitsfeld-Organisationsform  des  SB  den  Interessen  und  den 
Problemen  in  der  Arbeit  von  Sozialarbeitern,-padagogen  angemessen 
ist"   (Info  10, S.   59),  zielte  diese  erste  Etappe  im  ProzeB  der  poli- 
tischen  Selbstdefinition  des  Arbeitsfeldes  zuna'chst  einmal   auf  eine 
Problematisierung  der  Handlungsstrategien  linker  Sozialarbeiter  in 
ihrer  Berufspraxis  ab,  konnte  aber  noch  keine  konkreten  Schritte  for- 
mulieren,  die  Liber  AnsprLiche  hinausgehen,  wie  sie  bereits  auf  einer 
Info-Tagung  im  Oktober  1973  vage  angerissen  wurden.  Schon  damals 
hieB  es-   "Notwendig  scheint  uns  jetzt     ...   eine  grtindliche  theoreti- 
sche  Bearbeitung  und  politische  Einschatzung  von  Praxiskonflikten. . ." 
und  "...zu  einer  kontinuierlichen  Diskussion  liber  eine  sozialisti- 
sche  Strategic  im  Reproduktionsbereich    zu  konrmen."   (Info  Nr.   5. 
S.   11-12) 

Was  wir  mit  dem  Gesagten  verdeutl ichen  wollen  und  was  real   auf  der 
Kasseler  Tagung  auch  voll     zum  Ausbruch  kam,  ist  der  Widerspruch 
zwischen  kaum  inhaltlich  angerissenen  Postulaten  politischer  Arbeit 
im  Arbeitsfeld,  die  sich  nicht  zuletzt  an  dem  halbherzig  hergestell- 
ten  Bezug  zum  organisatorischen  Zusammenhang  des  SB  festmachen,  und 
der  konkreten  Praxis  der  AKS-Gruppen,  die  durch  eine  zunehmende 
Orientierungslosigkeit  gekennzeichnet  ist.  Spatestens  in  Kassel  wur- 
de offenbar,  daB  nicht  nur  der  Bezug  zum  SB  noch  weitgehend  unver- 
mittelt  ist,  sondern  daB  auch  die  gesellschaftl ichen  Bedingungen, 
die  die  bisherige  Praxis  der  AKS-Gruppen  begriindeten  und  zu  einem 
pragmatischen  Selbstverstandnis  beitrugen,  andere  geworden  sind. 
Vor  dem  Hintergrund  der  ausklingenden  Studentenbewegung  und  einer 
scheinbaren  breiten  Offnung  zu  den  Zielen  reformist! scher  Politik 
trugen  die  Vorstb'Be  der  Linken  im  Sozialbereich  in  Form  von  Projek- 
ten  und  Alternativmodellen  im  Bereich  der  Heimerziehung,  mit  Wohn- 
kollektiven  und  Jugendzentren,  zu  einer  zeitweiligen  Verunsicherung 
der  Sozialburokratie  und  der  institutionellen  Trager  von  Sozialar- 
beit  bei,  die  uns  leicht  ein  trugerisches  GefLihl  der  eigenen  Starke 
vermittelte.   In  dieser  Phase  war  die  spontane  Initiierung  von  AKS- 
Gruppen  in  Verbindung  mit  Projekten  der  naturwiichsige  orgamsatonsche 
Ausdruck  der  Bewegung.  Oetzt  -  in  Zeiten  okonomischer  Krise  und  poli- 
tischer Repression  und  mit  dem  Wegfall   offensiver  Alternativmodelle 
verbunden  mit  zusatzlicher  Einschuchterung  und  begrundeter  Realangst 
vor  Disziplinierung  -  ist  eine  Situation  eingetreten,  die  die  bis- 
herige AKS-Arbeit  in  Frage  stellt. 

Wir  halten  es  fur  zentral  wichtig,  diese  praktischen  Arbeitsschwie- 
rigkeiten  der  Gruppen  in  einen  Zusammenhang  zu  stellen  mit  der  I- ra- 
ge bereichsubergreifender  Organisierung   im  SB.  Werden  die  praktiscnen 

-  82  - 


Schwierigkeiten  nicht  mit  der  generellen  Problematik  sozial istischer 
Politik  in  der  Phase  der  "zweiten  Restauration"  vermittelt,  ist  die 
Festschreibung  der  zirkularen  Verlaufsformer  von  Arbei tsfeld-Tagun- 
□en  unvermeidlich: 

-  Erfahrungen  werden  ausgetauscht, aber  eher  summiert, als  analytisch 
begriffen  und  politisch  orientierend  verarbeitet; 

-  das   Info  wird  auf  die  Abhandlung  von  Schwerpunkt-Themen  reduziert, 
die  die  jeweilig  schreibende  Gruppe  zeitlich  okkupiert; 

-  der  Bezug  zum  SB  bleibt  ein  auf  der  allgemeinen  Ebene  abstrakt 
hergestellter,  der  eher  der  Legitimation  nach  auBen  dient,  als 
praktischen  Notwendigkeiten  entspringt. 

Mit  den  folgenden  Ausf'uhrungen  wollen  wir  diesen  Zusammenhang  ver- 
deutlichen,   indem  wir  einmal   naher  auf  die  historisch  veranderten 
Bedingungen  und  ihre  Bedeutung  fiir  die  Praxis  des  Arbeitsfeldes  ein- 
qehen,   urn  dann  den  Bezug  zwischen  Arbeitsfeld  und  SB  an  einigen  Problem- 
stellungen  zu  konkretisieren. 

Klethodisch  ergeben  sich  dabei   notwendigerweise  Verallgemeinerungen, 
deren  grobe  Raster  nicht  ganz  unproblematisch  sind.  Unsere  Ebene  der 
Analyse  blendet  die  Ungleichzeitigkeiten  und  lokalen  Differenzierun- 
qen  der  Entwicklung  von  AKS-Gruppen  weitgehend  aus.   Die  BerLicksich- 
tigung  dieser  jeweils  besonderen  Bedingungen  und  spezifischen  Lern- 
prozesse  soil    nicht  einfach  unterschlagen  werden.   Vielmehr  fordern 
wir  die  Gruppen  auf,  diesen  hbheren  Prazisierungsgrad  durch  die  Re- 
flexion ihrer  eigenen  Erfahrungen  starker  in  die  Arbeitsfeld-Diskus- 
sion  einzubringen.   So  wollen  wir  nicht  verschweigen,  daB  sich  ent- 
qegen  der  von  uns  vorrangig  bezeichneten  Tendenz  durchaus  einige 
AKS-Gruppen  iiber  die  Auseinandersetzung  mit  Konflikten  in  Institu- 
tionen  gebildet  haben.  Gerade  ihre  Erfahrungen  sind  aber  im  Info- 
und  Arbei tsfeld-Zusammenhang  bisher  unterbewertet  worden. 

\mn  der  Modelleuphorie  in  die  Defensive 

Im  Zuge  der  Studentenbewegung  und  durch  die  Beschaftigung  mit  Rand- 
qruppen  entstanden  1968/69  im  gesamten  Bundesgebiet  eine  Vielzahl 
von  Basisgruppen,  die  sich  im  Sozialbereich  engagierten.   Die  GrLin- 
d^ng  von  AKS-Gruppen  war  das  Ergebnis  der  Einsicht,  daB  die  katastro- 
nhale  Lage  der  "Klienten",  die  unzulangl ichen  Arbeitsbedingungen  in 
den  Rmtern,  Heimen  und  Tagesstatten,  die  Abhangigkeit  von  Sozialburo- 
kratie, die  praxisferne  Aus-  und  Fortbildung  nur  geandert  werden  konn- 
ten  wenn  wir  unsere  Interessen  selbst  vertreten  und  uns  nicht  1  anger 
auf'Berufsverbande  und  Parteien  verlassen  wLirden.   Den  Anspruch  der 
Sozialarbeit  ernstnehmend,  versuchten  wir,  die  Funktion  der  Sozial - 
arbeit  vor  dem  Hintergrund  der  eklatantesten  Widerspriiche  dieser  Ge- 
cellschaft  neu  zu  bestimmen.    In  vielen  Stadten  organisierten  sich 
Sozialarbeiter  in  Arbei tsgruppen,  beteiligten  sich  gemeinsam  mit 
Itudenten  an  Randgruppenprojekten  mit  Fursorgezbglingen,  Obdachlosen, 

cvrhisch  Kranken  oder  gr'u'ndeten  Vereine  zwecks  Organisierung  von 
alternativmodellen  (z.B.  Jugendwohnkollektive).  Hbhepunkt  dieser  Be- 

paunq     in  der  sich  Elemente  radikaldemokratischer,   liberaler  bis 
k-in     zu  sozialistischen  Positionen  zusammenfanden,  war  das  vom  SB 

Id  der  "Sozialpadagogischen  Korrespondenz"   initiierte  gemeinsame 
Auftreten  zum  Jugendhilfetag  1970  in  NUrnberg  als  "Sozialistische 

-  83  - 


Aktion".     Die  Existenz  dieser  spontan  gebildeten  Basisgruppen  konnte 
sich  durch  die  verunsichernde  Wirkung  legitimieren,  die  sie  in  der 
Auseinandersetzung  mit  den  Flirsorgeverbanden  und  den  traditionellen 
Institutionen  der  Sozialarbeit  ausubten  (bes.   sichtbar  auf  dem  Deut- 
schen  Jugendhilfetag  in  Nlirnberg),  wobei  sie  auch  gewisse  Teilerfol- 
ge  erreichten.   Katstrophale  MiBstande  wurden  in  das  BewuBtsein  einer 
breiten  Offentl ichkeit  getragen,  verwiesen  die  SozialbLirokratie  auf 
ihre  totale  Konzeptionslosigkeit  und  veranlassten  sie  zu  Konzessio- 
nen  in  besonders  eklatanten  Fallen. 

Indem  die  radikale  Kritik  fortschrittlicher  Sozialarbeiter  die  rea- 
len  Legitimationsschwierigkeiten  der  Sozialbiirokratie  bloBlegte,  be- 
wegte  sie  sich  primar  noch  auf  der  Ebene  des  Einklanges  von  Postula- 
ten  einer  "besseren  Sozialarbeit".  Vor  diesem  Hintergrund  konnte  die 
anvisierte  Form  von  Sozialarbeit  und  der  Anspruch  politischer  Arbeit 
selbst  schon  als  eine  Identitat  begriffen  werden. 
Das  in  dieser  Atmosphare  entstandene  Geflihl  der  eigenen  Starke  weck- 
te  Illusionen,  alternative  Modelle  im  Sozialbereich  absichern  zu 
kbnnen  und  dadurch  die  etablierte  Sozialarbeit  in  Zugzwang  zu  brin- 
gen     Besonders  auch  durch  die  linke  Publizistik  (und  nicht  zuletzt 
auch  im  info)  wurde  der  Stellenwert  alternativer  Sozialarbeit  oft 
liberzogen  dargestellt. 

Das  Verha'ltnis  von  theoretischer  Reflexion  und  konkreter  Praxis  stell- 
te  sich  merkwlirdig  unvermittelt  dar.  Auf  der  einen  Seite  flihrte  die 
Arbeit  im  "beschrankten"  Praxisbereich  zu  Hoffnungen  und  Illusionen, 
so  etwas  wie  sozialistische  Keimzellen  kreieren  zu  kbnnen,  anderer- 
seits  bewegten  sich  die  Versuche  gesamtgesellschaftlicher  Analyse 
auf  der  allgemeinsten  Ebene  der  Rezeption  marxistischer  Grundbegnf- 
fe    die    da  sie  nicht  imstande  waren,  die  allgemeine  Logik  des  Kapi- 
tal'verhaltnisses  mit  der  besonderen  historischen  Auspragung  des  Re- 
produktionsbereiches  differenziert  zu  vermitteln,  weder  eine  adequa- 
te Reflexion  der  praktischen  Arbeit  noch  eine  mittelfristige  perspek- 
tivische  Orientierung  ermbglichten.   Kurzfristigen  Erfolgen  stand 
die  relativ  abstrakte  Einsicht  von  der  Total i tat  gesamtgesellschaft- 
licher Strukturen  gegeniiber,  nach  dem  Motto,  daS  alles  mit  allem 
zusarimenhangt. 

Die  in  dieser  Phase  der  Sozialbiirokratie  abgetrotzten  Zugestandnisse 
(in  Form  von  Jugendwohnkollektiven,  Jugendzentren  usw.)  erwiesen 
sich  zum  grbBten  Teil  als  kurzlebige  "sozialistische  Inseln  .  Diese 
Kurzlebiqkeit  iiberdeckte  zudem  die  oftmals  vorhandene  inhaltliche 
Ratlosigkeit  bei  den  Sozialarbeiter-Genossen.  Administratives  Abwurgen 
der  Arbeit  durch  Hinhaltetaktik  oder  Polizeieinsatz  trug  zu  einer 
tendenziell   aktionistischen  Vorgehensweise  bei,  die  wiederum  eine 
realistische  Auseinandersetzung  mit  Fragen  verhinderte,  was  zum  Bei- 
spiel   soil   eigentlich  nach  der  Erkampfung  eines  Hauses  im  selbstver- 
walteten  Jugendzentrum  laufen?  oder,  wie  geht  man  mit  alltagllchen 
Schwierigkeiten  und  Auseinandersetzungen  und  psychosozialen  Abiauren 
etwa  in  einem  Jugendwohnkollektiv  urn,  wo  Hinweise  auf  die  Klassen- 
lage  der  Betroffenen  noch  nicht  viel  weiterhelfen.  Der  Hinweis,  von 
den  Jugendlichen  lernen  zu  wollen,sowie  Bestrebungen,  eine  padagogi- 
sche  Konzeption  gleichzusetzen  mit  der  Parole:   "Zusanmen  leben,    ler- 
nen, kampfen",  zeigten  ihre  desil lusionierende  Wirkung  dort,  wo  es 
wirklich  einmal  gelang,  Erfahrungen  Liber  einen  langeren  Zeitraum  zu 
sammeln. 


Oberprlift  man  die  linke  padagogische  Literatur  der  letzten  Jahre,  so 
finden  sich  neben  einer  Unzahl  von  Kampfberichten  nur  sehr  verein- 
zelt  Arbeiten,   in  denen  Erfahrungen  so  aufgearbei tet  worden  sind, 
daB  sie  einen  praktischen  Gebrauchswert  fLir  die  tagliche  padagogische 
Kleinarbeit  von  Sozialisten  besitzen  (vergl.  'z.B.   fur  die  Hauptschule: 
Henning/Kuhlmann,   Klassengemeinschaft,  oder:  den  Bericht  von  Alvons 
Diemer  liber  das  UJZ  KornstraBe,  Hannover  in:   betrifft  erziehung, 
Herbst  75) 

Linke  Sozialarbeiter  stehen  sehr  leicht  in  der  Gefahr,   ihre  eigene 
Arbeit  in  ubertriebener  Weise  in  politischen  Postulaten  wie  "die 
Betroffenen  organisieren  sich  selbst"  aufgehen  zu   lassen  und  damit 
die  anscheinend  "unpol itischen"  alltaglichen  Schwierigkeiten  zu   ih- 
rem  persbnlichen  Problem  zu  machen.   Das  kann  zu  einer  relativen  Un- 
fahigkeit  f'u'hren,  notwendige  Strukturierungshilfen  zu  liefern,  etwa 
im  Umgang  mit  Aggressionen  von  Jugendlichen,  beim  Insistieren  auf 
sachlichen  Anforderungen  etc.  Vergessen  wird  oft,  daB  man  es  ja  nie 
mit  dem  gewlinschten  Idealtypus  des  Arbeiterjugendlichen,  sondern 
stets  mit  dem  konkreten  Peter  K.  oder  Franz  M.  zu  tun  hat,  die  man 
schlechterdings  nicht  mit  dem  Hinweis  auf  die  generelle  Klassenun- 
terdrlickung  aus  der  Verantwortung  fur  ihr  Vernal  ten  entlassen  kann. 

Dem  stand  in  den  letzten  Jahren  die  schnell  wiedererwachende  Fahig- 
kei  t  der  Trager  von  Sozialarbeit  gegeniiber,  die  fortschrittl  ichen 
Impulse  der  linken  Modelle  sozialtechnisch     zu  funktional isieren. 
Zurn  Beispiel  werden  Wohngemeinschaften  in  Heimkonzeptionen  eingear- 
beitet,  zugleich  aber  der  damit  verbundene  Anspruch,  alternative  Le- 
bensformen    zu  initiieren,  eingeebnet.   Oftmals  festzustellende  Reak- 
tionen  in  unseren  eigenen  Reihen:   entweder  zahneknirschend   in  die- 
sen  sozialtechnischen  Einrichtungen  seine  Brbtchen  verdienen,  oder 
sich  flugs  auf  ein  neues,  scheinbar  politisch  relevanteres  Praxis- 
feld  zu   stlirzen,  um  dort  nach  einiger  Zeit  vor  ahnliche  Probleme  ge- 
stellt  zu  werden. 

Der  liberproportionale  Stellenwert,  der  Alternativmodellen  und  neuen 
Ansatzen  in  der  Sozialarbeit  beigemessen  wurde,  findet  seine  sozial- 
psychologische  Erklarung  nicht  zuletzt  in  der  Ifotwendigkeit,  der 
erkannten  ideologischen  Hohlheit  des  Systems  eigene  identif ikations- 
fahige  Projekte  in  eins  mit  einer  entsprechenden  Berufsperspektive 
entgegenzusetzen,  verbunden  mit  der  unbewuBten  Hoffnung,  die  diffi- 
zilen  Widersprliche  eben  dieses  Systems  uberspringen  zu   kbnnen. 

Die  Konsequenzen  dieser  probl ematischen  Orientierung  waren  in  drei- 

facher  Hinsicht  fatal : 

1.    es  wurde  unzureichend  berlicksichtigt,  daB  Sozialarbeit  als  Lohn- 
arbeit  den  Sozialarbeitern  eine  Berufsperspektive  aufzwingt,  die 
per  se  nicht  widerspruchsfrei    sein  kann.   Faktisch  waren  auch  die 
meisten  Projekte  liber  Finanzierung  von  Institutionen  abhangig. 
Die  notwendige  Folgerung,  parallel  auch  in  den  Institutionen  zu 
arbeiten,  wurde  kaum  praktisch  umgesetzt  (vergl.    Info  Nr.    5, 

S.    15-21). 
2     "rechts  liegen  gelassen"  wurden  die  Kollegen  in  den  Institutionen 
'    selber,  die  nicht  das  "Gliick"   hatten,  just  in  den  Bereichen  ta'tig 
zu  sein,  die  gerade  politisch  "in"  waren,   sondern  sich  mit  tradi- 
tionellen  Jobs  im  Sozialamt,  Jugendamt,   Famil ienfursorge,   Bewah- 

-  35  - 


rungshilfe  etc.   herumschlagen  muBten.   Oiese  Kollegen  wurden  weit- 
gehend  mit  der  Frage  alleingelas  sen,  an  welchen  Punkten  in  der 
t'a'glichen  Kleinarbeit  mit  den  von  Sozialarbeit  betroffenen  Schich- 
ten  der  Arbeiterklasse  sich  eine  fortschrittliche  Berufspraxis 
festmachen  la'Bt. 
3.  aie  wirklich  autonomen  Projekte,  die  logischerweise  keine  Berufs- 
perspektive  fiir  Sozialarbeiter  bieten,  gleichwohl  aber  wichtige 
Impulse  fur  linke  Sozialarbeiter  in  Institutionen  beisteuern,  wie 
z  B     der  SSK  Koln,   haben  sich  gegenuber  fortschrittl ichen  Kolle- 
gen abgeschottet  und  sind  einer  produktiven  Diskussion  (z.B.  auch 
mit  unserem  Info)  aus  dem  Weg  gegangen.  Sinnvolle  Kooperations- 
mbglichkeiten,  die  einer  Isolierung  dieser  Ansatze  in  der  Cffent- 
lichkeit  vorbeugen  kbnnten,   kamen  bisher  kaum  zustande. 

War  es  bis  vor  ca.   zwei  Jahren  noch  mbglich,  liber  eine  unvermittelte 
und  damit  abstrakte  Orientierung  an  der  Interessenlage    der  Arbeiter- 
klasse unter  Ausblendung  der  eigenen  Verstrickung  als  lohnabhangige 
Sozialarbeiter  eine  aktive  und  fordernde  Rolle  einzunehmen,  erweist 
sich  heute  diese  Strategie  als  vollends  unpraktikabel ,  da  die  Genos- 
sen  als  Objekte  staatlicher  Repression  nun  selber  Betroffene  sind. 
Getroffen  werden  nicht  mehr  nur  die  aktivsten  Kbpfe,  mittlerweile 
reicht  die  bloBe  systemkritische  Gesinnung,  urn  den  verschiedensten 
Mechanismen  von  Diszipl inierung,  angefangen  von  der  wohlmeinenden 
Aufforderung  zur  Duckmauserei  bis  zum  RausschmiB,  ausgeliefert  zu 
sein     Herrscht,  wie  bereits  aufgezeigt,  weigehend  Unklarheit  daruber, 
wie  Sozialarbeiter  unmittelbar  ihre  eigenen  Interessen  wahrnehmen 
kbnnen,  wird  der  solidarische  Bezug  zu  den  Betroffenen  erst  recnt 
unmbglich  gemacht. 

Die  "zweite  Generation  der  AKS-Gruppen",  die,  die  erst  in  jungster 
Zeit  entstanden  sind,   trifft  dieses  Dilemma  vollig  unvorbereitet. 
Sie  setzen  sich  zum  groBten  Teil   aus  Berufsanfangern  und  Berufsprak- 
tikanten  zusammen.   In  der  Ausbildung  in  keiner  Weise  mit  der.  Wider- 
spruchen  der  Berufspraxis  vertraut  gemacht,  ist  ihre  Motivation  und 
ihr  Engagement  bei  Berufseintritt  noch  stark  durch  die  Impulse  aus 
der  Projektphase  der  AKS-Gruppen  bestimmt. 

Die  Initiierung  von  AKS-Gruppen  lehnt  sich  an  das  Vorbild  der  alte- 
ren  Gruppen  an.  Nach  einigem  frustrierenden  Herumlaboneren  mit  der 
Snsicherheit,  was  man  eigentlich  machen  soil,  wird  dann  auf  uberre- 
aionalen  Taqungen  festgestellt,  uaB  die  Arbeitsschwiengkeiten  mcht 
in  erster  Linie  auf  die  besondere  Unfahigkeit  der  eigenen  Gruppe  zu- 
riickzufiihren  sind,  sondern  die  alteren  AKS-Gruppen  mittlerweile  vor 
ahnl ichen  Problemen  stehen.  Angesichts  der  Tatsache,  daB  neue  Hand- 
lungsperspektiven  nicht  greifbar  erscheinen,     leitet  sich  der  sozia- 
le  Zusammenhalt  der  Gruppen  schwergewichtig  uber  das  individual  ie 
Stabilisierungsbedurfnis  der  einzelnen  Mitglieder  her.  Eine  dogma 
tisch  hergestellte  Eindeutigkeit  einer  Strategie,  wie  sie  von  den 
K-Gruppen  vertreten  wird,  steht  nicht  zur  Verfugung    und  stoBt  be: 
rechtigterweise  auf  Skepsis.   Imrner  mehr  im  Vordergrund  steht  die  in- 
dividueiie Betroffenheit,  die  sich  aus  dem  Konflikt  der  eigenen 
linken  Identitat  mit  der  professionellen  und  durchweg  widersprucn- 
lichen  Rolle  als  Sozialarbeiter  ergibt.   Dieser  Konflikt  bezeichnet 
wie  gesagt  eine  "Leerstelle",  die  durch  die  bisherige  Praxis  der 
AKS-Gruppen  nicht  adaquat  ausgefullt  werden  konnte,  die  nun  aber  aie 
gemeinsame  Basis  darstellt. 


Neben  diesem  Stabilisierungsbedurfnis  sind  die  Mbgl ichkeiten  fur  of- 
fensive gemeinsame  Veranderungsstrategien  allenfalls  nebulbs,  aber 
kaum  konkret  greifbar.  Etwas  polemisch  uberzeichnet  lieBen  sich  die 
AKS-Gruppen  zur  Zeit  als  "Notgemeinschaften  zur  kollektiven  Pflege 
linker  Identitat  ohne  aktive  Perspektive"  deTinieren.  Die  fiir  Sozia- 
listen  vorrangige  Frage,  wie  wir  jetzt  arbeiten  mussen,  urn  unser 
Potential   aktiv  zu  erweitern,   schafft  in  der  Regel  Ratlosigkeit. 
Einen  wichtigen  Markierungspunkt  auf  dem  Wege  zu  dieser  Entwicklung 
stellte  das  Ougendpol itische  Forum  dar,  das  im  Dezember  1974  unter 
maBgeblicher  Beteiligung  der  in  der  Sozial istischen  Aktion  zusam- 
mengeschlossenen  AKS-Gruppen    als  Antwort  auf  die  Absage  des  5.  Deut- 
schen  Jugendhilfetages  veranstaltet  wurde.    Indem  es  einerseits  ge- 
lang,   interessierte  Kollegen  und  Genossen  in  breiter  Zahl   fiir  die 
Teilnahme  am  Jugendpol itischen  Forum  zu  gewinnen  und  damit  unser  or- 
gam'satorisches  Leistungsvermbgen  bei  freilich  extremem  Aufbieten 
aller  verfugbaren  Krafte  unter  Beweis  gestellt  werden  konnte,  wurden 
andererseits  unsere  konkreten  Schwierigkeiten,  in  den  Diskussionen 
praktische  Orientierungen  zu  vermitteln,  uniibersehbar.  MuBerlich 
wurde  diese  Unfahigkeit  schon  dadurch  deutlich,  daB  wir  die  inhaltli- 
chen  Vorgaben  und  Strukturierungen  der  Diskussionen  weitgehend  ver- 
dienten  Altgenossen  aus  dem  Hochschulbereich  ubertrugen,  die  selber 
nicht  in  der  AKS-Arbeit  standen  und  uns  deshalb,   trotz  besten  Wil- 
lens,  auch  nicht  weiter  helfen  konnten.  Damit  wurde  gleichzeitig 
aber  auch  deutlich,  daB  so  etwas  wie  ein  "theoretischer  Mittelbau" 
im  Sozialbereich  nicht  vorhanden  ist.  Dem  praktischen  Orientierungs- 
bedu'rfnis  an  der  Basis  stehen  relativ  unvermittelt  klassentheore- 
tisch  begrundete  Zugangsweisen  zu  Fragen  der  Jugendarbeit  und  zu 
dem  Komplex  materieller  und  psychischer  Verelendung  gegenuber.   In 
modif izierter  Form  findet  sich  die  skizzierte  "Leerstelle"  auf  der 
Ebene  linker  Theorieproduktion  wieder.   Abgesehen  von  dem  aktuellen 
Magazin  pSd.  extra  tut  sich  zwischen  unserem  Info  und  der  Zeitschrift 
"Probleme  des  Klassenkampfs"  ein    groBes  Loch  auf.  Da  wir  nicht  die 
Hoffnung  haben,  daB  dieses  Loch  in  absehbarer  Zeit  befriedigend  zu 
stopfen  ist,  bleibt  uns  wohl  nichts  anderes  Librig,  als  selbst  an 
den  ersten  real istischen  Schritten     zu  arbeiten,  wie  wir  uns  im  Ar- 
beitsfeld  Sozialarbeit  aus  Krise  und  Repression  einen  linken  Schuh 
machen  kbnnen. 

Dadurch,  daB  wir  selber  existentiellen  Zwangen,  Einschrankungen  und 
Repressionen  ausgesetzt  sind,  ist  ein  real istischeres  und  tieferes 
Verstandnis  fur  die  Lage  der  Arbeiterklasse  mbglich,  ein  weitaus 
konkreteres  BewuBtsein  von  den  Schwierigkeiten,  sich  zu  solidarisie- 
ren,  seine  Interessen  wahrzunehmen  und  Widerstand  zu  leisten.   Ober- 
lequngen,  wie  sie  in  einigen  AKS-Gruppen  bereits  angestellt  wurden, 
etwa  einen  Leitfaden  fiir  die  Beratung  von  Sozial  hi  If  eempfangern  und 
Merkblatter  fiir  eine  extensive  Ausnutzung  des  Bundessozialhilfege- 
setz  (BSHG)   zu  erstellen,  geben  die  Richtung  an,   in  der  etwas  getan 
werden  muB,  zumal   dieses  Feld  von  linken  Sozial arbeitern  bisher 
meist  gemieden  wurde.  Angste  vor  einem  RLickfall   in  eine  neue  Rand- 
aruppenstrategie  brauchen  nicht  mehr  entwickelt     zu  werden,  ange- 
sichts der  Tatsache,   daB  die  Krise  das  Gros  der  Lohnabha'ngigen 
trifft  und  dementsprechend  Rechtsberatung  und  materielle  Hilfen  gene- 
rell   ein  starkeres  Gewicht  bekommen.   Damit  einhergehend  wird  deut- 
lich, daB  die  eigene  widersprUchliche  Situation  als  Lohnabhangiger 
-tarker  reflektiert  werden  muB.  Bezeichnenderweise  haben  wir  im  Info 


starker 


-  87  - 


die  Diskussion  urn  die  gewerkschaftl iche  Organisierung  bis  heute  vor 
uns  her  geschoben.  Die  gewerkschaftl iche  Organisierung  ist  sicher- 
lich  nicht  das  Allheilmittel ,  aber  ein  wesentlicher  BestandteTl  der 


Strategie  von  Sozialisten 

Der  Zwang  zu  realistischeren  und  zum  Teil  auch  vorsichtigeren  Schrit- 
ten     leg"  uns  ein  anderes  Umgehen  mit  den  herrschenden  Institutions, 
Verbanden  und  burgerlichen  Parteien  nahe.  Dazu  gehort  nicht  zuletzt 
der  Aufbau   inforneller  Informationssysteme  und  die  dazu  notwendige 
Herstellung  kontinuierlicher  Kontakte,  dies  vor  alien  Dingen  auf 
der  lokalen  Ebene. 

Bezogen  auf  die  Berufspraxis  kommen  wir  nicht  umhin,   in  di ^ren- 
zierter  Weise  politisch  hergeleitete  Kritenen  fur  eine  fortschntt- 
1  che  Beruf sprax Is  zu  entwickeln,  die  praziser  als  bisher  ublich  die 
a  ternative  Qual  tat  der  Arbeit  von  Sozialisten  im  Sozialbereich  in 
hr  r    y  tLbedingten  Gebrochenheit  markieren.  An  welchen  Punktan 
interscheidet  sich  unsere  konkrete  Arbeit,  die  ja  zunachst  genau 
wie  in  der  burgerlichen  Sozialarbeit    auf  die  Wieder herstellung  und 
den  Ertelt  der  Arbeitskraft  der  "Klienten"  abzielt?   (auszufuhren 
waYe  hier-kollektive  Orientierung  anstelle  von  individual-psycholo- 
n?schPr  Zuaanqswe  se,  Zugrundelegung  sozialer  Lebenszusammenhange 
und  MassenbezUge  anstel  e  von  individualisierender  Einzelfallbe- 
tSchlung?  UnterstUtzung  berechtigter  Forderungen,  Aufzeigen  von 
Veranderungsmdglichkeiten  etc.) 

niese  notwendigen  Kriterien  mliBten  als  politische  ebenfalls  die  Ge- 
flhren  der  Beruf sbornierung  in  der  syndikalist1Schen  Sackgasse 
letwa     "Da  kann  sein,  was  will,  Hauptsache  dieser  Oder  jener  neue 
An.atz  fUr  eine  bessere  Sozialarbeit  komr.t  durch")   bezeichnen  und 
5le  Nahtstel  en  fUr  gemeinsame  Aktionen  mit  Genossen  aus  den  ande- 
rln  Arbeitsfeldern  aufzeigen.  Spatestens  an  dieser  Stelle  wird  deut- 
lich     daB  die  EraTbeitung  solcher  handlungsorientierenden  Kritenen 

rVfontext  einer  gesamtgesellschaftlich  bezogenen  Strategie, 
'    H„rpn  Frarbeitunq  wir  uns  beteiligen  mussen,  moglich  ist.  wei 
rprhfn  ist  verstlrkt  zu  uberlegen,  wie  die  arbeitslosen  Lehrer-  und 
a       it  r  enossen  und  da.it  freigesetzte  InMlrttuel  1.  »*£ 
in  zu  konzioierenden  Projekten  aufgefangen  und  in  denen  Selbst 
hnfemaBnahmen    Arbeitsvorhaben  und  Untersuchungen  realisiert  wer- 
dll  Sn    die  wichtig,  aber  von  den  berufstatigen  Genossen  nur 
Jhwerlich'zu  leisten  s  nd.  Bei  der  Frage  der  Realisierung  dieser 
bSlegunSen  wird  w'eder  deutlich,  daB  ein  enger  Zusammenhang  zwi- 
schen  den  mSglichen  Projekten  und  der  Arbeit  der  Genossen  in  den 
inrtltutlonen  notwendig  ist.  Dieser  Zusammenhang  kann  genaua  wie 
der  Rahmen  zur  Erarbeitung  politischer  Kriterien  fur  die  Arbeits 
feldpraxis  nur  organisiert  hergestellt  werden. 

Wir  meinen,  daB  die  Analyse  der  aufgezeigten  Erfahrungen .die  wir_im 
Arheitsfeld  in  den  letzten  Jahren  gemacht  haben,  die  Unzulang iicn 
ke  t  e iner  probllmatischen  Fixierung  auf  den  engen  Bereich  der  eige- 
ne     Praxis  verdeutlicht.  Solange  im  Arbeitsfeld  lediglich  en  Er 
fahrungsaustausch  im  engeren  Sinne  stattfanc   und  nicht  f^lf 
eine  Aufarbeitung  der  in  den  Sozialbereich  hineinwirkenden  gesamt 

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gesellschaftlichen  Entwicklungsprozesse  geleistet  wurde,  muBte  sich 
eine  gewisse  Unsicherheit  gegenu'ber  der  aktuellen  Situation  notwen- 
dig aus  dieser  Vorgehensweise  ergeben.  Bezogen  auf  diese  Problema- 
tik  ist  nun  zu  fragen,  in  welcher  Weise  der  organisatorisch-politi- 
sche  Zusammenhang  im  Sozial  istischen  Biiro  geeignet  ist,  die  Vermitt- 
lungsproblematik  von  Arbeitsfeld-Ansatz  und  Grundfragen  sozial isti- 
scher  Politik  voranzutreiben. 


Fortschrittliche  Berufspraxis  und  sozialistische  Politik 
Wie  bestimrat  sich  das  Arbeitsfeld  Sozialarbeit  im  SB? 


Das  Verhaltnis  von  Berufspraxis  und  sozial istischer  Politik  ist  in 
den  letzten  Jahren  vorwiegend  durch  zwei  problematische  Sichtweisen 
verzerrt  worden, 

-  einmal  durch  ein  unverbundenes  Nebeneinanderstellen  von  AKS-Praxis 
und-Arbeit  im  u'bergrei fender  SB-Zusammenhang,  bei  dem  die  SB-Orien- 
tierung  abstrakt  und  aufgesetzt  ist.    (Beispiel:   Ein  Genosse  sitzt  in 
alien  mbglichen  linken  Gremien  und  Komitees,  nur  im  Sozialamt,  seinem 
Arbeitsplatz,   noch  immer  nicht  an  einem  eigenen  Schreibtisch,   sucht 
sich  also  jeden  Morgen  ein  Platzchen,  an  dem  er  arbeiten  kann). 

-  zum  anderen  durch  ein  Hochstil isieren  des  eigenen  erfahrbaren  Pra- 
xisausschnittes,  was  letztlich  auf  einen  reinen  spontanen  Basisgrup- 
penpragmatismus  hinauslauft.   In  dieser  Sichtweise  wird  jegliche  u'ber- 
greifende  Fragestellung  als  bevormundende  Zumutung  abgeblockt  ("Wir 
ra'dssen  erst  mal   in  unserer  Gruppe  klar  Schiff  haben"). 

Es  liegt  auf  der  Hand,  daB  beide  Angehensweisen  der  Problematik  zwei 
Seiten  der  gleichen  Medaille  darstellen.  Abstrakte  Organisationsbe- 
strebungen  bedingen  antiautorita'ren  Protest,  der  mit  seinen  pseudo- 
konkretistischen  Zugen  den  Organisationsfanatismus  der  anderen  fu't- 
tert. 

Der  Arbeitsfeldansatz  im  SB  meint  etwas  ganz  anderes.  "Was  die  Orga- 
nisationsform  des  Sozial  istischen  Bu'ros  von  anderen  linken  Organisa- 
tionen  unterscheidet,  ist  die  Tatsache,  daB  sie  weder  als  bloBe  Koor- 
dinationsstelle  von  Arbeitsfeldern  und  Kampagnen,  noch  als  eine  Zen- 
trale  verstanden  wird,  die  das  Abstrakt-Allgemeine,  die  richtige  Ge- 
sellschaftsanalyse  und  die  politischen  Prioritaten  verwaltet  und 
durch  bindende  Beschliisse  nach  unten  weitergibt."   (o.   Negt,   Zur  Dia- 

lektik  von   Erfahrung,    Emanzipation  und   Organisation,    links  Nr.    68, 

s     i2)     Das  Arbeitsfeld  ist  also  weder  Rekrutierungsfeld,  urn  Anpoliti- 
sierte  der  "eigentlichen"  Organisation  zuzufuhren,  noch  kann  es  sich 
als  verabsolutiertes  Basisgruppenkonzept  selbst  geniigen.   Das  Arbeits- 
feld stellt  stattdessen  schwergewichtig  den  Ort  politischer  Praxis 
dar    welches  freilich  in  strategischer  Perspektive  auf  das  "Gewalt- 
zentrum  der  Gesellschaft",  den  kapitalistischen  ProduktionsprozeB 
hinvermittelt  und  in  die  Kooperation  von  Sozialisten  aus  alien  ge- 
sellschaftlichen Bereichen  eingebunden  sein  muB     (Sozialarbeiter  und 
lehrer  kbnnen  beispielsweise  im  Bereich  der  Berufsausbildung  eine 
orientierende  Funktion,  ohne  eine  eingehende  polit-bkonomische-Stra- 
teaiediskussion  mit  den  Betriebs-  und  Gewerkschaftsgenossen  bezuglich 
der  strukturellen  Problematik,  die  hinter  der  Jugendarbeitslosigkeit 
eteckt  -  Aufldsung  des  Facharbeitermythos,  Veranderung  der  Produk- 
tions-  und  Qualif ikationsstruktur,  Hassenarbeiterproblematik  etc.    -nicht 
wahrnehmen) . 


Im  Arbeitsfeld  finderi  sichrdurch  die  besonderen  Arbeitsbedingungen 
vermittelt,  Momente  der  gesellschaftlichen  Totalita't,  die  ihre  Wur- 
zeln  im  Grundwiderspruch  von  Lohnarbeit  und  Kapital  selbst  haben. 
Das  Problem  fUr  uns  besteht  darin,  die  Nahtstel len  zwischen  Arbeits- 
feld-Praxis  und  Ubergreifender  Organisierung  am  Material   prazise" 
anzugeben  und  handlungsorientierend  umzusetzen.  Alle  angerissenen 
Konsequenzen,  die  wir  im  Arbeitsfeld  aus  dem  beschriebenen  Dilemma 
Ziehen  sollten,  beinhalten  diese  Nahtstellen: 

■Die  gewerkschaftliche  Organisierung  und  eine  engagierte  Mitar- 
beit  machen  zugleich  die  inmanenten  Grenzen  erfahrbar,  die  eine 
b'konomische  Interessensvertretung  nur  bedingt,  eine  politische 
dagegen  kaum  noch  zulassen.  Hier  kann  man  nicht  nur  einfach 
eine  Erfahrung  machen,  sondern  muB  den  gesellschaftlichen  Ent- 
wicklungsprozeB  der  sozialdemokratischen  Einheitsgewerkschaft 
miteinbeziehen  und  im  Diskussionszusammenhang  mit  den  Genossen 
aus  den  anderen  Arbeitsfeldern  eine  adaquate  Strategie  in  Bezug 
auf  die  Gewerkschaftsfrage  entwickeln. 

■In  der  Frage  einer  fortschrittlichen  Berufspraxis  muB  nicht  zu- 
letzt  geklart  werden,  was  in  den  realen  HandlungsvollzUgen  von 
Sozialisten  in  der  Sozialarbeit,  die  ja  unmittelbar  die  Repro- 
duktionsbedingungen  der  Arbeiterklasse  mitbestimmen,  eigentlich 
"politisch"   ist  und  wie  Ansa'tze  zu  einer  offensiven  Solidarisie- 
rung  mit  den  Betroffenen  auf  ahnliche  Auseinandersetzungen  in 
Schule  und  Betrieb  zu  beziehen  sind. 

■AuBerinstitutionelle  Projekte  und  professionelle  Tatigkeiten 
in  Institutionen  laufen  sta'ndig  Gefahr,  sich  zu  verse! bstandi- 
gen  oder  gegenseitig  zu  blockieren,  wenn  ihnen  nicht  eine  ge- 
meinsame  Strategie  zugrunde  gelegt  wird. 

■SchlieBlich  wird  die  Notwendigkeit  ubergreifender  Organisierung 
nicht  zuletzt  immer  eindringl icher  dort  deutlich,  wo  der  umfas- 
sende  Zusammenhang  von  Krise,  Ausbau  des  staatlichen  Gewaltappa- 
rates  und  zunehmender  politischer  Repression  uns  sinnlich  er- 
fahrbar vor  Augen  fuhrt,  daB  wir  nicht  allein  durch  unsere  Be- 
rufspraxis definiert  sind,  sondern  uns  die  der  allgemeinen  Dis- 
ziplinierung  zugrundel iegenden  Kapitalverwertungsbedingungen 
einen  globalen  Widerstand  nahelegen,  urn  nicht  vereinzelt  in 
eine  ohnma'chtige  Position  getrieben  zu  werden.    (Eine  Genossin 
wa'hrend  der  letzten  Redaktionssitzung:   "Es  ist  doch  einfach  un- 
sere verdammte  Pflicht,  daB  wir  uns  jetzt  als  Sozialisten  zusam- 
menrotten  miissen.") 

Wei che  Auswirkung  auf  die  einzelnen  AKS-Gruppen  hat  nun  die  Forde- 
rung,  die  Arbeitsfeld-Praxis  an  politisch  ubergreifender  Kriterien 
zu  orientieren?  Wir  meinen,  daB  wir  uns  in  den  Gruppen  in  einer  Pha- 
se der  Selbstqualifizierung  erst  die  Kompetenz  erarbeiten  miissen, 
die  politisch  neuralgischen  Punkte  der  Tatigkeit  im  Sozialbereich 
differenziert  und  prazise  erfassen  zu  kbnnen.  Einige  AKS-Gruppen 
(Kbln,   DUsseldorf)   haben  begonnen,  anhand  von  Arbeitsplatzanalysen 
zuna'chst  ihre  eigene  Situation  am  Arbeitsplatz  zu  strukturieren. 
Eine  systematischere  und  zudem  hautnah  ruckgekoppelte  Betrachtungs- 
weise  der  spezifischen  Formen  und  institutionellen  Bedingungen  ist 

-  9o  - 


die  Voraussetzung  flir  die  Bearbeitung  der  Frage,  welche  konkrete 
Veranderungsstrategie  am  eigenen  Arbeitsplatz  initiiert  werden  kann 
und  welche  Aktionsmbglichkeiten  in  einem  speziellen  lokalen  Bereich 
(Jugendfreizeitbereich,  Heime,  Obdachlosenarbeit  etc.)  entwickelt 
und  vorangetrieben  werden  miissen.   Eine  so  verstandene  Zielgruppen- 
arbeit  ware  eine  nibgliche  Form,  liber  die  Begrenztheit  der  AKS-Ar- 
beit  hinauszukommen. 

Haben  zum  Beispiel  die  Genossen  in  einem  Heim  angefangen,  nach  einer 
Analyse  ihres  Arbeitsplatzes  fur  konkrete  Verbesserungen  im  Sinne 
der  Betroffenen  und  der  Mitarbeiter  einzutreten  und  damit  Erfahrun- 
gen  gesammelt,  so  ware  dann  eine  lokale  Untersuchung  liber  die    Zu- 
stande  in  anderen  Heimen  am  Ort  angebracht,  mit  dem  Ziel,  durch 
spezielle  Aktionen  und  Veranstaltungen  weitere  fortschrittliche  Kol- 
legen  zu  gewinnen.   Diese  Vorstellung  von     Zielgruppenarbeit  impli- 
ziert,  daB  sich  der  AKS  nicht  stur  an  die  Gruppenzusammensetzung 
halt,  die  irgendwann  zufallig  entstanden  ist.  Nach  einer  Phase  der 
Selbstqualifizierung  ware  also  eine  gezielte  Ausweitung  der  Arbeit 
nach  politischen  Kriterien  notwendig,  die  allerdings  voraussetzt, 
daB  sich  der  AKS  nicht  mehr  an  zwei  Oder  drei  Obergenossen  orien- 
tiert,   sonuern  daB  einzelne  bereichsspezifische  Untergruppen  von  Mit- 
gliedern  nach  einiger  Zeit  in  der  Lage  sind,   selbstandig  Aktivitaten 
zu  entwickeln.  Hier  zeigt  sich,  daB  eigentlich  von  Anfang  an  das 
Schwergewicht  auf  eine  umfassende  politische  Qualifikation  gelegt 
werden  muB,  weil   sie  sonst  die  ihnen  zukommende  orientierende  Funk- 
tion  nicht  wahrnehmen  kbnnen.    Dieses  Konzept  hat  nichts  mit  liberkom- 
inenen  Avantgardevorstellungen  zu  tun,  es  ist  besser,  mit  dem  Begriff 
des  "negativen  Kaders"  zu  fassen,  womit  eine  Minderheit  gemeint  ist, 
"die  stets  die  Rolle  eines  Ferments  spielt,  zur  Aktion  treibt,  ohne 
die  Flihrung     zu  beanspruchen."   (Cohn-Bendit,  zitiert  nach  Peter 
Bruckner,  Kritik  an  der  Linken,  FLV  Kbln  1973,  S.   33) 

Die  zuletzt  angestellten  Oberlegungen  beziehen  sich  auf  die  Ebene 
politischer  Forderungen  am  Arbeitsplatz.   In  der  gewerkschaftl ichen 
Arbeit,  um  auf  die  nachste  Ebene  liberzugehen,  haben  einige  AKS- 
Gruppen  bereits  Erfahrungen  gesammelt,  ohne  daB  diese  bisher  Gegen- 
stand  einer  breiten  Diskussion  im  Arbeitsfeld  geworden  sind.   Deshalb 
ist  die  Arbeitsfeld-Tagung  Ende  Mai,  die  von  der  Bielefelder  Gruppe 
vorbereitet  wird,  schwerpunktma'Big  dem  Problem  OTV-Arbeit  gewidmet. 
Hier  kbnnen  auch  Genossen  Anregung  finden,  die  bisher  Gewerkschaf ts- 
arbeit  ausgeklammert  haben.   Hat  sich  ein  AKS  erst  einmal    in  den  lo- 
kalen uTV-Zusammenhang  eingearbeitet,  erscheint  es  keineswegs  aufge- 
setzt,  auf  der  lokalen  SB-Ebene  in  eine  Diskussion  liber  sozialisti- 
sche  Gewerkschaf tsstrategie  mit  den  GEW-Genossen  aus  dem  SLB  und  den 
Genossen  aus  dem  Arbeitskreis  Betrieb  und  Gewerkschaft  einzusteigen, 
die  schlieBlich  auch  in  uberregionale  Tagungen  mit  den  "express"-Genos- 
sen  einmlinden  kbnnte. 

nie  von  uns  angeregte  veranderte  Sichtweise  von  Projekten     sowie  die 
Notwendigkeit,  arbeitslose  Genossen  und  deren  Qualifikation  poli- 
tisch effektiv  einzusetzen,  findet  z.Zt.   ihren  Niederschlag  in  der 
Diskussion  um  Mbglichkeiten  von  "Rotarbeit"  im  Rahmen  der  Antirepres- 
sionskampagne  des  SB.   Die  damit  beruhrten  Fragen  -  Finanzierung  der 
Projekte  liber  einen  Fonds  aus  Spenden  berufstatiger  Genossen,  orga- 
nisierte  Rechtshilfe,   informeller  Stellenmarkt  etc.    -  befinden  sich 

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erst  im  Anfangsstadium  der  Bearbeitung.   Das  Redaktionskollektiv  Info 
Sozialarbeit  wird  u.a.  auch  dieses  Problem  in  einer  Arbeitsgruppe 
auf  dem  Pfingstkongress  diskutieren. 

Der  hier  gemachte  Versuch,  mit  Rlickblick  auf  die  beiden  letzten 
Arbeitsfeld-Tagungen  in  Schnackenburg  und  Kassel,  den  Diskussions- 
prozeS  im  Arbeitsfeld  hinsichtlich  der  Perspektive  der  praktischen 
Arbeit  der  AKS-Gruppen  und  der  damit  verbundenen  Organisationsfrage 
voranzu^reiben,  hat  nur  dann  einen  realen  Gebrauchswert,  wenn  er 
zum  AnlaB  einer  intensiven  Diskussior,  in  den  Gruppen  genommen  wird 
und  weitere  Anregungen  provoziert.  Vor  all  em  aber  die  konkreten  Schwie- 
rigkeiten  bei  der  Umsetzung  der  aufgezeigten  Perspektiven  verdienen 
eine  intensive  Verarbeitung  und  Verbreitung  im  Info.    Diesem  Erfah- 
rungsaustausch  auf  einer  fortgeschrittenen  Ebene  einen  breiteren 
Raum  einzuraumen,  verstehen  wir  als  die  organisierende  Funktion  des 
I  nf  o  s . 


KLEINANZEIGEN 


TERMINE 

I  Musik  in  der  auBerschulischen  Jugendarbeit  -  Arbeitswochenende  vom 
28.   -  30.  Mai   in  Miinster;  Erfahrungsaustausch  und  Erarbeitung  von 
praktischen  Mbgl ichkeiten  des  Musikeinsatzes.    Informationen: 
Heinrich  Broskamp,  Steinfurterstr.   113,  44  Miinster 

•  Repression  und  Freiraume  an  berufsbildenden  Schulen  -  Arbeitstagung 
flir  Berufsschullehrer  vom  4.6.-7.6.   in  Schlossborn/Taunus.  Anmel- 
dung  bei   Lehrergruppe  Saarbrlicken  c/o  Politischer  Buchladen, 
Dudweilerstr.  69,  66  Saarbrlicken  .         . 

I  Wohnkollektiv-Treffen  vom  21.-23.  Mai   1976  in  Ulmbach  bei  Stemau/ 
"K'rs.  Schliichtern.   Vorgesehene  Themen:   Institutionelle  Bedingungen, 
Arbeitssituation,  Gruppen/Berater-Bewohnerprobleme,  Offentlich- 
keit,  Perspektiven  der  Arbeit.  Annieldung  umgehend   (nur  30  Pla'tze 
vorhanden)  bei:  lite  Armanski,  Pariser  Platz  2,  3  Miinchen  80, 
Tel.:  039/454171 


STELLENANGEBOTE 

I  Im  Raum  Frankfurt  werden  flir  2  Gesundheitszentren  (medizinische 
und  psychosoziale  Versorgung)  firzte  aller  Fachrichtungen  (insbes. 
Primarversorgung)   sowie  MTA's,~A7zthelferinnen  und  Krankengymna- 
stikerinnen  gesucht.   Kontakt:  Verein  zur  hntwicklung  undzum  Be- 
trieb  von  Gesundheitszentren,  Kleine  Schbnbuschallee  35, 
875  Aschaffenburg 

•  Freiwillige  Soziale  Dienste  in  Nordhessen:  Zur  Arbeit  mit  Jugena- 
lichen  (16-24  J.)  und  mit  pa'dag.  Hitarbeitern  suchen  wir  einen  drit- 
ten  Menschen  zum  Team,  Sozialpadagoge  oder  verwandte  Berufsausbil- 
dung,  Bezahlung  nach  BAT.  Bewerbungen  an:   Internat-Diakomsches 
Jahr,  643  Bad  Hersfeld,  Alter  Kirchweg  37,  Tel.   06621/3099 


92 


Fiir  unsere  Bezirksgeschaftsstelle  suchen  wir  zum  1.4.  oder  spater 
eine(n)  Sekretar(in);  Voraussetzung:Maschinenschreiben,  Buchflih- 
rung,  Biiroorganisation,  Mitarbeit  im  padagogischen  Bereich  er- 
wiinscht.   Infomiationen/Bewerbungen  an:  SJD-Die  Falken,  Waldersee 
Str.    100,  3  Hannover,  Tel.:   0511/628297 

Kinderarbeit  im  Arbeiterstadtteil   -  Blirgerinitiative  sucht  einen 
Gruppenleiter(in),   keine  Praktikantenstel le;  wer  ist  an  Stadtteil- 
arbeit  interessiert?  Wer  kann  Erfahrungsberichte  liefern?  Kontakt: 
Ulrich  Gartner,  Nordalbingerweg  4,  45  Osnabrlick,  Tel .  :0541/78478 
Flir  Jugendwohngemeinschaft  im  Aufbau  werden  Mitarbeiter  gesucht, 
Praktikantenstel le  wird  demnachst  eingerichtet;  nahere  Informationen: 
Ulrich  Gartner,  Nordalbingerweg  4,  45  Osnabrlick 
Sozia1arbeiter/-padagoge/Hauptschullehrer  (weibl.)  gesucht  flir  Pro- 
jekt  der  beruflichen  Qualifikation  jugendlicher  Arbeitsloser  zur 
Geschaftsflihrung  und  Jugendbetreuung.   Praxis  erforderlich.  Bewer- 
bungen an:  Ulrich  Hoeltz,  Kaiser-Friedrich-Ring  61,  62  Wiesbaden 
Neue  undogmatische  linke  Monatszeitschrift  sucht  ab  sofort 
We i terverkauf er ( i nnen )  flir  den  Direktverkauf.  Verdienstmoglichkeit. 
Interessenten  wenden  sich  an  AZ  -  die  andere  Zeitung. 
Alexanderstr.   49,  6  Ffm.   90,  Tel.:   0611/7891669 
Erzieher  flir  Kinder-  und  Jugendarbeit  mit  "sozial  Benachteil  igten" 
in  Osnabruck  gesucht,  der  gemeinwesenbezogen  arbeiten  kann. 
Informationen  Kinder-  und  Jugendhaus  Bramscherstr.   11,45  Osnabrlick 
Zwei   Ersatzdienstleistende  flir  die  Arbeit  mit  arbeitslosen  Ougend- 
lichen  gesucht  a)  handwerkliche  Fahigkeiten  und  Flihrerschein, 
b)   Kenntnisse  aus  dem  gastronomischen  Bereich.   Information: 
0611/730955 


STELLENGESUCHE 

I  Sozialpadagoge  (Dip!.)  mit  Erfahrung  in  der  auBerschulischen 

(gewerkschaftlichen)  Jugend-  und  Erwachsenenbildungsarbeit  sucht 

Anstellung  mbglichst  im  Raum  Baden-Wurttemberg,  Angebote  unter 

Chiffre  4/23  an  Sozial istisches  Bliro 
I  Sozialpadagoge  (Dipl.)   sucht  Stelle  im  Raum  Ffm. -Heidelberg   (GWA, 

Kinder-  und  Jugendarbeit,  politische  Bildung  o.a.);  Rainer  Steen, 

Stresemannstr.   20,  355  Marburg 
I  Dipl .Sozialwissenschaftlerin  z.Zt.   an  einer  Berufsschule  tatig, 

sucht  Tatigkeit  in  der  Jugendarbeit  oder  Erwachsenenbildung. 

Brunhild  Ewinghaus,  Am  alten  Stadtpfad  39,  463  Bochum. 
I  Beruf sprakti kantenstel 1 e  (Kinder-  und  Jugendarbeit  oder  GWA) 

ab  Sept.   1976  in  Berlin  gesucht;  Bernd  Euscher,  Oeder  Weg  41, 

6  Frankfurt 

•  Erzieherin  sucht  Praktikumsstelle  im  Kinderheim  ab  August  1976  in 
Hessen;  H.G.   Ritz,  64  Fulda,  von  Stauffenberg-Str.   10 

•  Nach  AbschluB  der  Fachoberschule  f.   Sozial padagogik  im  Juli   1976 
wird  eine  Stelle  im  Ersatzdienst  im  Raum  Bonn  gesucht.  Angebote 
unter  Chiffre  3/23 

|  Hauptschullehrer  sucht  zum  1.10  Zivildienststelle  in  der  Jugendar- 
b'e'it.   Zuschriften  unter  Chiffre  5/17  an  Sozial  istisches  Biito 

I  Medizinalassistentin  will   im  Raum  Essen-Oberhausen-Gelsenkirchen 
auf  Stellensuche  gehen  und  sucht  Kontakt  zu  Genossen  im  Gesundheits- 
wesen.   Zuschriften  unter  Chiffre  5/18  an  Sozial  istisches  Bliro 


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ARBE I TS-/WOHNKONTAKTE 

(  Wer  mbchte  eine  sol idarische  Arbeit  mit  psychisch  "Kranken"   in 

Gottingen  und  Umgebung  mitaufbauen  helfen?  Kontakt:  Gottfried 

Tonhauser,  Erfurter  Str.  3  (Anbau),  34  Gottingen  12 
I  Kasseler  Wohngemeinschaft  sucht  berufstatigen  Sozialarbeiter,  der 

sich  als  Verkaufer  seiner  Arbeitskraft  und  nicht  als  caritativer 

Heifer  der  Menschheit  begreift.  0561   -  77812 
I  Suche  Leute  in  Raum  Mannheim,  die  in  der  Psychiatrie  arbeiten  und 

mir  durch  Informationen  den  Arbeitseinstieg  erleichtern  kbnnen. 

Jutta  Steen,  Stresemannstr.   20,  355  Marburg 
I  Gruppe  sucht  Informationen  fur  alternative  Arbeits-  und  Lebensfor- 

men  mit  sog.   psychisch  Kranken;  RatschlSge,   informationen,  Adressen 

anT  L.   Sander,  Rotenbergstr.   23,  66  Saarbrucken 
•  Suche  Material  u.  Adressen  von  Elternqruppen    geistig  behinderter 

Kinder.   Use  Kleinheisterkamp,  Moselstr.   iz.Koln  1 
I  Sozialpadagogik-Student  sucht  fur  Examensarbeit  Material   uber 

Lehrlingsarbeit  im  Freizeitbereich.  Kalle  Altenbrunner,  Rastenbur- 

gerweg  2,  34  Gottingen 
I  Wer  hat  Material   bzw.   Erfahrungen  zum  Thema  "Rolle  der  polit.   Ued- 

kultur  in  gesellschaftl.  Auseinandersetzungen"  zwecks  Verwertung 

in  einer  AbschluBarbeit.  Christoph  Haas,  Charlottenstr.   12, 

I  Berufspraktikant  SA  sucht  ab  Juni/Juli/August  ein  Zimmer  in  einer 
Wohngemeinschaft.   kontakt:   Konni  Seigfried,  67  Ludwigshafen, 
Sch'utzenstr.    26,  Tel.:    569652 

1  FHS-Studentin  sucht  fur  ihre  Examensarbeit  Material  und  Literatur 
zum  Thema  "Spiel   im  Vorschul alter  als  Bereich  soz.   Lernens 
Rollenspiel,  Barbara  Greuz,  Hammerstr.   184,  4400  Mlinster 

I  Suche  fUr  jugendlichen  Strafentlassenen  (21  Jahre)  drnngend  Platz 
in  einer  Wohngemeinschaft.   Kontaktadresse:  Rita  Erben,   In  der 
Stelle  8,   7413  Gomaringen/Tu'bingen 

■  Wer  hat  Interesse,  mit  uns  ein  Haus  a.d.Lande  (Nahe  Hamburg)  zu 
mieten  oder  zu  kaufen?  Ober  den  reinen  Freizeitwert  des  Hauses  hin- 
aus  sollen  auch  einzelne  Veranstaltungen  zur  Politbkonomie,  Hrauen- 
bewequng,  Padagogik  und  Kinderbuch,  Sexual-  und  Kunstpadagogik 
durchqefuhrt  und  auch  gemeinsame  Projekte  entwickelt  werden. 
Christian  u.  Helmut,  Tel.  040/479347  u.   450390. 


94  - 


Arbeitsgruppe  Jugendarbeitslosigkeit : 

AUSWIRKUNGEN  DER  OKONOMISCHEN  UND 

POLITISCHEN  REPRESSION  IM  BEREICH  DER  JUGENDARBEIT 

-  Vorbereitungspapier  zum  Antirepressions-Kongress  - 


Augenfa'llig  und  fur  jeden  sichtbar  signal isieren 

-  die  Jugendarbeitslosigkeit, 

-  der  verscharfte  numerus  clausus 

-  Berufsverbote  und 

-  Abstriche  in  den  Reformvorstel lungen  und  Finanzierungsspielraumen 
der  staatlichen  Jugendpolitik 

die  veranderten  okonomischen  und  politischen  Voraussetzungen  fur  eine 
emanzipatorische  Jugendarbeit. 

Die  Jugendarbeitslosigkeit  verweist  auf  die  strukturellen  Defizite 
im  gesamten  Bereich  der  Arbeitsplatzsicherung  und  des  Ausbildungs- 
systems.   Numerus  clausus,  Berufsverbote  und  veranderte  staatliche 
Jugendpolitik  zeigen  einerseits  die  materiellen  Grenzen  der  Reform- 
hoffnungen  der  letzten  Jahre  an  und  sind  andererseits  zum  Mittel  der 
politischen  Repression  gegen  emanzipatorische  Jugendarbeit  und  Bil- 
dungspolitik  geworden.  Es  wird  nun  deutlicher  als  zuvor,  daft  sich 
die  Bereiche  der  Jugendarbeit,  der  Beruflichen  Bildung  und  der  soz- 
ial staatlichen  MaI3nahmen  gegen  Arbeitslosigkeit  entgegen  alien  Re- 
formversprechen  in  die  Notwendigkeiten  des  kapitalistischen  Kalklils 
zur  Krisenbewaltigung  einzufligen  haben. 

Die  Ansatze  zu  selbstandiger,   an  den  Interessen  der  Jugendlichen 
orientierten  Arbeit  im  Bereich  der  Jugendzentren  und  Jugendgruppen- 
arbeit  haben  nun  neben  dem  verscharften  Arbeits-  und  Konkurrenzdruck 
in  den  Betrieben  und  urn  Ausbildungsplatze  auch  mit  den  erklarten 
Integrationsabsichten  der  staatlichen  und  verbandl ichen  Jugendpolitik 
zu   kampfen.   Diese  auBern  sich 

mv\  der  Kurzung,  bzw.  Umverteilung  von  Mitteln  fur  die  politische 
Jugendarbeit  zugunsten  kompensatorischer  MaBnahmen  fur  sog.Rand- 
gruppen; 
Ai'i  der  Einfrierung  oder  Streichung  von  Stellen  und  Mitteln  fur  of- 

fene  Jugendhauser  und  die  politische  Bildungsarbeit  der  Verba'nde; 
Aim  Riickiug  der  Verba'nde  und  Organisationen  auf  ihre  ureigensten 
Verbandsinteressen  und  -  ideologien,  unter  faktischer  Aufgabe  all- 
gemeiner,  emanzipatorischer  Zielsetzungen  in  der  praktischen  Arbeit; 
Ain  einer  wachsenden  politischen  Kontrolle  der  beschaftigten  Sozial- 

arbeiter  und  Referenten  fur  politische  Bildungsarbeit; 
gin  der  verstarkten  Disziplinierung  bis  hin  zur  Kriminalisierung 
derjenigen  Jugendlichen,  die  urn  Freiraume  flir  ihre  politische  Ar- 
beit und  Freizeitorganisation  kampfen. 

Notwendig  ist  angesichts  dieser  Entwicklungen, 

0die  Kommunikation  zwischen  den  verschiedenen  Stellen  und  Bereichen 

einer  politischen  Jugendarbeit  zu  starken; 
•den  Zusammenhang  zu  Auseinandersetzungen  und  Entwicklungen  im  be- 

trieblichen  und  gewerkschaftl ichen  Bereich  herzustellen; 

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qzu  effektiven  Forraen  des  Selbstschutzes  und  der  Gegenwehr  zu  kommerr, 
es   ermbgl ichen,  nicht  allein  Opfer  der  okonomischen  und   politischen 
Repression  zu  sein. 

Dazu  sollten  wir  im  einleitenden  Plenum  bis  etwa  12  Uhr  zunachst  ein- 
mal   Erfahrungen  austauschen,  urn  dann  in  kleineren  Arbeitsgruppen  ge- 
nauer  auf  unsere  Arbeitsbedingungen  und  Moglichkeiten  der  organisier- 
ten  Zusammenarbeit,   sowie  der  Unterstlitzung  betroffener  Gruppen  und 
Einzelner  einzugehen. 
Folgende  Arbeitsgruppen  sind  vorgesehen: 

1.  Staatliche  Jugendpol itik  in  Bezug  auf  Jugendzentren 

Anhand  eines  Berichtes  um  die  Entwicklung  und  Auseinandersetzurgen 
in  einem  selbstverwalteten  Jugendzentrum  werden  die  staatl ichen  Re- 
striktionen  und  Probleme  der  gegenwartigen  Jugendzentrumsarbeit  dar- 
gestellt  und  diskutiert. 

2.  Staatliche  Finanzierungspolitik  und  Probleme  der  Juqenriverhandsarbeit 
Hier  gent  es  urn  die  Analyse  der  SparmaBnahmen,  Umverteilungen  und  Be- 
schrankungen  in  der  politischen  Jugendarbeit  der  Verbande  und  um  die 
Moglichkeiten  von  Bildungsarbeitern  und  Ougendgruppen,  emanzipatorische, 
interessenorientierte  Ansatze  gegen  verbandsbornierte  Ansprliche  zu 
behaupten. 

3.  Mabnahiiicr;  der  BAA  neoen  Jugendarbeitslosigkeit 

Die  Anstrengungen  der  Bundesanstalt  fur  Arbeit,  die  Jugendl ichen  Ar- 
beitslosen  von  der  StraBe  zu  bekommen,  dieneneher  der  Verschleierung 
des  AusmaBes  und  der  Ursachen  von  Jugendarbeitslosigkeit,  als  daB  sie 
den  Betroffenen  wirksame  Hilfe  bringen  kbnnten.   Neben  einer  Einschat- 
zung  der  FordermaBnahmen  der  BAA  und  der  Interessenkoal itionen  mit 
Verbanden  und  Betrieben  soil  en  auch  Beispiele  von  Synthese-Projekten 
von  beruflicher  und  politischer  Bildung  vorgestellt  werden. 

4.  Erfahrunaen  von  ArhpJT-slosenimtiflHvpn 

Die  bisherigen  Erfahrungen  mit  Arbeitsloseninitiativen  sollen  im  Hin- 
blick  auf  die  Organisierbarkeit  und  Moglichkeiten  der  Interessenswahr- 
nehmung  von  arbeitslosen  Jugendlichen  genauer  diskutiert  und  Moglich- 
keiten der  Kooperation  mit  anderen  Bereichen  gesucht  werden. 

5.  Zum  Zusamnenhang  von  gewerkschaftl icher  und  ^sS^ZSSlIMi  -flrhpit- 
Bislang  ist  die  Jugendzentrumsbewegung  weitgehend  isoliert  von  der 
gewerkschaftl ichen  Jugendgruppenarbeit  verlaufen,  obwohl  es  in  der 
Lehrlingszentrenbewegung  durchaus  Berlihrungspunkte  gab  und  auch  heute 
an  einigen  Orten  ein  engerer  Zusammenhang  besteht.  Welche  Erfahrungen 
liegen  vor  und  wie  kann  eine  Zusammenarbeit  zwischen  beiden  Bereichen 
verbessert  werden? 

6.  Betriebliche  und  gewerkschaftl iche  Auseinandersetzungen  um  Aus- 
hildungsplatze  und  Obernahme  yon  Lehrlinoen 

Die  Jugendarbeitslosigkeit  ist  mindestens  ebenso  ein  Problem  fur  die 
arbeitenden  Jugendlichen  im  Betrieb.  Die  Forderung  nach  qual if izierten 
Ausbildungsplatzen,  gegen  Personalabbau  und  fur  Obernahme  der  ausge- 
bildeten  lehrlinge  in  ihrem  Beruf  wird  nicht  am  Verhandlungstisch  ent- 
schieden  werden.  Bei  der  gegenwartigen  Unentschlossenheit  der  Gewerk- 
schaften  kommt  es,  wie  die  Beispiele  von  BASF  und  MERCK  zeigen,  ent- 
scheidend  auf  die  Aktivitaten  der  Jugendlichen   im  Betrieb  an,  ob  diese 
Forderungen  durchgesetzt  werden  konnen  oder  nicht. 


JNFORMATIONSDIENST 
SOZIALARBEIT 


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Unterdriickung  +  Tauschung 
=  ENTFREMDUNG 

Unterdriickune  +  Gewahr-Sein 
=  ZORN 

BEFREIUNG  = 
Gewahr-Sein  +  Konflikt 

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Offenbach  im  Oktober  1976 
Einfachnummer  -  Preis  4,-- 


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