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Full text of "Informationsdienst Sozialarbeit (1972 - 1980)"

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:""9  Uber  die  jEL^KK*"1  dle  anste"ende  politische  Auseinanderse 
■  geplanten  JuS  11lfePraX1'S  ir  Verbindung  mit  einer  barter  Kr iP 
iituat  on  der  von   inl1  !^t'  das  kaum  dazu  beitragen  wird,  die 


B«#1^ui&8?  Absa^  »  Wttsch.  Sozialarbeiter^ 
Sozialistischen  Mtf  dlffMiieren,   indem  sie  behauptet,  die  in  der 
"die  freiheit'?ch  dpmn/e£-aSentierten  Sczialarbeitergruppen  wo]1* 
treuter  Kinder  unH  7  okr^]sche  Ordnung  unseres  Staates"  und  die  * 
setzung  ihrer  nom^"^?"?   "in  "ahrheit  doch  nur  fur  die  Dure" 
hat  sich  der  AG°  v£  ,hm,  2lele  "^brauchen".  Mit  dieser  Erklaru  ng 
dem  Hamburger  RadlE?     nd,T  Vorreiter  der  Krafte  gemacht,  die  «  . 
schen  u  ,•  ene:laB  fortschrittliche  Padagogen  mit  juris*1 

hat  auch  der  AGJ-Jnr^  ,Mltteln  und  Berufsverboten  bedrohen-.D^t 
sche  Aktion"  a«nH  \nd  feine  im  "0ffen^  Brief  an  die  Sozial^1 
Politische  Diszin! in     9te  St^llun9nahme  zum  Thema  "Berufsverbote. 
t-ne  uisznpimierungen"  abgegeben. 

insam 


9egen  das  "Wienie r ^ST™  durch^setzen  versucher,   fst 

drlickung  der  Arbeiter lV£lt  f"^  und  ein  Moment  in  der 
er  Hroeiterklasse  durch  den  burger! ichen  Staat. 

Sinnen'urjl'legen^'^^r  der  AGJ  W1>d  aHerdings   von  den  KDJj« 

der  Sozialist    chPn  ^^chschaut  "erden,  die  Diffamierungen     der  In 

n3^„^l!'.!!.tlscl?e»'  Aktion  zusammenarbeitenden  Sozialarbeiter/Sozia 

en. 


1- 


padagogen  wird.  nicht  verfangen. 

SSnSSltS^^K  ?,!!  5'   DJHT  -«  Praktikern  eine  **"#** 
artikulieren     so  wpJpn     ?emeln"men   Interessen  und  Forderungen  zu 
schaffen?  um'au?  Sie  M?^C5  ^n  ArtikulationsmBglichkeiten 

beitsbedingungen  un         e^vShftteW"^  die  ^^Dis^' 
memngen  und  BerufsvprL+f  !  2       ,te  Reglementierung  durch  niSf^_ 
troll  ierende  und  d1sziol?n?  auf"!erksam  zu  machen  und  Uber  die  fcon 

una  dTsziplTmerende  Funktion  der  Jugendhilfe  aufk1aren 

SoMTpada'gogen'ierten'zu6:  Akti°V"s~arbeitenden  Sozialarbei^/ 
zum  anderen  Slle  KeSulf  nen  dic  regional e  Arbeit  verstarken  U* 
rum  herzustel  en  lie  f^f    "nt«-?tiit2en.  ein  breites  Diskussionsfo 

SBMW8BS  I H  sr™-  ™„s, «  « «$ 

1VILEGIERTEN  "NDER  UND  JUGENDLICHEN  WIRKLICH  NOTZ I 
-  80  - 


JCNFORMATIONSDIENST 
SOZIALARBEIT 


Schwerpunkttheraa: 

REFORM  UND  REFORMISTS  JK 

ALS  PROBLEM  PRAKT  SCHER 

IN  DER  SOZIALARBEIT 


Oktober  1974 


Dieser  Informationsdienst  Sozialarbeit  wird  im  Sozialistischen  BUro 
von  Gruppen,  die  im  Sozialisationsbereich  arbeiten,  herausgegeben. 
Der  Info  dient  der  Kommunikation  und  Kooperation  von  Genossen,  die 
mit  sozialistischem  Anspruch  im  Feld  der  sozialen  Arbeit  tatig  sind. 

Herausgeber:  Sozialistisches  BUro 

6o5  Offenbach  4,  Postfach  591 
Verleger:  Verlag  2ooo  GmbH  Offenbach 
Erste  Auflage,  Oktober  1974,  5ooo  Exemplare 
Alle  Rechte  bei  dem  Herausgeber 

Vertrieb:  Verlag  2ooo  GmbH,  6o5  Offenbach  4 

Postfach  591,  Hohe  Str.  28  (Souterrain) 
Postscheck  Frankfurt,  Konto  Nr.  61041-604 
Preis:  Einzelexemplar  DM  4.— 

bei  Abnahme  von  mindestens  lo  Stuck  2o  %  Rabatt 
Weiterverkaufer  (Buchladen,  Buchhandel)   4o  %  Rabatt 
jeweils  zuzliglich  Versandkosten 

Der  Info  kann  auch  im  Abonnement  bezogen  werden.  Bezugsgebiihren  flir 
das  Jahr  1974  DM  lo.—  +  DM  2.8o  Versandkosten.  Das  Jahresabonnement 
entha'lt  vier  regulare  Ausgaben  (Einfachnummern) .  Die  Einfachnummer 
kostet  DM  3.— /DM  4.--,  eine  Doppelnummer  DM  5.--. 

Verantwortlich:  Redaktionskollektiv  Info  Sozialarbeit 
Presserechtlich  verantwortlich:  GUnter  Pabst  Offenbach 
Druck:  hbo-druck  Bensheim 


INFO  SOZIALARBEIT,   Heft  8 


I   N  H  A  L  T 

Arbeitskreis  Kritische  Sozialarbeit,  Westberlin: 
Reform  und  Reformismus  als  Problem  praktischer  Politik 
in  der  Sozialarbeit 
Einleitung 

1.  Reformauseinandersetzung  im  AKS 

2.  Reform  und  Reformismus  (Historischer  AbriB) 

3.  Ober  die  Notwendigkeit  der  Einbeziehung 
der  Mittelstandsfrage  in  eine  linke  Politik 

4.  Zur  Funktionsbestimmurg  der  Sozialarbeit 
innerhalb  staatlicher  Reformpoli tik 

5.  Reform  als  Problem  praktischer  Politik 

6.  Literaturverzeichnis/Bucherliste 

Repressive  MaBnahmen  im  Sozialbereich 
6  Kurzberichte 

Leserbrief/Redaktionsmitteilung 

Nachrichten 

Material ien 

Kleinanzeigen 


Seite 

3 

Seite 

6 

Seite 

11 

Seite 

22 

Seite 

26 

Seite 

44 

Seite 

47 

Seite 


51 


Seite  59 

Seite  53 

Seite  65 

Seite  67 


Informationsdienst  Sozialarbeit 

Der  Info  Sozialarbeit  dient  der  Information  und  Zusammenarbeit  zwischen  sozialistischen 
Gruppen  und  einzelnen,  die  im  Sozialbereich  arbeiten  und  wendet  sich  an  Sozialarbeiter, 
Sozialpadagogen,  Heimerzieher,  Kindergartnerinnen,  Sozialplaner,  Psychologen,  Dozenten 
und  Studenten  an  Fachausbildungsstatten  etc.  -  Der  Info  behandelt  jeweils  ein  bestimmtes 
Schwerpunktthema  und  enthalt  aktuelle  Nachrichten,  Materialien  etc.  -  Obergreifender 
Gesichtspunkt  der  Aufarbsitung  von  Praxiskonflikten  und  Modeller!  ist  die  kontinuierliche 
Diskussion  uber  eine  sozialistische  Strategie  im  Sozialbereich. 

Bisher  sind  erschienen: 

Heft  1:  „Fiirsorgeerziehung"  -  Editorial  zur  Herausgabe  des  Info  -  Sozialarbeit  im  Kapita- 
lismus  —  Klassenlage/Soziopsychische  Situation  von  Sozialarbeitern  —  Konzeptionen  fur  der 
Aufbau  eines  Jugendwohnkollektivs  mit  Minderjahrigen  in  offentlicher  Erziehung  —  Ausziige 
aus  einer  Kollektivzeitung  —  etc.  —  (DM3.—) 

Heft  2:  Sozialarbeit  in  Inslitutionen  -  Geschichte  des  AKS  (Arbeitskreis  Kritische  Sozial- 
arbeit, Frankfurt)  -  Probleme  der  Sozialarbeit  bei  freien  Tragern  am  Beispiel  der  evangeli- 
schen  Familienberatung  Frankfurt  —  Kollektivpraktikum  im  Heim  —  Gemeinwesenarbeit  mit 
Obdachlosen  -  Hinweise,  Nachrichten,  Leserzuschriften  —  etc.  —  (DM  3.—) 

Heft  3/4:  Sozialarbeit  zwischen  Selbstorganisation  und  Biirokratie  -  Drei  Aufsatze  aus  der 
englischen  revolutionaren  Sozialarbeiterzeitschrift  Case-Con  —  Fursorgezdglinge  nehmen 
ihre  Sache  selbst  in  die  Hand  -  Das  Lehrstiick  Brackwede  oder  die  objektiven  Grenzen  fort- 
schrittlicher  Jugendamtspolitik  im  Recht  -  Kampf  zwischen  Eltern  und  Arbeiterwohlfahrt  um 
eine  Spielstube  in  Frankfurt  -  Materialien,  Hinweise,  Zeitschriftenbibliographie  zur  Heimer- 
ziehungen  -  etc.  -  (DM  5.-) 

Heft  5:  Zur  Organisierung  im  Sozialbereich  -  Zur  Problematik  von  Rolle  und  Funktion  der 
Sozialpadagogik  —  Politische  Disziplinierung  von  Sozialarbeit  in  der  Familienfiirsorge  — 
6  Kurzberichte  uber  repressive  MaGnahmen  im  Sozialbereich  -  etc.  (DM  &,-) 

Heft  6:  Jugendhilferechl  und  Jugendhilfetag  -  Sozialtechnokratische  Tendenzen  im  Jugend- 
hilfegesetzentwurf  -  Analyse  und  Forderungskatalog  zur  Reform  des  Jugendhilferechts  — 
„Genscher-Reform"  des  bffentlichen  Dienstrechtes  —  Sozialarbeit  und  Jugendhilfetag  -  Dit 
Sozialistische  Aktion  auf  dem  Jugendhilfetag  Niirnberg  -  Aktuelle  Materialien  zum  Jugend- 
hilfetag Hamburg  -  etc.  (DM  3,-) 

Heft  7:  Jugendhilfetag  —  Materialien  der  Sozialistischen  Aklion  -  Materialien  zu  den  So- 
zialisationsfeldern  „AuBerfamiliare  Erziehung",  „Jugendarbeit  und  Freizeit"  und  „Ausbil- 
dung  und  Berul"  -  AuBerdem:  Jugendliche  zum  Jugendhilferecht  -  Jugendhilfegesetz  von 
Biirokraten  -  8  Kurzberichte  uber  repressive  MaBnahmen  im  Sozialbereich  -  Erklarung  der 
Sozialistischen  Aktion  zur  Absage  des  Jugendhilfetags  -  etc.  (DM  A.-) 

Folgende  Schwerpunktthemen  sind  fur  die  nachsten  Infos  geplant: 

Heft  8:  Reformismus  im  Bereich  der  Sozialarbeit 

Heft  9:  Jugendzentren/  Jugendclubarbeit 


Der  Info  Sozialarbeit  erscheint  viermal  im  Jahr  und  kostet  im  Abonnement  DM  10.—  zu- 
zuglich  DM  2.80  Portokosten  (das  Jahresabonnement  1973  enthalt  die  Ausgaben  2-5  und 
das  Abonnement  1974  die  Ausgaben  6-9);  auch  Probehefte  konnen  nur  gegen  Bezahlung 
abgegeben  werden;  Gruppen  erhalten  bei  Abnahme  von  mindestens  10  Exemplaren  20% 
Rabatt. 

Bestellungen:  Verlag  2000  GmbH  des  Sozialistischen  Biiros,  605  Offenbach  4,  Postfach  591. 


Arbeitskreis   Kritische  Sozialarbeit, Westberlin 

REFORM  UND  REFORMISMUS 

ALS   PROBLEM  PRAKTISCHER  P0LITIK 

IN   DER  SOZIALARBEIT 


E  i   n  1  e  i  t  u  n  g 


Warum  das  folgende  Papier  etwas  anders  aussieht,  als  es  ursprungl ich 
aussehen  sol  He. 

tiachdem  bei  der  Seminar-Discussion  (21.-23.6.74)  unseres  Papiers 
darliber  gesprochen  worden  war,  daB  die  gegenwartige  Linke  trotz  tau- 
send  verschiedener  "richtiger  Linien"  so  tut,  als  ware  die  jeweilige 
"richtige  Linie"  das  Patentrezept,  das  wie  das  weiBe  Karinchen  aus 
dem  Zylinder  geholt  wird,  wollten  wir  mit  unserem  Papier  einmal  an- 
ders vorgehen:  keine  fertigen  Losungen  vortauschen,  sondern  eher  den 
Stand  der  Diskussion  wiedergeben.  Wir  haben  aber  festgestellt,  daB  es 
recht  schwierig  ist,  einen  Diskussionsansatz  in  Fragenform  aufzu- 
bauen,  und  nun  klingt  alles  doch  wieder  wie  die  fertige  Lb'sung: 
3  x  umrlihren,  kalt  stellen,  anwenden.  Darum  sei  noch  einmal  darauf 
hingewiesen,  daB  die  Diskussion  etwas  anders  verlaufen  ist,  als  es 
letztlich  hier  im  Papier  erscheint.  So  wurden  z.B.  beim  Abschnitt 
Mittelstand/Mittelschicht  die  verschiedensten  Definitionen  disku- 
tiert:  die  kleinen  und  mittleren  Angestellten  gehbren  dazu  oder  aber 
die  kleinen  Angestellten  gehb'ren  inzwischen  zur  Arbeiterklasse,  weil 
die  Unterschiede  nur  noch  formal  sind;  Srzte  im  Krankenhaus  sind  auch 
Lohnabhangige,  frei  praktizierende  dagegen  sind  Selbstandige  usw. 
Einen  anderen  sehr  umstrittenen  Punkt  entdeckten  wir  im  Zusammenhang 
mit  der  Diskussion  liber  Blirgerinitiativen.  Die  Frage,  wie  kommt  es 
zu  einer  Politisierung,  wenn  den  "objektiven  Interessen"  die  "subjek- 
tiven  Schwierigkeiten"  im  Wege  stehen,  wenn  sich  Nachbarn  nicht  ent- 
schlieBen  konnen,  z.B.  in  einer  Mieterinitiative  zusammenzuarbeiten, 
weil  "der  Hund  des  einen  immer  den  Laufer  des  anderen  bepinkelt"? 

Nach  langerer  Diskussion  standen  sich  im  wesentlichen  zwei  Standpunk- 
te  gegenliber: 

1.  solche  "subjektiven  Terrorzusammenhange"  sind  mit  politischen  Mit- 
teln  nicht  zu  erfassen  und  konnen  daher  auch  nicht  in  eine  Stra- 
tegie mit  eingebaut  werden.  Als  Sozialarbeiter  ist  man  liberfordert, 
wenn  man  hier  auch  noch  einsteigt. 

2.  Durch  ihre  Uirkung,  namlich  daB  die  scheinbar  personlichen  Quere- 
len  die  politischen  Aktivitaten  verhindern,  bekommen  "subjektive" 
Probleme  einen  objektiven  gesellschaftlichen  Stellenwert  und  mu's- 
sen  deshalb  in  eine  politische  Strategie  mit  einbezogen  werden. 
Wie  konnte  allerdings  nicht  gesagt  werden. 

Cbwohl  sich  dieser  Punkt  in  der  Diskussion  als  sehr  wichtig  heraus- 
gestellt  hat,  konnten  wir  im  folgenden  Papier  nicht  naher  darauf  ein- 
nehen. 


Zu  dem  Begriff  "Reform"  gab  es  zwei  unterschiedl  iche  theoretische 
Ebenen  als  Ansatze  (beide  sind  miteinander  zu  vereinbaren): 

1.  wir  wollen  als  Reformer  alles  bezeichnen,  was  den  direkten  Inter- 
essen  der  Arbeiter  niitzt.  Solange  diese  Reformen  im  Zusammenhang 
mit  einer  sozialen  Bewegung  gedacht  werden,  kdnnen  sie  als  Ver- 
besserung  der  Bedingungen  des  Kampfes  urn  die  politische  Macht  an- 
aesehen  werden. 

(Herleitung  der  Reformen  aus  dem  Klasseninteresse) 

2.  Reformen  leiten  sich  ab  aus  den  Bedingungen  der  kapitalistischen 
Produktion.  Das  Prinzip  der  Prof itmaximierung  gefahrdet  tenden- 
ziell  die  Reproduktion  der  Arbeiter.  D.h.,  die  Arbeiter  haben  ein 
unmittel bares  Interesse  an  Reformen. 

(Herleitung  des  Reforminteresses  aus  dem  Kapitalverhaltnis) 
Wahrend  die  erste  Bestimmung  jede  Reform  als  Schritt  im  Kampf  um  den 
Sozialismus  auffassen  muB,  ermoglicht  die  zweite,  auch  den  Blick  auf 
systemkonforme  Reformen  zu  lenken. 

Zum  Schein  " vorbeugender"  Reformen : 

Reformen  sind  immer  eine  Antwort  "von  oben"  und  prinzipiell  reaktiv. 
Der  Schein  vorbeugender  Reformen  entsteht  durch  eine  regional e  Unter- 
schiedlichkeit  und  Ungleichzeitigkeit  der  Entwicklung  der  Uidersprii- 
che  des  Kapitalismus  und  des  Klassenkampfes  (was  in  Hessen  erkampft 
und  zum  Gesetz  wurde,  erscheint  in  Bayern  als  vorbeuqend. . . ) . 
Siehe37  ff. 

Bundnispartner  fur  Reformen 

Auf  der  Suche  nach  mbglichen  Blindnispartnern  miissen  Forderungen  so 
gestellt  werden,  dal3  eine  mbglichst  breite  Basis  sich  damit  identi- 
fizieren  kann  (Minimal konsens) . 

Im  zweiten  Schritt  ist  es  wichtig,  bei  Nichterfullung  der  Forderun- 
gen den  Blindnispartnern  klarzumachen,  daB  man  liber  diese  Forderungen 
hinausgehen  muB  und  warum  sie  nicht  erflillt  wurden. 

Bei  dieser  Darstellung  einer  politischen  Aktion  verzichteten  wir  be- 
wuBt  darauf,  das  "Subjekt"  dieses  Handelns  (in  diesem  Falle  diejeni- 
gen,  die  sich  Bundnispartner  suchen)  naher  zu  definieren.  Das  hangt 
damit  zusammen,  daB  die  politische  Bewegung  in  der  BRD  sich  vorlau- 
fig  noch  in  einem  derart  diffusen  Zustand  befindet,  daB  es  unmbglich 
ist,  diese  oder  jene  Gruppe  verbindlich  als  Avantgarde  o.a.  zu  dekla- 
rieren.  (Siehe  auch  Kursbuch-Artikel :  Staatsgewalt,  Reformismus  und 
die  Pol itik  der  Linken) . 

Reformstrategie  und  Reformismus 

Die  SPD  stellt  keinen  einheitl ichen  Block  dar. 

Rosenthal,  der  "progressive  Unternehmer"  ist  nicht  in  einen  Topf  zu 

werfen  mit  z.B.  dem  Strasser-Flugel  der  Jusos. 

Die  Starke  der  Verkniipfung  mit  dem  Staatsapparat  oder  der  Gewerk- 

schaftsspitze  entscheidet  beispielsweise  daruber,  ob  ein  SPD-ler 

streckenweise  ein  Bundnispartner  im  Kampf  um  Reformen  sein  kann. 

Grundsatzlich  besteht  das  Dilemma  der  reformwill igen  Teile  der  SPD 

darin,  daB  sie  zwar  die  Interessen  der  Arbeiter  und  u'berhaupt  weiter 

Kreise  der  Bevbl  kerung  aufgreifen  und  sich  dafu'r  einsetzen  wollen  - 

das  liegt  im  Interesse  der  Gesamtpartei ,  die  ihre  Basis  nicht  verlie- 


-  4 


ren  darf  -,  andererseits  aber  durch  die  Partei  gezwungen  werden,  alle 
politischen  Kampfe  auf  den  parlamentarischen  Weg  der  SPD  umzuleiten 
und  alle  Forderungen  der  Basis  den  parteipol itischen  Tagesinteressen 
der  SPD  anzupassen.  Eigentlich  werden  -  von  der  Funktion  einer  re- 
formistischen  Partei  im  Kapitalismus  her  gesehen  -  Arbeiterkampfe 
und  Basisaktivitaten  nur  unterstiitzt,  um  sie  politisch  in  den  Griff 
zu  kriegen,  ihnen  die  Spitze  zu  brechen  und  sie  wieder  in  den  vorge- 
gebenen  Rahmen  des  Klassenfriedens  zu  integrieren. 

Der  Widerspruch,  der  in  solchen  Erwartungen  der  Partei  einerseits 
und  ihrer  Mitglieder  und  deren  Interesse  andererseits  besteht,  den 
Kampf  um  Reformen  zu  unterstutzen,  schafft  einen  kl einen  Spielraum, 
innerhalb  dessen  es  auf  unterer  Ebene  und  in  begrenztem  Rahmen  mog- 
lich  und  notwendig  ist,  Bundnisse  mit  Reformisten  einzugenen.  Solan- 
ge  es  zur  SPD  keine  wirkliche  "linke  Alternative"  gibt,  werden  solche 
Bundnisse  sogar  einen  ziemlichen  Stellenwert  haben. 

L'nsere  Einschatzung  in  diesem  Papier  verstehen  wir  als  eine 

vorl auf ige. 

Sie  soil   keineswegs  den  Anspruch  auf  EndgiJltigkeit  erheben,  sondern 

eher  einen  AnstoB  zur  weiteren  Diskussion  bieten.   DaB  sich  dies 

sprachlich  noch  etwas  anders  anhb'rt,   liegt  an  der  eingeschl  iffenen 

Gewohnheit,  den  DiskussionsprozeB  wegfallen  zu  lassen  und  ein  schein- 

bar  einheitl iches  Resultat  zu  prasentieren. 


Kontaktadresse:  Arbeitskreis  Kritische  Sozialarbeit 

1  Berlin  41,  Wielandstr.    26  c/o  Hans  Nootbaar 


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1.  REFORMAUSEINANDERSETZUNG  IM  AKS 


Die  Beschaftigung  mi't  Reformbewegungen  in  der  Sozialarbeit  ist  fUr 
den  AKS  nicht  neu.  Verschiedene  Reformmodelle  wurden  von  uns  vorge- 
stellt  und  interpretiert  (Sozialpadagogische  Korrespondenz-SPK: 
7;  12/13;  14;  17;  18;  19;  30),  nit  der  Absicht,  daB  kritische  Sozial- 
arbeiter  sich  kritisch  von  diesen  Modellen  distanzieren  sollten. 
Reformen,  so  sagten  wir,  sind  ein  KompromiB  zwischen  der  "Unruhe", 
die  von  Sozialarbeitern  und  Klienten  ausgeht,  und  der  angestrebten 
"Ruhe",  die  die  BUrokratie  erzwingen  will.  Reformen,  insbesondere, 
wenn  sie  von  oben  kommen,  sollen  aufbrechende  Konflikte  wieder  ver- 
schleiern  und  zu  weit  gehende  Forderungen,  d.h.  Forderungen,  die  den 
Bestand  des  Systems  gefahrden  kbnnten,  unter  Kontrolle  bringen  (da- 
rauf  wird  spater  noch  ausflihrlich  eingegangen). 

Die  Einschatzung  Liber  die  Funktion  der  Reformen  flir  den  Staatsappa- 
rat  hat  sich  nicht  wesentlich  geandert.  Verandert  hat  sich  die  Ein- 
schatzung der  Reformen  flir  die  Arbeit  linker  Sozialarbeiter.  Wir 
fragen  uns,  ob  es  eine  historische  Notwendigkeit  geworden  ist,  in 
Reformmodellen  zu  arbeiten. 

Wie  ist  diese  Einschatzung  entstanden  und  welche  politischen  Inten- 
tionen  sind  in  ihr  enthalten?  Eine  Realisierung  revolutionarer  Ver- 
anderungen  gesellschaftlicher  Verhaltnisse  ist  im  Moment  nicht  greif- 
bar.  Das  kann  nicht  zur  Konsequenz  haben,  gar  nichts  zu  tun  und 
darauf  zu  warten,  daB  der  Kapitalismus  sich  selbst  liquidiert.  Es 
kann  auch  nicht  heiBen,  politische  Aktivitaten  auf  das  vorgegebene 
und  erlaubte  MaB  zu  reduzieren  und  weiterreichende  politische  For- 
derungen zu  vergessen.  In  diesera  Konflikt  befinden  sich  alle  Linken, 
die  in  Reforneinrichtungen  arbeiten:  wie  ist  es  mbglich,  in  Einrich- 
tungen  zu  arbeiten,  die  eigens  dazu  dienen  sollen,  Konflikte  zu  iso- 
lieren  und  Scheinlosungen  anzubieten,  seine  politische  Identitat 
zu  wahren? 

Antikapitalistische  Reformarbeit? 

Es  kann  in  bestimmten  historischen  Phasen  notwendig  sein  und  zur 
Strategie  gehbren,  scheinbar  das  mitzumachen,  was  von  einera  verlangt 
wird.  Jedoch,  so  zeigt  die  Erfahrung,  ist  es  auch  eine  Frage  der 
Zeit,  wie  lange  sich  dieser  Zustand  als  Strategie  aufrecht  erhalten 
la'lit  und  wann  er  eine  rational isierende  Funktion  annimmt,  d.h.  nur 
noch  eine  verbale  Distanzierung  von  dem  taglich  Praktizierten  librig 
bleibt,  urn  sich  dann  vollstandig  anzupassen.  Was  flir  jede  politische 
Arbeit   gilt,  gilt  auch  fiir  die  politische  Arbeit  in  Reformeinrich- 
tungen:  erst  die  Solidaritat  der  Kollegen  tnacht  eine  wirkungsvolle 
politische  Arbeit  mbglich.  D.h.,  die  Aufrechterhaltung  politischer 


Identitat  ist  eng  verkniipft  mit  der  sol  idarischen  Haltung  der  Sozial- 
arbeiter untereinander.  Diese  Aussage  ist  wahrhaftig  nicht  neu, 
ist  aber  bisher  nur  dann  zu  einer  Forderung  geworden,  wenn  linke 
Gruppen  urn  Solidaritat  flir  eigene  Aktionen  warben.  Sich  solidarisch 
zu  verhalten  mit  denen,  die  in  Reformeinrichtungen  arbeiteten,  gait 
als  revisionistisch.  Das  soil  nicht  heiBen  ,  daB  sich  nun  kritische 
Sozialarbeiter  von  vornherein  mit  Kollegen  sol idarisieren  sollen, 
nur  weil  diese  in  Reformeinrichtungen  arbeiten.  Vielmehr  sollten  wir 
uns  fragen,  ob  Reformeinrichtungen  es  uns  ermbglichen,  Kollegen  zu 
pol  itisieren;  ob  durch  Reformen  potentielle  Blindnispartner  gewonnen 
werden  kbnnen. 

An  dieser  Stelle  soil  noch  einmal  betont  werden,  daB  die  theoreti- 
sche  Beschaftigung  und  besonders  die  praktische  Auseinandersetzung 
mit  dem  Reformismus  auch  aus  Enttauschungen  resultiert,  die  die  lin- 
ke Bewegung  durchmachen  muBte.  Wir  mbchten  dazu  die  Geschichte  des 
AKS  anflihren,  nicht  un  resignativ  die  Zerspl  itterung  der  linken  Or- 
ganisationen  aufzuzeigen,  sondern,  um  aus  den  Erfahrungen  flir  die 
zuklinftige  politische  Arbeit  zu  lernen,  d.h.  Reformen  nicht  unreflek- 
tiert  und  unvermittelt  von  der  bisherigen  Geschichte  verstehen. 


Drei  Positionen  -  zwei  Spaltungen 


Die  Geschichte  des  AKS  ist  weitgehend  identisch  mit  der  Entwicklung 
der  'Linken  Bewegung',  die  aus  der  Studentenrevolte  erwuchs. 
Es  begann  im  August  1968,  als  sich  einige  Sozialarbeiter  und  Sozial- 
arbeiterstudenten  zusammenfanden,  um  ihre  negativen  Erfahrungen  in 
den  Berufsfeldern,  die  Erfolglosigkeit  der  Arbeit,  die  Behinderun- 
gen,  die  sich  insbesondere  aus  der  Parzel lierung,  der  hohen  Fallzahl 
und  der  Hierarchie  zu  ergeben  schienen,  zu  beraten  und  Lbsungsmbg- 
lichkeiten  zu  entwickeln.  Die  weitverbreitete  Unzufriedenheit  flihrte 
zu  einem  mitgl  iederma'Big  schnellen  Anwachsen  des  AKS.  Arbeitsgruppen 
wurden  gebildet,  in  denen  die  einzelnen  Berufsfelder  analysiert  und 
die  Ergebnisse  in  einen  KongreB  (analog  zum  Springer-  und  Vietnam- 
tribunal)  eingebracht  werden  sollten,  um  weitere  Kollegen  zu  aktivie- 

ren- 

Der  Erfolg  der  Apo  befliigelte  auch  uns,  die  BUrokratie  durch  Druck 
der  Kollegen  -  je  nach  politischem  Standort  -  vbllig  zu  eliminieren 
bzw.  zu  demokratisieren,  daB  ein  Arbeiten  wieder  mbglich  wlirde. 
Die  in  den  Plenumsdiskussionen  auftretenden  Differenzen  bei  der 
Zielbestimmung  der  Aufgaben  und  ihrer  Durchsetzungsformen  flihrten 
zur  ersten  Spaltung  nach  einem  Go-in  im  Gesundheitsamt  Wedding,  als 
dessen  Folgen  vom  Staatsapparat  Strafantrage  gestellt  und  diszipli- 
narische  Untersuchungen  gegen  die  Teilnehmer  eingeleitet  wurden. 
Flir  die  beiden  Gruppen  im  AKS  (der  'demokratischen'  und  der  'radika- 
len1)  kam  die  Reaktion  des  Staatsapparates  vbllig  liberraschend.  Sie 
widersprach  jeder,  bisher  auf  dem  Kampus  gemachten  Erfahrung,  von 
der  ausgehend  wir  annahmen,  die  BUrokratie  befinde  sich  bereits  in 
der  Agonie.  Stattdessen  zeigte  sich  der  Staatsapparat  durchaus  pre- 
sent, wenn  auch  etwas  unsicher.  Eine  weitere  Oberraschung  stellte  die 
Reaktion  der  Mehrzahl  der  Kollegen  dar,  die  sich,  anders  als  im 
Universitatsbereich,  nicht  sol idarisierten. 
Die  damals  einsetzende  Erkenntnis,  daB  der  Staat  nicht  in  einem 


7  - 


groBen  Anlauf  Liber  den  Haufen  zu  rennen  ist,  veranlaBte  einen  Teil 
der  Mitglieder  des  AKS,  unter  dem  Vorwand,  die  Aktion  (Go-in)  sei 
nicht  durch  demokratischen  Willensbil dungs prozeli  zustandegekommen, 
seinen  Austritt  zu  erklaren  und  zu  versuchen,  zukLinf tig  doch  lieber 
mit,  als  gegen  die  Biirokratie  Veranderungen  zu  erreichen. 

Die  Abspaltung  der  'minimal istischen  Reformisten'  wurde  von  den 
verbleibenden  Mitgliedern  mit  Befriedigung  zur  Kenntnis  genommen: 
handelte  es  sich  doch  um  eine  zahlenma'Big  kleine  Gruppe,  die  die 
Mbglichkeit  eines  geschlosseneren  Handel ns  bisher  behindert  hatte. 
Die  immensen  Schwierigkeiten,  die  sich  in  der  Arbeit  flir  den  KongreB 
ergaben  und  die  daraus  resul tierten,  daB  unser  Anspruch,  eine  kon- 
krete  Analyse  der  Sozialarbeit  unter  kapitalistischen  Produktionsbe- 
dingungen  zu  erarbeiten,  nicht  einzulbsen  war  und  zwar  nicht  mr   des- 
halb,  weil  wir  Praktiker  erhebliche  Schwierigkeiten  hatten,  konti- 
nuierlich  und  'wissenschaftl ich'  zu  arbeiten;  die  Schwierigkeiten 
bei  der  Agitation  der  Kollegen  in  den  fimtern  und  die  zunehmenden 
Repressionen  gegenliber  AKS-Mitgliedern  zerstbrten  endgiiltig  den  Glau- 
ben  an  die  Mbglichkeit  des  'langen  Marsches  durch  die  Institutionen' , 
und  zwar  in  so  radikaler  Weise,  daB  sich  fur  einen  groBen  Teil  der 
Mitglieder  nur  noch  die  auBerinstitutionelle  Arbeit  mit  dem  Proleta- 
riat, d.h.  im  Stadtteil .alternativ  ergab.  Die  damals  noch  fehlende 
Erkenntnis,  daB  inner-  und  auBerinstitutionelle  Arbeit  einander  er- 
ganzen  mu'ssen,  flihrte  dazu,  daB  die  Anhanger  der  Stadtteilarbeit 
den  AKS  vor  die  Alternative  stellter,  sich  ihrer  Auffassung  anzu- 
schlieBen,  oder  sich  abzuspalten. 

In  der  Diskussion  war  der  Teil  der  AKS-Mitgl ieder,  die  in  der  Insti- 
tution weiterarbeiten  wollten,  argumentativ  unterlegen,  auch  deshalb, 
weil  innerhalb  der  studentischen  Linken  die  Arbeit  im  Stadtteil  als 
einzige  Mbglichkeit  'entdeckt'  worden  war. 

Die  2.  Spaltung  des  AKS,  die  im  September  1969  erfolgte,  bedeutete 
eine  erhebliche  Schwachung  der  Bewegung  der  linken  Sozialarbeiter. 
Die  Mitglieder  der  abgespaltenen  Gruppe,  die  sich  hauptsachl ich  im 
'Roten  Kinderkollektiv'  organisierten,  diese  Arbeit  und  Organisation 
nach  einigen  Monaten  aufgaben  (auf  die  Grlinde  kann  hier  nicht  einge- 
gangen  werden),  kehrten  auch  spater  nicht  -  Oder  nur  sehr  vereinzelt  - 
in  den  AKS  zurlick,  sondern  wurden  in  den  verschiedenen  Parteiinitia- 
tiven  tatig. 


Vorla'ufige  Konsequenzen 


Die  verbliebenen  Mitglieder  des  AKS  konzentrierten  sich  auf  die 
agitatorische  Arbeit  in  der  Praxis:  "um  der  Auseinandersetzung  am 
Arbeitsplatz  eine  sta'rkere  Position  zu   verschaffen."  (SPK,  Nr.6,S.Z) 
In  den  vorhandenen  Arbeitsgruppen  wurden  Papiere  erwartet,  die  die 
Praxiskonfl ikte  aufgriffen  und  zu  systematisieren  versuchten.  Diese 
Papiere  bildeten  die  Grundlage  flir  Veranstal tungen  in  Westberlin 
(z.B.  Behinderung  der  Sozialarbeit,  Aussageverweigerungsrecht) ,an 
denen  sich  viele  Kollegen  beteiligten  und  flir  die  Teilnahme  an  GroB- 
veranstal tungen  (FLirsorgetag  Essen,  Jugendhilfetag  Nurnberg). 

Die  in  diese  Veranstaltungen  gesetzten  Hoffnungen,  mbglichst  viele 


Sozialarbeiter  zum  ZusammenschluB  in  Organisationen  zu  bewegen, 
konnten  nur  sehr  begrenzt  realisiert  werden,  nicht  zuletzt  durch  die 
Zunahme  der  Erkenntnis,  daB  die  radikale  Vera'nderung  des  Systems  nur 
innerhalb  eines  langfristigen  Prozesses  unter  person! ichen  Opfern 
derjenigen,  die  diesen  ProzeB  zu  forcieren  trachten,  zu  erreichen 
ist.  Diesem  Ziel  diente  auch  die  Zeitung,  die  1969  erstmalig  er- 
schien  und  sich  neben  der  Veroffentlichung  von  Praxisberichten  zu- 
nehmend  mit  Einzelproblemen  der  Sozialarbeit  (z.B.  Model  1 bewegung, 
Teamarbeit,  Methoden  der  Sozialarbeit)  befaBte,  um  Liber  diese  Pro- 
bleme  zur  genauen  Funktionsbestimmung  von  Sozialarbeit  und  der  Ent- 
wicklung  von  Strategien,  die  eine,  wenn  auch  begrenzte  antikapita- 
listische  Arbeit  ermbglichen  sollen,  zu  gelangen. 

In  dieser  Arbeit  wurde  zunehmend  deutlich,  daB  ein  gewisses  Grund- 
wissen  der  politischen  Okonomie  unabdingbar  ist,  weshalb  die  Gruppe 
mit  der  Schulung  begann,  in  dem  sie  sich  marxistischen  Texten  zu- 
wandte.  Diese  Art  der  Schulung  erwies  sich  jedoch  nach  kurzer  Zeit 
als  unbefriedigend,  weil  der  Bezug  zur  Praxis  nicht  hergestellt  wer- 
den konnte,  so  daB  sich  das  Redaktionskollektiv  entschloB,  an  je- 
weils  in  der  Arbeit  auftretenden  Problemen  allgemeine  Kenntnisse  zu 
vermitteln.  Bald  stellte  sich  jedoch  heraus,  daB  die  Linke  inzwischen 
einen  Stand  erreicht  hatte,  innerhalb  dessen  sehr  detail lierte  Ana- 
lysen  erforderlich  wurden,  die  sowohl  hinsichtlich  der  Gruppenmit- 
gliederzahl  neben  der  kontinuierlichen  Arbeit  an  der  SPK  nicht  zu 
leisten  war,  als  auch  deshalb,  weil  der  notwendige  Liberregionale 
organisatorische  Zusammenhang  fehlte.  Der  AKS  Berlin  schloB  sich 
deshalb  1974  als  Mitglied  dem  Sozialistischen  BLiro  Offenbach  an  und 
brachte  seine  Arbeitskraft  in  das  "INFO  Sozialarbeit"  ein. 

Ohne  sich  dessen  von  Anfang  an  bewuBt  zu  sein,  vertrat  die  Mehr- 
heitsfraktion  des  AKS  in  der  Bestimmung  der  Politik  des  Arbeits- 
kreises  eine  Position  der  Nutzung  von  Reformen. 
Der  Artikel  im  Kursbuch  und  unsere  Arbeitserfahrungen,  sich  "Refor- 
men" aller  Couleur  stellen  zu  miissen,  fiihrten  dazu,  uns  intensiver 
mit  ihnen  zu  beschaftigen  und  diesen  Artikel  zu  schreiben. 

Aus  den  Erfahrungen  ergeben  sich  Konsequenzen  flir  die  zukiinftige  Ar- 
beit. Die  Solidaritat  der  Kollegen  wurde  immer  dann  erschuttert,  wenn 
Konflikte  ausgetragen,  wenn  theoretische  Einsichten  praktisch  werden 
sollten.  Reformen,  selbst,  wenn  ihnen  ein  theoretisches  Konzept  zu- 
grunde  liegt,  werden  durch  die  praktische  Arbeit  bestimmt.  Cerade 
dadurch  kann  sich  zweierlei  entwickeln:  einmal  arbeiten  in  Reform- 
einrichtungen  Kollegen,  die  sonst  nicht  mit  linken  Gruppen  zusammen 
arbeiten  wurden.  Ihre  Griinde,  Reformen  zu  unterstutzen,  sind,  daB 
sie  sich  eben  auch  nicht  blind  machen  kb'nnen  gegen  das  Elend  und 
die  Ungerechtigkeiten,  die  sie  ta'glich  durch  die  Klienten  erfahren; 
die  Bestatigung  von  oben,  daB  durch  Reformen  die  Lebensbedingungen 
der  Klienten  verbessert  werden  kbnnen,  gestattet  ihnen,  in  solchen, 
als  fortschrittlich  geltenden  Einrichtungen  zu  arbeiten.  Aufgabe 
kritischer  Sozialarbeiter  ware  es,  die  Griinde  des  Elends  der  Klien- 
ten nicht  in  der  moral ischen  Empbrung  zu  belassen,  sondern  die  Wider- 
sprlichlichkeiten,  die  im  kapitalistischen  System  notwendig  angelegt 
sind,  hervorzuheben.  Um  die  Widersprliche  deutlich  zu  machen,  eignen 
sich  Reformen  ganz  besonders.  Denn  "...mit  dem  Reformismus  (ist) 
ein  Widerspruch  innerhalb  des  kapitalistischen  Staatsapparates  an- 


9  - 


gelegt..."   (1).   Die  Effektivita't  der  Heimerziehung  wird  von  der  Bliro- 
kratie  bezweifelt.   Unter  anderera  -  die  standigen  Proteste  kritischer 
Sozial arbeiter  diirfen  dabei  nicht  unberucksichtigt  gelassen  werden  - 
gestattet  sie  auch  deswegen  die  Einrichtungen  von  Wohngemeinschaften. 
Gehen  die  Forderungen  der  Reformeinrichtungen  zu  weit,  d.h.   stellen 
sie  das  System  in  Frage,  wird  versucht,  die  Zugestandnisse  wieder 
riickgangig  zu  machen.    (Georg-v-Rauch-Haus) 

Konstatieren  wir  nun,  daft  der  Staatsapparat  repressiv  reagiert, 
wenn  er  in  seinem  Fundament  angegriffen  wird,  so  bleiben  wir  in 
einem  "Reiz-Reaktionsschema"  stecken.  Von  grbBerer  politischer  Trag- 
weite  ist  ftir  die  Kollegen,  die  in  Reformmodellen  arbeiten,  das 
Sichtbarwerden  von  Widersprlichen.   Die  Erfahrung,  daB  das  El  end  durch 
Reformen  hbchstens  reduziert,  aber  niemals  beseitigt  werden  kann, 
muB  zu  der  Einsicht  flihren,  daB  Reformeinrichtungen  keine  Lbsung 
der  Konflikte  und  Widerspruchlichkeiten  sein  kbnnen.   Das  zweite  ware, 
inwieweit  sich  eben  gerade  die  praktischen  Erfahrungen  auf  die  Klien- 
ten  iibertragen  und  auswirken,  zumal,  wenn  sie  selbst  an  Reformen  be- 
teiligt  sind. 

Urn  die  politische  Bedeutung  von  Reformen  vorstellbar  und  anschaulich 
zu  machen,  scheint  es  uns  notwendig,  sie  in  ihrer  historischen  Ent- 
wicklung  zu  betrachten. 


2.  REFORM  UND  REFORMISMUS 
-Historischer  Abriss- 


Die  marxistischen  Theoretiker  der  sozialen  Bewegung  haben  bkonomischen 
und  politischen  Kampf  stets  als  Einheit  aufgefaBt.  Eine  AuBerung 
Lenins  mag  das  -  stellvertretend  fur  viele  -  zunachst  verdeutl  ichen. 
"Der  Kampf  flir  den  Sozialismus  besteht  aus  der  Einheit  des  Kampfes 
flir  die  direkten  Interessen  der  Arbeiter  (dementsprechend  fur  Refor- 
men) und  des  revolutionaren  Kampfes  urn  die  Macht."  (2) 
In  gleichem  Sinne  stellt  sich  im  Erfurter  Programm  von  1891  die  SPD 
die  Aufgabe,  sowohl  den  bkonomischen  als  auch  den  politischen  Kampf 
zu  fuhren. 


Die  theoretisch  fiir  richtig  erkannte  Einheit  von  po 
dkonomischem  Kampf  hat  sich  in  der  wirklichen  Gesch 
Bewegung  nicht  jederzeit  realisieren  lassen.  Wir  wo 
die  Griinde  daflir  untersuchen,  weshalb  die  SPD  von  i 
tischen  Anspruch  abgewichen  ist,  wir  kbnnen  nur  den 
zieren  und  daraus  einige  Schlusse  zur  Einschatzung 
Ziehen.  Zunachst  wollen  wir  als  Reformen  all  das  be 
direkten  Interessen  der  Arbeiter  niitzt,  was  ihre  po 
nomische  Position  sta'rkt. 

Solange  Reformen  im  Zusammenhang  mit  einer  sozialen 
werden,  kbnnen  sie  als  Verbesserungen  der  Bedingung 
die  politische  Macht  gesehen  werden. 


1 itischem  und 
ichte  der  sozialen 
lien  hier  nicht 
hrem  programma- 
ProzeB  kurz  skiz- 
von  Reformen 
zeichnen,  was  den 
litische  und  bko- 

Bewegung  gedacht 
en  des  Kampfes  um 


sazmLest  und  abonniertdie 


fit*§rtt0*rtM3**i***i9i****n**'****'* 


In  Geqensatz  zur  Ublichen  "Fachpresse"  berichtet  die  'hez1  Uber  die 
Berufswirklichkeit.  Probleme  1m  Heim,  i.  d  Kindertagesstatte  und  1» 
Juqendfreizeitbereich  werden  nicht  isoliert  betrachtet  die  Probleme 
r\    ■■  der  Kollegen,  Kinder  und  Jugendlichen  nicht  als  zufallige, 
.rhUr   Die  'hez*  nitnmt  dabei  kein  Blatt  yor  den  Mund.und  kriecnt 
l©n©T  niemanden  irgendwo  'rein.  Sie  macht  keine  Gewinne  und  zanlt 
.  it-  keine  Honorare.  Den  Inhalt  gestalten  die  Leser  in  dem 
;ririTt  MaBe,  wie  sis  sich  durch  ihre  Korrespondenzen  daran  be- 

+oilinor,      Rio    lka«l    oK-crhoint   mnnat    irh   nnfi   KOStet   DrO 


;mc    oio    a  lull    UUr  Wll     line    nur  I  cotlu  luonti.  i    „«.-..    — 
gen.  Die  'hez'  erscheint  monatlich.und  kosteti(pro 
,       .  .._  _    it     '     * 


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schienen:  "Eingeschlossen  -  Dokumentatlon,  Hauptpf legeheim  „,,E,„1?-r 
legen  berichten  aus  diesem  geschlossenen  Madchenheim,  was  Sache  ist 
Die  'Arbeitsmaterialien'  u.  d.  'hez'         ' 
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der  Berufswirklichkeit  haben!!!!!!!;!!!!!!!!! 


Reform  als  Bestandteil  sozialistischer  Strategie 

Seit  Bestehen  der  organisierten  Arbeiterbewegung  wurden  im  Kampf  fur 
Reformen  teilweise  erhebliche  Erfolge  erzielt.  Insbesondere  die  So- 
zialversicherungsgesetze  der  80er  Jahre  sind  ohne  die  Kampfbereit- 
schaft  der  Arbeiter  nicht  denkbar.  Ein  Ausspruch  Bismarcks  macht  das 
exemplarisch  deutlich:  "Wenn  es  keine  Sozialdemokratie  gabe,  und  wenn 
nicht  eine  Menge  Leute  sich  vor  ihr  furchteten,  wurden  die  ma'Bigen 
Fortschritte,  die  wir  uberhaupt  in  der  Sozial reform  bisher  gemacht 
haben,  auch  noch  nicht  existieren."  (3) 

Die  Tatsache,  daB  die  nach  1890  einsetzende  Prosperita'tsperiode  des 
Kapitalismus  auch  fiir  die  Arbeiter  Vorteile  brachte  (steigende  Real- 
lbhne,  zunehmende  Starke  der  Gewerkschaften)  mag  mit  dafur  verant- 
wortlich  sein,  daB  die  SPD,  abweichend  von  ihrem  Programm,  sich  mehr 
und  mehr  auf  den  Kampf  fur  Reformen  konzentrierte.  Das  umso  mehr, 
als  man  annehmen  kann,  daB  gerade  die  reformerische  Arbeit  der  Par- 
tei  steigende  Stimmenzahlen  einbrachte.  Der  Kampf  um  die  politische 
Macht  wurde  gleichermaBen  vernachlassigt  bzw.  nur  verbal  gefuhrt. 


-  11 


, 


Das  Problem  des  Reformismus  in  der  Arbeiterbewegung 


Aus  der  Geschichte  der  SPD  ist  zu  lernen,  da6  der  "Kampf  um  die 
politische  Macht"  zur  Phrase  gerat,  wenn  nicht  angegeben  werden  kann, 
wie,  d.h.  mit  welchen  Kraften  und  mit  welchen  Mitteln  er  zu  fiihren 
ist.  Eduard  Bernstein,  der  theoretische  Vater  des  Revisionismus,  hat 
seiner  Partei  genau  dies  vorgehalten:  Ihr  abstraktes  und  unbestimm- 
tes  Festhalten  an  radikalen  Parolen,  was  letztendl ich  eine  Stagna- 
tion der  praktischen  Reformpol itik  verursache.  Nur  durch  ein  Bekennt- 
nis  zur  reformerischen  Arbeit,  die  ohnehin  langst  die  Praxis  der 
Partei  sei,  kbnne  diese  weiter  an  EinfluB  gewinnen.  (Bernstein  hatte 
dabei  vor  allem  ein  Bu'ndriis  mit  liberalen  Kraften  ira  Sinn).  (4) 

Trotz  aller  Ungereimtheiten  und  Illusionen  uber  die  Liberal isierungs- 
mbgl ichkeiten  des  parlamentarischen  Systems  hat  Bernstein  darin  recht, 
daB  er  den  Verbal radikalismus  im  Interesse  der  praktischen  Pol itik 
angreift.  (Was  den  Verzicht  Bernsteins  auf  den  politischen  Kampf  an- 
geht,  wollen  wir  in  diesem  Zusammenhang  nicht  die  Kritik  von  R. 
Luxemburg,  K.  Kautsky  und  Lenin  wiederholen.  Wir  stimmen  ihr  zu.) 

Solange  nicht  die  Bedingungen  der  Eroberung  der  politischen  Macht 
konkret  benannt  werden  kbnnen,  bzw.  wenn  die  historische  Situation 
solche  Konkretion  nicht  zula'Bt,  miissen  die  Arbeiter  selbstverstand- 
lich  fiir  ihre  direkten  Interessen  kampfen. 

Sozialpol itik  und  Wahlrecht  waren  die  hauptsachl ichen  Gegenstande 
der  SPD-Politik  vor  1914.  Die  hier  erreichten  Erfolge  schienen  der 
revisionistischen  These  von  der  MSglichkeit  der  schrittweisen  Ver- 
besserung  der  Lage  der  Arbeiter  durch  Reformen  recht  zu  geben. 

Als  zu  Beginn  des  1-  Weltkrieges  die  herrschende  Klasse  gezwungen 
war,  das  Blindnis  mit  der  Arbeiterklasse  zu  suchen,  verzichteten  ihre 
Organisationen  auch  auf  den  Kampf  fiir  Reformen.  Die  beiden  flihrenden 
Gremien  der  deutschen  Arbeiterbewegung  faBten  am  2.  August  den  Be- 
schluB,  alle  Lohnkampfe  sofort  abzubrechen,  keine  Streikunterstutzung 
mehr  zu  zahlen  und  gemeinsam  mit  Regierungsorganen  eine  Arbeitsver- 
mittlung  aufzubauen.  (5) 

Die  auf  diese  Weise  von  den  Organisationen  der  Arbeiterklasse  unter- 
stutzte  Burgfriedenspolitik  le'itet  die  "Zusammenarbeit  der  Klassen" 
ein,  die  als  Modell  der  Institutional isierung  des  Klassenkampfs  an- 
gesehen  werden  kann.  Die  "Zusammenarbeit  der  Klassen"  ist  der  ideo- 
logische  Ausdruck  der  Tatsache,  daB  die  herrschende  Klasse  unter  dem 
Druck  der  starken  Position  der  Arbeiterklasse  im  1.  Weltkrieg  zu 
einer  Reihe  von  Zugestandnissen  gezwungen  ist.  Die  Anerkennung  der 
Gewerkschaften  und  die  Zulassung  von  Betriebsraten  kommen  unter 
staatlicher  Vermittlung  zustande.  Wahrend  des  Krieges  wachst  - 
bedingt  durch  die  Besonderheiten  der  Kriegswirtschaft  -  der  EinfluB 
des  Staates  auf  alien  gesel Ischaftl ichen  Bereichen. 

Um  die  Voraussetzungen  fiir  die  hbchste  Anspannung  der  Produktion  zu 
sichern,  griff  der  Staat  auf  vielfache  Weise  in  das  Verhaltnis  von 
Arbeit  und  Kapital  ein.  Alles  neue  in  der  Sozialgesetzgebung  steht 
in  irgendeiner  Weise  auf  dem  Boden  des  Weltkrieges.  Hier  liegen  die 
eigentlichen  Anfange  des  "Sozialstaates".  Insbesondere  die  Tatsache, 
daB  der  Staat  die  "Zusammenarbeit"  von  Arbeit  und  Kapital  in  Form 


-  12 


der  Tarifvertrage  sichert  und  der  Arbeiterklasse  in  der  Erwerbslosen- 
flirsorge  ein  bestimmtes  soziales  Existenzmimmum  garantiert,  la'Bt 
den  Staat  als  Vermittler  gesel lschaftlicher  Gegensatze  erscheinen. 
Die  unter  dem  EinfluB  des  Krieges  erzwungenen  Zugestandnisse  werden 
begleitet  von  Ideologisierungen  des  Klassenverhaltnisses. 

Seitens  der  herrschenden  Klasse  ist  von  "Klassenzusammenarbeit"  und 
von  "Versbhnung  von  Arbeit  und  Kapital"  die  Rede.  Vertreter  der 
MSPD  sehen  im  sogenannten  "Kriegssozialismus"  die  unmittelbare  Vor- 
stufe  des  Sozialismus.  Die  wirtschaftsdamokratischen  Vorstellungen, 
die  davon  ausgehen,  daB  die  von  den  Kapital isten  unter  Mitwirkung 
des  Staates  organisierte  Wirtschaft  in  eine  durch  den  demokratischen 
Staat  geleitete  Wirtschaft  umzuwandeln  sei,  haben  ihren  Ausgangs- 
punkt  im  1.  Weltkrieg.  Die  reformistische  Vorstellung,  daB  die  Lage 
der  Arbeiter  sich  durch  schrittweise  Reformen  vermittels  des  demo- 
kratischen Staates  verbessern  lieBe,  wird  nach  1918  zur  offiziellen 
Doktrin  der  Sozialdemokratie.  Der  Reformismus  wird  in  der  Weimarer 
Republik  Alternative  zur  Revolution. 

Den  Staat  als  Organ  der  Klassenversohnung  erscheinen  zu  lassen,  ist 
der  Kern  aller  reformistischen  Theorie.  Diejenigen  oppositionellen 
FLihrer  der  Arbeiterklasse,  die  dem  Reformismus  am  entschiedensten 
entgegengetreten  waren  -  unter  vielen  anderen  Rosa  Luxemburg  und 
Karl  Liebknecht  -  waren  1919  unter  Mitwirkung  des  sozialdemokrati- 
schen  Ministers  Noske  ermordet  worden.  Nach  wie  vor  gilt,  was 
R.  Luxemburg  schon  1899  dem  Reformismus  entgegen  gehalten  hatte: 
"Der  heutige  Staat  ist  eben  keine  Gesellschaft  im  Sinne  der  aufstre- 
benden  Arbeiterklasse,  sondern  Vertreter  der  kapitalistischen  Gesell- 
schaft, d.h.  Klassenstaat.  Deshalb  ist  auch  die  von  ihm  gehandhabte 
Sozial reform  nicht  eine  Betatigung  der  "gesel Ischaftl ichen  Kontrolle", 
d.h.  der  Kontrolle  der  freien  arbeitenden  Gesellschaft  Uber  den 
eigenen  ArbeitsprozeB,  sondern  eine  Kontrolle  der  Klassenorganisa- 
tion  des  Kapitals  liber  den  ProduktionsprozeB  des  Kapital  s.  Darin, 
d.h.  in  den  Interessen  des  Kapitals,  findet  denn  auch  die  Sozialre- 
form  ihre  natiirliche  Schranke."  (6) 

Fassen  wir  das  bisherige  zusammen:  Fur  die  Arbeiter  ist  es  zu  jeder 
Zeit  eine  Notwendigkeit,  fiir  ihre  direkten  Interessen,  also  fiir 
Reformen  einzutreten.  Notwendig  einmal,  um  die  Verschlechterung 
ihrer  Lebensbedingungen  aufzuhalten,  andererseits  notwendig,  um  ihre 
Position  im  politischen  Kampf  fur  die  bkonomische  Emanzipation  zu 
starken.  Reformen  sind  Zugestandnisse,  die  die  herrschende  Klasse 
unter  dem  Druck  der  organisierten  Arbeiterbewegung  machen  muB.  Machen 
muB,  weil  nur  so  ihre  Herrschaft  sich  verlangern  la'Bt.  So  ist  die 
Reformpol itik  des  Staates  zugleich  Strategie  des  Klassenkampfes  von 
oben  und  seit  Bismarcks  Sozialversicherungen  ein  Mittel,  um  die 
Organisationen  der  Arbeiterklasse  zu  desavouieren. 

Dieser  Doppelcharakter  der  Reform  soil  nun  anhand  der  Entwicklung 
der  Vorform  der  Sozialarbeit  in  der  Weimarer  Republik  verdeutlicht 
werden. 


13 


Reform  als  Strategie  des  Klassenkampfs  "von  oben" 


Der  Staat  beginnt,  in  der  Weimarer  Republik  insofern  eine  vollig 
neue  Rolle  zu  spielen,  als  er  den  Arbeitern  ein  gewisses  Existenz- 
minimum  garantiert.  Die  Flirsorge  wird  in  diesem  Zusammenhang  zum 
wichtigen  Instrument.  Wahrend  der  Inf lationsperiode,  aber  auch  da- 
nach,  werden  die  in  Form  von  Notstandsunterstlitzungen  durchgefuhr- 
ten  FiirsorgemaBnahmen  wesentliches,  teilweise  einziges  Instrument 
der  auf  Existenzsicherung  gerichteten  Sozialpol itik.  Die  Erwerbs- 
losenflirsorge  der  Nachkriegszeit  war  zunachst  eine  Demobilisierungs- 
maSnahme.  Sie  sollte,  wenn  nicht  frliher,  ein  Jahr  nach  ihrer  Verklin- 
dung  auBer  Kraft  treten.  Bekanntlich  hat  die  Erwerbslosenfursorge 
statt  dessen  fast  9  Jahre  bis  zu  ihrer  Ablbsung  durch  das  Gesetz 
liber  Arbeitslosenversicherung  und  Arbeitsnachweis  1917  bestanden. 
Durch  Krieg  und  Inflation  war  in  Deutschland  der  ProzeB  der  Deklas- 
sierung  blirgerlicher  Mittelschichten  enorm  vorangetrieben  worden. 
"Schatzungsweise  15  Millionen  Mark  in  Form  von  Sparguthaben,  Hypothe- 
ken,  Obligationen,  Aktien,  Rentenkapital  bei  Versicherungsgesell- 
schaften  sind  im  Orkus  der  Inflation  verschwunden.  Die  Besitzer  sind 
enteignet."  (7) 

Eulenberg  schatzt  die  Zahl  der  Deklassierten  auf  3-4  Mill.  (8) 
Die  FiirsorgemaBnahmen  zielen  nicht  nur  auf  die  Erhaltung  der  -  in 
der  Nachkriegsperiode  knappen  und  dringend  benotigten  -  Arbeitskraft, 
sondern  sind  vor  allem  auch  politisch  begrlindet.  Die  Radikal  isierung 
eines  Teils  der  Arbeiterklasse,  der  sich  schon  wahrend  des  Krieges 
von  der  SPD  abgewandt  hatte,  und  der  Erfolg  der  russischen  Oktober- 
revolution  lieBen  die  Furcht  vor  revolutiona'ren  Aktionen  wachsen. 
Unter  politischen  Gesichtspunkten  erscheint  daher  die  Reform  des 
Armenrechts,  seine  Umwandlung  in  Flirsorgerecht  als  Praventivmittel 
gegen  drohende  Revolution.  Das  gilt  fur  die  gesamte  Dauer  der  Weima- 
rer Republik.  Als  auf  dem  Hbhepunkt  der  Weltwirtschaftskrise  das 
"soziale  Sicherungssystem",  einschl ieBlich  der  eben  eingerichteten 
Arbeitslosenversicherung,  vollig  zusammenbrach,  blieb  die  Fiirsorge 
als  einziges  Mittel  der  notdurftigen  Existenzsicherung  damit  als 
Pazifierungsmittel  librig.  Auf  dem  Hbhepunkt  der  Krise  1933  wurden 
4,7  Mill.  (7,2  %   der  Gesamtbevbl  kerung)  regelma'Big  unterstu'tzt.  (9) 
Die  Geschichte  der  Flirsorge  in  der  Weimarer  Republik  illustriert, 
wie  dem  politischen  Kampf  der  Arbeiter  urn  die  bkonomische  Emanzipa- 
tion  Reformpolitik  als  Strategie  des  Klassenkampfes  von  oben  entgegen- 
gesetzt  wird. 

Das  Instrumentarium  der  Reformpolitik,  das  im  1.  Weltkrieg  entwickelt 
und  in  der  Weimarer  Republik  ausgebaut  wurde,  die  Dampfung  des  Klas- 
senkampfes zum  Lohnkonflikt  vermittels  Anerkennung  der  Gewerkschaf- 
ten  und  die  minimale  Existenzsicherung  durch  FiirsorgemaBnahmen  hat 
freilich  nicht  augereicht,  urn  den  Klassenkampf  als  politischen  Kampf 
von  unten  zu  liquidieren.  Es  bedurfte  der  Zerschlagung  der  Organi- 
sationen  der  Arbeiterklasse  durch  den  Faschismus  und  nach  1945  der 
gewaltsamen  Niederhaltung  und  Diffamierung  erneuter  Organisations- 
ansa'tze  durch  die  alliierten  Militarregierungen  und  der  anschlieBen- 
dei  Regierung  Adenauer,  urn  die  deutsche  Arbeiterklasse  zu  "entpoliti- 
sieren".  Erst  nach  dieser  Periode  der  gewaltsamen  Unterdrlickung  des 
Klassenkampfes,  nach  der  von  massiver  antikommunistischer  Propagan- 
da begleiteten  Zerstbrung  von  Organisationsformen  und  Traditionen 


-  14 


der  Arbeiter  konnte  der  als  "demokratischer  Sozial staat"  reorgani- 
sierte  Kapitalismus  wieder  mit  friedlichen  Mitteln  auskommen.  Solan- 
ge  der  gesellschaftliche  Fortschritt  wahrend  der  Periode  des  "Wirt- 
schaftswunders"  handgreifl  ich  schien,  solange  aus  Trlimmern  wieder 
Wohnungen  wurden  und  Lebensmittel karten  durch  standig  steigende  Wa- 
renflille  ersetzt  wurden,  solange  Vollbeschaftigung  garantiert  schien, 
solange  viele  Arbeiter  durch  unma'Bige  Oberstunden  sich  bescheidene 
Teilnahme  am  "Wirtschaftswunder"  sichern  konnten  und  solange  die 
vom  Faschismus  iiberkommene  Vol ksgemeinschaftsideologie  nachwirkte, 
brauchte  der  Staat  sich  nicht  einmal  um  Reformpolitik  zu  klimmern. 
Die  freie  Marktwirtschaft  schien  alles  aufs  Beste  zu  besorgen. 
Die  materiel le  und  ideologische  Integration  der  Lohnabhangigen 
schien  gelungen.  Ideologien  von  klassenloser,  plural istischer  oder 
nivellierter  Mittelstandsgesellschaft,  wie  sie  von  Sozialwissen- 
schaftlern  plinktlich  geliefert  wurden,  konnten  unter  diesen  Umstan- 
den  eine  Zeit  lang  real  wirksam  werden.  Mit  der  ersten  Krise  wurde 
der  schbne  Traum  brlichig  (1966/67). 


Die  Farce  der  Volksqemeinschaft 


Nicht  zufa'llig  fall t  mit  der  Krise  die  Bildung  der  GroBen  Koalition 
zusammen.  Diese  versuchte,  "eine  Interessenidentitat  herzustellen 
zwischen  der  Partei  der  Herrschenden  und  der  Partei ,  die  zumindest 
den  Anspruch  erhob,  die  Partei  der  Unterdrlickten  zu  sein.  Unmaskier- 
te  Herrschaft  ist  auch  in  Deutschland  diskreditiert  (trotz  gegen- 
teiliger  Trends),  Herrschaft  liber  Massen  muB  sich  immer  als  Herr- 
schaft dieser  Massen  ausgeben.  Der  Staat  bedarf  der  standigen  Legi- 
timierung".  (10) 

Die  Medien  Presse  und  Fernsehen  haben  in  dieser  Situation  die  wich- 
tige  Funktion,  die  Zustimmung  der  Massen  zur  offiziellen  Pol itik  zu 
erreichen.  In  Krieg  und  Krise  wird  deutlich,  wer  eigentlich  der 
Staat  ist.  Die  berlihmten  Worte  Kaiser  Wilhelms  II  "Ich  kenne  keine 
Parteien  mehr,  ich  kenne  nur  noch  Deutsche"  hatten  zu  Beginn  des 
ersten  Weltkrieges  die  Burgfriedenspol itik  eingeleitet,  die  die  Klas- 
sengesellschaft  in  eine  nationale  Schicksalsgemeinschaft  verwandeln 
sollte.  In  der  Krise  des  Kapitalismus  nach  der  Weltwirtschaftskrise 
hatte  der  Faschismus  die  "Volksgemeinschaft"  propagiert.  In  dieser 
unseligen  Tradition  ist  die  Bildung  der  nun  von  den  Massenmedien 
beschworenen  GroBen  Koalition  zu  sehen: 

Bild  am  8.11 .66:  "Wir  brauchen  eine  starke  Regierung  unter  einem 
starken  Kanzler.  Nur  eine  starke  Regierung  kann  unsere  Wirtschaft 
wieder  ankurbeln  und  unser  Staatsschiff  wieder  ankurbeln." 

Bild  am  15.11.66:  "Hoffentlich  finden  die  groBen  Parteien,  die  noch 
manches  trennt,  aber  die  schon  vieles  verbindet,  einen  gemeinsamen 
Weg.  Selbstlos  und  geduldig.  Fur  Deutschland!" 

Bild  am  26.11.66:  "BILD  hofft  auf  einen  Sieg  der  Patrioten  liber  die 
Parteitaktiker.  Fur  unser  Land  ist  in  der  gegenwartigen  Lage  die 
beste  Regierung  gerade  gut  genug!  Die  GroBe  Koalition  in  Bonn  und 
an  Rhein  und  Ruhr  -  das  ware  ein  Weihnachtsgeschenk  fur  Deutschland." 


-  15 


Bi Id  am  1.12.66:  "Der  kleine  Mann  wird  geschont.  Die  GroBe  Koalition 
ist  da."  (11) 


Gleichzeitig  haufen  sich  Berichte,  die  die  Opferbereitschaft  erhbhen 
sollen  ("Lohne  sind  auch  Kosten,  zu  hohe  Kosten  bedrohen  Wettbewerbs- 
fahigkeit  und  Investitionen,  damit  Arbeitsplatze  und  Preise",  "Es 
muB  mehr  gearbeitet  werden"  ( Bi  Id  12.11.66),  "Ohne  Steuererhbhungen 
geht  es  nicht"  (Bild  14.12.66).  So  wird,  wieder  einmal,  die  Klassen- 
gesellschaft  zur  Krisengemeinschaft  erklart.  Selbstverstandlich  ge- 
hb'rt  dazu  -  ebenfalls  nach  bewahrtem  Muster  -  eine  "starke  Regierung". 
An  den  in  der  Krise  zutagegetretenen  Widersprtichen  des  Systems,  die 
jetzt  erfahrbar  werden  als  Lohnkiirzungen,  Angst  vor  Arbeitslosigkeit 
und  sozialem  Abbau,  Steuererhbhungen  etc.  vollzieht  sich  die  "Politi- 
sierung  der  Offentlichkeit" .  Erster  sichtbarer  Ausdruck  daflir  sind 
auBerparlamentarische  Opposition  und  Studentenbewegung.  Sie  signal i- 
sieren  die  Zunahme  sozialer  Konflikte  auch  zwischen  Arbeit  und  Kapi- 
tal.  Mit  der  einsetzenden  politischen  Bewegung,  die  ihren  Ausgangs- 
punkt  nimmt  von  den  Mangeln  des  Systems,  wird  Reformpolitik  wieder 
zu  einer  politischen  Notwendigkeit,  durch  die  sich  der  spatkapita- 
listische  Staat  seine  Massenloyal itat  sichern  muB.  (12) 

Hinzu  kommt,  daB  unter  der  restaurativen  CDU-Herrschaft  lange  Zeit 
liegen  gebliebene  Reformprojekte  dringend  in  Angriff  genommen  wer- 
den mu'ssen.  Hochschul reform,  Schulreform,  Reform  der  Sozialarbeit 
sind  zeitlich  etwa  zusammenfal  lende  Bestrebungen  der  spaikapital  isti- 
schen  Gesellschaft,  ihre  Einrichtungen  der  erreichten  Entwicklungs- 
stufe  des  Kapitalismus  und  der  ihr  entsprechenden  Veranderung  der 
sozialen  Probleme  anzupassen. 


Der  Doppelcharakter  von  Reformen 


In  einer  Situation,  in  der  auf  Grund  schrumpfender  Wachstumsraten 
die  Einhaltung  der  Versprechungen  auf  standige  Erweiterung  des  Kon- 
sums  und  des  Lebensstandards  an  objektive  Grenzen  stbBt,  verla'Bt 
sich  der  Staat  jedoch  nicht  auf  Reformpolitik  allein.  Fur  den  Kon- 
fliktfall  wird  wenig  spa'ter  in  Form  der  Notstandsgesetze  ein  Instru- 
ment des  Klassenkampfes  von  oben  bereitgestel It,  daB  jederzeit  unter 
Wahrung  demokratischer  Spielregeln  gegen  die  aufkommende  Opposition 
einsetzbar  ist.  (13) 

Die  jetzt  seitens  des  Staates  forciert  eingeleiteten  Reformanstren- 
gungen  flihren  zum  Aufbrechen  der  lange  Zeit  latent  gebliebenen 
institutionellen  Konflikte.  Je  mehr  diese  Konflikte  bffentlich  wer- 
den, d.h.  liber  den  innerinstitutionellen  Rahmen  hinausgetragen  wer- 
den und  zu  teilweise  breiter  Mobilisierung  und  Pol itisierung  der  Be- 
troffenen  flihren,  desto  restriktiver  gerat  die  staatliche  Reform- 
politik. Sie  konzentriert  sich  im  wesentlichen  darauf,  die  in  der 
breiten  Mobilisierung  sich  ausdruckenden  weitergehenden  Anspruche 
der  Betroffenen  auf  Mitbestimmung  ihrer  Arbeits-und  Studienbedin- 
gungen  zuruckzudrangen  und  sie  mit  bloB  formalen  und  in  diesem  Sinne 
konsequenzlosen  Hnderungen  abzuspeisen.  (14) 


16 


Zum  bestimmenden  Moment  der  Reformauseinandersetzungen  wird  der 
fundamental  Widerspruch  zwischen  den  von  unten  kommenden  Forde- 
rungen  nach  Selbstbestimmung  der  eigenen  Lebensverhaltnisse  und  der 
von  oben  vorgesehenen  Reform  unter  Wahrung  des  gesel lschaftlichen 
Status  quo. 

Reformen  sind  die  Reaktion  der  kapitalistischen  Gesellschaftsordnung 
auf  aus  ihrer  Produktionsweise  (gesellschaftl iche  Produktion  bei 
privater  Aneignung)  resul tierenden  WidersprUche. 
Durch  Reformen  soil  die  Kontinuitat  eben  dieser  widerspriichl  ichen 
Gesellschaftsordnung  gesichert  werden.  Dies  kann  die  Gesellschaft 
selbst  als  produzierende  nicht  leisten.  Sie  bedarf  dazu  der  schein- 
bar  von  den  bkonomischen  Widersprlichen  abgehobenen  Organisation  des 
Staates. 

"Der  burgerliche  Staat  (ist)  das  Resultat  der  entwickel ten,  waren- 
produzierenden,  also  der  kapitalistischen  Gesellschaft  und  ihrer  auf 
dieser  Form  der  Produktion  beruhenden  Widerspruche  ...  und  daher 
auch  eine  durch  diese  Widerspruche  gepra'gte  Institution."  (15) 
Der  Staat  kann  daher  bezeichnet  werden  als  ein  "Produkt  der  Gesell- 
schaft auf  einer  bestimmten  Entwicklungsstufe;  er  ist  das  Eingestand- 
nis,  daB  diese  Gesellschaft  sich  in  einem  unlbsbaren  Widerspruch 
mit  sich  selbst  verwickelt  und  in  unversbhnl iche  Gegensatze  gespal- 
ten  hat,  die  zu  bannen  sie  ohnmachtig  ist.  Damit  aber  diese  Gegen- 
satze, Klassen  mit  widerstreitenden  bkonomischen  Interessen,  nicht 
sich  und  die  Gesellschaft  in  fruchtlosem  Kampf  verzehren,  ist  eine 
scheinbar  Uber  der  Gesellschaft  stehende  Macht  notwendig  geworden, 
die  den  Konflikt  dampfen,  innerhalb  der  Schranken  der  Ordnung  hal- 
ten  soil;  und  diese  aus  der  Gesellschaft  hervorgegangene,  aber  sich 
Uber  sie  stel lende,  sich  ihr  mehr  und  mehr  entfremdende  Macht  ist 
der  Staat."  (16) 

Garantie  der  gesel  Ischaftl  ichen  Reproduktion  bedeutet  aber  vor  all  em: 
Dampfung  des  Klassenkampfes  auf  ein  MaB,  daB  die  Ordnung  der  Produk- 
tion nicht  gefahrdet. 

Wie  der  vorangestel Ite  geschichtliche  Exkurs  zeigt,  waren  die  Zuge- 
standnisse  des  Kapitalismus  (Reformen)  ursprunglich  fast  ausschlieB- 
lich  das  Ergebnis  des  Kampfes  der  Arbeiterklasse  urn  die  Verbesserung 
ihrer  Lage.  Mit  der  weiteren  Entwicklung  des  Kapitalismus  und  den 
sich  damit  verse harfenden  Widersprlichen  nicht  nur  im  Verha'ltnis  Pro- 
letariat/Kapital ,  sondern  auch  im  Zuge  des  Imperial ismus  und  der 
Monopol isierung  entwickelte  sich  die  Notwendigkeit  zur  laufenden 
staatlichen  Intervention,  (17)  urn  die  schlimmsten  Auswirkungen  der 
kapitalistischen  Produktionsweise  zu  mildern  und  eine  Weiterentwick- 
lung  des  Kapitalismus  zu  ermbglichen,  die  Zunahme  von  'Reformen' 
von  'oben'.  Da  der  grundsatzliche  Widerspruch  mittels  Reformen  nicht 
aufzuheben  ist,  erwachsen  aus  den  Reformen  notwendigerweise  neue 
Widersprliche,  auf  die  abermals  reformerisch  reagiert  werden  muB. 
In  jeder,  die  Situation  der  werktatigen  Bevblkerung  verbessernden 
Reform  liegen  deshalb  systemstabil isierende  und  tendenzielle  system- 
verandernde  Faktoren  eng  beieinander.  Die  Reform  als  einzelne  Oder 
mehrere  in  einer  gewissen  Abfolge  haben  allein  selbst  niemals  system- 
sprengenden  Charakter.  Daraus  resul tiert  die  haufig  anzutreffende 
These,  daB  all e  Reformen  vergeblich  sind,  wenn  der  kapitalistische 
Staat  dabei  Uberlebt.  Die  Vertreter  dieser  Auffassung  haben  recht, 


-  17  - 


wenn  es  sich  um  institutionalisierte  Reformer!  handelt,  nicht  jedoch 
dann,  wenn  es  sich  um  solche  handelt,  die  im  aktiven  Kampf  von  unten 
abgerungen  worden  sind:  "Man  kann  eine  Reform  nicht  von  der  Aktion, 
aus  der  sie  hervorgeht,  trennen."  (18) 

Der  Staat  reagiert  in  der  Reformpolitik  auf  den  Druck  gesellschaft- 
licher  Konflikte.  Der  wesentliche  Inhalt  dieser  Politik  ist:  die 
zunehmend  moglich  werdende  Beherrschung  der  objektiven  Lebensbedin- 
gungen  durch  die  Gesellschaft  zu  verhindern,  die  Wirklichkeit  der 
Unterdrlickung  gegen  das  Potential  der  Freiheit  zu  verteidigen.  Das 
kann  nicht  anders  gelingen,  als  daB  der  Staat  gesell schaftl iche 
Kra'fte  selbst  zur  Unterstiitzung  der  kapital  istischen  Produktionswei- 
se  heranzieht.  (19)  (Wir  gehen  hier  davon  aus,  daS  es  mit  der  bewaff- 
neten  Macht  des  Staates  -  Armee  und  Polizei  -  auf  Dauer  nicht  gelingt, 
die  kapitalistische  Produktion  zu  stlitzen.  Allerdings  darf  nicht  ver- 
gessen  werden,  daB  die  offene  Gewalt  das  in  Geschichte  und  Gegenwart 
stets  praktizierte  Mittel  ist,  wenn  es  gilt,  den  Kapital ismus  zu 
"retten". ) 

Dazu  kann  die  Reformpolitik  ein  hervorragendes  Mittel  sein,  wenn  es 
gelingt,  den  gesell schaftl ichen  Kraften,  deren  Anspruch  auf  Freiheit 
erst    die  Reform  notwendig  machte,  die  fortbestehende  Wirklich- 
keit der  Unterdrlickung  ideologisch  zu  verschleiern. 

In  der  Wahrnehmung  dieser  Funktion  zeigt  sich  der  kapitalistische 
Staat  durchaus  widerspruchlich,  umso  starker  dann,  wenn  er  von 
Leuten  reprasentiert  wird,  deren  subjektiver  Anspruch  nicht  die  aus- 
schlieBliche  Interessenvertretung  des  Kapitals  darstellt,  wie  am 
Bei spiel  der  verschiedenen,  in  Westeuropa  regierenden  sozialdemokrati- 
schen  Parteien  deutlich  wird.  Das  Wirken  des  Staates  besteht  nicht 
in  der  Realisierung  eines  irgendwie  von  vornherein  existierenden  Ge- 
samtinteresses  des  Kapitals  (was  schon  wegen  der  unterschiedl ichen 
Interessenlage  der  Einzelkapitalisten  und  -gruppen  nicht  moglich  ist), 
sondern  das,  was  als  Ergebnis  in  Form  von  Gesetzen  usw.  in  Erschei- 
nung  tritt,  ist  stets  das  Resultat  eines  vorangegangenen  Prozesses 
von  Konflikten,  Auseinandersetzungen  und  Kompromissen,  sowohl  zwi- 
schen  den  Fraktionen  des  Kapitals  selbst,  den  unterschiedl ich  moti- 
vierten  Kraften  im  Staatsapparat,  aber  insbesondere  dem  Kraftever- 
haltnis  im  Kampf  zwischen  werktatiger  Bevblkerung  im  Kapital."  (20) 

Die  Entwicklung  des  Kapital ismus  zu  gewahrleisten  und  zugleich  den 
Kapital  ismus  in  seinem  Bestand  zu  festigen,  la'Bt  zwei  grundsatzliche 
Mbglichkeiten  staatlichen  Handelns  zu;  die  totale  Repression  (in 
ihrer  ausgepragtesten  Form  als  Faschismus)  und  die  systemkonforme 
Veranderung  durch  Reformen.  Beide  Mb'gl  ichkeiten  treten  jedoch  nie 
vollig  voneinander  getrennt  auf,  sondern  bilden  eine  Einheit,  inner- 
halb  derer  das  eine  Oder  das  andere  Element  Uberwiegt.  Reformen  ohne 
implizite  Sanktionsandrohungen  sind  deshalb  nicht  denkbar,  d.h.  jede 
Reform  zeigt  die  Grenzen,  innerhalb  deren  Veranderungen  zugelassen 
sind,  auf  und  benennt  die  Sanktionen,  die  die  Oberschreitung  des 
vorgegebenen  Rahmens  auslost  (im  Regelfalle  in  Form  von  Gesetzen). 
Deutlich  wird  dies  zum  Beispiel  in  der  sogenannten  Tarifautonomie, 
die  mit  der  Friedenspflicht  verbunden  ist,  aber  auch  in  anderen  Be- 
reichen,  wobei  Repression  sich  auch  'nur'  in  dem  Zwang  zur  Einhal- 
tung  der  sogenannten  demokratischen  Spielregeln  auBern  kann. 


Die  klare  Abgrenzung  des  Rahmens,  innerhalb  dessen  Veranderung  zuge- 
lassen wird,  versucht,  Reformen  kalkulierbar  zu  machen,  d.h.  aus  der 
Sicht  des  kapital istischen  Staates  den  Mangel  zu  beheben,  der  darin 
besteht,  daB  vorab  nur  begrenzt  bestimmbar  ist,  welche  weitergehen- 
den  Forderungen  und  Folgerungen  daraus  resultieren.  In  den  Fallen, 
in  denen  der  anvisierte  Rahmen  aus  der  Reform  selbst  uberschritten 
wird,  wird  versucht,  diese  zuruckzunehmen  (wie  z.B.  in  der  Hochschul- 
gesetzgebung),  so  daB  der  Kampf  um  Reformen  zugleich  auch  immer  ein 
Kampf  um  das  Erreichte  ist.  Reformen  bleiben  notwendigerweise  in 
ihrem  Ergebnis  immer  hinter  dem  zuriick,  was  sich  die  Reformen  For- 
dernden  bzw.  Reform  Versprechenden  davon  erhofft  haben.  Dies  sogar 
haufig  dann,  wenn  es  sich  um  Reformen  handelt,  die  auch  dem  Staat  - 
als  ideeller  Gesamtkapitalist  -  dienen,  weil  die  Finanzierung  einen 
starken  Kapitaltransfer  vom  privaten  auf  den  bffentl ichen  Sektor 
voraussetzt,  was  nur  im  Rahmen  einer  Planung  moglich  ware,  die  vor 
den  iibergewichtigen  Tendenzen  der  privaten  Kapitalakkumulation  nicht 
halt  macht.  Bei  der  Durchsetzung  von  Reformen  stehen  in  ihrer  Mehr- 
zahl  die  langfristigen  Interessen  des  Kapitals  den  kurzfristigen 
(Profitmaximierung  um  jeden  Preis)  gegenuber.  So  resultiert  die  quan- 
titativ  und  qualitativ  notwendige  Veranderung  der  Bildung,  insbe- 
sondere der  Berufsausbildung,  aus  der  monopolistischen  Expansion. 
Ihre  Notwendigkeit,  im  Interesse  einer  verbesserten  Wettbewerbsfahig- 
keit,  wird  sowohl  von  einzelnen  Kapitalisten  und  -gruppen  als  auch 
vom  Staat  anerkannt,  trotzdem  ist  sie  nur  begrenzt  real isierbar,  weil 
die  Aufbringung  der  erforderl ichen  Mittel  zu  einer  vorubergehenden 
Profitbeschneidung  fu'hren  wu'rde,  die  auch  durch  eine  noch  verstarkte 
Ausbeutung  nicht  voll  aufgefangen  werden  kann. 

Es  ist  bereits  dargestellt  worden,  daB  die  Reduzierung  der  Klassen- 
kampfe  auf  den  Lohnkonflikt  in  der  BRD  weitgehend  gelungen  ist.  Die 
institutionalisierte  Tarifautonomie  und  die  im  Art.  9.3  Grundgesetz 
verankerte  Koal itionsfreiheit  sind  vor  dem  Hintergrund  standiger  Wirt- 
schaftsprosperita't  seit  dem  2.  Weltkrieg  von  den  Gewerkschaften  so- 
weit  ritualisiert  worden,  daB  sie  im  Regelfall  nur  dann  in  ihrer  Po- 
litik von  der  Basis  Kritik  erfahren,  wenn  die  Lohnerhbhungsprozente 
den  realen  Kauf kraftverlust  nicht  ausgleichen:  so  bei  den  sogenann- 
ten spontanen  Streiks  1969  und  1973/74.  Wirtschaftl iche  Stagnation 
und  erste  Krisenanzeichen,  die  permanente  Gefahrdung  von  Arbeits- 
pla'tzen  durch  Absatzschwierigkeiten  und  Verlagerung  der  Produktion 
in  sogenannte  Billiglohnlander,  die  auch  von  der  burger! ichen  Dffent- 
lichkeit  nicht  mehr  zu  unterschlagenden  'Schbnheitsfehler'  des  Ka- 
pitalismus  (z.B.  die  sogenannte  Olkrise)  lassen  zunehmend  Zweifel 
aufkommen  und  die  Forderung  nach  staatlicher  Intervention  laut  wer- 
den. Die  zunehmende  Zerstorung  der  Fiktion  von  der  Klassenharmonie 
wird  auch  flir  die  BRD  in  naher  Zukunft  Formen  von  Klassenauseinan- 
dersetzungen  erzeugen,  wie  sie  in  Italien  und  Frankreich  (Fiat  und 
Lip)  seit  langerem  existieren  und  im  letzten  Streik  bei  Ford  ansatz- 
weise  erkennbar  sind. 

Das  schon  jetzt  formulierte  allgemeine  Unbehagen,  die  Forderung  nach 
staatlichen  Eingriffen,  kann  z.Zt.  jedoch  nicht  als  bewuSt  antikapi- 
talistisch  interpretiert  werden.  Nach  wie  vor  sehen  weite  Teile  der 
lohnabhangigen  Bevblkerung  und  des  Proletariats  selbst,  trotz  der  Zu- 
nahme  des  Einflusses  ihres  bewuBtesten  Teils,  keine  Alternative  zum 
Kapital ismus. 


-  19  - 


Neben  dem  Ausbau  des  'Systems  der  sozialen  Sicherung1,  das  selten 
liber  den  zur  Reproduktion  menschlicher  Arbeitskraft  hinausgehenden 
Rahmen  Leistungen  zusichert  und  zudem  noch  von  der  werktatigen  Be- 
vb'lkerung  durch  Beitragszahlungen  und  Bezuschussung  aus  dem  Lohn- 
steueraufkommen  von  ihr  selbst  finanziert  wird,  ist  es  vor  allem 
die  gelungene  Verankerung  der  Ideologie  von  der  Reformierbarkeit 
des  kapitalistischen  Systems,  die  den  beschriebenen  Zustand  erklart. 
Die  Schwachung  der  Arbeiterklasse  durch  die  Nazizeit,  die  Politik 
des  militanten  Antikommunismus,  die  seit  60  Jahren  konsequent  von 
der  SPD  betriebene  systemstabilisierende  Politik,  die  mit  einer  zu- 
nehmenden  Theoriefeindlichkeit  verbunden  ist  und  eine  entsprechende 
Erga'nzung  durch  die  Gewerkschaften,  haben  dazu  gefuhrt,  daB  ein 
KlassenbewuBtsein  im  Proletariat  nur  rudimentar  vorhanden  ist. 

"Solange  die  groBe  Mehrzahl  der  Bevolkerung  im  Elend  lebte,  d.h. 
solange  ihr  alles  Lebensnotwendige  vorenthalten  wurde,  mochte  sich 
die  Notwendigkeit  eines  revolutionaren  Umsturzes  der  Gesellschaft 

.„iw„^    „4-..i n=<-     c^ui -: j._    j:.    n _      ^        ._•-     l.^4-4-„ 


Sy- 


uic   rxu  owenu  iyrkc  i  <.   cinco    i  cruiut  luuaren   unisuur  £bb   uer   uestri  ptiia  i  u 

von  selbst  verstehen.  Das  Schlimmste  war  die  Gegenwart,  sie  hatten 
nichts  zu  verlieren.  Aber  heute  ist  es  in  den  reichen  Landern  nicht 
mehr  so  sicher,  was  das  Schlimmste  ist.  Die  Untertragl ichkeit  des  S 
stems  ist  nicht  mehr  absolut,  sie  ist  nur  noch  relativ",  schreibt 
Gorz.  (21)  Die  tatsachliche  Verbesserung  der  Lage  der  Arbeiter  (bei 
gleichzeitiger  Verschlechterung  im  Verhaltnis  zu  den  Mbglichkeiten  auf 
Grund  der  Entwicklung  der  Produktivkraf te)  scheint  die  Richtigkeit  der 
Politik  der  Sozialdemokratie  zu  bestatigen,  wonach  es  keinerlei  Ver- 
anlassung  gibt,  "die  Bude  in  die  Luft  zu  jagen"  (Gorz) ,  sondern  sich 
geduldig  und  verantwortungsbewuBt  zu  zeigen  und  im  Librigen  den 
Staatsma'nnern  zu  vertrauen. 

Es  scheint,  daS  trotz  der  verankerten  Ideologie  im  Bereich  der  Pro- 
duktion  ein  Punkt  erreicht  ist,  Liber  den  hinaus  weitere  Zugestandnis- 
se  an  die  Arbeiterklasse  nicht  moglich  sind,  ohne  auf  ernsthaften 
Widerstand  des  Kapitals  zu  stoBen.  Nur  so  kann  die  hysterische  Reak- 
tion  auf  die  Mitbestimmungsforderung  verstanden  werden. 
Hier  scheint  ein  eklatanter  Widerspruch  zu  unserer  These  einer  ent- 
politisierten  Arbeiterklasse  in  der  BRD  zu  liegen:  denn  wie  soil  ein 
solches  Proletariat  systemgefahrdende  Forderungen  stellen  und  durch- 
setzen? 

Mit  diesem  Phanomen  haben  wir  uns  in  der  Arbeitsgruppe  lange  befaBt, 
kbnnen  aber  keine  befriedigende  Antwort,  sondern  nur  den  Versuch 
einer  Erklarung  geben:  Wir  meinen,  daB  zwei  Faktoren,  neben  denkbar 
anderen,  von  Bedeutung  sind: 

einerseits  zwingt  die  objektive  Lage  der  Arbeiterklasse  jedes  ein- 
zelne  ihr  angehbrende  Individium,  Forderungen  zu  stellen  und  durch- 
zusetzen  (Reformen),  die  aufgrund  des  fehlenden  KlassenbewuBtseins 
als  individuelles,  nicht  als  Klasseninteresse  begriffen  werden; 
andererseits  werden  in  Krisensituationen  selbst  die  "traditionellen" 
gewerkschaftlichen  Forderungen  (Lohnforderungen)  als  direkter  An- 
griff  auf  die  Stabilitat  und  Lebensfahigkeit  des  kapitalistischen 
Systems  erscheinen  und  deshalb  auf  den  versta'rkten  Widerstand  der 
Unternehmer  stoBen,  so  daB  der  gewerkschaftliche  Kampf  seine  eigent- 
liche,  politische  Dimension  erha'lt. 

Damit  ist  keinesfalls  gesagt,  daB  eine  derartige  Reform  all ein 
zur  Oberwindung  des  Kapitalismus  geeignet  ist,  won!  aber  wesentlicher 


20   - 


Bestandteil   innerhalb  einer  Reforms trategie  sein  kann. 

Im  Vorwort  zum  Kommunistischen  Manifest  (22)   heiBt  es,  daB  das 
Wahlrecht  nur  das  Recht  zum  Regieren,  aber  nicht  die  Macht  dazu  gibt. 
Dieser  Tatsache  ist  sich  auch  die  internationale  Sozialdemokratie 
bewuBt,  die  auch  dort,  wo  sie  urspriinglich  weitergehende  Ziele  ver- 
folgte,   die  Macht  des   "Faktischen",  d.h.   die  Macht  des  Kapitals 
anerkennen  und  diese  Macht  zu  akzeptieren  lernte,   indem  sie  die  kapi- 
talistische  Wirtschaftsordnung  als  Grundlage  fur  materielle  Verbesse- 
rung    der  Lage  der  Werktatigen  im  AuSerproduktionsbereich  (Verbes- 
serung der  Qualitat  des  Lebens  usw.)  ansieht.  Aus  dem  Widerspruch 
des   eigenen  Anspruchs  und  der  Umsetzungsabhangigkeit  vom  Kapital 
resultiert  die  gesamte  widersprLichl  iche  Politik  der  Sozialdemokratie. 


ARBEITSMATERIALIEN    SOZ IALARBEIT/SOZIALPfiDAGOGIK 
-    Projektstudium   am   Beispiel    Heimerzlehung    - 


Die  Arbeit  "Projektstudium  am  Beispiel 
dreisemestrigen  (Juni   1972  bis  Februar 
hochschule  fur  Sozialarbeit  Frankfurt. 
Studentinnen  und  Studenten  und  zwei   Doz 
Die  Projektarbeit  enthalt  vier  Teile 
allgemeinen  und  spezifischen  Bedingunge 
ten.   Es  gait  deutlich  zu  machen,  welche 
tischen  Ursachen  iiberhaupt  Konzeptionen 
haben  und  welcher  Stellenwert  ibm  zuzum 
Arbeit   enthalt  die   in  den  Heimen  gesa 
fahrungen,  die  in  Form  von  vier  Heimber 
sammenfassung  vorgelegt  wurden.   -  Der  d 
lyse  der  Interviews  mit   15  Heimjugendl i 
Problem,  ob  aus  der  LeDens-  und  Familie 
punkte  gewonnen  werden  konnten,  die  Auf 
ihrer  Heimeinweisung  geben.   Die  Analyse 
verschiedene   Lebensbereiche  der  Jugendl 
dung  und  Arbeitsplatzsituation  machen  d 
Heimsi tuation  wenig   geandert  hat  und  di 
terhin  die  Ursachen,  die  zur  Heimeinwei 
-  Der   letzte  vierte  Teil   versucht,    in  d 
dingtheit  gesellschaf tl icher  Entwicklun 
Studentenbewegung,  der  von  ihr  initiier 
bewegung  und   den  Reformen  im  Bereich  He 
einzubeziehen  in  die  Diskussion  urn  die 
tern  in  der  Heimerziehung. 

2oo  Seiten,   broschiert,  DM  8.— 

Verlag  2ooo  GmbH,   6o5  Offenbach  4,   Postfach  591 


Heimerziehung"  ist  das 
1973)  Projektstudiums  a 
An  der  Projektarbeit  ha 
enten  (Projektbeglei ter 
Im  ersten  Teil  wird  ve 
•n  von  Projektstudium  he 
gesellschaf tl ichen  und 
von  Projektstudium  her 
lessen  ist.  -  Der  zweite 
lelten  Daten,  Beobachtun 
ichten  und  einer  vergle 
ritte  Teil  bezieht  sich 
chen.  In  Vordergrund  st 
ngeschichte  der  Jugend" 
chluB  liber  die  Ursache 
des  Interviewmaterials 
ichen  wie  Familie,  Schu 
eutlich,  daB  sich  an  de 
e  Prozesse  der  Heimsozi 
sung  gefuhrt  haben,  ehe 
er  Erkenntnis  der  histo 
ig  einen  Zusammenhang  zw 
ten  bzw.  beeinfluBten  R 
imerziehung  herzustelle 
Berufsperspektive  von  S 


Ergebnis  eines 
n  der  Fach- 
ben  sich  14 
beteiligt. 
rsucht,  die 
rauszuarbei- 

bi ldungspoli- 
vorgebracht 

Teil  dieser 
gen  und   Er- 
ichenden  Zu- 

auf  eine  Ana- 
and  dabei  das 
ichen  Anhalts- 
n  und  Grunde 
bezogen  auf 

e.  Ausbil- 
r  generellen 
al isation  wei- 
r  verstarken. 
rischen  Be- 
ischen  der 
andgruppen- 
n  und  sie 
ozialarbei- 


3.  OBER  DIE  NOTWENDIGKEIT  DER  EINBEZIEHUNG 
DER  MITTELSTANDSFRAGE 
IN  EINE  LINKE  POLITIK 


"Da  die  Mittelschicht  keine  historische  Mission  zu  erfiillen  hat,  im 
Gegensatz  zur  Bourgeoisie  und  zum  Proletariat,  erscheint  die  Beschaf- 
tigung  mit  ihr  mu'Big.  In  gewisser  Weise  spielt  sie  jedoch  eine  ganz 
entscheidende  Rolle:  Denn  die  herrschende  Klasse  bzw.  Gruppe  kann 
ohne  die  Gefolgschaft  der  Kleinbourgeoisie  ihre  Herrschaft  nicht 
ausliben  -  und  die  Arbeiterklasse  kann  nur  im  Bundnis  mit  dem  Klein- 
blirgertum  -  den  Angestellten  und  der  Intel  ligenz,  den  Bauern  und  den 
Handwerkern  -  die  Macht  erobern."  ((22a) 


In  ihrem  Selbstverstandnis,  als  Verbu'ndete  des  Proletariats  die  be- 
stehenden  Widerspru'che  aufzugreifen  und  den  Klassenkampf  wieder  in 
Gang  zu  setzen,  ist  die  westdeutsche  Linke  im  Produktionsbereich 
und  im  Reproduktionsbereich  tatig. 

Im  Produktionsbereich  muB  sie  feststellen,  daB  die  Arbeiterklasse 
sich  erst  jetzt  tendenziell  von  den  Gewerkschaftsflihrern  zu  Ibsen 
beginnt,  die  nicht  eine  konsequente  Interessenvertretung,  sondern 
eine  beschwichtigende  und  abwiegelnde  Politik  betreiben  und  daB  die- 
ser  ProzeB  der  BewuBtwerdung  eine  langfristige  und  kontinuierl iche, 
mit  vielen  Ruckschla'gen  verbundene  politische  Arbeit  verlangt. 

AuSerhalb  des  Produktionsbereiches  (hier  ist  die  Mehrzahl  der  Linken 
aufgrund  ihres  Herkommens,  ihrer  Sozialisation  und  der  daraus  resul- 
tierenden  Berufsentscheidung  tatig),  trifft  sie  -  wiewohl  die  Folgen 
kapitalistischer  Produktionsweise  in  diesem  Bereich  flir  alle  Lohn- 
abhangigen  besonders  sichtbar  sind  -  Liberwiegend  auf  Aktivitaten  der 
Mittelschicht. 

Ober  die  Schwierigkeiten,  die  wir  in  der  Arbeitsgruppe  bzgl .  des 
Mittelstandes  hatten,  ist  einleitend  berichtet  worden.  Wenn  wir  den 
Begriff  Mittelstand/Mittelschicht  verwenden,  muB  auBer  Betracht  blei- 
ben,  ob  es  sich  dabei  urn  eine  eigene  Klasse  handelt  (so  Lenin, 
Werke,  Bd.  32,  S.  5)  oder  nicht. 

Wir  verwenden  ihn  flir  einen  erheblichen  Teil  der  Bevblkerung,  der 
zwischen  Bourgeoisie  und  Proletariat  stent,  der  in  sich  heterogen 
und  flir  den  Gegenstand  unserer  Arbeit  nur  zum  Teil,  wenn  auch  zum 
grbBeren,  relevant  ist. 

Die  allgemeine  Unsicherheit  Liber  die  Zuordnung  der  Mittelschicht  im 
Klassenantagonismus  flihrt  haufig  zu  einem  ablehnenden,  zumindest 
aber  ambivalenten  Vernal tnis  gegeniiber  derartigen  Aktivitaten 
(z.B.  Burgerinitiativen) . 

Die  Tatsache,  daB  erhebliche  Teile  des  Mittelstandes  Lohnabhangige 
sind,  erscheint  einigen  linken  "Theoretikerr"  ausreichend,  um  sie 
einfach  dem  Proletariat  als  "technisch-wissenschaftliche  Lohnarbei- 
ter"  zuzuordnen. 

Von  anderen  linken  "Theoretikern"  wird  der  Mittelstand  (Mittelschicht) 
in  seiner  Gesamtheit  als  mit  der  Bourgeoisie  ideologisch  und  von 
seinen  objektiven  Interessen  her  identisch  angesehen;  jede  Aktivi- 
ta't  von  Teilen  der  Mittelschicht  hat  systemstabilisierenden  Charak- 
ter  und  entsprechend  wird  danach  politisch  regide  reagiert. 

Beide  Positionen  erscheinen  falsch,  da  erhebliche  Teile  der  Mittel- 
schicht proletarisiert  sind,  ohne  Proletariat  zu  sein  und  zu  einem 
erheblichen  Teil  verbu'rgerlicht  sind,  ohne  Bourgeoisie  zu  sein. 


Alter  und  neuer  Mittelstand 

In  der  burgerlichen  Literatur  wird  einer  sogenannten  alten  eine  neue 
Mittelschicht  gegeniibergestellt. 

Dabei  ist  davon  auszugehen,  daB  der  alte  Mittelstand  (Kleinproduzen- 
ten,  Kleinhandel,  Klein-  und  Mittelbauern)  durch  den  Zwang  zur  Profit- 
maximierung,  den  damit  verbundenen  grbBeren  Produktionseinheiten, 
der  Weiterentwicklung  der  Technik  usw. ,  im  Konkurrenzkampf  hoffnungs- 
los  unterliegen  und  damit  proletarisiert  wird,  also  standig  abnimmt 
(23),  der  neue  Mittelstand  hingegen  (Angestell te/Beamte  und  Intel  1 i- 
genz)  standig  zunimmt.  Letzterer  betrug  bereits  1969  in  der  BRD 
27,7  %   der  erwerbstatigen  Bevblkerung. 

Diese  Unterteilung  ist,  trotz  des  bedenklich  Fomialistischen,  flir 
unsere  Arbeit  insoweit  brauchbar,  als  sie  den  SchluB  zula'Bt,  daB  die 
politischen  Aktivitaten  des  "alten  Mittelstandes"  vornehmlich  auf 
die  Erhaltung  und  Restaurierung  eines  aufgrund  der  Produktivkraftent- 
wicklung  Uberholten  Zustandes  gerichtet  sind  und  deshalb  fur  eine 
Strategie  der  Nutzung  von  Reformen  nicht  in  Betracht  kommen. 


inrer  jueuiuyie  nci  ^-ui  uwui  yv-w  .-.  iv.  ..«  <■ -■■  -  —  >  

sen  Zahl  der  kleinen  und  mittleren  Angestell ten/Beamten. 

Letztere  sind  es,  nit  denen  wir  uns  in  der  Mittelstandsfrage  befas- 

sen. 

Zwischen  Bourgeoisie  und  Proletariat 

"Die  Situation  des  Angestellten  (u.  Beamten,  die  Verf.)  ist  eine 
Situation,  die  die  Identifikation  mit  der  Welt  der  herrschenden 
Klasse  ermoglicht.. .  Aber  zugleich  ist  sie  eine  Arbeitssituation, 
die  an  der  Mehrzahl  der  Beschrankungen  leidet,  denen  auch  die  Arbei- 
ter  sowohl  hinsichtlich  ihres  Einkommens  als  auch  des  Fehlens  von 
Autonomie  und  der  Unterordnung  unterworfen  sind."  (23a) 

Wenn  sich  dieser  Mittelstand  vornehmlich  im  AuBerproduktionsbereich 
(in  Form  von  Burgerinitiativen)  und  nicht  am  Arbeitsplatz  organi- 
siert,  hat  dies  mehrere  Ursachen: 

Im  Gegensatz  zum  Proletariat  ubt  der  uberwiegende  Teil  des  Mittel- 
standes keine  manuell  mehrwertschaffende  Arbeit  aus,  wiewohl  natUr- 


22 


23  - 


lich  der  Angestellte  in  einem  Kaufhaus  durch  den  Verkauf  seiner 
Arbeitskraft  Mehrwert  realisiert. 

Die  bewuBte  Einraumung  von  Privilegien  gegenuber  dem  Proletariat 
und  die  Abhangigkeit  von  dessen  produktiver  Arbeit  begrenzen  die 
Mbgl ichkeiten  der  Organisierung  am  Arbeitsplatz.  Die  vollige  Abge- 
hobenheit  erheblicher  Teile  der  Mittelschicht  von  der  Produktion 
(insbesondere  im  Bereich  der  Offentl ichen  Verwaltung)  erschweren 
die  Sol  idarisierung  und  damit  das  Bundnis  mit  der  Arbeiterklasse. 

Diese  Aussage  wird  nicht  schon  dadurch  widerlegt,  daB  konkrete  Er- 
fahrungen,  die  einzelne  Gruppen  (u.a.  Sozialarbeiter)  am  Arbeits- 
platz machen,  sich,  in  Erkenntnis  der  Notwendigkeit  radikaler  Ver-^ 
anderungen,  in  ihrem  BewuBtsein  verandern,  zu  Verblindeten  der  Arbei- 
terklasse und  damit  zur  Gefahr  fur  den  Staat  werden  lassen,  worauf 
dieser  entsprechend  -  z.B.  mit  dem  Berufsverbot  -  reagiert. 

Fur  die  Mehrzahl  der  Angehbrigen  der  Mittelschicht  werden  die  sich 
verscharfenden  Widersprliche  des  Systems  auBerhalb  ihres  Arbeits- 
platzes  sichtbar. 


Wie  sind  Blirger-Initiativen  einzuschatzen? 


Die  Durchkapitalisierung  aller  Lebensbereiche  flihrt  auch  zur  Ver- 
schlechterung  der  Lebensbedingungen  des  Mittelstandes,  weil  die  ob- 
jektiven  Entwicklungsnotwendigkeiten  des  herrschenden  Wirtschafts- 
systems  auch  auf  ideologisch  verbundene  Gruppen  und  Schichten  keine 
Rucksicht  nehmen  kann.  (23b)  Die  Zersiedlung  der  Sta'dte,  unzureichen- 
de  Bildungseinrichtungen,  Umwel tverschmutzung  usw.  stellen  fehlende 
Dienstleistungen  dar,  auf  die  die  Mittelschicht  einen  Anspruch  zu 
haben  glaubt.  Uahrend  das  Proletariat  aufgrund  der  Gewerkschafts- 
politik  "lernte",  seine  "Bedlirfnisse"  iiber  die  Lohnforderung  zu  rea- 
lisieren  und  zu  suchen,  sieht  sich  der  Mittelstand  urn  seine  Privile- 
gien gebracht,  Sozialisations-  und  Kommunikationszusammenhange  wer- 
den zerstdrt.  Adressat  der  Forderungen  ist  nicht  das  Kapital,  weil 
die  Zusammenhange  nicht  durchschaut  werden,  sondern  der  Staat  auf- 
grund der  herrschenden  Staatsideologie. 

Der  Kampf  des  Mittelstandes  ist  nicht  selten  ein  Kampf  um  die  Erhal- 

tung  und  Riickgewinnung  von  Privilegien. 

Blirgerinitiativen  deshalb  rundweg  als  mi ttel standi sche  Angelegen- 

heit  abzutun,  erscheint  unzulassig  und  politisch  gefahrlich. 

Viele  Forderungen  der  Mittelschicht  sind  aufgrund  der  sich  allgemein 

verschlechternden  Lage  im  AuBerproduktionsbereich  objektiv  mit  denen 

des  Proletariats  identisch,  zugleich  machen  die  Mitglieder-Initiati- 

ven  entsprechende  Erfahrungen  mit  dem  Staatsapparat: 

"Wenn  sich  im  Laufe  des  Bestehens  der  Blirgerinitiativen  Veranderun- 

gen  ergaben,  dann  entweder  zur  Kooperation  oder  zur  Gegnerschaft. 

Neutralitat  als  Endstadium  war  praktisch  ausgeschlossen. "  (24) 

Da  der  Staat  immer  nur  bedingt  in  der  Lage  ist,  Disparitaten,  die_ 
sich  aus  der  kapital istischen  Produktionsweise  ergeben,  zu  beseiti- 
gen,  wobei  sich  durch  viele  Blirgerinitiativen  die  Mbglichkeit  der 
Realisierung  der  Forderungen  reduziert  und  bei  gleichzeitiger  wirt- 


-   24 


schaftlicher  Rezession  noch  mehr  verschlechtert,  ergeben  sich  hier 
fUr  die  Linke  Mbgl  ichkeiten,  derartige  Lernprozesse  zu  unterstiitzen, 
gesellschaftl iche  Zusammenhange  zu  verdeutl ichen.   Die  linke  Strate- 
gie  muB  die  Verscha'rfung  von  Widersprlichen  nutzen  und  kann  deshalb 
auf  die  Einbeziehung  von  Blirgerinitiativen  nicht  verzichten. 


Die  Einheit  des  politischen  Kampfes 

im  Produktions-  und  AuBerproduktionsbereich 


esondere  auch  Angehbrige  der  Mittelschicht  von 
achten  Politik  der  soziall iberalen  Koalition 
ch  versta'rkt  der  CDU/CSU  zuwenden  -  und  die  in 
rutierungsreservoir  des  Faschismus  stellten  -, 
t  einer  Einbeziehung  der  Mi ttel standi er   in  die 
nders  deutlich,  um  sie  bei   zunehmenden  Klassen- 
innerhalb  derer  auch  die  SPD  weiter  nach  rechts 
vornherein  auf  der  anderen  Seite  der  "Barri- 


Die  Tatsache,  daB  insb 
der  mit  Hoffnungen  bed 
entta'uscht  sind  und  si 
der  Geschichte  das  Rek 
macht  die  Notwendigkei 
Arbeit  der  Linken  beso 
auseinandersetzungen, 
rlicken  wird,  nicht  von 
kaden"  zu  wissen. 

Es   kommt  deshalb  darauf  an,  an  den  fur  die  Angehbrigen  der  Mittel- 
schicht sichtbaren  Disparitaten  im  politischen  Kampf  den  Zusammen- 
hang  von  Disparitaten  innerhalb  des  AuBerproduktionsbereichs  als 
Folge  der  Produktionsverhaltnisse  herzustel len,  die  objektive  weit- 
gehende  Interessenidentitat  rait  der  Arbeiterklasse  zu  vermitteln, 
um  die  subjektive  Bereitschaft  zur  Vera'nderung  der  Gesellschaft  als 
Notwendigkeit  zu  entwickeln  und  zu  starken  und  die  Mittelschicht 
damit  fur  die  Arbeiterklasse  biindnisfahig  werden  zu  lassen. 

Insoweit  ist  die  politische  Arbeit  mit  nicht-proletarischen  Gruppen. 
im  AuBerproduktionsbereich  keine  Verlegenheitslbsung,  sondern  Erga'n- 
zung  zur  Arbeit  in  der  Produktion. 


Die  Kreisstadt  Pinneberg   sucht   ab   sofort,   bis   spatestens    1.1.1975 

SOZIALPADAGOGEK 

fiir   die  Arbeit   im  Jugendzentrum  der  Stadt. 

Im  Jugendzentrum  Pinneberg  wird   neben  der  Arbeit  mit   geschlossenen 

Gruppen(Verhaltensauffallige)   offene  Jugendarbeit  geleistet. 

Das    Land  hat   dieser   Arbeit  Modelleharakter    zugebilligt.    Der   Schuer- 

punkt  der   Arbeit   liegt   also   neben  der   Koordination  samtlicher 

Aktivitaten  im  Haus   in  der  Anleitung  und  Forderung  jugendlicher 

Mitarbeiter   und   Gruppen  mit   dem   Ziel    eines    selbstverwalteten  Jugend- 

zentrums.    Es  gibt   jetzt   etwa  2o  Mitarbeiter.   Bezahlung:    BAT  V/IVb 

Anfragen  und  Bewerbungen   an:    Evamaria  u.    Hans-Peter  Heins-Ruehs, 
22o1    Kurzenmoor,   Hof  3o,   Telefon:    olj121/6333l 


4.  ZUR  RJNKTIONSBESTIMMUNG  DER  SOZIALARBEIT 
INNERHALB  STAATLICHER  REFORMPOLITIK 


Um  die  Besonderheiten,  die  die  gegenwartige  Reformauseinandersetzung 
innerhalb  der  Sozialarbeit  bestimmen,  herausarbeiten  zu  kbnnen, 
scheint  es  uns  notwendig,  im  AnschluB  an  die  vorangehenden  Teile  die 
Funktionen  der  Sozialarbeit  in  ihrer  historischen  Entstehung  und 
Kontinuitat  kurz  zu  skizzieren. 

In  dem  MaBe  wie  der  Kapitalismus  in  Deutschland  zum  gesellschaftl ich 
herrschenden  Verhaltnis  wird,  bringt  er  zwei  Probleme  hervor,  die 
den  Inhalt  der  -  bis  heute  ungelbsten  -  "sozialen  Frage"  ausmachen: 
Einmal  muB  die  Arbeitskraft  in  Perioden  ihrer  durch  die  Kapitalakku- 
mulation  bedingtenFreisetzung  vom  ArbeitsprozeB  erhalten  werden  (25), 
zum  anderen  muB  die  revolutionare  Patenz  des  vom  Kapital  als  neue 
Klasse  hervorgebrachten  Proletariats  unter  Kontrolle  gebracht  werden. 
Noch  bevor  der  Staat  hier  mit  MaBnahmen  zur  Sicherung  der  Reproduk- 
tion  der  Arbeitskraft  und  Repression  organisatorischer  Ansatze  ein- 
greift,  Libernahm  das  Blirgertum  "aus  dera  sicheren  Gesplir  fur  die  Be- 
drohlichkeit  der  Lage  und  der  Bedrohtheit  seiner  eigenen  Existenz"  (26) 
diese  Aufgabe  in  Form  der  Armenpflege  unter  Aufsicht  kommunaler  Exe- 
kutivorgane  wahr. 


Die  Sonderstellung  der  Sozialarbeit 
und  ihre  historische  Kontinuitat 


Aus  der  Armenpflege  entwickelte  sich,  bekanntlich  liber  die  Zwischen- 
schritte  Wohlfahrtspflege  und  Fursorge,  die  Sozialarbeit.  Die 
bkonomischen  und  pol itischen  Motive,  die  der  burgerlichen  Armen- 
pflege  des  19.  Jhd.  zugrundelagen,  sind  dabei  im  wesentlichen  unver- 
andert  g Li  1  tig  geblieben:  Versorgung  der  Armen  bzw.  psychisch  Verelen- 
deten  mit  mbglichst  geringen  Mitteln  und  Kontrolle  der  "Abweich- 
ler"  (27). 

Armenpflege,  Hohlfahrt,  Fursorge,  Sozialarbeit  waren  und  sind  gegen 
die  soziale  Bewegung,  die  auf  ckonomische  Emanzipation  des  arbeiten- 
den  Teils  der  Bevblkerung  gerichtete  Bestrebungen,  Teil  der  Strate- 
gie  der  herrschenden  Klasse  zur  Dampfung  des  Klassenkampfes. 
Die  Entwicklung  der  Sozialarbeit  ist  zu  sehen  innerhalb  einer  Tra- 
dition von  sozialen  Reformen,  in  der  "soziale  Sicherheit  nicht  um 
der  zu  Sch'u'tzenden  willen  angestrebt  wird,  sondern  als  Mittel  gegen 
die  soziale  Revolution."  (28) 

Die  Veranderungen  der   sozialen  Arbeit  im  Verlauf  ihrer  Geschichte 
bezogen  sich  niemals,  wie  die  Ideologen  gern  glauben  machen  mbchten, 
auf  die  veranderten  Bedurfnisse  der  Klienten,  sondern  sind  als  takti- 
sche  flnderung  des  Vorgehens  dem  sich  organisierenden  Proletariat 
gegeniiber  anzusehen  bzw.  als  Anpassung  der  Arbeitsformen  an  die  im 


26 


Verlaufe  des  Akkumulationsprozesses  produzierten  gesell schaftl ichen 

Konflikte. 

Als  klar  wird,  daB  mit  Repression  allein  die  soziale  Bewegung  nicht 

aufzuhalten  ist,  treten  die  burgerlichen  Sozi a  1  reformer  und  "Staats- 

sozialisten"  auf  den  Plan.  Flir  sie  ist  die  soziale  Frage  eine  Frage 

der  Integration  der  Arbeiter  in  die  bestehende  Gesel lschaft,  der 

Klassenversbhnung  unter  Auslassung  der  Revolution.  Durch  kluge  Reform- 

politik  sollen  die  Herrschenden  die  Revolution  verhindern.  (29) 

In  diesem  taktischen  Konzept  von  Reformpol itik  hat  Sozialarbeit  ihren 

Platz. 

Die  besondere  Stellung  der  Sozialarbeit  innerhalb  des  Staats-  bzw. 
kommunalen  Verwaltungsapparats  resultiert  aus  ihren  besonderen  Auf- 
gaben.  Wo  Kontrollaufgaben  wahrzunehmen  und  Ansprliche  zu  prufen  sind, 
ist  ein  enger  Kontakt  mit  den  Betroffenen  notwendig.  Wiirde  der  So- 
zialarbeiter  nur  als  Funktionstrager  auftreten,  kbnnte  er  nicht  das 
Vertrauensverhaltnis  herstellen,  das  eine  Informationsbeschaffung  - 
ohne  daB  der  Betroffene  etwas  merkt  -  ermbglicht. 

Klienten,  deren  Probleme  durch  Sozialarbeit  nicht  zu  Ibsen  sind,  miis- 
sen  wenigstens  beschwichtigt  werden.  Auch  das  gelingt  desto  besser, 
je  weniger  der  Sozialarbeiter  als  Funktionstrager  auftritt.  Der  Ein- 
satz  bei  neu  auftauchenden  Problemen,  wie  z.B.  der  Zunahme  von  Trebe- 
gangern,  erfordert  eventuelle  neue  Arbeitsformen  und  unkonventionel- 
les  Vorgehen  (z.B.  Einrichtung  von  Beratungsstellen,  Zulassung  von 
Wohnkollektiven). 

Diesem  besonderen  Inhalt  der  Sozialarbeit  entspricht  die  besondere 
Form  ihrer  Arbeitsweise.  In  dem  MaBe  wie  die  Mittel  der  alten  Armen- 
pflege, Repression  und  Androhung  von  Sanktionen  abgelbst  wurden  von 
den  Zielvorstellungen  der  Resozial isierung  und  Sozialpadagogik,  kommt 
dem  sogenannten  "Vertrauensverhaltnis"  zwischen  Sozialarbeiter  und 
Klient  eine  besondere  Bedeutung  zu.  Die  Fiktion  des  Vertrauensverhal t- 
nisses  -  Fiktion  deshalb,  weil  jede  rechtliche  Grundlage  dafiir  fehlt  - 
macht  Sozialarbeit  erst  mbglich.  Mb'glich  dadurch,  daB  der  Klient, 
der  den  Vertretern  der  staatlichen  Sozialarbeit  mit  eben  jenem  MiB- 
trauen  begegnet,  das  angebracht  ist  in  einer  Gesellschaft,  in  der  er 
auch  sonst  keine  uneigennutzige  "Hilfe"  erwarten  kann,  uber  den  wirk- 
1  ichen  Zweck  von  Sozialarbeit,  der  nicht  Hilfe,  sondern  Kontrolle 
ist,  getauscht  wird. 

Aber  nicht  nur  das:  Erst  wenn  der  Sozialarbeiter  selbst  an  das  Ver- 
trauensverhaltnis" glaubt,  kann  er  das  leisten,  was  er  leisten  soil: 
einerseits  den  Klienten  zum  Ertragen  seiner  schlechten  Real i tat  uber- 
reden,  und  gleichzeitig  Informationen  sammeln  Liber  ihn  (und  aktenkun- 
dig  zu  machen,  womit  sie  seiner  Verfiigung  entzogen  sind),  die  stets 
abrufbar  die  Disziplinierung  des  Klienten  ermbgl ichen. "  (30) 

In  der  Fiktion  des  Vertrauensverhaltnisses,  die  auf  diese  Weise  sehr 
real  wirksam  ist,  druckt  sich  der  flir  die  Sozialarbeit  charakteri- 
stische  Konflikt  aus. 

WLirde  der  Sozialarbeiter  das  Vertrauensverhaltnis  ernst  nehmen,  tat- 
sachlich  von  "Mensch  zu  Mensch  helfen",  "so  bestu'nde  Gefahr,  daB 
Klient  und  Sozialarbeiter  sich  solidarisieren  und  gemeinsam  gegen  die 
qesell  schaftl  ichen  Ursachen  des  El  ends  der  Klienten  kampfen  wiirden. 
Dank  der  Parzellierunq  ist  der  Sozialarbeiter  jedoch  nur  flir  ein 
Symptom  und  nicht  fur  dessen  gesellschaftl  iche  Ursachen  zustandig 

-  27  - 


(und  mit  einem  Symptom  kann  man  sich  kaum  identifizieren. ) 
Wiirde  sich  der  Sozialarbeiter  ungekehrt  zynisch  auf  das  ihm  zugewie- 
sene  Symptom  beschranken,  wiirde  er  wie  ein  Bandarbeiter  nur  die 
Schraube  anziehen,  flir  die  er  zustandig  ist,  so  wiirde  der  Klient  bald 
merken,  daB  der  Sozialarbeiter  ihm  nicht  wirklich  hilft.  Sowohl 
"die  Menschlichkeit"  als  auch  die  unverhullte  Methode  schneller  Ab- 
fertigung  hatten,  flir  sich  allein  genommen,  eher  revolutionare  Wir- 
kung.  Erst  die  Kombination  von  Menschlichkeit  und  schneller  Abfer- 
tigung  hat  zur  Folge,  daB  der  Klient  beschwichtigt  wird,  ohne  daB 
dabei  flir  inn  etwas  abfallt."  (31)  Das  menschliche  Engagement  des 
Sozialarbeiters  ist  kein  unerhebliches  privates  Akzidenz,  es  ist  das 
"Schmierol,  das  eine  Sozialarbeit  braucht,  die  die  Klienten  in  "Falle" 
verwandelt  und  im  Fl ieBbandverfahren  abfertigt."  (32/33) 

Urn  die  Funktion  der  Sozialarbeit  durchzusetzen,  muB  der  Funktions- 
trager  selbst  dazu  gebracht  werden,  sich  und  dem  Klienten  blauen 
Dunst  vorzumachen. 

Das  gelingt  jedoch  nur  teilweise.  Das  fingierte  Vertrauensverhaltnis 
la'Bt  den  Sozialarbeiter  nicht  unberiihrt.  Konfrontiert  mit  dem  El  end 
des  Klienten  und  gehalten,  ch'esem  gegenuber  nicht  als  bloBer  Funk- 
tionstrager  aufzutreten,  entwickelt  er  ein  Selbstverstandnis,  das  der 
objektiven  Funktion  entgegengesetzt  sein  kann.  L'm  die  mb'gliche  Sol  i- 
darisierung  mit  dem  Klienten  zu  verhindern,  war  die  Integration  der 
Sozialarbeit  in  die  Verwaltung  und  die  Verpflichtung  zur  Staatsloyal i- 
tat  historisch  notwendiq  geworden.  Sozialarbeit  als  Berufsarbeit  in 
grb'Berem  Umfange  und  in  der  noch  heute  gultigen  Konstruktion  ist 
eine  "Errungenschaft  des  Sozialstaates  der  Weimarer  Republik."  (34) 
Die  Integration  des  neuen  Berufs  in  die  Verwaltung  bereitete  von 
Anfang  an  Schwierigkeiten.  Seither  ist  dieser  Konflikt  zwischen  in- 
stitutionellem  Zweck  und  Selbstverstandnis  der  Sozialarbeiter  perma- 
nent. (35) 

Unter  kapitalistischen  Bedingungen  wird  dieser  Konflikt  zwar  immer 
zugunsten  der  Institution  entschieden  werden.  Aufgrund  ihrer  aufga- 
benbedingten  Sonderstellung  im  Staatsapparat  haben  Sozialarbeiter  je- 
doch die  Mb'glichkeit,  in  bestimmten  Situationen  ihr  Selbstverstandnis 
den  etablierten  Interessen  gegenliberzustellen.  Das  gibt  insbesondere 
dann,  wenn  der  Reformbedarf  den  Sozialstaat  vor  die  Notwendigkeit 
stellt,  einen  Teil  seines  wissenschaftlichen  und  technischen  Poten- 
tials zur  Steuerung  sozialer  Probleme  einzusetzen.  Urn  das  zu  kbnnen, 
ist  der  Staat  auf  die  Mitarbeit   der  Sozialarbeiter  angewiesen,  und 
in  diesem  Zusammenhang  auch  genb'tigt,  kritische  Initiativen  der  So- 
zialarbeiter zuzulassen.  (36) 


Der  Konflikt  zwischen  dem  institutionellen  Zweck 
und  dem  Selbstverstandnis  der  Sozialarbeiter 


Wie  bereits  festgestellt  wurde,  ist  Sozialarbeit  Teil  des  Staats- 
apparates  und  dient  ihrem  Auftrag  gema'B  objektiv  der  Ruhigstel  lung 
und  der  Diszipl  inierung  der  Arbeiterklasse  und  anderer  Telle  der 
lohnabhangigen  Bevblkerung.  Sie  dient  damit  der  Aufrechterhaltung 
der  kapitalistischen  Gesel lschaftsordnung.  So  schutzt  die  Sozialar- 
beit den  Status  quo  samt  alien  Ungerechtigkeiten  und  Unterpriviligie- 


28 


rungen.  Unmittelbar  oder  mittelbar  sorgt  sie  also  dafur,  daB  weiter- 
hin 

-  das  Produktivvermbgen  in  der  Hand  weniger  bleibt, 

-  die  Uberwiegende  Hehrheit  der  Bevblkerung  gezwungen  ist,  ihre  Ar- 
beitskraft  zu  Bedingungen  zu  verkaufen,  auf  die  sie  keinen  EinfluB 
hat, 

-  die  Armut  so  verwaltet  wird,  daB  sie  nicht  als  Massenelerd  in  Er- 
scheinung  tritt, 

-  die  bestehenden  Herrschaftsverhaltnisse  stabilisiert  und  soziale 
Probleme  nicht  bewaltigt,  sondern  verschleiert  werden. 

Erst  seit  etwa  1968  wurde  vielen  Sozialarbeitern,  im  Zusammenhang 
mit  der  Studentenbewegung  allmahlich  klar,  daB  ihr  staatlicher  Auf- 
trag ein  ganz  anderer  war  als  ihr  bisheriges  Selbstverstandnis  von 
Sozialarbeit.  Es  wurde  ihnen  damit  bewuBt,  daB  sie  bisher  ohnma'chtig 
und  teils  bewuBtlos  an  gesel Ischaftlichen  Symptomen  herumkuriert  hat- 
ten  und  nicht  an  den  eigentlichen  Ursachen  der  Misere,  daB  die  allge- 
meine  Vernachlassigung  ihres  Berufsfeldes  ein  strukturelles  Problem 
ist,  bedingt  durch  ein  System,  in  dem  Profit  und  dessen  private  An- 
eignung  an  erster  Stelle  der  gesellschaftlichen  Priorita'tsliste  ste- 
hen.  Es  wurde  damit  klar,  daB  private  Initiativen  und  privates  Eigen- 
tum  an  Produktionsmitteln  Vortritt  haben  vor  kostenverursachenden 
sozialen  Fragen.  Hit  dieser  Erkenntnis  wurde  aber  auch  deutlich, 
daB  es  bei  der  Verteilung  des  gesellschaftlichen  Reichtums  flir  bes- 
sere  soziale  Verha'ltnisse  letzten  Endes  um  eine  politische  Auseinan- 
dersetzung  geht,  die  die  Sozialarbeiter  allein  als  kleine  Berufsgrup- 
pe  jedoch  nicht  leisten  kbnnen.  Hinzu  kommt  noch,  daB  sie  es  bisher 
nicht  gewohnt  waren,  Forderungen  an  die  Verteiler  der  Mittel  zu  stel- 
len.  Auch  ihre  bisherige  Ideologie  des  "Helfens  und  Dienens"  machte 
ihnen  bewuBtseinsma'Big  groBe  Schwierigkeiten. 


Insgesamt  wurde  allerdings  der  lange 
zwischen  dem  Anspruch  des  Helfenwoll 
ten  Arbeitsbedingungen  und  der  Reali 
virulent  und  drohte  in  den  folgenden 
Rahmen  zu  sprengen.  In  dieser  brisan 
fast  alien  Ebenen  der  Sozialarbeit  z 
ten  der  vorgesetzten  Sozialbehbrden. 
liner  "Model lbewegung"  soil  der  Vers 
zeB  zwischen  Auftrag  und  Anspruch  ku 


Zeit  latent  gebliebene  Konflikt 
ens,  der  Veranderung  der  schlech- 
sierungschancen  dieser  Anspruche 

Jahren  den  institutionellen 
ten  Situation  kam  es  dann  auf 
u  Kooperationsangeboten  von  sei- 

Anhand  eines  Beispiels  der  Ber- 
uch  gemacht  werden,  diesen  Pro- 
rz  nachzuzeichnen. 


Ein  weiteres  Moment  muB  dabei  aber  noch  berucksichtigt  werden: 
"Seit  Jahren  fordern  Sozialarbeiter,  daB  ihre  Arbeit  Arbeit  mit  Men- 
schen  und  nicht  an  der  Akte  zu  sein  habe,  fordern  sie  hbhere  finan- 
zielle  Aufwendungen  und  Raum  fur  die  Anwendung  neuer  Methoden.  Trotz 
der  bestandig  gefuhrten  Diskussion  neuer  Arbeitsformen  auf  Tagungen 
und  Fortbildungsveranstaltungen  blieben  die  dort  entwickelten  Ansa'tze 
ohne  Wirkung  auf  die  Praxis."  (37) 

Der  erste  Schritt  zu  einer  Veranderung  der  institutionellen  Sozial- 
arbeit wurde  jedoch  nicht  von  den  Sozialarbeitern  selbst,  sondern 
von  wissenschaftlich  geschulten  Spezialisten  der  hbheren  Sozialbe- 
hbrden eingeleitet:  als  Reform  von  oben.  Dieser  Schritt  war  nicht 
allein  auf  den  Druck  der  Basis  hin  geschehen,  sondern  war  ebenfalls 
Ausdruck  objektiver  Tendenzen  der  gesellschaftlichen  Entwicklung, 
welche  tradierte  Arbeitsformen  und  bestehende  Organisationsstruktu- 


-  29  - 


ren  in  Widerspruch  zur  geforderten  Rational itat  und  Effekti vi tat 
sozialarbeiterischen  Handelns  geraten  lieBen. 


Mogl i chkeiten  und  Grenzen  der  Reformpolitik 
in  Model! versuchen  am  Beispiel  "Teamarbeit" 


emotionale  Zufriedenheit  und  Effektivierung  der  Arbeit,  ohne  die 
angestrebten  Inhalte  einer  zur  verandernden  Sozialarbeit  miteinzu- 
planen.  Erklartes  Ziel  von  seiten  der  Sozialblirokratie  aber  war,  die 
aufbrechende  Unruhe  und  beginnende  Politisierung  der  Sozialarbeiter 
zu  kanal isieren,  indem  ihnen  technokratische  Modelle  zum  Herumwer- 
keln  angeboten  wurden. 


Den  Modellen  gemeinsam  war  zunachst  die  programmatische  Forderung, 
Sozialarbeit  kiinftig  als  "Teamwork"  zu  betreiben.  Durch  "Teamwork" 
sollten  die  Interessen  der  Sozialblirokratie  und  die  Forderungen  der 
Sozialarbeit  auf  einen  gemeinsamen  Nenner  gebracht  werden.  Die  Sozial- 
blirokratie erhoffte  sich  von  der  "Teamarbeit"  eine  Effektivitats- 
steigerung  der  Sozialarbeit  und  die  Beseitigung  der  Unzufriedenheit 
der  Sozialarbeiter  Liber  ihre  Arbeitssituation.  Die  Sozialarbeiter  ver- 
sprachen  sich  von  dieser  "Reform"  den  Abbau  hierarchischer  Struktu- 
ren,  eine  graduelle  Entlastung  in  der  Arbeit,  die  Aufhebung  der  bis- 
herigen  Vereinzelung  am  Arbeitsplatz  und  eine  Sol idarisierung  mit 
den  Interessen  und  Bediirfnissen  ihrer  Klienten.  Nicht  zufallig  fiel 
gerade  den  "Teams"  die  allgemeine  Funktion  zu,  den  schwelenden  Kon- 
flikt  zwischen  den  emanzipatorischen  Anspriichen  der  Sozialarbeiter 
und  dem  sozialburokratischen  Auftrag  nach  Effektivierung  der  Arbeit 
zu  schlichten,  denn  die  "teams"  signalisierten  flir  die  Sozialburo- 
kraten  vor  allem  Zweckrationalitat.  Der  wesentliche  Vorteil  dabei 
sollte  sein,  daB  der  vorgegebene  Zweck  auf  Grund  reibungsloser  Koope- 
ration  mit  minimalem  Krafteaufwand  erreicht  werden  sollte. 

Das  "Team"  als  Arbeitsorganisation  ist  aber  keine  Erfingung  der 
Sozialblirokratie,  es  wurde  vieltnehr  von  jenen  pfiffigen  Sozialpsy- 
chologen  entwickelt,  die  im  Verlaufe  ihrer  experimentellen  Untersu- 
chungen  bei  den  Hawthornewerken,  einer  Zweigstelle  der  Western 
Electric  Company,  zu  der  uberraschenden  Einsicht  gelangten,  daB  Ar- 
beiter  eine  Seele  und  soziale  Bedlirfnisse  haben.und  daB  sie  sich 
nicht  alles  gefallen  lassen. 

Bei  Rational isierungsmaBnahmen,  so  lautete  ihre  Lehre,  habe  ein  Un- 
ternehmer  stets  zwei  Faktoren  zu  beriicksichtigen:  Effektivitatsstei- 
gerung  und  Zufriedenheit  der  Arbeiter. 

"Die  Befolgung  rationellster  Arbeitsmethoden  wirft  zwangslaufig  die 
Frage  nach  den  einzelnen  Menschen  und  ihren  Beziehungen  untereinan- 
der  auf;  ihre  innere  Einstellung,  ihre  Empfindungen  und  Geflihle  miis- 
sen  berlicksichtigt  werden.  Vom  technischen  Standpunkt  lassen  sich 
viele  Dinge  in  einem  Unternehmen  besser  und  rationeller  gestalten, 
aber  was  bedeutet  der  Begriff  "erhbhte  Leistung",  wenn  die  Einflih- 
rung  technischer  Veranderungen  letzten  Endes  einen  Streik  nach  sich 
zieht."  (38) 

Das  Arbeitsteam  bewahrte  sich  bei  den  Versuchen  dabei  besonders,  weil 
es  den  entgegengesetzten  Zwecken  dient;  die  Arbeit  der  bislang  iso- 
liert  Arbeitenden  macht  mehr  SpaB  und  zugleich  steigern  sie  dabei 
ihre  Arbeitsleistungen,  was  flir  den  Unternehmer  wieder  mehr  Profit 
bringt. 

Diese  Bemerkungen  mbgen  hinreichen,  um  zu  verdeutlichen,  welche  Ober- 
legungen  sicherlich  die  sozialbiirokratischen  Reformer  leitete,  als 
sie  durch  Teamarbeit  die  Sozialarbeit  "reformieren"  wollten.  Diese 
Angebote  beschranken  sich  jedoch,  wie  bei  den  Hawthornewerken,  auf 

-  30  - 


Der  Zehlendorfer  Konflikt 


An  einem  in  der  Praxis  abgelaufenen  "Modellversuch"  sollen  die  Gren- 
zen von  "Teamarbeit",  wenn  sie  sich  nicht  allein  auf  Effektivitats- 
steigerung  und  auf  die  Forderung  nach  "Teamarbeit"  als  zentralem  Pro- 
grammpunkt  bornieren,  aufgezeigt  werden. 

Zunachst  soil  am  Modell  (39)  beschrieben  werden,  in  welcher  Form  die 
dortigen  Kollegen  versucht  haben,  bei  einer  anstehenden  Neubesetzung 
der  Stelle  eines  Leitenden  Sozialarbeiters  mitzuwirken,  es  soil  wei- 
ter  beschrieben  werden,  wie  ihre  Bemlihungen  aus  den  unterschiedl ich- 
sten  Grunden  scheiterten. 

Bei  der  Besetzung  der  Amtsleiterstelle  selbst  mitzuwirken,  sollte 
unter  anderem  ein  Versuch  sein,  sich  politisch  gegen  die  bestehenden 
Zwange  einer  generationsalten  Hierarchie  auf  unterster  Ebene,  deren 
geistiger  Ursprung  nichts  mit  den  so  viel  gepriesenen  Elementaran- 
spruchen  einer  "demokratischen  Gesellschaftsordnung"  zu  tun  hat,  ge- 
meinsam zu  wehren.  Befehlen  oder  Anordnen  auf  der  einen  Seite  und 
Gehorchen  oder  Ausfuhren  auf  der  anderen  Seite  sind  immer  noch  die 
beiden  dominierenden  Pole  in  einem  hierarchischen  System,  so  auch 
bei  der  institutionellen  Sozialarbeit. 

Die  jetzige  hierarchische  Organisationsform  behindert  die  fachliche 
Sozialarbeit  daru'ber  hinaus  in  vielfacher  Weise: 
"Der  Instanzenweg  bringt  es  mit  sich,  daB,  obwohl  nur  der  Sozialar- 
beiter Kontakt  zu  Klienten  hat,  die  Entscheidungen  liber  die  Bewilli- 
gung  eines  Teils  der  von  ihm  befurworteten  HilfsmaBnahmen  durch 
andere  Instanzen  der  Verwaltung  erfolgt,  die  die  Probleme  der  Klien- 
ten nur  aus  den  Akten  kennen.  Durch  das  Vetorecht  des  Vorgesetzten 
kann  jede  Arbeit  des  Sozialarbeiters  gemaBregelt  und  jede  Eigeniniti- 
ative  zum  Erliegen  gebracht  werden.  Diese  Struktur  la'Bt  dem  bekann- 
ten  Verhaltensmechanismus  zwischen  Weisungsbefugten  und  Weisungsver- 
pflichteten  entstehen.  Es  wird  bestandig  die  Meinung  des  Vorgesetzten 
reproduziert  und  entsprechend  praktiziert.  Auf  diese  Weise  wird  der 
Status  quo  der  Verwaltungshierarchie  aufrechterhalten  und  neue  Koope- 
rative  und  im  Interesse  der  Klienten  effektivere  Arbeitsformen  ver- 
hindert."  (40) 

Der  konkrete  Wunsch  nach  Demokratisierung  der  Amtsstruktur  und  nach 
Mitbestimmung  hatte  verschiedene  Gru'nde.  Oberwiegend  war  er  auf 
eine  Entwicklung  zurlickzuflihren,  die  das  Amt  seit  1969  genommen  hat- 
te- Nach  einer  Arbeitstagung  mit  den  Leitenden  der  Abteilung,  wo 
Uber  die  Problematik  der  EinfUhrung  von  "Teams"  und  iiber  die  Situa- 
tion am  Arbeitsplatz  im  besonderen  diskutiert  wurde,  gingen  die  Kol- 
legen davon  aus,  daB  in  Zukunft  alle  Mitarbeiter  gleichberechtigt, 
nach  vorheriger  Diskussion  und  Abstimmung,  an  alien  wichtigen 

-  31  - 


Entscheidungen,  die  die  Arbeit  direkt  betreffen,  beteiligt  werden 
soil  ten. 

Folgende  Ziele  sollten  gemeinsam  angestrengt  werden: 

-  Einfuhrung  von  Teamarbeit 

-  Demokratisierung  der  Amtsstruktur  im  Fafu-Bereich 

-  Praktizierung  der  drei  Methoden  der  Sozialarbeit 

-  Schwerpunktverlagerung  von  Kontrollaufgaben  auf  partnerschaftl iche 
Arbeit  rait  den  Klienten  im  Sinne  von  Verselbstandigung  und  Emanzi- 
pation. 

Aus  diesen  Zielkonzeptionen  hatte  sich  unter  anderem  die  Konsequenz 
ergeben,  die  Aufgaben  des  Leitenden  Sozialarbeiters  und  seine  veran- 
derte  Stellung  innerhalb  des  Amtes  zu  uberdenken.  Die  "Machtposition" 
des  Leitenden  setzt  sich  hauptsachl ich  aus  seiner  Unterschriftenbe- 
fugnis,  dem  Vetorecht  bei  alien  wichtigen  Entscheidungen  und  aus 
seinem  Informationsmonopol  zusammen.  AuBerdem  hat  er  laut  Geschafts- 
verteilungsplan  die  Aufsicht  tiber  die  fachliche  Arbeit  der  Sozialar- 
beiter  zu  fuhren.  Gleichzeitig  wird  er  bei  den  bestehenden  Rechts- 
verhaltnissen  von  den  nachsthdheren  Ebenen  (Aufsichtspflicht)  zur 
Verantwortung  gezogen.  Da  eine  Abschaffung  der  Leitenden  in  der  Ver- 
waltung  -  wegen  der  auszuubenden  Kontrolle  Liber  die  "Untergebenen"  - 
nicht  vorgesehen  ist,  hangt  die  Umsetzung  von  neuen  Arbeitsinhal ten 
und  kooperativer  Zusammenarbeit  u.a.  auch  vom  "Demokratieverstandnis" 
des  Leitenden  auf  der  untersten  Ebene  der  Amtshierarchie  ab.  Ein 
"progressiver  Amtsleiter"  erschien  daher  durchaus  wlinschenswert. 

Als  im  Juni  71  die  Stelle  der  Leitung  neu  im  Amt  zu  besetzen  war, 
hatten  die  Kollegen  die  bisherige  Diskussion  erneut  aufgegriffen  und 
bei  der  Abteilungsleitung  die  Mitwirkung  an  der  Besetzung  der  Stelle 
gemeinsam  gefordert.  Zur  Neubesetzung  der  Stelle  wurden  folgende 
Forderungen  aufgestellt: 

"1.  Bekanntmachung  aller  Bewerber  mit  Lebenslauf,  (alle  20  Stimmen 
der  Anwesenden  sind  dafiir). 

2.  Vorstellung  der  Bewerber  in  der  Fafli  unter  Darlegung  ihrer  Kon- 
zeption  von  den  Aufgaben  eines  Leiters  des  Amtes  und  ihrer  Vor- 
stellungen  Liber  die  Zielsetzung  von  Sozialarbeit  in  der  heutigen 
Gesellschaft  und  anschl ieBende  Diskussion  (alle  20  Anwesenden 
stimmen  dafLir). 

3.  Personendiskussion  und  geheime  Wahl  innerhalb  der  Famil ienfursor- 
ge.  Die  Wahl  ist  gliltig,  wenn  einer  eine  2/3  Mehrheit  auf  sich 
vereinen  kann  (18  der  Anwesenden  dafLir,  1  Gegenstimme). 

4.  Mitwirkung  bei  der  Besetzung  der  Stelle,  d.h.  Begrundung  des 
Wahlergebnisses  der  FafLi  vor  Personal  rat  und  -ausschuB  (18  der 
Anwesenden  dafLir,  eine  Enthaltung). 

5.  Grundsatzlich  halten  wir  es  fur  wLinschenswert,  daB  der  Leiter 
auf  Zeit  eingesetzt  wird  und  abwahlbar  ist  und  bitten  zu  priifen, 
ob  dies  innerhalb  der  beamtenrechtl ichen  Bestimmungen  mbglich 
ist  (17  dafLir,  2  Gegenstimmen) ."  (40) 

Nachdem  die  genannten  Forderungen  der  Abteilungsleitung  zugegangen 
waren,  wurden  die  Kollegen  einige  Tage  spater  diskret  darauf  hinge- 
wiesen,  daB  nach  dem  bestehenden  Beamtenrecht  eine  direkte  Mitwir- 
kung bei  Personal besetzungen  ab  Amtsratspositionen  nicht  mbglich  ist, 
hbchstens  die  Herstellung  eines  "Meinungsbildes".  Wieder  einige  Zeit 


32 


spater  hieB  es  dann  sogar,  daB  die  Funktion  der  Kollegenschaft  hbch- 
stens in  der  "Mithilfe"  bei  der  "eigenen  Entscheidungsfindung"  der 
Leitung  bestehen  kbnnte.  Statt  der  bisher  Libl  ichen  Praxis  bei  Vor- 
stel  lungsgesprachen  zwischen  Dienstherren  und  Bewerber  wurde  beim 
angestrebten  Verfahren  lediglich  der  Rahmen  durch  das  Kollegium  er- 
weitert.  Es  wird  den  Kollegen  jedoch  versprochen,  daB  die  "gemein- 
sam" erarbeiteten  Empfehlungen  an  den  PersonalausschuB  (Burgerdepu- 
tation)  und  die  Personal verwaltung  (tatsachl iche  Einstellungsbehbrde) 
von  Seiten  der  Abteilungsleitung  weitergegeben  wird.  Nach  den  bishe- 
rigen  Erfahrungen,  so  wurde  betont,  wurde  der  Empfehlung  der  Fachab- 
teilung  immer  entsprochen.  Gegen  den  geforderten  Verfahrensakt  sel- 
ber  (persbnliche  Vorstellung,  Personendiskussion,  geheime  Abstim- 
mung) wurden  keine  Einwendungen  gemacht. 

Nach  Eingang  von  4  Bewerbungen  wurde  auf  einer  Dienstbesprechung 
durch  den  Buroleiter  nach  der  vorhandenen  Personalakte  Liber  die 
Namen  der  Bewerber  und  deren  beruflichen  Werdegang  informiert.  Die 
Vorstellungsgesprache  wurden  einzeln  mit  den  Bewerbern  Liber  je  1  1/2 
Stunden  gefuhrt.  Anwesend  waren  die  Abteilungsleitung,  der  Personal- 
ratsvorsitzende,  ein  Vertreter  der  Beamtengruppe  im  Personal  rat  und 
die  gesamte  Kollegenschaft.  Nach  der  Vorstellung  der  4  Bewerber  erfolg- 
te  abschlieBend  eine  Personendiskussion  mit  den  beiden  Personalrats- 
vertretern  und  der  Abteilungsleitung. 

Die  geheime  Abstiramung  bringt  folgendes  Ergebnis:  Von  20  Mitarbei- 
tern  erhalt  der  Bewerber  Y  14  Stimmen,  der  Bewerber  Z  2  Stimmen, 
die  Bewerber  W  und  X  erhalten  keine  Stimme.  2  Kollegen  enthalten  sich 
der  Stimme,  2  schlieBen  sich  von  der  Abstimmung  aus. 

Nach  der  Abstimmung  ging  bald  das  Gerucht  um,  daB  der  Bewerber  X, 
der  keine  Stimme  von  den  Kollegen  bekommen  hatte,  Favorit  fur  die 
Stelle  von  Seiten  der  Bezirksamtsgremien  ware.  Von  diesem  versprache 
man  sich  am  ehesten,  daB  er  wieder  Rune  und  Ordnung  in  das  aufmupfi- 
ge  Amt  bringen  kbnnte. 

Nach  der  PersonalausschuBsitzung  und  der  darauf  folgenden  Bezirks- 
amtssitzung  (Stadtrate)  werden  die  Kollegen  offiziell  davon  unter- 
richtet,  daB  die  maBgebenden  Gremien  entgegen  dem  Vorschlag  der  Mit- 
arbeiter  und  der  Abteilungsleitung  fur  den  Bewerber  X  gestimmt  haben. 
Damit  hatte  sich  das  Gerucht  bestatigt.  Ein  nach  Meinung  der  Kolle- 
gen unqualifizierterer  Bewerber  wurde  von  oben  eingesetzt  werden. 
In  dieser  fur  die  Kollegen  deprimierenden  Situation  hatte  man  die 
Hoffnung,  daB  der  Personalrat  als  "Vertreter  der  Bediensteten"  die 
einzige  Institution  ware,  jetzt  noch  die  legitimen  Interessen  der 
Sozialarbeiter  zu  vertreten.  Zum  ersten  Mai  wird  auch  diskutiert,  ob 
es  sinnvoll  ware,  an  die  Bffentlichkeit  zu  gehen.  Dieser  Gedanke 
wurde  jedoch  wegen  fehlender  Solidaritat  untereinander  wieder  ver- 
worfen.  Das  Risiko,  sich  repressiven  MaBnahmen  auszusetzen,  war  in 
dieser  Situation  einigen  Kollegen  zu  groB.  Das  Bezirksamt  hatte  nam- 
lich  durchsickern  lassen,  daB  im  -  Falle  einer  Verbffentl ichung  -  in 
ein  "schwebendes  Verfahren"  eingegriffen  wLirde,  was  automatisch  fLir 
diejenigen  diszipl inarische  MaBnahmen  nach  sich  Ziehen  kbnnte. 
Dem  Personalrat  wird  eine  schriftliche  Stellungnahme  zu  den  einzel- 
nen  Bewerbern  ubergeben.  Der  Personalrat  lehnt  dann  auch  schriftlich 
den  vom  Bezirksamt  vorgeschlagenen  Bewerber  X  ab.  Warum  die  Ableh- 
nung  erfolgte,  konnte  mit  Hinweisen  auf  das  Personal vertretungsge- 


3.3 


setz  (Schweigepflicht)  nicht  erfahren  werden.  Die  Verhandlungen 
zwischen  der  Verwaltung  und  dem  Personalrat  scheitern,  die  Verwal- 
tung  bleibt  jedoch  bei  ihrer  Entscheidung. 

In  dieser  Phase  muBte  der  Hauptpersonalrat  eingeschal tet  werden.  Bei 
der  entscheidenden  Sitzung  zwischen  Hauptpersonalrat  und  der  Verwal- 
tung hatte  sich  der  ortliche  Personalrat  als  Alternative  zu  dem  Vor- 
schlag  der  Sozialarbeiter  nicht  auf  den  Bewerber  Y  .sondern  den  Be- 
werber  Z,  der  bis  dahin  Liberhaupt  nicht  im  Gesprach  war,  als  Kompro- 
miB  der  Verwaltung  vorgeschlagen.  Auf  Grund  dieser  Situation  schei- 
tert  die  Verhandlung  ebenfalls.  Von  dieser  Verhandlung  sickert  durch, 
daB  der  Hauptpersonalrat  bei  weiteren  Verfahren  die  Einigungsstelle 
nicht  anrufen  will,  wenn  der  ortliche  Personalrat  bei  seinem  Alter- 
nativvorschlag  Z  bleibt. 

Kommt  zwischen  dem  Personalrat  und  der  PV  keine  Einigung  zustande, 
nimmt  der  Hauptpersonalrat  Verhandlungen  mit  der  Abt.    PV  auf.    Wenn 
hier  keine  Einigung  erfolgt,   entseheidet  der  Leiter  der  Abt.   PV 
(§  62  Abs.    1    Ziff.    4  PersVG) .    Diese  Entscheidung  bedarf  jedoch  der 
Genehmigung  der  obersten  Dienstbehorde  -  hier  Senlnn    (§62  Abs.    I 
PersVG) . 

Bat  der  Senlnn  die  Entscheidung  des  Bezirksamts  genehmigt,    kann  der 
Personalrat  innerhalb  von  14  Tagen  beim  Hauptpersonalrat  beantragen, 
die  Einigungsstelle  anzurufen   (§  63  Abs.    1  PersVG)! 
Die  Einigungsstelle  wird  beim  Senlnn  gebildet  und  setzt  sich  susam- 
men  aus  6  Beisitzern  und  einem  unparteiischen  Vorsitzenden  =  1  Riahter. 
Die  Beisitzer  mussen  je  zuv  Halfte  vom  Senlnn  und  dem  Hauptpersonal- 
rat fiir  4  Jahre  gewahlt  werden      (§  634  PersVG). 

Wenn  die  oberste  Dienstbehorde  -  hier  Senlnn  -  nicht  mit  dem  Be- 
schluB  der  Einigungsstelle  einverstanden  ist,  kann  sie  binnen  eines 
Monats  nach  Zustellung  die  Entscheidung  des  Senats  von  Berlin  bean- 
tragen, was  in  den  letzten  21  Jahren  in  Berlin  noch  nicht  vorgekom- 
men  sein  soil . 

Die  Verwaltung  ubersendet  ihren  Vorschlag  X  zur  Genehmigung  an  die 
obersten  Dienstbehorde  (Senator  fiir  Inneres).  Nach  einigen  Wochen 
erfuhren  die  Kollegen,  daB  sich  der  Personalrat  entschlossen  hat, 
nicht  von  seinem  Recht,  die  Einigungsstelle  anzurufen,  Rebrauch  macht. 
Nun  besteht  keine  Moglichkeit  mehr,  den  Bewerber  Y  auf  dem  Wege  der 
"Mitwirkung"  durchzubringen. 

Der  Bewerber  X  bekam,  wie  vom  Bezirksamt  beschlossen,  seine  Stellung. 
Der  konkrete  Versuch,  mehr  "Demokratie"  in  der  Jugendhilfeverwaltung 
zu  praktizieren,  war  damit  vorerst  gescheitert. 


Lernprozesse  in  Reformauseinandersetzungen 

Die  von  der  Sozialburokratie  eingeleitete  Modellbewegung,  die  eine 
technokratische  Reform  in  den  fimtern  bedeutete,  ohne  gleichzeitig 
eine  inhaltliche  Veranderung  einzuschl  ieBen,  bescha'ftigte  die  Sozial- 
arbeiter nur  solange,  bis  sie  diese  Taktik  durchschauten.  Es  wurde 
jedoch  uber  mehrere  Jahre  hin  erreicht,  daB  die  politischen  Aktivi- 
taten  der  Sozialarbeiter  auf  inhaltliche  Veranderungen  ihrer  Arbeit 
gebunden  bzw.  lahmgelegt  wurden.  In  vielen  Berliner  Smtern  setzten 


-  34  - 


die  Sozialburokraten  darliber  hinaus  durch,  daB  mit  Einfuhrung  von 
Beratungsfursorgern  und  Gruppenleitern  eine  weitere  differenziertere 
Hierarchie  entstand. 

Ein  Zitat  aus  der  Vorstudie  zum  Berliner  Sozialatlas  macht  das  Gesag- 
te  noch  einmal  deutlich:  "Aktuelle  Notstande,  gesellschaftl icher 
'Wildwuchs',  das  Bestreben  nach  Verbesserung  der  bestehenden  Verhalt- 
nisse  motivieren  die  Sozialadministration,  sich  mehr  oder  weniger 
systematisch  mit  Planungsproblemen  zu  befassen.  Dabei  steckt  haufig 
ein  rein  technisch-rationaler  Ansatz  in  dem  Wunsch  nach  Berechenbar- 
keit  menschlichen  Verhaltens.  Systemrational  it'a't  soil  durch  wirkungs- 
volle  Sozialtechnik  (social  engeneering)  gesichert  werden.  Arbeits- 
untersuchungen  und  Organisationsstudien  sollen  die  zustandigen  Ver- 
waltungen  in  die  Lage  versetzen,  die  verfligbaren  personellen  und  fi- 
nanziellen  Mittel  effizienter  einzusetzen,  wobei  Eiffizienz  in  der 
Regel  an  den  Erwartungen  gemessen  wird,  die  'die  Gesellschaft1  an  die 
jeweilige  Verwaltung  stellt."  (41) 


Fur  den  sozialen  Bereic 
Innerhalb  der  kapitalis 
gaben  in  diesem  Bereich 
Systems  so  niedrig  wie 
60er  Jahren  der  finanzi 
verengt  hatte,  ergab  si 
auch,  fur  die  Spitzen  d 
sion,  die  sich  u.a.  in 
zienzsteigerung  der  Soz 
rung  muBte  vor  all  em  mi 
werden.  Dabei  bot  sich 
Teambereich  an. 


h  heiBt  das: 

tischen  Produktionsweise  sind  finanzielle  Aus- 
tote  Kosten.  Sie  mussen  im  Interesse  des 
moglich  gehalten  werden.  Da  sich  seit  den 
elle  Spielraum  des  Staates  tendenziell  stark 
ch  zwangslaufig,  wie  in  anderen  Bereichen 
er  Sozialburokratie  die  Tendenz  zur  Kompres- 
den  MaBnahmen  der  Modellbewegung  zur  Effi- 
ialarbeit  verfestigte.  Die  Effizienzsteige- 
t  dem  schon  vorhandenen  Personal  erreicht 
der  schon  im  Produktionsbereich  praktizierte 


An  dem  "Basismodell"  wird  zunachst  einmal  deutlich,  daB  Veranderungs- 
vorstel lungen  der  Sozialarbeiter  mit  einem  Federstrich  vom  Tisch  ge- 
fegt  werden  kbnnen.  Daran  kann  unter  den  bestehenden  gesellschaftli- 
chen  Verhaltnissen  in  den  Rmtern  auch  durch  sich  politisch  definie- 
rende  Gruppen  zunachst  nichts  geandert  werden,  da  die  Libergeordne- 
ten  Entscheidungsebenen  als  Machtinhaber  bisher  bis  auf  graduelle 
Nuancen  die  gleichen  geblieben  sind.  Es  wird  weiter  deutlich,  daB 
sich  die  Verwaltung,  als  Teilbereich  des  biirgerlich-kapital  istischen 
Staates,  dessen  immanentes  Hauptcharakterisitikum  seine  Rigiditat 
ist,  einem  Wandel  mit  alien  Mitteln  widersetzt.  Nur  wenn  gravie- 
rende  Disfunktionen  sich  durch  veranderte  gesamtgesellschaftl iche 
Verhaltnisse  herausbilden  und  somit  keine  anderen  Alternativen  mehr 
bleiben,  wird  sich  in  der  Verwaltung  etwas  andern.  Gerade  demokrati- 
sche  Forderungen  gefahrden  die  hierarchische  Verwaltung  aufs  auBerste, 
weil  sie  grundsatzl ich  antiburokratische  und  antikapital istische 
Inhalte  haben. 

Dies  zeigte  sich  auch  klar  in  dem  geschilderten  Modell ,  als  bereits 
nach  einigen  Wochen  das  Bezirksamt  (BVV)  nach  einer  Vorlage  der 
Personalverwaltung  folgendes  zur  "Kenntnis"  nahm: 
Das  Bezirksamt  nimmt  zur  Kenntnis,  daB  die  Auswahl  und  Entscheidung 
Uber  die  Einstellung  und  Beforderung  von  Dienstkra'ften  all  ein  dem 
Bezirksamt  bzw.  den  durch  die  Geschaftsverteilung  innerhalb  des  Be- 
zirksamtes  oder  den  durch  den  Geschaftsverteilungsplan  dazu  bestimm- 

-  35  - 


ten  Dienstkraften  obliegt.  Bewerbungsvorgange  sind  vertraulich  zu 
behandeln;  den  Mitgliedern  des  Bezirksamtes  oder  den  zu  personellen 
Entscheidungen  berufenen  Dienstkraften  bleibt  es  unbenommen,  sich 
von  einzelnen  leitenden  Mitarbeitern  beraten  zu  lassen.  Aus  diesem 
Grunde  und  mit  RUcksicht  darauf  diirfen  in  Personalangelegenheiten 
nur  Dienstkrafte  beteiligt  werden,  die  auf  Grund  von  Rechts-  oder 
Verwaltungsvorschriften  hierzu  befugt  sind.  Die  Vorlage  Nr.  ... 
wird  damit  gegenstandslos."  (Unverbffentlichtes  Protokoll) 
Damit  sind  in  diesem  Bezirksamt  auf  Jahre  alle  Mitwirkungsmbglich- 
keiten,  wenn  keine  anderen  gesetzlichen  Anderungen  kommen,  gestor- 
ben. 

Auch  das  bestehende  Personal vertretungsgesetz  (Pers.VG),  das  angeb- 
lich  die  Interessen  der  abha'ngig  Bescha'ftigten  wahrnehmen  soil, 
bietet  tatsHchlich  keine  Mbglichkeiten,  an  Entscheidungen  des  Per- 
sonalrats  mitzuwirken.  Es  liegt  somit  im  Ermessen  des  Personalrats, 
inwieweit  er  die  berechtigten  Interessen  der  Mitarbeiter  vertritt 
und  inwieweit  er  sie  an  Entscheidungen  beteiligt.  Aus  dem  Gang  des 
Verfahrens  wurde  ebenfalls  deutlich,  daB  die  Mitglieder  des  Perso- 
nalrats letzten  Endes  abha'ngig  vom  Bezirksamt  waren,  indem  sie  sich 
scheuten,  die  Einigungsstelle  anzurufen.  AuBerdem  sind  sie  durch 
das  PersVG  verpfl ichtet,  die  Friedenspfl  icht  gegeniiber  dem  Arbeit- 
geber  zu  wahren.  Daru'berhinaus  schlieBen  die  nicht  bffentlich  gehal- 
tenen  Sitzungen  und  die  Schweigepfl  icht  den  flir  eine  Mitwirkung  not- 
wendigen  InformationsfluB  aus. 

Aus  dem  Gesagten  ergibt  sich,  daB  demokratische  Veranderungen  in 
einer  burokratischen  Organisation  von  oben  kommen  und  universell 
sein  oder  von  unten  durch  Revolution  oder  eventuell  durch  "eine  Kom- 
bination  von  Verhandlungsstrategien  mit  kalkulierten  Gewaltakten" 
sein  mussen.  "Diese  Kombination,  sowie  Radikalitat  und  Kurzfristig- 
keit  der  Forderungen  sind  die  einzigen  Mittel,  mit  denen  verhindert 
werden  kann,  daB  . . .Initiativen  zu  Scheingefechten  auf  falschem 
Terrain  verkummern. "  (42) 

Gerade  die  letztgenannten  Voraussetzungen  werden  durch  die  Einbin- 
dung  der  Sozialarbeiter  in  den  Beamtenapparat  und  entsprechende  Be- 
amtengesetze  unmbglich  gemacht.  So  muB  sich  nach  §  52  Abs.  2  des 
Bundesbeamtengesetzes  der  Beamte  durch  sein  gesamtes  Verhalten  zur 
freiheitl ich-demokratischen  Grundordnung  bekennen  und  hat  nach  §  53 
bei  politischer  Betatigung  "diejenige  Ma'Bigung  und  Zuruckhal tung 
zu  wahren,  die  sich  aus  seiner  Stellung  gegeniiber  der  Gesamtheit 
und  aus  RUcksicht  auf  die  Pflichten  seines  Amtes  ergeben."  In  Klar- 
text  bedeutet  dies,  daB  jedes  entschiedene,  den  Status  quo  in  Frage 
stellende  Verhalten  als  nicht  gem'a'Bigt  und  nicht  zuruckhal  tend  genug 
eingestuft  und  mit  Diszipl inarmaBnahmen  geahndet  werden  kann.  Damit 
wird  dieser  Konflikt  immer  zugunsten  von  Institutionen  entschieden. 
Wie  sehr  diese  Vorschriften  gerade  gegen  progressive  Beamte  einge- 
setzt  werden,  zeigen  inzwischen  viele  Beispiele,  nicht  zuletzt  auch 
am  Neukbllner-Modell ,  wo  sich  die  Kollegen  flir  bessere  Lebensbedin- 
gungen  der  Bevdlkerung  einsetzen  wollten.  (43) 

Politische  Aktionen  der  Sozialarbeiter  bedeuten  innerhalb  der  Bliro- 
kratie  eine  ansatzweise  "Verselbstandigung"  von  Teilen  des  Repres- 
sionsapparates,  was  eine  Gefahr  signalisiert.  Es  darf  daher  nicht 
geduldet  werden,  da3  das  Bestehende  von  denjenigen  in  Frage  gestellt 


-  36 


wird,  die  von  Berufs  wegen  als  Beamte  dieses  Systems  zu  erhalten 
und  zu  schutzen  haben. 

An  der  Model lbewegung  wird  aber  auch  deutlich,  daB  der  "Sozialdemo- 
kratische  Reformismus"  als  politische  Strategie  von  oben  zur  Uber- 
windung  von  Konfliktpotential  aus  sich  heraus  neue  Widerspruche  ent- 
wickelte.   So  gebar  er  z.B.   die  Forderungen  nach  Demokratisierung 
der  Sozialarbeit  und  nach  einer  qualitativen  Verbesserung  der  Le- 
bensbedingungen  der  arbeitenden  Bevdlkerung. 
Solanqe  in  der  Model lbewegung,  die  ein  relativ  schwacher  Reflex 
auf  die  Widerspruche  im  Sozial-  und  Arbeitsbereich  ist.  der  bestehen- 
de Konflikt  zwischen  politischem  Anspruch  und  institutionellem  Auf- 
traq  nicht  gelbst  wird,  wird  jedoch  das  Widerspruchspotential  von 
der  Sozialburokratie  nicht  zu  integrieren  sein.  Gelingt  es  den  Sozial- 
arbeitern  weiter,  unabhangig  von  der  Model lbewegung,  ein  politisches 
Proqramm  zu  entwickeln,  dann  besteht  eventuell   langerfristig  die 
Moalichkeit,  den  sozialburokratischen  Reformismus  zu  uberwinden.   Der 
Ansatz  einer  solchen  Strategie  scheint  in  den  Forderungen  nach  mehr 
Demokratie  in  den  intern  und  der  qualitativen  Lebensverbesserung  der 
arbeitenden  Bevblkerung  zu  liegen.   Dazu  ist  «  Jedoch  notwendig. 
die  Widerspruche  auf  ihre  Ursprunge  zuruckzufuhren  und  die  Erfolge 
und  MiBerfolge  mehr  als  bisher  zu  untersuchen,  urn  anhand  der  Reak- 
tion  der  Verwal tung  die  Rolle  des  Staates,  als  Produkt  und  die  AuBe- 
rung  der  Unversbhnlichkeit  der  Klassengegensatze,  naher  zu  unter- 

"Damit'aber  diese  Gegensatze,  Klassen  mit  widerstreitenden  bkonomi- 
schen  Interessen,   nicht  sich  und  die  Gesellschaft     n  fruchtlosen 
Kamof  verzehren,  ist  eine  scheinbar  uber  der  Gesellschaft  stehende 
Macht  notwendig  geworden,  die  den  Konflikt  dampfen     innerte  b der 
Schranken  der  Ordnung  halten  soil;  und  diese,  aus  der  Gesellschaft 
hervorgegangene,  aber  sich  liber  sie  stellende.  sich  ihr  mehr  und 
mehr  entfremdende  Macht  ist  der  Staat.     (44) 

Fiir  die  Sozialarbeiter  bedeutet  dies  auch,  andere  Problem-  und  Kon- 
fliktbereiche,   die  Uber  die  Sozialarbeiterbewegung  hinausgehen, 
mit  in  die  Auseinandersetzung  einzubeziehen- 

D  e  Sozialarbeiter,  die  in  den  Amtern  die  Modellbewegung  und  ihre 
Grenzen  praktisch  am  eigenen  Leib  erfahren  haben,  war  die  P°j^ische 
Frfahrung,  sich  einen  Begriff  vom  Staatsapparat  und  den  Kraftever- 
Sltni  sen  zu  verschaffen,  wesentlich.   Hier  liegt  auch  der  tatsach- 
lirhe  Gewinn  ihrer  Aktionen,  namlich  erkannt  zu  haben,  daB  ihr  un- 
mittel barer  Gegner  nicht  das  Kapital,  sondern  der  Staat  und  seine 
behbrdlichen  Tr'a'ger  ist. 


ppfnrmversprechen  und  Reformwirkl ichkeit: 
D^?5^r±finentwurf  zum  Jugendhi  Ifegesetz 


Was  Wir  uber  Reformen  im  allgemeinen  gesagt  haben,  gilt  im  speziel- 
i!n  fur  den  Referentenentwurf  des  neuen  JHG.  An  diesem    Reformgesetz 
wollen  wir  drei  Aspekte  verdeutl ichen,  die  uns  auch  fur  den  prakti- 
,rhen  Umgang  mit  dem  Gesetz  wesentlich  erscheinen: 
i     Lformen  sind  prinzipiell   reaktiv,  sie  versuchen,  neu  auftreten- 
de  oder  sich  verandert  darstellende  Konflikte  nachtraglich  zu 


37   - 


regul ieren. 

2.  Der  Staatsapparat  zeigt  sich  in  der  Ausarbeitung  der  Reformvor- 
stellungen  widerspru'chlich,  teils  aus  parteipolitischen  Griinden, 
teils  aufgrund  der  zeitlichen  und  raumlichen  Ungleichheiten  in 
der  Entwicklung  emanzipatorischer  Bewegungen. 

3.  Der  Konflikt,  auf  den  das  Gesetz  eine  Antwort  ist,  bleibt  prin- 
zipiell  bestehen,  da  die  Forderungen  der  Betroffenen  in  der  Re- 
form nicht  aufgehen. 

-  Der  reaktive  Charakter  des  JHG  - 

DaB  es  dera  Staatsapparat  insgesamt  um  die  Stabil isierung  des  Kapi- 
talismus  und  nicht  um  die  Bedurfnisse  der  Betroffenen  geht,  versteht 
sich  aufgrund  des  Charakters  des  Staates  von  selbst.  Wir  verzichten 
darauf,  es  am  JHG-Entwurf  nochmals  im  Detail  nachzuweisen.  In  den 
Info-Heften  Nr.  6  u.  7  ist  bereits  das  Nbtige  dazu  gesagt  worden. 

Das  JHG  wurde  von  Personen  ausgearbeitet,  die  nicht  direkt  mit  die- 
sem  Gesetz  arbeiten  mussen  und  auch  nicht  von  diesem  Gesetz  betrof- 
fen  sind.  D.h.,  es  ist  eine  MaBnahme  von  oben,  die  von  den  Betroffe- 
nen schon  vor  der  endgliltigen  Verabschiedung  kritisiert  worden  ist. 
Der  Veranderung  des  JWG's  zum  OHG  ist,  wie  bei  alien  Gesetzen  und 
ihren  Knderungen,  ein  Konflikt  vorausgegangen. 
Insofern  reicht  es  nicht  aus,  zu  sagen,  daB  das  JHG  eine  Reform  von 
oben  ist.  Die  Einbeziehung  von  Mitbestimmung,  Wohngemeinschaften, 
die  Formulierungen  wie  "junger  Mensch",  "Partnerschaft"  etc  sind 
eine  Reaktion  auf  die  Proteste  der  Betroffenen,  die  sich  nicht  mehr 
mit  einem  durchgehend  repressiven  und  sie  zu  Objekten  machenden  Ge- 
setz herumkommand ieren  lassen.Der  alte  Konflikt,  den  das  JHG  regulie- 
ren  will,  betrifft  die  Familie,  genauer  gesagt:  die  nicht  funktionie- 
rende  Familie.  Dffentliche  Jugendhilfe  ist  subsidiar  ,  d.h. ,  in  der 
Regel  sieht  der  Staat  Erziehung  nicht  als  seine  Aufgabe  an,  sondern 
nur  dann,  wenn  die  Institution  Familie  nicht  in  der  Lage  ist,  ihre 
Aufgaben  wahrzunehmen,  springt  der  Staat  ein. 
Die  Herkunft  der  Jugendwohlfahrtsbehbrden  aus  Pol izeifunktionen 
gibt  einen  Hinweis  auf  den  Charakter  der  eingesetzten  Mittel.Bis 
heute  besteht  die  bffentliche  Jugendhilfe  vor  allem  aus  "MaBnahmen, 
Eingriffen  und  Anordnungen" .  Wer  ihr  anheimfallt,  ist  diskriminiert. 
Im  JWG  hat  der  Staat  ein  Instrument,  die  Einhaltung  bestimmter  norma- 
tiver  Funktionen  der  Familie  zu  sichern. 

Beim  Referentenentwurf  (RE)  des  JHG  handelt  es  sich  darum,  dieses 
Instrument  zu  modifizieren:  einerseits  an  eine  bestehende  gesell- 
schaftliche  Entwicklung,  andererseits  an  die  politischen  Zielvor- 
stellungen  der  herrschenden  Parteien  anzupassen. 

Die  wesentliche  normative  Funktion  der  Familie  ist,  Sozial isation 
als  Integration  in  die  bestehende  Gesellschaft  zu  betreiben.  Anders 
ausgedriickt:  eine  dem  Stand  der  Produktivkraftentwicklung  entspre- 
chende  Zurichtung  der  Arbeitskraft  zu  erzielen.  Verscharfter  Druck 
auf  die  Familie  durch  Intensivierung  der  Arbeit,  Integration  der 
Frau  in  die  betriebliche  Arbeit,  lassen  Famil ienprobleme  anwachsen; 
neuere  Entwicklungen  des  Arbeitsmarktes  wie  Kurzarbeit  und  verrin- 
gertes  Lehrstellangebot  bedeuten  einen  realen  Verlust  an  Integra- 
tionsmbglichkeiten. 
Integrationsforderungen  und  die  sie  begleitende  Aufstiegsideologie 


38  - 


geraten  in  widerspruch  zur  offenkundigen  Verschlechterung  der  Lebens- 

verhaltnisse  groBer  Bevbl kerungsteile. 

In  der  Praxis  der  Sozialarbeit  drlickt  sich  diese  "Krise  der  Familie" 

in  Scheidungsprozessen,  notwendigen  Heimeinweisungen,  Eingriffen 

bei  KindesmiBhandlungen  etc.  aus. 

Der  Funktionsverlust  der  Familie  zeigt  sich  nicht  zuletzt  daran, 

daB  Kinder  und  Jugendliche  als  "Trebeganger"  den  Versuch  machen,  sich 

ihrer  Familie  und  staatlichen  MaBnahmen  zu  entziehen. 

DaB  es  nicht  bei  spontanen  und  individuellen  Versuchen  bleibt,  son- 
dern Jugendliche  in  der  Lage  sind,  einen  Teil  ihrer  Lebensverhal tnis- 
se  selbst  zu  bestimmen,  zeigen  Wohngemeinschaften  und  zeigt  sich 
insbesondere  am  Georg-von-Rauch-Haus. 

Die  Entstehung  von  Jugendwohnkollektiven  und  Jugendwohngemeinschaften 
ist  nicht  zu  trennen  von  der  sich  in  den  60er  Jahren  immer  starker 
formierenden  auBerparlamentarischen  Opposition.  Die  APO  stutzte  sich 
kaum  auf  die  Arbeiterbewegung  und  ihre  Traditionen,  sondern  haupt- 
sachlich  auf  die  studentische  Jugend  und  gesellschaftl iche  AuBensei- 
ter.  Theoretischer  Bezugspunkt  waren  vor  allem  die  Schriften  H.  Mar- 
cuses, speziell  seiner  Randgruppentheorie. 

Im  Rahmen  dieser  damals  weitverbreiteten  Theorie  entstanden  auch 
die  Heimkampagnen.  Gruppen  von  Studenten,  Lehrlingen  und  ehemalige 
Heiminsassen  zogen  vor  und  in  die  Erziehungsheime,  diskutierten  mit 
Jugendlichen  liber  ihre  beschissene  Lage  und  stellten  Forderungen  zur 
Demokratisierung  der  Heime  auf.  Diese  Aktionen  flihrten  zu  Revolten 
in  einigen  Heimen  und  zur  Massenflucht  zur  APO  in  die  GroBstadte. 
In  Frankfurt  wurden  1968  die  ersten  4  Kollektivwohnungen  bezogen. 
Immer  mehr  Jugendliche  druckten  ihren  Protest  gegen  die  bestehende 
Heimsituation  aus,  indem  sie  die  Heime  verlieBen.  Auch  Sozialarbei- 
ter,  die  sich  mit  dem  Problem  der  Heimerziehung  auseinandergesetzt 
hatten,  waren  nicht  mehr  bereit,  Kinder  und  Jugendliche  in  die  staat- 
liche  Heimerziehung  zu  geben. 


Jugendwohngemeinsc.,-.  ._.. ,   „  . 

Alternative  zur  bisherigen  Heimerziehung. 

Selbst  wenn  die  Wohngemeinschaften  erst  vereinzelt  entstehen  konnten, 
zeiqten  sie  doch  einen  Weg,  aus  der  traditionellen  und  zum  Zwangs- 
zusammenhang  sich  reduzierenden  Famil ienkonstellation  herauszukom- 
men  Daher  ist  es  nicht  zufa'llig,  daB  jugendliche  Arbeiter  und  Lehr- 
linge,  wenn  sie  es  zu  Hause  nicht  mehr  aushielten,  in  Wohngemeinschaf- 
ten fliichteten.  Vor  der  Studentenbewegung  gab  es  fur  sie,  wenn  sie 
nicht  mehr  in  ihrer  Familie  bleiben  wollten,  nur  2  Mbgl  ichkeiten: 
entweder  ins  Heim  Oder  auf  Trebe  zu  gehen.  Die  sta'ndige  Erfahrung, 
dort  noch  weniger  zu  sich  zu  kommen,  machte  die  Wohngemeinschaft  fur 
sie  so  attraktiv.  Jugendliche  wollen  nicht  vor  ihren  Problemen  fluch- 
ten  und  auch  nicht  als  Anhangsel  eines  burokratischen  Apparats  ver- 
einnahmt  werden,  sie  wollen  ihre  subjektiven  Schwierigkeiten  und 
Probleme  mit  den  objektiven  Bedingungen  in  Verbindung  bringen,  um 
die  objektiven  Bedingungen,  die  das  individuelle  Elend  entscheidend 
beeinflussen,  zu  andern. 


-  39 


Die  Aufnahme  von  Wohngemeinschaften  in  den  MaBnahmenkatalog  des  RE 
macht  deutlich,  worum  es  den  Reformern  gent: 

eine  gesellschaftl ich  fortgeschrittene  Emanzipationsbewegung  Jugend- 
licher,  von  einer  Avantgarde  praktiziert,  soil,  bevor  sie  sich  natur- 
wlichsig  ausbreitet,  gesetzlicher  Regulierung  unterworfen  werden. 

-  Wiedersprliche  im  Staatsapparat  - 

In  dem  Versuch  solcher  Regulierung  zeigt  sich  der  Staat  selbst  wider- 
sprlichl ich. 

Das  wird  deutlich  an  einem  Vergleich  der  zura  Diskussionsentwurf  des 
JHG  abgegebenen  Stellungnahme  des  Senators  fur  Familie,  Jugend  und 
Sport  Berlin  mit  den  entsprechenden  Paragraphen  des  RE. 
Die  Stellungnahme  des  Senats  Ziehen  wir  deshalb  heran,  weil  sie  der 
weitestgehende  Versuch  einer  staatlichen  Instanz  ist,  die  Interessen 
der  Betroffenen  zu  beriicksichtigen. 

Die  Argumentation  dort  ist  durchgangig  auf  zweierlei  angelegt:  ein- 
mal  darauf,  von  der  Objektstellung  des  Jugendlichen  gegenliber  den 
Behbrden  im  alten  JUG  wegzukommen  und  zum  anderen,  Diskriminierungen 
zu  vermeiden  (vgl .  dazu  die  Begrlindung  zur  in  der  Stellungnahme  vor- 
geschlagenen  Formulierung  zum  §  1  JHG).  In  der  Stellungnahme  wird  dem 
"Recht  auf  Erziehung  und  Bildung"  Verfassungsrang  entsprechend  Art. 2, 
ABS.  1  GG  eingeraumt.  Der  Zusatz  "und  Bildung"  ist  eine  Neuerung  ge- 
gegenuber  dem  JWG,  im  Referentenentwurf  entfallt  jedoch  die  "Bildung". 
In  diesem  wesentlichen  Punkt  bleibt  alles  beim  alten,  d.h.,  im  RE 
bleibt  es  dabei,  daB  auch  der  Erziehungsanspruch  nur  indirekt,  als 
sog.  Reflexrecht  -  wenn  die  Erziehungsberechtigten  ausfallen  -  gesi- 
chert  ist. 

Hier  wie  auch  an  anderen  fur  einen  Subjektstatus  des  Jugendlichen 
wesentlichen  Stellen  hat  die  Stellungnahme  des  Senats  und  haben 
auch  andere  Stel lungnahmen  keine  Berucksichtigung  gefunden. 
Samtliche  Formul ierungen  der  o.g.  Stellungnahme,  die  eine  Einschran- 
kung  der  Rechte  von  Erziehungsberechtigten,  -personen  und  -einrich- 
tungen  vorsehen  und  diesen  nur  instrumentellen  Charakter  zubilligen 
und  statt  dessen  den  emanzipatorischen  Charakter  der  Jugendhilfe 
betonen,  entfallen  im  RE  sang-  und  klanglos.  Der  RE  la'Bt  mit  keinem 
Wort  erkennen,  daB  die  Stellungnahme  des  Senats  vorsah,  den  Jugend- 
lichen Subjekt-Status  einzuraumen  und  selbstorganisatorischen  Ak- 
tivitaten  Priorita't  zu  geben. 

Die  weitgehenden  Vorschlage  der  Stellungnahme  diirfen  jedoch  nicht 

darliber  hinweg  tauschen,  dal3  auch  hier  in  erster  Linie  eine  Starkung 

der  Famil ienerziehung  angestrebt  wird. 

Gleichzeitig  werden  jedoch  die  Tendenzen  zur  Selbstorganisation  und 

Selbstbestimmung  beriicksichtigt. 

Es  ist  sicher  kein  Zufall,  daB  die  weitestgehenden  Vorschlage  aus 

Berlin  kamen.  Aktuelle  Entwicklungstendenzen  werden  hier  von  einer 

bemuhten  Reformverwaltung  aufgenommen. 

DaB  sie  sich  mit  keinem  ihrer  Vorschlage  durchsetzen  konnte,  macht 

die  gegenwartige  Isoliertheit  "progressiver"  Reformer  deutlich. 

Nun  reicht  es  nicht  aus,  zu  sagen,  der  Staat  wolle  die  Proteste 
fiir  sich  einkassieren  und  neutralisieren.  Ohne  Zweifel  will  er  es 
und  versucht  es  auch.  Was  dabei  aber  deutlich  wird,  ist,  wie  der 
"demokratische  Staat"  sich  selbst  in  Widersprliche  verwickelt,  wenn 


-  40 


er  vorgibt,  sich  fur  die  Betroffenen  einzusetzen,  gleichzeitig  sich 
ihnen  gegenuber  repressiv  verhalt. 

Abgesehen  davon,  daB  Verfassungstreue  erste  Voraussetzung  fur  eine 
Fbrderung  ist,  kommt  die  wirtschaftl iche  Rentabil itat  oft  genug  ins 
Gesetz  hinein  (§§12,  16,  25). 

Die  Widersprlichlichkeit  wird  dadurch  heruntergespielt,  daB  niemals 
von  Elend  oder  Ausbeutung  die  Rede  ist.  Es  ist  von  Wlinschen  des  jun- 
gen  Menschen  (§  25)  die  Rede,  die  bei  der  "Gestaltung  der  Hilfe"  be- 
riicksichtigt werden  sollen. 

§  25,2:  "Bei  der  Gestaltung  der  Hilfe  soil  den  Wlinschen  des  jungen 
Menschen  und  der  Erziehungsberechtigten  entsprochen  werden...".  Es  ist 
ein  kreatives  Konzept:  es  wird  gestaltet,  geholfen  und  gewunscht. 
Wo  bleiben  da  die  realen  okonomischen  und  mit  ihnen  sozialen  Verelen- 
dungen?  Sie  tauchen  hbchstens  darin  auf,  daB  "keine  unvertretbaren 
Mehrkosten"  entstehen  diirfen,  "wirtschaftl ich"  geholfen  werden  soil  us 

-  Der  Interessenkonflikt  bleibt!  - 

Mitwirkung,  Mitbestimmung,  als  auch  partnerschaftliche  und  mitver- 
antwortliche  Zusammenarbeit  sind  Formul ierungen,  die  unter  anderem 
den  Reformcharakter  des  neuen  Gesetzes  ausmachen  sollen.  "Partner- 
schaftliche und  mitverantwortliche  Zusammenarbeit"  (§  10)  sollen  auf 
neue  Vernal tensformen  zwischen  Gesetzeshlitern  und  Betroffenen  hin- 
weisen.  DaB  sich  eben  nur  das  Vernal tnis  und  nicht  die  Verhal tnisse 
(namlich  Betroffener  zu  bleiben)  andern,  ist  ebenfalls  ein  Ausdruck 
des  Konservatismus.  Eine  partnerschaftliche  Beziehung,  wie  sie  for- 
mul iert  wird,  kann  eben  tatsachlich  nur  dann  entstehen,  wenn  alle 
Beteiligten  dieselben  Mogl ichkeiten  und  Bedingungen  haben. 
Durch  ein  verandertes  Verhalten  -  jetzt  soil  man  partnerschaftl ich 
sein  -  wird  etwas  vorgetauscht,  was  real  nicht  da  ist.  DaB  Jugendli- 
che,  oder  wie  es  im  Gesetz  heiBt  "junge  Menschen"  als  Partner  ange- 
sehen  werden  sollen,  scheint  eine  Reaktion  auf  die  Widerstande  der 
Jugendlichen  zu  sein. 

Bisher  wurde  Liber  sie  mit  "Kann-,  Soil-  Oder  MuBleistungen"  verfugt. 
Dabei  kam  es  vor,  daB  sich  die  Betroffenen  nicht  ohne  weiteres  unter 
einen  Paragraphen  subsumieren  lieBen,  sondern  versuchten,  ihre  In- 
teressen auch  gegen  die  Vorschriften  der  Paragraphen  durchzusetzen. 
Insbesondere  wurde  von  ihnen  Mitbestimmung,  wenn  nicht  gar  Selbst- 
verwaltung  gefordert. 

Jedoch  kann  der  Staatsapparat  nicht  zulassen,  daB  es  von  ihm  finan- 
zierte  Einrichtungen  gibt,  auf  die  er  keinen  EinfluB  haben  soil. 
Es  ist  ihm  bekannt,  daB  die  Interessen  der  Betroffenen  mit  denen  des 
Staates  kaum  identisch  sind. 

DaB  dennoch  auf  einige  Forderungen  der  Jugendlichen  im  Gesetz  ein- 
gegangen  wird,  liegt  nicht  zuletzt  an  einer  Partei,  die  als  Wahl- 
slogan  "Mitbestimmung"  propagiert  hatte. 

Das  Mitbestimmungsmodell  hat  einen  Vorla'ufer:  im  Betriebsverfassungs- 
gesetz  gibt  es  ebenfalls  einen  Paragraphen,  der  Mitbestimmung  garan- 
tiert.  An  diesem  Beispiel  wird  auch  deutlich,  wie  weit  Mitbestimmung 
reicht.  Das  Kapital verhal tnis  kommt  dadurch  noch  lange  nicht  ins  Wan- 
ken. 

Jedoch  kann  es  ein  Fortschritt  sein,  wenn  gesetzlich  festgelegt  ist, 
daB  Jugendliche  mitbestimmen  diirfen,  denn  das  heiBt  gleichzeitig, 
daB  sie  informiert  werden  miissen  Liber  das,  was  man  mit  ihnen  vor  hat. 


41 


Es  ist  ein  Unterschied,  der  allerdings  nicht  weitreichend  genug  ist, 
ob  einfach  etwas  nn't  den  Jugendlichen  gemacht  wird  oder  ob  sie  wor- 
ker  informiert  werden  und  begrenzte  Moglichkeiten  der  Mitsprache  ha- 
ben. 

In  §  6  (2)  heiBt  es:  "In  alien  Einrichtungen  der  Jugendhilfe  sind 
Mitwirkung  und  Mitbestimmung  der  jungen  Menschen  in  einer  der  jewei- 
ligen  Altersstufe  entsprechenden  Weise  sicherzustellen.  In  Einrich- 
tungen, die  junge  Menschen  nicht  nur  vorlibergehend  oder  gelegentlich 
aufnehmen,  insbesondere  in  Heimen,  sind  Jugendvertretungen  auf  Grund 
einer  Satzungzu  bilden,  die  Inhalt  und  Umfang  der  Mitwirkung  und  Mit- 
bestimmung regelt...". 

Die  vagen  Formul ierungen  lassen  nicht  nur  fur  Interpretationen  derje- 
nigen,  die  auf  Seiten  der  Herrschenden  stehen,  Raum,  sondern  auch 
flir  Aktivitaten  der  Betroffenen. 

Es  ist  klar,  daB  diese  immer  einen  Schritt  weitergehen  mussen,  als 
es  der  Gesetzgeber  in  seinem  Selbstverstandnis  gemeint  hat.  Gerade 
dieses  Verhalten  macht  die  Widerspriiche  eines  reformerischen  Gesetzes 
deutl ich. 

Partnerschaft  wird  auch  denjenigen  vorgeschrieben  (Partnerschaft 
vorzuschreiben  ist  schon  ein  Widerspruch  in  sich),  die  mit  dem  Gesetz 
arbeiten.  §  10:  "Die  Trager  der  Jugendhilfe. . .  (sollen)  mit  ihnen 
(anerkannte  Vereinigungen  der  Jugendhilfe,  d.Verf.)  bei  der  Durch- 
flihrung  dieses  Gesetzes  partnerschaftl ich  zusammenarbeiten."  Das 
heiBt,  sie  sollen  nicht  rigoros  auf  ihre  Macht  pochen,  sondern  -  wenn 
auch  begrenzt  -  zusammenarbeiten.  Verunsichert  wird  durch  die  unge- 
nauen  Formul  ierungen  natlirlich  auch  der  Verwaltungsangestell  te,  und 
gerade  das  sollte  ausgenutzt  werden.  Bisher  wurde  ihm  uneingeschrank- 
te  Machtbefugnis  zugestanden.  Jetzt  soil  er  sich  nach  dem  richten, 
liber  den  er  ein  Urteil  fallen  soil.  Er  soil  sogar  den  WLinschen  des 
jungen  Menschen  entsprechen,  natlirlich  wieder  mit  einer  Einschran- 
kung,  nam! ich  "...soweit  das  dem  Wohl  des  jungen  Menschen  dient  und 
keine  unvertretbaren  Mehrkosten  erfordert."  (§  25) 

DaB  der  Staatsapparat  erst  durch  die  Kritik  der  Basis  zur  Reaktion  ge- 
zwungen  wird,  weist  darauf  hin,  daB  vorausschauende  Planung  dem 
kapitalistischen  Staat  nicht  mbglich  ist,  sondern  lediglich  nach- 
tragliche  Konfl iktregulierung. 

Die  Planer  laufen  der  gesellschaftlichen  Entwicklung  nach.  Ihr  Traum- 
ziel  Prophylaxe  erweist  sich  als  unreal isierbar. 

Da  die  staatlichen  Instanzen  jedoch  auf  die  gesellschaftl ich  fort- 
geschrittenste  Bewegung  reagieren,  kann  das,  was  in  Frankfurt  oder 
Berlin  reaktiv  ist,  in  Bayern  oder  Ostfriesland  als  prophylaktische 
Mafinahme  erscheinen. 
Zeitliche  und  drtliche  Ungleichzeitigkeiten  in  der  Entwicklung  eman- 


verpflichten. 

Das  gelingt  bei  denen  nicht,  die  an  der  Wahrnehmung  der  Diskrepanz 
zwischen  ihren  Forderungen  und  den  mageren  "Zugestandnissen"  des 
Gesetzes  ihr  BewuBtsein  dafiir  scharfen,  daB  es  nicht  in  erster  Linie 
darum  gehen  kann,  vom  Staat  "bessere"  Reformen  zu  fordern,  sondern 


-  42  - 


daB  es  darauf  ankommt,  emanzipatorische  Bewegungen  zu  unterstiitzen. 
Ob  das  "neue"  Gesetz  dazu  verbesserte  Mbglichkeiten  bietet,  wird 
sich  erst  in  der  praktischen  Arbeit  damit  zeigen  konnen. 

Wir  konnen  hier  zunachst  nur  festhalten,  daB  nicht  das  Gesetz  fort- 
schrittlich  ist,  sondern  nur  die  Praxis  der  davon  Betroffenen  es 
sein  kann.  Die  Erkenntnis,  daB  ihre  praktische  Kritik  an  Familie  und 
Heimerziehung  -  die  letztlich  auf  die  Aneignung  und  Selbstbestimmung 
der  eigenen  Lebensverhaltnisse  zielt  -  im  Gesetz  nicht  aufgeht,  ist 
das  weitertreibende  Potential.  Die  Gesprache,  die  eine  Gruppe  Jugend- 
licher  mit  Katarina  Focke  iiber  den  Gesetzentwurf  gefiihrt  hat  (s.Info  7), 
sind  ein  Zeichen  dafiir,  daB  diese  Erkenntnis  bei  den  Betroffenen 
selbst  bereits  vor  der  Verabschiedung  des  Gesetzes  vorhanden  ist. 
Diejenigen,  die  ihre  Lage  erkannt  haben,  werden  sich  nicht  aufhalten 
lassen.  Flir  sie  ist  an  dem  neuen  Gesetz  nur  noch  interessant,  wel- 
che  Mbglichkeiten  sich  trotz  Oder  durch  den  differenzierteren  MaB- 
nahmenkatalog  hindurch  bieten.  Es  ist  flir  sie  notwendig,  an  den  fur 
richtig  erkannten  Zielen  festzuhalten. 

Die  Kooperation  mit  denjenigen  Kraften  im  Staatsapparat,  die  erkannt 
haben,  daB  Politik  auf  die  Dauer  nicht  gegen  die  Interessen  der  Be- 
troffenen zu  machen  ist,  wegen  Vereinnahmungsgefahr  abzulehnen,  ware 
flir  die  Linke  perspektivlos.  Kooperationsmogl  ichkeiten  zu  nutzen, 
setzt  allerdings  Selbstorganisation  voraus.  Nur  dann  ist  es  mo'glich, 
sich  die  Bedingungen  der  Kooperation  nicht  vorschreiben  zu  lassen, 
sondern  diese  selbst  zu  bestimmen. 


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5.  REFORM  ALS  PROBLEM 
PRAKTISCHER  POLITIK 


Die  westdeutsche  Linke  steht  vor  dem  Dilemma,  daB  sowohl  die  objek- 
tiven  Bedingungen,  die  eine  revolutionare  Umwalzung  unumgangl ich 
machen,  als  auch  die  subjektive  Bereitschaft  seitens  der  Arbeiter- 
klasse  aufgrund  des  fehlenden  bzw.  sich  erst  langsam  wieder  entwik- 
kelnden  KlassenbewuStseins  zur  Veranderung  fehlen.  Die  Grlinde  fur 
diesen  konstatierten  Zustand  sind  hier  wiederholt  genannt  worden. 
Sofern  die  auf  Veranderung  zielenden  linken  Krafte  nicht  abseits 
stehen  und  warten  wollen,  bis  durch  die  Verschlechterung  der  mate- 
riellen  Lage  das  revolutionare  Subjekt  zur  revolutionaren  Umgestal- 
tung  gezwungen  1st  und  gegenwartig  nicht  abzusehen  ist,  wann  dies 
schliissig  der  Fall  sein  wird,  und  schon  gar  nicht  anhand  der  geschicht- 
lichen  Erfahrungen  feststeht,  daB  es  sich  folgerichtig  in  Richtung 
Sozialismus  entscheiden  wird,  muB  sich  die  Linke  ein  Konzept  erar- 
beiten,  das  die  Bedingungen  und  den  Willen  flir  die  Notwendigkeit 
radikaler  Veranderung  fbrdert:  d.h.  "die  Bedingungen  schafft,  durch 
die  revolutionare  Massenaktionen  mdglich  werden  und  die  Kraftprobe 
mit  der  Bourgeoisie  aufgenommen  und  gewonnen  werden  kann."  (45) 

Die  Entwicklung  und  Djrchflihrung  einer  solchen  Strategie  beinhaltet 
notwendigerweise  die  Einbeziehung  der  Widerspriichlichkeit  von  Refor- 
men,  weil  gerade  sie  geeignet  sind,  sowohl  die  objektiven,  als  auch 
die  subjektiven  Voraussetzungen  zu  schaffen. 

Reformen,  als  Zugestandnis  des  Kapitals  an  die  Arbeiterklasse,  ver- 
folgen  zuerst  die  Absicht,  bestehende  Widersprliche  zu  verdecken  und 
wirken  damit  systemstabilisierend.  In  der  MSglichkeit,  mit  Hilfe  von 
Reformen  die  materiel le  Lage  der  werktatigen  Bevblkerung  zu  verbes- 
sern,  sind  sie  von  Anfang  an  Teil  des  proletarischen  Kampfes  gewesen, 
in  dem  bkonomischer  und  politischer  Kampf  immer  eng  beieinander  liegen. 
Die  mit  der  Reform  zu  verbindende  Moglichkeit  der  Verscha'rfung  der 
Widersprliche  und  deren  Verankerung  im  BewuBtsein  der  Arbeiterklasse 
haben  tendenziell  systemuberschreitenden  Charakter,  ohne  daB  sie 
geeignet  sind,  die  wirtschaftliche  und  politische  Macht  des  Kapitals 
in  einem  langfristigen  ProzeB  soweit  auszuhbhlen,  daB  diese  durch 
eine  kontinuierl  iche  Abfolge  von  Reformen  zerstbrt  wlirde.  Nach  wie 
vor  gilt  die  Tatsache,  daB  der  Kapital ismus  solange  nicht  abtreten 
wird,  nicht  ohne  Kampf  aufgibt,  solange  er  dazu  nicht  in  einer  revo- 
lutionaren Massenaktion  gezwungen  wird. 

Bei  der  Frage  der  Anwendung  der  Reformstrategie  ist  entscheidend, 
inwieweit  sie  geeignet  ist,  tendenziell  systemliberschreitend  zu  wir- 
ken, weil,  trotz  der  systemstabilisierenden  Komponente,  die  weiter- 
treibende  mit  Hilfe  einer  entsprechenden  Politik  der  Linken  starker 
sein  kann.  Die  Auseinandersetzung  urn  die  Reformstrategie  wird  des- 
halb  vom  eigentlichen  Bezug  abgehoben  und  mit  vielen  Emotionen  liber- 


lagert  gefuhrt,  weil  die  geschichtlichen  Erfahrungen  die  Gefahr 
zeigen,  daB  eine  ursprlingl  iche  Reformstrategie  innerhalb  kurzester 
Zeit  zum  Reformismus  verkommen  und  daru'ber  hinaus  nicht  bei  jeder 
Einzelreform  exakt  bestimmt  werden  kann,  ob  sie  die  Widersprliche 
fbrdert  oder  nur  stabilisierend  wirkt,  weil  dies  nicht  nur  vom  In- 
halt  der  Reform,  sondern  auch  vom  politischen  Krafteverhaltnis,  von 
der  Moglichkeit,  die  Widersprliche  voranzutreiben,  abhangt.  Hinzu 
kommt,  daB  sich  systemliberschreitende  und  rein  reformistische  gesell- 
schaftliche  Gruppen  eben  'nur'  daran  unterscheiden,  daB  die  reformi- 
stischen  Krafte  sich  auf  Dinge  richten,  die  der  Staat  von  oben  herab 
den  Individuen  gewahrt,  ohne  die  Ohnmacht  gegenliber  den  gesellschaft- 
lichen  Bedingungen,  die  in  der  Produktionsweise  liegen,  andern  zu 
wollen,  wahrend  die  sozial istisch-kommunistischen  Krafte  die  Reform 
als  Bestandteil  einer  Strategie  zur  Oberwindung  der  bestehenden  Ord- 
nung  begreifen  und  dieser  elementare  Unterschied  im  Kampf  um  Refor- 
men nicht  immer  deutlich  wird. 

Die  gegenwartige  wirtschaftliche  Lage  in  alien  hochindustriealisier- 
ten  westlichen  Staaten  macht  die  Anwendung  der  Reformstrategie  nicht 
nur  notwendig,  sondern  beglinstigt  sie  auch,  indem  aufgrund  der 
nachlassenden  Prosperitat,  der  sich  verstarkenden  Anzeichen  von 
Krisen,  auch  die  Mbgl ichkeiten  des  Staates  geringer  werden,  den  mini- 
mal sten  Reformbedarf  zu  befriedigen. 

Die  fehlenden  finanziellen  Mbgl ichkeiten,  notwendige  und  teilweise 
schon  zugesagte  Reformen  zu  realisieren,  die  Unmbgl ichkeit,  Arbeits- 
pla'tze  tatsa'chlich  zu  sichern,  zwingen  die  Reformisten  dazu,  wieder 
einmal  verstarkt  die  Parole  von  der  Vol ksgemeinschaft,  in  der  jeder 
zum  'Allgemeinwohl '  Opfer  bringen  muB,  auszugeben. 
Der  drohende  Verlust  des  Arbeitsplatzes,  "dem  Fegefeuer,  durch  das 
man  hindurch  muB"  ist  immer  verbunden  mit  dem  Verlust  des  "Himmels 
des  individuellen  Konsums"  (46).  Gerade  die  Bedrohung  der  Realisie- 
rung  individuellen  Konsums  -  als  Entschadigung  flir  unertragliche 
Arbeitsbedingungen  -  ist  eine  Bedrohung  des  Systems  selbst,  indem 
seine  Herrschaftsverhaltnisse  deutlich  und  die  Grenzen  der  Existenz- 
sicherung  flir  alle  sichtbar  werden,  namlich  die  Existenz  von  Klassen- 
gegensatzen,  die  antagonistischer  Art  sind.  Immer  dann,  wenn  die 
Befriedung  mittels  Reformen  nicht  mehr  gelingt  bzw.  nicht  mbgl ich 
ist,  weil  die  materiellen  Voraussetzungen  zur  Realisierung  von  Re- 
formen nicht  aufgebracht  werden  kbnnen,  sieht  sich  der  Staat  zum 
starkeren  Einsatz  seines  Repressionsinstrumentariums  gezwungen. 

Hier  bieten  sich  einerseits  Mbglichkeiten  flir  die  Linke,  den  Staat 
als  Herrschaftsinstrument  politisch  bewuBt  zu  machen.  Das  allein 
reicht  jedoch  nicht  aus,  denn  der  Kampf  um  Reformen  ist  zugleich  im- 
mer ein  Kampf  um  das  Erreichte.  Die  Desavouierung  des  Systems  muB 
deshalb  immer  verbunden  sein  mit  der  Ausschbpfung  aller  Mbglichkei- 
ten, das  in  politischer  Arbeit  Erkampfte  zu  halten  und  die  politische 
Bewegung  auch  im  Abwehrkampf  zu  starken. 

Die  sich  aus  den  Widersprlichen  ergebenden  Mbglichkeiten  der  Agitation 
und  der  Mobilisierung  fLihren  auf  der  Gegenseite  ebenfalls  zu  einer 
starkeren  Reaktion,  so  daB  einePolarisierung  innerhalb  der  Gesell- 
schaft  unvermeidbar  ist.  Die  Sorge,  daB  die  Organisierung  der 
'Linken'  die  'Rechten'  mobil isiert,  kann  deshalb  nur  so  verstanden 
werden,  daB  es  uns  gelingen  muB,  mbglichst  viele  Gruppen  und  Indi- 
viduen auf  die  Seite  der  'Linken'  zu  Ziehen  und  darf  kein  Argument 


-  44 


■11, 


4 


flir  politische  Inaktivitat  sein. 

Die  Anwendung  der  Reformstrategie  in  moglichst  vielen  Bereichen  der 
Gesellschaft  ist  nicht  nur  im  Hinblick  auf  die  umfassendere  Wirk- 
samkeit  erforderlich,  sondern  auch  deshalb,  weil  der  Grundwiderspruch 
in  den  einzelnen  Bereichen  unterschiedlich  hervortritt  und  sich  die 
Linke  die  bessere  Erfahrbarkeit  dieses  Widerspruchs  an  den  jeweiligen 
konkreten  Konflikten  nutzbar  machen  muB.  Dies  gilt  auch  flir  die  Re- 
formstrategie innerhalb  der  Sozialarbeit,  sowohl  im  institutionellen, 
als  im  auBerinstitutionellen  Bereich.  Die  Agitation  der  Kollegen 
anhand  der  auftauchenden  Konflikte,  die  Vermittlung  der  Notwendigkeit 
der  Solidaritat  untereinander,  muB  langerfristig  die  Solidaritat 
mit  den  von  Sozialarbeit  Betroffenen  ermbglichen. 

Hierbei  bilden  institutionelle  und  auBerinstitutionelle  Sozialarbeit 
(Arbeit  im  Stadtteil)  eine  notwendige  Erganzung.  Die  Unterstutzung 
durch  Sozialarbeit,  die  sich  als  antikapital istische  versteht,  bei 
der  Durchsetzung  von  Forderungen  von  Teilen  der  werktatigen  Bevol- 
kerung  (Mieterinitiativen,  Jugendkollektiven  usw.)  wird  dann  wirksa- 
mer,  wenn  sie  innerhalb  der  Institution  durch  Sozialarbeit  bestarkt 
und  damit  gegen  Angriffe  der  Burokratie  geschiitzt  werden  kann,  wobei 
die  Wirksamkeit  dieses  Schutzes  nicht  nur  vom  Wi 11  en  des  Einzelnen, 
sondern  wesentlich  vom  Stand  der  allgemeinen  Klassenauseinandersetzung 
abhangt.  Der  Kampf  um  die  Demokratisierung  der  flmter  ist  unter  dieser 
Pramisse  eben  nicht  nur  ein  berufsspezif ischer,  sondern  ermbglicht 
die  Lernschritte  der  Kollegen.  Ausgangspunkt  dieser  Strategie  muB 
das  Aufgreifen  von  Problemen  sein,  die  moglichst  viele  Kollegen  be- 
treffen  und  deren  Lbsung  von  ihnen  als  unabdingbar  angesehen  wird. 
Unter  den  gegenwartigen  Bedingungen  bedeutet  dies  eine  Politik  der 
kleinen  Schritte,  die  nicht  schon  deshalb  falsch  ist,  weil  die  man- 
gelnde  Solidaritat  spektakulare  Aktionen,  wie  sie  auch  in  der  Geschich- 
te  des  AKS  unternommen  wurden,  z.Zt.  nicht  Oder  nur  in  begrenzter 
Anzahl ,  von  Berufsfeld  zu  Berufsfeld  unterschiedlich,  zula'Bt.  Ent- 
scheidend  flir  die  mobilisierende  Wirkung  ist  zudem  nicht  die  'GrbSe' 
einer  Aktion,  sondern  ausschl ieBlich  der  Grad,  in  dem  die  Aktion  und 
die  Beteiligung  der  Sozialarbeiter  an  ihr  bewuBtseinsverandernd  wirkt. 
Die  konsequente  Nutzung  der  benannten  Freiraume,  die  der  Staat  der 
Sozialarbeit  einraumen  muB,  um  sie  in  seinem  Interesse  liberhaupt 
wirksam  werden  lassen  zu  kbnnen,  die  konsequente  Nutzung  des  Reform- 
bedarfs  und  des  Reformangebotes  von  oben,  mlissen  diese  Lernschritte 
ermbglichen,  wobei  langerfristig  Forderungen  gestellt  werden  mlissen, 
die  nicht  voll  integrativ  sind. 

Der  Kampf  um  verbesserte  Gesetze,  die  den  Bedurfnissen  der  antikapi- 
tal istischen  Sozialarbeiter  selbst,  aber  auch  in  ihren  Auswirkungen 
der  werktatigen  Bevblkerung  besser  entsprechen,  sind  Bestandteil  der 
Strategie. 

Die  zunehmende  und  flir  viele  frustrierende  Erkenntnis,  daB  eine  sozia- 
1 istische  Berufspraxis  unter  kapital istischen  Bedingungen  nicht  mbg- 
lich  ist,  muB  erganzt  werden  durch  die  Erkenntnis,  daB  auch  antikapi- 
talistisch  begriffene  Sozialarbeit  aufgrund  der  Einbindung  der  in 
ihr  Tatigen  in  den  Staatsapparat  nur  begrenzt  mbglich  ist.  Jedoch 
dort,  wo  sich  die  Mbgl ichkeit  dazu  bietet,  konsequent  zu  nutzen  ist. 
Die  Nutzung  der  sich  bietenden  Mbglichkeiten  in  der  Reformstrategie 
kommt  dem  Anspruch,  'Verblindeter  des  Proletariats'  zu  sein,  flir  die 
praktische  Arbeit  entgegen. 


-  46 


LITERATURVERZEICHNIS 

ZUM  6ESAMTEN  SCHWERPUNKTTHEMA 

DIESES  INFOS 


1)  Kursbuch  31,  Berlin  1973,  S.  85 

2)  Lenin  ,  W.I.,  Hefte  zum  Imperial ismus,  Berlin  57,  S.  250 

3)  Zit.  nach:  Muller/NeusLiS,  die  Sozialstaatsi llusion,  in:  SOPO 
6/7,  Berlin  70,  S.  52 

4)  Mit  dem  Begriff  des  Reformismus  ist  eine  Strbmung  innerhalb  der 
Arbeiterbewegung  bezeichnet,  die  davon  ausgeht,  daB  a  11  ein  durch 
Reformen  die  kapitalistische  in  eine  sozial  istische  Gesellschafts- 
ordnung  libergefuhrt  werden  kbnne. 

Welter  Literatur  zum  Reformismus: 

G.    Flilberth,  zur  Genese  des  Revisioni sinus  in  der  deutschen  So- 

zialdemokratie,  in:  Das  Argument  63/Marz  71  ' 

Lenin,  W. I.,  Gegen  den  Revisionismus ,  Berlin  1959 

und:  Eduard  Bernstein,  die  Voraussetzungen  des  Sozialismus  und 

die  Aufgaben  der  Sozialdemokratie,  Hamburg  1970 

Bernsteins  Voraussetzungen  einer  Neubestimmung  der  SPD-Politik 

sind  weniger  theoretisch  gewonnen  als  empirisch.  B.  stutzt  seine 

Argumentation  im  wesentlichen  auf  -  die  relative  Stabilitat  des 

Kapitalismus,  -  die  Tendenz  zur  Demokratisierung  des  Staates,  wo- 

fu'r  Wahlrecht  und  Sozialversicherungen  als  Indiz  genommen  werden. 

Bernsteins  Intention  war  vor  allem,  der  Partei  durch  Fallenlassen 

des  "Verbalradikal  ismus"  grbBere  Chancen  eine  Blindnisses  mit  den 

Liberalen  Parteien  und  Mittelschichten  zu  erbffnen.  Hie  allerdings 

Stimmengewinne  in  politische  Macht  umzusetzen  seien,  blieb  eine 

offene  Frage. 

5)  Wolfgang  Abendroth,  Aufstieg  und  Krise  der  Sozialdemokratie, 
Frankfurt/M.  1959,  (vgl.) 

6)  Rosa  Luxemburg,  Sozialreform  oder  Revolution,  Leipzig  1970,S.34ff 

7)  Franz  Eulenburg,  die  Klassenverschiebung  nach  dem  Krieg,  Jena 
1926,  S.  105f 

8)  ebenda,  S.  102 
g)  ebenda,  S.  183 

10)  Autorenkollektiv  SDS/KU,  der  Untergang  der  Bildzeitung,  ohne 
Ort  u.   Jahr,  S.  16 

11)  Zit.  nach:  ebenda,  S.  18ff 

12)  vgl.  Kursbuch  31,  S.  29  ff 

13)  Kogon/Abendroth  u.a.,  der  totale  Notstandsstaat,  Frankfurt/M. 1965 

14)  SPD-Redaktionskollektiv,  Wem  nu'tzt  die  Model lbewegung,  SPK 
Nr.  12/13,  Berlin  1970 

(vgl.  dazu  auch:)  Bergmann  u.a.,  Rebellion  der  Studenten,  Hamburg 
1968 

15)  Mliller/NeusiJB,  Die  Sozialstaatsillusion,  a.a.O.  S.  68 

16)  Friedrich  Engels,  Der  Ursprung  der  Familie  des  Privateigentums 
und  des  Staates,  in:  MEW  21,  S.  165 

17)  vgl.  dazu:  Lenin,  der  Imperial ismus  als  hbchstes  Stadium  des 
Kapitalismus 


( 
( 

( 

(10) 


(12) 


-  47 


(18)  Andre  Gorz,  Der  schwierige  Sozialismus,  Frankf.  1968,  S.  90 

(19)  Wolfgang  Lefevre,  Zum  historischen  Charakter  und  ...  (siehe 
Lit.Verzeichnis)  in  diesem  Zusammenhang  interessiert  der 
"Exkurs  zur  Staatskategot-ie,  S.  65-87 

(20)  vgl.  dazu:  Dieter  Lapple,  Staat  und  allgemeine  Produktionsbedin- 
gungen,  Westberlin  1973,  1.  Teil 

(21)  Gorz,  a.a.O.  SI  73 

(22)  Marx/Engels,  Manifest  der  kommunistischen  Partei 

(22a)  Jlirgen  Kuczynski,  Klassen  und  Klassenkampfe,  Berlin  1972,  S.  143 

(23)  vgl.  dazu  SPK  Nr.  14,  Sozialstaat  oder  Klassengesellschaft, 
Berlin  1970 

(23a)  J.  Kuczynski,  a.a.O.,  S.  148 

(23b)  Autorenkollektiv  Darmsta'dter  Studentenzeitung,  SPD  und  Staat, 
S.  30  Berlin  1974 

"Bezogen  auf  die  Umweltverschmutzung  und  -zerstorung  bedarf  es 
heute  nicht  einmal  allein  der  wissenschaftlichen  Analyse,  son- 
dern  es  geniigt  oft  der  Augenschein,  bzw.  tiefes  Durchatmen,  urn 
festzustellen,  dal3  die  -  wie  die  herrschenden  Ideologen  behaup- 
ten  -  durch  hohes  Wirtschaftswachstum  erreichte  Lebensqualitat 
wieder  vernichtet  wird.  Offensichtl ich  passierten  wir  bereits 
einen  Wendepunkt  in  der  Entwicklung  der  kapital istischen  Produk- 
tionsweise,  von  dera  an  weiteres  Wachstum  umfassend  die  naturli- 
chen  und  gesellschaftl ichen  Lebensbedingungen  der  Massen  in 
Frage  zu  stellen  beginnt.  Die  gewaltigen  Produktivkra'fte,  die 
durch  die  Entwicklung  der  kapital  istischen  Produktionsweise  ent- 
faltet  wurden,  wenden  sich  destruktiv  gegen  ihre  Trager,  die 
vom  Kapital  gesellschaftl ich,  arbeitsteilig  und  kooperativ  or- 
ganisierte  Klasse  der  produktiven  Arbeiter  -  bzw.  gegen  alle, 
die  in  den  hochentwickelten  kapital istischen  Metropolen  leben 
und  nicht  das  Privileg  idyllischer,  gru'ner,  Tessiner  Wohlstands- 
inseln  innerhalb  einer  verdreckten  Umwelt  genieBen." 

(24)  Kursbuch  31,  a.a.O.,  S.  48 

(25)  vgl.  dazu,  Karl  Marx,  Das  Kapital  I,  23.  Kapitel 

(26)  Autorenkollektiv,  Gefesselte  Jugend,  Frankf. /M.  1971,  S.  43 

(27)  Hollstein/Meinhold,  Sozialarbeit  unter  kapitalistischen  Pro- 
duktionsbedingungen,  S.  18ff 

(28)  Hans  Achinger,  Soziale  Sicherheit,  Stuttgart  59 

(29)  G.F.  Hegel,  Politische  Schriften,  Berlin  1912,  S.  11-12 

(30)  SPK  Nr.  23,  Aussageverweigerungsrecht  fur  Sozialarbeiter,  Berlin 
1 972 

(31)  AKS  Berlin  Red.  Kollektiv,  in:  Hollstein/Mainhold  a.a.O.S.232  ff 

(32)  ebenda,  S.  233 

(33)  vgl.  SPK  Nr.  31/32,  zur  Kritik  der  integrativen  Methode,  Berlin 
1973 

(34)  A.  Salomon,  soziale  Berufsarbeit,  S.  39 

(35)  ebenda,  S.   46  f 

(36)  vgl.   dazu  SPK  Sondernummer  Nr.   7,  Berlin  1970 

(37)  Wem  niitzt  die  Model  lbewegung?  -  SPK  Nr.   12/13,  Berlin  1970 

(38)  F.J.    Roethl isberger,  Betriebsfuhrung  und  Arbeitsmoral 
(40)  ebenda  -  Dokumentation 

41)  Vgl.   Vorstudie  zum  Sozial-Atlas  -  SPK  Nr.   20,  Berlin  1971 

42)  Claus  Offe,  Biirgerinitiativen  und  Reproduktion,  Fischer, 
Band  1233,  S.   163 

43)  Politische  Disziplinierung  von  Sozialarbeitern  in  Neukolln, 
SPJ  Nr.   30,  Jahrgang  1973/Info  Sozialarbeit  Nr.   5 


48 


(44)  Engels,  Der  Ursprung  der  Familie,  des  Privateigentums  und  des 
Staates,  Berlin  1971,  S.  191 

(45)  Andre  Gorz,  Der  schwierige  Sozialismus,  Frankfurt  1969,  S.  169 

(46)  ebenda,  S.   142 


BOCHERLISTE  ZUM  SCHWERPUNKTTHEMA 

Abendroth,  Wolfgang  -  Aufstieg  und  Krise  der  deutschen  Sozialdemokra- 
tie,  Frankfurt/M  1969 

Autorenkollektiv  Darmsta'dter  Studentenzeitung  -  SPD  und  Staat,Bln.l974 

Autorenkollektiv  -  Gefesselte  Jugend,  Fu'rsorgeerziehung  im  Kapita- 
lismus 

Autorenkollektiv  SDS/KU  -  Der  Untergang  der  Bildzeitung,  ohne  Ort 
und  Jahr 

Bergmann  und  andere  -  Rebellion  der  Studenten,  Hamburg  1968 

Fulberth,  Georg  -  Zur  Genese  des  Revisionismus  in  der  deutschen  So- 
zialdemokratie  von  1914,  in  Argument  Nr.63,  13  Jg./Marz  71 

Gorz,  Andre  -  Der  schwierige  Sozialismus,  Frankfurt/M  1965 

Hollstein,  W./Meinhold  -  Sozialarbeit  unter  kapitalistischen  Bedin- 
gungen,  Frankfurt/M  1973 

Kogon/Abendroht  u.a.  -  Der  totale  Notstand,  Frankfurt  1965 

Kuczynski,  Jlirgen  -  Klassen  und  Klassenkampfe,  Bin.   1972 

Kuhn,  Hans-Martin  -  Der  Institutional ismus  als  Strategie,  Disserta- 
tion FUB  1971 

Lapple,  Dieter  -  Staat  und  allgemeine  Produktionsbedingungen,  West- 
Berlin  1973 

Lapinski,  P.  -  Der  Sozialstaat,  Etappen  und  Tendenzen  seiner  Entwick- 
lung, ohne  Ort  und  Jahr 

Lefevre,  Wolfgang  -  Zum  historischen  Charakter  und  zur  historischen 
Funktion  der  Methode  biirgerlicher  Soziologie,  Frankfurt/M  1971 
(Insbesondere  der  Exkurs  zur  Staatskategorie,  S.  65-87) 

Lenin,  W.I.  -  Staat  und  Revolution,  Berlin  69 

Lenin,  W.I.  -  Gegen  den  Revisionismus,  Berlin  59 

Lenin,  W.I.  -  Hefte  zum  Imperial ismus,  Berlin  57 

Luxemburg,  Rosa  -  Politische  Schriften,  Leipzig  1970 

Marx,  Karl  -  Das  Kapital  1  Bd.  MEW  23,  Berlin  62 

Muller/Neusu'B  -  Die  Sozialstaatsillusion  und  der  Widerspruch  von 
Lohnarbeit  und  Kapital,  in:  SoPo  6/7,  Berlin  1970 

Rabehl,  Bernd  -  Geschichte  und  Klassenkampf ,  Berlin  1973 

Rote  Hilfe  West-Berlin  -  Staatsgewalt,  Reformismus  und  die  Politik 
der  Linken,  Kursbuch  31,  Kursbuch  Verlag/Wagenbach  1973 

Streisand,  Joachim  -  Deutsche  Geschichte  von  den  Anfangen  bis  zur 
Gegenwart,  Kbln  1972 


49  - 


SOZIALISTISCHES   BtjRO   +  VERLAG    2000  GMBH 
ALLE    LIEFERBAREN   TITEL:    FROHJAHR    197  4 

Ansatzpunkte  sozialistischer  Politik  in  der  BRD  -  Thesen  der 

Arbeitsgruppe  Sozialistisches  BLiro,  DM  2.--   (Stand  von  1970) 
Kofler/Buro:  Vom  Handelskapitalismus  zum  Neo-Imperialismus  der 

Gegenwart.  Eine  Einfiihrung  in  die  Entwicklung  der  biirgerlichen 

Gesellschaft,  DM  5.- 
Conert:  Die  politischen  Grundrichtungen  innerhalb  der  deutschen 

Sozialdemokratie  vor  dem  ersten  Wcltkrieg,   DH  5.— 
Schafer:  Die  Kommunistische  Internationale  und  der  Faschismus,  DM  5.— 
Evers/Lehmann:   Poli tisch-Okonomische  Determinanten  fiir  Planung  und 

Politik  in  den  Kommunen  der  BRD.  DM  lo.-- 
Autorenkollektiv  Assistentenpool :  Bedingungen  und  Perspektiven  der 

Stadtteilarbeit,  DM  4.— 
Van  Spall:  Obersicht  deutschsprachiger  Periodika  der  unabha'ngigen 

sozialistischen  Linker,  DM  2.5o 

REIHE  BETRIEB  UND  GEWERKSCHAFTEN 

Redaktionskollektiv  "express":  Spontane  Streiks  1973  -  Krise  der 

Gewerkschaftspolitik,  DM  6.— 
Politisches  Ende  der  EVA?  Dokumentation  zum  MedienverstSndnis  der 

Gewerkschaften,  DM  3.-- 
Conert:  Gewerkschaften  heute  -  Ordnungsfaktor  oder  Gegenmacht,  DM  3. — 
Redaktionskollektiv   "express":  Gewerkschaftliche  Vertrauensleute 

fiir  eine  antikapi talistische  Betriebsstrategie,  DM  2.5o 
Betriebsratswahl  Merck  1972.   Eine  Dokumentation,  DM  4.-- 

REIHE  INTERNATIONALE  SOLIDARITY 

Dokumente  zur  Entwicklung  in  Chile,  DM  5.— 

Wenzel/Krippendorff/Agnoli:   Klassenkampfe  und  Repression  in  Italien. 

Am  Beispiel  Valpreda,  DM  5.-- 
Brasilien-Report,  DM  2.5o 

Industrialisierung,  Fremdkapital  und  Zwangsarbeit  in  Siidafrika,  DM  4.-- 
Portugal   und  die  NATO,  DM  4.-- 

REIHE  ROTER  PAJKER 

Unterrichtseinheit  (UE)  Arbeit,  DM  4.— 

UE  Verhaltenssteuerung  -  Abweichendes  Verhalten,  DM  4.— 

UE  Lehrlingsausbildung  in  der  BRD,  DM   3.5o 

UE  Lateinamerika,  DM  4.— 

Disziplinierung  von  Lehrern.  Materialien,  Analysen,  Hinweise  zum 

Berufsverbot,  DM  4.-- 
Materialien  zur  Arbeitsfeldanalyse  des  Lehrerberufs,  DM  4.-- 
Materialien  zur  Geschichte  der  politischen  Lehrerbewegung  I 

(1789  -   1933),  DM  2.5o 
Materialien  zur  Schulbuchproduktion.  Analyse,  Tendenzen,  Alterna- 

tiven,  DM  4.-- 
UE  Bundeswehr  und  Rustung  in  der  BRD,   DM  5.-- 
UE:   Arbeiterliteratur,  DM  5. — 

PLAKAT-BAUERNVERLAG 

Alavi:   Theorie  der  Bauernrevolution,  DM  4.— 

Rechtziegler:   Westdeutsche  Landwirtschaft  im  Spatkapi talismus ,  DM  5.-- 

Bauer  was  nun?  Beitrage  zur  Agrarfrage  in  der  BRD,  DM  4.-- 

Kemper:  Marxismus  und  Landwirtschaft,  DM  5.-- 

Bergmann:  Agrarpolitik  und  Agrarwirtschaft  sozialistischer  Lander,  DM  lo. 

Hampicke:  Zur  Kritik  der  biirgerlichen  Agrarokonomie,  DM  6.— 

Verlag  2ooo  GmbH,  6o5  Offenbach  4,  Postfach  591 


REPRESSIVE  MASSNAHMEN 
IM  SOZIALBEREICH 


Fall  1:  4  Entlassungen  im  Jugendamt  Mannheim 


In  MannheiPi  leben  liber  62  000  Jugendliche  im  Alter  zwischen  6  und 
21  Jahren.  fiir  diese  Jugendlichen  sieht  die  Stadt  im  Bereich  der 
Freizeit  hauptsachlich  folgerde  "MaBnahmen"  der  Jugendarbeit  vor: 

-  Ein  Dauerangebot  innerhalb  der  Jugendfreizeitheime  und 

-  Sonderaktionen,  wie  z.B.  die  Sommerferienspiele. 

Die  Stadt  unterha'H  daflir  6  Freizeiteinrichtungen  fiir  Kinder  und 
Jugendliche.  Davon  fallen  praktisch  3  aus: 

-  Das  Jugendgastehaus  Sandhofen  ist  fiir  die  Jugendlichen  des  Stadt- 
teils  nicht  zuganglich.  Dort  finden  nur  noch  Tagungen  statt. 

-  Das  Jugendheim  Schonau  wird  renoviert  und  das  seit  fast  einem  Jahr. 
Hier  gibt  es  nur  gedrosselte  Offnungszeiten.  Das  Angebot  beschrankt 
sich  auf  Kurse  im  Fotografieren,  Kochen,  Basteln  und  Malen.  Jugend- 
liche, die  dabei  nicht  mitnachen  wollen,  diirfen  nicht  ins  Haus. 

-  Auf  der  Vogelstang  ist  seit  letzten  Herbst  die  "Jugendbaracke"  weg- 
gefaflen.  Es  gnbt  dort  nur  noch  den  "Jugendladen",  ein   Raum  von 
ca.  30  qm. 

Dem  miserablen  Raumangebot  und  der  ungenu'genden  finanziellen  Ausstat- 
tung  hat  nun  das  Jugendamt  durch  die  plotzliche  Entlassung  von  4  Mit- 
arbeitern  des  Nachbarschaftshauses  Rheinau  am  2.5.74  die  Spitze  auf- 
gesetzt. 

Das  Nachbarschaftshaus  Rheinau  ist  eine  Einrichtung  der  Stadt  Mann- 
heim. Es  wird  hauptsachlich  von  Kindem  und  Jugendlichen  besucht.  Die 
durchschnittliche  Besucherzahl  pro  Woche  betragt  800  Kinder  und  Ju- 
gendliche. Diese  kommen  zu  einem  grolJen  Teil  aus  kinderreichen  Arbei- 
terfamilien.  Sie  kbnnen  ihre  Freizeit  nicht  in  den  zu  kleinen  Woh- 
nungen  verbringen  und  sind  deshalb  auf  das  Jugendfreizeitheim  ange- 
wiesen.  Hinzu  kommt,  daB  meist  beide  Elternteile  arbeiten.  Das  Ta- 
schengeld  reicht  auch  nicht  aus  fiir  den  Besuch  teurer  Discotheken  in 
der  Stadt.  . 

Fur  die  Betreuung  der  Besucher  des  Nachbarschaftshauses  Rheinau  waren 
im  letzten  halben  Jahr  2  1/2  festangestel lte  Mitarbeiter  tatig.  Dazu 
kamen  1  Praktikant  und  10  Mitarbeiter,  die  nur  stundenweise  bescha'f- 
tigt  waren,  sogenannte  Honorarkrafte.  Von  diesen  wurden  jetzt  vier 
rausgeschmissen.  Sie  wurden  rausgeschmissen, 

-  weil  sie  die  Selbstverwal  tungsversuche  der  Jugendlichen  unterstutzten; 

-  weil  sie  sich  als"Berater"und  nicht  als  "Aufpasser"  anboten; 

-  weil  sie  auf  die  Interessen  der  Jugendlichen  und  Kinder  roehr  ein- 
gingen,  als  auf  die  Vorstellungen  des  Jugendamtes,  das  fiir  die 
stadtische  Jugendpolitik  verantwortl ich  ist. 

(Dokumentation:  C.Lenz,  68  Mannheim, Lange  Rbtterstr.  23) 

-  51  - 


Fall  2:  Landesjugendring  Bremen  wehrt  sich 
gegen  Eingriffe  des  Senates 


Am  18.  Juni  wurde  der  Vorstand  des  "Landesjugendring  Bremen  e.V." 
vom  Senator  fur  Soziales,  Jugend  und  Sport  aufgefordert,  die  bei 
ihra  angestellten  Bildungsreferenten  "vorsorglich"  zum  31.12.74  zu 
klindigen.  Diese  MaBnahme  wurde  folgendermaBen  begrlindet: 
"Die  Anstellung  der  Bildungsreferenten  war  eine  Obergangslbsung  bis 
zum  Inkrafttreten  des  neuen  Jugendbildungsgesetzes  am  1.1.75." 
(Bisher  war  die  auBerschulische  Jugendarbeit  durch  ein  Referentenpro- 
gramm  vorlaufig  geregelt)  Im  Rahmen  des  neuen  Gesetzes  -  so  der  Sena- 
tor -  sei  z.Zt.  "vollig  offen,  ob  kiinftig  noch  der  Landesjugendring 
. . .Anstellungstrager  fur  Bildungsreferenten  sein  wird".  (Schreiben 
des  Senators  vom  18.6.74) 

Der  Vorstand  des  Landesjugendringes  dagegen  gent  davon  aus,  daB  er 
auch  weiterhin  Trager  auBerschul ischer  Jugendbildung  sein  wird, und 
die  Arbeit  der  Bildungsreferenten  im  Sinne  des  neuen  Gesetzes  fort- 
gesetzt  werden  kb'nne.  Er  lehnte  daher  die  sogenannte  "vorlaufige" 
Klindigung  der  Referenten,  die  ihm  und  der  Verwaltung  laut  Senatsbe- 
grlindung  "Handlungsfreiheit. .  .zur  Lbsung  der  anstehenden  inhaltlichen 
und  strukturellen  Probleme"  sichern  sollte,  mit  dem  begrundeten  Hin- 
weis  ab,  daB  die  Klindigung  de  facto  endgliltig  sei,  da  sie  die  Betrof- 
fenen  zwinge,  sich  urn  neue  Stellen  zu  bemuhen. 


In  einem  offenen  Brief  an  sei 
wies  der  LJR  Bremen  darauf  hi 
in  Form  des  behbrdlichen  Kiind 
in  den  zustandigen  Gremien,  g 
tischen  Gepflogenheiten  stehe 
Eingriff  in  die  Autonomie  fre 
kung  des  politischen  Handlung 
hauptberuflichen  Mitarbeiter" 
Der  Konflikt  ist  derzeit  unen 


ne  Mitglieder  sowie  Parteien  und  Presse 
n,  daB  die  Behandlung  von  Personal fragen 
igungsdekrets  ohne  vorherige  Erbrterung 
rundsatzl ich  im  Widerspruch  zu  demokra- 

und  daB  er  darin  "einen  gravierenden 
ier  Trager"  sehe,  der  nur  als  "Einschran- 
sspielraums  der  Jugendverbande  und  ihrer 

bewertet  werden  kbnne. 
tschieden. 


(Landesjugendring  Bremen,  28  Bremen,  Kalkstr.  6) 


Fall  3:  Jugendamt  Bremen  entla'Bt  Fortbildungsreferenten 


"Nash  sorgfaltiger  Prufung  teilen  wir  Ihnen  mit,  dali  wir  die  Zusam- 
menarbeit  mit  Ihnen  und  Invent  Team  in  unseren  Fortbildungsseminaren 
innerhalb  der  Abteilung  Jugendforderung  nicht  fortsetzen  kOnnen. " 


So  beginnt  ein  vom  12.6.1974  datiertes  Schreiben  des  Leiters  des 
Jugendamtes  der  Stadt  Bremen,  ''arschner.  Empfanger  sind  Dr.  Christian 
Marzahn,  Hans  Kamp  und  Christel  Schu'tte,  die  seit  einem  Jahr  ein 
Fortbildungsprogramm  unter  dem  Thema:  "Politische  Bildung  im  Jugend- 
freizeitheim",  im  Auftrage  des  Bremer  Jugendamtes  mit  Kollegen  der 
Jugendfreizeiteinrichtungen  durchflihrten. 

-  52  - 


Die  Fortbildungsarbeit  gliederte  sich  in  drei  Lehrgange: 

-  im  ersten  ging  es  urn  die  schichten-  und  klassenspezifische  Arbeits- 
und  Lebenssituation  der  Jugendfreizeitheimbesucher,  um  die  Funk- 
tion,  die  die  Freizeit  zur  Aufrechterhaltung  der  kapitalistischen 
Produktionsverhaltnisse  hat  und  die  Frage,  an  wessen  Interessen 
sich  eine  Freizeitarbeit  orientieren  muB,  die  sich  dieser  Funktion 
nicht  unterwerfen  will; 

-  im  zweiten  wurde  Liber  die  institutionellen  Gesetzma'Sigkeiten  und 
Widersprliche  gearbeitet  und  Konsequenzen  flir  die  Durchsetzung  von 
Arbeitsbedingungen  im  Interesse  der  Freizeitheimbesucher  entwickelt; 

-  der  dritte  Lehrgang  schlieBlich  dients  der  Auswertung  inzwischen  be- 
gonnener  Aktivita'ten  und  der  Ausarbeitung  weiterer  praktischer  An- 
satze  eines  Konzepts  politisch  verstandener  Jugendfreizeitarbeit. 

Eben  an  diesem  Punkt  hielt  dies  die  Leitung  des  Jugendamtes  Bremen 
flir  nicht  mehr  vertretbar,  da  "der  Inhalt  und  die  Methoden  Ihrer 
Arbeit   (die  des  Fortbildungsteams,  d.  Verf.)  zu  einer  zunehmend 
einseitigen  politischen  AusHahtung  eines  Teils  der  Mitarbeiter  und 
daw.it  zu  einer  politischen  Polarisierung  innerhalb  der  Arbeit  der 
Abteilung  Jugendforderung  gefuhrt  haben",   wie  der  Jugendamtsleiter 
in  bewuBtem  Brief  formuliert. 

War  die  Entwicklung  der  Fortbildungsveranstaltungen  schon  sehr  bald 
miBtrauisch  von  der  Burokratie  bea'ugt  worden,  sah  man  sich  seitens 
des  Jugendamtes  in  dem  Moment  zum  Abbruch  der  Fortbildung  veranlaBt, 
als  sich  herausstellte,  daB  die  gemeinsame  Arbeit  liber  die  objektiven 
Widerspr'uche  und  Konflikte  im  Bereich  der  Jugendfreizeit  nicht  im 
Theoretischen  verblieb,  wie  man  es  aus  sonstigen  konformen  Veranstal- 
tungen  her  kennt,  sondern  praktische  Konsequenzen  hatte,  namlich  den 
Versuch,  die  Arbeitssituation  zu  verandern. 
Als  sich  die  Kollegen  der  Fortbildungsreihe  mit  anderen  von  der 
Burokratie  disziplinierten  Mitarbeitern  einer  Freizei teinrichtung 
solidarisierten  -  obwohl  Herr  Marschner  dies  ausdriicklich  verboten 
hatte  -  sah  dieser  keine  "Mbglichkeit  einer  Zusammenarbeit  mehr." 

In  ihrem  Antwortschreiben  haben  die  drei  Betroffenen  des  Teams  die 
Vorwlirfe  zurlickgewiesen  und  dargelegt,  daB  in  dieser  Fortbildungs- 
veranstaltung  gerade  nicht  manipuliert  wurde: 

"Abgesehen  dawn,   daJi  hinter  dieser  Meinung   (die  Polansierung  sei 
das  Ergebnis  politischer  Indoktrination,  die  Verf.)  die  ebenso 
g&ngige,   wie  falsche  Auffassung  Von  der  politisohen  Verfuhrbarkeit 
vieler  durah  einige  wenige  zu  stehen  soheint  -  die  wir  nicht  teilen, 
veil  sie  politische  Unmundigkeit  und  Verfuhrbarkeit  der  Menschen  ^ 
unterstellt,   wo  die  Bedingungen  angegeben  werden  muliten,^  die  poli- 
tisches  Lernen  ermoglichen  oder  verhindern  -  scheinen  Sie  unsere 
Fortbildungsarbeit  doch  erheblich  zu  ubersch&tzen.    Die  wissenschaft- 
liche  und  politische  Diskussion  um  die  Funktion  und  die  Orientie- 
Pimg  der  Jugendarbeit  hat  ja  niaht  erst  mit  unseren  Fortbildungsse- 
minaren  begonnen;   sie  ist  selbst  ein  Produkt  der  objektiven  Wider- 
svruche  und  Konflikte,   denen  Jugendarbeit  unter  unseren  gesellschaft- 
Uchen  Bedingungen  ausgesetzt  ist."   (aus  dem  Antwortschreiben  der 
Teammitglieder,  vom  18.6.74). 


53 


Ob  Heir  Marschner  diese  Aussage  begriffen  hat,  erscheint  zweifelhaft. 
Unzweifelhaft  hingegen  ist,  daB  er  sich  gema'B  seiner  staatlichen 
Funktion  verha'lt  und  erkannt  hat,  daB  es  ausschlieBl  ich  mit  Hilfe  von 
Repression  z.Zt.  noch  mbglich  ist,  eine  Infragestellung  seiner  Legi- 
timation zu  verhindern  -  und  nicht  nur  seiner. 

Die  Teammitgl ieder  planen  die  Herausgabe  einer  Dokumentation  Uber 
die  Fortbildungsarbeit. 


Fall  4:  Teilnehmer  der  Sozialistischen  Aktion 
fristlos  entlassen 


Die  Saat  einiger  Gruppierungen  innerhalb  der  Arbeitsgemeinschaft  fiir 
Jugendhilfe  (AGJ)  tragt  ihre  ersten  FrUchte.  Ende  Mai  1974  benutzte 
die  AGJ  die  Vorbereitungen  der  Sozialistischen  Aktion  zura  Jugendhil- 
fetag  als  Vorwand,  urn  den  Jugendhilfetag  1974  abzusagen  und  einer 
inhaltlichen  Auseinandersetzung  auszuweichen  (siehe  "links"  Nr.  52, 
56,  57  und  Info  Sozialarbeit  Nr.  6  und  7).  In  diffamierender  Form  - 
die  Berufsverbote  und  politischen  Disziplinierungen  einkal kul iert  - 
stellte  sie  in  ihren  Verbffentl ichungen  die  Teilnehmer  der  Sozialisti- 
schen Aktion  als  "chaotische,  intolerante,  undemokratische  und  die 
freiheitlich-demokratische  Grundordnung  bekampfende"  Gruppe  dar. 

Die  ersten  Entlassungen  lieBen  dann  auch  nicht  lange  auf  sich  warten: 
2  Mitarbeitern  der  Victor-Gollancz-Stiftung  (VGSt)  in  Frankfurt, 
einer  bundeszentralen,  vom  BMFJG  finanzierten  Fortbildungsinstitu- 
tion  flir  Sozialarbeiter/SozialpSdagogen,  wurde  fristlos  geklindigt. 

Welche  Duplizitat  der  Ereignisse  -  am  29.5.  stimmt  der  1.  Vors. 
dieser  Stiftung,  ohne  vorherige  Absprache  mit  der  Mitgliederschaft 
und  unter  Ausschaltung  der  demokratischen  Organe  fiir  die  Absetzung 
des  Jugendhilfetages; 

-  am  17.6.  wird  der  Gescha'ftsfuhrer  der  AGJ  als  Mitglied  der  VGSt 
kooptiert  und  sofort  in  den  Vorstand  gewahlt, 
und  vier  Wochen  spa'ter  erfolgt  die  Klindigung  der  beiden  Kollegen 
H.  Bott  und  H.  Swoboda  (beide  hatten  an  dem  Vorbereitungstreffen  der 
Sozialistischen  Aktion  in  Hamburg  teilgenommen).  Als  Grlinde  flir  die 
Entlassung  mlissen  "Unregelma'Bigkeiten  in  der  Arbeit"  herhalten, 
durch  die  das  Vertrauensverhaltnis  zwischen  dem  1.  Vors.  und  den 
beiden  Mitarbeitern  zerstbrt  sei. 

Die  VGSt  verfiigte  bisher  -  aufgrund  ihrer  "demokratischen  Struktur" 
(?)  und  ihres  an  den  Interessen  der  "Klienten"  und  der  Sozialarbei- 
ter/Sozialpadagogen  orientierten  Fortbildungsansatzes,  bei  Sozialar- 
beitern/Sozialpa'dagogen  an  der  Basis  liber  ein  sehr  groBes  Ansehen  - 
Bundesjugendministerium,  die  Tragerverbande  und  Chefs  in  den  Verwal- 
tungen  beobachteten  die  Fortbildungsinstitution  und  die  Verbffent- 
lichungen  der  verschiedenen  Arbeitsgruppen  zunehmend  skeptischer; 
erst  vor  wenigen  Monaten  erhielt  der  konservative  Deutsche  Verein 
fiir  bffentliche  und  private  Fiirsorge  die  Zusage  des  BMFJG  zur  Durch- 
fuhrung  eines  Model Iprojektes  zur  Fortbildung  im  Elementarbereich  - 

-  54  - 


die  Vertreter  der  groBen  Verbande  Caritas,  Diakonisches  Werk,  Stadte- 
tag  hatten  sich  gegen  das  vorhandene  Konzept  der  VGSt  durchgesetzt, 
ohne  selbst  ein  inhaltliches  Konzept  entwickelt  zu  haben. 

Die  Kundigungen  stellen  daher  nicht  nur  eine  Disziplinierung  von 
Teilnehmern  der  Sozialistischen  Aktion  dar,  sondern  leiten  eine  Ein- 
schrankung  des  fortschrittlichen  Fortbildungskonzeptes,  das  sich  durch 
seinen  konsequenten  Theorie-Praxis-Bezug  auszeichnete,  ein.  Nicht 
ganz  von  der  Hand  zu  weisen  sind  Vermutungen,  wonach  es  einige  Ver- 
treter der  Tragerverbande  und  auch  das  BMFJG  gern  sahen,  wenn  die 
VGSt  als  Fachabteilung  in  den  Deutschen  Verein  eingegliedert  werden 
wurde.  Noch  ist  es  aber  nicht  soweit,  und  der  Widerstand  an  der 
Sozialarbeiterbasis  regt  sich  allenthalben. 

Mitglieder  der  VGSt,  ehemalige  Lehrgangsteilnehmer,  Padagogen  und 
Wissenschaftler,  Sozialarbeiter/Sozialpadagogen  protestierten  bereits 
gegen  diese  Disziplinierung  und  fordern  die  sofortige  RUcknahme  der 
Klindigung. 

Genossinnen,  Genossen,  Kolleginnen  und  Kollegen!  H.  Bott  und  H.  Swoboda, 
die  beide  gegen  diese  Klindigung  vor  das  Arbeitsgericht  gehen,  beno- 
tigen  unsere  Solidaritat.  Schreibt  an  den  Vorstand  und  die  Mitglieder 
der  VGSt,  6000  Ffm.,  Wilhelm-Leuschner-Str.  25,  und  fordert  ihn/sie 
auf,  unverziiglich  die  fristlose  Entlassung  der  beiden  Kollegen  zuru'ck- 
zunehmen  und  keine  Abstriche  des  Fortbildungskonzeptes  vorzunehmen. 
Durchschriften  bitte  an  das  Redaktions-Kollektiv  Info  Sozialarbeit 
im  Sozialistischen  Biiro,  605  Offenbach  4,  Postfach  591. 


Fall  5:  Bewohner  von  Obdachlosensiedlungen 
kampfen  flir  ihre  Rechte 


"UNS  REICHTS!  WIR  WOLLEN  MENSCHLICH  WOHNEN! 

WIE  LANGE  WERDEN  WIR  NOCH  VERSCHAUCKELT?  NUR  WEIL  WIR 

"ASOZIALE"  SIND?  " 

So  beginnt  ein  Flugblatt  von  Bewohnern  Frankfurter  Obdachlosensied- 
lungen,mit  dem  sie"sich  am  28.9.74  unterstutzt  von  Sozialarbeitern 
und  der  Initiative  Mieterbund-Unione  Inquilini  an  die  Offentlichkeit 
und  den  Kommunalpol itischen  Parteitag  der  Frankfurter  SPD  wandte. 

Vor  ca.  2  Jahren  beschloB  man  im  Magistrat  in  einem  groB  angelegten 
Sanierungsplan  die  Auflbsung  aller  Obdachlosensiedlungen:  Einwei- 
sungsstopp  flir  Notunterklinfte,  den  derzeitigen  Bewohnern  sollte  nach 
und  nach  normal  er  Wohnraum  zur  Verfligung  gestellt  werden  (siehe 
Info  Sozialarbeit  Nr.  2) 

Den  Bewohnern  der  "Ahornstr.",  die  oft  schon  langer  als  10  Jahre  in 

"solchen  Behausungen  leben": 

"-  inrner  schief  angeguckt  zu  werden, 

-  pro  Person  nur  9  qm  Wohnraum, 

-  mit  6-7  Familien  auf  einem  Flur, 

-  55  - 


-  keine  abgeschlossene  Wohnung  zu  haben, 

-  miserable  sanitare  Anlagen  etc." 

wurden  fur  dieses  Jahr  neue  Sozialwohnungen  versprochen.  Seit  7  Mona- 
ten  hatten  sie  eine  Zusage,  gemeinsam  haben  sie  sich  auf  den  Umzug 
vorbereitet,  neue  Mb'bel  angeschafft  und  auf  die  Zusage  der  Stadt 
vertraut. 

Doch  aufeinmal  wollte  man  im  Sozialdezernat  und  im  Wohnungsamt  da- 
von  nichts  mehr  wissen  -  "besonders  Sozialdezernent  Berg  wollte  nur 
15  von  35  Familien  einziehen  lassen,  der  Rest  sollte  vertrostet  bzw. 
auf  Altbau-  und  Dachwohnungen  irgendwo  verteilt  in  der  Stadt  abge- 
speist  werden. 

Berg  hatte  aber  seine  Rechnung  ohne  die  Bewohner  gemacht,  sie  ver- 
standen,fijr  ihre  Rechte  zu  kampfen,   sie  zogen  zum  kommunalpoliti- 
schen  Parteitag,  machten  ihre  Rechnung  auf  und  forderten  die  Einhal- 
tung  der  Versprechungen. 

Durch  die  gemeinsamen  Diskussionen  und  vorbereitungen  auf  den  Umzug 
hatten  sie  erfahren,  daB  sie  nur  gemeinsam  etwas  erreichen  konnten, 
sie  wollten  nicht  isoliert  voneinander  wohnen,  sie  wollten,  daB  ihre 
Kinder  in  den  gewohnten  Kindergarten  und  die  Schule  gehen  konnten 
und  auch  ihren  Arbeitsplatz  in  der  Na'he  nicht  aufgeben: 
"DAS  AILES  LASSEN  WIR  UNS  NICHT  NEHMEN!  WIR  WOLLEN  IN  DIE  AUSGE- 
SUCHTEN  UND  BEREITS  ZUGESICHERTEN  SOZIALWOHNUNGEN  EINZIEHEN,  WIE  ES 
DAS  RECHT  OEDER  "NORMALEN"  FAMILIE  1ST!" 

Den  Sozialdemokraten  blieb  nichts  anderes  librig  -  denn  wer  la'Bt  sich 
vor  den  Landtagswahlen  schon  nachweisen,  daB  Versprechen  nicht  ein- 
gehalten  werden  -  diese  Forderungen  anzuerkennen  und  ihren  Sozial- 
dezernenten  zurlickzupfeifen. 

Der  gemeinsame  Kampf  der  Bewohner  hatte  Erfolg  -  ein  Grund  fur  sie 
zu  feiern. 

(Dokumentaticn  Fritz  Reidenbach  .,  6  Ffm.,  Sigmund-Freud-Str.    103) 


JUGENDCLUB  SUCHT  MITARBEITER 

Wer  hat  Lust  innerhalb  der  Initiativgruppe  Eulenkopf 
mit  den  Jugendlichen  einer  Randsiedlung  zu  arbeiten? 
Es  sind  auch  Stellen  frei  fur  Jahrespraktikanten. 

Anfragen  und  Bewerbungen  an: 


Christine  Tute ,  63  Giessen,Hardtallee  29 


JUGENDHILFE  IN  DANEMAHK 

Eine  Dokumentation  (  1oo  S.)  uber  eine  Studienfahrt  von  Heim- 
erziehern,FHS-Studenten  und  Dozenten. 

Berichtet  wird  uber  Jugendhilf eeinrichtungen(insbes .Heimerziehung) , 
Alternativmodelle  und  die  Vor-  und  Nachbereitung  der  Studienfahrt. 

Zu  beziehen  gegen  Voreinsendung  von  DM  3> —  +  Porto(ab  1o  Hefte 
2o$   Rabatt)  bei :  Marie-Luise  Buchzoik,  6  Frankfurt  I.ZeiBelstr.  8 
PSCHA  Frankfurt  Nr.  18  19  83  -  6o2 


Fall  6:  Jugendhaus  in  Frankfurt-Bockenheim  besetzt 
Polizei  inszeniert  StraBenschlacht 


Seit  1  1/2  Jahren  kampfen  die  Jugendlichen  der  "Jugendhausinitiative 
Bockenheim"fiir  ein  Jugendhaus.  In  den  vergangenen  Jahren  wurde  ihnen 
ein  Haus  nach  dem  anderen  zugemacht:  das  Nachbarschaftsheim  brannte 
1972  ab  und  wurde  bis  heute  nicht  wieder  aufgebaut,  die  Ra'ume  des 
Jugendclubs  v.  Jugendsozialwerk  und  der  Markus-Gemeinde  wurden  1973 
aufgekundigt. 

Die  Jugendlichen  aus  den  geschlossenen  Jugendclubs  haben  sich  darauf- 
hin  zu  einer  Jugendhaus-Intiative  zusammengeschlossen:  "Wir  wollen 
nicht  nur  in  der  Freizeit,  sondern  auch  in  Elternhaus,  Betrieb  und 
Schule  unsere  Rechte  durchsetzen,  denn  wir  wollen  nicht  in  Ohnmacht 
und  Abhangigkeit  aufwachsen,  sondern  lernen,  selbst  zu  bestinmen, 
was  wir  wollen  und  machen.  Dazu  brauchen  wir  ein  Jugendhaus,  das 
von  uns  selbst  gestaltet  und  verwaltet  wird  -  ein  selbstverwaltetes 
Jugendzentrum!" 

Die  Jugendlichen  haben  Briefe  an  das  Jugendamt  geschrieben  und  20 
geeignete,  leerstehende  Hauser  vorgeschlagen,  sie  haben  durch  eine 
Reihe  verschiedener  Aktivitaten  weitere  Jugendliche  angesprochen 
und  mit  den  Initiativen  aus  anderen  Stadtteilen  zusammengearbeitet, 
da  sie  bald  merkten,  daB  sie  von  der  Stadt  (Jugendamt)  gegeneinan- 
der  ausgespielt  wurden. 

Vom  Jugendamt  wurden  sie  immer  wieder  vertrostet  und  mit  der  Bemer- 
kung  abgespeist,  es  sei  kein  Geld  fiir  das  Jugendhaus  in  Bockenheim 
vorhanden.  Die  Jugendlichen  lieBen  aber  nicht  locker  und  am  5.7.74 
wurde  ein  seit  2  Jahren  leerstehendes  Haus  (ehemalige  Sozial station 
in  der  Varrentrapstr.  bei  einer  offentlichen  Begehung  mit  der  Sach- 
gebietsleiterin  Abt.  "Jugendpflege"  und  einem  Vertreter  des  Schul- 
amtes  (das  Haus  untersteht  dem  Schulamt)  als  fiir  geeignet  befunden. 
Wer  nun  gehofft  hatte,  die  Jugendlichen  wurden  bald  das  Haus  erhal- 
ten,  sah  sich  getauscht  -  Jugendamt  und  Schulamt  schoben  sich  gegen- 
seitig  die  Verantwortung  zu  und  praktizierten  Hinhaltetaktik. 

Verschauckeln  wollten  sich  die  Jugendlichen  aber  nicht  lassen:  nach 
einem  Fest  am  18.10.  in  der  Sozialstation  Bockenheim,  zogen  uber 
200  Jugendliche  zu  dem  leerstehenden  Haus  und  besetzten  die  sich  im 
tadellosen  Zustand  befindende  Sozialstation. 

Gegen  23  Uhr  -  (die  Verhandlungen  zwischen  den  Jugendlichen  und  dem 
zusta'ndigen  Jugendamtsleiter  Faller  -  "so  kbnnt  ihr  es  doch  nicht 
machen"  -  dauerten  nicht  lange)  ruckte  die  Polizei  mit  einer  Hundert- 
schaft  und  zwei  Wasserwerfern  an,  sperrte  die  StraBe  und  raumte  nach 
und  nach  das  besetzte  Haus.  Ca.  150  Jugendliche  wurden  brutal  im 
Polizeigriff  in  U-Haft  abgeflihrt. 

Mittlerweile  hatten  sich  auf  der  Hamburger  Allee  eine  Menschenmenge 
angesammelt  -  Jugendliche,  Studenten  und  Anwohner  diskutierten  diese 
Raumung,  empbrten  sich  uber  die  Vorgehensweise  der  Polizei,  insbes. 
als  bekannt  wurde,  daB  das  Jugendhaus  in  den  nachsten  Tagen  uber- 
geben  werden  sollte  und  schon  80  000  DM  im  Etat  eingeplant  sind. 

-  57  - 


Aber  Diskussion  und  Emporung  sind  der  Polizei  schon  zuviel,  ohne 
Vorwarniing  fing  die  Polizei  an,  StraBen  und  Biirgersteige  mit  ihren 
Wasserwerfern  zu  saubern.  "Dann  gabs  Wasser,  Tranengas,  Steine, 
Wasser,  Tranengas,  Steine.  Die  Bullen  kamen  nicht  auf  die  StraBe 
raus,  wir  hielten  die  Kreuzung  besetzt  und  immer  wenn  sie  sich  vor- 
wagten,  wurden  sie  dick  mit  Steinen  eingedeckt.  Nach  einer  Stunde 
hi n  und  her  wurde  es  uns  zu  bunt,  daB  die  Wasserwerfer  uns  daran 
hinderten,  in  die  StraBe  vorzudringen.  Wir  schoben  einen  am  StraBen- 
rand  stehenden  Bauwagen  iiber  die  Kreuzung  in  die  StraBe  rein  auf  die 
Wasserwerfer  zu.  Dies  wurde  mit  Tranengaskerzen  beantwortet,  die 
einem  ganz  schon  zum  Heulen  brachten  und  oben  auf  dem  Haus  stand  ein 
Genosse  und  schwenkte  eine  rote  Fahne.  Die  Tranengaswerfer  fuhren 
vor  und  versuchten,  den  Bauwagen  von  der  Kreuzung  zu  schieben,  der 
fiel  aber  um  und  wurde  von  dem  tonnenschweren  Fahrzeug  teilweise 

zerquetscht  und  oben  auf  dem  Dach  stand  ein  Genosse 

Die  Bullen  gingen  dazu  liber,  kleine  Greiftrupps  aus  Zivilen  zu 
bilden,  das  war  fur  uns  das  Zeichen  zum  Ruckzug." 

(aus  dem  Flugblatt  der  Jugendhaus-Initiative/Informations-Dienst 
v.  20.10.74) 


LESERBRIEF/REDAKTIONSMITTEILUNG 


PROBLEME 

DES  KLASSEN-     a 

KAMPFS  J{ 


13 


DM  7,00 


Erhattlich  in  den  Buchladen  oder  direkt  beim  Verlag: 
POLITLADEN  ERLANGEN       852  ERLANGEN   POSTFACH  2849 


Abonnements  sind  nur  direkt  vom  Verlag  beztehbar.  Abo-Preis  fur  6  Einfachhefte  (bzw. 
2  Einfach  und  2  Doppelheftel  ist  DM  31,00  inklusive  Versandkosten.  Luftpostabonnements 
(nur  auSerhalb  Mitteleuropas) :  DM36,00.  Die  Lieferung  wird  aufgenommen,  sobald  dar 
Abo  Betrag  beim  Verlag  eingegangen  ist.  Dabei  ist  anzugeben,  ab  welchem  Heft  die  Zusen- 
dung  gewunscht  wird.  wvobei  friihestmoglicher  Abo-Bsginn  das  zuletzt  etschienene  Heft  ist. 
Bezahlung  durch  Ubeniveisung  an  Politladen  GmbH,  852  Erlangen,  Konto  Nr.  3234-850 
Postscheckamt  Niirnberg  oder  Konto  Nr,  1190  Ratffeisenkasse  Effeltrich/Of r.  Auslandsiiber- 
weisungen  bitte  nu-  per  Post,  da  Bankijberweisungen  mit  Gebuhren  belastet  werden. 


Norbert  Kostede 
Redaktionskollektiv 
Gewerkscha  ften 

Altva  ter/Ho  ffmann/ 
Schoeller/Semmler 

Pedro  Garcia  Lopez 


Akkumulation  und  Mittelklassen 

Bedingungen   sozialistischer 
Gewerkschaftsarbeit 

Entwicklungsphasen  und  -tendenzen  des  Ka- 
pitalismus  in  Westdeutschland  (I.  Teil) 
Materialien  zur  spanischen  Streikbewegung 
der  letzten  Jahre 


In  den  vevgongenen  Wochen  und  Monaten  bekamen  wir  sehr  viele   Zu— 
sehriften,    in  denen  wir  urn  Auskunft  nach  Anti-Psychiatrie-Gruppen, 
Wohngemeinschaften  etc.    in  der  BRD  und  dem  Ausland  gefvagt  wurden. 
Eine  Genossin,    die  damals  dringend  Kontakte  zu  solchen  Gruppen  ge- 
suaht  hatte,   hat  uns  nun  in  einem  sehr  langen  und  aus ftihr lichen 
Brief  iiber  ihre  Kontaktaufnahme  zu  Gruppen  in  England  berichtet. 
Die  wiohtigsten  Teile  dieses  Briefes  druaken  wir  hier  ab. 
Weiterhin  moahten  wir  eine  Liste  Shnlicher  Gruppen  und  Beratungs- 
stellen  in  der  BRD  susamnenstellen.    llir  bitten  daher  alle  Gruppen, 
Kontakt-  und  Beratungsstellen,    die  sich  mit  diesen  Fragen  beschSfti- 
gen  und  auseinandersetzen,    uns  kurz  ihre  Anschrift,    Konseption  und 
Arbeitsweise  mitzuteilen.    Eine  zusammengestellte  Liste  wtirde  dann 
im  Info  Sozialarbeit  und  Info  Gesundheitswesen  erscheinen  kdnnen 
bzhi.    auf  Anfrage  Betroffenen  mitgeteilt  werden. 


"Ich  war  nun  fur  2  Wochen  in  London  und  hatte  auch  das  Glu'ck,  die 
richtigen  Leute  zu  treffen.  Erstmal  schreibe  ich  Euch  die  Adressen 

auf: 

I.  "COPE"  heiBt  die  Gruppe,  die  sich  selbst  so  definiert: 
"We  are  a  group  of  people  who  see  the  need  in  our  present  fucked-up 
society  for  a  new,  different,  alternative,  noncapital iste  approach 
to  peoples'  freakauts,  bad  nerves,  madness  label  it  as  you  will." 
("Wir  sind  eine  Gruppe  von  Leuten,  die  die  Notwendigkeit  sieht,  in 
unserer  heutigen  abgefuckten  Gesellschaft  auf  eine  neue,  alternative, 
nichtkapitalistische  Weise  an  das  Ausgefl ipptsein,  die  schlechten 
Nerven,  die  Verriicktheit,  nennt  es  wie  Ihr  wollt,  der  Leute  heran- 
zugehen.") 

Sie  sind  eine  ganz  junge  Gruppe,  die  erst  grad  jetzt  die  erste 
Wohngemeinschaft  anlaufen  lieBen,  wo  "Patienten"  aufgenommen  werden 
kb'nnen.  Sie  haben  aber  schon  seit  langerer  Zeit  ein  Zimmer  einge- 
richtet,  wo  fast  rund  urn  die  Uhr  einer  sitzt,  wo  man  hingehen  kann 
oder  anrufen,  wenn  man  glaubt,  es  geht  nicht  mehr  weiter. 

Ober  "COPE"  kann  man  alle  Bucher  iiber  Anti-Psychiatrie  und  alter- 
native Psychologie,  die  noch  nicht  ins  Deutsche  Ubersetzt  sind, 
billig  beziehen.  Buchlisten  kann  man  anfordern. 

pie  Adresse  ihres  Bliros: 

COPE,  15  Acklam  Road,  London  W  10  -  tel . :  2778786 


-  59  - 


2.  fiPU  -  Mental  Patients  Union  -  arbeitet  starker  im  Bereich  der 
Offentl ichkeitsarbeit  gegen  die  Zustande  in  den  Psychiatrischen 
Krankenhausern  (PK)  und  organisiert  sowas  wie  Betriebszellen  in  den 
PK's,  urn  die  Interessen  der  "Patienten"  dort  besser  vertreten  zu 
kbnnen.  Sie  scheinen  radikaler  zu  sein  als  alle  anderen  Gruppen  und 
lehnen  zura  groften  Teil  alle  Therapien  ab. 

Die  Adresse: 

MPU  37  Mayola  Road,   Clapton,   London,  E  5  -  tel.:   9865251 

3.  Anti-Psychiatrie-Gemeinschaften,  die  die  ganze  Sache  in  London 
anfingen,  wo  auch  R.D.    Laing  noch  dabei    ist: 

-  Philadelphia  Association 

74  a  Portland  Road,  London  W  11  -  tel.:  2890215 
Sie  haben  4  Wohngemeinschaften  im  Moment,  von  denen  nichts  weiter 
zu  sagen  ist,  als  das  jede  sich  ihre  eigenen  Regeln  gibt.  Die 
Psychiater  und  Sozialarbeiter,  die  in  dieser  Organisation  sind, 
wohnen  nicht  mit  in  diesen  Gemeinschaften.  Sie  haben  nur  beratende 
Funktion.  Es  ist  noch  zu  sagen,  dal3  sie  ihre  Wartelisten  haben, 
d.h.  wenn  die  Frage  ganz  dringend  auftaucht,  entweder  Anstalt  oder 
"Philadelphia-Gemeinschaft",  sehen  die  Chancen  sehr  m'es  aus. 

-  Arbours  Association 

55  Dartmouth  Park  Rd.,  London  NW  5  -  tel.:  2670304 

Eine  Organisation,  die  vor  allem  ein  Kurz-Zeit-Krisenzentrum  un- 

terhalt,  wo  Leute  also  flir  ein  paar  Wochen  Zuflucht  nehmen  kbnnen, 

damit  sie  nicht  in  eine  Anstalt  mlissen. 

Sie  verlangen  aber  pro  Tag  ziemlich  viel  Geld  von  den  Patienten, 

was  sehr  beschissen  ist. 

-  PNP  (People  not  Psychiatry) 

18  Russel  Garden  Mews,  London  W  14 

Eine  Organisation,  die  liber  ganz  England  ein  Telefonnetz  hat, 
dieses  verbffentl icht,  so  daB  man  in  vielen  Stadten  Englands  Leute 
anrufen  kann,  uber  die  man  dann  Kontakte  finden  kann. 
In  London  haben  sie  Therapiegruppen,  die  auf  der  der  Gestaltthera- 
pie  von  F.  Perls  aufbauen  (und  meiner  Meinung  nach  sehr  gut  sind). 
Soviel  ich  jetzt,  3  Monate  nach  meiner  Englandfahrt,  gehbrt  habe, 
gibt's  PNP  nicht  mehr,  zumindest  laufen  in  London  die  Therapie- 
gruppen von  Ihnen  nicht  mehr.  Warum  und  wieso  sie  kaputt  gegangen 
sind,  trotz  der  guten  Therapie,  die  sie  gemacht  haben, und  inwie- 
weit  das  mit  ihrem  fehlenden  politischen  Anspruch  zusammenhing, 
kann  ich  Euch  vielleicht  ein  anderesmal  mitteilen.  (aus  einem 
folgenden  Brief) 

4.  Was  ich  Euch  vor  allem  irgendwie  mitteilen  wollte  ist,  wie  gut 
dort  in  London  all  diese  Alternativen  Gruppen  zusammenarbeiten  und 
sich  gegenseitig  tolerieren:  Da  gibt's  eine  Organisation  -  CLAP. 
Die  geben  einmal  im  Monat  ein  Blatt  heraus,  wo  alle  neuen  und  alten 
Gruppen  und  Organisationen,  die  irgendwelche  Alternative-Arbeit 
leisten,  aufgeflihrt  sind  und  was  sie  machen  und  vorhaben  (von  Frauen- 
gruppen,  Maoisten  bis  zu  den  Landkommunen,  die  biologisch-dyramisches 
Zeug  anbauen  usw. ) 

Jede  Gruppe  gibt  einen  bestimmten  Betrag  ihres  Geldes  an  CLAP,  das 
es  dann  wieder  verteilt,  so  da(3  die  erst  neu  entstandenen  Gruppen, 
die  noch  von  nirgendwo  Geld  bekommen,  auch  Geld  bekommen,  urn  sich 
weiterentwickeln  zu  kbnnen.  Eine  Sache  also,  die  das  Sozial istische 
Bu'ro  fiir  Deutschland  irgendwann  einmal  ubernehmen  mu'Bte,  kbnnte, 
sollte,  was  meint  ihr? 


-   60 


Alle  Informationen  liber  Kontaktadressen  zu  sozial  istischen  und 
sonstigen  spontanen  Alternativ-Gruppen  und  Organisationen  sind  liber 
den  BIT-Information  146  Great  Western  Rd.   London  W  11   zu  erfahren. 
Alle  Infos  uber  alternative  Arbeit  im  Bereich  des  Gesundheitswesens 
und  speziell   der  Psychiatrie  eher  liber  "COPE". 

Tschuss,  macht's  weiter  gut.   Gabi  wl 


2.Arbeitsseminar  "Sozialarbeit  im  Knast"  Februar   1975 

Das  1.  Arbeitsseminar  1975  soil    sich  mit  dem  Thema  "Sozialarbeit  im 

Knast"  beschaftigen.   Ein  vorla'ufiges  Strukturierungspapier  flir  das 

Arbeitsseminar  und  den  Info  Sozialarbeit  Nr.9  kann  alien  Interes- 

sierten  zugesandt  werden. 

Wir  fordern  alle  Gruppen  und  Einzelne,  die  in  dieseni  Bereich  arbeiten 

und  an  einer  Mitarbeit  interessiert  sind,  auf,  uns  Berichte, Frage  - 

stellungen, Material ien.Hinweise  etc.   zu-zuschicken. 

Die  Koordination  flir  dieses  Arbeitsseminar  hat  eine  Gbttinger  Gruppe 

Ubernommen.Kontaktadresse:   Dbrthe  Uhlendorf ,34Gbttingen,Ruhstrathbhe7 

3,Juqendpolitisches  Forum  6.   -  8.12.1975  in  Frankfurt 

Die  in  der  Initiative  Jugendpol itisches  Forum  zusammenarbeitenden 
Gruppen  -  Bund  Demokratischer  Jugend/BDP-Deutsche  Jungdemokraten- 
Naturfreundejugend  Hessen-Sozial istische  Aktion  -  haben  die  Vorbe- 
reitungen  aufgenommen. 


Anmeldung  und  weitere  Informationen  liber 
Forum-Koordinationsbliro-,   6  Frankfurt  9o 


Initiative  Jugendpol itisches 
Hamburger  Allee  49  IV 


Das  Sozialistische  Bliro  unterstlitzt  diese  Initiative  und  gibt  ein 
"links"-Extrablatt  zum  Jugendpol itischen  Forum  heraus. 
Das  Extrablatt  kann  gegen  vorauszahlung(in  Briefmarken)   sofort 
bezogen  werden. 


61    - 


INFORMATIONSD I ENST  DES  SLB 
(Sozialistischer  Lehrerbund) 

Sozialistische  Lehrer  arbeiten  heute  vereinzelt,  in  kleinen 
Oder  grb'Beren  Orten,  an  Grund-,  Haupt-,  Real-  und  Berufsschulen, 
an  Gymnasien  und  Gesamtschulen  ohne  ausreichenden  Kontakt  zu- 
einander.  Sie  werden  oft  konfrontiert  mit  Problemen  und  Kon- 
flikten,  raft  denen  andere  Gruppen  schon  ihre  Erfahrungen  ge- 
sammelt  haben.  Der  SLB-Info  soil  der  Information  und  Koopera- 
tion  zwischen  sozialistischen  Lehrern  und  deren  Organisierung 
dienen. 

Folgende  Info-Ausgaben  sind  zur  Zeit  noch  erhaltlich: 

Ausgabe  12  (Doppelnummer):  In  dieser  Ausgabe  sind  die  wichtig- 

sten  Beitrage  aus  den  davor  erschienenen  Infos  zusammengestellt. 

Ausgabe  13:  Schwerpunktthema  "Grundschule" 

Ausgabe  14:  Schwerpunktthema  "Gesamtschule" 

Ausgabe  15  (Doppelnummer):  Schwerpunktthema  "Berufsschule" 

Ausgabe  16  (Doppelnummer):  Schwerpunktthema  "Gewerkschaft  Erzie- 

hung  und  Wissenschaft" 

Ausgabe  17:  Schwerpunktthema  "Hauptschule" 

Ausgabe  18:  Zur  neuen  Funktion  des  Info  -  Thesen  zur  Situation 

und  Aufgabe  von  sozialistischen  Lehrern  -  Material ien  zur  GEW- 

Arbeit. 

Einfachnummer  DM  3.  —  ,  Doppelnummer  DM  5. — 

Jahresabo  DM  lo.—  +  DM  2.8o  Porto 

Auch  Probehefte  kbnnen  nur  gegen  Bezahlung  abgegeben  werden. 

Bezug:  Verlag  2ooo  GmbH,  6o5  Offenbach  4,  Postfach  591 


NEUER  INFO  IM  SOZIALISTISCHEN  BORO 
INFORMATIONSDIENST  GESUNDHEITSWESEN,  Heft  1 

Im  Marz  1974  hat  sich  ein  Arbeitsfeld  Gesundheitswesen  im  Sozia- 
listischen Biiro  konstituiert.  Die  erste  Ausgabe  eines  neuen  Info 
Gesundheitswesen  dient  einer  (gewiss  noch  unvollstandig^n)  Be- 
standsaufnahme  der  bisherigen  theoretischen  und  praktischen  Akti- 
vita'ten  des  Arbeitsfeldes.  Der  Info  bringt:  Arbeitsberichte  von 
Uni-Gruppen  aus  Marburg,  Frankfurt,  Munster  und  Mainz;  einen 
Praxisben'cht  aus  Munchen  der  "Sozialmediziner  Hasenbergl"  (Stadt- 
teilarbeit);  einen  Beitrag  eines  Berliner  Genossen  zur  Strategie 
im  Gesundheitswesen;  Einscha'tzungen  und  Konsequenzen  aus  der  OTV- 
Tarifrunde  im  Gesundheitswesen  in  Westberlin;  Briefe  und  Kurzbe- 
richte  aus  Erlangen,  Essen,  Wurzburg,  Papenburg  und  Munchen;  Auf- 
ruf  zur  Bildung  einer  Projektgruppe  Arbeitsmedizin. 

In  spateren  Ausgaben  des  Info  sol  len  Ansa'tze  politischer  Praxis 
in  der  stationaren  Versorgung  (Probleme  am  Arbeitsplatz  Kranken- 
haus,  Tendenzen  und  Alternativen  der  stationaren  Versorgung)  sowie 
Ansa'tze  einer  Stadtteilarbeit  in  der  ambulanten  Versorgung  be- 
handelt  werden. 
Verlag  2ooo  GmbH,  6o5  Offenbach  4,  Postfach  591  (Preis  DM  3.  —  ) 


NACHRICHTEN/TERMINE 


1.1  Achtung  Berufsverbote 

Wer  mochte  an  der  Neufassung  der  Berufsverbotsbroschure 

des  Sozialistischen  Lehrerbundes  mitarbeiten? 

In  der  Reihe  Roter  Pauker  wurde  als  Heft  3  Anfang  1973  die  Broschure 
"Disziplinierung  von  Lehrern"  erstellt. 

Seitdem  haben  Berufsverbote  (Nichteinstellungen,  Einstellungsver- 
zbgerungen  und  Entlassungen)  -  nicht  nur  von  Lehrern  -  gewaltig 
zuqenommen:  Waren  es  vorher  noch  einzelne  'Falle  ,  so  wirdin  den 
letzten  zwei  Oahren  die  Berufsverbotspraxis  gezielter  betrieben. 
Zur  Unterstiitzung  des  Kampfes  gegen  die  Berufsverbote  halten  wir 
eine  Neubearbeitung  der  Berufsverbotsbroschure  fur  notwendig,  Mate- 
rial dazu  wird  bereits  gesammelt. 

Wer  zu  dieser  Broschure  mit  Dokumentationen,  Zeitungsausschnitten 
u  a.  beitragen  mochte,  schicke  diese  Papiere  bitte  an  den  SLB  im 
Sozialistischen  Buro,  605  Offenbach  4,  Postfach  591.  Einzelgenossen 
oder  Gruppen,  die  sich  mit  dieser  Sache  bereits  beschaftigen  und 
interessiert  sind,  an  einer  Neufassung  der  Berufsverbotsbroschure 
mitzuarbeiten,  wenden  sich  bitte  ebenfalls  an  den  SLB. 

2.)  Wohngemeinschaften.  Treff  v.  28.2.  -  8.3.1975 

Die  Katholische  Hochschul-Gemeinde  Wurzburg  organisiert  ein  Wohnge- 
meinschaftstreffen  vom  28.2.  -  8.3.1975  auf  der  Burg  Rothenfeld 
bei  Marktheidenfeld  fur  Mitglieder  von  Wohngemeinschaften  in  der  HKU 
und  Westberlin.  Ein  vorlaufiges  Programm  sieht  vor:  Gesprache  in 
fruDPen  Peferate  und  Diskussionen  iiber  "Das  Leber  in  der  Wohngemem- 
schaft"  -  "Die  gesellschaftliche  Bedeutung  von  Wohngemeinschaften  - 
"Fntwicklung  von  Kooperationsformen". 

Genaue  Auskunft  und  Anmeldung:  Elmar  Senghaas  c/o  KHG,  87  Wurzburg, 
Hof stall str.  4 


3.)  Jugendarbeitslosigkeit 

wie  im  gesamten  Bundesgebiet  ist  auch  in  Kblln  die  Arbeits^os^gkeit 


ne^tieqen.  Sie  hat  sich  gegenuber  dem  Vorjahr  nahezu  verdoppelt: 
von  2  295  Arbeitslosen  im  Jul i  1973  auf  5  579  im  Jul i  1974.  Dabei 
c-ind  vor  allem  die  Baubranche,  Angelernte  und  Jugendliche  betroff 
Von  den  rund  11  000  Schulabgangern  dieses  Jahres  blieben  rund  700 
nhne  Arbeitsplatz  oder  Ausbildungsvertrag  (trotz  gegenteiliger  Be 
hauptungen  Kblner  Rathausparteien)  3  500  wurden  in  Lehrstellen  ve 


mittelt,  der  Rest  besucht  weiterfuhrende  Schulen. 

Kummer  macht  dem  Arbeitsamt  vor  allem,  daB  die  Jugendlichen  trotz 


63  - 


Arbeitslosigkeit  und  "Not"  gar  keine  Lust  haben,  zu  arbeiten  Oder 
irgendeinen  Job  anzunehmen. 

Der  Leiter  des  Kblner  Arbeitsamtes,  Feller,  klagte,  den  betroffenen 
Jugendlichen  mangel e  es  nicht  so  an  der  Fahigkeit,  sondern  vor  all  em 
am  Willen,  zu  arbeiten.  Regional  gesehen,  ist  NRW  das  Bundesland  mit 
der  hb'chsten  Arbeitslosenrate.  In  Teilen  des  Ruhrgebietes  liegt  die 
Rate  bereits  Liber  der  der  Rezession  von  1966/67  (Gelsenkirchen  Liber 
5  %). 

(aus  Kb'lsche  Klungel,  Sept.  '74) 


4.)  Wirtschaftskrise  -  Ansteigen  der  Sozialhilfeempfanger  - 
Zu  wenig  Beamte  flir  zu  viele  Sozial hi lfeempf anger  - 

"Die  Zahl  der  Sozialhilfeempfanger  vergroBert  sich  in  Frankfurt  jedes 
Jahr  um  weitere  zehn  Prozent.  1963  waren  es  noch  etwa  3500  Frankfur- 
ter, die  in  Sozialstationen  flir  ihre  Beihilfen  anstanden  -  heute  sind 
es,  wie  man  im  Sozialamt  ausgerechnet  hat,  um  die  7000. 
Der  Wirtschaftslage,  den  standig  steigenden  Lebenshaltungskosten  und 
Mieten  wird  in  der  Sozial verwaltung  die  Schuld  an  der  wachsenden 
Not  gegeben. 

Die  Not  in  der  Sozialstation  Obermain,  zum  Beispiel:  Hier  warten 
manchmal  sechzig,  manchmal  achtzig  Leute  im  Gang  vor  der  Tlir  flir 
"Wirtschaftl iche  Sozialhilfe".  Sie  warten  drei  Stunden  und  langer  in 
diesem  Gang  ohne  Fenster  und  Luftung  -  Schwangere  sind  darunter, 
Frauen  mit  Kindern,  Gebrechliche,  Trinker,  psychisch  Kranke. 
Hanchem  Sozialhilfeempfanger  wird  inzwischen  sein  Geld  zwar  liber- 
wiesen,  aber  bei  alien  gehe  das  nicht,  weil  bei  einigen  die  Gefahr 
bestehe,  dal3  sie  das  Geld  nicht  flir  ihren  Lebensunterhalt  benutzen. 
Diese  Leute  mu'ssen  manchmal  viermal  im  Monat  anstehen.  In  der  Sozial- 
station Obermain  fehlen  gegenwartig  bei  11  Stellen  drei  Mitarbeiter 
in  der  "Wirtschaftl ichen  Sozialhilfe"  -  13  Stellen  waren  nbtig." 

(aus  Frankfurter  Rundschau) 


5.)  Und  noch  ein  Verband 

Ein  Verband  Sozialarbeiter/Sozialpadagogen  im  Beamtenbund  wurde  in 
Stuttgart  gegrlindet.  Sein  nachstes  Ziel:  Eingangsstufe  10  flir  alle 
FHS-Absolventen  und  Alt-Absolventen;  AuBendienstzulage. 

6.)  Bundesjugendministerium  reagiert  auf  Kritik  am  Jugendhilferecht 

Nach  Beratungen  im  Bundeskabinett  wurde  das  Jugendhilfegesetz  von  der 

Tagesordnung  dieser  Legislaturperiode  abgesetzt. 

Der  Referentenentwurf  soil  noch  einmal  grlindl  ich(?)  liberarbeitet  wer- 

den  und  dann  der  Ministerprasidentenkonferenz  vorgelegt  werden,weil 

groBe  finanzielle  Belastungen  auf  Lander  und  Kommunen  zukomnren. 

0b  allerdings  das  Sprichwort  'Was  lange  wahrt,  wahrt  gut1  hier  zu- 

trifft,  muB  alien  Ernstes  bezweifelt  werden. 


64 


MATERIALIEN 


1.) 

2.) 

3.) 


*.: 


5.) 


6.) 


7.) 

8-) 


9.) 


Nachrichtendienst  der  Gefangenenrate  -   Berichte  und  Briefe 
aus  in-  und  auslandischen  Gefangnissen.  Nr.   3  und  4  Gefangenen- 
rat,  6  Frankfurt,  Glauburgstr.   75  a 
Informationsdienst  der  AG  Knast  "Thema  Strafvollzug" 
an  der  FHS  Darmstadt  berichtet  Liber  den  Strafvollzug  in  der 
BRD,  Liber  Isolationsfolter  und  bringt  aktuelle  Nachrichten. 
Der  Info  erscheint  unregelma'Big  und  wird  kostenlos  verteilt. 
AG  Knast  c/o  AStA  der  FHS,  61   Darmstadt,  Schbfferstr.   3 
JUGENDHILFE  (insbes.   Heimerziehung)  -   Eine  Dokumentation  Liber 
clie  Studfenfahrt  von  15  Heimerziehern  und  5  Studenten  nach 
Danemark  im  Herbst  1973. 

Berichtet  wird  liber  die  Eindriicke  aus  mehr  als  10  Schul-,   Kin- 
der-, Jugend-und  heiltherapeutischen  Heimen,  Liber  neue  Model  le 
bffentlicher  Erziehung,  sowie  liber  Vor-  und  Nachbereitung  der 
Studienfahrt. 

Die  BroschLire  (100  S.)   ist  gegen  Vorauszahlung  von  DM  3.-- 
+  Porto   (ab  10  Hefte  20  %  Rabatt)  zu  beziehen  liber: 
Marie-Luise  Buchzcik,   6  Frankfurt  1,  ZeiBelstr.   8 
PSCHA  Ffm.   Nr.   18  19  83  -  602 

Fachliche  Informationen  zur  Jugendfdrderung  Nr.   7/74 
entha'lt  Zahl  en  und  Fakten  zur  Beruf lichen  Bildung,  einen  Aufsatz 
"Zur  Bildungssituation  der  Jugendlichen  ohne  Ausbildungsvertrag" 
-  Ergebnisse  einer  Studie  des  BBF  Berlin,  Nachrichten  etc. 
Kostenlos  zu  erhalten:  Arbeiterwohlfahrt  Bundesverband 
53  Bonn,  Ollenhauerstr.   3 

Kolner  Info  Linker  Leute  "Kblsche  Klungel "  entha'lt: 
Widerstand  ist/war  mbglich:   Chile  1973/Ehrenfeld  1943, 
Zum  Thema  Knast,  Die  wirklichen  Spaltungen  in  der  Roten  Hilfe, 
Sozialistisches  Bliro  Kbln,   Nachrichten  etc. 
Den  Klungel  gibt's  im  ABo  DM  10.-  und  erscheint  monatlich 
Kblsche  Klungel ,  5  Kbln  1,  Luxemburgerstr.   55 
Politische  Arbeit  als  Berufsschullehrer  -  Seminarpapiere  aus 
eTnem  Arbeitsseminar  der  AG  Beruf sschule  im  Lehrerzentrum  Aachen. 
Die  Protokolle  (ca.   25  Seiten)  sowie  regelma'Bige  Informationen 
aus  dem  Lehrerzentrum  sind  gegen  Voreinsendung  von  DM  1.-  zu 
erhalten:   Lehrerzentrum  Aachen,  51  Aachen,  Mauerstr.  92 
Berichte  aus  der  Zeltlagerarbeit  der  Falken  in  ARBEITERJUGEND 
Ur.   fi-9/74  SJD  Die  Falken,   53  Bonn,  Kaiserstr.    71 
Stadtteilzeitung  PERLACH  AKTUELL  Nr.  6  und  7  u.a.   "Sozialzentrum- 
Konfliktzentrum'f/"Schulmisere  in  Neuperlach"  gegen  Voreinsendung 
von  je  DM  -.50  +  Porto  zu  erhalten  bei: 
Klaus  Burner,  8  MU  83,  Karl-Marx-Ring  51 

Neben  dem  Referentenentwurf  zum  neuen  Jugendhilferecht  hat  der 
Bund  Deutscher  Pfadfinder  auch  den  sehr  umfangreichen  Text  der 
Begrundung  zum  JHR  (ca.   250  Seiten)  nachgedruckt. 


-   65   - 


Zu  erhalten  gegen  Voreinsendung  von  DM  6.-  +  Porto  beim 
BDP,  6  Frankfurt,  Hamburger  Allee  49 
10.)Neue  Filme  im  Zentral   Film  Verleih  Hamburg 

-  ' Allein  machen  sie  Dich  ein'   Ein  Film  des  Georg  v.   Rauch-Haus- 
Kollektivs  Westberlin,  16  mm,  72  min. 

-  'Die  Fabrik  ist  da,  wo  die  Arbeiter  sind'   Dokument  der  Bedin- 
gungen  und  Ausdrucksformen  des  Kampfes  der  Lip-Arbeiter.   Beson- 
ders  deutlich  wird  dabei  die  Bedeutung  der  Frauen  im  selbstorga- 
nisierten  Kampf,   16  mm,   50  min. 

-  'Pack  an'   -  Eltern,  Kinder  und  Studenten  kampfen  im  Bremerhave- 
ner  Obdachlosengebiet  Grlinhb'fe  urn  den  Erhalt  einer  Kinderschule. 
Sie  lernen,  gemeinsam  gegen  die  Interessen  von  Kirche  und  Behbr- 
den  vorzugehen.   16  mm,  28  min. 

-  'Sexual  it'a't  und     K(l  )assenkampf   -  Lehrlinge  und  Schliler  dis- 
kutierer  u'ber  die  Erfahrung,  daB  ihre  Bedlirfnisse  unterdriickt 
werden  und  wie  man  sich  dagegen  wehren  kbnnte.   16  ram,  30  min. 
Die  Filme  werden  verliehen  von: 

Zentral  Film  Verleih,  2  Hamburg  36,  Karl   Muck  Platz  9,  Tel. 345544 

ll.)RES0  -  INFO  Nr.  4: 

Berichte  aus  den  Regionalgruppen,  Entwurf  eines  Konzeptes  fur 
das  neue  Jugendwohnzentrum  der  AW,  Wu'rzburg,  Bericht  SSK  etc. 
Herausgeber:  AG  SPAK  -  Bundesgeschaftsstelle  -  8  Munchen  80, 
Elsasserstr.  9 

12.)Dokumentation  "Ausbeutung  im  Knast" 

Strafgefangene  der  JVA  Kaisheim  beschreiben  die  Produktionsver- 

haltnisse  im  Knast  und  untersuchen  die  bkonomische  und  politi- 

sche  Funktion  des  Knastes.  Am  Ende  des  Berichtes  wird  versucht, 

eine  pol itische  Perspektive  der  Knastarbeit  und  -kritik  zu 

entwickeln. 

Die  Dokumentation  ist  erhaltlich  bei  Vorauszahlung  von 

DM  2.50  +  Porto:  Peter  Schult,  8  Munchen  90,  Gemmersheimerstr.26 

13.Unformationsdienst  Berliner  Undoqmatischer  Gruppen 

Der  Info  erscheint  wbchentlich  -  in  den  letzten  Heften  Nr.  23  - 
26  wird  sehr  vie!  Uber  die  Situation  im  Knast  berichtet. 
Preis  -.50  DM.  Info-BUG  1  Berlin  21,  Stephanstr.  60 

14,)Jahrbuch  der  Arbeiterwohlfahrt 

Es  enthalt  Berichte  und  Hinweise  u.a.    -  Das   Institut  fur  Sozial- 
arbeit/Sozialpadagogik  -  Kinderspielplatze  -  Theorie  und  Praxis 
auBerschulischer  Jugendbildung  -  Obersicht  liber  Zeitschriften  zu 
Fragen  sozialer  Arbeit-. 
Zu  beziehen  Liber:  AW0  Bundesverband  e.V.,53  Bonn,011enhauerstr .3 

15. )EinfUhrung  in  Theorie  und  Praxis  der  Sozialarbeit 

von  Karam  Khella   ,   erschienen  im  Theorie  und  Praxis-Verlag 

2  Hamburg  76,  Hofweg  59/66 

16.)Sondernummer  1  der  Jugendzeitschrif t  "Fragezeichen"  bringt: 

Kinderarbeit  in  Jugendlagern(Erfahrungsberichte) .Spontaneitat  u. 
Frustration,  Auseinandersetzung  urn  die  Politik  der  SDAJ. 
Bezug  gegen  DM2,—   in  Briefmarken:Schriftversand  Peter  Moch, 

3  Hannover,   Kurz  Kampstr.    12c 
17.)Lohnrunde  und  KHse 

Vierseitiges  Extrablatt  der  Express-Redaktion  und  Plakat-Gruppe; 
Gegen  Voreinsendung  von  DM  2,—  flir  2o  Stuck:  Verlag  2ooo  GmbH, 
6o5  Offenbach  4,  Postfach  591 


66 


KLEINANZEIGEN 


Student  der  Sozialpadagogik  sucht  Material ien  und  Erfahrungsberichte 
aus  der  Praxis  mit  Hauptsch~ulern  (Bildungsarbeit  und  Schulsozial- 

arbeit) 

Elsbeth  Gummy,  61   Darmstadt,  Schleiermacherstr.    12 

FHS-Student  sucht  fur  Examensarbeit  Kontakte,  Material,  Literatur- 

Trinweise  zum  Themenbereich  Abenteuerspielplatze-Sozialarbeit 

Martin  Huesmann,  44  Mlinster,  Kettelerstr.   29 

Sozialpadagoge  im  Anerkennungsjahr  sucht  interessante  Tatigkeit 

in  der  Jugendarbeit  insbes.   Jugendwohnkollektive 

Christian  AndoTir,  43  Essen-Frintrop,  Oberhauser  Str.   93 

FHS-Studentin  sucht  flir  Examensarbeit  Kontakte,  Maternal   zum  Tnemen- 

•bpreich:  Evangel ische  Jugendarbeit  in  der  BRD  seit  1949,  insbes. 

Krit.   Auseinandersetzungen  mit  der  kirchl.  Jugendarbeit,   Ideologie 

und  Selbstverstandnis,  Konzepte  f.d.  HOT-Arbeit  etc. 

Gabriele  Hartl ,  61  Darmstadt,  Jahnstr.  4 

Im  Marburger  Jugendamt  ist  die  Stelle  eines  Sozia  arbeiters  trei,, 

die~hicht  ausgeschneben  ist,  aber  bei  Bewerbung  besetzt  werden  soil. 

Informationen  H.  Wolff,  355  Marburg,  Haspelstr.  4       .  -;_ 

Wir  -  3  Sozialarbeiter/innen  -  mbchten  in  2-3  Jahren  eine  fortschntt- 

liche  Heimerziehung  aufbauen,  und  zwar  als  Team  ein  Heim  (Pflegenest 

o  a.)  bauen  Oder  mieten  fur  Kinder  zwischen  6  -  14/16  Jahren.  Wer 

mbchte  mitarbeiten?  Wer  hat  Informationen  uber  Organisation,  Finan- 

zierung  und  Erfahrung  aus  ahnlichen  Projekten? 

Kontaktadresse:  Waltraud  Mantej ,  463  Bochum,  Hofsteder  Str.  75 

Sozialarbeiterin,  z.Zt.  Studium  der  Soz.Pa'dagogik  sucht 

Kontakt  zu'BasTsgruppen  im  Raum  MUnster/Krefeld/Wesel/Kleve,  die  am 

Sozialistischen  Buro  sich  orientieren.     .,..,.,.,   D- 

Zuschriften  an  Redaktion  Info  Sozialarbeit  im  Sozialistischen  Buro. 

Diplom-Sozialpadagogin  (24  J.)  sucht  ab  1.12.74  oder  spater  mter- 

essante  Tatigkeit  ini  uroBraum  Frankfurt. 

Marie-Luise  Buchczik,  6  Ffm.,  Zeisselstr.  8  '  ' 

Sozialarbeiter(in)  mit  Anerkennungsjahr  oder  Erzieher(in)  fur 

TTRFNTEUERSPIELPLAIZ  gesucht.  Anstellung  zum  1.10.  oder  spater. 

MT  Va/IVb;  Zuschriften  an  Elterninitiative  Heerstr.  Nord  e.V. 

c/o  Manfred  Kruger,  Berlin  20,  Pillnitzer  Weg  22 

Wir  suchen  fur  unsere  kollektive  Arbeit  uber  Motivation,  Intension 

und  Realitat  von  Wohngemeinschaften  geeignetes  Material.  Wer  uber 

Seminarpapiere,  Zeitschriften,  Protokolle  etc.  zum  theoretischen 

oder  empirischen  Problemfeld  des  Themas  verfligt,  wende  sich  bitte  an 

Bernhard  Schafer,  355  Marburg,  Steinweg  35 

Ich  bin  32,  seit  1969  im  Knast,  und  suche  Kontakt  nach  drauBen. 

Ich  habe  in  der  Knast-Zeit  HauptschulabschluB,  Abitur  und  Funkkolleg 

"Padagogische  Psychol ogie"  sowie  zwei  Semester  in  Heimarbeit  abge- 

schlossen.  Es  reicht  aber  nicht,  sich  selbst  politisch  zu  erziehen. 

Wer  schreibt  mir?  Werner  Plamann,  28  Bremen,  Sonnemannstr.  2 

-  67  - 


INFORMATIONSDIENST 
ARBEITERBILDUNG 

Schwerpunktthema: 

BILDUNGSARBEIT  MIT  LEHRLINGEN 
IN  EINEM  PARTNERSCHAFTSBETRIEB 


lmm«r  mit  tUr  Fu*i,  /<*"«*-  Ma**  t  Wt  «W  zumr 
am  ftuhttrsth*,ftsb*hitbt  aJ»v  SolttM*.  dec  d*»e 
Btint  U*rhr  **€**•*»   Tfstft  ft*£+f  hSJt+S+  #u  dicA 


Dieser  Info  Arbeiterbildung  Nr.8  (96  S.  DM  5,  —  )  dokumentiert  den 
Bericht  iiber  einen  "Betriebsunterricht"  ait  etwa  3o  Lehrlingen  in 
der  Firma  Joh.Friedrich  Behrens,  Ahrensburg  und  vermittelt  somit 
Materialmen   zur  Bildungsarbeit   in  Partnerschaftsbetrieben. 

Im  Rahmen  dieses   "Betriebsunterrichts"  wurde   ein  Film  gedreht : 
HIER   MLJSSEN   DIE  LEHRLINGE  SELBST  AKTIV  WERDEN 
(Lohnverhandlungen  73/71*   in  einem  Partnerschaftsunternehmen) 

Anfragen  bezuglioh  des   Films   an  das  Redaktionskollektiv  des    Info 
Arbeiterbildung,    c/o  Sozialistisches   Biiro,    6o5  Offenbach  !t, 
Postfach   591    (bitte   nur   schriftlich) ;   die  Anfragen  uerden  an   das 
Produzenten-Kollektiv  weitergelei tet ,   das    euch  benaehrichtigt . 


Fur  unsere  Projektarbeit  (GWA)  in  einer  Frankfurter  Obdachlosensied- 

lung  suchen  wir  Sozialarbeiter(in)  rait  dem  besonderen  Aufgabengebiet 

Familienberatung.  AuBerdem  suchen  wir  Studenten  fur  Kinderarbeit  in 

Familien  und  Spielstuben  (kann  als  theoriebegleitendes  Praktikum 

anerkannt  werden) . 

Kontaktadresse:  U.   Blonski,  Tel.:   0611/5481924 

Student  der  Sozialarbeit  sucht  Praktikums telle  in  einem  fortschritt- 

lichen  Kinderheim  (FE,  FEH,  Heilpad.   Heim  o.a.)   fiir  ca.   6  Monate 

ab  Februar  1975. 

Uwe  Lohse,   593  HUttental ,   Dillnhiitten,  Setzer  Str.   3 

Die  Projektgruppe  Arbeitne hirer  in  Kiel   betreut  Gastarbeiterkinder. 

Wir  wollen  einen  Deutschunterricht  fur  TUrken  aufbauen.Welche 

Gruppe  kann  uns  mit  einer  geeigneten  Konzeption  und  Erfahrung  weiter- 

helfen? 

Kontakt-Adresse:  Jens  Myrau,  23  Kiel,  Freiligrathstr.  11 

Beim  Aufbau  eines  nach  demokratischen  Gesichtspunkten  organisierten 

Jugendtreffpunktes  suchen  wir,  eine  Hamburger  Juso-Gruppe,  dringend 

Hilfe.  Vor  allem  benbtigen  wir  Material ien  und  Projektberichte,  die 

sich  mit  Fragen  der  Organisation,  der  Selbstbestimmung  und  mit  der 

rechtlichen  Problematik  (Traqerschaft,  b'ffentliche  Mittel  usw.) 

befassen. 

Kontakt:  J.  Pape,  2  Hamburg  73,  Boytinstr.  17 

Zur  Organisation  eines  Erfahrungsaustausches  von  Gruppen  der 

Mieterselbstverwaltung  wird  Kontaktaufnahme  mit  Mieterbeiraten  von 

Wohnungsbaugesel  1  schaften ,  f'.ieterraten,  Mieterinteressengemeinschaf- 

ten  und  Mietervereinen  gesucht  bzw.  urn  Vermittlung  von  Anschriften 

solcher  Zusammenschllisse  gebeten. 

J.  Wolf,  46  Dortmund,  PUttbeckenstr.  49 

Alten-Selbstorganisation  in  Gruppen,  Wohngemeinschaften  und  Alters- 

heimen.  Wer  hat  Erfahrungen  getnacht?  Wer  kann  uns  mit  Berichten  und 

Literaturhinweisen  helfen? 

Adresse:  Georg  Solms,  4  Dlisseldorf,  Berger  Allee  3 

Wir  suchen  dringend  im  Rahmen  eines  Projektes  Material ien,  Erfahrungs- 

Praxis-Berichte  u.a'.  von  1.    Initiativgruppen  flir  Ougendzentren, 

2.  Arbeitsgruppen  liber  Lehrlingsprobleme  und  Sexual itat  innerhalb 

der  Jugendarbeit. 

Adresse:  Fachschaft  Padagogik,  Universitat  Trier,  Scheidershof , 

Projekt-Jugendzentrum. 

Berufspraktikant  sucht  Material ien  und  Erfahrungsberichte  zur 

Arbeit  in  Sanierunqsburos  (Tra'ger:  Kommune)  mit  dem  Anspruch,  mit 

den  betroffenen  Gruppen  zu  arbeiten. 

Adresse:  Hanne  Loser,  5804  Herdecke,  Hauptstr.  104 

Suche  zum  Thema  Betriebliche  Interessenvertretung  der  Arbeiterjugend 

historisches  und  aktuelles  Material,  Literaturhinweise,  Arbeiten 

u.a.  bzw.  bin  am  Austausch  interessiert. 

Adresse:  K.  Nattin,  2  Hamburg  20,  Eppendorfer  Landstr.  49 

Suche  dringend  Material ien  und  Erfahrungsberichte  Uber  Selbsterfah- 

rungs-,  C.R.-  Oder  Gesprachsgruppen  in  der  Frauenbewegung. 

Sabine  Ha'derle,  55  Trier-Zewen,  Alzenachstr.  12 

Die  Sozialistische  Jugend  Deutschlands  "Die  Falken",  Kreisverband 

Kbln,  sucht  flir  die  Jugendarbeit  in  Kdln  ab  sofort  einen  Jugendsekretar. 

Voraussetzungen  sind  mindestens  21  Jahre  alt,  abgeschlossene  Berufs- 

bildung  oder  abgeschlossenes  Studium  als  Sozialarbeiter,  Lehrer  usw. 

Die  Bewerbungsunterlagen  sind  zu  schicken  an: 

SJD  Die  Falken,  5  Kbln  1,  Severinswall  32 


-  69 


r^-zt^ 


LIEPER  VON  TRAUEN 

Best.Nr.  L35    Stereo    LP  33/30    DM18.00 


Lieder  von 
Frauengruppen 

aus  Miinchen, 
Frankfurt  und 
Darmstadt 

Hrsg.  ram  Kollekt 
„Frauenoffensive" 
c/o  Trikont-Verlag 
8  Munchen   80 
Josephsburgstr.  16 


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Westberfner  Buchiaden  Kolektive      C  WBK  ) 


keine  privaten  profite 


Buc>tedv%o«*tli*  CimtjH 
III  103111  313  »  S3 


Du  PoMi*cr*  But* 


Communa  GmbH 

l^w  0*0  Eicr*n  «4c 
mi  (ran  I  (32  83  » 


i„ lam]  «ua« 


Schulabganger  (mittlerer  BildungsabschluB)   sucht  Lehrstelle  als 

Buchhandler  bzw.  Arbeit  in  einem  Buchladen   (keine  Vorkenntnisse) . 

Adresse:    Urs   Burkle,   7  Stuttgart,   Wilhelm-Blos-Str.    54 

Jugendzentrura  MUhlacker  e.V.    in  Selbstverwaltung,   sucht  dringend 

eine(n)  qua! if iziertefn)   Sozialarbeiter(in) ,  der/die  Erfahrung   in 

der  Arbeit  mit  Jugendl lichen,  Gruppenpadagogik  etc.    haben  sollte  und 

die  Selbstverwaltung  des  JZ  unterstu'tzt. 

Jugendzentrum  MUhlacker  e.V.,   713  MUhlacker  1,   Stuttgarter  Str.   5 

Jugendgemeinschaftsprojekt  in  Hamburg  benbtigt  fUr  das  Team  noch 

eine(n)  ausgebildete(n)   Erzieher(in)  oder  Sozialarbeiter(in). 

Kleine  2-Zimmer-Wohnung  vorhanden.   Telefon:   040/6445570 

Sozialpadagogin  graduiert  sucht  zum  1.10.74  eine  Planstelle  mbglichst 

in  oder  Raum  Braunschweig,   evtl .    Lehrl ingsarbeit: 

Renate  Krusekopf,  33  Braunschweig,  Wilhelm-Rose-Str.    2 

Ich  suche  Veroffentl ichungen  (Biicher,  Examensarbeiten  etc.)  zum 

Thema  Aggression  bei   Arbeiterjugendl ichen.   Meine  Examensarbeit  soil 

etwa  lauten:   Darstellungsformen  von  Aggression  bei  Arbeiterjugend- 

lichen.  Adresse:  Stephan  Potting,  5  Kbln  9,  Olpenerstr.   31 

Die  Initiativgruppe  des  Winsener  Jugendzentrums  sucht  einen  Jugend- 

pfleger.    Kontaktadresse:   Andrea  von  Helms,   209  Winsen/Luhe.Winser 

Baum  33 

Studentisches  Projekt  sucht  ab  sofort  zur  Arbeit  mit  Kindern  im 

Vorschulalter  im  Obdachlosenviertel  staatlich  geprufte(n)  Erzieher(in). 

Teamarbeit  und  Mitwirken  bei  Entwicklung  einer  padagogisch-pol iti- 

schen  Konzeption. 

Anschrift:  Ingrid  Koop,  55  Trier,  Simeonstr.  10 

Wir  suchen  eine  qual if izierte  Bezucsperson  (mannlich  bevorzugt)  zur 

Betreuung  der  Klemkindergruppe  in  unserem  Kinderhaus  (El ternini tia- 

tive,  50  Kinder  in  vier  Gruppen).  Mbglichst  mit  Erfahrung  in  der 

El ternarbeit.  Gleichberechtigtes  Erzieherteam. 

Adresse:  Kinderhaus  e.V.  in  der  Schokoladenfabrik, 

2  Hamburg  50,  Winterstr.  9-11 

Wohngemeinschaft  -  Problem  oder  Losung?  Steve  B.  Peinemam  lebt  seit 

Jahren  in  Wohngemeinschaften.  Kritische  il lusionslose  Auseinander- 

setzung  mit  Formen  kollektiven  Wohnens  und  Lebens.  AuBerdem  Litera- 

turliste,  Adressen,  praktische  Tips,  viele  Bilder.  Volkspreis  DM  3.50 

c/o  LOG-Zeitung,  6234  Hattersheim,  Lindenstr.  26 

Wer  kennt  ein  Studienref erendar-Seminar  und/oder  eine  Schule  in 

Niedersachsen  oder  Umgebung,  wo  man  was   lernen  kann(evtl .mit  Ge- 

nossen)?  Wir  wollen  na'chstes  Jahr  mit  der  Lehrerausbi  ldung(Teil   II) 

anfangen.    D.u.R.    Bahr,   34  Gbttingen,   Muhlenstr.   4 

Suchen  fortschrittl  iche  Bewerber  flir  Hochschul  lehrerstel  len 

in  Famil ien-,Arbeits- ,Betriebs-  und  Freizeitsoziologie    .AuBerdem 

sind  2(0ber)-Lehrstellen  fur  Sozial padagogi k  und  je  eine  Stelle  fur 

Freizeit-  und  Schu  1  padagogi  k  f  rei .   tla'heres  Uber  das  Sozial.   Buro 

Wir  arbeiten  an  einer  Dokumentation  Uber  Wohngemeinschaften. Dazu 

wollen  wir  eine  Fragebogen-Aktion  durchfuhren.   Wir  bitten  deshalb 

Wohngemeinschaften-gleich  welcher  Zusammensetzung-  einen  Fragebogen 

anzufordern  bei:    Initiativgruppe  Homosexual i tat  Stuttgart  (IHS), 

7Stuttgart  1,   Postfach  358;Teilnehmer  erhalten  Auswertungsexemplar . 


-    71 


Dokumentarfilm  Liber  Chile 


Ab  Mitte  September  kann  uber  das 
Sozialistlsche  Buro  audi  ein  Doku- 
mentarfilm mit  dem  Titel  „Chile  — 
der  Kampf  geht  weiter!",  den  eine 
Genossin  des  Westberliner  Chlle- 
Komftees  und  ein  SB-Genosse  wah- 
rend  eines  Chileaufenthaltes  im 
Friihjahr  1973  gedreht  haben,  aus- 
geliehen  werden.  Der  Film  ist  In 
folgende  drei  Teile  gegliedert: 

1.  Allgemeine     Informalion     iiber 
Chile: 

Geographisch,  iiistorisch  und  sozio- 
okonomisdi.  Chiles  Geschichte  als 
eine  Geschichte  fortwahrender  Aus- 
beutung  und  AbhSngigkeil.  Ursa- 
chen  und  Folgen  der  Unterentwlck- 
lung.  Zur  Entwicklung  und  Rolle 
der  chilenischen  Arbeiterbewegung. 
Burgerllcher  Reformismus  unter  der 
Regierung  Frei. 

2.  Die  Periode  der  Unidad  Popular: 
MaBnahmen  der  UP-Regierung.  Ge- 
genoffensive  der  Bourgeoisie  und 
des  Imperialismus.  Entwicklung 
und  konkrete  Ausdrucksformen  der 
„Volksmacht",  das  heiBt  der  auto- 
nomen  revolutionaren  Basisbewe- 
gung.  Dieser  Teil  enthalt  ein  Origi- 
nalinterview  mit  einem  Minenarbei- 


ter  sowie  Ausschnitte  aus  Reden 

eines  Gewerkschaftsvertreters  und 

eines  Bauemfiihrers. 

3.  Der  Putsch.  Aufruf  zur  aktiven 

Solidarity. 

Der  Film  hat  eine  Laufzeit  von  45 
Minuten,  ist  zum  groBten  Teil  in 
Farbe,  Format  16  mm,  Magnetton. 
Die  LeihgebUhr  betragt  incl.  Porto- 
kosten  fur  eine  einmallge  Vorfiih- 
rung  DM  30,—,  fur  jede  weitere  Vor- 
liihrung  DM  20,-.  (Falls  der  Film 
nicht  rechtzeitig  nach  der  jeweili- 
gen  Vorf iihrung  an  uns  zuriickgeht, 
miissen  wir  fur  jeden  Tag  Verspa- 
tung  ebenfalls  DM  20,-  berechnen.) 
Der  Film  wird  grundsatzlich  nur  ge- 
gen  Vorauszahlung  der  LeihgebUhr 
zugesandt.  Wir  bitten  alle  Gruppen 
und  Einzelgenossen,  die  den  Film 
fur  Chile-Veranstaltungen  bestellen 
wollen,  uns  rechtzeitig  zu  benach- 
richtigen,  damit  wir  die  Termine  ko- 
ordinieren  konnen.  Bestellungen 
gelten  erst  nach  einer  Termlnbesta- 
tigung  unsererseits  und  sind  an 
Dieter  Esche,  c/o  Sozialistisches 
Buro,  605  Offenbach  4,  Postfach  591 , 
Telefon  (0611)  832593  zu  richten. 


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