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Full text of "Informationsdienst Sozialarbeit (1972 - 1980)"

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Wo ^?ah^beitsk^  secure h5«S  ^^strategie  betreibtun d    * 
n,^hrtsverband>  56  Sf'hrt-  Anschrift:  Deutscher  Paritatisc 
uPPertal ,   Chlodwigstr. 
Der  Verein  s     ■ 

^bn'l6rSMina"eefUrU9se^Lr?eiJ-  B^hum,  fuhrt  regelmaRig  efntW«f. 
sfcatt  ^n?STanstalturg  IniT**}  im  Ruhrgebiet  lurch,  die  aj    ^ 
Verein3^,1'.  ?e^ber  1972     ?hkann*  sind-   Das  nachste  Seminar  ''Krftf 
0232l/70a|  Ile  J^endarbeit  n7a  >hnen   1ffl  Capital ismus".     ^ 
2576  °der  701465  der  BUro  «r  Sozialplanung,  Te1ef°" 


'-"i.cnuien.  """"" 

Ein  Kol lekti v    ■ 

ttstr^V^  Bezahlung  "»fh 

lo>  liefer,  0561/i80f^nthe'"  Ka^mann,  35  Kassel ,  Wei3e" 

P^'^^fiWjt,^  Arbeitskreise   (A.G.SPA<)  <f 

telle.  3  Miinchen"?  ^'""senten  w^S  St  eine  Ta9un9  zum  Thema     S* 
ncne"  2.  KobelUtr     ^rd$n  sich  an  die  SPAK-Bundesgesc" 

•   i£.  Telefon  0811/586119. 


2/ 


4U0/I 

INFO  SOZIALARBEIT 
Heft  2 

Sozialarbeit  in 
Institutionen 


Einige  Gewalttaten  sind  leicht  zu  erkennen.  Wenn  Menschen  wegen 
der  Form  ihrer  Nase  Oder  der  Farbe  ihrer  Haare  mit  FU0en  getreten 
werden,  dann  ist  die  Gewalttat  den  meisten  offenbar.  Auch  wenn 
Menschen  in  stickiqe  Kerker  eingesperrt  werden,  sieht  man  Gewalt 
am  Werk. 

Wi>  sehen  aber  allenthalben  Menschen,  die  nicht  weniger  yerunstal- 
tet  aussehen,  als  wenn  sie  mit  Stahlruten  geschlagen  worden  waren. 
Menschen,  die  im  Alter  von  30  Jahren  wie  Greise  aussehen,  und  docn 
1st  keine  Gewalt  sichtbar.  Menschen  wohnen  in  Lbchern  jahraus, 
jahrein,  die  nicht  freundlicher  sind  als  die  Kerker,  und  es  gibt 
jui*  sie  nicht  mehr  Moglichkeit,  aus  ihnen  herauszukommen  als  aus 
Kerkern.  Freilich  stehen  keine  Kerkermeister  vor  diesen  Tdren. 
Derjenlgen.  denen  diese  Gewalt  angetan  wird,  sind  unendlich  mehr  als 
derer,  die  an  einem  bestimmten  Tag  geprUgelt  oder  in  bestimmte  Ker- 
ker geworfen  werden  "  (Bertolt  Brecht,  Me  -  tl) 


12 


Einzelpreis  drei  Mark. 


°er  Info  d"ent  dAS"1allsat1onsbere1ch  arbeiten,  herausgegeben- 
™it  sozlal  stisrhl  ?lmKin1katl'on  und  ^operation  von  Senossen.  «    d 
Der  Info  erldelnt  ^nSp^ch  1m  Feld  der  sozlalen  Arbeit  thtig  s 
sche1nt  vie™al  jShrlich  und  kostet  1m  Abonnement  W 

'•enlo^^bJ"3'--]  Sruppen  bei  Abnahme  von  tnindestens  10  Exejjpj*- 
R»batt;  zuzUglich  5eSSstfer  (Buch1aden>  Buchhandlungen)  40 

605  Offenbach  4.  Postfach  591 
eHe9er:  Ve"1a9  2000  GmbH  Offenbach 
*"*  A,f,age>  m„  l9?4i   50Qo  _  8ooQ  ^ 

A11<«echtebe1dCTHerausgeber 

Vertr1eb!SMl^^0^nbach4 

Telefon  oel!'.^;6?  ^^  28  (^terrain) 
PostscheckPSAFran^t/M>iKonto6i041.605 

:;;:::ht;ichv-^--^sin3u  o^n^ 

Ck-  hb0-^uck,  Bensheim 


INFO  SOZIALARBEIT  Heft  2 


I   N  H  A  L  T 

Vorbemerkungen  zu  dieser  Ausgabe 

Geschichte  des  AKS  Frankfurt 

Probleme  der  Sozialarfcsit  bei  freien  Trh'gem 
am  Bei spi el  der  evangelischen  Familien- 
bei*atung  Frankfurt/M. 

Kollektivpraktikun  im  Heim 

Bericht  liber  die  Institut.innalisierung  der 
Gemeinwesenarbeit  nit  Obdachlosen  in  Frankfurt 
-  Lehrbeispiel  und  seine  Konsequenzen  - 

Diskussionsergebnis  der  4.   Redaktionssitzung 
zum  Info  2 

Leserzuschriften 

Materialien  zum  Thema  "Jugendkollektive" 

Hinweise  zu  Materialien  aus  der  Sozialarbeit 

Solidarita'tserklarung 

Kleinanzeigen 


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3 

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5 

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67 

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76 

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78 

■ Anzeige 


DAS  SOZIALISTISCHE  BORO  -  WORIM  GEHT  ES? 


Sozial isten  arbeiten  heute  in  den  Betrieben,   in  lokalen  Gruppen,   in 
Clubs,   in  Basisgruppen  an  den  Hochschulen  und  Schulen,   innerhalb  der 
Jugendverbande  und  als   kritische  Gruppierungen  innerhalb  der    ' off i- 
ziellen1  Organisationen  (Gewerkschaften,  Kirchen,  Parteien).    In  dieser 
weit  verzweigten  Praxis  liegt  die  Chance  einer  neuen  sozialistischen 
Bewegung.  Aber:   Ergebnisse  der  theoretischen  Diskussion,  praktische 
Erfahrungen,  Modelle  spezifischer  und  lokaler  Gruppen  bleiben  ohne 
Auswertung  fur  die  sozial istische  Linke  insgesamt,  weil   sie  informa- 
torisch  nur  unzureichend   vermittelt  werden.  Und:   noch  immer  fehlt  es 
an  Kooperation,  die  Liber  die  eigene  Basisarbeit  hinausgeht  und  wenn 
es  darauf  ankomnt,    in  kollektiver  und  sol  idarischer  Aktion  uber  den 
spezifischen  Gruppen-  Oder  Arbeitsbereich  hinausgehende  Forderungen 
und  Selbstorganisation  durchzusetzen,  dann  ist  die  Koordination 
meist  unzureichend.  Das  Sozialistische  BUro  will  helfen,  eine  bessere 
Komnunikation  und  Kooperation  unter  der  sozialistischen  Linken  und 
ihren  verschiedenen  Gruppierungen  zu  entwickeln  und  damit   zur  grbSeren 
Effektivitat  und  zur  Organisierung  sozial istischer  Arbeit  beitragen. 

Deshalb  machen  wir  "links",  eine  unabhangige,  auf  politische  Praxis 
gerichtete  sozialistische  Zeitung.  Deshalb  haben  das  Sozialistische 
Buro  und  der  Sozialistische  Lehrerbund  gemeinsam  einen   Informations- 
dienst   fiir  progressive  Lehrer  aufgebaut,  gibt  das  Sozialistische  Buro 
rait  der  GFP  "express  -  Zeitung  fiir  sozialistische  Betriebs-  und  Ge- 
werkschaftsarbeit"   heraus.  Weitere  Infos  fiir  sozialistische  Berufs- 
prayis   sind   in   ihren  ersten  Ausgaben  erschienen,   so  der   Informations- 
dienst  ARBEITERBILDUNG  und  der  Informationsdienst  SOZIALARBEIT.   Er- 
ganzend  fordert  das  Sozialistische  BLiro  mittels  eines  Biicher-  &  Paper- 
vertriebs  die  Herstellung  und  Verbreitung  ausgewahlter  Schriften  fur 
die  theoretische  Arbeit,  fiir  Schulung,   fiir  Praxis  in  strategisch 
wichtigen  Feldern,   Liber  lokale  und  projektbezogene  Aktivitaten  usw. 
Weiterer  wichtiger  Arbeitsbereich  des  Sozialistischen  BLiros  ist  die 
Unterstutzung  von  Auslandergruppen  in  der  BRD  und  der  antiimperial i- 
stischen  Dritte-Welt-Gruppen  sowie  die  Koordination  von  punktuellen 
Aktionen  im  Bundnis  mit  anderen  linken  Organisationen. 

In  letzter  Zei't  kann  das  Sozialistische  Buro  eine  erhebliche  Auswei- 
tung  seiner  Aktivitaten  und  seines  Wirkungsfeldes  verzeichnen.   Das 
Buro  und   seine  Projekte  konnten  seit  dem  Start  vor  gut   zwei   Jahren   im- 
merhin  soweit  gebracht  werden,  da(3  sie  "technisch"  konsolidiert  sind 
und  die  zugedachte  politische  Funktion  inner  mehr  erfullen  kbnnen.   Urn 
das  Sozialistische  Buro  und  seine  Projekte  tragen  und  erweitern  zu 
konnen,  haben  wir  den  "Fdrdererkreis  Sozial  istisches  Biiro"  gegrundet. 
Wir  bitten  alle,  die  sich  liber  ein  Abonnement  hinaus  fiir  das  Soziali- 
stische Biiro  engagieren  mbchten  und  die  es  sich  finanziell   leisten 
konnen,  dem  Fbrdererkreis  beizutreten.   Die  Fbrderer  bestimmen  die  Hdhe 
ihres  Beitrages  selbst   (mindestens  jedoch  monatlich  DM  5.--)  und  er- 
halten  regelmaBig  "links"   kostenlos  zugesandt.  Urn  das  Sozialistische 
Buro  als  einziges  standig  besetztes  Biirozentrum  der  sozialistischen 
Linken  auszubauen,  brauchen  wir  neue  Fbrderer! 
Sozialistisches  Buro,  6o5  Offenbach  4,   Postfach  591 


Vorbemerkungen  zu  dieser  Ausgabe 


Im  Mittelpunkt  der  2.  Ausgabe  des  Informationsdienstes  Sozialarbeit 
steht  das  Thema:  "Berufsspezifische  Probleme  von  Sozialarbei tern  in 
Institutionen". 


Zusammengestellt  wurden  die  Beitrage  vom  Arbeitskreis  Kritische  So- 
zialarbeit, Frankfurt.  Damit  sollte  einmal  der  Gruppe  Gelegenheit  ge- 
geben  werden,  sich  und  ihre  bisherige  Arbeit  darzustellen  und  zum  an- 
deren an  Hand  der  Konflikte  in  3  Bereichen  der  Sozialarbeit 

-  Mbgl ichkeiten  der  Demokratisierung  von  Sozialarbeit,  der  Verande- 
rung  von  inhaltlichen  Konzepten 

-  Konfl iktstrategien 

-  und  eine  Analyse  der  Gegenstrategien  und  Funktionen  von  Institutio- 
nen 

dargestellt  und  diskutiert  werden.  Dazu  werden  4  Berichte  vorgelegt: 

Der  Bericht  Liber  die  Geschichte  des  AKS  wurde  von  einem  langjahrigen 
Mitglied  zusammengestellt  und  behandelt  die  Entstehung  und  bisheri- 
ge Entwicklung  der  Sozialarbeiterorganisation  in  Frankfurt,  ihre  Pro- 
bleme und  eine  selbstkritische  Einschatzung. 

Probleme  der  Sozialarbeit  bei  freien  Tragern  am  Beispiel   der  Evange- 
lischen  Familien-  und  Erziehungsberatungsstelle  Frankfurt  beinhaltet 
die  Schilderung  und  kritische  Einschatzung  des  Konfl iktverl auf s,  die 
Politik  des  Tragers  und  der  Versuch  einer  Kritik  der  sogenannten 
"kl inisch-therapeutischen"  Arbeit. 

Der  Erfahrungsbericht  liber  ein  Kollektivpraktikum  in  einem  stadtischen 
Kinderheim  schildert  die  Schwierigkeiten  von  Berufspraktikanten,  die 
sich  insbesondere  mit  der  Heimleitung  und  der  Sozialblirokratie  erge- 
ben  haben.  Beide  Artikel  wurden  von  den  betroffenen  Sozialarbeitern/ 
Psychol ogen  geschrieben. 

Von  Mitgliedern  des  AKS  wurde  der  Bericht  liber  die  Entwicklung  der 
Gemeinwesenarbeit  mit  Obdachlosen  in  Frankfurt  auf  Grund  von  vorlie- 
genden  Materialien  zusammengestellt.  Dieser  Bericht  wurde  deshalb 
ausgewahlt,  da  an  ihm  sowohl  die  Strategien  der  Stadtverwaltung  im 
Hinblick  auf  die  Losung  der  Obdachlosenf rage  deutlich  wird,  als  auch 
aus  den  Fehlern  der  Gemei nwesenarbeiter     Konfl iktstrategien  disku- 
tiert werden  kbnnen. 

Alle  Berichte  sind  im  AKS  eingehend  diskutiert  worden.    Im  Diskussions- 
prozeB  und  insbesondere  nach  der  Redaktionssitzung  am  5.5.73  war  der 
Gruppe  klar,  da|3  Darstellung  und  Analyse  eine  Reihe  von  Kritikpunkten 
enthalten.  Trotzdem  wurde  beschlossen,  diese  Berichte  so  zu  verbffent-^ 


lichen.  Sie  sind  unter  erheblichem  Zeitaufwand  und  einer  Reihe  von 
Schwierigkeiten,  denen  sich  Praktiker  gegen'u'bersehen,  die  diese  Ar- 
beit neben  ihrer  Berufsarbeit  leisten  miissen,  entstanden.  Folgende 
Oberlegungen  spielten  dabei  eine  Rolle: 

1.  Es  handelt  sich  urn  Erfahrungsberichte.  Die  Brliche,  Halbheiten,  Unge- 
nauigkeiten  in  der  Analyse  geben  aber  auch  Auskunft  liber  die  Schwie-_ 
rigkeiten  von  Sozialarbeitern,   sich  mit  den  Widersprlichen  ihrer  Praxis 
auseinanderzusetzen  und  die  richtigen  SchluSfolgerungen  zu  Ziehen. 

2.  Die  Berichte  spiegeln  den  BewuStseinsstand  der  Autoren  und  der 
Gesamtgruppe  (AKS).  Die  insbesondere  nach  der  Redaktionssitzung  sich 
ergebende  kritische  Diskussion  im  AKS  problematisierte  vor  all  em  den 
politischen  Stellenwert  der  Auseinandersetzungen.  Diese  Diskussion 
konnte  nicht  mehr  in  die  Artikel  verarbeitet  werden. 

3.  Die  Art  der  Darstellung  spiegelt  den  Diskussionsstand  der  Gruppe 
zu  einem  bestiirmten  Zeitpunkt  und  macht  es  daher  anderen  Gruppen  und 
Einzelnen  mbglich,  die  Arbeit  des  AKS  bzw.  der  betroffenen  Sozial- 
arbeiter  auf  einer  konkreten  Ebene  zu  kritisieren,  aus  den  Fehlern  zu 
lernen  und  politische  Konsequenzen  zu  Ziehen. 

Eine  Zusammenfassung  der  Diskussionsergebnisse  der  offenen  Redaktions- 
konferenz  am  5.5.73  verweist  auf  die  notwendige  weiterfuhrende  Diskus- 
sion unter  den  Gruppen  im  Sozialbereich.  Aufterdem  enthalt  dieser  In- 
formationsdienst  eine  Leserkritik  an  der  Konzeption  des  Vereins  Sozia- 
le  Jugendarbeit  e.v.  Bochum  (Info  1),  Informationen  liber  Erfahrungs- 
berichte mit  Jugendkollektiven  und  Nachrichten. 


Materialien  des  AKS  Ffm. 


1  Geschichte  und  Funktion  der  Sozialarbeit 
65  Seiten  DM  3.— 

2  Mittwoch-Kreis-Papier 

Kritik  an  der  Umstrukturierung  der  Famil ienfursorge 
10  Seiten  DM  -.50 

zu  beziehen  bei :  GUnter  Pabst,  6  Frankfurt/M. ,  Hamburger  Allee  47 


Geschichte  des  AKS  Frankfurt 


Seit  Jahren  wird  unter  Sozialarbeitern  und  Studenten  der  FHS  die  Dis- 
kussion liber  eine  starkere  Organisierung  im  Sozialbereich  gefuhrt. 
Die  Vorschla'ge  reichen  von  berufssta'ndischen  Organisationen  (Berufs- 
verbande) .Gewerkschaften  (OTV  und  GEW),  partei-pol itischen  Organisa- 
tionen  (Reformparteien,  KPD-Aufbauorganisationen)   bis  hi n  zu  sozialisti- 
schen  Interessengruppen,  denen  eine  Kommunikation  und  Zusammenarbeit 
mit  Gruppen  in  und  au|3erhalb  des  Sozialbereichs  wichtig  erscheinen,  die 
sich  aber  absetzen  von  traditionel  1-blirokratischen  Organisationsvor- 
stellungen.  Ausgehend  von  der  Darstellung  der  Entwicklung  und  der  Ar- 
beitsweise  des  AKS  Ffm.  Uber  einen  Zeitraum  von  3  Jahren  (Herbst  1969- 
Ende  1972)   soil   die  konkrete  Arbeit  beschrieben  werden,  die  es  ande- 
ren Gruppen  moglich  macht,  diese  Arbeit  nachzuvollziehen,  zu  kriti- 
sieren und  SchluSfolgerungen  abzuleiten. 


I  Zur  Entstehung  des  AKS 

Wesentlich  beeinfluBt  durch  die  Heim-Aktionen  der  APO  im  Frlihjahr  und 
Sommer  1969  und  die  Flucht  der  Jugendlichen  aus  den  unertragl ich  ge- 
wordenen  Zustanden  in  den  Heimen  Staffelberg,  Beiserhaus  Rengshausen 
etc.im'tiierten  einige  Frankfurter  Sozialarbeiter  im  Herbst  1969  eine 
"Arbeitsgemeinschaft  interessierter  Sozialarbeiter"   zur  Analyse  und 
Kritik  der  bestehenden  Sozialarbeit.  Ziel   dieser  Gruppe  (ca.  30  Sozial- 
arbeiterinnen  und  Sozialarbeiter  aus  stadtischen  Sozialeinrichtungen) 
war  es,    Informationen  auszutauschen,  dienstliche  Schwierigkeiten  und 
Auseinandersetzungen  zur  Diskussion  zu  stellen  und  GegenmaBnahmen  zu 
entwickeln,  uber  neue  Entwicklungen  in  der  Sozialarbeit  zu  diskutie- 
ren,  um  so  zu  einer  effektiveren  Arbeit  im  Sinne  der  Unterstlitzung 
des  Klientels  beizutragen.   Bis  zum  Fruhjahr  1970  befasste  sich  diese 
Arbeitsgemeinschaft  insbesondere  mit  Arbeitsfeldanalysen  und  dem  The- 
ma:   Verwahrlosung  und  Fursorgeerziehung.   Sozialarbeiter  standen  ange- 
sichts  der  Situation  in  den  Heimen  Heimeinweisungen  zunehmend  skepti- 
scher  gegenliber  und  suchten  andere  Ldsungen.  Der  Wirkungsgrad  der 
Arbeitsgemeinschaft  war  jedoch  sehr  beschrankt,  es  gelang  lediglich, 
die  Zahl  der  Heimeinweisungen  zu  reduzieren.   Bei  der  Arbeitsgemein- 
schaft handelte  es  sich  demnach  "um  eine  berufsstandische  Reformbe- 
wegung  mit  gesell schaftskritischen  Impulsen  ,aber  systemimmanenten 
Forderungen".   "Es  wurde  das  Unbehagen  liber  die  MiUstande  in  den  ver- 
schiedenen  Praxisfeldern  artikul  iert.und  die  moralische  Entrlistung 
einer  an  humanistischen  Helferprinzipien  orientierten  Berufsqruppe  war 
Motor  aller  Aktivitaten."   (P.   Paulsen,  E.  &  K,  Nr.  4  Seite  5)  Schlag- 
artig  anderte  sich  die  Szene  im  Sozialbereich, als  Anfang  1970  deutlich 
wurde,  daB  bei  den  bevorstehenden  Tarifauseinandersetzungen  die  Ge- 
werkschaften, insbesondere  OTV.eine  sehr  zurlickhaltende  Rolle  spielen      § 


und  notwendige  Strukturveranderungen  in  eine  einheitliche  Tarifsitua- 
tion  im  sozial padagogischen  Bereich  nicht  in  den  Forderungskatalog 
aufnehmen  wollten.Trotz  der  "bestehenden  Friedenspfl icht"  und  der  Ab- 
wiegelunqstaktik  der  Gewerkschaftsfunktionare  n'ef  ein  Organisations- 
ausschuB  fur  die  Fachkrafte  Sozial-  und  Erziehungsdienst  im  Frankfur- 
ter Bereich  zu  KampfmaBnahmen  auf.  Dem  AusschuB  gehdrten  aktive  Ge- 
werkschaftler,  Mitglieder  der  Arbeitsgemeinschaft  und  Vertreter  der 
Kindergartnerinnen  an. 

Dokument  Nr.   1 

Die  Frankfurter  Rundschau  schreibt  dazu  im  April  1970: 
"Mit  Gewerkschaft  unzufrieden 
Sozialarbeiter  denken  an  selbst  organisierten  Streik 

Frankfurts  sozial padagogische  Fachkrafte  denken  an  Streik.  Notfalls 
sollen  die  Kindertagesstatten  kurzfristig  geschlossen  werden,  damit 
die  Behbrden  endlich  etwas  gegen  die  chronische  Unterbezahlung  unter- 
nehmen.  Die  Gewerkschaft  OTV  gilt  vielen  im  Sozialwesen  T'a'tigen  in 
Besoldungsfragen  als  zu  lahm." 

Der  Personaldezernent  der  Stadt  Frankfurt  versuchte  durch  Versprechun- 
gen  finanzieller  Art  die  Protestkundgebung  zu  verhindern.  Wahrend  Ge- 
werkschaftsvertreter  versuchten  abzuwiegeln,  drohte  der  Sozialdezer- 
nent  und  direkte  Vorgesetzte  mit  dienstlichen  Repressionen.  Dies  hielt 
jedoch  die  Kindergartnerinnen  und  Sozialarbeiter  nicht  davon  ab,  fur 
ihre  Interessen  selbst  einzutreten. 

Am  5.5.1970  traten  nahezu  alle  2200  Frankfurter  Kindergartnerinnen, 
Kinderpflegerinnen,  Sozial padagogen  und  Sozialarbeiter  in  einen  Warn- 
streik.  Im  Gewerkschaftshaus  versammelten  sich  liber  1000  Teilnehmer 
aus  Frankfurt  und  Umgebung  und  forderten: 

-  starke  Gehaltsanhebung  fur  alle  im  Sozialbereich  Tatigen. 

-  die  ersatzlose  Streichung  aller  Bewahrungszeiten 

-  vierwbchigen  Fortbildungsurlaub 

-  verbesserte  Arbeitsbedingungen 

-  generelle  Strukturveranderungen  in  alien  Bereichen  der  Sozialarbeit. 
Wie  groB  die  Unzufriedenheit  mit  den  Arbeitsverha'ltnissen  war,  ze19 

te  die  immer  wieder  von  starkem  Beifall  unterbrochene  Rede  von  Annelie 
Keil   (damals  Dozentin  an  der  PH  Gdttingen).  Hier  einige  Auszuge  aus 
ihrer  Rede: 


"...es  gent  nicht  urn  irgendeine  Hbherstufung  der  Gehaltsklassen.es 
geht  unmittelbar  um  die  Definition  ihrer  eigenen  Rolle  im  gegenwarfi- 
gen  Gesellschaftssystem:  sie  miissen  sich  gegen  ihre  eigene  Praxis  ein 
kritisches  Verhaltnis  erarbeiten.  das  Gerede  von  den  inneren  Werten 
als  Ta'uschungsmanbver  durchschauen,  indem  sie  die  tatsachliche  mate- 
riel le  Lage  der  padagogischen  Institutionen  dagegenstellen.  Sie  durten 
nicht  beruhigen  und  verdecken,  wo  es  aufzudecken  gilt,  nicht  Feu.er" 
wehr  an  den  Symptomen  spielen,  wo  die  Erkennung  der  Ursachen  und  ihre 
Verbffentli chung  einer  gesamtgesellschaftlichen  Sozial lsierung  dien- 


licher  ware.  Zu  den  materiellen  Zielen  eines  Lohnkampfes  der  Lohnab- 
hangigen  im  Erziehungsbereich  gehbrt  die  Veranderung  der  Arbeitsplatz- 
bedingungen  unmittelbar  dazu;  erst  die  Einbeziehung  des  Arbeitsplatzes 
und  seiner  Struktur  macht  die  Unterprivilegierung  und  Ausbeutung  die- 
ser  Berufe  deutlich  und  gibt  dem  Lohnkampf  verandernde  Kraft 

...die  stabilisierende  Harmonie  gefahrdet  man  nicht  nur  durch  die  Dis- 
kussion  Liber  die  padagogische  Unzulanglichkeit  der  erzieherischen 
Praxis  -  und  sie  kann  noch  so  viele  Folgen  flir  die  Kinder  haben  -, 
sondern  durch  die  MaBnaht.ie  der  Arbeitsniederlegung,  weil  dann  z.B.  Mut- 
ter nicht  mehr  arbeiten  konnen  und  erst  ihr  Unmut  Wahlerstimmen  ko- 
stet 

...Wie  eh  und  je  sind  Lohnkampfe  politische  Kampfe,  auch  dann,  wenn 
es  die  Betroffenen  nicht  wahrhaben  wollen:  wenn  Macht  und  Herrschaft 
in  unserer  Gesellschaft  nicht  Verfligung  uber  Kapital  waren,  das  privat 
angeeignet  wurde,  dann  ware  die  Durchsetzung  kollektiver  Bedurfnisse 
auch  nicht  so  schwierig  bzw.  unmbglich.  Erzieher,  die  fur  hohera  Ge- 
halter  streiken  wollen,  sind  keine  Egoisten  ohne  Ideale,  sondern  Pa- 
dagogen, die  auf  dem  besten  Wege  sind,  mit  der  Demokratisierung  in  die- 
sem  Lande  ernst  zu  machen:   namlich  der  Bekampfung  des  Profitinter- 
esses.  Lohnkampfe  miissen  eingebettet  sein  in  den  '.'ersuch,  aus  der  eige- 
nen Lage  und  Situation  zu  lernen,  d.h.   zu  erkennen,  daB  Sozial  pa'dago- 
gik  die  Pannenhilfe  einer  Gesellschaft  ist,  die  weit  davon  entfernt  ist, 
auch  die  Ursachen  fur  diese  Pannen  zu  beseitigen. 

Kritik,  die  sich  ihre  Bedingungen  iminer  schon  vo>-geben  la'Bt  -  sich 
z.B.  auf  die  unmittelbare  Lohnfrage  beschra'nken  la'Bt  -  ist  nur  ein 
anderer  Weg  der  Resignation.  Sozialarbeit,  die  ernst  macht  mit  ihrem 
padagogischen-politischen  Auftrag,  die  Emanzipation  der  Kinder  und  Ju- 
gendlichen  voranzutreiben,  muS  den  politischen  und  juristischen  Rah- 
men  ihrer  Arbeit  ins  Auge  fasser.  und  inn  dort  verandern,  wo  er  ent- 
steht,  d.h.  den  Kampf  selbst  in  die  Hand  nehmen 

...Die  Starke  ihrer  kollektiven  Organisation  wird  von  der  Solidari- 
sierung  abhangen,  mit  der  mbglichst  viele  Kollegen  sich  gemeinsam  den 
etablierten  Interessen  gegenuberstellen,  -  d.h.   u.a.  die  Gewerkschaf- 
ten  wieder  zu  Kampf instrumenter  der  Lohnabhangigen  zu  machen!" 
(entnommen:  Anyang  in  Geschichte  u.   Funktion  der  Sozialarbeit,  Ffm.1971) 


In  der  anschlieBenden  Diskussion  unterst'utzte  die  Mehrzahl   der  Teil- 
nehmer die  politische  Zielrichtung  der  Reae.  Unter  der  Parole 
"SOZIALARBEITER  ORGANISIERT  EJCH,  NEHMT  EURE  INTERESSEM  WAHR,  DENN 
ES  GIBT  NIEMAND.DER  SIE  FDR  EUCH  WAHRNIMHT!" 

wurde  zur  Eildung  des  "Arbeitskreises  Kritische  Sozialarbeit"   (AKS) 
aufgerufen,  dem  sich  spontan  ca.   150  Kindergartnerinnen,  Sozialpada- 
gogen,  Sozialarbeiter  und  Studenten  anschlossen. 


II  Struktur  und  Aktionen  des  AKS 

Auf  der  1.  Sitzung  des  AKS  am  14.5.1970  trafen  sich  ca.   100  Kollegin- 
ren  und  Kollegen  aus  dem  Sozialbereich  zusammen  mit  Studenten  des  ~7 


Padagogischen  Seminars  und  der  Fachhochschule,  die  folgendes  Arbeits- 
programm  verabschiedeten: 

Dokument  Nr.  2 

"In  den  vergangenen  Monaten  haben  sich  in  mehreren  Stadten  der  BRD 
Gruppen  und  Arbeitskreise  gebildet  Oder  sind  im  Entstehen,  die  sich 
als  Beginn  und  Ansatz  einer  Selbstorganisation  verstehen. 
In  Frankfurt  hat  sich  nach  den  Streikaktivitaten  im  Zusammenhang  mit 
den  Tarifverhandlungen  ein  "Arbeitskreis  Kritische  Sozialarbeit"  aus 
Kindergartnerinnen,  Sozialarbei tern  und  Studenten  zusammengeschlossen, 
der  ebenfalls  versuchen  wird,  eine  Aktivierung  und  Organisierung  der 
sozialpadagogischen  Fachkrafte  in  Frankfurt  zu  erreichen. 
Am  Anfang  der  Arbeit  dieses  Arbeitskreises  mu[3  die  BewuBtseinsbi ldung 
der  Betroffenen  stehen,  und  zwar  in  der  Form  einer  theoretisch-histo- 
rischen  Bestimmung  der  Funktion  von  Sozialarbeit  in  Verbindung  mit 
einer  Erarbeitung  der  derzeitigen  praktischen  Realitat  von  Sozialar- 
beit. MUnden  muB  diese  Arbeit  in  einer  neuen  Bestimmung  der  Funktion 
von  Sozialarbeit. 

Die  Themen  der  vom  "AKS"  eingerichteten  Arbeitsgruppen  entsprechen 
diesem  Ansatz: 


Arbeitsgruppe  1 
Arbeitsgruppe  2 
Arbeitsgruppe  3 


"Funktion  der  Sozialarbeit  in  unserer  Gesellschaft" 
"Analyse  der  Arbeitsplatzsituation" 
"Erziehungsfakten,  -ziele,  -stile  und  Vorschulerzie- 
hung 


8 


Parallel    zur  Arbeit  in  den  Arbeitsgruppen     beschaftigt  sich  das  Ple- 
num des  "AKS"  mit  aktuellen  und  allgemeinen     Fragen,  sowie  dem  Infor- 
mationsaustausch  Liber  die  Arbeit  in  den  Arbeitsgruppen. 

(Jber  die  BewuBtseinsbi  ldung  der  Betroffenen  hinaus     ist  es  Aufgabe 
des  Arbeitskreises: 

a)  grundsatzliche  Stellungnahmen  zur  Situation  der  Sozialarbeit  zu 
erarbeiten  und  zu  formulieren, 

b)  durch  Hffentlichkeitsarbeit  die  Situation  der  Sozialarbeit  zu  einem 
gesellschaftlichen  Skandal   zu  machen, 

c)  kurz-  und  langfristige  Forderungen  zu  stellen  und 

d)  durch  Aktivierung  (Aktionen)  der  in  der  Sozialarbeit  Tatigen  als 
auch  der  von  der  Sozialarbeit  Betroffenen     Veranderungen  zu  erreichen, 
die  Liber  eine  verbesserte  "Pannenhilfe"  hinausgehen. 

Bei  dem  Versuch,  die  Interessen  der  Betroffenen  selbst  zu  vertreten, 

kbnnen  wir  jedoch  die  Gewerkschaft  als  unseren  eigentlichen  Interessen- 

vertreter  nicht  einfach  ignorieren. 

Wir  mussen  uns  mit  der  Gewerkschaft  auseinandersetzen,  d.h.  versuchen, 

sie  wieder  zu  Kampfinstrumenten  der  Lohnabhangigen,  also  auch  von  uns, 

zu  machen. 

Nach  alien  Erfahrungen  ist  dies  jedoch  nur  dann  aussichtsreich,  wenn 

sich  die  Betroffenen  selbst  ihrer  Situation  bewuBt  sind  und  aktiv 

werden,  d.h.  auch  unabhangig  von  der  Gewerkschaftsorganisation  ihre 

Forderungen  erarbeiten,  mbglichst  alle  an  der  Basis  mobilisieren  und 

u.a.  die  Forderungen  in  die  Gewerkschaft  hineintragen." 


Hauptschwerpunkt  der  Arbeit  bildete  allerdings  in  der  1.   Phase  die 
Auseinandersetzung      mit  der  Gewerkschaftsbiirokratie.  Tatsachlich 
blieb  das  vorla'ufige  Tarif-Verhandlungsergebnis  weit  hinter  den  Streik- 
forderungen  zuriick.   In  dem  folgenden  Flugblatt  stellt  der  AKS  die 
Politik  der  Gewerkschaften  dar: 

Dokument  Nr.   3 

"Zum  Verhalten  der  UTV  und  GEW  in  den  Eingruppierungsverhandlungen  fur 

Sozialarbeiter  und  Sozialpadagoginnen 

Der  Bundesangestelltentarif  (BAT)  wurde  von  der  OTV  zum  31.12.69  geku'n- 

digt. 

Mai   69  Die  GEW  stimmt  sich  mit  der  0TV  ab  und  verzichtet  auf  ihre  ur- 

sprunglichen  Forderungen,  die  eine  im  Durchschnitt  urn  zwei   Stufen  hohe- 

re  Eingruppierung  vorsahen   (z.B.   Eingangsstufe  Vb  fUr  Kindergartnerin). 

Die  OTV  vertritt  dagegen  eine  Hbhereingruppierung  urn  durchschnittlich 

nur  eine  Stufe   (VIb  fur  Kindergartnerin). 

Juni    69  Die  DTV  tritt  mit  diesen  Forderungen  in  Verhandlungen  mit  den 

Arbeitgeberverbanden  ein;  sie  la'Bt  sich  von  diesen  mit  lappischen, 

unannehmbaren  Gegenangeboten  bis  Mai    1970  hinhalten. 

Ein  von  den  Berliner  Kindergartnerinnen  fiir  den  10.6.69  beschlossener 

Warnstreik  wird  von  den  dortigen  Gewerkschaften  abgeblasen  -  wegen 

Verhandlungen  mit  dem  Senat. 

22.9.69  Streik  der  Kindergartnerinnen  in  Berlin-Kreuzberg;  sie  fordern 
u.a.  Eingangsstufe  Vb  und  15  %  Gehaltszulage  ab  1.1.70. 

27.11 .69  Warnstreik  der  Sozialarbeiter  und  Kindergartnerinnen  in  Kas- 
sel;  sie  fordern  u.a,  ebenfalls  Eingangsstufe  Vb  fur  Kindergartnerin- 
nen und  IVa  fiir  Sozialarbeiter  und  Jugendleiterinnen. 

20.4.70  Versammlung  der  Sozialarbeiter  und  Kindergartnerinnen  in  Frank- 
"furt  auf  Einladung  der  0TV  und  GEW;  die  angekundigten  Redner  der  Ge- 
werkschaften erscheinen  nicht;  die  Versammelten  beschlieBen  einen 
Warnstreik  fur  den  4.5.70,  urn  ihre  Streikbereitschaft  fiir  den  Fall   des 
Scheiterns  der  bevorstehenden  Verhandlungsrunde  am  12./13.5.70  zu  de- 
monstrieren;   sie  bilden  einen  OrganisationsausschuB  zur  Vorbereitung 
des  Warnstreiks, 

29.4.70  Der  HTV-Kreissekretar  Guenon,  Frankfurt,  versucht  eigenmach- 

tig,    in  einem  Rundschreiben  an  alle  sozialpadagogischen  Fachkrafte 

aufgrund  unverbindl icher  Zusagen  des  Stadtrats  Kiskalt  den  Warnstreik 

abzublasen. 

Auf  wiederholte  massive  Proteste  und  auf  GegenmaBnahmen  des  Organisa- 

tionsausschusses  hi n  halt  Guenon  den  Rundbrief  teilweise  zuriick. 

4.5.70  Warnstreik  und  Streikkundgebung  von  etwa  1000  Frankfurter  So- 

"zTaTar  bei  tern  und  Sozialpadagoginnen. 

Die  Streikenden  fordern  Hbhergruppierung  um  je  zwei  Stufen,  grundle- 

gende  Veranderungen  der  Arbeitsbedingungen  und  Verbesserung  der  Aus- 

bildung  und  der  Fortbildungsmdglichkeiten, 

Sie  erklaren  die  gewerkschaf tlichen  Verhandlungsvorschlage  zu  Minimal- 

forderungen  und  verlangen  von  der  0"TV,  die  Verhandlungen  fiir  geschei- 

tert  zu  erklaren,  wenn  die  Arbeitgeber  diese  Forderungen  nicht  ohne 

Abstriche  annehmen. 

13.5.70  AbschluB  der  Eingruppierungsverhandlungen.  Die  0TV  gibt  sich 

mit  einem  Ergebnis  zufrieden,  das  hinter  ihren  minimalen  Forderungen 

zuruckbleibt;  z.B.  fur  Kindergartnerinnen  Eingangsstufe  VII,  nach 

sechsmonatiger  Berufstatigkeit  VIb;  fiir  Kinderpf legerinnen  erst  nach     Q 


10 


mehrjahriger  Berufstatigkeit  VI;  flir  Sozialarbeiter  langere  Bewa'h- 

rungszeiten. 

Die  Verhandlungspartner  behalten  sich  die  endgUl tige  Zustimmung  zu  dem 

AbschluB  bis  zum  15.7.70  vor;  dann  soil  er  ruckwirkend  vom  1.4.70 

an  inkraft  treten. 

Inzwischen  haben  die  Vorstande  der  Gewerkschaften  OTV  und  GEW  dem  Ver- 
handlungsergebnis  zugestimmt." 

Der  AKS  versuchte  daher,  einmal  eine  groBe  Anzahl  von  Sozialarbeitern 
und  Sozialpadagogen  anzusprechen  und  flir  eine  politische  Arbeit  zu 
gewinnen  und  zum  anderen  Druck  auf  die  Gewerkschaft  auszuliben,  das 
vorliegende  Verhandlungsergebnis  zu  revidieren.  Zum  2,7.1970  wurde 
zu  einer  Versammlung  im  Gewerkschaftshaus  aufgerufen.   In  dieser  Ver- 
sammlung  kam  es  zu  heftigen  Auseinandersetzungen  zwischen  Gewerkschafts- 
funktionaren  und  den  Betroffenen,  die  anschlieBend  folgende  Resolu- 
tion verabschiedeten: 

"Die  am  2.  Jul i   1970  im  Gewerkschaftshaus  in  Frankfurt  versammelten 
Sozialarbeiter  und  Erzieherinnen  richten  folgende  EntschlieBung  an 
die  verantwortlichen  Gremien  der  Gewerkschaften  OTV  und  GEW  im  Kreis 
Frankfurt  und  im  Bezirk  Hessen: 

1.  Die  Ergebnisse  der  Einstufungsverhandlungen  vom  12./13.5.70  miB- 
achten  unsere  von  der  Streikversainnlung  der  Frankfurter  Sozialarbei- 
ter und  Erzieherinnen  bekraftigten  Minimalforderungen  und  genligen  in 
keiner  weise  unseren  Interessen. 

Wir     fordern     daher  die  Kreis-  und  Bezirksvorstande  der  OTV 
und  der  GEW  auf,  sich  von  diesen  Verhandlungsergebnissen  zu  distan- 
zieren  und  die  sofortige  Aufnahme  von  Verhandlungen  flir  Frankfurt  und 
Hessen  anzustreben, 

2.  Solange  die  Tarifpolitik  der  Gewerkschaften  im  sozialpadagogischen 
Bereich  so  blirokratisch  bleibt  wie  bisher,  d.h.   solange  sie  sich  nicht 
starker  an  den  Forderungen  der  Betroffenen  orientiert,  kbnnen  uns  al- 
le  Appelle  zum  Eintritt  in  die  Gewerkschaften  nicht  liberzeugen. 

Wir     f  o  r  d  e  r  n  ,  daB  die  Gewerkschaften  vor  alien  Verhandlungen 
und  verbindlichen  Stellungnahmen  gegeniiber  den  Arbeitgebern  klinftig 
ihre  Vorschlage  mit  den  Mitgliedern  und  Betroffenen  in  bffentlichen 
Versammlungen  diskutieren. 

3.  Das  kaum  mehr  Uberschaubare  Stufensystem  der  Gehaltsgruppen  im  Bun- 
desangestelltentarif  (BAT)   la'Bt  sich  mit  dem  Argument  leistungs- 
gerechter  Bezahlung  nicht  rechtfertigen;  vielmehr  dient  es  dazu,   kUnst- 
liche  Gruppenunterschiede  und  Unterstel lungsverhaltnisse  zu  unserem 
Nachteil   und  zum  Vorteil  der  Arbeitgeber  zu  schaffen. 

Wir     fordern     daher  die  schrittweise  Angleichung  der  Bezah- 
lung aller  im  sozialpadagogischen  Bereich  Beschaftigten,  die  Durch- 
setzung  eines  Nettoeinkommens  von  mindestens  DM  1000  und  die  Abschaf- 
fung  der  Probezeiten. 

4.  Die  Gewerkschaften  haben  es  bisher  versaumt,  sich  energisch  fur 
die  Verbesserung  der  Arbeitsbedingungen,  der  Ausbildung  und  der  Fort- 
bildungsmoglichkeiten  einzusetzen. 

Wir    fordern     sie  auf,  unsere  folgenden  Forderungen  zu  uber- 
nehmen  und  zu  vertreten: 


a)  flir  Sozialarbeiter: 

-Arbeit  in  Gruppen  unter  standiger  Supervision; 

-  Senkung  der  MeBzahlen  entsprechend  der  jeweiligen  Einwohnerstruktur; 

-  Freistellung  von  Sozialarbeitern  flir  Gruppenarbeit  und  Gemeinwe- 
senarbeit  an  sozialen  Brennpunkten; 

-  bessere  technische  Ausstattung  und  Einstellung  von  Zuarbeitern  und 
Stenotypistinnen; 

-  jahrlichen  Bildungsurlaub  von  vier  Wochen  und  mehr  finanzielle  Mit- 
tel   zur  privaten  Weiterbildung; 

-  wissensciiaftliche  Hilfestellung. 

b)  fiir  Erzieherinnen: 

-  ein  Verhaltnis  von  8-12  Kindern  auf  eine  Erzieherin; 

-  Sanierung  der  oestehenden  Kindertagesstatten; 

-  wesentlich  mehr  finanzielle  Mittel  flir  Spiel-  und  Lehrmaterial ; 

-  den  sechsstiindigen  Arbeitstag  flir  alle  Erzieherinnen  in  Kindergarten 
und  Hort  einschlieBlich  der  Vorbereitungszei t; 

-  mehr  padagogische  Teamarbeit  und  weniger  Verwaltung; 

-  wissenschaftliche  Ausbildung  an  der  Universitat  flir  alle  im  sozial- 
padagogischen Bereich  Tatigen,  urn  die  Isolierung  zwischen  den  Berufs- 
gruppen  aufzuheben; 

vierwbchigen  verpflichtenden  Bildungsurlaub  im  Jahr; 

-  Zusammenarbeit  mit  Psychologen,  Heilpadagogen  und  Soziologen; 

-  langeren  Erholungsurlaub  von  mindestens  6  Wochen; 

-  einheitliche  Berufsbezeichnung  als  Erzieher. 

In  diesem  Zusammenhang  fordern  wir  die  OTV-Kreisorganisation  Frankfurt 
auf,  das  Schreiben  des  Kreissekretars  Guenon  an  Stadtrat  Rhein  vom 
23.6.70  zuruckzuziehen,  da  es  die  anla'Rlich  des  Warnstreiks  formulier- 
ten  Forderungen  der  Kindergartnerinnen  nur  teilweise  beriicksichtigt 
und  in  sei nen  Einzelforderungen  vbllig  unzureichend  ist. 
5.  Einen  der  Grlinde  fUr  die  bisherige  Unfahigkeit  der  Gewerkschaften, 
die  Forderungen  von  Sozialarbeitern  und  Erzieherinnen  aufzunehmen, 
sehen  wir  darin,  daB  die  Gewerkschaften  es  versaumt  haben,  unsere  Be- 
rufssituation  und  die  Bedeutung  unserer  Arbeit  flir  die  Gesellschaft 
zusammen  mit  Sozialwissenschaftlern  zu  analysieren. 
Wir     fordern     daher  die  Gewerkschaften  auf,  den  ARBEITSKREIS 
KRITISCHE  SOZIALARBEIT,  der  sich  in  seinen  Arbeitsgruppen  diese  Auf- 
gabe  gestellt  hat,  finanziell   zu  unterstlitzen. 

Wir  erwarten  die  Stellungnahme  der  Gewerkschaften  bis  Ende  Jul i   1970". 


11 


Dokument  Nr.  4 

Frankfurter  Rundschau  vom  4.7.70 

"Sozialarbeiter  fordern  sofortiges  Verhandeln 
'Arbeitskreis  Kritische  Sozialarbeit '  verabschiedete  Resolution/ 
Lange  Diskussion 

Dreieinhalb  Stunden  diskutierten  Sozialarbeiter  und  Erzieherinnen  auf 
Einladung  des  Arbeitskreises  Kritische  Sozialarbeit  (AKS)   am  Donners- 
tagabend  im  Frankfurter  Gewerkschaftshaus  u'ber  die  Ergebnisse  der  Ein- 
stufungsverhandlungen  vom  12.   und  13.  Mai,  ihre  Unzufriedenheit  u'ber 
die  hierbei  von  den  Gewerkschaften  tfffentliche  Dienste,  Transport  und 
Verkehr  (OTV)  und  Gewerkschaft  Erziehung  und  Wissenschaft  (GEW)  erreich- 
ten  Ergebnisse.  Die  eigentlich  auch  vorgesehene  Diskussion  liber  klinf- 
tige  Aktionen  fiel  wegen  der  vorgerlickten  Zeit  ins  Wasser. 

Zu  Beginn  verlas  Diskussionsleiter  Rudolf  Kraus  ein  Schreiben,  in  dem 
Helmut  Klapprot,   Gescha'ftsflihrer  der  OTV-Kreisverwal tung  Frankfurt, 
und  Willi   Guenon,  Arbeitersekreta'r  der  OTV-Kreisverwal tung,  schrift- 
lich  ihre  Zusage,  zu  erscheinen,  wieder  zurLicknahmen ,  weil   sie  sich 
'diffamiert'    fUhlten   (wir  berichteten  am  30.   Juni    unter  der  uber- 
schrift    'Vertrauen  in  die  Gewerkschaften  verloren'    liber  AKS-Kritik), 
weil   sie  kein  Buhmann  sein  wollen.  Fur  sie  kommt  eine  Diskussion  mit 
dem  AKS   nicht  mehr  in  Frage.  Auch  sind  sie  kiinftig  nicht  mehr  bereit, 
Raumlichkeiten  zur  Verfligung  zu  stellen. 

Immerhin  stellten  sich  Dieter  Diacont,  OTV-Bezirkssekretar,  und  Frau 
Elisabeth  Simon,  Leiterin  der  Fachgruppe   'Sozialpadagogische  Berufe' 
bei   der  GEW  Hessen  flir  die  Diskussion  zur  Verfligung. 
Selbstkritik  des  AKS  wurde  laut: 'Unsere  globalen  Forderungen  waren  zu 
ungenau.  Wir  miissen  darllber  diskutieren,  wie  man  praziser  gefaBte^ 
Forderungen  verwirklichen  kann.'   Donnernder  Beifall.  Diacont  verwies 
auf  die  Wichtigkeit,    'die  Masse  zu  mobi lisieren1 .  Und  darauf,  da(3  von 
den  140  000  im  Sozialbereich  Ta'tigen  nur  8000  organisiert  seien.    Im 
librigen  ha'tte  die  OTV  Hessen  und  Berlin  gegen  den  AbschluS  des   letzten 
Bundestarifvertrags   gestimmt. 

Elisabeth  Simon  forderte:    'Nackter  Sachverstand  muB  Platz  greifen! ' 
Im  librigen  sei  die  Basis  durch  die  Annahme  unglinstigerer  Vorwegrege- 
lungen  ausgeho'hlt  worden.  Worauf  sofort  gekonte'-t  wurde:    'Wenn  so 
etwas  in  Berlin  und  Hamburg  moglich  wsr,  so  1st  das  doch  nur  ein  Be- 
weis,  dei6  die  Gewerkschaften  c-'e  Leute  nicht  genligend  aufgeklart 
hc.ben, '" 


Jedoch  schon  bei  der  Veranstaltung  zeigte  sich,  daB  die  Forderungen 
in  der  CTV  nicht  durchgesetzt  werden  konnten,  weil   der  Kampf  um  mate- 
rielle  und  strukturelle  Verbesserungen  im  Sozialbereich  nicht  auf  das 
gesamte  Bundesgebiet  ausgedehnt  wurde.   Der  Konflikt  zwischen  Basis  und 
Gewerkschaftsapparat  wurde  allein  in  Frankfurt  ausgefochten. 

Auch  der  Mobilisierungsgrad  in  Ffm.    selbst  war  erschbpft  -  d.h.   ausge- 
lost  und  beeinfluBt  durch  das  Verhalten  der  Gewerkschaftsfunktiona're 
gegenliber  der  Bewegung  der  Basis,  ergab  sich  bei  einem  die  damalige 
Arbeit  bestimmenden  Teil  der  AKS-Mitgl ieder  eine  gewerkschaftsableh- 
nende,  teilweise  gewerkschaftsfeindliche  Haltung. 
Dies  trifft  wiederum  auf  eine  unter  Sozialarbei tern  und  Sozialpa'dago- 
gen  weit  verbreitetes  "Anti-gewerkschaftliches"  BewuBtsein.  Aufgrund 
ihrer  Klassenlage  -  Mittelschichtsangehdrige,  Aufsteiger  -  verstehen 
viele  Sozialarbeiter  sich  noch  nicht  als  Lohnabha'ngige.  Die  Ideologie 
des  Dienens  verbietet  das  Eintreten  flir  materielle  Forderungen  und  er- 
schwert  eine  politische  Einschatzung  von  Sozialarbeit. 

Dieses  falsche  BewuBtsein  der  eigenen  Lage  erschwerte  das  Bemlihen  des 
AKS,   sich  innerhalb  der  Sozialarbeiter/Sozialpadagogen  breiter  zu  ver- 
ankern.  Die  spontane  Zustimmung  wich  einer  distanzierten,  abwartenden 
Haltung  bei  vielen  Kollegen,  als  sich  der  AKS  in  den  folgenden  Mona- 
ten  reaktiv  mit  aktuellen  Problenien,  MiBstanden  und  Widersprlichen  der 
Sozialarbeit  in  Frankfurt  politisch  ausei nandersetzte. 
Im  Vordergrund  der  Auseinandersetzungen  standen: 

1.  Ausei nandersetzung  mit  dem  Stadtschulamt  liber  den  Kindertagesstat- 
tenentwicklungsplan 

2.  Solidarische  Unterstiitzung  der  Jugendlichen  flir  einen  Jugendclub 

3.  Stellungnahme  zu  aktuellen  politischen  Ereignissen  (z.B.   Protest 
gegen  die  Absetzung  des  Fernsehfilms   "Bambule"  von  U.  Meinhof  etc.) 

4.  Unterstiitzung  der  streikenden  Kindergartnerinnen  und  Kinderpflege- 
rinnen  im  Betriebskindergarten  des  Stadtkrankenhauses 

Dieser  Streik  richtete  sich  gegen  die  miserablen  und  ungenligenden  per- 
sonellen,   raumlichen  und  finanziellen  Zustande  im  Betriebskindergar- 
ten des  Stadtkrankenhauses  F.-Hochst.   Die  Kindergartnerinnen  forderten: 

-  kollektive  Leitung, 

-  mehr  und  besser  ausgebildetes  Personal  , 

-  Anpassung  der  Arbeitszeit  der  Mutter  (Krankenschwestern  etc.)  an  die 
Bedlirfnisse  der  Kinder. 

Arbeitgeber     Sozialdezernent  Gerhardt  reagierte  mit  fristloser  Entlas- 
sung  von  4  Mitarbeiterinnen. 

Der  AKS  klarte  in  Presseveroffentlichungen  und  Flugbla'ttern  liber  die- 
se  rechtswidrige  Repression  der  Stadt  auf  und  versuchte  durch  ein  Go- 
in  am  30.9.1970  die  Rucknahme  der  Klindigungen  zu  erreichen. 


12 


13 


14 


Dokument  Nr.    5 

Frankfurter  Rundschau  vom  1.10.70 

"Es  bleibt  bei  vier  Kiindigungen 
'Go  in1    bei   Stadtrat  Gerhardt  ohne  Ergebnis/    'Kein  Gesprachsstoff ' 

Ein    'Go  in1    beim  Sozialdezernenten  Gerhardt  machten  am  Mi ttwochnach- 
mittag  rund  40  Mitglieder  des  Arbeitskreises  Kritische  Sozialarbeit 
(AKS).  Sie  wollten  die  sofortige  Riicknahme  der  am  Dienstag  gegen  vier 
Erzieherinnen  des  Betriebskrankenhauses  im  Stadtkrankenhaus  Hb'chst 
ausgesprochenen  fristlosen  Kiindigungen  erreichen.  Nach  einem  einsttin- 
digen  Gesprach  mit  Gerhardt  schieden  sie  ohne  Ergebnis.  Der  Stadtrat 
beanstandete  hinterher  das   'gro&e  Durcheinander '   und  betonte,  er  habe 
in  der  vergangenen  Woche  in  fiinfstiindigen  Gesprachen  seinen  Stand- 
punkt  dargelegt  und  unter  anderem  eine  Mitarbeiterkonferenz  fur  den 
Kindergarten  vorgeschlagen.    '  Im  Moment',  so  erlauterte  Gerhardt,    'gab 
es  aber  eigentlich  keinen  Gesprachsstoff.' 

Die  Unergiebigkeit  des  Gesprachs  machten  auch  die  AKS-Vertreter  deut- 
lich.  Sie  wollen  gegen  Stadtrat  Gerhardt  'Strafantrag  wegen  Verlet- 
zung  der  Aufsichtspflicht '  stellen.   Im  librigen  fordern  sie  den  Magi- 
strat  auf,    'die  ungerechtfertigten  Kiindigungen'   zurlickzunehmen  und 
'sich  selber  iiber  die  unhaltbaren  Zustande  zu  informieren' .  Sie  werfen 
Gerhardt  vor,  er  habe  ein  ernsthaftes  Gesprach  gar  m'cht  fllhren  und 
statt  dessen  wiederholt  die  Polizei   rufen  wollen,  urn  den  Besuch  ab- 
zukiirzen.   Der  AKS  forderte  nach  diesem  Gesprach  Gerhardts  Rucktritt. 

Gerhard  beharrte  darauf,  die  fristlose  Klindigung  sei  zu  recht  erfolgt. 
Die  Verwaltung  hatte  die  KUndigung  wegen   'erheblicher  Stbrung  des  Be- 
triebsf riedens  und  fortgesetzter  Arbeitsverweigerung'    ausgesprochen, 
Verwaltungsleiter  Goina  erklarte,  man  sei   bereit  gewesen,  die  Frage 
einer  kollektiven  Leitung  des  Kindergartens  zu  Uberprllfen.  Dabei    aber 
hatte  es  juristische  Probleme  gegeben.  Nur  die  Kindergartnerin,   nicht 
aber  die  vier  Schwestern  sei   laut  Gesetz  zu  dieser  Leitung  befugt. 
AuBer  einer  Mitarbeiterkonferenz  seien  auch  Mlitterbei  rate  angeboten 
worden.  All   dies  aber  hatte  das  Kindergarten-Kollektiv  abgelehnt. 

Ulrich  Stascheit,  der  Rechtsanwalt  der  Gekiindigten,  erklarte  demgeger- 
Uber:    'Die  vom  Magistrat  ausgesprochene  Kiindigung'   beruht  auf  einer 
falschen  Information  des  Magistrats  sowohl   durch  den  Dezernenten  Ger- 
hardt als  der  Verwaltung  des  Krankenhauses  Hbchst.  Unwahr  ist,  daB  die 
entlassenen  Kindergartnerinnen  die  Arbeit  verweigert  haben.'   Sie  seien 
vielmehr  am  Montag  von  der  Verwaltung  des  Krankenhauses  an  der  Arbeit 
gehindert  worden  -  was  der  Anwalt  als  eine  nach  der  Hessischen  Ver- 
fassung  verbotene  Aussperrung  bezeichnete  -  und  hatten  sich  am  Diens- 
tag zu  einer  von  der  Verwaltung  auf  11   Uhr  angesetzten  Besprechung 
eingefunden.  Hierzu  sei   auch  der  von  der  Verwaltung  eingesetzte  Miitter- 
bei rat  geladen  gewesen.  Wie  der  Rechtsanwalt  betont,  wurden  aber  weder 
das  Kinderpflegepersonal  noch  der  Mlitterbeirat  von  der  Verwaltung  und 
von  der  Vertreterin  des  Landesjugendamtes,  die  die  gerugten  MiGstande 
uberpriifen  wollte,  angehbrt.  Statt  dessen  sei   dem  Kinderpflegeperso- 
nal   nach  vierstundigem  Warten  die  fristlose  Kiindigung  iiberreicht  war- 
den, die  vom  Sozialdezernat  auf  die  angebliche  Arbeitsverweigerung 
gestiitzt  wurde. 

wahrend  Verwaltungsleiter  Goina  betont,  es  lagen  bereits  Bewerbungen 
vor,  so  daB  sich  die  personelle  Situation  des  Kindergartens  bald  bes- 


sern  wiirde,   beharren  die  AKS-Vertreter  nach  wie  vor  au&er  auf  der  Zu- 
riicknahme  der  Kiindigungen  auch  auf    'Einhaltung  der  Richtlinien  des  Hes- 
sischen Sozialministers  im  Betriebskindergarten  Hbchst1   auf  kollekti- 
ver  Leitung,  vor  allem  aber  auf   'Umwandlung  des  Betriebskindergartens 
in  einen  stadtischen  Kindergarten'." 


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REIHE  BETRIEB  UND  GEWERKSCHAFTEN 

GEWERKSCHAFTLICHE  VERTRAUENSLEUTE 

FOR  EINE  ANTIKAPITALISTISCHE  BETRIEBSSTRATEGIE 


Diese  Sohrift  -  herausgegeben  vom  Redaktionskollektiv    "express" 
-  wendet  sich  an  die  gewevksahaftliohen  Vertrauensleute  in  den 
Betrieben,   an  die  aktiVen  Gewerksohafter,  die  ihre  Kolleginnen 
und  Kollegen  daftir  gewinnen  wollen,   eine  gewerksahaftliahe  Poli- 
tik  der  konsequenten  Vertretung  der  Interessen  der  Arbeiter  und 
Angestellten  naahdriickliah  zu  unter •stiitzen.    Die  Sohrift  ist  naah 
langen  Diskussionen  aus  der  Zusammenarbeit  zwisahen  gewerk- 
schaftliehen  Vertrauensleuten,   Gewerkschaftsfunktiondren,   Eil- 
dung sreferenten  und  gewerksohaftlioh  orientierten  Wissensohaft- 
lern  entstanden. 

Folgerde  Themen  werden  behandelt:  Kapitalistisahe  Organisation 
des  Betriebes  -  Der  Doppelaharakter  der  Forderungen  -  Die  bis- 
herige  gewerkschaftliche  Betriebspolitik  —  Die  bisherige  Ar- 
beit der  InteressenVertretung  im  Betrieb  -  Management  und  Ver- 
trauensleute -  Betriebsnahe  Gewerksahaftspolitik  -  Betriebs- 
nahe  Tarifpolitik  -  Betriebsnahe  Bildung sarbeit  -  Mitbestirrmung 
im  Betrieb  als  Gegenmaaht  -  Kontrolle  von  unten  statt  Delega- 
tion von  oben  -  Zukiinftige  Rolle  und  Organisation  der  Vertrau- 
ensleute  -  Durohsetzung  dieser  Strategie. 

S4  Seiten,   broschiert,   DM  2. So 

Mit  der  REIHE  BETRIEB  UND  GEWERKSCHAFTEN  publizievt  das  Sozia- 
listisahe  Biiro  in  Zusammenarbeit  mit  Gruppen,   die  sozialisti- 
sohe  Betriebs-  und  Gewerkschaftsarbeit  maahen,  Materialien  zur 
Auseinandersetsung  zwisahen  Kapital  und  Arbeit.    Zur  Zeit  sind 
folgende  weitere  Titel  lieferbar: 

Gewerksahaften  heute  -  Ordnungsfaktor  oder  Gegenmaaht,   DM  3.  So 
AuslSndisohe  Arbeiter  und  Klas senkampf,  ■  DM  4. — 
Betriebsratswahl  Merck  1972.  Eine  Dokumentation,  DM  4. — 

Verlag  2ooo  GmbH,    60S  Offenbach  4,   Postfaoh  S91 


15 


fc 


Ergebnis  der  Auseinandersetzung: 

-  Die  Kindergartnerinnen  wurden  im  Kindergarten  Hb'chst  nicht  mehr  ein- 
gestellt;  vor  dem  Arbeitsgericht  eim'gte  man  sich  auf  einen  windigen 
Vergleich. 

-  Einem  AKS-Mitglied,  der  ein  Flugblatt  mit  unterzeichnete,  auf  dem 
scharfe  Angriffe  gegen  Stadtrat  Gerhardt  formuliert  und  sein  Ruck- 
tritt  gefordert  wurde,  verweigerte  man  die  fallige  beamtenma'Bige  Be- 
fb'rderung  und  zog  diese  auf  Monate  hinaus. 

Trotz  der  Aktionen  des  AKS  wurde  der  Kreis  der  Aktiven  zunehmend  klei- 
ner.   Eine  grundlegende  Strategie  fllr  die  Arbeit  (Mobilisierung  und 
Organisierung  der  im  Sozialbereich  Tatigen)  fehlte.   In  den  Gruppen 
tauchten  zudem  Komniunikationsschwierigkeiten  auf  und  als  einziges 
arbeitsfahiges  Organ  war  nur  noch  das  Plenum  vorhanden,  in  dem  Studen- 
ten  eine  sehr  starke  Rolle  spielten.  Die  Sozialarbei ter  flihlten  sich 
durch  sie   'fremdbestimmt' ,  die  Kindergartnerinnen  wiederum  durch  die 
Sozialarbeiter,  denen  sie  vorwarfen,  nicht  auf  ihre  Interessen  einzu- 
gehen  und  sie  in  Diskussionen  zu  Uberspielen.   Folgende  Konsequenzen  wur- 
den gezogen: 

1.  Aufteilung  des  AKS  in  Berufsfelder;  es  entstand   ie  eine  Grunpe  von 
Sozialarbeitern  und  Kindergartnerinnen 

2.  Schulung  und  theoretische  Aufarbeitung  der  Geschichte  und  Funktion 
der  Sozialarbeit 


16 


III  Von  spontanen  Aktionen  zu  theoretischer  Arbeit  (1970/1971) 

Im  folgenden  wird  nur  die  Arbeit  der  Sozialarbei tergruppe  dargestellt. 
(Zu  einem  spateren  Zeitpunkt  soil  ein  spezieller  Info  zur  Situation 
und  Problematik  der  Kindergartnerinnen  herausgebracht  werden.)  Der 
Arbeitskreis  der  Sozialarbeiter  konsol idierte  sich.     20-30  Sozialar- 
beiter und  Sozialpadagogikstudenten  arbeiteten  kontinuierlich  an  einer 
Analyse  der  Geschichte  der  Sozialarbeit.  Ziel   dieser  theoretischen 
Arbeit  war  es,  die  eigene  ideologische  Befangenheit  aufzubrechen,  das 
diffuse  Unbehagen  der  Berufssituation  und  die  taglich  am  'KlienteV  der 
Sozialarbeit  erfahrenen  Widerspriiche     sich  rational   verstandlich  zu 
machen  und  dem  Gerede  von  der  "Wohl-  und  Mittelstandsgesel lschaft" 
und  der  "sozialen  Grundordnung"  ein  realistisches  Gesellschaftsbild, 
in  dem  die  objektive  Funktion  der  Sozialarbeit  und  ihr  Eingebettet- 
sein  in  den  Herrschafts-  und  Ausbeutungszusammenhang  deutlich  wird, 
entgegenzusetzen.   Die  Erarbeitung  des  AKS-Papiers  "Geschichte  und 
Funktion  der  Sozialarbeit"  mul3  als  ein  LernprozeB  verstanden  werden. 
Polit.-dkonomische     Kategorien.eine  histor.-materialistische     Be- 
trachtungsweise  und  die  blirgerliche  Literatur  zur  Geschichte  und  Funk- 
tion der  Sozialarbeit  wurden  kritisch  aufgearbei tet  und  materiali- 
stisch  interpretiert.  Es  war  fur  uns  klar,  daf3  Sozialarbeit  nicht 
mehr  als  Ergebnis  von  Ideen  verstanden  werden  konnte,  sondern  ihre 
geschichtliche  Form  und  Funktion  nur  zu  verstehen  sind,  wenn  man  den 
Zusammenhang  zwischen  materieller  Produktion  und  gesellschaftlichen 
Oberbau  analysiert. 

Begleitet  war  diese  theoretische  Phase,  die  wesentlich  von  einigen 
Studenten  des  Pa'dagogischen  Seminars  vorangetrieben  wurde,  von  einer 
Reihe  von  Schwierigkeiten:   Heterogenitat  der  Gruppe,  unterschiedli- 
cher  Wissensstand,  unterschiedliche  Fa'higkeiten  in  der  theoretischen 


Arbeit,  wie  aber  auch  die  Tatsache,  daS  in  der  bisherigen  Ausbildung 
Informationen  liber  den  Herrschafts-  und  Ausbeutungszusammenhang,   in 
dem  Sozialarbeit  steht,  vorenthalten,  polit-bkonomische  Kategorien 
nicht  vermittelt  und  Ideologiekritik  nicht  geleistet  wurde. 

Die  Arbeit  am  AKS-Papier  wurde  im  Friihjahr  1971  fertiggestellt.  Bis 
heute  sind  fast  4000  Exemplare  verkauft  worden.  Der  Anspruch,  auf  der 
Grundlage  dieser  Arbeit  und  der  gewonnenen  Erkentnisse  ein  neues  poli- 
tisch-strategisches  Konzept  fUr  den  AKS  entwickeln  zu  kdnnen,  konnte 
in  diesem  hohen  MaBe  nicht  eingelbst  werden.  Es  gelang  uns  nicht,  den 
eigenen  LernprozeS  weiterzuvermitteln,  so  da|3  wir  die  weitere  Planung 
unserer  Arbeit  wieder  nur  auf  die  Gruppe  der  Sozialarbeiter  bezogen. 

Folgende  Schwerpunkte  der  zuku'nftigen  Arbeit  sollten  gesetzt  werden: 

1.  Auseinandersetzung  mit  der  Sozialblirokratie  -  aus  der  konkreten 
Analyse  der  Widerspriiche  am  Arbeitsplatz  sollte  Material   zur  Funktions- 
bestimmung  der  Sozialarbeit  in  der  BRD  -  wie  im  1.  Teil  des  AKS-Papiers 
angekundig*   -  gesammelt  werden,  sowie  vermittelt  durch  eine  Konflikt- 
strategie  die  Politisierung  und  Organisierung  der  Sozialarbeiter  in 
den  Institutioaen  vnrangeti-ieben  werden. 

2.  Zusaranenarbeit  mit  student ischen  Gruppen  am  Pa'dagogischen  Seminar 
cer  Uni  Frankfurt  und  der  Facnhochschule ,  wobei  die  Vorstellung  be- 
stand.,  dcl3  durch  die  Organisierung  eines  Kommunikations-  und  Erkennt- 
nisprozesses  von  Praktikern,  denen  bestimmte  Theoriebildung  vorent- 
halten wurde, und  von  Studenten,  denen  es  an  Praxiserfahrung  mangelt, 
eine  Form  der  Zusammenarbeit  gewonnen  werden  konnte,  die  sich  positiv 
auf  die  Entwicklung  von  Projekten  im  Reproduktionsbereich  in  Verbin- 
dung  mit  der  Betriebsarbeit,  sowie  auf  die  Weiterentwicklung  einer 
marxistischen  Theorie  der  Sozialarbeit,  der  Kla'rung  im  Hinblick  auf 
die  Biindnisfunktion  der  Sozialarbeiter  fur  die  Reorganisierung  des 
Proletariats  und  der  Strategie  fur  eine  politische  Sozialarbeit  bezo- 
gen auf  das  Klientel  und  die  Sozialarbeiter  im  Ausbildungssektor,  aus- 
wirken  wiirde, 

Dieser  Versuch,   in  der  konkreten  Arbeit  eine  Verbindung  von  Theorie 
und  Praxis  herzustellen,  scheiterte  aus  zwei  Gru'nden: 

1.  Den  Vorstellungen  der  Sozialarbeiter  liber  eine  solche  gemeinsame 
Arbeit  von  Studenten  und  Praktikern  wurde  eine  eindeutige  Absage  durch 
die  damalige  "Rote  Zelle  Padagogik*  am  Pa'dagogischen  Seminar  erteilt; 
auf  eine  elitare  Art  und  Weise  machte  man  den  Sozialarbeitern  den  Vor- 
wurf  der  ungenligenden  Schulung   in  Poli t.-Okonomie  und  des  Theorie-De- 
fizits.  Der  Kontakt  wurde  abgebrochen. 

2.  Personelle  Veranderungen  im  AKS,  insbes.   der  Weggang  eines  Mitglie- 
des,  das  die  Arbeit  wesentlich  theoretisch  angeleitet  und  vorangetrie- 
ben hatte,  fiihrten  zu  einer  vbllig  neuen  Zusammensetzung  des  AKS 
(Gruppe  Sozialarbeit)   und  damit  auch  zu  einer  anderen  Orientierung  der 
politischen  Arbeit. 


IV  Praxisprobleme 

Die  neue  Phase  der  Arbeit  des  AKS  wurde  im  folgenden  im  wesentlichen 
bestimmt  durch  die  Bedlirfnisse  der  jungen  Sozialarbeiter,  die  das  Vor- 
haben.einer  Analyse  der  Sozialarbeit  in  der  BRD  zu  leisten,  zugunsten    17 


einer  mehr  praktisch  orientierten  Arbeit  in  den  Sozialstationen  auf- 

gaben.  Folgende  Schwerpunkte  wurden  im  Zeitraum  von  Sommer  1971   - 

Fruhjahr  1972  bearbeitet: 

1.  Beschaftigung  mit  Organisationsstrukturen  und  inhaltl ichen  Tenden- 

zen  in  der  Familienflirsorge 

Die  im  AKS  organisierten  Sozialar-beiter  waren  Liberwiegend  in  den  Sozial 

stationen  ta'tig  und  konfrontiert  mit  miserablen  Arbeitsbedingungen. 

Seit  einem  halben  Jahr  lag  ein   'offizibses'   Mittwochskreispapier  (MKP) 

zur  "Neuverteilung  von  Aufgaben  im  Sachgebiet  Familienflirsorge"  vor. 

Dokument  Nr.  6 

"Vorschlag  f'dr  einen  Arbeitsplan  des  AKS 

I  Arbei tsaufgabe: 

Beschaftigung  mit  Organisationsstrukturen  und  inhaltlichen  Tendenzen 
in  der  Familienflirsorge. 

Ziel: 

Technokratisch  reaktiona're  Reformvorstellungen  und  -bestrebungen  ent- 
gegenzutreten  und  Alternativkonzepte  zu  entwickeln,  die  im  Rahtnen 
einer  gesamtgesellschaftl ichen  Veranderung  mit  sozialistischer  Per- 
spektive  zu  sehen  sind. 

II  Arbeitsschritte: 

1.  Analyse  und  Kritik  des  Mittwochs-Kreis-Papier  unter  folgenden  Fra- 
gestellungen: 

-  Welches  Gesel lschaftsbild  bestimmt  das  MKP  und  welche  politische 
Funktion  soil   die  im  MKP  konzipierte  Sozialarbeit  erfullen? 

-  Wie  sind  im  MKP  wissenschaftliche  Erkenntnisse  berucksichtigt? 

-  Welche  Veranderungen  bringt  dieses  Konzept  fur  die  Praxis? 

2.  Oberarbeitung  und  Vereinheitlichung  der  Kritik  am  MKP  nach 

-  politischen  und 

-  praktischen  Kategorien. 

D.h.  Nachvollziehbarkeit  der  Analyse  und  der  Kritik  fur  die  Kollegen 
ermbgl ichen,  einmal  was  die  politische  Argumentation  betrifft,  wie 
auch  die  Informationen  liber  das  MKP  selbst,  da  nicht  vorausgesetzt 
werden  kann,  daB  alle  Kollegen  das  umfangreiche  Papier  kennen,  so  daB 
die  Haupttendenzen  vermittelt  werden  miissen. 

3.  Entwicklung  eines  Alternativentwurfes 

-  Zieldetermination  (BewuBtmachen  von  latenten  Konflikten  am  Arbeits- 
platz  als  Grundlage  einer  Agitation) 

Bestimmung  der  genauen  Zielgruppe  und  Ermittlung  des  BewuBtsein- 


18 


Organisierung 
schen  Informationen) 

-  gemeinsame  Diskussion 

-  Vereinheitlichung 

(Die  Entwicklung  eines  Alternativkonzeptes  wurde  nach  einer  kontrovers 
gefiihrten  Diskussion  nicht  aufgenommen,  da  die  Mehrheit  im  AKS  sich 
nicht  zu  Handlangern  und  Rezeptelieferant  fur  die  Verwaltung  verstan- 
den  wissen  wollte.  ) 


4.  Erstellung  eines  Gesamtpapiers  -  d.h.  Teil  2  und  3  sollten  mitein- 
ander  verbunden  werden. 


Ill  Erarbeitung  einer  Strategie,  in  die  Dffentlichkeit  zu  treten: 

1.  Publikation  des  Gesamtpapiers 

2.  Plenumsveranstaltung 

3.  Zusammenarbeit  mit  anderen  Gruppen,  urn  den  Alternativentwurf  umzu- 
setzen  (z.B.  DTV) 

4.  Kaderfragen  in  den  Sozialstationen.  " 

Die  Analyse  und  Kritik  des  'MKP'   nahm  in  dieser  Phase  einen  sehr  brei- 
ten  Raum  ein,und  es  zeigte  sich,  daB  zunehmend  mehr  Sozialarbeiter  sich 
an  der  Arbeit  des  AKS  beteiligten,  weil   sie  ihre  Probleme  angespro- 
chen  fiihlten. 

In  mehreren  nichtbffentlichen  Zusammenschliissen  hatten  Sozialarbeiter 
mittlerweile  Vorschlage  zur  Reform  der  Arbeitsstruktur  der  Gefahrde- 
tenhilfe,  JGH  und  Obdachlosenarbeit  entwickelt.  Die  Stadt  Frankfurt 
duldete  bzw.  fbrderte  diese  Initiativen,  weil   damit  das  Widerstands- 
potential    in    'konstruktive  Kanale'   gelenkt  und  die  Organisierung  kri- 
tischer  Sozialarbeiter  gespalten  werden  konnte.   Zum  Jahreswechsel 
1971/72  veroffentlichte  daher  der  AKS  seine  Kritik  des  MKP  und  ent- 
larvte  die  technokratische,  klientenfeindliche  Funktion  dieses  Papiers. 
Ohne  Beteiligung  des  Klientels  und  hinter  dem  R'u'cken  der  Sozialarbei- 
ter war  ein  Konzept  entwickelt  worden,  daB  die  Kontrolle  der  Sozial- 
arbeiter,wie  die  Mbglichkeiten  ihrer  Diszipl inierung  vergrbBerte.   Im 
Januar  1972  lud  der  AKS  alle  Sozialarbeiter  zu  einer  bffentlichen  Aus- 
einandersetzung  ein,  Ca.  60  Sozialarbeiter  aus  alien  Sozialstationen 
nahmen  an  dieser  Diskussion  teil.   In  der  Diskussion  mit  den  Autoren 
des    'MKP'   machte  der  AKS  deutlich,  daB  es  hier  nicht  nur  um  eine  fach- 
lich  auf  Methoden  reduzierte  Sozialarbeitskritik  ging,   sondern,  da3 
Sozialarbeit  Bestandteil  der  Sozialpol i t i k a a 1 s  Befriedungs-  und  Diszi- 
pl inierungsinstrument  zu  verstehen  ist,   somit  nicht  isoliert  betrach- 
tet  werden  darf     von  den  wirtschaftl ichen  und  politischen  Entwicklungen 
und  der  sie  bestimnenden  Interessen.  Bei   einer  Neuorganisation  der 
Strukturen  der  Sozialarbeit  muB  daher  gefragt  werden,  welchen  Inter- 
essen Sozialarbeit  dienen  soil:  dem  Interesse  des  Klientels  Oder  den 
Interessen  der  herrschenden  und  privilegierten  Gruppen.  Diese  Frage- 
stellung  wurde  in  der  Diskussion  verdeutlicht  und  fur  jeden  Sozialar- 
beiter als  erfahrbar  dargestellt  an  Beispielen  aus  der  Praxis  und  dem 
Widerspruch  zwischen  Anspruch  und  Wirklichkeit  in  der  Sozialarbeit. 
Bezogen  auf  das   'MKP'  wurde  deutlich  gemacht,  daB  eine  Neuverteilung 
der  Aufgaben  in  der  Familienflirsorge  nur  dann  sinnvoll   sein  kann,  wenn 
sich  die  Bedingungen  fur  die  Praxis  der  Sozialarbeiter  so  verandern, 
daB  sie  nicht  der  Kontrolle  der  Klienten  sondern  deren  Interessenla- 
ge  gerecht  werden.  Solche  Veranderungen  sind  denkbar  auf  dem  personel- 
len  Sektor,  im  Bereich  der  fachl  ich-inethodi schen  Arbeit  und  der  Orga- 
nisationsstruktur  der  Sozialarbeit.  Ein  weiterer  wichtiger  Punkt  in 
der  Diskussion  war  das  Aufzeigen  des  politischen  Stellenwertes,  der 
diesemPapier  zukam.  So  ist  bezeichnend  fur  die  Situation  der  Sozial- 
arbeit in  Frankfurt  -  daran  hat  sich  bis  heute  nichts  geandert  -, 
daB  ein  kleiner  Kreis  mit  der  Ausarbeitung  eines  Organisationsmodells 
beauftragt  wurde,  diese  Auswahl   nicht  zufallig  ist,  sondern  sich  be-      "1Q 


20 


zieht  auf  solche  Vertreter,  deren  dort  reprasentierten  Auffassungen 
liber  'moderne  Sozialarbeit'    den  Vorstellungen  der  Sozialbiirokratie  am 
nachsten  koinmen.und  zudem  die  Diskussion  unter  AusschluB  der  tSffent- 
lichkeit  gefu'hrt  wird.  Wir  machten  deutlich,  da[3  dieses  Papier  nicht 
nur  ein  Beispiel   ist,   wie  iiber  die  Kbpfe  der  Sozialarbeiter  hinweg 
Organisationskonzepte  entwickelt  werden,  sondern  die  Art  der  Bevormun- 
dung  vollig  entsprechend  der  absteigenden  Hierarchie  dffentlicher  Ver- 
waltung  ist  und  Ergebnis  der  bestehenden  Struktur  der  Sozialarbeit, 
in  der  jeder  Mitarbeiter  mit  wachsender  Entfernung  von  der  Verwaltungs- 
spitze  hinsichtlich  prinzipieller  Entscheidungen  entmundigt  ist.   Der 
Vorschlag  der  Autoren  des    'MKP'   wiirde  daher  die  Struktur  der  Sozial- 
biirokratie festigen  durch  verbesserte  Kontrolle  des  Sozialarbeiters 
bei  verstarkter  personaler  Abhangigkeit, 

Auswirkungen,  die  offen  sichtbar  wurden,  hatte  die  Veranstaltung  auf 
zwei  Ebenen: 

-  die  Autoren  des   'MKP',  konfrontiert  mit  der  Kritik  und  der  dadurch 
beeinfluSten  Kollegenschaft,  in  der  diese  Vorschla'ge  zur  Meuorganisa- 
tion  wenig  Resonanz  fanden,  zogen  ihren  Orgam'saticxir.vorschlag  zuriick 
und  losten  sich  wenig  spa'ter  als  Arheitskreis  auf 

-  die  Kollegen  und  Kolleginnen  zeigten  in  den  nachsten  k'ochen  eine 
Kampfbereitschaft,  sich  gegen  Disziplinierungsversuche  durch  die  So- 
zialbiirokratie zu  wehren,  wie  die  Veranstaltung  der  SPD-Fraktion  zur 
Obdachlosenarbeit  zeigte. 

Allerdings  mu(3  auch  gesagt  werden,  daS  der  AKS  nach  dieser  Veranstal- 
tung zwar  einige  neue  Mitglieder  gewinnen  konnte,  nicht  aber  eine  sta'r- 
kere  Verankerung  im  Kollegenkreis,  die  sich  in  aktiver  Mitarbeit  be- 
merkbar  macht.  Der  AKS  wird  zwar  als  Gruppe,  die  bestimntte  Probleme 
aufgreift  und  die  Diskussion  und  Auseinandersetzung  vorantreibt.akzep- 
tiert,  was  aber  nicht  heiBt,  daB  eine  groBere  Anzahl  Sozialarbeiter 
Konsequenzen  aus  dem  Widerspruch  am  Arbeitsplatz  zieht  und  sich  im 
AKS  orgam'siert.  Welche  Griinde  dies  hat,  soil   im  letzten  Abschnitt 
erlautert  werden. 


Bescha'ftigung  mit  dem  Problem  der  Obdachlosenhilfe  und  Unterstutzung 
der  Initiativgruppe   'Obdachlosenarbeit' 

An  dieser  Stelle  soil   nur  die  Initiative  des  AKS  dargestellt  werden, 
eine  Darstellung  des  Konflikts  befindet  sich  an  anderer  Stelle  in 
diesem  Heft. 

Schon  die  Diskussionsveranstaltung  liber  das  MKP  machte  deutlich,  daB 
sich  die  Sozialarbeiter  nicht  mehr  ohne  weiteres  Bevormundungen  und 
Disziplinierungen  gefallen  lassen  wurden,  wenn  auch  nur  eine  geringe 
Zahl  von  Sozialarbeitern  als  Konsequenz  sich  im  AKS  und  0"TV  organisier- 
te.  Daher  war  fur  den  AKS     nach  Diskussion  der  Vorfalle  urn  die  inhalt- 
liche  Arbeit  in  der  Obdachlosenhilfe  und  den  Disziplinierungsversu- 
chen  durch  den  dantaligen  Stadtrat  Gerhardt     klar,  daB  hier  konkrete 
Aufkla'rungs-  und  Unterstutzungsarbeit  zu  leisten  war,  sowohl   bezogen 
auf  die  Masse  der  Sozialarbeiter  in  den  Institutionen,  sowie  in  der 
konkreten  Auseinandersetzung  mit  den  reaktionaren    Vorstellungen  der 
Sozialbiirokratie  Liber  die  Obdachlosenarbeit.  Dazu  wurde  in  Flugblat- 
tern,  Briefen  und  einer  Dokumentation  die  notwendige  Information 
und  Aufklarung  geleistet. 


Dokument  7,  Frankfurter  Neue  Presse  vom  27.   Januar  1972 


Eingeschranktund  mundtot  gemacht? 

Sozialarbeiter  klagten  /  SPD  diskurierte  Obdachlosen-Frage 


nd  — Masslven  VorwOrlen  sah  sldi  dos  Sozlalamt  der  Stadt  Frankfurt  ausgeselzt, 
alt  Jelzl  im  RathouE  Vertreter  dor  SPD-Stadiverordnetenfraktion  lusammen  mil' 
Sozlalarbeltarn  das  Thema  diskullerten:  „Glbt  es  in  Frankfurt  ein  Konzept  fur  die 
Sozialarbeit  mit  Obdaehlosen?".  Audi  CDU-Stadtrat  Gerhardt,  der  nach  erfolg- 
relch  verfaufener  Operation  noch  im  Krankenhaus  Megt,  wurde  dabei  nicht  ver- 
schont.  Er  wurde  beschuldigl,  die  Inttiotlvgruppen  der  Sozialarbeiter  „einge- 
»difdnkt  und  mundlot"  gemacht  zu  haben.  „Stadtrot  Gerhardt  hat  versucht",  so 
Sozialarbeiter  Gunlher  Pabst  unter  dem  lauten  Beifall  seiner  Kollegen,  ,'die 
Sozialarbeiter  zu  verelnzeln  in  einer  Art  und  Weise,  die  ith  hier  nicht  schlldern 
mddite,  und  so  Drudc  auf  sie  auszuuben  " 


lAsy  Alfhart,  die  Vorsitzende  des 
Sczialausschusses.  wies  vor  vollem 
Haus  auf  die  groflen  Bemuhungen  der 
SPD  seit  zwei  Jahren  bin,  das  Obdach- 
losenproblem  in  Frank  Turt  zu  losen. 
Bereits  1970  habe  die  SPD  mit  Erfolg 
den  Antrag  eingebracht,  Stellen  fur 
acht  Sozialarbeiter  zu  schaffen,  die  als 
Team  in  der  Gemelnwesenarbelt  einge- 
setzt  werden  sollten.  (Gemeinwesenar- 
belt  bede-utet  etwa:  begleitende  Hilfc 
(fir  Obdachlose,  die  in  Normalwohnun- 
gen  eingewiesen  wurden  und  die  sich 
nun  in  der  neuen  Umgebung  zurecht- 
fintfen  mQssen.) 

Bis  heute  aber  warte  man  auf  dieses 
Team,  weil  der  Magistral  behnupte,  er 
ttnde  keine  Leute.  SPD-Stadtverordne- 
ter  Schoppner  stellte  die  Frage,  woran 
es  wohl  liege,  daB  sich  bislang  nur  eine 
Dame  for  diese  projektbezogene  Arbeit 
genreldet  habe. 

Der  Leiter  des  Sozialamt&s,  Magi- 
stratsrat  DahlDm.  der  zusammen  mit 
Amtsrat  Humbert  den  Standpunkt  der 
Verwaltung  vertcidtgte,  horte  in  der 
Folgezeit  wenig  Erfreuliehes.  Von  alien 
Seiten  wurden  Beschuldigungen  und 
KJagen  iiber  sein  Haupt  gesehiittet. 

MUNDTOT 

Doch  zunachst  skizzierte  er  das  Ob- 
dachlosonproblem  aus  seiner  Sicht;  Mit 
der  Wohnung  allein  sei  es  nicht  getan. 
Obdachlose  konne  man  nicht  als  homo- 
gene  Gruppe  sehen,  und  schlieOlich 
fehle  es  noch  an  empirischen  Untersu- 
chungen  uber  die  Ursachen  des  Ob- 
dachlosonproblems.  Mbglichkeiten  zur 
Verbesserung  der  Situation  dieser 
Leute  lagen  in  einer  intensiven  Betreu- 
ung  von  einzelnen  Familien  und  Zu- 
BammenfaBSung  mehrerer  Familien  in 
Gruppen  oder  in  der  Weiterfiihrung  der 
bisher  in  Frankfurt  praktizierten  Fami- 
lienfursorge  und  Akzentverlagerung 
auf  spezifl3Che  Probleme  der  Familien. 
Er  sei  der  Meinung.  die  Gemeinwesen- 
arbeit  sei  nicht  daa  Aliheilmittel,  der 
Voraig  genicfle  die  Einzelhilfe.  Die 
Sozialarbeiter  hingegen  gaben  der  Ge- 
meinschaf  tsarbeit  den  Vorrang. 

In  der  nun  sehr  lebhaft  einsetzenden 
Diskussion  forderte  Stadtverordneter 
Schflppner,  die  Gemeinwesenarbeiler 
darften  keine  Erffillungsgehilfen  der 
Verwaltung  sein.  Sozialarbeiter  Pabst 
klagte  den  Magistral  an,  jegliche  Ver- 
suche  von  Sozialarbeitern,  Initiative  zu 
entwickeln,  abgewurgt  zu  haben  (star- 
kes  Beifallsklopfen).  Genannt  wurden 
die  „lnitiativgruppen  Obdachlosenar- 
beit" der  „Arbeitskreis  kritische 
Sozia'larbeit"  und  die  Sozialstation  Cal- 


lus. Durch  Einschuchterungen  seitens 
Stadtrat  Gerhardts  sei  die  erstgenannte 
Gruppe  mundtot  uemacht  worden. 

Und  Sozialarbeiterin  Rommcrskir- 
chen  meinte:  Bisher  sei  das  Problem 
der  Obdachlosen  ganz  schlicht  und  ein- 
fach  verwaitei  worden.  Es  wurden  „un- 
heimliche  Mittel"  ausgegeben,  urn 
Familien,  die  bcreits  In  Siedlungen  ein- 
geordnet  worden  seien,  finanziell  zu 
snnic-ren,  damit  sie  nicht  allzusehr  auf- 
fielen.  Dies  aber  sei  nichts  anderes  als 
das,  was  Stadtverordneter  Schoppner  als 
„Sozialfummelci"  bczcichnete. 

Die  Obdaehlosen,  so  kritisierte  Pabst, 
wiirden  von  der  Verwaltung  als  Objekt 
gesehen,  nicht  als  Subjekt  Sic  muOten 
jedoch  durch  Einbeziehung  in  die  Kon- 
zepterarbeitung  (Hilfe  zur  Selbsthille) 
selbst  Ideen  entwickeln  konnen,  wobei 
zu  beachten  sei,  so  erganzte  eine  Kolle- 
gin,  daB  ein  neues  Konzept  von  den 
Sozialarbeitern  und  nicht  von  der  Ver- 
waltung erarbeitet  werden  solle. 

Uber  die  Stellung  der  Sozialarbeiter 
sagte  Schoppner  unter  starkem  Beifall 
der  fast  ausschlieBlich  jungen  Leute: 
„Die  Sozialarbeiter  sind  Anwa'Ue  der 
Obdaehlosen  und  nicht  Erftillungsgehil- 
fen  der  Verwaltung.  Sie  sollen  den 
gleichen  Stellenwert  bekommen  wie  die 
Lchrer  in  der  Stadt." 

Allgemein  in  Erstaunen  versetzte  die 
Anwesenden  die  Mitteilung  von  Sozial- 
arbeiter John,  dafl  Amtsrat  Humbert 
vom  Sozialamt  es  abgelehnt  hatte,  ein 
von  der  Sozialstation  Gallus  erarbelte- 
tes  und  vorgelegtes  Konzept  ubei'haupt 
zu  lesen,  weil  es  zu  lang  sei. 

ABGELEHNT 

Humbert  wies  darauf  hin,  daB  es  zu- 
kiinftig  keine  Notunterkunfte  mehr  in 
Frankfurt  geben  werde,  da  die  von  der 
SPD  geforderten  300  Wohnungen  fiir 
diesen  Personenkreis  gebaut  wurden. 
Der  Sozialstation  Gallus  habe  er  ein 
Angebot  gemacht,  das  diese  erst  nach 
einer  Woche  Bedenkzeit  abgelehnt  hatte. 

Eine  Kuriositiit:  Sozialarbeiterin  Beer 
wies  auf  die  noch  giiltige  Bestimmung 
in  einer  entsprechenden  Vorschrift  hin, 
wonach  die  soziaien  Verhiiltnisse  derje- 
nigen  Obdaehlosen.  die  in  eine  Woh- 
nung eingewiesen  wurden,  geordnet  sein 
mtiBten  (grofles  Gelachter). 

In  einer  Art  Zusammenfassung  der 
Ergebnisse  dieser  Eesprechung  forderte 
abschlieOend  Sozialarbeiter  Pabst: 

1.  Keine  Zentralislerung  der  Bearbei- 
tung  der  Obdaehlosen,  sondern  welter- 
hin  von  der  zustandigen  Sozialstation 
aus. 

2.  Einselzen    eines    Arbeitsteams    Ge- 


meinwesen,  das  eine  gemeinsame  Kon- 

zeption  entwickelt,  und  Ausschreibung 
der  noch  freien  sieben  Stellen  in  Fach- 
zeiLschriften  und  Zeitungen,  uin  das 
notige  Personal  zu  bekommen. 

3.  Keine  weitere  Einweisung  von  Fami- 
lien in  Nohmterkiinfte  Oder  Ubergangs- 
wohnungen  und 

4.  keine  Unterdriickung  und  verfehlte 
Repressalien  gegen  Sozialarbeit  und  In- 
ula tivgruppen. 

Dazu  Lisy  Alfhart:  „Dal3  kein  Druck 
auf  diese  Gruppen  ausgeiibt  wird 
daiiir  sollte  die  Fraktion  der  SPD 
Garant  sein."  Eine  weitere  Diskussion 
in  dieser  Runde  soil  bald  folgen. 


21 


Zur  weiteren  Vertiefung  und  Auseinandersetzung  rait  der  Arbeit  in  Ob- 
dachlosensiedlungen  wurde  in  Februar  1972  eine  Veranstaltung,  an  der 
ebenfalls  ca.   50  Sozialarbeiter  teilnahmen.mit  einem  Vertreter  des 
'Kblner  Arbeitskreises  der  Notunterkunfte'    im  Club  Voltaire  organi- 
siert. 


Gewerkschaftsarbeit 

Aufgrund  der  praktischen  Orientierung  der  politischen  AtCS-Arbeit  er- 
gab  sich  auch  die  Notwendigkeit  einer  Gewerkschaftsarbeit,  die  nun  ver- 
starkt  wieder  aufgenommen  werden  sollte.  AKS-Mitglieder  verstanden  sich 
als  eine  gewerkschaftskritische  Gruppe,  die  bestimmte  Initiativen  in 
die  Gewerkschaft  hineintragen  wollte.  Kritisch  ist  jedoch  anzumerken, 
daB  die  Entscheidung  fur  eine  Gewerkschaftsarbeit  aus  pragmatischen  GrLin- 
den  getroffen  wurde,  eine  Analyse  der  Rolle  der  Gewerkschaft  in  der 
BRD  richt  vorlag  und  auch  kein  daraus  resultierendes  strategisches 
Konzept. 
Erfolge  zeigten  jedoch: 

a)  ein  vom  AKS  vorbereitetes  und  durchgeflihrtes  OTV-Seminar  zu  Fragen 
der  Mitbestimmung  der  Sozialarbeiter  und  Sozial padagogen  bei  der  Ver- 
anderung  ihres  Arbeitsplatzes  und  Arbeitsfelder 

b)  die  Mitwirkung  an  der  Herausgabe  einer  Informationsschrift  der  Fach- 
gruppe  Sozialarbeit  "Soziales  und  Unsoziales",  die  viertel jahrlich  er- 
scheint  und  zu  aktuellen  Problemen  und  Widerspriichen  in  den  Sozialstatio- 
nen  und  Kindertagesstatten  Stellung  nimmt. 

Offentlichkeitsarbeit/Kontakte  mit  anderen  Gruppen 

Die  Offentlichkeitsarbeit  bezog  sich  im  wesentlichen  auf  Presseerkla- 
rungen  zu  aktuellen  Ereignissen,  Vortrage  und  Diskussionen  an  Volks- 
hochschulen,  Jugendbildungsstatten  und  Fachhochschulen,  insbesondere 
der  Fachhochschule  flir  Sozialarbeit  in  Frankfurt. 

Erstmals  wurde  auch  im  November  1971  Kontakt  mit  dem  'Sozial istischen 
BLiro'   aufgenommen,  da    den  Vertrieb  der  AKS-Broschiire  ubernahm  und 
mit  dem  eine  weitere  Zusammenarbeit  vereinbart  wurde.  Schon  zum  dama- 
ligen  Zeitpunkt  war  uns  klar,  daB  der  AKS  sich  in  einer  berufsbezoge- 
nen  Isolierung  befindet,  die  nur  aufgeldst  werden  kann,  indem  man  mit 
politischen  Gruppen  aus  anderen  Bereichen  Kontakt  auf nimmt .und  nach 
Mbglichkeiten  der  Zusammenarbeit  sucht.   Daher  wurde  auch  dem  Vorschlag 
zugestimmt,  am  1.  Treffen  verse hiedener  politischer  Gruppen  aus  dem 
Raum  Frankfurt,  die  in  Kontakt  zum  Sozialistischen  BLiro  stehen  und  fiir 
Frankfurt  ein  'Sozialistisches  Zentrum'  entwickeln  und  aufbauen  wol- 
len,  teilzunehmen.  Ein  AKS-Mitglied  (Gruppe  Sozialarbeit)  erarbeitete 
dazu  aus  den  bisherigen  Unterlagen  und  Diskussionen   'Ansatze  prakti- 
scher  politischer  Arbeit  auf  dem  Sektor  Sozialarbeit',  die  dort  vor- 
getragen  wurden  und  die  Kindergartnerinnen  berichteten  von  ihrer  bis- 
herigen Arbeit.  Langfristig  bestand  die  Absicht,  mit  diesen  Gruppen 
zu  kooperieren,  im  Moment  aber  die  Konsolidierung  im  AKS  selbst  vor- 
anzutreiben. 


22 


Dokument  Nr.  8 

"Ansatze  praktischer  politischer  Arbeit  auf  dem  Sektor  "Sozialarbeit" 
(Arbeitskreis  Kritische  Sozialarbeit)   1971 

1.  Die  Funktion  von  Sozialarbeit  mit  ihren  verschiedenen  Bereichen  im 
Reproduktionsbereich  ist  bisher  nur  oberflachlich  und  global  bestimmt 
(sieht  AKS-Papier  "Zur  Geschichte  und  Funktion  der  Sozialarbeit"!. 

Wir  kbnnen  aber  feststellen,  daB  es  sich  bei  der  Sozialarbeit  um'einen 
vernachlassigten  Bereich  gesellschaftlicher  Reproduktion  handelt.  KuBer- 
lich  manifestiert  sich  diese  Tatsache  in  den  fehlenden  Mitteln,  der 
ungenugenden  personellen  und  materiellen  Ausstattung,  mangelhafter  Aus- 
bildung  etc. 

2.  Die  Institutionen  der  Sozialarbeit  sind  gekennzeichnet  durch  hierach. 
Strukturen,  mangelhaften  InformationsfluB,  fehlende  Kooperation,  aus- 
gepragtes  Konkurrenzverhalten  und  Resignation  der  in  ihr  tatigen  So- 
zialarbeiter. 

Die  Praxis  der  Sozialarbeit  vollzieht  sich  heute  auf  den  unteren  Rangen 
einer  Verwaltungsbiirokratie,  die  von  den  oberen   Instanzen  gesteuert 
wird.   Dieses  Verwaltungsmodell  entspricht  dem  der  obrigkeitlichen  Pol i - 
zei-,  Wehr-  und  Finanzverwaltung  ,in  dem  der  Sozialarbeiter  und  der 
Klient  als  Abhangige  total   in  den  Herrschaftszusammenhang  eingebettet 
sind. 

3.  Der  AKS  versteht  sich  als  ZusammenschluB  sozialistischer  und  demokra- 
tischer  Sozialarbeiter;  seine  Aktivitaten  richten  sich  auf 

-  eine  Mobilisierung  der  im  Sozialbereich  tatigen  MitarEeTter 

-  das  Ziel  ,die  Aufgaben  der  Sozialarbeit  neu  zu  bestimmen  und  auf  Grund 
der  Analyse  bestehender  MiBsta'nde  Strategien  zur  Veranderung  der  zu- 
ktinftigen  Praxis  abzuleiten  (langfristig  sozialistische  Berufspraxis) 
und  gegen 

-  Versuche .Sozialarbeit  in  technokratische  Verfugung  zu  nehmen, 

-  Sozialarbeiter  und  Klienten  zu  diszipl inieren. 

4.  Als  Strategie  bietet  sich  die  Konfliktaktualisierungsmethode  an: 
MiBsta'nde  im  sozialen  Bereich,  Widerspruche  und  Konflikte  innerhalb  der 
Sozial  burokratie  sollen  erkannt  und  aufgezeigt  werden.  Publication, 
Protest  und  KampfmaBnahmen  sollen  Einsicht   in  den  Herrschaftscharakter 
und  die  Schranken  des  Systems  vermitteln.   (z.B.  ware  aufzuzeigen,  wa- 
rum  aus  parteipol itischen  Gesichtspunkten  das  Projekt  stadtteilbezogene 
Gemeinwesenarbeit  nun  schon  monatelang  verschleppt  wird  etc.) 
Konkreter  AnlaB  ist  in  den  nachsten  Wochen  die  Vorbereitung  einer 
Veranstaltung  zu  der  alle  Sozialarbeiter  eingeladen  werden  und  in  der 
am  Beispiel  des  reaktionaren  Organisationskonzeptes  zur  Umstrukturie- 
rung  der  Faflirsorge  gezeigt  werden  soil,  wie  iiber  die  Kopfe  der  So- 
zialarbeiter und  Klienten  neue  Organisationskonzepte  entwickelt  wer- 
den, die  allein  an  der  Effizienz  sozialer  Kontrolle  orientiert  sind. 

5.  Wir  sind  uns  dabei   allerdings  bewuBt,  daB  auf  der  einen  Seite  So- 
zialarbeiter auf  Grund  ihrer  Berufsrolle  nur  bedingte  Mbglichkeiten 
haben,  Gesetze  und  materielle  Potenzen  zu  Gunsten  der  Klienten  umzu- 
funktionieren, 

und  auf  der  anderen  Seite,  daB  Sozialarbeit  unter  kapitalistischen  Be- 
dingungen  immer  integrative  Funktion  hat.  no 


Auch  das,  was  sich  in  der  aktuellen  Bereitschaft  zu     Veranderungen 
zeigt,  dient  dem  Ziel   sozialer  Kontrolle  und  dem  Verwertungsinteresse 
des  Kapitals. 

Es  gilt  aber  die  Freira'ume  weiter  auszubauen  und  die  objektiven  Reform- 
tendenzen  bis  an  die  Grenze  auszunutzen,  aber  auch  zu  verhindern,  daft 
es  nur  bei   berufsreformerischen,  standespolitischen  Aktivitaten  bleibt. 

6.   In  der  Zusammenarbeit  -  bei  Erhaltung  der  Eigenstandigkeit  des  AKS 
zum  jetzigen  Zeitpunkt  -  nit  anderen  sozialistischen  Gruppen  sehen  wir 

-  eine  realistische  Mbglichkeit  das  o.g.   zu  verhindern 

-  langfristig  einen  Beitrag  zum  Aufbau  einer  sozialistischen  Bewegung 
zu  leisten." 


V  Selbstverstandnisdiskussion  (Mai   1972  -  Herbst  1972) 

Unbehagen  an  der  politischen  Arbeit,  die  in  den  Aktionen  sichtbar  wer- 

dende  Tatsache     der  fehlenden  praktischen-politischen  Perspektive,  man- 

gelnde  Kontinuitat  der  Teilnehmer  in  den  AKS-Sitzungen,  ein  hau- 

fig  wechselnder  Teilnehmerkreis  und  die  damit  sich  ergebende  unverbind- 

liche  Arbeitsweise     waren  Anlaft,  die  seit  langem  notwendig  qewordene 

Selbstverstandnisdiskussion  endlich  aufzunehmen,  urn  darauf  aufbauend  die 

weitere  Organisation  und  Arbeitsweise  verbindlich  festzulegen. 

Die  Diskussion  ist  bis  heute  noch  nicht  abgebrochen,  aber  auch  nur 

unsystematisch  gefiihrt  und  oft  durch  aktuelle  Ereignisse  unterbrochen 

worden. 

Wie  die  zentrale  Arbeitstagung  im  Marz  1973  zeigte,  ergibt  sich  lau- 

fend  die  Notwendigkeit,  Auf gabenstel lung  und  Funktion  des  AKS  immer 

wieder  neu  zu  diskutieren  und  zu  bestimmen. 

Die  damalige  Diskussion  soil  hier  an  Hand  der  Protokolle  nachgezeich- 

net  werden.  Auf  eine  systematische  Zusammenfassung  wurde  verzichtet, 

da  nur  so  eine  Einsicht  in  den  DiskussionsprozeB  gewahrleistet  ist 

und  die  Schwierigkeiten  der  Gruppe  deutlich  werden: 

Dokument  Nr.  9 

Auszug  Protokoll  25.5.72 

"3.  Es  lag  vor  ein  Flugblatt  der  DTV  zur  Besoldungsregelung  der  Tech- 
niker.  Da  auch  die  Sozialarbeiter  davon  betroffen  sind,  wurde  das 
beiliegende  Flugblatt  entworfen  und  in  den  Sozialstationen  verteilt. 
Bei  der  Formulierung  kam  es  zu  Diskussionen 

a)  ob  das  Wort  "Kampf"  benutzt  werden  soil,  da  dies  die  Kollegen  gleich 
wieder  gegen  den  AKS  einnehmen  konnte 

b)  ob  nicht  in  den  Text  der  Hinweis  auf  das  Stufensystem  im  BAT,  der 
damit  verbundenen  Hierachisierung  in  der  Sozialarbeit  und  auf  unsere 
Forderung  nach  Auflbsung  des  Stufensystems  erfolgen  sol  He. 

Ohne  Abstimmung  wurde  das  Wort  "Kampf"  beibehalten  und  Punkt  3  b  fal- 
len gelassen. 

Zu  einer  langeren  Diskussion  kam  es  Liber  die  Aufforderung  im  Text, 
"sich  zur  Durchsetzung  dieser  Forderungen  zu  organisieren". 
Die  Ansicht,  daB  dieser  allgemeine  Appell  politisch  sinnlos  ist,  da 
die  konkreten  Realisierungsmbglichkeiten  nicht  angegeben  werden,  konn- 
te sich  nicht  durchsetzen;  die  Mehrheit  war  fur  die  Beibehaltung  der 
)  A       Formulierung  im  Flugblatt." 


Dokument  Nr.   10 

Auszug  Protokoll   30.6.72 
"1 .  Stellungnahme: 

Der  AKS  litt  bisher  unter  den  widerspruchl ichen  Erwartungen  zwischen 
den  dem  AKS  angehorenden  "Theoretikern"  und  den  unmittelbar  an  der 
"Front"  stehenden  Praktikern.Vom  AKS  wird  eine  handfeste  Hilfe  erwar- 
tet,  den  eigenen  politischen  Standpunkt  festzumachen  und  den  Kampf  mi t 
der  Verwaltung  besser  durchzustehen.   Da  man  aber  mit  steigendem  poli- 
tischen BewuBtsein  in  der  Sozialstation  mit  immer  grdBeren  Schwierig- 
keiten zu  rechnen  hat  (man  gilt  als  gefahrlich  und  wird  bloBgestellt) , 
erwarte  man  sich  auch  eine  intensive  Hilfe  vom  AKS,  die  Kollegen  durch 
Informationspapiere  zu  konkreten  sozialen  Problemen  auf  ein  hSheres 
pohtisches  Niveau  zu  heben,  nicht  zuletzt  auch  deshalb,  urn  den  eige- 
nen politischen  Standpunkt  in  den  Augen  der  Kollegen  relativieren  und 
zu  neutralisieren  zu  helfen. 

2.  Stellungnahme: 

Der  AKS  sollte  ein  Kreis  sein,  der  einem  theoretisches  Wissen  Liber  be- 

stimmte  Strukturen  unseres  Systems  vermittelt  und  an  akutellen  Dingen 

innerhalb  der  S.A.  diese  Theorie  verdeutlicht. 

Reflexion  der  S.A.  an  Hand  besserer  Theoriekenntnisse. 

3.  Stellungnahme: 

Man  schlieBt  sich  an  das  vorher  Gesagte  an  mit  der  zusatzlichen  Erwar- 
tung  an  den  AKS,  mehr  Hilfen  fur  die  Verbesserung  der  eigenen  Arbeits- 
platzsituation  zu  entwickeln  und  zu  erarbeiten.  Kritik  an  der  bisheri- 
gen  AKS-PVaxis:  durch  die  Beschaftigung  mit  verschiedensten,  sozialen 
Aktualitaten  habe  man  sich  verzettelt  und  dabei   seien  die  Probleme  der 
eigenen  Praxis  zu  kurz  gekommen.   Das  schlieBe  nicht  aus,  daB  der  AKS 
i  n  Zukunft  -  dann  aber  gezielter  -  zu  sozialen  Aktualitaten  Stellung 
nehmen  soil. 

An  dieser  Stelle  entfachte  sich  eine  Diskussion  am  Beispiel  der  Stel- 
lungnahme zum  Georg-von-Rauch-Haus.  Vielen  sei   die  im  Papier  angege- 
bene  Parallelitat  des  G.v.R.-Hauses  und  der  JLigelstraBe  nicht  so  klar 
gewesen.  Auch  sei  oft  zu  wenig  dariiber  diskutiert  worden,  warum  man 
zu   bestimmten  sozialen  Aktualitaten  Stellung  bezog.   Die  Betroffenheit 
(politische)  des  AKS  miiBte  in  solchen  Fallen  oder  generell  deutlicher 
vordiskutiert  werden,  bevor  man  Stellungnahmen  abgibt. 
Eine  andere  Meinung  war  die,  daB  die  Abgabe  von  Stellungnahmen  zum 
Selbstverstandnis  des  AKS  gehoren  muB.  

4.  Stellungnahme:  

Sozialarbeit  hat  keinen  emanzipatorischen  Charakter,  da  ihre  Funktion 
von  der  Gesellschaft  bestimmt  wird  und  die  ist:  SA  dient  zur  Ver- 
schleierung  gesellschaftlich  bedinqter  Ungerechtigkeiten.  Ueshalb  soll- 
Te  der  Schwerpunkt  der  Arbeit  im  AKS  nicht  im  Vorantreiben  sozialar- 
beiterischer  Reformen  liegen,  sondern  in  der  Pol itisierung  der  Kolle- 
gen.  (Man  sol Ite  eine  Bewegung  unter  den  Kollegen  in  Gang  setzen). 
"ElTwurde  die  Frage  an  die  anderen  im  AKS  gestellt,  welchen  Stellen- 
wert  Reformentwicklungen  im  AKS  haben  sollen.  Der  Schwerpunkt  solle 
vielmehr  darin  liegen,  sich  Liber  die  Funktion  von  SA  klarzuwerden  auf 
dem  Hintergrund  der  Analyse  der  unmitTelbareri  Arbeitsbedingungen 
( Bezahlung,  hohe  hallzahl,  Handeln  der  Verwaltung)  und  Verbindungen 
herzustellen  von  politischen  HaBnahmen,  die  die  eiqene  Arbeitsplatzsi- 
tuation  betreffen  (Einstel  lungsstop,  Etatkiirzungen). 
Auch  hieran  schloB  sich  eine  Diskussion  an,  die  diese  Schwerpunktverla-2  g 


gerung  nicht  vol  1  akzeptierte,  da  man  sich  durch  die  reine  Analyse 
nicht  allein  klar  wird,  welche  Funktion  SA  hat,  sondern  erst  durch 
Entwicklung  und  Durchsetzung  von  Veranderungen,  den  Apparat  und  seine 
Widerstande  kennenlernt,  d.h.   S.A.   in  ihrer  Funktion  erst  dann  richtig 
durchschaubar  wird.  Das  setze  aber  voraus,  daB  eine  gewisse  BewuSt- 
machung  unter  den  Kollegen  vorausgegangen  sein  tnuB,  damit  eine  Sol i- 
darisierung  herzustellen  1st.  Dies  zu  leisten,  sei  auch  eine  Erwartung 
an  den  AKS. 

Ein  anderer  Beitrag  war  folgender:  S.A.   sei   zwar  in  ihrer  Funktion  von 
der  Gesellschaft  bestimmt,  das  dlirfe  jedoch  nicht  dazu  fiihren,  auBer- 
halb  des  Berufslebens     die  Veranderung  der  Gesellschaft  anzustreben. 
Man  musse  taglich  und  bei  jeder  Gelegenheit  Veranderung  anstreben. 
Dazu  wurde  eingewendet,  da(3  nicht  das  eigene  Wollen  ausschlaggebend 
flir  die  Funktion  der  S.A.   sei   und  insofern  die  auBerberufliche,   poli- 
tische  Betatigung  nicht  zu  unterschatzen  sei. " 


Dokument  Nr.   11 

Auszug  Protokoll  4.7.72 

"1.  Resonanz  zum  Papier  vom  Georg-von-Rauch-Haus  aus  den  Sozialstatio- 
nen: 

Von  der  Sozialstation  Eschersheim  wurde  dazu  berichtet,  da[3  den  Kolle- 
gen die  in  unseren  Ausfiihrungen  aufgezeigte  Parallelitat  vom  Georg- 
von-Rauch-Haus  zur  JugelstraBe  nicht  verstandlich  ist.  Die  Reaktion  der- 
Kollegen  aus  den  anderen  Sozialstationen  zum  AKS-Papier  ist  nicht  be- 
kannt.  An  dieser  Stelle  meinte  ein  Teilnehmer ,  der  AKS  musse  grund- 
satzlich  mehr  Informationen  liber  auswartige  Situationen  haben,  urn  sie 
deutlicher  darstellen  zu  kdnnen  und  dadurch  bessere  Vergleiche  zur 
eigenen  Praxis  herstellen  zu  kb'nnen, 
Gegenargument : 


IPMIB1HI iH  WHIIBBllllll  Hill  iiilJillliL.i.l  i^iiliiMafe^ega^gaaiaag^eafc^BB 


26 


Die  Betroffenheit  der  Kollegen  ware  grb'Ber,  wenn  Geschehnisse  im  Rah 
men  Frankfurts  aufgegriffen  und  dargestellt  wilrden,  da  die  Oberpruf- 
barkeit  leichter  ist. 

2.  Es  wurde  vorgeschlagen,  das  Protokoll  vom  30.6.1972  zu  systemati- 
sieren  und  die  einzelnen  Punkte  weiterzudiskutieren. 
Kurze  Zusammenfassung: 

a)  Politischen  Standort  der  Gruppe  finden, 

b)  Unterstutzung  bei  Kampf  mit  Verwaltung  (von  Betroffenheit  aus- 
gehen  -  Arbeitsplatz) , 

c)  Agitationshilfen  (Politisierung  der  Kollegen), 

d)  Theorie  -  Wissen,  Reflektion, 

e)  Systemanalyse  -  Struktur, 

f)  Verbesserung  der  Arbeitsplatzsituation, 

g)  Funktion  der  Sozialarbeit  klaren. 

Imweiteren  Diskussionsverlauf  wurde  grundsatzl ich  die  Standhaftig- 

keit  des  AKS  in  Frage  gestellt  im  Bezug  auf  seine  politische  Durch- 

schlagskraft. 

Es  herrscht  bei  Teilnehmern  die  Vorstellung,  daB  der  AKS  u'ber  sein 

eigenes  Stadium  nicht  hinaus  kommt  (im  eigenen  Saft  braten)  und  sei- 


h- 


Fiir  eine  neue 

sozialistische 

Linke 


evsah&int  im  Juni  1972,  DM  5.8o 

Biioher-  &  Papervertrieb,    60S  Offenbach  4,   Postfaah  591 


ne  Resonanz  dadurch  nicht  wirksam  genug  ist. 

Jemand  machte  den  Vorschlag,  sich  doch  zunachst  me  hi-  mit  der  Reaktion 
der  Kollegen  aus  den  Sozialstationen  auf  bestimmte  Aktivitaten  des 
AKS  auseinanderzusetzen.  Erneut  wurde  das  vom  AKS  gewahlte  Vokabular 
an  seine  Adressaten  kritisiert  und  in  Frage  gestellt. 
In  diesem  Zusammenhang  tauchte  nochtnals  die  Frage  auf: 
Warum  haben  sich  Teilnehmer  vom  AKS  distanziert,  als  das  Georg-von- 
Rauch-Haus-Papier  diskutiert  wurde? 

Zudem  wurde  wiederholt  die  Frage  gestellt,  weshalb  im  AKS  immer  be- 
stimmte Mitglieder  im  Alleingang  Aktivitaten  unternehmen.  Als  Bei - 
spiel  wurde  hier  wieder  die  Arbeitsweise  bei  der  Erstellung  des  Georg- 
von-Rauch-Papieres  angefuhrt.   Die  Frage,  ob  die  aktiven  Teilnehmer   in 
die  dominierende  Rolle  gedrangt  werden,  konnte  nicht  abgeklart  werden. 
Von  einem  Teilnehmer  wurde  die  Auffassung  vertreten,  der  AKS  mu'Bte 
seine  Arbeit  mehr  systematisieren,  d.h.   bestimmte  Aktualitaten  besser 
darstellen  im  Zusammenhang  mit  dem  gewerkschaftspolitischen  Geschehen. 
Die  Diskussion  lief  erneut  darauf  hinaus,  bevor  gesellschaftsvera'ndern- 
de  Arbeit  geleistet  wird,  muB  erst  der  politische  Standpunkt  der  Grup- 
pe  festgesetzt  werden. 

Wie  bestimmt  man  einen  politischen  Standort? 

Ober  die  Methode  gingen  die  Meinungen  auseinander.  Einige  meinten,  der 
politische  Standort  einer  Gruppe  konnte  zum  Beispiel  dadurch  bestimmt 
werden,  daB  alle  Teilnehmer  zu  aktuellen  politischen  Geschehnissen 
Stellung  nehmen.  Andere  deklarierten  diese  Stellungnahme  als  politi- 
sches  Glaubensbekenntnis. 
Folgende  Frage  ergab  sich: 

Ist  der  AKS  sinnvoll   strukturiert,  wenn  er  nur  Sozialarbeiter  als  Mit- 
glieder hat? 

Resultierend  aus  den  vorhergehenden  Beitragen  teilten  mehrere  Teilneh- 
mer die  Auffassung,  daB  eine  Gruppe  nur  einen  politischen  Standort 
gewinnen  kann,   indem  sie,  ausgehend  vom  Arbeitsplatz  (eigene  Betrof- 
fenheit),  unter  alien  Umstanden  politische  Zusammenhange  mit  einbe- 
zieht,  wobei  der  individuelle  Standort  durchaus  abweichen  kann. 
Wie  verkauft  sich  der  Sozialarbeiter  am  Arbeitsplatz? 
Kann  dieses  Problem  im  AKS  diskutiert  werden,  oder  ist  dies  Angelegen- 
heit  der  Gewerkschaften? 

Hier  wurde  von  einem  Teilnehmer  der  Wunsch  geauBert,   im  AKS  nicht  die 
Funktion  der  Sozialarbeit  zu  diskutieren,  sondern  Mdglichkeiten  der 
Praxis  aufzuzeigen,  Strategien  fiir  die  Praxis  zu  entwickeln  aufgrund 
der  Erfahrungen  der  einzelnen  Teilnehmer.  Nur  aus  vorangegangenen 
Fehlern  kann  gelernt  werden  (Resignation),  reflektiert  und  neue  Stra- 
tegien entwickelt  werden.  Das  methodische  Vorangehen  wurde  nicht  aus- 
diskutiert,  da  ein  Teilnehmer  seinen  Unmut  darliber  auBerte,  daB  nur 
wieder  vom  Thema  abgewichen  wLirde.  Er  schlug  vor,  doch  jetzt  ganz  kon- 
kret  zu  versuchen,  eine  Plattform  flir  den  AKS  zu  erarbeiten.  Er  war 
der  Meinung,  daB  dies  im  Rahmen  eines  Wochenendseminars  geschehen 
kbnne. 

Tagesordnungspunkt  fiir  die  nachste  Sitzung  am  11.7.1972  ist  weiterhin 
die  Selbstverstandnisdiskussion  und  genaue  Betrachtung  der  zusammen- 
gefaSten  Punkte  vom  vorangegangenen  Protokoll.  AuBerdem  mu'Bte  in  der 
kommenden  Sitzung  Liber  die  AKS-Arbeit  in  den  Ferien  beraten  werden." 


!8 


VI   Zusammenfassung 

Die  vorliegende  Darstellung  der  Entwicklung  des  AKS  Ffm.  Liber  einen 
Zeitraum  von  3  Jahren  dient  dem  Versuch ,  aus  den  bisherigen  Erfahrun- 
gen Konsequenzen  fur  die  zukunftige  Arbeit  des  AKS  zu  Ziehen.  Eine  all- 
gemeine  Aussage  zur  Organisationsfrage  kann  in  diesem  Heft  aus  Platz- 
mangel    nicht  gemacht  werden,  sie  soil    zu  einem  spateren  Zeitpunkt 
nachgeholt  werden. 

Der  AKS,  gegriindet  1970,  nachdem  die  "antiautorita're  Studentenbewe- 
gung"  den  Bereich  der  Sozialarbeit  verspatet  erreicht  hatte,  war  Sam- 
melbecken  fiir  eine  grb'Bere  Zahl  von  Sozialarbeitern  und  Sozialpadago- 
gen ,  die  unzufrieden  waren  mit  den  katastrophalen  Arbeitsbedingungen, 
der  Abhangigkeit  von  fachfremden  Entscheidungen  der  Sozialburokra- 
tie,  dem  Auseinanderklaffen  von  Anspruch  und  Wirklichkeit  und  der  Tat- 
sache,  daB  sich  die  Lage  des  Klientels  zunehmend  verschlechterte. 
In  dieser  Anfangsphase  war  das  Engagement  und  der  Optimismus  ungeheuer 
groB,  glaubte  man  doch  durch  eine  entsprechende  Strategie  mit  breiter 
sol  idarischer  Unterstiitzung  der  Kollegen  die  Institutionen  zu  verun- 
sichern  und  wesentliche  Veranderungen  am  Arbeitsplatz  durchfiJhren  zu 
kbnnen. 

So  fanden  sich  Sozialarbeiter  und  Sozialpadagoger:  mit  den  unterschied- 
lichsten  Motivationen  und  Erwartungshaltungen  zusammen:  von  Sozialar- 
beitern  ,  deren  caritatives  Selbstverstandnis  durch  die  Praxis  ange- 
kr.ackst  war  und  die  konkrete  Rezepte  fur  ihre  Arbeit  erwarteten  bis 
hin  zu  Sozialarbeitern,  denen  es  darum  gi ng ,  die  Widerspruche  an  ihrem 
Arbeitsplatz  aufzugreifen,  zu  analysieren  und  gemeinsam  mit  anderen 
auf  eine  revolutionare  Berufspraxis  hinzuarbeitensbzw.  Sozialarbeit 
zu   begraifen  als  Interessenvertretung  von  Randgruppen  und  Teilen  des 
Proletariats.  Damit  war  die  Spannweite  zwischen  systemimmansnten  Re- 
fcrmen  bis  hin  zu  revolut ionarer  Gesel Ischaftsveranderung  abgesteckt. 
Die  Auffassungen  dieses  breiten  politischen  Spektrums  schlagt  sich 
dann  auch  im  Arbeitsprogramm  und  in  den  Aktivitaten  nieder;  da  alle 
Aktivitaten  in  der  Anfangsphase  nur  kurzfristig  auf  den  Moment  abge- 
stimmt  waren,  eine  zielgerichtete  politische  Perspektive  fehlte,  war 
es  auch  nicht  schwer  die.unterschiedlichsten  diffusen  Interessen  im 
AKS  zu  organisieren. 

Ruckblickend  la'Bt  sich  sagen,  daB  es  richtig  war, eine  breite  organi- 
satorische  Basis  aufzubauen,  jedoch  fehlte  die  Zielgerichtetheit, 
die  politische  Perspektive,  die  den  groSten  Teil  der  Sozialarbeiter 
gezwungen  hatte,  sich  nicht  nur  mit  der  Blirokratie  auseinanderzuset- 
zen, sondern  auch  mit  ihrer  eigenen  Rolle  und  Funktion  als  Sozialar- 
beiter in  den  Institutionen,  urn  damit  auch  die  Frustrationen  durch 
die  tagliche  Praxis  abzubauen  bzw.  die  kurzfristige  Erwartungshaltung, 
eine  organisierte  Sozialarbeiterschaft  kbnne  Hilfestellung  und  Anlei- 
tung  fiir  die  Probleme  der  taglichen  Kleinarbeit  leisten,  aufzulbsen 
zugunsten  einer  langfristigen  politischen  Perspektive. 
Hinzu  kommt,  daB  allein  die  Unzufriedenheit  am  Arbeitsplatz,  der  Wider- 
stand  gegen  die  Biirokratie  und  das  Eintreten  flir  materielle  Interes- 
sen eine  solidarische  Ebene  gemeinsamer  Interessen  ergab,  die  aber 
doch  uberwiegend  von  einem  "berufsstandischen  Interesse"  geleitet  wur- 
de -  eine  Situation,  die  die  ganze  dreijahrige  Geschichte  des  AKS  (ab- 
gesehen  von  der  Phase  1970/71)  durchzieht,  so  daB  politische  Ausein- 
andersetzungen  nur  noch  in  taktischen  Fragen  gefiihrt  wurden,  nicht 
aber  Liber  die  Zielsetzung,  Aufgaben  und  Strategie  des  AKS.  OQ 


30 


Das  fiihrte  dann  (Kap.II)  dazu,  daB  die  Mitgliederzahl  zunehmend  zurlick- 
ging,  die  unterschiedlichen  Interessen  nicht  befriedigt  werden  konnten 
und  sich  daraus  die  Konsequenz  einer  Aufteilung  in  Berufsgruppen  und 
eine  Neuorientierung  auf  die  theoretische  Arbeit  erfolgte. 
Eine  politisch  richtige  Entscheidung: 

-  die  Aiifarbeitung  der  Geschichte  und  Funktion  der  Sozialarbeit  unter 
historisch-materialistischer  Betrachtungsweise  war  eine  objektive  Not- 
wendigkeit  fur  die  gesamte  Sozialarbeiterbewegung,  wie  die  heute  noch 
starke  Nachfrage  nach  der  Broschiire  beweist 

-  durch  die  Ausarbeitung,  die  als  LernprozeS  der  Gruppe  verstanden  wer- 
den muB,  gewann  man  eine  politische  Grundlage,  die  es  mbglich  machte, 
die  Arbeit  im  AKS  zumindest  theoretisch  auf  eine  neue  Ebene  zu  heben. 

Die  erwartete  Umsetzung  in  die  Praxis  erfolgte  aus  den  in  Kap.   Ill  dar- 
gelegten  Grlinden  nicht.  Mit  dem  Ausscheiden  eines  groSen  Teils  von 
AKS-Mitgliedern  (teils  aus  privaten/tei Is  aus  politischen  Griinden, 
die  allerdings  nie  diskutiert  worden  sind)  und  der  Erganzung  durch 
Berufspraktikanten  und  Sozialarbeiter  aus  den  Sozialstationen  erfolg- 
te eine  Neuorientierung  an  praktischen  Problemen,  allerdings  nicht 
auf  der  Grundlage  einer  grundlichen  Reflexion  der  vergangenen  AKS- 
Arbeit,  sondern  aus  dem  BedUrfnis  heraus,  starker  wieder  Probleme  am 
Arbeitsplatz  anzugehen,  urn  durch  das  Aufgreifen  der  Widerspruche  am 
Arbeitsplatz  eine  starkere  organisatorische  Basis  in  der  Sozialarbei- 
terschaft  zu  erhalten.  Es  war  eine  starke  Phase  kontinuierlicher  Ar- 
beit, die  auch  ihre  Auswirkung  auf  die  Kollegen  hatte,  wie  die  grosse 
Beteiligung  an  den  Diskussions-  und  Plenumsveranstaltungen  zeigte, 
gemessen  jedoch  an  den  hohen  Ansprlichen  der  Ziele  des  AKS,  die  Sozial- 
arbeiter hier  zumindest  aus  den  Sozialstationen  starker  anzusprechen 
und  zum  Organi sationsschritt  zu  bewegen,  konnten  diese  nicht  erreicht 
werden.   Im  Gegenteil   -  wohl   beeinfluBt  und  motiviert  vom  AKS.sich 
gegen  die  Verschlechterungen  der  Arbeitssituation  zu  wehren,  entstanden 
eine  Reihe  von  Initiativgruppen,  Arbeitskreise  innerhalb  und  auBer- 
halb  der  Institutionen,  die  sich  mit  den  verschiedenen  Problemen  aus 
der  Praxis  auseinandersetzten.bzw.  aufgrund  der  Kritik  am  Verhalten 
der  Sozialburokratie  werden  sie  von  dieser  dazu  aufgefordert  zu  ver- 
schiedenen Organisationsvorschlagen  ihre  Stellungnahme  abzuge'ben. 
Der  AKS  durchschaute  zwar  das  Tauschungsmanbver   der  Stadt:   denn  es 
war  offensichtlich,  die  institutionell  und  rechtlich  iiberhaupt  nicht 
abgesicherten  Gruppen,  isoliert  voneinander  ohne  Kommunikationszusam- 
menhang  und  ohne,  daB  sie  wirklich  EinfluB  auf  die  Entscheidungs- 
prozesse  nehmen  konnten,  waren  zufrieden  als  Gesprachspartner  der 
Sozialburokratie  akzeptiert  zu  sein. 

Sie  verkannten  die  wahre  Absicht  der  Stadt.durch  eine  solche  Beschaf- 
tigungs-  und  Beruhigungstherapie  die  Unruhe  unter  den  Sozialarbeitern 
aufzufanqen,  einmal  weil   er  selbst  qualitativ  und  quantitativ  nicht 
in  der  Lage  war, aus  der  richtigen  Einschatzung  strategische  und  tak- 
tische  Konsequenzen  zu  Ziehen,  zum  anderen  trifft  hier  dieselbe  Er- 
fahrung  zu ,  die  der  AKS  Berlin  machte,  daB  namlich  in  der  Auseinan- 
dersetzung  mit  den  Institutionen  das  BewuBtsein  der  Kollegen  noch 
wemg  entwickelt  ist,  Konflikte  am  Arbeitsplatz  als  Teil  der  in  der 
gesamten  Gesellschaft  existierenden  Widerspruche  zu  sehen,  daB  die 
v  ul!  in  der  unzulanglichen  Arbeitssituation  allein  in  der  Unbe- 
wegiichkeit  einzelner  in  der  Verwaltung  zu  suchen  seien  und  es  aus- 


reiche  zur  Veranderung,  wenn  man  seine  fachliche  Kompetenz  miteinbrin- 

ge.    (siehe  SPK  17) 

Ein  anderer  Punkt  der  Auswirkung  der  AKS-Arbeit  war  die  Wiederbelebung 

der  bis  dahin  seit  Jahren  stagnierenden  UTV-Arbeit.  Der  Schritt  zur 

Gewerkschaftsarbeit  wurde  damals  zwar  nicht  aufgrund  einer  Analyse  der 

Gewerkschaften  in  der  BRD  allgemein  vollzogen,  jedoch  gingen  in  die 

Oberlegungen.die  Gewerkschaftsarbeit  zu  intensivieren,  nicht  nur  prag- 

matische  GrLinde  mit  ein: 

So  wurde  allgemein  die  Einschatzung  geteilt,  daB 

1.  die  Gewerkschaft  die  derzeit  einzige  Interessenorganisation  der  Ar- 
beiterklasse  ist,  sie  die  Mbglichkeit  des  Kontaktes  zur  arbeitenden 
Bevolkerung  bietet,  und  damit  Sozialarbeiter  Bundnisfunktionen  anbie- 
ten  kb'nnen 

2.  Arbeitsrechtsschutz  notwendig  und 

3.  die  OTV  Vertretungsorgan  fur  berufspolitische,  Besoldungs-  und  Ta- 
riff ragen  ist. 

Der  AKS  verstand  sich  dabei   als  eine  eigenstandige  kritische  Gruppe, 
die  entsprechende  vorher  im  AKS  besprochene  Aktivitaten  in  die  OTV 
einbringen  wollte,  was  teilweise  dazu  fiihrte,  daB  Teile  des  AKS  sich 
so  stark  engagierten,  daB  von  den  Arbeitsanforderungen  her  personelle 
Konsequenzen  gezogen  werden  muBten  und  die  Kollegen  sich  dann  vol  1 
auf  die  Gewerkschaften  konzentrierten.   Nachdem  eine  ruhigere  Phase 
eingetreten  war  und  auch  beeinfluBt  durch  Ab-  und  Neuzugange,  sowie 
der  Einsicht  in  die  Beschra'nktheit  des  rein  pragmatischen  Ansatzes,  der 
fehlenden  weitergehenden  Perspektive  und  der  Erkenntnis,  daB  theore- 
tische  und  politische  Wissensdef izite  aufzuarbeiten  sind,  entschloB 
man  sich,  die  Selbstverstandnisdiskussion  wieder  aufzunehmen,  urn  da- 
raus neue  Konsequenzen  fu'r  die  weitere  Arbeit  abzuleiten,  wobei  die 
Kontakte  zu  den  anderen  politischen  Gruppen  (Kap.   IV,  4),  die  Betei- 
ligung an  der    Vorbereitung  liberregionaler  Kommunikation  schon  Ansatze 
beinhalten,  die  liber  die  bisherigen  hinausgehen.  Die  Selbstverstand- 
nisdiskussion ist  noch  nicht  abgeschlossen,  daher  sollen  die  Protokol- 
le  auch  nicht  weiter  kommentiert  werden,  sondern  als  Zeugnisse  dienen, 
aus  der  der  DiskussionsprozeB  und  der  BewuBtseinsstand  der  Gruppe  er- 
sichtlich  wird. 

Folgende  allgemeine  Einschatzung  laBt  sich  bisher  vornehmen: 

1.  Der  AKS  -  Gruppe  Sozialarbeit  -  in  seinem  Teilnehmerkreis  auf  10  - 
30  Mitglieder  beschrankt,  zeigt  zwar  in  der  1.   Phase  noch  eine  kampfe- 
rische  Radikalitat  zu  Problemen  der  Berufspraxis,  nimmt  aber  spa'ter 
zwar  immer  wieder  Konflikte  aus  der  Praxis  auf,  versucht  liber  die  Wi- 
derspruche die  Kollegen  zu  informieren,  aufzuklaren  und  zu  mobilisieren, 
ist  aber  nicht  in  der  Lage  .konkrete  Kampf perspektiven  aufzuzeigen. 

Der  AKS  verfligt  durch  seine  friiheren  spektakularen  Aktionen,  dem  AKS- 
Papier  und  den  spa'teren  Stellungnahmen  im  BewuBtsein  der  Kollegen  Uber 
ein  progressives,  radikales  Image,  was  sich  in  Wirklichkeit  hbchstens 
auf  eine  "geistige  Radikalitat"  beschrankt. 

2.  Der  AKS  stellt  sich  dar  als  Trager  von  Veranstaltungen  zu  Proble- 
men aus  der  Praxis,  ohne  allerdings  konsequent  darin  einen  eigenen  po- 
litischen Standpunkt  zu  vertreten,  der  die  Sozialarbeiter  gezwungen 
hatte,   sich  damit  auseinanderzusetzen. 

Zudem  schwankte  der  AKS  zwischen  theoretischer  Arbeit  ohne  ausreichende  Q1 


politisch-praktische  Verbindung  und  praktischer  Arbeit  ohne  reflek- 
tierte  theoretisch-politische  Perspektive.   Die  Schwierigkeit.zwi- 
schen  beide  eine  sinnvolle  Verbindung  herzustellen,  bei  gleichzeiti- 
ger  Flexibilitat  auch  aiif  tagespolitische  Ereignisse  zu   reagieren, 
ohne  in  einen  Aktionismus  zu  geraten,  wurde  bisher  nicht  bewaltigt. 

3.   Ein  weiteres  Problem,   was  zwangslaufig  bei  der  bisherigen  Arbeits- 
weise  auftreten  muBte,  war  die  Schwiengkeit ,  die  spezifischen  Pro- 
bleme  der  verschiedenen  Berufsfelder  der  Sozialarbeit  zu  verbinden 
bzw.   solche  Prioritaten  zu  setzen,  die  flir  alle  Beteiligte  befriedi- 
gend  gewesen  ware. 


32 


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ZUR  REIHE  PLAKAT-BAUERIWERLAG 


Trotz  der  groBen  Zahl   linker  Kleinverlage  und 
des  Interesses  burgerlioher  Verlage  fur  linke 
Literatur  existiert  ein  Mangel  an  Veroffent- 
liahungen  ilber  die  Agrarfrage.  Landjugendli- 
che,   ovpositionelle  Bauern,   Landuirtsahafts- 
studenten,   aber  auch  Lehrer  auf  dem  Lande  mils- 
sen  viel  Geld  und  Zeit  einsetzen,   um  an  die 
wenigen  Arbeiten  zur  Agrarfrage  heranzukommen. 
Hier  setzen  wir  an, 

Bisher  sind  erschienen: 

Heft  1,   Hamza  Alavi: 

Theorie  der  Bauer nr evolution 

7o  Seiten,   brosohiert,   DM  4. — 

Heft   2,   Emil  Rechtziegler : 

Westdeutsohe  Landuirtschaft  im  Spdtkapitalismus 

12o  Seiten,   brosohiert,  DM   5. — 

Heft  3,  Arbeitskreis  Agrarpolitik: 

Bauer  was  nun?  Beitrdge  zur  Agrarfrage  in  der  BRD 

8o  Seiten,   brosohiert,   DM  4. — 

Heft  4,   Max  Kemper: 

Marxismus  und  Landwirtsahaft 

112  Seiten,   brosohiert,   DM  5. — 

Verlag  2ooo  GmbH,    60S  Offenbach  4,   Postfaoh  591 


Probleme  der  Sozialarbeit  bei  freien 

Tra'gern  am  Bei  spiel  der 

evangel ischen  Familienberatung  Ffm. 


Vorbemerkung 

Die  beiden  Verfasser  waren  als  Sozialarbeiterin  bzw.    Psychologe  Mitar- 
beiter  der  evangel ischen  Familienberatung  Ffm.-Nordweststadt  und  wur- 
den  im  Sommer  1972  gekiindigt,  weil   ihr  Verhalten  mit  dem  Sinn  der  Be- 
ratungsarbeit  und  der   im  Team  zu  erwartenden  Kollegialitat  nicht  zu 
vereinbaren  sei. 


In  diesem  Bericht  soil  aufgezeigt  werden,  wie 
in  Ffm.  als  Trager  der  Familienberatung  und  " 
arbeitende"  Psychologen  Hand  in  Hand  arbeiten 
tierte  Konzeptionen  und  deren  Vertreter  zu  el 
In  einem  ersten  Abschnitt  charakterisieren  wi 
ziehungsberatungsstellen  (gemaB  Richtlinien  d 
zweiten  geben  wir  eine  kurze  Arbeitsplatzbesc 
scnen  Familienberatung  Frankfurt;  im  dritten 
des  Konflikts,  im  vierten  geben  wir  eine  krit 
Konfliktverlaufs,  im  flinften  stellen  wir  den 
in  sechstcn  die  Politik  des  Tragers.und  im  si 
wir  eine  Kritik  der  sogenannten  "klinisch-the 
leisten. 


die  Evangel ische  Kirche 
klinisch-therapeutisch 
,  um^  am  Gemeinwesen  orien- 
iminieren. 

r  die  Aufgaben  der  Er- 
es  Hess.  Min.d.I.) ;    im 
hreibung  der  Evangel i- 
schi  Idem  wir  den  Verlauf 
ische  tinschatzung  des 
Kern  des  Konflikts  dar, 
ebten  Abscfviitt  versuchen 
rapeutischen"  Arbeit  zu 


I.Aufgabe  der  Erziehungsberatungsstellen   (EB)    ist  es, 


-  vorhandene  seelische  Stdrungen  der 
stizieren  und  die  Ursachen  zu  klaren, 

-  El  tern  liber  den  Grund  der  Storungen 
der  in  geelgreter  Weise  aufzuklaren , 
Schwierigkeiten  einsichtig  zu  machen 
forderlichenfalls  auch  sonstige  Erzie 
Ziehen,  und 

-  die  jeweils  gebotenen  Formen  der  Hi 
tern  und  in  Zusammenwirkung  mit  sonst 
Stellen  durchzuflihren  Oder  zu  veranla 

-  AuBerdem  mu3  die  Erziehungsberatung 
in  weitere  Kreise  in  Sonderheit  der  E 
des  Hess.  Min.d.I. ) 

Die  Erziehungsberatung  soil  einen  integrierten  Bestandteil  der  gesam- 
ten  Erziehungshilfe  bilden. 

Sie  mufi  eine  feste  Arbeitsgruppe  bilden,  in  der  auf  jeden  Fall   -  ent- 
sprechend  der  biologischen,  geistig-seelischen  und  sozialen  Eigenart 
des  Kindes  -  die  a'rztliche,  padagogische,  psychologische  und  soziale 
Disziplin  vertreten  sein  muS. 


Kinder  und  Jugendl ichen  zu  diagno- 

und  Schwierigkeiten  ihrer  Kin- 
si  e  flir  ihren  Anteil   an  diesen 
und  sie  helfand  zu  berated,  er- 
her  in  die  Beratung  einzube- 

Ife  im  Einvernehmen  mit  den  El- 
igen  beteiligten  Personen  und 
ssen. 

ihre  Kenntnisse  und  Erfahrungen 
lternschaft  tragen.   (Richtlinien 


33 


Mm'^A 


Erforderlich  ist  ein  regelmaBiger  unmittelbarer  Erfahrungsaustausch 
auf  der  Grundlage  der  GTeichberechtigung  der  Mitglieder  der  Arbeits- 
gruppe.   Jede  Erziehungsberatungsstelle  muB  bemuht  sein,  liber  die 
hauptamtlich  und  nebenamtl ich  verpf lichteten  Fachkrafte  hinaus,  einen 
weiteren  erziehungskundigen  und  erziehungsinteressierten  Mitarbei- 
terkreis  zu  bekommen,  insbesondere  aus  dem  Kreis  der  Eltern,  der  Leh- 
rer,  der  firzte  und  der  Seelsorger  sowie  von  Kindergarten,  Hort,  Heim, 
Familienflirsorge,  freier  und  behordlicher  Jugendfiirsorge  und  Jugend- 
pflege. 

Bei   der  Organisation  der  EB  ist  zu  beachten,  daB  ihre  Tatigkeit  zu  al- 
ien Erziehungsgemeinschaften  und  alien  Stellen  flir  erzieherische  und 
gesundheitl iche  Jugendhilfe  einschlieBlich  der  Schule  eine  enge  Be- 
ziehung  hat.   Sie  muB  unabhangig  von  den  speziellen  Bediirfnissen  der 
einen  oder  anderen  Behbrde  arbeiten  und  in  der  Ausgestaltung  ihrer  Ar- 
beit die  von  ihren  Aufgaben  her  gebotene  Freiheit  haben. 

II  Arbeitsplatzbeschreibung 

Trager  der  evangelischen  Famil ienberatung  in  Ffm.  ist  der  evangeli- 
sche  Gemeindeverband;  er  wird  durch  den  Vorstand  nach  auBen  vertre- 
ten. 

Die  Famil ienberatung   (FB)  des  evangelischen  Gemeindeverbandes  wird  von 
der  evangelischen  Famil ienberatung  westend   (Hauptstel le)  und  der 
evangelischen  Fami  1  ienberatung  Nordwest  (Nebenstelle)  ausgeiibt. 
Dienststellenleiter  beider  Stellen  ist  der  Diplom-Psychologe  Dr.  Wolf- 
ram Lliders,  mit  dem  Sitz  in  der  Fami  1  ienberatung  Westend.  Die  Fami- 
lienberatung  Westend  wurde  1962  gegriindet,  die  Famil ienberatung  Nord- 
west 1967  als  Nebenstelle  eingefiihrt. 

In  der  Hauptstelle  sind  auBer  Dr.   Lliders  flinf  Diplom-Psychologen 
(-innen)  und  zwei  Sekretarinnen  beschaftigt.   In  der  Nebenstelle  Nord- 
west waren  bis  31.5.1972  zwei  Diplom-Psychologen  (-innen),  eine  So- 
zialarbeiterin  und  eine  Sekretarin  beschaftigt.  Nebenamtlich  sind  flir 
beide  Stellen  ein  Jurist  und  ein  Arzt  tatig.   Die  ZusaRUienarbeit  beider 
Stellen  erfolte  unter  der  Leitung  des  Dienststel  lenleiters,  Dr.  Lliders, 
in  dreist'undigen  wbchentlichen  Sitzungen,  wo  Beratungsfal  le  durchge- 
sprochen  und  Fachliteratur  diskutiert  wurde,   Darliberhinaus  gab  es  kei- 
ne  Arbeitskontakte  zwischen  den  beiden  Stellen. 


34 


Nach  dem  Haushaltsplan  des  evangelischen    Gemeindeverbandes  wurden  an 
die  Famil ienberatung  Westend  Zuschusse  des     Landes  Hessen,  der  Stadt 
Frankfurt  und  des  Landeswohlfahrtsverbandes  in  Hone  von  137  000  DM 
bezahlt,  an  Familienberatung  Nordwest  in  Hone  von  97  000  DM. 
Diese  Zuschusse  sind  an  Voraussetzungen  gebunden,  die  u.a.   gleichbe- 
rechtigte,  unmittelbare  Zusammenarbeit  im  Team  und  die  Mitarbeit  von 
Sozialarbeitern  zur  Auflage  machten.   (siehe  Richtlinien  des  Hess. 
Ministers  des  Inneren  1956;   siehe  Absatz  I). 

Frau  Lohmann  war  seit  dem  1.1.1972  als  Sozialarbeiterin  in  der  evan- 
gelischen Familienberatung  Nordwest  tatig;  sie  war  die  erste  Sozial- 
arbeiterin in  der  evangelischen  Familienberatung  in  Frankfurt  seit 
ihrer  Grundung  1962.  Fur  sie  gab  es  keinerlei  Arbeitsanweisung  von 
Seiten  des  Dienststellenleiters. 


Ill  Verlauf  des  Konflikts 

Seit  Einrichtung  der  Nebenstelle  gab  es  zwischen  ihr  und  Dr.   Lliders , 
sowie  den  Mitarbeitern  seiner  Beratungsstelle  Spannungen,  die  die  Ober- 
legung  aufkommen  lieBen,  die  beiden  Stellen  organisatorisch  und  perso- 
nell  vb'llig  zu  trennen.   Diese  Spannungen  entstanden  einmal   aus  den  un- 
terschiedlichen  Auffassungen  der  beiden  Stellen,  sozial-therapeutische 
Konzepte  zu  realisieren;  zum  andern  durch  die  Art  der  von  Dr.   LUders 
praktizierten  Teamarbeit,  die  immer  wieder  AnlaB  zu  heftigen  Ausein- 
andersetzungen  gab. 

Das  Fehlen  eines  Konzeptes  fiir  die  Sozialarbeiterin  im  Rahmen  der  Ne- 
benstelle machte  es  notwendig,  eine  solche  Konzeption  durch  die  Mit- 
arbeiter  der  Nebenstelle  selbst  zu  entwickeln.  Die  Art  und  Weise,  wie 
die  Realisierung  einer  solchen  Arbeit  theoretisch  und  praktisch  zu 
begrlinden  ist,  gab  AnlaB  zu  Meinungsverschiedenheiten  zwischen  Dr.  Lli- 
ders auf  der  einen  und  den  Mitarbeitern  der  Nebenstelle  auf  der  ande- 
ren Seite. 

Diese  Meinungsverschiedenheiten  machten  die  verschiedenen  Grundkonzep- 
tionen  der  beiden  FB-Stellen  offenbar. 

Bei  der  Einstellung  der  Sozialarbeiterin  wurde  in  der  Nebenstelle  zu- 
sammen  mit  der  leitenden  Dipl .-Psychologin  und  dem  Dipl .-Psychol ogen 
deren  Funktion  in  der  EB  besprochen. 

Man  einigte  sich  darauf,  daB  Frau  Lohmann  gleichberechtigt     beratend 
tatig  sein  sollte,  wobei  ihr  methodischer  Schwerpunkt  in  der  Gruppen- 
arbeit  in  Zukunft   starker  die  allgemeine  Beratungstatigkeit  beein- 
flussen  sollte. 

AuBerdem  einigte  man  sich  auf  die  Bildung  von  Kindergruppen,  die  die 
Sozialarbeiterin  u'bernehmen  sollte.  Von  beiden  Psychologen  wurden 
ziemlich  hohe  Erwartungen  an  die  Sozialarbeiterin  gestellt:   'Neue  For- 
men  der  Gruppenarbeit  zu  initieren  unter  Einbeziehung  der  therapeu- 
tischen  Methoden,  vbllige  Obernahme  der  Kindertherapie,  Wiederauf- 
nahme  der  Praxisberatung  der  evangelischen  Kindergarten.1    In  der  Kon- 
kretisierung  dieser  Praxis  entstand  immer  mehr  eine  Arbeitsteilung  an- 
stelle  der  erwarteten  intensiven  Zusammenarbeit.  Dies  lag  hauptsach- 
lich  daran,  daB  die  Sozialarbeiterin  alle  Kindertherapien  libernahm  - 
ob  Gruppe  oder  Einzelne  -,  weil   sich  die  Psychologen  (It.  eigenen  Aus- 
sagen)  auf  diesem  Gebiet  recht  unsicher  flihlten. 

Gleichzeitig  faBte  man  die  Mutter  dieser  Kinder  in  einer  Gruppe  zusam- 
men,  die  von  der  Psychologin  und  der  Sozialarbeiterin  geleitet  wurde; 
eine  andere  MLitter-Gruppe  wurde  zusammen  mit  dem  Psychologen  eingerich- 
tet,  deren  Kinder  den  Leistungsanforderungen  der  Schule  und  des  El- 
ternhauses  nicht  entsprachen.  Alle  Kinder  waren  im  Alter  zwischen  9 
und   12  Jahren. 

In  dieser  Gruppe  wurde  -  durch  den  Psychologen  Kafitz  stark  forciert  - 
zum  ersten  Mai  der  Versuch  gemacht,  die  Autoritat  des  Therapeuten  ab- 
zubauen  und  die  helfende  Kraft  durch  die  Gruppe  selbst  entstehen  zu 
lassen.  Wir,  die  Berater,  machten  Mut,   besta'tigten  und  bescirieben  die 
miBliche  Lage  von  Mlittern  in  einer  Trabantenstadt  und  halfen  somit, 
die  Probleme  zu  "entindividualisieren".  Gleichzeitig  stellten  wir  die 
qeringe  EinfluSmoglichkeit  von  Beratern  dar,  da  sie  an  den  konkreten 
Miseren  eigentlich  uberhaupt  nichts  andern  kbnnen. 
Durch  diese  Arbeit  kamen  wir  (Psychologe  Kafitz  und  Soz.Arb.  Lohmann) 
immer  starker  an  den  Kern  der  Unzufriedenheit  liber  die  bisherige  Be- 
ratungsarbeit.  35 


Bisher  war  Beratung  nur  Reaktion  auf  individuell   vorgetragene  Probleme. 
Niemals  konnte  man  im  Rahmen  dieser  Institution  Zielgruppen,  die  man 
gern  beraten  ha'tte,   selbst  bestimmen,  schon  gar  nicht  individuelles 
Leiden  zugleich  konsequent  als  gesellschaftl ich  bedingtes  und  durch 
eine  Gruppe  gleichermaBen  Betroffener  vermittelt     erleben. 
Zudem  konnte  und  kann  die  FB  nur  einen  Bruchteil   potentieller  Ratsu- 
chender  erfassen  und  ist  mit  diesem  Bruchteil    bereits  liberlastet  (lan- 
ge  Wartelisten). 

Diese  Bedenken  Liber  die  bisherige  Beratungsarbeit  wurde  von  uns  zuneh- 
mend  in  die  wbchentlich  stattf indenden  Teamsitzungen  eingebracht. 
Es  wurde  immer  heftiger  die  Praxis  der  Hauptstelle  kritisiert,  die  be- 
stimmt  war  vom  Arzt-Patient-Verhaltnis,   in  dem  der  Therapeut  eine  neu- 
trale,  auBenstehende  Instanz  darstellt  und  sozusagen  Liber  den  Dingen, 
d.h.  liber  den  Konflikten  des  Ratsuchenden  .steht. 

Was  die  Individualisierung  der  Ratsuchenden  speziell   in  der  Hauptstel- 
le noch  forderte,  war  die  Tatsache,  daft  sich  das  Klientel   aus  Gesamt- 
Frankfurt  rekrutierte  und  stadtteilbezogene  Arbeit  (Westend)  nicht 
praktiziert  wurde. 


36 


Aus  diesen  Einsichten  und  Kritiken  erarbeiteten  wir  ein  neues  Konzept, 
das  die  besondere  Lebenssituation  der  Bewohner  der  NWSt  als  Wohn-  und 
Schlafstadt  berlicksichtigte. 

In  der  NWS  sind  junge  Familien  und  dementsprechend  Kinder  und  Jugend- 
liche  Liberreprasentiert.  Entsprechend  ihren  ma'Bigen  Einkommensver- 
ha'ltnissen  (kleinere  Angestellte  und  Arbeiter)  steht  ihnen  nicht  aus- 
reichend  Wohnraum  zur  Verfligung.  Die  jungen  Familien  und  besonders 
die  Mutter  sind  stark  isoliert.  Der  sehr  groBe  Anteil   der  nichtarbei- 
tenden  Frauen  sieht  sich  den  Auswirkungen  des  Leistungsstresses  auf 
die  Kinder  in  der  Schule  und  auf  den  Mann  am  Arbeitsplatz  ausgesetzt 
und  lebt  zum  groBen  Teil    in  dem  Geflihl,  abgeschoben  zu  sein.  Die  Kom- 
munikation  ist  stark  verkiimmert  und  wird  von  den  MLittern  durch  ein 
hones  MaB  an  Arztbesuchen  kompensiert,  von  den  Kindern  und  Jugendli- 
chen  durch  zunehmend  aggressive  Akte,  MiBtrauen  und  Leistungsverwei  - 
gerung. 

Diesen  besonderen  Bedingungen  trugen  wir  in  unserem  Beratungskonzept 
Rechnung: 

'Wir  sind  der  Ansicht,  daB  prophylaktische  Arbeit     Schwergewicht  der 
Beratungsarbeit  sein  muB  (Hausfrauen,  Brautpaare,  Konfirmanden,  Kon- 
firmandeneltern,  Kindergarteneltern,  Schulkindereltern,  Jugendgrup- 
pen), 

Weiterhin  ist  intensive  Zusammenarbeit  mit  Mitarbeitern  anderer  sozia- 
ler  Institutionen  (z.B.   Kindergarten,  Schule,  Sozialamt,  Pfarrer  usw.) 
notig,  urn  voneinander  zu  lernen  und  gemeinsam  Problemkreise  angehen 
zu  konnen.  Ziel  muB  sein,  liber  die  hauptamtlich  und  nebenamtlich  ver- 
pfnchteten  Fachkra'fte  hinaus  einen  weiteren  erziehungskundigen  und 
erziehungsinteressierten  Mitarbeiterkreis  (Laiensystem)   zu  bekommen, 
insbesondere  aus  dem  Kreis  der  Eltern,  Srzte,  Seelsorger,  Kindergar- 
ten usw.    (Hess.  Richtl.   fur  EBs). 

Urn  diese  Arbeit  realisieren  zu  konnen,  mu'ssen  neue  Formen  der  Zusam- 
menarbeit aller  Beteiligten,  ob  Laien  oder  Fachkrafte,  auf  der  Ebene 
der  Gleichberechtigung  aller  Beteiligten  entwickelt  werden.   Dadurch  er- 
warten  wir  neue  Initiativen  fur  Erwachsene,  Kinder  und  Jugendliche, 
ihre  Lage  in  einer  Wohnstadt  zu  verbessern  (z.B,  mangelnde  Nachbar- 


schaftshilfe,  mangelnde  Gemeinschaftsra'ume  flir  Erwachsene  und  Jugend- 
liche flir  deren  Freizeit,  bessere  Spiel-  und  Lernbedingungen  flir  Kin- 
der und  Jugendliche). 

Gleichzeitig  mu'ssen  wir  versuchen,  in  der  Kinder-  und  Erwachsenenar- 
beit  neue  unkonventionelle  Methoden  der  Spiel-  und  Familientherapie 
zu   entwickeln   (z.B.    Kinderspieltheater,  Rollenspiel,  Tanzen,  Musizie- 
ren,  Malen,  Tonband-  und  Filmexperimente)   in  dafu'r  geeigneten  Raumen. 

Weiterhin  wollen  wir  es  Ratsuchenden  ermb'glichen,  sich  schon  bei    la- 
tentem  ProblembewuBtsein  unverbindlich  an  die  Berater  zu  wenden.  Die 
Form  konnte  eine  Art  Treffpunkt  sein,  der  in  Zusammenarbeit  mit  Pfar- 
rer, Vorschule,  Kindergarten,  Sozialstation  und  Jugendhaus  zu  bestimm- 
ten  Zeiten  ta'glich  (auch  abends)   gebffnet  ist.  Dieser  Treffpunkt  mu'Bte 
mit  einem  groBzligigen  Spielzimmer  gekoppelt  sein;  hier  konnen  die  Kin- 
der betreut  und  beobachtet  werden.  Wahrend  die  Kinder  spielen,  kbnn- 
ten  sich  die  Eltern  an  die  anwesenden   (mindestens  drei)  Berater  wen- 
den. 

Diese  Unverbindl  ichkeit  der  Atmospha're  konnte  dazu  flihren,  Hemmung  zu 
uberwinden,  die  sonst  Ratsuchende  abhalten,  die  EB  aufzusuchen.  Gleich- 
zeitig ware  unmittelbare  Hilfeleistung  mbglich,  indem  Sofortlosungen 
aufgezeigt  werden  kbnnten,  Gruppenangebote  gemacht  oder  ein  Einzelter- 
min  gegeben  wlirde.   Man  ha'tte  hier  gleichzeitig  eine  vorbeugende  Bera- 
tung vollzogenl 

Diesen  Dberlegungen  einer  neuen  Konzeption  ging  eine  grundsatzliche  Kri- 
tik  von  Frau  Lohmann  an  den  wbchentlich  stattf indenden  gemeinsamen 
Teamsitzungen  voraus. 

Sie  beklagte     in  einer  Sitzung  im  Februar/Ma'rz  72  den  ungeheuren  Druck 
in  den  Teambesprechungen,  der  dadurch  entstehe,  daB  alle  Mitarbeiter 
darum  bemliht  seien,  vok  Dr.  Lliders  als  Vaterfigur  und  Fachautoritat 
mbglichst  gut  abzuschneiden.  Dieses  Bemu'hen  entstehe  dadurch,  daB  sich 
Dr.   Lu'ders  als  einziger  Abqualif izierungen   (oder  Belobigungen)   gegen- 
liber  Mitarbeitern  erlaube,  die  starke  Angstgeflihle  hervorrufen  mu'Bten. 
Aus  dieser  Angst  wage  keiner,  dem  von  Dr.  Lliders  kritisierten  Mitar- 
beiter zur  Seite  zu  stehen,  da  er  flirchten  mlisse,  ebenfalls  von  Dr.  Lli- 
ders angegriffen  zu  werden.   Eine  derartige  Kommunikationsstruktur  ver- 
hindere  Offenheit  und  Selbstkritik. 

Trotz  dieser  offen  gewagten  Analyse  der  Gruppensituation  anderte  sich 
in  den  folgenden  Sitzungen  nichts.  Anfa'ngliche  Sympathien  der  Mitar- 
beiter mit  diesen  AuBerungen  schlugen  urn  in  Nestbeschmutzer-Vorwlirfe, 

Anfang  Ma'rz  1972  gab  die  bisherige  Leiterin  (Dipl . Psychol ogin)   der 

Nebenstelle  bekannt,  daB  sie  aus  privaten  Grlinden  zum  1.6.72  ausschei- 

den  wiirde. 

Herr  Dr.   Lliders  empfahl  dem  Vorstand  des  Evangelischen  Gemeindeverban- 

des  -  ohne  uns   (Nebenstelle)   zu  hbren  -  eine  langja'hrige  Mitarbeiterin, 

die  seit  1962  als  Diplom-Psychologin  an  der  Hauptstelle  tatig  war,  als 

zuklinftige  Leiterin  der  Nebenstelle  einzusetzen. 

Wir  protestierten  in  einem  Schreiben  vom  17.3.72  an  den  Vorstand  da- 

gegen,  daB  liber  unsere  Kb'pfe  hinweg     eine  flir  die  weitere  Arbeit  in 

der  Familienberatung  Nordwest  so  wichtige  Entscheidung  getroffen  wurde. 

Dieser  Protest  wurde  von  dem  Vorstand  in  einem  Schreiben  vom  10.4.72 

u.a.  mit  der  Begrlindung  zurlickgewiesen,   "daB  der  Vorstand  durchaus  nicht 

der  Meinung  ist,  daB  Mitarbeiter,  die  die  Arbeit  der  Fb.   kaum  kennen-      n-r 

gelernt  haben,  hier  ein  entscheidendes  Mitspracherecht  haben  miiSten."      Of 


38 


Auch  die  anderen  Mitarbeiter  der  Hauptstelle  unterstiitzten  unseren 
Protest.  Daraufhin  nahm  Dr.  Lu'ders  die  Empfehlung  zuriick. 
Wir  waren  sicher,  daB  unsere  Neukonzeption  der  Beratungsarbeit  durch 
die  von  Dr.  Liiders  vorgeschlagene  Leiterin  blockiert  werden  wlirde  und 
unsere  bisherige  Selbstandigkeit  verlorengehen  wiirde;  sie  hatte  iramer- 
hin  zehn  Jahre  das  in  der  Hauptstelle  praktizierte  Konzept  mitvertre- 
ten  (individual-psychologische  Beratung). 

Wir  pladierten  in  Gesprachen  mit  Dr.  Liiders  allein  und  mit  Dr.  Liiders 
und  der  Arbeitsgruppe  beider  Stellen  fiir  die  Ausschreibung  der  dritten 
Stelle,  fiir  kollegiale  Leitung  und  dem  Abteilungsleiter  Dr.   LLiders  als 
direkten  Vorgesetzten.   Herr  Dr.  Liiders  entschied  sich  am  27.4.72  -  ohne 
seine  Absicht  vorher  uns  oder  der  Arbeitsgruppe  zu  erkennen  zu  geben   - 
fiir  die  Empfehlung  an  den  Vorstand,  Frau  Lohmann  zu  kilndigen  und  die 
von  ihm  vorgeschlagene  Leiterin  an  der  Nebenstelle  einzusetzen.   Er 
unterstellte  Frau  Lohmann  "unkol legiales  Verhalten"  und  warf  ihr  vor, 
mit  "unwissenschaftlichen  und  subjektiven  Methoden  arbeiten  zu  wollen", 
Auf  diese  Entscheidung  bzw.  Vorwiirfe  von  Dr.   Liiders  hin  machten  wir 
den  Vorstand,  die  Mitarbeitervertretung,  den  FamilienberatungsausschuB 
und  die  Pfarrer  der  Nordweststadt  mit  dem  Konflikt  bekannt,  urn  von  die- 
sen  Gremien  Unterstutzung  fiir  die  Realisierung  unseres  Arbeitskonzepts 
zu  bekommen. 

Diese  Gremien  sind  angeblich  zusta'ndig  fiir  die  inhaltliche  und  perso- 
nelle  Gestaltung  der  Evangel ischen  Familienberatungsarbeit  in  Frankfurt 
am  Main.   Der  FamilienberatungsausschuS  besteht  aus  gewa'hlten  Mitglie- 
dern  der  Frankfurter  Dekanate  und  hat  die  Aufgabe,  die  Arbeit  der  Evan- 
gelischen  Familienberatung  zu  kontrollieren. 

Die  Pfarrer  der  Nordweststadt  haben  1967  die  Grlindung  der  Nebenstelle 
initiiert  und  sind  daran  interessiert,  eine  enge  Zusammenarbeit  mit  der 
FB  herzustellen;  die  Pfarrer  der  NWS  arbeiten  in  dem  "Gruppenamt"  eng 
zusammen. 

Die  Mitarbeitervertretung  (MV)   ist  die  Personalvertretung  der  Mitar- 
beiter des  Evangelischen  Gemeindeverbandes  Frankfurt  am  Main. 

Diese  Gremien  kamen  zu  folgenden  BeschlUssen: 

a)  Der  Vorsitzende  der  MV  sagte  uns  informell   zu,  da6  er  sich  dafur 
einsetzen  wlirde,  daB  die  Selbstandigkeit  der  Stelle  gewahrt  bleibe 
und  die  von  Dr.  LLiders  vorgeschlagene  Leiterin  nicht  eingesetzt  werde. 
Die  MV  beschloB  nach  einer  Besprechung  mit  uns,  sich  fiir  die  Rilcknah- 
me  der  Kundigung  von  Frau  Lohmann  einzusetzen;    sie  nahm  jedoch  einige 
Tage  spa'ter  ein  Schreiben  von  uns  an  die  o.a.  Gremien  zum  AnlaB,  der 
Kundigung  zuzustimmen.   In  diesem  Schreiben  forderten  wir  nochmals  kol- 
legiale Leitung  und  Mitspracherecht  bei  der  Neubesetzung  der  freige- 
wordenen  Stelle. 

b)  Der  FB-AusschuB  formulierte  ein  Votum  an  den  Vorstand,  wonach  Frau 
Lohmann  bleiben  und  die  von  Dr.   Liiders  vorgeschlagene  Leiterin  nicht 
an  der  Nebenstelle  eingesetzt  werden  sollte. 

c^  Die  Pfarrer  der  NWS  forderten,  gehort  zu  werden,  bevor  eine  end- 
giiltige  personelle  Entscheidung  getroffen  werde. 

Es  zeigte  sich,  daB  die  Gremien,  die  an  der  inhaltlichen  Arbeit  inter- 
essiert waren  (Gruppenamt  und  FB-AusschuB) ,  unsere  Forderungen  mitvor- 
antrieben.  Sie  hatten  jedoch  keinen  juristisch  abgesicherten  EinfluB, 
ihre  Vorstellungen  gegen  den  konservativen  Vorstand  und  die  mit  dem 


Vorstand  plb'tzlich  paktierende  MV  durchzusetzen. 

DaB  diese  Gremien  nur  scheindemokratische  Alibifunktion  erfiillten  und 
tatsa'chlich  ohne  EinfluS  waren,  erkannten  wir  zu  spat,  nachdem  wir  uns 
zu  lange  auf  sie  verlassen  hatten. 

In  einem  Schreiben   (kurz  vor  einer  FB-AusschuBsitzung  den  Mitgliedern 
des  Ausschusses  als  "streng  vertraulich"  zuganglich  gemacht)   hatte  Dr. 
Liiders  versucht,  uns  zu  diffamieren,  urn  dort  Zustirmiung  zu  seiner  Klin- 
digungsempfehlung   zu  finden. 

Er  unterstellte  uns:  Sie  "wollten  ihre  Arbeit  wie  eine  rein  politische 
Tatigkeit  wahrnehmen,  d.h.   nicht  mehr  mit  anerkannten,  von  der  Wissen- 
schaft  eingeflihrten  Verfahren  diagnostisch,  beratend  und  therapeutisch 
ta'tig  sein,  sondern  mit  politischen  Mitteln  politisch  handeln.   ...Hier 
sollen  Konflikte  nicht  mehr  bearbeitet,  sondern  durch  aktive  Teilnah- 
me ,  durch  Solidarisierung  mit  den  Ratsuchenden  und  durch  ein  distanz- 
loses  Mitmachen  gelbst    werden.   ...Auf  diesem  Weg  konnen  sicherlich 
viele  Ratsuchenden  stimuliert  jnd  aktiviert  werden,  mit  Konfliktbear- 
beitung  aber  haben  diese  Methoden  nichts  zu  tun". 

Zwischen  dem  15.5.  und  20.5.72  a'uSerten  sich  die  Mitarbeiter  der  Haupt- 
stelle zu  dem  Konflikt.  Sie  sol idarisierten  sich  mit  ihrem  Chef,  Dr. 
Lu'ders.   Sie  unterschlugen  ihre  Kritik  an  ihrem  Chef  und  machten  uns 
fiir  die  Klindigungsempfehlung  verantwortlich. 

In  den  vorausgegangenen  Diskussionen  kam  es  dagegen  -  besonders  in  Ab- 
wesenheit  von  Dr.  Liiders  -  zur  Kritik  an  dessen  autoritarem  Verhalten. 
In  einer  Gegendarstellung  vom  25.5.72  wiesen  wir  die  Vorwiirfe  von  Dr. 
LLiders  zuriick.   Besonders  gingen  wir  auf  die  Tatsache  ein,  daB  die  Mit- 
arbeiter der  Hauptstelle  sich  nach  der  Klindigungsempfehlung  mit  ihrem 
Chef  eindeutig  solidarisierten. 

Wir  versuchten,  die  Griinde  fiir  dieses  Verhalten  aufzuzeigen: 

a)  Dr.  Liiders  ist  Dienststellenleiter  und  damit  weisungsbefugt  gegen- 
Iiber  seinen  Untergebenen.  Gleichzeitig  fiihrt  er  Supervision  fiir  seine 
Untergebenen  durch.  Damit  erzielt  er  ein  ungeheures  Informationsmono- 
pol  und  hat  durch  sein  Wissen  die  Einzelnen  in  der  Hand.  Dieser  Rege- 
lung  konnten  sich  die  Mitarbeiter  der  Nebenstelle  entziehen. 

Eine  angemessene  Supervision  durch  einen  Chef,  von  dem  man  abhangig 
ist,   verhindert  Selbstandigkeit  und  Autonomie  der  Mitarbeiter  und  be- 
dingt  personale  Abhangigkeit. 

Sofern  Dr.   Liiders  beide  Aufgaben  von  dem  Vorstand  aufgetragen  waren, 
hatte  er  sich  gegen  diese  Zumutung  aus  fachlichen,  wissenschaftl ichen 
Griinden  wehren  miissen,  wenn  sie  auf  sein  Betreiben  eingefiJhrt  wurden, 
hatten  sich  seine  Untergebenen  dagegen  verwahren  miissen. 

b)  Eine  geplante  Ausbildung  zum  Psychoanalytiker  am  Sigmund-Freud- 
Institut  ist  von  Dr.   Liiders  zu  blockieren  mit  Hilfe  seiner  informellen 
Beziehungen  als  Lehranalytiker  am  SFI.   Interessenten  an  dieser  Ausbil- 
dung sind  gezwungen.auf  die  Mdglichkeit  seiner  Intervention  Riicksicht 
zu  nehmen. 

Auf  dem  Hintergrund  seiner  Intoleranz  gegeniiber  abweichenden  Meinungen 
ist  zu  befurchten,  daB  er  diese  Mbglichkeit  wahrnimmt. 

c)  Fiir  einen  Psychologen  der  Hauptstelle  ist  klinisch-therapeutische 
Arbeit  Schwerpunkt  seiner  Tatigkeit.  Das  Interesse  geht  dahin,  als 
klinischer  Therapeut  einem  Arzt  gegeniiber  vergleichbare  Anerkennung  zu    r%  r\ 
erlangen  (s.  Bemiihen  urn  Nebentatigkeit:   Privatpraxis) .   Damit  besteht       Ov7 


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die  Mbglichkeit,  das  Dienstgehalt  wesentlich  aufzubessern. 

Wir  dagegen  muBten  durch  unsere  Forderungen  ihren  materiel len  und  sozia- 

len  Status  als  klinftiger  Privatunternehmer  gefa'hrden. 

d)  In  der  Arbeitsgemeinschaft  wurde  durch  das  Verhalten  von  Dr.  Lu'ders 

Selbstkritik  als  "Schwa'che"  und  "mangelnde  Qualification"  interpretiert 

und  zu  Diffamierungen  ausgenutzt.  Damit  war  offene  Kommunikation  un- 

mbglich  gemacht. 

Obwohl  die  Mitarbeiter  unter  dieser  Kommunikationsstruktur  litten,  wa- 

ren  sie  nur  unter  vier  Augen  in  der  Lage,  unserer  Kritik  daran  Recht 

zu  geben.  Wurden  sie  forme!  1  zu  Stellungnahmen  aufgefordert,  war  die 

Angst  vor  dem  Chef  und  dem  Entzug  der  Privilegien  starker  als  die  Hoff- 

nung,  durch  solidarisches  Handeln  diesen  Zustand  zu  verandern. 

Am  30.5.72  erfolgte  die  Kundigung  von  Frau  Lohmann  zum  30.6.72  ohne 
Angabe  von  Griinden.  Da  die  Kiindigung  wahrend  der  Probezeit  erfolgte, 
sahen  wir  keine  Mbglichkeit  einer  Klage  vor  dem  Arbeitsgericht. 
Am  12.6.72  pladierte  Frau  Dr.  0.,  Mitglied  des  FB-Ausschusses ,  fiir 
eine  Trennung  der  beiden  Stellen  in  einem  Schreiben  an  den  Vorstand; 
sie  meinte,  Dr.  Lu'ders  solle  aus  seiner  Verantwortung  fiir  die  Neben- 
stelle  entlassen  werden. 

Am  30.6.72  auflerten  drei  Pfarrer  der  NWS  in  einem  Schreiben  an  den 
Vorstand,  daB  sie  der  Auffassung  seien,  daB  mit  der  Kiindigung  von 
Frau  Lohmann  Unrecht  geschehen  sei . 

Am  30.6.72  wurde  die  Kiindigung  rechtskraftig  und  Frau  Lohmann  muBte  die 
Stelle  verlassen. 

Inzwischen  versuchte  Dr.  Lu'ders,  durch  weitere  Diffamierungen  die  Ent- 
lassung  des  Psychologen  (Kafitz)  zu  betreiben.  In  einem  Schreiben  an 
den  Vorstand  unterstellte  er  ihm,  er  habe  in  seinem  Praktikum  im  Fru'h- 
jahr  1970  zusammen  mit  anderen  erklart,  daB  "sie  alles  versuchen  wur- 
den, urn  die  FB  umzufunktionieren,  die  Kirche  zu  unterwandern  und  be- 
tont  hatten,  daB  man  den  Theologen  eigentlich  keine  effektiven  psycho- 
logischen  Methoden  zur  Verfiigung  stellen  durfe,  weil  sie  damit  ihr 
Oberleben  noch  verlangern  kbnnteri.  "  Am  18.7.72  erhielt  rfer  Psychologe 
die  Kiindigung  vom  Vorstand,  ohne  daB  er  zu  den  Vorwiirfen  in  der  Kiin- 
digungsbegrundung  vorher  von  Vorstand  oder  MV  gehort  worden  war.  Ihm 
wurde  vorgeworfen,  er  "wolle  beide  Beratungsstellen  in  seinem  Sinne 
umfunktionieren  und  der  FB  Westend  die  von  ihm  geiibte  Arbeitsweise 
aufzwingen;  er  habe  Herrn  Dr.  Lu'ders  persbnlich  in  unsachlicher  Wei- 
se  angegriffen  und  die  Mitarbeiter  gegen  ihn  aufgewiegelt;  es  sei 
ihm  schlechthin  um  die  Zerstbrung  des  von  der  FB  bisher  Aufgebauten 
gegangen. 

Am  7.8.72  erhob  Herr  Kafitz  durch  RA  Golzem  Klage  vor  dem  Arbeitsge- 
richt Ffm.  mit  dem  Antrag,  festzustellen  ,  daB  das  Arbeitsverha'ltnis 
zwischen  den  Parteien  durch  die  Kiindigung  vom  18.7.72  nicht  aufge- 
lbst  ist. 

Am  30.8.72  fand  beim  Arbeitsgericht  Ffm.  eine  Giiteverhandlung  statt. 
Oberkirchenrat  Telschow,  Verwaltungsdirektor  des  Evangel ischen  Ge- 
meindeverbandes,  sagte  zu,  durch  die  zustandigen  Gremien  iiberprufen 
zu  lassen,  ob  eine  Weiterbescha'ftigung  von  Herrn  Kafitz  in  Betracht 
kame.  Diese  Zusage  wurde  in  das  Protokoll  der  Giiteverhandlung  auf- 
genommen.  Sodann  schlossen  die  Parteien  einen  Vergleich.  Diese  Zusa- 
ge wurde  spa'ter  von  dem  Vorstand  als  gegenstandslos  bezeichnet.  Eine 
Untersuchung  wurde  vom  Vorstand  unterdruckt,  obwohl  Mitglieder  des 
FB-Ausschusses  und  Pfarrer  der  NWS  fur  die  Einsetzung  eines  Unter-   A*\ 


- 


42 


suchungsausschusses  eintraten  und  Sozialarbeiter,  Eltern  und  Kindei — 

ga'rtnerinnen  der  NWS  die  Riicknahme  der  Kundigung  forderten. 

Auch  der  Antrag  von  Herrn  Kafitz  an  die  Kirchenleitung  der  EKHN,  eine 

Untersuchung  einzuleiten,  blieb  ohne  Antwort. 

Er  erhielt  zudem  ein  formal  und  inhaltlich  unangemessenes  Zeugnis,  das 

erst  nach  Klageandrohung  korrigiert  wurde. 

Obwohl  die  Kundigung  von  Herrn  Kafitz  erst  am  30.11.72  wirksam  wurde, 
wurde  ihm  flir  die  Monate  Oktober-Novetnber  1972  Hausverbot  erteilt, 
so  daB  er  wahrend  dieser  Zeit  die  begonnenen  Einzeltherapien  in  Raumen 
der  Evangel ischen  Gesamtgemeinde  durchflihren  muBte,  um  den  Klienten 
nicht  durch  einen  abrupten  Abbruch  Schaden  zuzufiigen. 
Die  Ev.FB  NW  war  seit  Mai  1972  bis  September  72  lediglich  rait  einer 
Sekretarin  und  einem  Psychologen  besetzt,  in  Oktober  72  nur  durch  die 
Sekretarin  vertreten,  ab  1.11.72  bis  31.12.72  mit  einer  halbtags  und 
ab  1.1.73  durch  eine  ganztags  ta'tige  Psychologin;  eine  voile  Besetzung 
wird  wahrscheinlich  erst  ab  Mitte  Juni  realisiert.  Damit  ist  diese  EB 
fur  die  Dauer  eines  Jahres  nicht  funktionsfa'hig  gewesen. 

4.  Kritische  Einschatzung  des  Konfliktverlaufs 

Durch  die  Personal isierung  der  Probleme  verlor  der  Kern  des  Konflikts 
immer  mehr  an  Bedeutung. 

Von  der  Personal isierung  auf  das  sachliche  Problem  zu  kommen ,  war  fur 
uns  aus  folgenden  Gru'nden  kaum  moglich: 

1.  war  es  nicht  moglich,  mit  dem  sehr  konservativen  Vorstand  (vorwie- 
gend  CDU-Anhanger)  sachlich-inhaltlich  zu  argumentieren. 

2.  war  es  nicht  moglich,  das  verbale  Bekenntnis  des  Dr.  Luders,  unser 
Konzept  unterstutzen  zu   wollen,  als  Lippenbekenntnis  und  taktisches 
Manover  zu  entlarven. 

3.  Glaubten  wir,  so  viele  Beweise  fur  die  unzumutbaren  Verhaltnisse 
in  der  FB  vorlegen  zu  kbnnen,  daB  eine  Personaldebatte  uns  nur  nutzen 
konnte. 

Diese  Personaldebatte  kam  nicht  zustande.  Der  Vorstand  machte  si ch 

die  Diffamierungen  zu  eigen  und  kundigte  uns, ohne  eine  Untersuchung 

einzuleiten. 

Es  war  eine  Illusion  anzunehmen,  der  Vorstand  wurde  ohne  den  Druck 

einer  breiten  Sffentlichen  Diskussion  eine  Oberprlifung  vornehmen. 

5.  Der  Kern  des  Konflikts 

Es  ist  offensichtlich,  daS  die  EBs  die  in  den  Richtlinien  genannten 
Aufgaben  nicht  im  entferntesten  erfiillen  kbnnen. 
Dies  nicht  nur  wegen  fehlender  Planstellen,  sondern  vor  allem  wegen 
der  falschen  Ausrichtung  ihrer  Arbeit. 

Die  meisten  EBs  (vor  allem  die  kommunalen,  die  von  den  Jugenda'mtern 
am  meisten  in  Anspruch  genommen  werden,  d.h.  mit  der  Unterschicht 
befaBt  sind),  nehmen  vor  allem  diagnostische  Aufgaben  wahr.  Sie  geben 
Empfehlungen  an  die  Ratsuchenden  in  Form  von  Kurzberatung  oder  veran- 
lassen  eine  Oberweisung  an  andere  Institutionen  (Heime,  Kliniken, 
Heilpa'dagogen,  Therapeuten). 

Der  frustrierende  Charakter  dieser  FlieBbandarbeit  wird  von  den  Psycho- 
logen der  EBs  der  freien  Tra'ger  (u.a.  der  Ev.FB  Ffm)  dadurch  aufgeho- 
ben,  daB  therapeutische  Arbeit  an  der  EB  selbst  geleistet  wird. 


Diese  Ausrichtung  der  Arbeit  liegt  wesentlich  im  Interesse  der  Psy- 
chologen, die  damit  den  Status  eines  Dienstleistungsexperten  ahnlich 
einem  Privattherapeuten  erhalten.  Gleichzeitig  haben  sie  die  Mbglich- 
keit  einer  praktischen  Ausbildung  unter  Anleitung  ("training  on  the 
job")  und  die  Gelegenheit,  mit  Nebenta'tigkeit  als  Privattherapeut 
das  Dienstgehalt  wesentlich  aufzubessern. 

Unsere  Konzeption  ging  davon  aus,  daB  die  Aufgaben  der  EB  weder  durch 
FlieBbanddiagnostik,  noch  durch  Therapien  flir  wenige  Auserwahlte, 
weder  durch  Abschieben  von  Unterschicht-Angehbrigen  an  totale  Insti- 
tutionen, noch  durch  das  Angebot  von  "Macherziehung"  fur  wenige  Mittel- 
und  Oberschicht-Angehbrige  erflillt  werden  kbnnen. 
Weder  der  Ruf  nach  mehr  Planstellen  fur  Therapeuten  zur  Abarbeitung 
der  Kartell' sten,  noch  der  nach  besserer  technischer  Ausbildung  der 
Therapeuten  ist  eine  Lbsung. 
Es  muS  endlich  die  Konsequenz  aus  folgenden  Tatsachen  gezogen  werden: 

1.  daB  individuelle  Schwierigkeiten  gesel lschaftlich  bedingt  sind; 

2.  daB  individuelle  Schwierigkeiten  die  Regel ,  nicht  die  Ausnahme 
darstellen. 

Damit  wird  das  professionelle  Dienstleistungsmodell  der  "Reparatur  ab- 
weichenden  Verhaltens"  nicht  mehr  anwendbar.  Es  wird  notwendig,  die 
Arbeit  strukturell  zu  vera'ndern. 

Durch  unsere  Konzeption  wollten  wir  ganz  aktuelle  Probleme  der  Ratsu- 
chenden in  Angriff  nehmen,  das  soziale  Klima  des  Stadtteils  zu  a'ndern 
suchen  und  dadurch  den  Einzelnen  Liberhaupt  erst  einmal  so  viel  Spiel - 
raum  verschaffen,  daB  eine  Aufarbeitung  "infantiler  Abwehrmechanismen" 
sinnvoll  in  Angriff  genommen  werden  konnte. 

Diese  Arbeit  gefa'hrdet  die  Interessen  der  Psychologen,  die  Privat- 
therapien  honoriert  haben  wollen, und  die  Interessen  des  Vorstandes, 
der  die  Aufdeckung  der  gesel 1 schaftl ichen  Bedingungen  privaten  Lei- 
dens  und  die  daraus  folgende  Aktivierung  von  sogenannten  Laien  flirch- 
tet  als  "zu  politische"  Arbeit. 

6.  Die  Politik  des  Tra'gers 


Die  EBS,  die  nach  den  Richtlinien  des  Hess.  Sozialministeriums  ar- 
beiten  und  von  ihm  anerkannt  sind,  erhalten  Zuschusse  in  Hbhe  von  zwei 
Drittel  ihrer  Ausgaben. 

Wie  auf  den  anderen  Gebieten  der  Sozialflirsorge  und  Jugendhilfe  kbnnen 
die  sogenannten  "freien  Tra'ger"  mit  einem  Minimum  an  finanzieller 
Eigenleistung  Eigenwerbung  betreiben  und  ihre  eigenen  Vorstellungen 
von  Sozialarbeit  verwirkl ichen. 

Die  Evangelische  Kirche  in  Ffm.  fungiert  als  verantwortl  icher  Tra'ger 
der  Evangelischen  Familienberatungsstel  len  in  Ffm.  Seit  Griindung  die- 
ser Stelle  ist  die  Arbeit  auf  Therapie  ausgerichtet.  Der  Leiter  ist 
Diplom-Psychologe,  Psychoanalytiker  und  Lehranalytiker  am  SFI.  Durch 
radikale  Privatisierung  aller  "neurotischen  Erkrankungen"  und  Erzie- 
hungsprobleme,  d.h.  Reduzierung  dieser  Leiden  auf  individuelle  (oder 
familiare)  Beziehungsstbrungen  und  deren  Behebung  durch  Sozialtech- 
m'ken,  uberla'Bt  er  das  Feld  der  gesel  1  schaftl  ichen  Analyse  seinem 
Auftraggeber.  Er  wird  damit  funktional  einsetzbar  als  Reparateur  der 
Ware  Arbeitskraft. 

Wissenschaftliche  Konzepte,  die  individuelles  Verhalten  durch  gesell- 
schaftliche  Bedingungen  vermittelt  sehen,  werden  von  ihm  als  subjek- 
tiv  und  unwissenschaftlich  abgelehnt.  Damit  liefert  er  "als  Fachmann"  4-3 


der  Evangelischen  Kirche  den  Vorwand,  die  angeblich  "unwissenschaft- 
lich,  unsachlich  Arbeitenden"  zu  eliminieren. 

Die  Evangel ische  Kirche  gibt  a)  dem  Leiter  die  Mbglichkeit,  neben  sei- 
ner Arbeit  als  Dienststellenleiter  Nebentatigkeit  als  Therapeut  auszu- 
iiben  und  damit  als  "Chefarzt"  mit  "Privatbettenpraxis"  zu  fungieren; 
b)  den  Psychologen  die  Mbglichkeit,  sich  als  Therapeuten  ausbilden  zu 
lassen  unter  Anleitung  des  Chef  psychologen  und  nebenbei   Privatthera- 
pien  auszufiihren. 

Die  Evangelische  Kirche  bietet  der  Offentl ichkeit  hochqualif izierte, 
z.T.   kostenlose  Therapieplatze  an,  was  natlirlich  auf  Kosten  der  An- 
zahl   der  zu  behandelnden  Klienten  gent. 

Die  Kirche  verdunkelt  allerdings  den  Sachverhalt,  daB  die  EBs  offent- 
liche  Einrichtungen  sind,  die  vom  Staat  finanziert  werden,  dadurch, 
daB  sie  diejenigen,  die  die  Beratungsstelle  in  Anspruch  genommen  ha- 
ben,  auffordert,  eine  Spende  zu  geben  als  Anerkennung  der  erhaltenen 
Dienstlei stung  und  UnterstLitzung  der  kunftigen  Arbeit.   Dadurch  gerat 
der  Ratsuchende  in  Schuld  und  Abhangigkeit  gegeniiber  der  Kirche,  weil 
er  eine  empfangene  Leistung  nicht  angemessen  honorieren  kann. 
Durch  Spenden  und  Privathonorare  wird  verschleiert,  daB  jeder  Burger 
ein  Recht  auf  Beratung  hat.   Dariiber  hinaus  wird  der  Eindruck  erweckt, 
daB  selbstverschuldete  oder  familiare  Ursachen  flir  die  Schwierigkeiten 
der  Ratsuchenden  anzunehmen  sind  und  daB  diese  Leiden  nur  bei  wenigen 
Ausnahmen  vorliegen. 

Das  Interesse  der  Kirche  an  Legitimierung  ihrer  Existenz  und  das  Pro- 
fitinteresse  der  Psychologen  gehen  eine  Allianz  ein. 
Predigt  und  seelsorgerliches  Gesprach  werden  durch  das  "therapeuti- 
sche  Gesprach"  ersetzt.  Der  zunehmende  Legitimationsverlust  der  Kir- 
che soil  dadurch  kompensiert  werden.  Der  wissenschaftliche  Fachmann 
mit  technischer  Kompetenz  tritt  tendenziell  an  die  Stelle  des  Pfar- 
rers.   Pfarrer  werden  mit  Gesprachstherapietechniken  oder  als  Ehebe- 
rater  geschult  und  fungieren  als  Berater.  Flir  die  "Seele"  wird  die 
Wissenschaft  zustandig. 

Da  die  Kirche  als  Trager  der  Ev.   FB  die  wissenschaft  unter  Kontrolle 
hat,   kann  sie  durch  ihre  Personalpolitik  die  ihr  genehme  Spielart  von 
Wissenschaft  unterstutzen  und  "zu  politische"  Auffassungen  ausschlies- 
sen, 

Die  Kirche  hat  inzwischen  eingesehen,  daB  gemeinwesenorientierte  3e- 
ratungsarbeit  in  der  NWS  notwendig  ist.  Auf  der  anderen  Seite  fiirch- 
tet  sie  die  praktischen  Konsequenzen  dieser  Arbeit.  Sie  lost  diesen 
Widerspruch.indem  sie  durch  Inserate  Bewerber  sucht,  die  Interesse 
haben  an   "sozialtherapeutischer  und  prophylaktischer  Arbeit,  Gruppen- 
arbeit,  Gemeinwesenarbeit"   (s.ZEIT  vom  18.1 .1973), und  Psychologen 
und  Psychagogen  einstellt,  die  flir  klinisch-therapeutische  Einzel- 
fallhilfe  ausgebildet  sind. 

Die  Orwel lsche  Sprache  muB  -  wie  bei  unserer  Entlassung  -  die  Diskre- 
panz  zwischen  Anspruch  und  Wirklichkeit  systematisch  verschleiern. 
Theoretische  Einsicht  und  praktische  Verwirkl ichung  stehen  beziehungs- 
los  gegeniiber.   Reden  und  Handeln  sind  zweierlei:  urn  einer  inhaltlichen 
Diskussion  Liber  gemeinwesenorientierte  Beratungsarbeit  auszuweichen, 
wird  sie  verbal   zugestanden,  praktisch  aber  ausgeschaltet. 


44 


7.  Kritik  des  "klinisch-therapeutischen"  Dienstleistungsmodells 

"Klinisch-therapeutisch"  arbeitende  Psychologen  und  Psychagogen  ver- 
treten  gemaB  ihrem  Selbstverstandm's  wissenschaftliche,  sachlich-neu- 
trale,  den  Menschen  dienende,  unpolitische  Interessen.   In  Wirklichkeit 
betreiben  sie  Verleugnung  der  gesellschaftlichen  Realitat  zugunsten 
einer  radikalen  Privatisierung  individuel  len  Leidens.   Sie  unterstiitzen 
damit  objektiv  gesel Ischaftliche  Interessengruppen,  die  aus  Angst  urn 
ihre  Privilegien  systematisch  eine  Aufklarung  Liber  gesellschaftliche 
Zusammenhange  und  die  Notwendigkeit  solidarischen,   gleichberechtigten 
Handelns  gegeniiber  UnterdrLickung  und  Zwangen  verhindern. 
FLir  viele  in  der  Sozialarbeit  Tatige  scheint  die  Reflexion  Liber  die 
Funktion  der  sogenannten  "klinisch-therapeutischen  Arbeit"  unter  einem 
Denkverbot  zu  stehenj  dies  liegt  wahrscheinlich  daran,  daB  die  Berufs- 
ausbildung  als  Therapeut/Psychagoge  als  Aufstieg  bzw.  Ausstieg  aus  der 
gesel lschaftspolitischen  Arbeit  angestrebt  bzw.  offengehalten  wird. 

Zwei  Aspekte  der  klinisch-therapeutischen  Arbeit  scheinen  uns  von  Be- 
deutung  zu  sein: 

a)  die  politisch-ideologische  Dimension  dieser  Arbeit: 

Es  wird  der  Eindruck  erweckt,  nur  Experten  mit  schulischen  Zertifika- 
ten  hatten  die  ndtigen  Fahigkeiten;  die  Dienstleistungen  des  Experten 
muSter  mit  Privilegien  und  Machtpositionen  gekoppelt  sein;   individuel- 
les  Leiden  sei   selbstverschuldet  oder  familiar  bedingt  und  so  selten, 
daB  wenige  Experten  zur  Reparatur  geniigen;  die  Experten  seien  fur  al- 
le  gesellschaftlichen  Gruppen  da:  Unterschicht-Angehbrige  wiirden  nur 
infolge  zufalliger  technischer  Regeln  (IQ-,  Verbalisations-Def izite) 
ausgeschlossen. 

Durch  all  das  entsteht  der  Eindruck,  die  bestehende  Gesellschaft  sei 
in  Ordnung,  kleinere  Korrekturen  werden  zuverlassig  von  Experten  vor- 
genommen. 

b)  die  mangelnde  Transparenz  und  die  daraus  folgende  Oberschatzung  der 
technischen  Funktion  der  "klinisch-therapeutischen"  Arbeit:  E.  Goffman 
gibt  in  seinem  kLirzlich  auch  in  deutsch  erschienenen  Buch  "Asyle"  dazu 
einige  Hinweise.  Seine  Ausfiihrungen  beziehen  sich  auf  Patienten  von 
Heilanstalten  in  den  USA.  Hier  ein  Auszug   (sinngema'S  zitiert): 

"(1)  Nur  bei  wenigen  Fallen  von  seelischen  Stbrungen  (verbunden  mit 
Hirntumoren,  progressiver  Paralyse,  Arteriosklerose,  Meningitis  usw.) 
treffen  die  Voraussetzungen  des  Dienstleistungsmodells  zu:  ein  in  einer 
seltenen  Zufallsverteilung  auftretendes  Ereignis  schadigt  die  geistige 
Funktion  des  Klienten,  ohne  daS  jemand  dies  beabsichtigt  und  ohne 
daB  er  persbnlich  dafur  verantwortlich  ware.  Aber:  Das  Symptomverhal- 
ten  des  Patienten  ist  Teil   seiner  zwischenmenschlichen  Situation;  die 
interpersonelle  llmwelt  des  Patienten  ist  von  seinen  Schwierigkeiten 
nicht  zu  trennen. 

(2)  Die  Fakten  der  Patienten-Rekrutierung  muB  der  Therapeut  Libersehen, 
rationalisieren,  hinwegdeuten.   Er  wehrt  die  Wiinsche,  Klagen  und  For- 
derungen  des  Patienten  ab,   indem  er  ihn  davon  Liberzeugt,  daB  die  Pro- 
bleme,  die  er  seiner  Meinung  nach  mit  ihm  (dem  Therapeuten),  mit  der 
Verwandtschaft,  mit  der  Gesellschaft  usw.   hat,   in  Wirklichkeit  seine 
eigenen  Probleme  sind.  -  So  kann  ein  Therapeut  der  Beschwerde  eines 
Negers  Liber  die  Rassenbeziehungen  dadurch  begegnen,  daS  er  dem  Patien- 
ten vorhalt,  er  musse  sich  erst  einmal   selbst  fragen,  warum  unter  al- 
ien Negern  ausgerechnet  er  diesen  besonderen  Augenblick  wahlte,  urn  A  C 


seiner  Meinung  Ausdruck  zu 
gesehen  von  den  gegenwartig 
hungen,  fiir  inn  als  Person 
(3)  Die  therapeutische  Lern 
sung  im  Verhaltnis  zu  seine 
technische  Fertigkeit.  Ein 
so  befa'higt,  einem  Patiente 
ausgebil deter  Psychiater,  u 
der  EinfluB  des  Warters  for 
rend  dieser  nur  in  groBeren 
ausgesetzt  ist." 


geben,  und  was  diese  AuBerung,  eintnal   ab- 

in  der  Klinik  herrschenden  Rassenbezie- 
bedeuten  wiirde. 

erfahrung  zu  vermitteln,  urn  eine  Fehlanpas- 
n  Mitmenschen  zu  korrigieren,  ist  keine 
Stationswarter  ist  anscheinend  haufig  eben- 
n  eine  "gute"  Beziehung  zu  bieten,  wie  ein 
nd  gleichgiiltig,  ob  gut  Oder  schlecht,  wird 
twa'hrend  auf  den  Patienten  einwirken,  wah- 
Abstanden  dem  EinfluB  des  Psychiaters 


Aus  dieser  Einschatzung  der  ideologischen  und  der  "technischen"  Funk- 
tion  des  kli nisch-tehrapeutischen  Dienstleistungsmodells  wird  es  not- 
wendig,  die  sogenannten  "kl  inisch-therapeutischen  F'a'hiqkeiten"  zu  ver- 
gesellschaften,  damit  sie  aufhoren,  ein  "berufliches"  Privileg  zu 
sein,  das  von  einigen  wenigen  auf  Kosten  aller  in  Besitz  gehalten  wird. 
Das  geschieht  durch  Kampf  gegen  die  esoterische  Fachsprache  der  Spe- 
zialisten;  durch  neue  Definition  der  Qualifikationsskala;  durch  radi- 
kale  Veranderung  des  Ausbildungsprozesses  und  der  Arbeitsteilung 
(Andre  Gorz) . 


16  ll£i 


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REIHE  ROTER  PAUKER 

MATERIALIEN  ZUR  UNTERRICHTSPRAXIS 

Heft  6,  Unterrichtseinheit  "Lateinamerika" 

Die  UE  Lateinamerika  wurde  im  Friihjahr  1971  an 
der  Ernst-Reuter-Schule  Frankfurt  erarbeitet  und 
im  Unterricht  (7.  Klassen  Gesellschaftslehre)  er- 
probt.  Diese  UE  setzt  sich  weder  zum  Ziel,  den 
Schtilern  eine  Theorie  des  Imperialismus  zu  ver- 
mitteln, noch  kann  sie  sich  auf  der  abstrakten 
Ebene  imperialistischer  Erscheinungsformen  die 
Abhangigkeit  von  Weltmarktpreisen  und  Verschlech- 
terung  der  'terms  off  trade' ,Technologietransfer, 
Kreditverschuldung  usw.  bewegen.  Sie  beschrankt 
sich  vielmehr  darauf ,  am  Beispiel  der  Staaten 
Brasilien,  Peru,  Chile  und  Kuba  anhand  zweier 
Froblemkreise  (Landverteilung  und  Rohstoffkon- 
trolle)  wesentliche  Ursachen  der  Unterentwick- 
lung  und  die  unterschiedlichen  politischen  Wege 
zu  deren  Bewaltigung  aufzuzeigen. 

6o  Seiten,  broschiert,  DM  k. — 

Verlag  2ooo  GmbH,  6o5  Offenbach  1*,  Postfach  591 


Konektivpraktikum  im  Heim 


Vorwort: 

Im  folgenden  Artikel   geht  es  urn  die  Darstellung  der  Konflikte  von 
4  Berufspraktikanten  (BP)  mit  der  Sozialburokratie  und  der  Heimlei- 
tung  bei  der  EinstelTung  der  BP  und  ihrer  Weiterbeschaftigung  als  So- 
zialarbeiter  im  Heim.  Da  der  Heimleitung  aus  Vorerfahrungen  mit  einzel- 
nen  Berufspraktikanten  bekannt  war,  daB  von  ihnen  Veranderungen  hin- 
sichtlich  der  padagogischen  Arbeit  und  der  gesamten  hierarchischen 
Heimstruktur  angestrebt  werden,  versuchte  sie  mit  Hilfe  der  Sozialbu- 
rokratie die  Einstellung  der  BP  als  Sozialarbeiter  in  das  Heim  zu 
verhindern.  Der  Artikel   beschrankt  sich  auf  die  Beschreibung  der  Aus- 
einandersetzung  der  BP  mit  den  Institutionen. 

I  Kurzdarstel lung  des  Heimes: 

In  der  zweiten  Halfte  des  Berufspraktikums  arbeiteten  wir  im  Kinder- 
heim  EbersheimstraBe,  einem  stadtischen  Heim  im  Zentrum  von  Frank- 
furt/M.   Das  Heim  m'mmt  Kinder  im  schulpflichtigen  Alter  auf;  sie  wer- 
den durch  die  stadtischen  Sozialstationen  eingewiesen,  zum  grbBten 
Teil   als  eine  MaBnahme  der  brtlichen  Unterbringung  oder  der  Freiwil- 
ligen  Erziehungshilfe  (FEH). 

Der  uberwiegende  Teil  der  Kinder  kommt  aus  Arbeiterfamilien.   Zu  Be- 
ginn  des  Berufspraktikums  lag  die  Belegzahl   bei  50  Kindern,  am  Ende 
bei  ca.   30.   Es  bestehen  3  Kindergruppen  mit  je  11   Kindern.   Im  Heim 
sind  zum  grb'Bten  Teil   Erzieherinnen  beschaftigt;  es  besteht  eine  hone 
Fluktuation  des  Personals.  Die  Zusammensetzung  des  padagogischen  Per- 
sonals wahrend  des  Berufspraktikums  war  folgende:   Heimleiterin  (Jugend- 
leiterin),  stellvertretende  Leiterin  (Kindergartnerin) ,  4  Erzieherin- 
nen, ein  Hilfserzieher,  ein  Vorpraktikant  ohne  padagogische  Vorbildung. 

II  Chronologische  Darstellung  des  Konflikts: 


-  Im  Friihjahr  71  gab  die  Heimleitu 
fur  unsere  Einstellung.  Daraufhin 
der  Hauptfiirsorgerin, 

-  Im  Sommer  71   erhielten  wir  von  i 

-  Im  Oktober  71   Beginn  der  ersten 
schiedenen  Dienststel len  der  Sozia 
vertra'ge,  nach  denen  wir  im  2.   Hal 
eingesetzt  werden  sollten. 

-  Im  Dezember  71  wurden  innerhalb 
daB  wir  nicht  in  der  Ebersheimstr. 
bei  der  Heimleitung  ergab,  daB  im 
finden  sollte. 


ng  der  EbersheimstraBe  die  Zusage 
bewarben  wir  uns  schriftlich  bei 

hr  eine  feste  Zusage. 
Halfte  des  Jahrespraktikums  in  ver- 
:lverwaltung.  Wir  erhielten  Ausbildungs- 
bjahr  im  Kinderheim  Ebersheimstr. 

der  Sozialverwaltung  Geru'chte  laut, 

arbeiten  konnten.   Eine  Riickfrage 
Januar  ein  klarendes  Gesprach  statt- 


47 


48 


-  Entgegen  der  Vereinbarung  kam  das  Gesprach  nicht  zustande. 

-  Anfang  Februar  72  drangten  wir  auf  ein  Gesprach,  urn  Klarheit  liber 
unsere  Einstellung  zu  erhalten.  Die  Heimleiterin  konnte  uns  keinen 
Termin  nennen,  weil   sie  wegen  der  schlechten  Personalsituation  keine 
Zeit  hatte.  Wir  erhielten  trotzdem  von  der  Leiterin  der  Abteilung 
Erziehungshilfe  einen  Gesprachstermin  mit  der  Heimleitung. 

-  Einen  Tag  vor  der  Besprechung  teilte  uns  die  Abteilung  Erziehungs- 
hilfe mit,  die  Heimleiterin  sei   krank.  Eine  Einstellung  der  4  Berufs- 
praktikanten  lehne  sie  ab.  Als  GrLinde  wurden  von  der  Heimleitung  ge- 
nannt: 

a)  Da  zu  wenig  Fachpersonal   im  Heim  arbeite,  kdnne  unsere  Anleitung 
nicht  gewa'hrleistet  werden. 

b)  Schon  bestehende  Spannung  lieBen  weitere  potentielle  Unruhe  durch 
4  junge  Praktikanten  nicht  zu. 

Tatsachlich  hatte  sich  die  Personalsituation  seit  der  Zusage  der  Heim- 
leiterin und  dem  Beginn  des  Berufspraktikums  nicht  geandert. 

-  Urn  unsere  Situation  auch  rechtlich  zu  klaren,  kam  es  zu  einem  Gesprach 
mit  der  Personalabteilung.  Die  wichtigsten  Punkte  der  Besprechung  am 
9.2.72  waren: 

a)  Der  Leiter  der  Personalabteilung  konnte  nicht  begreifen,  warum  wir 
Ausbildungsvertrage  fiir  die  Ebersheimstr.   besitzen,  da  sich  der  Dienst- 
herr  in  der  Regel  vorbeha'lt,  wo  Angestellte  eingesetzt  werden. 

b)  Er  teilte  uns  mit,  daB  letztlich  die  Heimleitung  bestimmt,  wer  in 
ihrem  Heim  arbeitet. 

c)  Er  bot  uns  Arbeitsplatze  verstreut.in  verschiedenen  Heimen.an. 

d)  Er  a'uBerte,  er  kbnne  sich  gut  vorstellen,  daB  wir  nur  alles  umstur- 
zen  wlirden  und  dann  wieder  gehen. 

e)  Sein  Vorwurf,  daB  keine  Sozialarbeiter  in  den  Heimen  arbeiten,  wie- 
sen  wir  mit  der  Feststellung  zurlick,  daB  es  dort  keine  Sozialarbeiter- 
stellen  mit  entsprechender  Bezahlung  gibt.  Darauf  versicherte  er  uns, 
er  werde  sich  fiir  die  Schaffung  dieser  Stellen  einsetzen, 

f)  Ergebnis  der  Unterredung  war  die  Zusage,  daB  sic.i  der  Leiter  der 
Personalabteilung  f'Jr  unsere  Einstellung  einsetzen  wird. 

■■  Mitte  Februar  7?  erfuhren  wir  von  der  Abteilung  Erziehungshilfe,  da3 
die  Heimleitung  unter  der  Bedingung  mit  unserer  Einstellung  einverstan- 
den  ist,  daB  sich  eine  Fachkraft  bereitfindet ,  die  entstehenden  Kon- 
flikte  im  Heim  mit  der  gesamten  Heimpersonalgruppe  aufzuarbeiten. 

-  Die  Sozialverwaltung  schlug  einen  Sozialarbeiter  mit  Zusatzausbil - 
dung  vor,  der  auch  selbst  in  der  Heimarbeit  tatig  war,  die  Berufsprak- 
tikanten  nannten  einen  Dozenten  der  FHS  Frankfurt.  Laut  Vereinbarung 
sollten  das  Heimpersonal  und  die  Berufspraktikanten  die  Entscheidung 
treffen.  Die  Berufspraktikanten  hatten  den  ihnen  bekannten  Dozenten 
vorgeschlagen,   nachdem  ein  Gesprach  mit  dem  von  der  Verwaltung  vorge- 
schlagenen  Sozialarbeiter  padagogisch  unterschiedliche  Vorstel lungen 
erkennen  lieB. 

Die  Entscheidung  wurde  tatsachlich  allein  von  der  Heimleitung  zugun- 
sten  des  Sozialarbeiters  getroffen,  ohne  mit  den  Mitarbeitern  und  den 
Berufspraktikanten  zu  sprechen. 

Anla'Blich  der  Entscheidung  traten  innerhalb  der  Berufspraktikanten- 
gruppe  die  ersten  Differenzen  liber  die  Strategie  der  Gruppe  auf.  Wa'h- 
rend  ein  Gruppenmitglied  die  Meinung  vertrat,  die  einsame  Entscheidung 
der  Heimleitung  nicht  akzeptieren  zu  du'rfen  und  das  Praktikum  fallen 
zu  lassen,  meinten  die  anderen,  die  Sozialverwaltung  konnte  in  dem 
Moment  die  Ansicht  verbreiten,  Sozialarbeiter  wollten  in  der  Heimpraxis 


nicht  arbeiten,  sondern  nur  liber  die  MiSstande  "motzen".   -  Die  Grup- 
pe   entschied  sich  fiir  das  Praktikum. 

-  Die  Einstellung  in  das  Heim  erfoTgte  letztlich  nur,  wie  uns  der  Lei- 
ter der  Personalabteilung  nochmals  versicherte,  aufgrund  der  falsch 
ausgestellten  Ausbildungsvertrage. 

-  Bevor  wir  anfingen,  im  Heim  zu  arbeiten,  erfolgte  von  Sei ten  der  So- 
zialverwaltung der  Versuch  der  Aufsplitterung  von  Erziehern  und  Be- 
rufspraktikanten.  Eine  Mitarbeiterin,  die  Kritik  am  Heim  iibte  und  of- 
fer! mit  den  BP  sympathisierte,  erhielt  ein  Versetzungsschreiben  mit 
der  Begriindung,  daB  mit  der  Einstellung  der  BP  zuviel  Fachpersonal 

im  Heim  arbeite. 

-  Das  Heim  gab  keine  nahere  Erklarung.  Die  Heimleitung  versicherte  le- 
diglich,  daB  sie  fiir  ein  Verbleiben  der  Erzieherin  gegentiber  der  So- 
zialverwaltung eingetreten  sei. 

-  Darauf hi n  kam  es  zu  einer  erneuten  Auseinandersetzung  mit  dem  Leiter 
der  Personalabteilung.  Unseren  Einsatz  fiir  die  versetzte  Erzieherin 
nahm  der  Leiter  der  Personalabteilung  als  Beweis  fiir  die  zerstbreri- 
schen  Absichten  im  Heim.   Er  widersetzte  sich  unserer  Forderunge  nach 
Mitsprache.   Er  wliBte  jetzt  schon,  was  wir  wollten  und  wiirde  "kalte 
Flipe  bekommen  bei  dem  Gedanken,  daB  er  ungliicklicherweise  unsere  Aus- 
bildungsvertrage fiir  die  Ebersheimstr.  unterschrieben  habe".  Auf  un- 
sere Beflirchtungen,  auch  nach  kurzer  Zeit  versetzt  zu  werden,  entgeg- 
nete  er,  dies  sei   aufgrund  unserer  Ausbildungsvertrage  im  Gegensatz 

zu  den  librigen  Mitarbeitern  nicht  mdglich. 

Wir  brachten  zum  Ausdruck,  uns  mit  der  geplanten  Versetzung  nicht  ab- 
zufinden, und  daB  die  Angelegenheit  ein  "Nachspiel"  hatte.   Daraufhin 
reagierte  der  Leiter  der  Personalabteilung  mit  den  Worten,   "was  Sie 
wollen,  wei'B  ich  schon,  seit  ich  Sie  zum  ersten  Mai   gesehen  habe. 
...Was  soil's,  dann  schlieBen  wir  eben  noch  ein  Heim".  Nachdem  sich 
auch  die  FHS  mit  in  den  Konflikt  eingeschaltet  hatte,  wurde  die  Ver- 
setzung zurlickgenommen. 

-  4.4.72  Beginn  der  Arbeit  im  Heim.   In  jeder  Kindergruppe  wurde  ein 
BP  eingesetzt  (zu  Beginn  bestanden  4  Gruppen). 

-  4.4.72  Beginn  der  Dienstbesprechungen  und  Supervision  unter  Teilnah- 
me  aller  Mitarbeiter  (zeitlich  bildete  beides  eine  Einheit).  Vor  der 
Einstellung  der  BP  fanden  keine  Dienstbesprechungen  statt. 

-  19.4.72  Die  Heimleitung  berichtete  in  einer  Dienstbesprechung,  daB 
eine  neue  Erzieherin  ab  1.5.72  als  Halbtagskraft  fest  eingestellt  sei. 
(Widerspruch:  vorher  sollte  Fachpersonal  abgezogen  werden,  plb'tzlich 
wird  neues  eingesetzt).  Die  neue  Erzieherin  gibt  offen  zu,  daB  sie 
die  BP  fiir  zerstbrerische  Krafte  im  Heim  halt,  wahrend  von  ihr  eine 
gute  Personalakte  in  der  Personalabteilung  vorliege.  Das  Heimpersonal 
wurde  vor  der  Einstellung  der  Erzieherin  nicht  gefragt. 

-  Mai   72,  Konflikte  der  BP-Gruppe  mit  dem  Supervisor,  da  er  seine 
Funktion  in  der  Unterstiitzung  der  kranken  Heimleiterin  sieht.   Er  meint, 
selbst  Heimleiterfunktionen  ubernehmen  zu  miissen  und  greift  in  das 
Heimleben  ein.   In  alien  weiteren  Dienstbesprechungen,  deren  Einrich- 
tung  eigentlich  der  kommunikativen  Orientierung  iiber  die  Probleme  und 
Zielsetzungen  der  Erziehungsarbeit  dienen  sollte,  geschah  nichts  wei- 
teres,  als  daB  organisatorische  Dinge  besprochen  wurden.   Kam  es  zur 
Diskussion  von  Erziehungsvorstellungen,  war  eine  sachliche  Diskussion 
nicht  mb'glich.  Der  Supervisor  versuchte  nicht  zu  vermitteln,  sondern 
libernahm  die  Vorwiirfe  der  Mitarbeiter,  wir  wollten  ohne  eigenen  Ein- 
satz nur  kritisieren.  Die  unterschiedlichen  Meinungen  standen  sich  so    49 


scheinbar  uniiberwindlich  gegeniiber.  Die  Diskiissionen  endeten  in  der 
Regel  mit  dem  Hinweis  des  Supervisors,  daB  die  Mitarbeiter  von  Haus  aus 
kein  Mitbestimmungsrecht  ha'tten  und  ihre  Mitsprache  nur  aufgrund  frei- 
willigen  Entgegenkommens  der  Heimleiterin  mb'glich  sei. 

-  Da  die  Diskussion  liber  padagogische  Vorstellungen  vonseiten  der  Heim- 
mitarbeiter  imrner  wieder  mit  dem  Argument,  die  BP  wiirden  nach  einem 
halben  Jahr  wieder  gehen  und  sie  mu'Bten  dann  die  Arbeit  im  Heim  lei- 
sten,  abgewiirgt  wurde,  bewarben  wir  uns  am  18.6.72  als  Sozialarbeiter 
fur  das  Heim  zum  1.10.72. 

-  Nach  dieser  Zeit  versuchten  wir  wiederholt,  eine  Antwort  zu  erhal- 
ten.   Wir  wurden  bis  zum  5.9.72  durch  Taktieren  der  Sozialverwaltung 
vertrbstet.    (Urlaub  der  zustandigen  Bearbeiter,  Verlegen  der  Akte, 
Unklarheiten  Liber  die  Zustandigkeiten). 

-  24.8.72  Bewerbung  von  3  GM  als  Erzieher  im  Heim,  da  informell   die 
Ablehnung  durchgesickert  war.   Das  vierte  GM  hielt  die  Bewerbung  flir 
falsch,  da  hierdurch  die  Sozialverwaltung  kaum  noch  genb'tigt  scheint, 
Sozialarbeiterstellen  flir  ihre  Heime  zu  schaffen.  Tendenziell   kbnnte 
fur  die  Verwaltung  der  Eindruck  entstehen,  daB  man  Fachkrafte  auch 
billiger  haben  kbnnte,  wenn  man  diese  bei   ihrem  "Idealismus"   und  Ver- 
antwortungsgeflihl   fur  die  Kinder  packe. 

-  5.9.72,  Ablehnung  der  Bewerbung  als     Sozialarbeiter 
aus  tarifrechtlichen  Grlinden  durch  die  Personalabteilung. 

Dokument   : 

"Ihren  Antrag  vom  18.6.72  auf  Weiterbescha'ftigung  als  Sozialarbeiter 
im  Kinderheim  Ebersheimstr.   haben  wir  mit  Schreiben  vom  30.6.72  dem 
Personalamt  zur  Entscheidung  vorgelegt.  Von  diesem  Amt  erhielten  wir 
unter  dem  1.9.72  folgenden  Bescheid: 

Im  Hinblick  darauf,  daB  es  sich  bei  den  wahrzunehmenden  Stellen  urn  Er- 
zieherstellen  der  Verglitungsgruppe  Vc  BAT  handelt,  die  Sozialarbei- 
ter jedoch  nach  Erhalt  der  staatlichen  Anerkennung  eine  Vergutung  nach 
Verglitungsgruppe  Vb  bzw.   IVb  BAT  erhalten,  sehen  wir  leider  keine  Mbg- 
lichkeit,  dem  Wunsch  der  o.g.  Mitarbeiter  zu  entsprechen," 

Dokument   : 

"Hiermit  bewerbe  ich  mich  flir  die  weitere  Tatigkeit  im  Kinderheim 
Ebersheimstr.   nach  Beendigung  meines  Berufspraktikums  ab  1.10.72  .als 
Erzieher. 
Folgende  Begriindung: 

Die  bisherigen  Verhandlungen  haben  ergeben,  daB  im  Stellenplan  der 
stadtischen  Kinderheime  keine  Planstellen  fur  umfassend  qualifizier- 
tes  Fachpersonal   (Sozialarbeiter  und  Sozial padagogen)  vorgesehen  sind. 
Da   ich  mich  jedoch  wahrend  meiner  Ausbildung  auf  den  Heimbereich  spe- 
zialisiert  habe,  ich  im  iibrigen  die  in  der  vorausgegangenen  Bewerbung 
als  Sozialarbeiter  gegebene  Begriindung  weiterhin  anerkenne,  bewerbe 
ich  mich  gezwungenermaBen  nach  untertariflichen  Bedingungen.   -  Eine 
solche  Entscheidung  darf  jedoch  lediglich  als  befristete  Notlbsung 
angesehen  werden,  da  eine  Oberprlifung  des  Stell enplanes  flir  Kinder- 
heime der  Stadt  Frankfurt  hinsichtlich  einer  qualifizierten,  dem  neu- 
esten  wissenschaftlichen  Stand  entsprechenden  Arbeit  an  den  Kindern 
durch  die  Fachaufsicht  der  Heimabteilung  notwendig  ist." 

-  18.9.72  Erstes  Antwortschreiben  der  Sozialverwaltung: 


D  o  k  a  m  en  t  : 

"Wir  haben  Ihren  Antrag  auf  Weiterbescha'ftigung  als  Erzieherin  ab 
1. 10.72  erhalten.  Leider  kann  der  Personalrat  des  Sozial-,  Jugend- 
und  Sozialverwaltungsamtes  erst  in  seiner  Sitzung  am  26.9.72  liber  Ih- 
ren Antrag  entscheiden." 
-  26.9.72  Zweites  Antwortschreiben  der  Sozialverwaltung: 

Dokument 


50 


"lm  INachgang  zu  unserem  Schreiben  vom  3.9.72  teilen  wir  Ihnen  mit     daB 
sich  die  Mehrzahl  des  pa'dagogi  sehen  Personals  des  Kinderheimes  Ebersheim- 
strasse  gegen  Ihre  Weiterbescha'ftigung  als  Erzieherin  ausgesprochen  hat 
Wir  sehen  aufgrund  dieser  Sachlage  keine  Mbglichkeit,  Ihrem  Antrag  auf 
Weiterbescha'ftigung  stattzugeben. " 

-  Als  letztes  Hittel ,  urn  den  BP  die  Einstellung  zu  verwehren,  bediente 
sich  die  Sozialverwaltung  einer  fiktiven  Mitbestlmmung  der  Heimmitar- 
beiter,  die  es  vorher  nicht.  gab  und  auch  heute  nicht  gibt. 

Ill  Strategie  der  Gruppe: 

a)    Im  Heim 

In  den  Voruberiegungen  zu  dem  Kollektivpraktikum  wurden  folgende  Se- 
sichtspunkte  wesentlich  berikksichtigt:  die  bastehende  Hierarchie  im 
Heim  sollte  gemeinsam  nit  den  Mitarbeitern  aufgedeckt  und  vera'ndert 
werden.   Urn  diss  zu  kbnnen,  muBte  eine  regelma'Bige  Dienstbesprechung 
eingefiihrt  werden.  Gleichzeitig  solltan  die  bestehenden  Konfl  ikte  zwi- 
schen  Heim  und  Sozialverwaltung  verbalisiert  und  solidan'SCh  von  den 
Heimmitarbeitern  ausgetragen  werden.   Erziehungsinhalte  sollten  hinter- 
fragt  werden.   Dabei   sallte  eine  Konfrontation  zwischen  BP  und  Heimper- 
sonal   vermieden  werden.  AuBerdem  wollten  wir  nicht  den  Erwartungan  des 
Heimpersonals,  Sozialverwaltung  und  unseres  Praxisdozenten  von  einem 
aggressiven,  blind  agierenden  Auftreten  der  Berufspraktikanten  ent- 
sprechen. Die  Folge  war:  Die  Gruppe  paSte  sich  zunachst  passiv  an  und 
verhielt  sich  teilweise  opportunistisch  gegenuber  den  Mitarbeitern.  Hin- 
zu   kam,  daB  die  geplante  Kommunikation  zwischen  den  Praktikanten  selbst 
durch  die  Aufteilung  in  4  Kindergruppen  und  die  verschiedenen  Dienst- 
zeiten  eingeschrankt  war.  Viele  Energien  wurden  fUr  Gespra'che  nach 
DienstschluS  aufgebracht.  Die  Mitarbeiter  zeigten  dann  auch  teilweise 
in  Einzelgesprachen  die  Bereitschaft ,  Konflikte  zu  artikulieren  und  auf- 
brechen  zu  lassen.   Im  Beisein  der  Heimleitung  schwand  allerdings  die- 
se Bereitschaft  wieder. 

Als  die  BP  dann  mehr  und  mehr  zu  einer  Konfl iktstrategie  ubergingen, 
waren  die  Fronten  flir  eine  Auseinandersetzung  schon  zu  verhartet. 
Die  Taktik  der  Heimleitung  konzentrierte  sich  jetzt  auf  Einzelgespra'che. 
In  solchen  Gesprachen  lieB  sie  einflie&en,  daB  ihr  keine  qualifizier- 
ten Mitarbeiter  zur  Verfligung  stiinden  und  mit  dem  vorhandenen  "unqua- 
lifizierten"  Heimpersonal  kbnne  sie  nichts  gegen  die  Sozialverwaltung 
ausrichten.  Diese  Taktik  des  Gegeneinanderausspielens ,  die  Verteilung 
von  Lob  und  Tadel ,  verhinderte  nicht  nur  eine  Solidarisierung  der  Mit- 
arbeiter mit  den  BP,  sondern  fiihrte  auch  in  der  Praktikantengruppe 
zum  Aufbrechen  der  Sol idaritat.  Das  Schreiben  vom  26.9.72  (vgl.  S.     ) 
erhielten  nur  2  BP,  wahrend  der  dritte  einen  befristeten  Arbeitsver-       51 
trag  bis  zum  31.11.72,  Verglitungsgruppe  Vllb  BAT  bekam.  Danach  erhielt 
auch  er     sein  Klindigungsschreiben: 


Do  k  u  m  e  n  t   : 

"Aufgrund  Ihrer  o.a.   Zuschriften  haben  wir  die  Moglichkeit  Ihrer  Wei- 
terbeschaftigung  im  Kinderheim  Ebersheimstr.  einer  eingehenden  Priifung 
unterzogen.  Nach  Abwagung  aller  Fakten  kommen  wir  zu  dem  fur  Sie  leider 
negativen  Ergebnis,  daB  es  wohl  fiir  alle  Beteiligten  besser  ist,  wenn 
Sie  aus  dem  padagogischen  Dienst  im  Kinderheim  Ebersheimstr.  mit  Ab- 
lauf  des  befristeten  Arbeitsvertrages,  dem  30.11.72,  ausscheiden." 

Der  Kreislauf  von  der  Weigerung.die  BP  im  Heim  arbeiten  zu  lassen, 
bis  zur  Verweigerung  der  Weiterarbeit  nach  der  Praktikumszeit  hat  sich 
geschlossen. 

b)  Nach  auSen 

In  dem  halben  Oahr  nahm  die  Gruppe  Kontakte  zu  SPD-Abgeordneten   im 
SozialausschuB  der  Stadt  Ffm.    auf.  Wir  wollten  mit  ihnen  die  Frage 
abklaren,  inwieweit  sie  sich  fiir  die  Veranderung  der  Heimsituation  ein- 
setzen  und  die  Einrichtung  von  Sozialarbeiterstellen  unterstlitzen. 
Die  Gesprache  waren  von  ihrer  Seite  her  durch  vorsichtiges  Taktieren 
gegenuber  dem  Heim  und  der  Sozialverwaltung  bestimmt,  da  die  bevor- 
stehende  Kommunalwahl  die  eigene  "Nestbeschmutzung"   nicht  zulieB.   Die 
Verbindung  zu  den  SPD-Leuten  brach  ab,  als  ein  von  ihnen  geplanter 
Heimbesuch  durch  das  Erkranken  eines  Abgeordneten  ausfiel. 
Der  Personalrat  der  Stadt  Ffm.,  der  wiederholt  von  uns  angeschrieben 
und  angesprochen  wurde,  reagierte  nie. 

Die  OTV-Fachgruppe  Sozialarbeit  -  hatte  zu  der  Zeit  andere  Dinge  zu 
tun,  die  ein  Beschaftigen  mit  der  Situation  der  BP  nicht  zulieBen. 
Der  AKS  schaltete  sich  nicht  ein,  wahrscheinlich  wurde  der  Anspruch 
der  BP  als  zu  unpolitisch  gesehen. 


IV  AbschlieSende  Einscha'tzung  des  Konfliktes: 

Die  Erfahrungen  haben  uns  gelehrt,  daB  in  der  Heimarbeit  ei 
gogisch  inhaltliche  und  in  ihrem  politischen  Stellenwert  ve 
Arbeit  auch  dann  nicht  ohne  weiteres  erreicht  werden  kann, 
relativ  starke  (zahlenma'Big)  Gruppe  von  4  Sozialarbeitern  i 
Institution  eintritt.  Hierarchische  Machtstrukturen  im  Heim 
eine  Veranderung  der  padagogischen  Arbeit,  die  vom  Willen  u 
nis  der  Betroffenen  (Kinder  und  Jugendliche)  bestimmt  werde 
Eine  solche  Arbeit  wurde  Aufgabe  von  Verfligungs-  und  Kontro 
der  Burokratie  erfordern.  Ebenso  sperrt  sich  die  in  der  Hie 
libergeordnete  Sozialverwaltung  gegen  Anspriiche  des  Heimes, 
aus  der  konsequenten  Orientierung  auf  die  Heimbewohner  resu 
sollten. 

Beide  Machtstrukturen  verbinden  sich  zu  einer  gewaltsamen  E 
wenn  es  darum  geht,  unbequeme  Kontroll-  und  Anpassungsfunkt 
Frage  stellende  Berufspraktikanten  aus  der  Arbeit  zu  entlas 


ne  pa'da- 
ra'nderte 
wenn  eine 
n  eine 
verhindern 
nd  Bediirf- 
n  sollte. 
llgewalt 
rarchie 
die  eben 
ltieren 

inheit, 
ionen  in 
sen. 


52 


Bericht 

iiber  die  Institutional!' si  erung 

der  Gemeinwesenarbeit 

mit  Obdachlosen  in  Frankfurt 

-  Lehrbei spiel  und  seine  Konsequenzen 


I  Geschichte  und  Entwicklung 

1969  billigte  die  SPD-Fraktion  den  Etat  zum  Bau  von  300  Wohnungen  fiir 
die  Umsiedlung  der  Bewohner  aus  Notunterkiinften.    Im  Februar  1970  for- 
derte  sie  die  Einrichtung  einer  Gruppe  von  Sozialarbeitern,  die  im 
Rahmen  der  Fachstelle  "NichtseBhaftenhilfe  und  soz.  Wohnraumhilfe" 
die  gesamte  Arbeit  fiir  Bewohner  in  sozialen  Brennpunkten  erledigen 
soil.   Im  November  1970  beschloS  der  Magistrat: 

"Mit  Wirkung  vom  1.1. 1970  werden  bei  der  Sozialverwaltung,  Fachstelle 
fiir  NichtseBhaftenhilfe  und  soz.   Wohnraumhilfe  8  Inspektorenstellen 
nach  Bes.Gr.  A  9  neu  geschaffen." 

Trotz  intensiver  Bemiihungen  konnten  die  Stellen  jedoch  nicht  besetzt 
werden,  denn  die  Bewerber  wurden  von  vornherein  abgeschreckt  durch 
einen  Arbeitsplan,  der  ihre  Aufgaben  bis  in  Einzelheiten  festlegte 
und  neuen  Methoden  keinen  Raum  lieB.  Dies  war  fiir  die  Behbrde  aber 
kein  Hinderungsgrund,  die  Auflbsung  der  Obdachlosensiedlungen  trotzdem 
zu  beginnen.  Diese  unkoordinierte  Arbeit  loste  bei  den  Betroffenen 
Unruhe  und  Unsicherheit  aus,  die  sich  auch  auf  die  zustandigen  Sozial- 
arbeiter  in  den  Sozialstationen  ausweitete. 

Diese  betroffenen  Sozialarbeiter  trafen  sich  schlieBlich  im  Mai   1971 
zu  einem  Austauschgesprach;   liber  die  Grlinde  der  auftauchenden  Schwie- 
rigkeiten  beschlossen  sie,  mit  den  zustandigen  Amtsvertretern  zu  spre- 
chen.    In  einem  Brief  der  Sozialarbeiter  an  das  Sozialamt  vom  4.8.1971 
heiBt  es  u.a.:  ~ " 

"Wir  glauben,  daB  bisher  vorrangig  administrative  und  weniger  sozial- 
padagogische  Gesichtspunkte  bei  der  Umsetzung  von  Familien  und  Einzel- 
personen  maBgebend  waren.    ...Eine  solche  Erfahrung  miiBte  zwangslaufig 
den  betroffenen  Personenkreis  noch  mutloser  werden  lassen.  Hierdurch 
wurde  jede  Initiative  nach  auBen  gelahmt  und  die  soziale  Isolierung 
nicht  aufgehoben.sondern  verstarkt  und  damit  eine  Eingl iederung  in 
das  neue  Gemeinwesen  verhindert.   . . .Abschl ieSend  mochten  wir  darlegen, 
daS  wir  grundsatzl ich  in  der  Abteilung  Gefahrdetenhilfe  arbeiten  wur- 
den,  sehen  aber  auf  Grund  der  Gesprache  mit  Herrn  D,     und  des  uns  vor- 
liegenden  Informationsmaterials  keine  Moglichkeit,  unsere  Vorstellun- 
gen  in  diese  Arbeit  einzubringen.    ...Wir  waren  bereit,  unseren  Stand- 
punkt  zu  uberpriifen,  wenn  wir  durch  entsprechende  Beschllisse  der  Stadt- 
verordneten  einen  politischen  Willen  zur  Gemeinwesenarbeit  in  den  Not- 
unterkiinften erkennen  konnten." 

Das  auf  diesen  Brief  hin  gefuhrte  Gespra'ch  brachte  keine  Snderung  der 
Standpunkte.  Die  inter essierten  Sozialarbeiter  lehnten  die  Arbeits- 
aufnahme  ab.    In  seinem  Antwortbrief  vom  14.9.1971    schreibt  Mag. Rat  D. : 
"Alle  Entscheidungen  der  Vertretungskorperschaften  erfolgen  aus  sozial- 
padagogischen  Griinden.   Das  Ziel  dieser  Arbeit  ist  eindeutig:  Besei-         _  _ 
tigung  der  Obdachlosigkeit."  Ov3 


54 


Dber  die  Methoden,  dieses  Ziel   zu  erreichen,  gibt  es  verschiedene 
Auffassungen.  Ob  die  Gemeinwesenarbeit  dazu  der  einzige  Weg  sein  wird, 
ist  keineswegs  erwiesen.  Wo  sie  in  Ansatzpunkten  durchgefiihrt  worden 
ist,  scheint  mindestens  Skepsis  angebracht." 

Da  die  Stellen  nun  immer  noch  unbesetzt  sind,  beschlossen  die  Leiter 
der  Sozialstationen  in  ihrem  Arbeitskreis  im  November  1971  einen  amts- 
internen  Personalausgleich.  Dies  bedeutete  flir  al  le  Sozialarbeiter  in 
den  Sozialstationen  die  Gefahr  der  unfreiwill igen  Versetzung  in  die 
Abt.   soz.  Wohnraumhilfe.  Die  dadurch  entstehenden  Liicken  sollten  zudem 
ausgeglichen  werden  durch  eine     Neuordnung-  und  das  hiefi  in  diesem  Fall 
VergrbBerung  -  der  bisherigen  Bezirke,  was  zur  verstarkten  Belastung 
der  einzelnen  Sozialarbeiter  fiihren  wurde. 

Zur  Abwehr  dieser  MaBnahme  wurde  von  ca.  80  Sozialarbeitern  ein  Schrei- 
ben  an  den  Stadtrat  und  die  Leiter  des  Sozialverwaltungsamtes,  des 
Sozialamtes  und  des  Jugendamtes  geschickt.   In  diesem  Brief  wird  noch 
einmal  die  bisherige  Entwicklung  aus  ihrer  Sicht  dargestellt.  Abschlies- 
send  hei|5t  es  darin: 

"Da  das  vorgelegte  Konzept  bereits  am  1.1.1972  verwirklicht  werden 
soil,  erwarten  wir  Ihre  Stellungnahme  bis  zum  10.12.1971  an  alle  So- 
zialstationen und  das  Sachgebiet  Soziale  Wohnraumhilfe.  Wir  halten 
die  beabsichtigte  Umorganisation  flir  alle  Betroffenen  derartig  ein- 
schneidend,  daB  wir  uns  vorbehalten,  die  politischen  Gremien  zu  be- 
nachrichtigen,  falls  wir  keine  befriedigende  Antwort  erhalten  soll- 
ten." 

Dieser  letzte  Satz  wirbelte  so  viel   Staub  auf,  dal3  sich  die  Gruppe 
gezwungen  sah,  die  Lage  durch  ein  weiteres  Schreiben  vom  16.12.71   zu 
entscharfen:   "Die  gewahlte  Formulierung  war  nicht  als  Ndtigung  ge- 
dacht."  Aufgrund  des  ersten  Schreibens  an  die  Amtsleitungen  wurden 
die  Unterzeichner  von  Amtsvorgesetzten  mit  KuBerungen  wie:    'Frau  X, 
das     ha'tte  ich  von  ihnen  nicht  gedacht1   Oder   'Was  sagt  denn  ihr 
Mcnn  dazu1    z.T.   so  unter  Druck  gesetzt,  daB  sie  ihre  Unterschriften 
wilder  zurlickzogen.  Sie  konnten  den  Entzug  von  Anerkennung,  mit  dem 
ihre  Vorgesetzten  drohten,  nicht  langer  ertragen. 
Eb  nfalls  am  16.12.1971   sandte  der  Stadtrat  einen  Brief  an  den  Per- 
so  alrat,  in  dem  er  auf  seine  Sicht  der  Dinge  und  die  Unterstlitzung 
durch  den  Kreis  der  Oberflirsorgerinnen  hinwies.  Bevor  hier  der  letzte 
Abschnitt  dieses  Briefes  zitiert  wird,  soil  noch  darauf  hingewiesen 
werden,  daB  Stadtrat  G.  CDU-Mitglied  ist  und  seinen  Posten  der  groBen 
Rbmerkoalition  zwischen  SPD  und  CDU  verdankt: 

"SchlieBlich  muB  ich  die  Form  des  Schreibens  vom  26.11.1971   beanstan- 
den.  Als  Dezernent  und  hauptamtlicher  Beigeordneter  der  Stadt  Frank- 
furt a.M.  bin  ich  fiir  meine  Tatigkeit  dem  Magistrat  und  der  Stadtver- 
ordnetenversamntlung  verantwortlich.   Ich  trage  diese  Verantwortung  un- 
abha'ngig  von  der  Auffassung  anderer  Personen  oder  Gruppen.   Deshalb 
kann  ich  es  nicht  hinnehmen,  daB  eine  Gruppe  von  Sozialarbeitern  nrir 
vorschreiben  will,  in  welcher  Zeit  ich  verantwortliche  Tatigkeit  auslibe 
oder  in  welcher  Zeit  ich  auf  ein  Schreiben  zu  antworten  habe  und  mir 
fiir  den  Fall,  daB  ich  die  von  ihr  gesetzte  Frist  nicht  einhalte,  sogar 
die  unmittelbare  Verhandlung  mit  politischen  Gremien  androht.   Dies 
grenzt  schon  fast  an  Nbtigung.   Ich  ware  Ihnen  deshalb  dankbar,  wern 
Sie  die  Initiatoren  dieses  Schreibens  Liber  die  von  mir  dargestellte 
Sach-  und  Rechtslage  unterrichten  und  darauf  hinwirken  wollten,  daB 
derartige  Schreiben  in  Zukunft  unterbleiben,  die  nur  geeignet  sind, 
die  Zusammenarbeit  innerhalb  der  Sozialverwaltung  zu  gefahrden  und 


den  Arbeitsfrieden  zu  stbren." 

Nun  wurde  ein  Gesprach  zwischen  den  Leitern  der  Sozialstationen  fiir 
den  4.1.1972  vereinbart,  zu  dem  die  Initiativgruppe  Obdachlosenarbeit 
einen  "Vorschlag  zur  Konzipierung  der  Obdachlosenarbeit  in  Ffm."  als 
Diskussionsgrundlage  noch  Eride  Dez.   1971   an  die  Gesprachsteilnehmer 
versandte.   (siehe  nachster  Abschnitt) 

Wenige  Tage  danach  wurden  zwei  getrennte  Unterredungen  mit  in  der  Ob- 
dachlosenarbeit tatigen  Sozialarbeitern  gefiihrt,  zu  denen  diese  per 
Dienstanweisung  aufgefordert  worden  waren.nachdem  sie  sich  geweigert 
hatten,  statt  als  Gruppe  einzeln  erscheinen  zu  mlissen.  Auch  hier  stell- 
te  sich  wieder  heraus,  daB  der  groBte  Teil   der  Sozialarbeiter  Gemein- 
wesenarbeit forderte,  wa'hrend  die  Amtsleitung  die  Auflbsung  der  Not- 
unterkiinfte  mit  Einzelfallhilfe  unterstiitzen  wollte  und  Gemeinwesen- 
arbeit eventuell    billigte  fiir  Bewohner,  denen  iiberhaupt  nicht  zu  hel- 
fen  ist  und  die  auch  weiterhin  in  Notunterkiinften  leben  werden  m'u's- 
sen. 

Da  durch  die  verstarkten  Spaltungsbemlihungen  der  Behbrden  die  Unsi- 
cherheit  unter  den  Gruppenmitgliedern  wuchs,  baten  einige  von  ihnen, 
die  auch  Mitglieder  des  AKS  waren,  diesen  Arbeitskreis  urn  Mithilfe. 
Gemeinsam  erarbeitete  man  eine  Documentation  und  entschloB  sich,  den 
Konflikt  in  die  Offentlichkeit  zu  tragen.  Am  24.1.1972  wird  mit  der 
SPD-Fraktion  und  ca.   100  eingeladenen  Sozialarbeitern  das  Konzept  der 
Obdachlosenarbeit  diskutiert.    (siehe  auch  Geschichte  des  AKS) 
In  einem  anschl ieBenden  Brief  an  die  SPD-Fraktion  forderte  der  AKS 
politische  Beschllisse  zur  Sicherung  der  Diskussionsergebnisse: 

-  Realisierung  der  Gemeinwesenarbeit 

-  Einweisungsstop  in  Notunterkiinfte  usw. 

Im  Marz  1972  wurden  den  interessierten  Sozialarbeitern  auf  Wunsch  der 
Initiativgruppe  erstmals  die  Arbeitspapiere  zur  Vorbereitung  einer 
Magistratsvorlage  zum  Thema   "Raumung  der  stadtischen  Obdachlosensied- 
lungen"  zuganglich  gemacht.  Die  Gruppe  erarbeitete  dazu  eine  Stellung- 
nahme und  forderte  dringende  Snderungen.Nocn  i™er  standen  administra- 
tive Gesichtspunkte  an  erster  Stelle. 

Wenige  Monate  vor  der  Bundestagswahl  griff  der  Landesverband  Hessen  der 
Deutschen  Jungdemokraten  dieses  Thema  auf  und  lud  zu  einem  Wochenend- 
seminar  mit  dem  Titel    'Obdachlose  in  Hessen'  ein.  Hierdurch  wurde 
die  Presse  wieder  auf  die  Vorgange  in  Frankfurt  aufmerksam  gemacht. 
In  einem  groB  aufgemachten  Artikel  der  FAZ  vom  28.7.1972  hieB  es: 
"Von  Gemeinwesenarbeit,  also  davon,  daB  die  Obdachlosen  allmahlich 
befahigt  werden  sollen,  ihre  Interessen  selbst  zu  vertreten  gegen- 
iiber  einer  hier  fast  allmachtigen  Verwaltung,  spricht  der  Vorbericht 
des  Magistrats  erst  in  einem  SchluBabsatzchen,  das  der  "Initiativ- 
gruppe Obdachlosenarbeit"  aufsassiger  stadtischer  Sozialarbeiter  gar 
nicht  gefallt,   Gemeinwesenarbeit  soil   es  namlich  nur  geben  in  jenen 
Einfachstwohnungen  der  AhornstraSe,  die  kiinftig  als  Auffanglager  fiir 
Notfalle  und  Unverbesserliche  dienen  sollen.  Der  Einsatz  komme  dann 
zu  spat,  meinen  die  Sozialarbeiter,  die  Obdachlose  schon  heute  mehr 
an  der  Lbsung  ihrer  Probleme  beteiligt  sehen  wollen.    ...  Fiir  Frankfurt 
gibt  es  jetzt  erst  einmal  einen  Vorbericht  des  Magistrats,  der  mit 
seinem  kuhnen  Fu'nf jahresplan  alles  in  den  Schatten  stellt,  was  im 
Rahmen  der  Obdachlosenhilfe  selten  an  die  Sonne  kommt.  Ob  sich  die 

-  wenigstens  in  der  Planung  -  so  verhaltnismaBig  rasch  gera'umten  Not- 
quartiere  wirklich  auf  die  Dauer  freihalten  lassen,  wo  die  Sozial-         ^^ 


56 


arbeiter  zu  Einlibung  ins  "normale"  Leben  fehlen,  wird  sich  zeigen. 
Einstweiten  sorgt  wenigstens   "Pro  Familia"  .Deutsche  Gesellschaft  fiir 
Sexualberatung  und  Familienplanung,  die  in  Frankfurt  ihren  unruhigen 
Sitz  hat,  durch  immer  erfolgreichere  Hausbesuche  daflir,  daB  die  Fatni- 
lien  in  den  Notquartieren  nicht  noch  grb'Ser  werden..." 
Zu  eben  dieser  Zeit  -  im  Jul  i   1972  -  wurde  auf  Druck  der  Jusos  und 
gegen  den  Widerstand  des  rechten  HUgels  der  Frankfurter  SPD  die  Koa- 
lition  SPD/CDU  gelb'st.  Von  detn  neuen  sozialdemokratischen  Stadtrat 
Berg  erwarteten  die  Jusos  mehr  Dynamik  und  Aufgeschlossenheit.   In 
einer  ersten  Pressekonferenz  zum  Thema   'Obdachlosigkeit'   stellte  sich 
Berg  der  Dffentl ichkeit.  Die   'Frankfurter  Rundschau1   schreibt  am 
3.8.1972: 

"In  der  Pressekonferenz  am  Mittwoch  sah  sich  Berg  gezwungen,    'Bedenken 
auszuraumen' :  Der  ju'ngst  erkorene  Sozialdezernent  distanzierte  sich 
vom  Obdachlosenkonzept  des  Sozialausschusses  -  "Oberlegungen  meines 
Vorgangers  teile  ich  nicht"  -  und  versprach  eine  Oberarbeitung:   "Wir 
wissen  genau,  daB  die  bisher  betriebene  Sozialarbeit  unzureichend  ist", 
bekannte  Berg." 

Diese  neuen  Einsichten  ermutigte  die  Initiativgruppe  zu  einer  erneuten 
Bewerbung  unter  den  bekannten  Voraussetzungen.   Der  Stadtrat  stimmte 
den  Vorschlagen  zu.  Am  4.12.1972  wurde  die  Arbeitsaufnahme  zum  1 .2.73 
beschlossen.  Das  Protokoll  dieses  Gespraches  gait  als  gemeinsame  Ar- 
beitsunterlage. 


II  Vorstellungen  der  Sozialarbeiter 

Alle  Mitglieder  der  Initiativgruppe  haben  als  Sozialarbeiter  in  der 
Familienfursorge  gearbeitet  und  hatten  somit  dauernde  Auseinanderset- 
zungen  mit  dem  Obdachlosenproblem.  Sie  alle  sahen  in  der  Gemeinwesen- 
arbeit  die  einzige  Mbglichkeit,  konstruktive  Veranderungen  einzulei- 
ten.  Deshalb  bewarb  sich  ein  Teil   der  Gruppe  urn  die  noch  nicht  besetz- 
ten  sechs  Planstellen,  Der  Widerstand,  den  sie  als  Gruppe  zwei  Jahre 
erfahren  hatten,  fbrderte  ihren  Zusammenhalt.   Sie  waren  stolz  darauf, 
sich  gegen  alle  Vereinzelungsversuche  der  Sozialadministration  durch- 
gesetzt  zu  haben  und  das  Ziel,  Gemeinwesenarbeit  als  Fortschritt  ge- 
genuber  traditionellen  Former  der  Familienflirsorge  betreiben  zu  durfen, 
erreicht  zu  haben.  Gleichzeitig  wuchs  -  wenn  auch  oft  verdrangt  - 
die  Furcht  vor  der  nun  zu  bewa'ltigenden  Arbeit,  von  der  eigentlich 
niemand  genau  wuBte,  wie  sie  aussehen  sollte  und  ob  er  selbst  in  der 
Lage  sei,  die  gestellten  Anspruche  zu  erfu'llen.   Pldtzlich  wurde  man 
sich  ungeheurer  Lerndefizite  bewuBt  und  muBte  zugestehen,  daB  ein 
prazises  Arbeitsprogramm  erst  nach  dem  Ablauf  einiger  Fortbi ldungsse- 
minare  und  nach  mehrmonatiger  praktischer  Erfahrung  aufgestellt  wer- 
den kbnnte.  Hinzu  kam  noch  die  Schwierigkeit,  bei  Arbeitsbeginn  zwei 
bereits  in  der  Fachstelle  tatige  Sozialarbeiter  in  das  Team  zu  inte- 
grieren.  Dies  alles  brachte  neue  Konflikte  und  dam it  Lernhemmungen, 
Die  Frustratior.sangst  wuchs  und  bewirkte,  daB  man  inroer  weniger  be- 
reit  war  (oder  auch:   sein  konnte)  z.B.  mit  dem  AKS  die  Gruppenarbeit 
zu  diskutieren  bzw.   Kritik  anzunehmen.   Stattdessen  stellte  man  immer 
wieder  heraus,  welche  Erfblge  man  errungen  hatte:  frei  geregelte  Ar- 
beitszeit  und  -einteilung,  keine  direkten  Kontrollen,  hbhere  Besol- 
dung,  Supervision,  wissenschaftl iche  Ausarbeitung  der  Tatigkeit.  Ob- 
wohl   diese  Errungenschaften  fiir  alle  Mitglieder  der  Gruppe  sehr  be- 


deutungsvoll  waren,  verkannten  sie  aber,  daB  all  diese  Beschlusse 
nichts  liber  den  inhaltlichen  Charakter  ihrer  kiinftigen  Arbeit  aussag- 
ten.   Dazu  die  folgenden  Beispiele: 


orschlag  zur  Konzipierung  der  Obdachlosenar- 
vom  30.12.71  wurde  zunachst  das  Problem  der 
ert  und  begrLindet,  warum  dies  nur  durch  Gemein- 
i.  Man  ging  dann  noch  ein  wenig  naher  auf  die 
hre  typischen  Merkmale  ein  und  sagte  schlieS- 

aussehen  wird,  kann  erst  nach  praktischen  Er- 
ppe  der  Gemeinwesenarbeiter  festgelegt  werden. 
imale  Leistungen  zu  erreichen,  ist  es  notwen- 
Hilfsquellen  hinzuzuziehen,  die  es  ermbglichen 
isch  zu  ref lektieren. " 

S  Gemeinwesenarbeit  das  einzig  angestrebte  Ziel 
her  definiert  zu  sein. 


1 .  In  dem  "Diskussionsv 
beit  in  Frankfurt  a.M." 
Obdachlosigkeit  analysi 
wesenarbeit  zu  Ibsen  se 
Gemeinwesenarbeit  und  i 
lich  im  letzten  Absatz: 
"Wie  die  Arbeit  konkret 
fahrungen  durch  die  Gru 
Urn  in  dieser  Arbeit  opt 
dig,  wissenschaftliche 
helfen,  Begonnenes  krit 
Hieraus  geht  hervor,  da 
war,  ohne  inhaltlich  na 

2.  Als  das  Amt  des  Sozialdezernenten  neu  besetzt  wurde,  griff  die 
Gruppe  dies  als  Mbglichkeit  auf,  sich  erneut  zu  bewerben,  womit  sie 
dann  ja  auch  Erfolg  hatte.   In  diesem  Bewerbungsschreiben  werden  zwar 
prazisere  Forderungen  gestellt 

(z.B.    "Alle  Vorlagen  bezliglich  der  Obdachlosenhilfe.  ..mLissen  vom 
Team'erarbeitet  werden"),  doch  noch  im  selben  Brief  werden  diese  For- 
derungen schon  wieder  entkraftigt  durch  die  Feststellung: 
"Eine  detaillierte  Konzeption  fur  die  Frankfurter  Situation  kann 
erst  nach  genauer  Kenntnis  des  Arbeitsfeldes  und  der  Arbeitsplatzsitu- 
ation  in  Zusammenarbeit  mit  dem  Supervisor  und  den  betroffenen  Obdach- 
losen  erstellt  werden  und  bedarf  einer  dauernden  Reflektion  und  evtl. 
Oberarbeitung."  Obwohl   dies  eine  durchaus  sinnvolle  Feststellung  war, 
lieB  sie  den  Behbrdenvertretern  die  Mbglichkeit  offen,  u.U.  darauf 
hinzuweisen: 

'Ihr  wiBt  ja  selber  noch  nicht  einmal   genau  was  ihr  wollt,  und  da  wir 
auf  System  und  Planung  angewiesen  sind,  mliBt  ihr  euch  eben  erst  ein- 
mal  nach  unseren  Vorstellungen  richten,  die  sicher  besser  sind  als 
gar  keine. ' 

Wie  schwer  es  aber  ist,  sich  gegen  einmal   eingerichtete  administrati- 
ve Vorgange  zu  wehren  bzw.  sie  abzuschaffen,  das  weiB  jeder  Sozial- 
arbeiter aus  eigener  Erfahrung. 

Die  wichtigste  Arbeitsgrundlage  fur  das  Team  ist  nach  Aussage  einiger 
Mitglieder  das  Protokoll  des  Gesprachs  mit  dem  Stadtrat  und  der  Ab- 
teilungsleitung  vom  4.12.72,  das  wir  aus  diesem  Grund  hier  zunachst 
einmal    im  genauen  Wortlaut  abdrucken. 

Niederschrift  der  Besprechung  zwischen  Stadtrat  Berg  und  Sozialarbei- 
tern  des  Arbeitskreises  "Obdachlosenhilfe"  am  4.12.1972 

Folgende  Punkte  wurden  ubereinstimmend  verabredet: 

1.  Die  Sozialarbeiter  fiir  die  Gemeinwesenarbeit  arbeiten  als  Gruppe 
und  treten  als  Gruppe  auf.  Es  gibt  keine  Sachgebietsleiterin. 

2.  Die  Gruppe  akzeptiert  Herrn  Humbert  als  Beziehungsperson.  Herr 
Humbert  hat  die  Dienst-  und  Fachaufsicht.   Ist  bei    inhaltlichen  Fra-        K^J 


58 


gen  zwischen  der  Gruppe  und  Herrn  Humbert  keine  Obereinkunft  zu  er- 
zielen,  wird  die  Frage  in  einem  Gremium  verhandelt,  dem  zusatzlich 
Herr  Berg  und  Sachverstandige  auSerhalb  der  Stadtverwaltung  angehbren. 

3.  Die  Fortbildung  aller  Sozialarbeiter  zu  Gemeinwesenarbeit  wird 
als  notwendig  angesehen.   Die  einzige  Ausbildungsstatte  in  Hessen, 
Gelnhausen,  bietet  einen  Lehrgang  Uber  5  Quartale  ab  September  1973 
an.   Die  Anmeldung  mu'Bte  im  Januar  1973  erfolgen.  AuBerdem  ware  Geln- 
hausen bereit,  die  Gruppe  beim  Anfang  der  Arbeit  zu  beraten.   Es  muB 
noch  geklart  werden,  ob  das  zusa'tzliche  Kosten  verursacht  Oder  ob  das 
zu  den  KursgebLihren  gerechnet  wird.  Die  Anwesenden  halten  eine  Bera- 
tung  beim  Arbeitsanfang  flir  gunstig. 

4.  Die  Gruppe  erhalt  die  Mbglichkeit,   ihre  Arbeit  von  Anfang  an  wis- 
senschaftlich  uberprufen  zu  lassen.  Durch  Frau  Neumann  sind  bereits 
Kontakte  zu  Herrn  Iben  und  einem  anderen  Herrn  geschlossen  worden, 
die  ihre  Arbeit  in  der  MuhlbruchstraBe  begleiten.  Finanzielle  Forde- 
rungen  mu'Bten  vorher  abgeklart  werden.  Die  Gruppe  selber  sorgt  dafu'r, 
daB  die  wissenschaftliche  Begleitung  nicht  im  luftleeren  Raum  schwebt, 
sondern  eng  fachbezogen  ist. 

5.  Eine  Supervision  flir  die  Gruppe  wird  gewahrleistet.  Die  Supervi- 
sion soil  sich  hauptsachlich  auf  die  Beziehungen  der  Gruppenmitglie- 
der  untereinander  beziehen,  urn  Stbrungen  bei  der  Arbeit  schneller  in 
den  Griff  zu  bekommen.  Herr  Richter  aus  GieBen  wurde  bereits  ange- 
schrieben.   Eine  Antwort  stent  noch  aus.  Sollte  Herr  Richter  nicht  kbn- 
nen,  kame  auch  ein  Supervisor  aus  dem  Sigmund-Freud-Institut  Ffm.   in 
Betracht. 

6.  Herr  Berg  will    sicherstel len,  daB  die  Vorstellungen  der  Gruppe  im 
JWA  zu  Angel egenheiten  der  Betroffenen  gehbrt  werden. 

7.  Herr  Berg  ist  bestrebt,  daB  ein  Mitarbeiter  des  Sozialverwaltungs- 
amtes  standig   im  PlanungsausschuB  des  Bauamts  miteinbezogen  wird.   Da- 
durch  soil   auch  die  Gruppe  der  Gemeinwesenarbeiter  Kontakt  zum  Pla- 
nungsausschuB erhalten,  wenn  es  urn  die  Gebiete  geht,   in  denen  sie  ar- 
belten. 

8.  Herr  Humbert  si  chert  zu ,  daB  die  Gruppe  bei  der  Auf stel lung  des 
Haushaltsplans  flir  die  Fachstelle  mitbeteiligt  wird. 

9.  Soweit  eine  Rechtsberatung  mit  den  Betroffenen  nicht  mit  der  An- 
waltskammer  kollidiert,  soil  versucht  werden,  Obdachlose  bei  Rechts- 
problemen  evtl.  durch  Jurastudenten  oder  durch  die  stadtische  Rechts- 
stelle  zu  beraten.  Ein  Rechtsbeistand  kann  nicht  gewahrt  werden. 

10.  Alle  Mitglieder  der  Gruppe  werden  Antrage  auf  eine  Hbhergruppie- 
rung  stellen.  Berufsanfanger  nach  BAT  IV  b,  die  anderen  nach  BAT  IV  a. 
Die  Antrage  werden  von  Herrn  Berg  befurwortet.  Die  Gruppe  sieht  eine 
bessere  Einstufung  als  unerla'Blich  an  und  wird  sich  dafiir  mit  angemes- 
senen  Mitteln  einsetzen. 

11.  Die  Sozialstationen  Gallus  und  Eschersheim  haben  das  Recht,  urn  die 
freigewordenen  Planstellen  mbglichst  schnell  zu  besetzen,  eine  eige- 
ne  Annonce  aufzugeben. 

12.  Herr  Humbert  leitet  umgehend  die  Versetzung  ein.   Sie  soil  mbg- 
lichst zum  1.2.1973  erfolgen.   Die  Gruppe  fa'ngt  geschlossen  an    zu 
arbeiten. 

13.  Die  Anwesenden  einigten  sich  auf  folgende  Gebiete 

a)  eine  Dreiergruppe  NiederbornstraBe  50  -  58  mit  Einbeziehung  der 
Hochhauser 

b)  eine  Dreiergruppe  AhornstraBe  80-94  und  AhornstraBe  101   -  107 


c)  die  Arbeit  in  der  MiihlbruchstraBe  wird  fortgesetzt. 
14     Es  wird  eine  Zeit  von  zwei  Jahren  angesetzt,  nach  der  sich  her- 
ausgestellt  haben  sollte,  ob  die  Gemeinwesenarbeit  als  Methode  der 
Sozialarbeit  erfolgreich  war  und  zusatzlich  auf  andere  wohngebiete 
ausgedehnt  werden  soil. 

Frankfurt  (Main,  21.12.1972 

Verteiler: 

z.Hdn.   Herrn  Stadtrat  Berg 

z.Hdn.   Herrn  Humbert 

z.Hdn.    der  beteiligten  Sozialarbeiter 

Folgende  Kritikpunkte  haben  wir  erarbeitet: 

1     Aus  diesem  Protokoll   sollen  alle  weiteren  Anspruche  abgeleitet  wer- 
den kbnnen,  obwohl   dies  in  keinem  Satz  erwahnt  wird.  Das  ganze  Pro- 
tokoll geht  von  konfliktfreien  Arbeitsbedingungen  aus,  man  vertraut 
auf  qute  Beziehungen,  ein  angenehmes  Arbeitsklima. 

2.  Das  Protokoll   ist  nicht  von  beiden  Parteien  abgezeichnet,  also  for- 
mal  qar  nicht  anerkannt. 

3.  Die  einzelnen  Punkte  sind  so  vage  formuliert,  daB  es  mehrere  Mog- 
lichkeiten  der  Auslegung  gibt.  , 

4.  Verfugungsmbglichkeiten  uber  finanzielle  Mittel  wurden  nicht  fest- 

T  Die  hierarchische  Struktur  wurde  nicht  angetastet,  indem  die  Dienst- 
und  Fachaufsicht  einfach  eine  Stufe  hbher  verlegt  wurde 

6  In  dem  Protokoll  komrnt  der  Glaube  an  eine  objektive  Wissenschaft 
zjm  Ausdruck,  die  sogar  noch  in  der  Lage  sein  soil,  politische  Kon- 
flikte  zu   Ibsen.  _ 

7  Es  werden  keinerlei   Ziele  defimert. 

8^   Die  Betroffenen  bleiben  vbllig  unerwa'hnt. 

Die  Unsicherheit,  die   in  den  genannten  Beispielen  zum  Ausdruck  komrnt, 
verstarkte  schon  in  der  Planungsphase  die  ohnehin  machtige  Position 
der  Sozialadministration.  Es  konnten  Beschlusse  gefaBt  werden,  denen 
die  Sozialarbeiter  nichts  entgegenzusetzen  hatten  (s.  nachster  Ab- 
srhmtt)     Das  ganze  MaB  der  Abhangigkeit,  in  die  sich  die  Gruppe  selbst 
hineinmanovriert  hatte,  koimit  besonders  im  letzten  Abschnitt  des  Pro- 
tokolls  zum  Ausdruck.  Es  bestand  wohl   kein  Zweifel,  wer  nach  den  vor- 
gesehenen  zwei   Experimentierjahren  den  MaBs'.ab  fur  Erfolg  Oder  MiBer- 
folg  anlegen  wiirde. 


Ill  Vorstellungen  der  Behbrde 

Nach  der  Darstellung  der  Plane  des  Sozialarbeiter-Teams  stellte  sich 
nun  die  Frage  nach  den  Interessen  des  Sozialamtes,  diese  Vorschlage 
anzunehmen  und  zu  fbrdern:  Welche  Interessen  sind  deckungsgleich, 
wo  ergeben  sich  unterschiedliche  Zielvorstellungen,  gibt  es  auf  be- 
hbrdlicher  Seite  irgendwelche  Anzeichen  fur  eine  Ausweitung  der  Ver- 
antwortung  der  Sozialarbeiter?  _ 

El-nen  Monat  nach  dem  Gesprach  am  4.12.72,  aus  dem  das  zuvor  kriti-         J3  y 


sierte  Protokoll    hervorging,  hat  Stadtrat  Berg  ohne  Konsultation  des 
Teams  einen'Plan  zur  Auflosung  der  stadtischen  Obdachlosenunterkunfte  * 
vorgelegt,  der  von  den  Entscheidungsgremien  bewilligt  wurde.   Dies 
Schriftwerk  gibt  Anwort  auf  alle  o.g.  Fragen  und  beseitigt  schon  vor 
dem  Arbeitsbeginn  des  Teams  Liberfllissige  illusionen.  An  der  Ausarbei- 
tung  des  Planes  war  das  Team  nicht  beteiligt,  und  nachdem  schon  Foto- 
kopien  dieses  Planes   in  Sozialarbeiterkreisen  umliefen,  hatten  einige 
Team-Mitglieder  diesen  Plan  noch  nicht  einmal   gelesen.  Doch  nun  zum 
Plan  selbst: 

Ausgangspunkt  ist  eine  Analyse  des  Problems  der  Obdachlosigkeit.   Berg 
weist  darauf  hin,  daB  hier  "gesellschaftliche  und  wirtschaftliche  Hin- 
tergriinde"   zu  untersuchen  sind  und  die  Notwendigkeit  besteht,  nicht 
mehr  -  wie  bisher  -  die  Symptome, sondern  die  Ursachen  zu  bearbeiten. 
Wie  das  gemeint  ist,  wird  gleich  anschlieBend  erlautert: 
"An  die  Ursachen  heranzugehen     bedeutet,  von  der  Verwaltung  der  Obdach- 
losigkeit abzurlicken  und   ihre  Aufhebung  im  Prinzip  zu  betreiben.    (Anm. 
d.Red.  Wie  dies  am  sinnvollsten  zu  qeschehen  hat,  machte  Berg  als  Vor- 
sitzender  der  "AG  fur  kleine  Wohnungen"  deutlich,   indem  er  dort  bis 
zu   50  %-ige  Mietpreiserhbhungen  vertritt).   Die  daf'ur  notwendigen  Mit- 
tel   sind  mit  Sicherheit  weit  niedriger  als  die  fiir  alle  mb'glichen  Fol- 
gekosten,  die  entstehen,  wenn  es  bei  der  jetzigen  Art  der  Unterbrin- 
gung  bleiben  wlirde." 

Liest  man  daran  anschlieBend  noch  das  folgende  Zitat  aus  einem  Rund- 
brief  des  Stadtrates  an  alle  gemeinnutzigen  Wohnungsbaugesellschaften 
in  Ffm.  vom  8. 1.73   ,  so  wird  schon  die  Frage  nach  den  Interessen  der 
Sozialverwaltung-  und  damit  der  Frankfurter  SPD  -  an  diesem  Plan  be- 
antwortet: 
"Das  Derzernat  Soziales  und  Freizeit  hat  ein  Programm  zur  Raumung  der 

Obdachlosenunterkunfte  entwickelt Eine  so  groB  angelegte  Lbsung 

ist  bisher  in  der  Bundesrepubl ik  nicht  versucht  worden." 
Das  bedeutet  ganz  klar:  Mit  dieser  "groB  angelegten  Sa'uberungsaktion" 
des  Frankfurter  Stadtbildes,  die  sich  auBerdem  auch  und  nicht  zuletzt 
als  finanziell   ertragreich  erweist,  hofft  die  SPD  auf  eine   Image-Auf- 
wertung  nicht  nur  in  Frankfurt  .sondern  auch  auf  Bundesebene. 
Nun  ware  gegen  diese  Hoffnung  gar  nichts  einzuwenden,  wenn  dabei   die 
Interessen  der  Menschen  in  den  Unterku'nften  eindeutig  im  Vordergrund 
stunden.    In  diesem  Zusammenhang  stellte  Berg  zwar  fest,  daB  gegenwar- 
tig  keine  Frage  nach  individuel  ler  Schuld  gestellt  werden  dlirfe  und 
damit  jeder  Anspruch  auf  Sozialhilfe  besitze.  Dies  sei  jedoch  nur  not- 
wendig,  urn  eine  gleiche  Ausgangsposition  flir  alle  zu  schaffen  und  spa- 
tere  Abweichungen  dann  wieder  als   individuel 1   hinstellen  zu  kbnnen. 
Auf  die  Rolle  der  Sozialarbeiter  ging  Berg  unter  dem  Abschnitt  "Ziel- 
vorstellungen"  ein: 

"Das  dort  ta'tige  Sozialarbeiter-Team  soil  mit  alien  Methoden  der  So- 
zialarbeit,   insbesondere  auch  mit  denjenigen  der  Gemeinwesenarbeit,   an 
der  Integration  der  Familien  arbeiten.  Es  wird  seine  Aufgabe  sein, 
modellhaft  zu  entwickeln,  wie  ein  bedurfnisgerechtes  Wohn-  und  Lebens- 
gebiet  mit  gesel Ischaftl icher  Aufwertungstendenz  geschaffen  werden 
kann.     Und: 

"Die  Sozialarbeiter  sollen  mit  den  jetzt  in  den  Obdachlosenunterkiinf- 
ten  lebenden  Familien  intensiv  arbeiten  und  ihnen  helfen,  ihre  Proble- 
me   zu  erkennen  und  zu   . bewaltigen." 

Damit  waren  die  Rollen  der  Beteiligten  eindeutig  definiert.   Die  Bewoh- 
^j  Q   ner  der  Unterkiinfte  sollten  lernen,  mit  ihren  Problemen  allein  fertig 


zu  werden  -  also  der  Gesellschaft  nicht  liinger  zur  Last  fallen  -,   sie 
sollten  Anpassung  u'ben  und  dadurch  gesellschaftliche  Aufwertung  errei- 
chen     Der  Sozialarbeiter  durfte  sie  dabei  mit  alien  Mitteln  der  Kunst 
(GWA*.  Familientherapie,  finanzielle  Unterstutzung)  unterstutzen  und 
sollte  richtungsweisende  Anregungen  geben. 

Bleibt  zu  fragen,  was  geschieht,  wenn  nicht  simples  BewuBtsein  (Lei- 
stungsbewuBtsein)  , sondern  politische  Aktivitat  entwickelt  wird,  wenn 
sich  die  Bewohner'nicht  angepaBt .sondern  radikal   verhalten,  wenn  sie 
also  lernen,   ihre  Anspruche  und  ihr  Recht  energisch  und  konsequent 
zu  vertreten.   Ob  sie  dann  auch  noch  so  groSzligig  finanziell  unter- 
stlitzt  werden?  Oberhaupt:    ha'tte  man  dieses  Projekt  jemals   in  Angriff 
qenommen,  wenn  sich  keine  finanziellen  Gewinne  ergeben  w'urden? 
Somit  stand  fest,  daB  alle  Bereiche,  die  den   Interessenraum  der  Be- 
horde  direkt  beruhren,  durch  Kontrollen  abgedeckt  waren.  Obdachlose 
wie  Sozialarbeiter  durften  zwar  Wunsche  a'uBern,  aber  uber  die  Durch- 
fuhrung  entschieden  sie  nicht. 
Zusammenfassend   ist  also  festzustellen: 

Hinter  dem  Plan  zur  Auflosung  der  Obdachlosenunterkunfte  standen  macht- 
politische  Zielsetzungen,  weitgehend  verstarkt  durch  finanzielle  Vor- 
teile     Die  Emanzipation  der  Bewohner  war  drittrangig. 
Von  den  Sozialarbeitern  wurde  erwartet,  daB  sie  sich  mit  diesen  Zie- 
len   (SPD-Image-Aufwertung,  gesellschaftliche  Anpassung,  finanzielle 
Einsparungen)   identif izierten.   Nur  unter  dieser  Voraussetzung  namlich 
kdnnen  sie  das  Problemlosungsverhalten  der  Bewohner  den  gesel lschaft- 
lichen  Normen  anpassen  und  die  gewunschte  Aufwertung  erreichen.   Wurde 
ihnen  diese  Anpassung  der  Obdachlosen  jedoch  nicht  gelingen,  so  wurde 
ihre  Arbeit  als  erfolglos  beurteilt  und  nach  dem  Probezeitraum  von 
zwei  Oahren  beendet  werden. 


IV   Konfliktstrategien 

In  diesem  Abschnitt  'libernehmen  wir  einmal    einen  Auszug  aus  dem  Ar- 
heitspapier  der  AG  Gemeinwesenarbeit  in  der  Victor-Gollancz-Stiftung 
zu    'Tendenzen  der  GWA  in  der  BRD1   und  zum  anderen  versuchen  wir,  Kon- 
seauenzen  aus  der  Analyse  der  bisherigen  Auseinandersetzungen  zwi- 
schen  Sozialarbeiter  und  der  Verwaltung  zu  Ziehen.  Die  Strategien 
sollen  so  formuliert  werden,  daB  sie  sich  auch  auf  andere  Gebiete  der 
Sozialarbeit  anwenden  lassen. 

nie  Analyse  bisheriger  Ansatze  von  GWA  in  der  BRD,  wie  auch  der  Ver- 
such  GWA  in  Ffm.   zu  institutionalisieren,  zeigt  deutlich  2  Entwick- 
lungstendenzen  auf: 

iii     GWA  ist  Bestandteil   einer  Reform  der  instituionalisierten  Sozial- 
arbeit in  kommunalen  Biirokratien,  Verbanden  etc.,  urn  diese  zu  ratio- 
nalisieren  und  damit  auch  zu  "verbi lligen". 

2     Sie  ist  auBerdem  Ausdruck  und  AusfluB  einer  Reformstrategie  von 
Iconununaler  Politik  und  Planung  insgesamt,  die  unter  den  Schlagworten 
"burgernahe  Verwaltung",  "Partizipation  an  der  und  Demokratisierung 
Aer  Planung"  einerseits  auf  den  Druck  von  Burgerinitiativen  reagiert 
und  andererseits  auf  die  aufgezwungene  Notwendigkeit,   im  Interesse 
qesamtstaatl icher  Konjunktursteuerung  eine  flexiblere  Investitions- 


61 


MATERIALIEN 

ZUR    JUGEND-  UND   SOZIALARBEIT 


NR.    1 

ZWISCHENAUSWERTUNG  DES  PROJEKTES 

IN  DER  FAMILIENFORSORGE  DER  STADT 

KOLN 

Margot  Dolls 

Die  Projektgruppe  ging  bei  der  Hypo- 

thesenbildung  von  folgenden  Fragen 

aus: 

1)  1st  die  Arbeit  del-  Familienfursor- 
ge  zu  sehr  zufallsbedingt? 

2)  1st  die  Arbeit  zu  sehr  passiv-reak- 
tiv  und  aktiv-vereinzelt? 

3)  Fordert  die  Arbeit  der  FamilienfUr- 
sorge  subjektivistische  Denk-  und 
Handlungsweisen? 

4)  Provoziert  die  Arbeit  der  Familien- 
fUrsorge  privati stische  Lbsungen? 

5)  1st  die  Arbeit  der  Familienfursorge 
unrationell  und  damit  undkonomisch? 
(Selbstkostenpreis  DM  2.50  je  Expl.) 

NR.  2 

HAIDHAUSER:   VERTEIDIGT  EURE  LEBENSBE- 
DINGUNGEN!  GWA  IN  MONCHEN-HAIDHAUSEN 
ARBEITSBERICHT  1970/71 
Haidhausen-BLiro 

Der  Bericht  beschreibt  die  Arbeit  des 
von  der  Victor  Gollancz-Stiftung  ge- 
tragenen  Arbeitsfeldmodells  "Haidhau- 
sen-Buro, Stadtteil-Inforrnation"    im 
Stadterneuerungsgebiet  Munchen-Haidhau- 
sen  wahrend  des  Zeitraumes  November 
1970  bis  Oktober  1971   und  enthalt  erste 
Einschatzungen  der  eigenen  Arbeit.   Der 
zweite  Arbeitsbericht  (November  1971   - 
Oktober  1972)  wird   im  Sommer   1973  er- 
scheinen. 
(Selbstkostenpreis  DM  6.00  je  Expl.) 


HERAUSGEGEBEN  VON  DER 
VICTOR  GOLLANCZ-STIFTUNG  E.V. 


6  FRANKFURT/MAIN 

WILHELM  LEUSCHNER-STRASSE  25 


NR.  3 

KAMPF  UM  EIN  JUGENDHOHNKOLLEKTIV 
PLANSPIEL  UND  WIRKLICHKEIT 
Christian  Marzahn  und  Arbeits- 
gruppe  MODELLE  OFFENE  JUGEND  - 
HILFE 

An  einem  Planspiel,  dessen  Spielphasen 
und  Konflikte  mit  Dokumenten  aus  der 
Geschichte  der  Jugendwohnkollektive 
konfrontiert  werden,  wird  versucht,  das 
Spannungsfeld  aufzuzeigen,  in  dem  sich 
Jugendwohnkollektive  befinden.  Hier- 
durch  werden  nicht  nur  die  spezifi- 
schen  Probleme  der  Jugendwohnkollektive 
deutlich,  sondern  auch  die  Funktion  von 
Sozialarbeit  im  Zusammenspiel  von  Be- 
hbrden,  Presse  und  Polizei. 

(Selbstkostenpreis  DM  6.00  je  Expl.) 

NR.  4 

GEMEINWESENARBEIT  IN  DER  BRD 
PRAXIS  UND  AUSBILDUNG  1971/72 
Arbeitsgruppe  GEMEINWESENARBEIT 

Der  Bericht  enthalt  im  ersten  Teil  die 
Auswertung  einer  Befragung  von  38  GWA- 
Projekten  in  der  BRD  im  Jahre  1971.  Er 
untersucht  die  Konzeption  der  Projekte 
und  ihre  Trager,  die  praktische  Pro- 
jektarbeit,  die  kommunalpolitischen 
Strategien,  die  institutionel len  Pro- 
bleme der  Arbeitsplatze,  das  Selbstver- 
sta'ndnis  und  die  Qualif ikation  der  Ge- 
meinwesenarbeiter,  Der  zweite  Teil  be- 
richtet  Liber  den  Stand  der  Ausbildung 
in  GWA  an  den  Fachhochschulen  auf  der 
Grundlage  einer  Fragebogenerhebung  im 
April/Mai  1972. 
(Selbstkostenpreis  DM  4,00  je  Expl.) 

NR.  5/5  (2  Teile) 

READER:  JUGENDWOHNKOLLEKTIVE 
Die  Entwicklung  der  Jugendwohnkollekti- 
ve wird  in  ihrem  politischen  Zusammen- 
hang  dargestellt,  neue  Tendenzen  werden 
herausgearbeitet.  Dabei  wird  gezeigt, 
daB  eine  wirksame  Hilfe  auch  in  Jugend- 
wohnkollektiven  nicht  mbglich  ist,  so- 
lange  nicht  inhaltlich  und  methodised 
an  der  gesamten  Lebenssituation  Jugend- 
licher  angesetzt  wird.  Der  Reader  ent- 
halt eine  Reihe  bisher  schwer  zugang- 
licher  Texte  sowie  eine  ausfiihrliche 
Literaturliste, 
(Selbstkostenpreis  DM  8.00  je  Expl.) 


politik  zu  betreiben. 

Parti  zipation  bedeutet  fur  die  Interessen  der  staatlichen  und  kommuna- 
len  Planungsinstanzen  wie  der  Verbande,  egal,  wie  sie  es  sonst  auch 
offiziell     bezeichnen  mbgen,  primar  "Konfliktvermeidungsstragie  ",  wie 
es    klirzlich  von  einem  hessischen  Ministerialbeamten  in  Gesprach  aus- 
driicklich  so  formuliert  wurde.  Das  Risiko  dieses  Einsatzes  von  GWA  als 
Reformstrategie  von  oben  liegt  darin,  daB  sie  in  der  Praxis  korrespon- 
dieren  kann  mit  Bewegungen  und  Initiativen  in  der  Bevolkerung,  die 
sich  fur  eine  Verbesserung  ihrer  Lebensbedingungen  orgam'sieren,   ar- 
beiten  und  kampfen,  und  dadurch  gerade  Konflikte  provoziert. 
Erst  in  dem  Moment  allerdings,  wo  GWA  relevante  Basisbewegungen  in 
der  Bevolkerung  effektiv  unterstiitzen  kann   (und  nur  in  bestimmten  Si- 

tuationen  "anflihren",   "befahigen",  "anleiten" oder  was  sonst  noch 

an   Illusionen  Uber  die  politischen  Mbglichkeiten  von  GWA  existiert), 
ist  es  politisch  vertretbar,  sie  als  eine  Reformstrategie  von  unten 
zu   bezeichnen. 

Wenn  es  also  einerseits  notwendig  ist,  die  Funktion  der  GWA  als  Inte- 
grations- und  Befriedungstaktik  von  planenden  Institutionen  im  kommu- 
nalen  Bereich  zu  erkennen,  so  muB  es  andererseits  darum  gehen,   in  den 
konkreten  Praxisfeldern  Ansatzpunkte  ausfindig  zu  machen,  die  GWA  in 
den  Oienst  demokratischer  Initiativen  in  der  Bevolkerung  stellen. 
Eben  in  diesem  Widerspruch:  Agent  der  Institutionen  -  Bundnispartner 
von  Basisbewegungen 

ist   zunachst  grundsa'tzlich  die  Position  des  Gemeinwesenarbeiters  zu 
sehen.   Es  geht  darum,  aus  dieser  widerspruchl ichen  Rolle  sowohl   in 
einer'langfristigen  Strategie,  als  auch  in  konkreten  taktischen  Er- 
wagungen  die  richtigen  Konsequenzen  zu  Ziehen.   Hierzu   laSt  sich  erst 
einmal  ganz  allgemein  sagen: 

Weder  der  Gemeinwesenarbeiter  als  Berufsrevolutionar  noch  als  klassen- 
oder  konfliktneutraler  Befahiger  werden  realistische  Strategien  im 
Interesse  der  Verbesserung  der  Lebensbedingungen  entwickeln  konnen. 

Zur  Korkretisierung  der  Strategie  mlissen  die  Praxisbereiche  der  bei- 
den  genannten  Reformtendenzen  noch  genauer  differenziert  werden: 

1  Die  Modernisierung  und  Rationalisierung  der  Sozialarbeit  im  kommu- 
nalen  Feld  wird  in  zwei  entscheidenden  Bereichen  vorgenommen: 

a)  Eine  effektivere  Planung  sozialer  Einrichtungen  und  MaSnahmen  ist 
nur  mbglich,  wenn  die  Kooperationsformen  zwischen  kommunaler  Biirokra- 
tie  und  Verbanden  auch  intrainstitutionell  verbessert  werden. 
Hierfiir  sind  Experten  in  Sozialplanung  notwendig. 

b)  Zugleich  mu'ssen  die  Sozialarbeiter  an  der  Basis  flir  eine  solche  Pla- 
nung Bedurfniserforschung  betreiben  und  die  Betroffenen  durch  entspre- 
chende  Methoden  in  den  PlanungsprozeS  integrieren.  Das  gilt  auch  ganz 
besonders  fur  die  sogenannten  randstandigen  Bevolkerungsgruppen. 

2  Die  Entwicklungsplanung  der  Gemeinden  ist  heute  als  Instrument 
staatlicher  Infrastrukturpolitik  einerseits  zunehmend  notwendig,  und 
andererseits  -  insbesond&re  wegen  der  prekaren  Finanzsituation  und 
der  ihr  zugrundeliegenden  Abhangigkeit  von  der  staatlichen  Konjunktur- 
politik  -  stark  behindert.  Um  der  aufgrund  dieses  Widerspruchs  in  der 
staatlichen  Politik  wachsenden  Unzulanglichkeit  der  kommunalen  Planung  QQ 


in  Bezug  auf  soziale  Investitionen  abzuhelfen,  soil 

a)  die  Einbeziehung  sozialkultureller  Gesichtspunkte  in  die  Stadtpla- 
nung  -  etwa  durch  die  Teilnahme  von  leitenden  Mitarbeitern  der  Sozial- 
verwaltungen  an  Planungsausschiissen  etc.  -  eine  "Sozial-sensibilisier- 
te  Stadtplanung"  (diese  Bezeichnung  stammt  aus  der  Stuttgarter  Stadt- 
verwaltung)  zur  Folge  haben. 

Schon  diese  Begriffsbestimtnung  deutet  allerdings  auf  die  Grenzen  sol- 
cher  Versuche  hin,   Eine  soziale  Sensibilisierung  bedeutet  noch  lange 
nicht  eine  Stadtplanung  nach  sozialen  Grundsatzen,  was  sicherlich 
viele  Sozialarbeiter  in  ihrer  Praxis  erfahren. 

b)  Beim  Einsatz  der  GWA  im  Rahmen  von  stadtebaulicher  Planung  geht 

es  nicht  nur ,  wie  eine  eingeschrankte  Definition  des  SozialDlans  nach 
den  Stadtebaufbrderungsgesetz  meint,  um  die  Vermeidung  von  Ha'rten  fur 
bestimmte  Bevb'lkerungsgruppen,  die  von  diesen  Umstrukturierungspro- 
zessen  besonders  nachteilig  betroffen  sind,   sondern  auch  um  den  Ver- 
such,  durch  Beteiligungsstrategien  eine  Identifikation  der  Betroffe- 
nen  mit  den  Planungsentscheidungen  und  den  sich  daraus  ergebenden  Kon- 
sequenzen  zu  erreichen.  Bereits  im  Sta'dtebaubericht  70  der  Bundesre- 
gierung  wird  GWA  zu  diesem  Zweck  als  niitzliche  Methode  angepriesen. 

Die  Experten  fur  Sozialplanung,  die  mittlere  und  obere  Funktionen   in 
den  Institutionen  wahrnehmen  (1.   a)  und  2.  a)  ),  werden  in  den  mei- 
sten  Fallen  gendtigt  sein,  sich  mit  den  "Sachzwangen"  der  Planung  mehr 
Oder  weniger  zu   identifizieren,  und  befinden  sich  daher  potentiell 
im  Widerspruch  zu  den  Forderungen  und  Formen  der  Auseinandersetzung 
von  Gruppen  der  Bevolkerung.   Sie  sind  in  ihrer  praktischen  Arbeit  da- 
her emem  eigenartigen  Dilemma  ausgesetzt: 

Sie  miissen  die  Offentlichkeit ,  auf  die  sie  eigentlich  als  ihren  Adres- 
saten  angewiesen  sind,  zugleich  von  aktiver  Partizipation  fernhalten. 

Auszunutzen  fiir  eine  politische  Strategie  im  Interesse  der  benachtei- 
ligten  Gruppen  von  Stadtbewohnern  sind  daher  primar  die  Praxisfelder 
1.   b)  und  2.  b),  d.h.  die  Positionen  an  der  Basis  der  Institutionen. 
Wenn  keme  organisierten  Bewegungen  in  diesen  sta'dtischen  Bereichen 
existieren,  wird   es  fur  die  Gemeinwesenarbeiter,  die  offiziell   die 
Funktionen  1.   b)  und  2.   b)  wahrnehmen  miissen,  notig  sein,  sich  ge- 
werkschaftlich  zu  organisieren,  um  sich  gegen  eine  Funktional isie- 
rung  im  Interesse  der  Reform  von  oben  abzustiitzen,  bzw.  sich  gegen 
sie  zu  wappnen.  Auf  keinen  Fall  durfen  sie  der  Illusion  erliegen,  als 
konnten  sie  allein  als  "Profis"  in  den  Institutionen  soziale  Bewe- 
gungen der  Bevolkerung  langfristig  initiieren  und  organisieren.    Ihre 
Aufgabe  kann  nur  darin  bestehen,  solche  Bewegungen  -  und  seien  sie 
noch  so  schwach  -  durch  Aufklamng  iiber  politische  Zusammenhange  und 
konkrete  Hilfestellung  unter  Ausnutzung  der  institutionellen  Apparate 
zu  unter stlitzen."  Eine  so  eindeutige  Parteinahme  kann  in  bestimmten 
Konf liktsituationen  Repressalien  von  Seiten  des  jeweiligen  Arbeit- 
gebers  zur  Folge  haben,  was  ja  auch  die  Disziplinierungsversuche  des 
Sozialdezernenten  in  Ffm.  zeigen. 

Ausgehend  von  den  Erfahrungen  der  GWA-Gruppe  wollen  wir  versuchen, 
eimge  Punkte  einer  Konfliktstrategie  anzugehen: 

C  A       ''    -m /order9rund  der  Forderungen  hat  nicht  das  Eigeninteresse  der 
b4      Sozialarbeiter,  das  sich  uberwiegend  als  Professionalisierungsinter- 


esse  darstellt,  zu  stehen,  sondern  das  Interesse  des    'Klientel',  das 

begriffen  wird  als  ein  Teil  der  Arbeiterklasse. 

Im  Vordergrund  hat  zu  stehen  die  Solidaritat  mit  den  Betroffenen,  die 

sich  u.a.   darstellt  in  einer  konsequenten  Vertretung  der  materiellen 

Interessen  und  extensiver  Ausnutzung  der  Gesetze. 

Auf  diesem  Hintergrund  ist  auch  das  Eigeninteresse  der  Sozialarbeiter 

im  Hinblick  auf  tnaterielle  Verbesserung  und  Veranderung  der  Arbeits- 

platzsituation  zu  definieren. 

Um  diese   Interessen  gegeniiber  der  Sozialburokratie  durchzusetzen,  ist 

Solidaritat  und  Organisation   (Gruppenbildung)  unter  den  Kollegen  not- 

wendig. 

Zusammen  mit  interessierten  Kollegen  ist  nach  der  Verstandigung  liber 

die  gemeinsamen  Ziele  eine  konsequente  "Ist-Analyse"   auszuarbeiten: 

Dazu  gehb'ren  folgende  Punkte: 

a)  Es  ist  eine  politische  Einschatzung  der  gesellschaftlichen  Situa- 
tion .insbesondere  der  Funktion  des  Staates  zu  leisten,  was  auch  be- 
deutet, den  eigenen  politischen  Standort  abzuklaren  und  die  verschie- 
denen  Zielvorstellungen     in  Einklang  zu  bringen. 

b)  Die  Gruppe  hat  sich  ein  genaues  Bild  zu  machen  von  der  Zielgruppe 
ihrer  Arbeit,  den  Auswirkungen  burqerl  icher  Sozialpolitik  und  der 
Gesetze  auf  die  Lebensbedingungen  der  Klienten. 

c)  Ober  die  allgemeine  politische  Einschatzung  hinaus  muB  die  speziel- 
le  Situation  der  Administration  in  der  politischen  Auseinandersetzung 
geklart  werden. 

Es   ist  zu  fragen,  welche  Interessen  z.B.  dieser  bestimmte  Verwaltungs- 
zweig  an  der  Durchsetzung  bestimmter  Ziele  hat,  wie  die  Krafteverhalt- 
nisse   bestimmt  werden,  wo  Gegner,  Fursprecher  sind  und  welchen  Stand- 
ort die  eigene  Zielgruppe  (hier  die  Obdachlosen)  einnimmt.  Nur  in  der 
Konfrontation  der  eigenen  Zielvorstellungen  mit  den  Zielvorstellungen 
der  Administration  kann  die  eigene  Position  vollkommen  erkannt  und 
ausgenutzt  werden,  kann  ein  Handlungsspielraum  erkampft  werden. 

d)  Es    ist   abzuklaren,   welchen  Arbeitsbestimmungen  die  Sozialarbeiter 
in  der   Institution  unterliegen,  welche  Funktion  diese  Bestimmungen  ha- 
ben, welchen  Verpflichtungen  die  Administration  und  die    'Vorgesetzten' 
unterliegen  und  welche  Gesetze  und  Bestimmungen  fiir  oder  gegen  die 
Gruppe  bzw.  den  Einzelnen  verwandt  werden  kdnnen. 

e)  Es  ist  die  Funktion  der  Gesetze,  Aufgaben,  MaBnahmen  und  Entschei- 
dungen  zu   klaren,  auf  denen  das  Handeln  der  Sozialarbeiter  beruht; 
was  kann  ausgenutzt  werden,  was  ist  Kontrolle,  Strafe,  Sanktion  etc.? 

In  diesem  Zusammenhang  ist  zu  untersuchen,  wie  diese  MaBnahmen  von 
den  Klienten  erlebt  werden  und  welcher  Zusamnenhang  zwischen  ihren 
Lebensbedingungen  und  ihrem  politischen  BewuStsein  besteht. 

f)  Auch  die  Beziehungen  der  Gruppenmitgl  ieder  untereinander  miissen 
geklart  sein,  ein  Konfliktlbsungsverhalten  muB  entwickelt  werden. 
Wahrend  der  Auseinandersetzung  mit  der  Institution  kbnnen  namlich 
Konflikte  in  der  Innengruppe  sehr  hemmend  und  energieschluckend  wir- 
ken. 

Bevor  es  an  die  Durchsetzung  der  Ziele  geht,  sollte  noch  iiberlegt  wer- 
den: 

2     Mit  welchen  AuBengruppen  kann  Kontakt  aufgenommen  werden,  bei  wem 
IcSnnte  Interesse  fiir  die  eigenen  Ziele  bestehen  oder  erweckt  werden:      gg 


bei  Kollegen  in  anderen  Institutionen,  bei  politischen  oder  gewerk- 
schaftlichen  Gruppen,  bei  Biirgerinitiativen  etc.? 

3.  Wie  kann  das  'Klientel'  mit  einbezogen  werden,  welche  Funktion  kann 
es  libernehmen?  Welche  Forderungen  konnen  zur  Mobil isierung  und  Pol i - 
tisierung  der  Betroffenen  beitragen? 

4.  Wie  konnen  die  lokalen  Kommunikationsmittel ,  also  Zeitungen,  Rund- 
funk,  Fernsehen,  benutzt  werden;  wann  sind  sie  einzusetzen,  welche 
Wirkung  kbnnte  ihr  Einsatz  haben? 

Beginnt  man  schlieBlich  Forderungen  zu  stellen,  nachdem  die  Gruppe 
sich  liber  die  vorhergehenden  Punkte  geeinigt  hat,  so  ist  zu  beachten: 

5.  Man  sollte  von  Anfang  an  nur  als  geschlossene  Gruppe  auftreten 
und  mit  alien  Mitteln  den  Individual  isierungsbemlihungen  der  Admini- 
stration widerstehen. 

6.  Rasche,  gezielte,  durchdachte  Reaktionen  sind  notwendig.  Alle  fi- 
nanziellen  oder  personellen  Veranderungen  innerhalb  des  Amtes  sind 
auszunutzen.  Schriftlich  gestellte  Forderungen  mu'ssen  genau  geplant 
sein  und  dlirfen  nicht  beim  leisesten  Widerstand  zuriickgenommen  wer- 
den. 

7.  Alle  Absprachen  und  Beschlusse  zwischen  Vertretern  der  Administra- 
tion und  der  Gruppe  mu'ssen  schriftlich  formuliert  und  von  beiden  Par- 
teien  abgezeichnet  werden. 

8.  Der  Informationsstand  innerhalb  der  Gruppe  muS  immer  ausgeglichen 
sein. 

AbschlieBend  ist  noch  zweierlei  festzustellen:  Die  Zusammenstellung 
dieser  Strategien  ist  zwangslaufig  unvollsta'ndig,  da  sie  nur  einem 
begrenzten  Erfahrungskreis  entstammen.  Ihre  Erga'nzung  durch  andere 
Gruppen  und  Meinungen  sollte  u.a.  Ziel  dieses  Artikels  sein.  Die  Not- 
wendigkeit  von  Konflikten  ist  anzuerkennen.  Sozialarbeiter  sollten 
nicht  Konflikten  ausweichen,  sondern  sie  forcieren  -  allein  dadurch 
kann  Veranderung  erreicht  werden.  Voraussetzung  ist  dafiir  die  Fa'hig- 
keit,  den  Umgang  mit  Konflikten  so  beherrschen  zu  lernen,  daB  die 
Gratwanderung  zwischen  der  Macht  der  Administration  und  der  Erkam- 
pfung  von  Handlungsspielraum  nicht  zum  eigenen  Absturz  flihrt. 


66 


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INFORMATIONSDIENST  ARBEITERBILDUNG 

Dieser  Informationsdienst  ist  fiir  Sozialisten  in  der  Bildungs- 
*r^]t.  in  den  Gewerkschaften,  in  den  Volkshochschulen,  an 
Bildungsstatten,  in  Jugendverbanden,  Jugendqruppen  und  politi- 
schen Gruppen. 

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Verlag  200o  GmbH,  6o5  Offenbach  4,  Postfach  591 


Diskussionsergebnis 

der  4.   Redaktionssitzung  zum  Info  2 


Im  Vorwort  haben  wir  schon  darauf  hingewiesen,  daB  die  hier  abgedruck- 
ten  Konfliktberichte  unter  erheblichem  Zeitaufwand  und  groBen  Schwie- 
riqkeiten  entstanden  sind.  Das  Ergebnis  der  Arbeit  an  diesem  Info 
stellt  eine  Momentaufnahme  in  einem  ProzeB  der  Politisierung  und  Orga- 
nisierung  sowie  Strategiebestimmung  Frankfurter  Sozialarbeiter  dar. 

Die  Berichte  spiegeln  den  BewuBtseinsstand  einer  groBen  Zahl   von  So- 
zialarbeitern  wider,  die  -  ohne  bereits  liber  eine  langfristige  politi- 
sche  Strategic  zu  verfligen  -  fiir  eine  Verbesserung  ihrer  Arbeitsbedin- 
gungen  eintreten,  und  die  Funktion  der  Sozialarbeit  im  Interesse  des 
'Klientel'  vera'ndern  wollen. 

Es  war  nicht  zu  erwarten,  daB  die  Berichte  eine  Antwort  auf  die     rich- 
tiqe  Strategie'   geben;   sie  werfen  aber  Fragen  und  Probleme  auf,  die 
fur  alle  Sozialarbeitergruppen  zu  diskutieren  notwendig  sind. 

Folqende  Kritikpunkte  und  Fragestellungen  sind  in  der  Redaktionssit- 
zunq  am  5.5.1973  in  Frankfurt  herausgearbeitet  worden: 

1  Die  Darstellung  der  Konflikte  bleibt  der  Erscheinungsebene  verhaf- 
tet     Rolle  und  Motivation  sowie  die  subjektiven  Interessen  der  Kon- 
fliktpartner  werden  dargestellt.   Es  fehlt  eine  ausreichende  politische 
Analyse  der  Konfliktbedingungen.  Deshalb  dominieren  strategische  Ober- 
leaungen  gegenuber  Zielbestimmungen. 

Zu  fragen  ist:  Kann  aus  den  Konflikten  am  Arbeitsplatz  der  Sozialar- 
beiter eine  politische  Zielbestimmung  entwickelt  werden? 
Ist  eine  politische  Organisierung  der  Sozialarbeiter/Sozialpadagogen 
moalich,  die  allein  an  den  am  Arbeitsplatz  erfahrenen  Widerspruchen 
ansetzt'  Welche  Bedingungen  sind  zu  schaffen,  damit  die  Auseinander- 
setzungen  sich  nicht  auf  das  'Professionalitatsinteresse  der  Sozial- 
arbeiter'  beschranken?  . 

2  Die  Konflikte  berichten  liber  subjektive  Erfahrungen.  Fur  Schwie- 
rickeiten  in  der  Durchsetzung  kurzfristiger  Ziele  und  fur  falsche  Stra- 
teaien  werden  u.a.    "subjektive  Mangel"  verantwortlich  gemacht.   Die 
Funktionen  der  Institutionen  der  Sozialarbeit  als  ein  Moment  der  Stra- 
teaien  des  Kapitals  zur  Kontrolle  und  Diszipl  inierung  des  Proletariats 
wurde  zu  wenig  reflektiert.   Das  drlickt  sich  nicht  zuletzt  dann  aus, 
HaB  in  alien  Berichten  die  Lage  der  von  der  Sozialarbeit  Betroffenen 
nicht  dargestellt,    in  den  Konflikten  selbst  keine  politische  Praxis 
mit  den  Betroffenen  entwickelt  wurde. 

1st  eine  "berufsbezogene"  Organisierung  der  im  Sozialbereich  Ta'tigen 

/,  b     in  AKS-Gruppen)   politisch  sinnvoll?  Welche  Voraussetzungen  sind 

zu'schaffen,  damit  "berufsbezogene  Basisgruppen"  sich  nicht  im  "be- 

rufsstandischen  Reformismus"  verlieren? 

Mit  welchen  Inhalten  und  in  welchem  Organisationszusammenhang  ist  eine  ^  f 


sozial istische  Perspektive  in  der  Sozialarbeit  zu  entwickeln,  und  wie 
kann  ein  politischer  Organisationszusaimienhang  zwischen  den  im  Sozial be- 
reich  Tatigen  und  den  Betroffenen  und  deren  Kampfen  hergestellt  werden? 
Welchen  Stellenwert  hat  dabei  die  Arbeit  in/bzw.  mit  den  Gewerkschaf- 
ten? 

3.  Dei-  AKS-Frankfurt  hatte  in  seiner  bisherigen  Arbeit  die  Organisie- 
rung  der  Sozialarbeiter  und  Sozialpadagogen  zum  Ziel.  Der  Bericht  Liber 
die  AKS-Praxis  ist  Ausdruck  dieser  seiner  bisherigen  Orientierung. 
Die  Aufarbeitung  dieser  Vergangenheit  hat  bewuBt  gemacht,  daB  Politi- 
sierung  und  Organisierung  der  Sozialarbeiter  nicht  Ziel,  sondern  Mit- 
tel  sein  muB  im  Kampf  gegen  kapitalistische  Verelendung  des  Proleta- 
riats und  seiner  doppelt  deklassierten  Randgruppen. 

Die  Diskussion  urn  die  konkreten  Inhalte  der  zuklinftigen  Arbeit   ist 
noch  nicht  abgeschlossen.   Eine  breite  Diskussion  und  Kritik  unserer 
Erfahrungen  ist  dabei   eine  Hilfe. 


ARBEITSGEMEINSCHAFT     DROGENHILFE 
WIESBADEN     e.  V. 

Wir  suchen  zum  alsbaldigen  Eintritt  ein  Team  von 

Sozialarbeitern  (innen)  und 
Psychologen  (innen) 

fiir  ein  neu  aufzubauendes  Reha-Zentrum  fur  ca.  10  bis  12  klinisch 
entzogene  Jugendliche.  Ein  Haus  in  Wiesbaden  (ehemaliges  Jugendheim) 
steht  zur  VerfLigung  und  kann  erbffnet  werden,  sobald  sich  das  Team 
von  Mitarbeitern  gebildet  hat. 

Die  Konzeption  kann  mit  einer  bestehenden  Projektgruppe  und  dem  Bei- 
rat  der  Arbeitsgemeinschaft  gemeinsam  erarbeitet  werden. 

Wirbieten  Vergiitung  nach  BAT,  geregelte  Arbeitszeit,  die  iiblichen 
Sozialleistungen  und  Hilfe  bei  der  Wohnungsbeschaffung. 

Bewerbungen  richten  Sie  bitte  an: 

Arbeitsgemeinschaft  Drogenhilfe  e.V. 
Wiesbaden,  Friedrichstr.   26 


Leserzuschriften 


Kritik  der  "Konkretionen  zum  Aufbau  eines  Jugendwohnkollektivs"  und 
der  "Konzeption  des  Vereins  "Soziale  Jugendarbeit  e.V."  im  Sozialar- 
beiter Info  1/73 


Artikel  als  einer,  der  seit  der  Heimkampagne  im 
dkollektivbewegung  mitgemacht  hat,  in  Mu'nchen 
ektiv  mit  aufgebaut  und  dort  gearbeitet  hat  und 

im  Rahmen  seiner  beruflichen  Arbeit  die  Gelegen- 
ren  Studientagungen  mit  Kol lektivberatern  aus  der 

seine  eigenen  Erfahrungen  zu  erweitern  und  zu 

"die  Erfahrungen  der  bisher  bestehenden  Kollek- 
und  zu  verallgemeinern".  (s.  75).  Dieser  Anspruch 

denn  viele  Kollektive  haben  aus  ihren  Erfahrungen 

gezogen. 


68 


Ich  kritisiere  diesen 
Sommer  1969  die  Jugen 
selbst  ein  Jugendkoll 
nun  seit  einiger  Zeit 
heit  hatte,  auf  mehre 
ganzen  Bundesrepublik 
vertiefen. 

Der  Artikel  gibt  vor, 
tive  zusammenzufassen 
ist  nicht  eingelbst, 
ganz  andere  Schlusse 

1  Auf  S.    26  heiBt  es,  daB  sich  die  Berufung  eines   "Padagogischen  Bei- 
ratT"~irip"feh1e.   Eine  solche~Empfehlung  muB  sehr  fragwurdig  kl  ingen, 
we'nn  man  we l BY  daB  z.B.   beim  Jugendkol  lektiv  "Haxdorfer  Steig"  in 
Berlin  der  padagogische  Beirat   so  feste  Vorstellungen  von  "seinem" 
Kollektiv  entwickelte,  daB  er  die  Kollektivberater  kurzerhand  hinaus- 
warf,  als  sie  anfingen,  anhand  ihrer  Praxiserfahrung  und  Diskussion 
mit  anderen  Projekten  andere  Vorstellungen  von  Kollektivberatung  zu 
entwickeln. 

2  es  wird  auf  S.   26/27  empfohlen,  die  Kollektive  liber  Pflegesatze 

zu  "fTnanzieren,  obwohl  weiter  unten  eingesehen  wird,  daB  dadurch  kaum 
^TrTA"nreiz  zum  Arbeiten  gegeben  ist  und  bei  den  Jugendlichen  ein  "Rent- 
nerdasein"  gefbrdert  wird.  Die  Diskussion  auf  den  Kol lektivberaterta- 
qungen  1)  hat  demgegenliber  ganz  klar  herausgebracht,  daB  man  unbedingt 
auf  Selbstfinanzierung  der  Jugendlichen  dringen  muB.   Ein  positives 
"lebendes"  Beispiel    ist  hier  das  Berliner  Jugendkollektiv   "Mariannen- 
platz",  wo  die  Jugendlichen  einen  festen  Betrag  fiir  Miete  und  Essen 
in  die'Kollektivkasse  zahlen  mussen,  den  Rest  selbst  behalten  (kein 
Abfiihrzwang  des  Lehrlingskummerlohns! )  und  die  Jugendbehbrde  nur  die 
dadurch  nicht  gedeckten  festen  Kosten  (Personal,  Strom,  Heizung  etc.) 
Liberninmt.  DaB  ein  gewisser  Kostenanteil   hier  doch  von  den  Behbrden 
Ubernommen  wird,  halten  wir  fiir  vertretbar,  weil  die  betroffenen  Ju- 
gendlichen in  einer  besonderen  Ausbeutungssituation  stehen   (1 .als 
Lohnarbeiter,  2.  als  Lehrlinge  oder  Ungelernte   ,  3.  als  Deklassierte) . 
Auf  die  anteilige  Selbstfinanzierung  und  die  Ablehnung  der  verruckten 
Pflegesatz-Pauschale  ist  unbedingt  Wert  zu  legen,  weil  dies  die  Vor- 
aussetzung  fiir  Unabhangigkeit  und  Selbst'a'ndigkeit  der  Jugendli  ...en  ist^Q 


70 


und  gerade  die  finanzielle  Abhangigkeit  der  Kollektive  von  den  Pfle- 
gesatzen  ein  sta'ndiges  Druckmittel  der  Behb'rden  ist.  Mir  ist  vol  lig 
unverstandlich,  wieso  iiber  dieses  oft  diskutierte  zentrale  Problem 
in  dem  Artikel  einfach  weggegangen  wird  und  weiterhin  die  Finanzie- 
rung  iiber  Pflegesatze  empfohlen  wird.  Es  sind  -  wie  das  obige  Beispiel 
zeigt  -  auch  andere,  bessere  Regelungen  mbglich  und  wenn  Jugendkollek- 
tive in  Zukunft  noch  eine  Perspektive  haben  sollen,  dann  mu|3  gerade 
die  Selbstfinanzierung  durchgesetzt  und  die  Pflegesatzpauschale  be- 
kampft  werden.  Behbrdliche  Finanzierungshilfen  sind  zu  begrenzen  auf 
bestimmte  Festkosten,  die  den  Jugendlichen  nicht  angelastet  werden   kon- 
nen  und  mbglichst  in  einmalige,  verlorene  Zuschiisse  zu  verwandeln. 

3.  Zur  Frage  der  Koedukation  wird  nicht  klar  Stellung  genommen.  Wir 
miissen  hier  aber  klar  sagen,  dab  wir  fur  koedukative  Kollektive  sind 
und  fiir  sie  kampfen   (auch  wenn  es  da  Probleme  gibt).  Dieser  Punkt  ist 
auch  deshalb  wichtig,  weil  der  Entzug  sexueller  Befriedigungsmbglich- 
keiten  damit  verkniipft  ist.  Hier  miissen  wir  uns  ebenfalls  klar  fUr  das 
Recht  der  Jugendlichen  auf  ein  normales  Sexualleben  einsetzen  und  al- 
les  tun,  urn  den  verdammten  Kuppeleiparagraphen  aus  dem  Weg  zu  raumen. 
Zum  einen  wird  in  einigen  Kollektiven  bereits  Koedukation  praktiziert, 
zum  anderen  dlirfen  wir  uns  nicht  darauf  einlassen,   so  zu  tun,  als  hat- 
ten  die  Jugendlichen  keine  sexuellen  Bediirfnisse  und  Probleme.  Ver- 
zicht  auf  Koedukation  und  fortschrittliche  Sexualerziehung  ware     ein 
RUckschritt  selbst  hinter  liberale  Positionen. 

4.  Es  wird  behauptet,  daB  2/3  aller  Jugendlichen,  die  in  bffentlicher 
Erziehung  stehen,    in  Jugendkol lektiven  untergebracht  werden  kdnnten  , 
"daB  also  die  Jugendkollektive  eine  echte  Alternative  zur     Heimer- 
ziehung darstellen"   (s.  27).  uas  ist  die  Illusion,  die  wir  uns  vor  zwei 
Jahren  alle  gemacht  haben.   Inzwischen  ist  aber  deutlich  geworden,  daB 
Jugendkollektive  nicht  "im  Moment  noch  Model lcharakter  haben"   (S.   27), 
sondern  in  dieser  Gesellschaft  immer  auf  diesen  Charakter  beschrankt 
bleiben,  daB  sie  nie  massenhaft  Heimerziehung  ersetzen  werden  und 
deshalb  auch  keine  "echte  Alternative  zur  Heimerziehung"  darstellen. 
Man  lese  dazu  nur  einmal  die  Reformplane  der  Heimerziehung  (z.B.   in 

den  fortschrittlichen  Landern  Hessen  und  Berlin).  Von  den  offiziellen 
Stellen  denkt  niemand  daran,  die  Erziehungsheime  zugunsten  von  Ju- 
gendkol lektiven  aufzulbsen.  Jugendkollektive  soil  en  vielmehr  die  Ab- 
lbsung  vom  Heim  erleichtern  und  die  Heime  von  "heimmUden"  meist  fast 
"entlassungsreifen"  Jugendlichen  entlasten.     Vor  allem  aber  sollen 
die  Jugendkollektive  als  Feigenblatt  der  weiterhin  brutalen  Heimer- 
ziehung dienen  und  Progressivita't  und  Reformwillen  der  Jugendbehbrden 
dokumentieren.  Jugendkollektive  sind  aber  auch  deswegen  keine  wirkli- 
che  Alternative  zur  Heimerziehung,  weil   sie  in  den  meisten  Fa'llen 
nicht  mit  den  Grundprinzipien  der  Heimerziehung  brechen,  die  bei  den 

'""""'""■' - '  ■■-■■     '     -•  -        '    -■    ng  pr0- 

und  mate- 

...  _ _  der  Ju- 

gendbenorde,  wenn  auch  in  etwas  veranderter  Form.  Sie  tradieren  wei- 
ter  die  Stigmatisierung  der  Jugendlichen  als  Deklassierte  und  die 
Isolation  von  ihrem  sozialen  Lebenszusammenhang. 

5.  Auf  5.  28  heiBt  es:   "Aufnahmen  kbnnen  auf  dem  Verwaltungswege.  Vor- 
schlag  des  LJA  oder  auf  lipfehlung  des   (Irager-j  Vereins  (entwichene 


FE-Zbglinge,  Trebeganger)  erf ol gen1.'.   Ich  meine  dagegen.  daB  unsere 
Diskussicn  gerade  ergeben  hat,  daB  man  sich  gegen  so  ein  unspezifi- 
sches  Aufnahmeverfahren  wehren  mu3.  Mitarbeiter  und  Trager  miissen  da- 
rauf achten,  daB  sie  nicht  irgendwelche  "la'stigen"  Jugendlichen  aus 
dem  Einzugsbereich  des  LJA  zugewiesen  bekommen,  sondern  miissen  ver- 
suchen  -  etwa  Liber  die  soziale  Gruppenarbeit  in  einzelnen  Bezirken  - 
an  Gruppen  von  Jugendlichen  heranzukommen,  die  einen  gemeinsamen  Le- 
benszusammenhang in  das  Kollektiv  mitbringen  (d.h.z.B.  Jugendliche 
aus  einem  Stadtteil,  die  sich  schon  vorher  kennengelernt  haben).  Hier 
ist  auch  die  konzeptionelle  Bestimmung  des  Vereins  fiir  soziale  Jugend- 
arbeit  e.V.   zu  kritisieren,  nach  der  Jugendliche,  die  noch  nicht  in 
bffentlicher  Erziehung  stehen,  sondern  nur  davon  bedroht  sind,  nicht 
in  das  Kollektiv  aufgenommen  werden  kbnnen.  Damit  reproduziert  man 
genau  den  Stigmatisierungsmechanismus  der  bffentlichen  Erziehung  und 
vermasselt  sich  die  Chance,  an  organisch  gewachsene  CI iquen  und  Grup- 
pen von  Jugendlichen  heranzukommen,  die  gerade  durch  ihre  Mischung  von 
stark  deklassierten,  nicht  deklassierten  und  deklassierungs-bedroh- 
ten  Jugendlichen  eine  sinnvolle  Ansatzmbglichkeit  fiir  eine  Jugendkol- 
lektivarbeit  bieten. 

6.    In  der  Frage  des  padagogi schen  Personal s  wird  unter  anderem  die  An- 
stellung  einer  Kochin  empfohlen.  Meiner  Meinung  nach  widerspricht  das 
der   Intention  der  Selbstorganisation  der  Lebenspraxis ,  denn  dazu  ge- 
hbrt  auch  das  Einkaufen,   Kochen  und  Abwaschen.  Sinnvoll  ware  hier 
hochstens  die  Absolvierung  eines  Kochkurses  fiir  die  Kollektivmitglie- 
der.   Ebenso  wiirde  ich  die  vorgeschlagene  Arbeitsteilung  zwischen  Kol- 
lektivberater  und  Sozialarbeiter  kritisieren.  Hier  wird  besonders  deut- 
lich, daB  das  Jugendkol lektiv  nicht  als  politisches  Lernfeld  sondern 
gruppendynamisch  konzipiert  ist.  Die  Trennung  von  "AuSen"  -  und  "In- 
nen"-Dienst  (Gruppenprozesse  -  Arbeitsvermittlung,  Jugendamtskontakte) 
macht  es  nicht  mehr  mbglich,  gerade  gruppendynamische  Vorgange  auf 
ihren  materiellen  Kern  zuriickzufuhren  und  dadurch  zu  pol  itisieren, 
Besonders  Libel   ist  hier  die  Konzeption  des  "Au3en"-Beraters  als  Siin- 
denbock,  der  die  Spannungen  aus  der  Gruppe  herausnehmen  soil    (S.  35). 
Das  Herausnehmen  der  "leidigen  Verwaltungsarbeit",  aus  der  unmittel- 
baren  Kol lektivpraxis  bedeutet  weiterhin  die  Verschleierung  der  tat- 
sachlichen  materiellen  Zwa'nge,  mit  denen  heute  ein  Jugendkol  lektiv 
zu   kampfen  hat  und  die  Schaffung  eines  padagogi schen  Schonraums  ,  der 
sozusagen  das  Tageslicht  nur  gefiltert  hereinla'Bt. 


7  Die  Frage  der  Aufsichtspfli 
nicht  problematisiert,  obwohl 
strument  zu  sehen  ist.  das  den 
Aufseher  macht  und  ihm  dadurch 
gendlichen  nimmt.  Es  muB  desha 
daB  die  Aufsichtspflicht  -  sol 
den  Beratern  aufgehangt  wird. 
ubernommen  werden,  urn  den  Bera 
evtl.  auch  eine  echte  Hilfs-Fu 
es  soil  niemand  sagen,  daB  das 
Steig)  wird  es  bereits  seit  2 


cht  der  Kollektivberater  wird  Uberhaupt 
gerade  hierin  e1n  gesetzliches     Tn- 
Kollektivberater  zum  Kontrolleur  und 
jede  Chance  echter  "Beratung"  der  Ju- 
lb  besonders  darauf  gedrungen  werden, 
ange  sie  besteht  -  nicht  unmi ttelbar 
Sie  sollte  vielmehr  vom  Tragerverein 
ter  juristisch  zu  entlasten.  Hier  lage 
nktion  des  padagogischen  Beirats.  Und 
nicht  ginge,  denn  in  Berlin  (Maxdorfer 
Jahren  so  praktiziert. 


8.  Ebenfalls  nicht  problematisiert  wird  die  Supervision.  Selbstver- 
standi  ich  kann  Supervision  eine  sehr  positive  l-unktion  fiir  ein  Jugend-  (  \ 


72 


kollektiv  haben,  namlich  dann,  wenn  der  Supervisor  nicht  nur  gruppen- 
dynamisch  erfahren,  sondern  auch  beziiglich  der  sozialen  und  politi- 
schen  Problematik  von  JWK  auf  der  Hone  ist.  Man  sollte  aber  wenigstens 
klarmachen,  daB  die  normale  Supervision  sich  meistens  auf  einer  rein 
sozialpsychologischen  Ebene  bewegt  und  auBerdem  auch  als  Kontrolle 
und  Aufsicht  flir  die  Kollektivberater  konzipiert  ist.  Ober  die  Person 
des  Supervisors  kann  man  also  die  Entwicklungsrichtung  eines  Jugend- 
kollektivs  ganz  schbn  manipulieren.    Es  ist  immerhin  zu  bedenken,   daB 
diese  Chance  evtl .   ausgenlitzt  wird. 

9.  Unverstandlich  ist,  wieso  der  Verein  Soziale  Ougendarbeit  e.V. 

das  Jugendschutzgesetz  zum  Bestandteil   seiner  Konzeption  macht   (S.    34). 
Jeder  progressive  Sozialarbeiter  wei  13,  daB  dieses  Gesetz  eins  der  reak- 
tionarsten  Jugendgesetze  der  BRD  darstellt,  ein  Relikt  der  Verhiitungs- 
padagogik  des  vorigen  Jahrhunderts,  das  einen  wirklichen  Schutz  der 
Jugend  eher  verhindert  als  ermbglicht.   Leider   ist  dieses   Gesetz    immer 
noch  gliltig;   seine  Geltung  braucht  aber  deshalb  nicht  durch  die  Her- 
einnahme  in  eine  Jugendkollektiv-Konzeption  betont  zu  werden. 

10.  In  der  Frage  des  Entwicklungsberichts  geht  aus  der  Konzeption   nicht 
hervor,  ob  die  Jugendlichen  diesen  tiericht  einsehen  und  korrigieren 
konnen  oder  nicht.   Das  ist  aber  ein  wichtiger  Punkt,  urn  das  obrigkeit- 
liche  Verhaltnis  zwischen  Jugendbehbrde  und  betroffenen  Jugendlichen 
abzubauen;   ubrigens  ein  Punkt, der  in  der  Diskussion  langst  geklart 

ist. 


Materi alien  zum  Thema  "Jugendkol lektive" 


11.  In  der  Frage  der  vollen   Integration  der  Berater  in  die  Wohngemein- 
schaft  nimmt  die  Konzeption  des     Vereins  Soziale  Jugendarbeit"  eine 
ambivalente  Haltung  ein.   Einerseits  sollen  ein  Praktikant  und  ein 
Sozialpa'dagoge  mit  den  Jugendlichen  voll   zusammenleben  und  wohnen, 
andererseits  soil   der  Sozialarbeiter  "von  auBen"  beraten.    Die  Diskus- 
sionen  um  dieses  Wohnproblem  haben  flir  mich  immer  wieder  gezeigt,  daB 
eine  voile  Integration  des  Beraters  in  das  Jugendkollektiv  sehr  pro- 
blematisch  ist.   Zum  einen  wird  dadurch  eine  scheinbare  Gleichheit  von 
Erzieher  und  "Zogling"   suggeriert,  zum  anderen  wird  dadurch  die  Gruppe 
extrem  Berater-abhangig  und  zum  dritten  wird  der  Berater  durch  diese 
totale  Erziehungssituation  liberfordert ,  er  braucht  Ausgleich  Entspan- 
nung,  einen  Privatbereich  auBerhalb  des  Jugendkollektivs,   in  dem  er 
seinen  Interessen  adaquat  nachgehen  kann.  Aufopferung  flir  das  Kollek- 
tiv signalisiert  eine  gefahrl iche  caritative  Grundhaltung  und  fuhrt 
liber  kurz  oder  lang  zu  tiefen  persbnlichen  Krisen  des  Beraters.   Die 
einzig  senkrechte  Ldsung  schien  uns  die  Beratung  von  auSen. 

12.  Beziiglich  des  padagogischen  Ziels  ist  zu  fragen,  ob  individuelle 
Selbstandigkeit  das  Ziel    sein  kann,  das  wir  mit  Jugendkol lektiven  ver- 
folgen.   Dieses  Ziel  verfolgt  und  erreicht  die  normale  Heimerziehung^ 
mit  mehr  oder  weniger  Erfolg  auch.  Uns  geht  es  doch  gerade  darum,  die 
Jugendlichen  zur  solidarischen  Lebensbewaltigung  zu  befahigen  und 
ihnen  die  politischen  Dimensionen  ihrer  Probleme  aufzuzeigen. 

Glinter  Steinvorth 
Ffm. 

1)   s.dazu:  Reader-Jugendwohnkol lektive,  Material ienreihe  der  Victor- 
Go!  lancz-Stiftung,  Frankfurt,  Nr.   5  u.  6 


-  Drechsel  ,  Joh.  Martin,  8561   Osternohe 

"Mdglichkeiten  der  antiautoritaren  Erziehung  von  Verhaltensgestbrten, 
Jugendkollektiv  in  Miinchen  -  ein  Versuch" 

-  Flath,  Werner,  851  Fiirth,  LessingstraBe  4 

"Jugendkommunen  als  Alternative  zur  bffentlichen  Erziehung  in  Heimen" 

-  Jung,  Thomas,  4  Dusseldorf,  LindenbergstraBe  41 

"Aspekte  zur  Entstehung,  Entwicklung  und  sozialpadagogischen  Funktion 
der  Jugendkommunen" 

-  Karen  GLinther,  4  Dusseldorf,  Graul  ingerstraBe  7  b 
"Padagogische  und  politische  Erfahrungen  mit  der  Jugendwohngemein- 
schaft  "Haus  Mahnert"  der  Arbeiterwohlfahrt,  Kreisverband  Diisseldorf- 
Mettmann" 

-  Karges,  Rosemarie/Heppner,  Ualdemar,  6  Frankfurt/M. ,  Niddaforum  1 
"Zum  Problem  der  Selbstorganisation  proletarischer  Jugendlicher  - 
dargestellt  am  Beispiel   eines  gescheiterten  Wohnkollektivs  mit  Lehr- 
lingen  und  Jungarbeitern" 

-  Radhofer,  Ulrike/Dreier,  Hartmut,  463  Bochum,  Kohlenstr.   219  b 
"Zum   Problem  der  Wohnkol lektive  ehemaliger  Fursorgezbglinge  -  als 
Kritik  an  den  Institutionen  und  Arbeitsmethoden  in  der  Jugendflirsor- 
ge  -  erweiterte  Rezension  des  Buches  "AusschuB" 

-  Weltermann,  Gregor,  484  Rheda,  Pixeler  StraBe  12 
"Sozialisation  im  Rahmen  einer  Jugendkommune" 

-  Sozialpolitischer  Arbeitskreis  Konstanz  (SPAK),  755  Konstanz, 
Neuhauser  StraBe  12  (SPAK-Wohngemeinschaft) 

"Die  Wohngemeinschaft  als  Mbglichkeit  der  Resozial isierung; 
Versuch  der  Einfuhrung  psychologischer  Determinanten.   (Ein  Model  1) 

Seminararbeit: 

Almut  Kunze,  6232  Bad  Soden,  AlleestraBe  6 

"Problem  der  Resozialisierung  jugendlicher  Strafgefangener,  dargestellt 

am  Beispiel  der  Wohngemeinschaft  der  GieBener  "Aktion  -  Junge  Menschen 

in  Not". 

Arbeiten  zum  Thema  Jugendkollektive,  die  in  Bearbeitung  sind: 

-  Kristiane  Weber,   78  Freiburg,  KreuzkopfstraBe  6 

-  Stefan  Erni,  CH-4057,  Basel/Schweiz,  FlorastraBe  44 


73 


-  Elisabeth  Knb'pp,  6  Frankfurt  am  Main,  HermannstraBe  8 

-  Jens  Harms,  34  Gottingen,  Karolinenweg  35 

-  Johannes  Sumser,  7815  Burg-Hb'fen,  Glitleackerstr.   1 

-  Werner  Knappe,   775  Konstanz,  Neuhauser  Str.   12,  SPAK-Wohngem. 

-  Brigitte  Schmidt,  46  Dortmund,  Dresdener  Str.   43 

-  Ursula  Schmidt-Gliitzer,  6  Frankfurt  -  90,  Landgrafenstr.  24 
Seitenbau 

aus  Kollektiv-Info  Nr.   5/6  1973 


Hinweise  zu  Materialien  aus  der  Sozialarbeit 


RICHTUNGSKKMPFE   IN  DER  SPD 

Hansgeorg  Conert : 

Die  politischen  Grundrichtungen 

innerhalb  der  deutschen 

Sozialdemokratie 

vor  dem  Ersten  Weltkrieg 


1.  Erfahrungsbericht  der  Projektgruppe  Erwachsenenarbeit  (Obdachlosen- 
arbeit)  AG  Herbertzstra3e,  Hajo  Kbppen,  415  Krefeld,  Moerser  Str.   154 

2.  Diskus   70,   Gefangenenzeitung  in  der  JVA  Bremen-Oslebsh. ,  Sonnemann 
Str.    2 

3.  Bericht  und  Materialien  aus  der  Drogenberatungsstelle,  437  Marl, 
Lipper  Weg  7-9 

4.  Seminar  Kind  und  Erziehung  in  der  heutigen  Gesellschaft 
Praxisbericht  aus  der  Erwachsenenbildung  1972 

Werner  Gorischk,   1  Berlin  44,  Jonasstr,   44 

5.Bedingungen  und  Hdglichkeiten  sozialistischer  Jugendfreizeitgestal- 
tung  in  behdrdlichen  Freizeitheimen, 
Praxisbericht  aus  einem  Jugendfreizeitheim 
Rainer  Steffen,  1  Berlin  51,  Ragazerstr.  47 

6.  Dokumentation  zum  Konflikt   padagogischer  Mitarbeiter  -  Jugendso- 
zialwerk  in  einem  Heim  in  Neumunster  /  Konzeption  fur  eine  padagogi- 
sche  Praxis  in  Heimen 

Annegret  LaB,  2351  Neu-Bokhorst,  Kleinbonum 

7.  Materialien  der  AG  Spak,  8  Miinchen  2,  Kobellstr.   12 

8.  Materialien  zur  Sozialarbeit/Sozialpadagogik  Nr.   2  Berufspraktikum 
/  4     SVI,  56  Wuppertal,  Friedrich  Engels  Allee  154  a 


11o  Seiten,  broschiert,  DM  5, — 

Verlag  2ooo  GmbH,  6o5  Offenbach  h,  Postfach  591 

Mit   der  Broschiirenreihe  RICHTUNGSKAMPFE  IN  DER  SPD 
sollen  die  Richtungen  in  der  deutschen  Sozialdemokratie 
analytisch  dargestellt  und  politisch  eingeschatzt 
werden.    Die  erste  Brosehiire  beschreibt  die  politischen 
Grundrichtungen   innerhalb  der  SPD  vor  dem  Ersten 
Weltkrieg.   Weitere  Veroffentlichungen  sind  iiber  die 
Zeitraume  Erster  Weltkrieg  bis    19^+5   und  Hachkriegszeit 
geplant.    Neben  den  historischen  Darstellungen   sind   in 
dieser  Reihe  jedoch  insbesondere   aktuelle  Hefte 
vorgesehen,   in  denen  die  Richtungsauseinandersetzungen 
in  der  heutigen  SPD  und  deren  Stellenwert  fiir  die 
Rekonstruktion  einer  neuen  sozialistischen  Bewegung 
in  der  BRD  untersucht  werden  sollen.   Die  Hefte  werden 
jeweils   in  der  vom  Sozialistischen  Biiro  herausgegebenen 
Zeitung  "links"   und  in  dem  zweimal  jahrlich  erscheinen- 
den  Verlagsprospekt  des  Verlag  2ooo  GmbH  angekundigt. 


SOLIDARITKTSERKLARUNG 


Hessische  Sozialarbeiter 
ein  einphasiges  Studium! 


und  Sozialpadagogikstudenten  kampfen  fiir 


Die  bisher  geubte  Praxis  der  Sozialarbeiter:Sozialpadagogenausbildung 
sieht  eine  Trennung  zwischen  6  semestn'ger  Ausbildung  mit  einem  an- 
schlieBenden  Praxisjahr  vor.   Wahrend  des  Studiums  wird  der  dringend 
notwendige  Praxisbezug  trotz  eingeschobener  Praktika  kaum  hergestellt, 
wahrend  des  Praktikantenjahres  wiederum  ist  eine  theoretische  Reflexion 
der  Praxiserfahrung  nur  vb'llig  unzureichend  moglich.  Von  der  Ziel- 
vorstellung,  die  spateren  Adressaten  der  Sozialarbeit/Padagogik  in 
das  kapitalistische  System  zu  integrieren  und  sie  im  Sinne  dieses  Sy- 
stems  "funktionsfahig"   zu  machen,  sind  die  Lehrinhalte  an  unserer  Fach- 
hochschule  gepragt.  Dabei   besteht  ein  unlibersichtliches  Konglomerat 
von  Fachern ,  die  weder  grundlegend  behandelt  werden  noch  aufeinan- 
der  abgestimmt  sind.   Das  ganze  wird  in  einem  6semestrigen  Kurzstudium 
durchgezogen.  Die  Lehrinhalte  sind  von  jedem  wissenschaftlichen  An- 
spruch  weit  entfernt.    Im  "Anerkennungsjahr"   oder  den  "Praxissemestern" 
werden  die  Studenten  als  billige  Arbeitskrafte  eingesetzt.  Die  fehlen- 
de  Qualitat  der  Ausbildung  wird  ersetzt  durch  die  "christliche  Nach- 
stenliebe"  und  das  Berufsethos  mittelalterlicher  Armenhilfe,  eingehlillt 
in  ein  neues   "soziales",   "wissenschaftl iches"  Mantelchen. 

Diesem  Mangel    sind   sich  die  Studenten  in  den  letzten  Jahren  immer 
starker  bewuBt  geworden.  Auf  ihre  Initiative  hin  wurde  an  einigen  hes- 
sischen  Fachhochschulen  mit  projektorientierten  Studiengangen  begon- 
nen.   Diese  Versuche  ziehlten  daraufhin,  bestehende  Berufsfelder  schon 
wahrend  des  Studiums  besser  kennenzulernen  und  kritisch  zu  durchleuch- 
ten  und  neue  Berufsfelder  und  Arbeitsmoglichkeiten  zu  entwickeln. 
Die  Tatsache,  daB  theoretisches  Studium  und   Praxisjahr  voneinander  los- 
gelbst  sind,  hemrnt  diese  Bestrebungen.  Deshalb  sind  fortschrittl iche 
Studenten  und  Dozenten  fur  ein  einphasiges  Studium,   indem  Theorie  und 
Praxis  eine  Einheit  bilden.   Der  Kultusminister  jedoch  hat  andere  Vor- 
stellungen.   Er  will   das  ohnehin  unzureichende  6semestrige  Kurzzeitstu- 
dium  festschreiben  und  die  beiden  anschlieBenden  Praxissemester  vol  1  - 
standig  aus  der  Kompetenz  der  FHS  auslagern.   Die  sich  an  die  Praxis- 
semester  anschlieBende  Prufung,  die  zur  staatlichen  Anerkennung  fu'h- 
ren  soil,   soil  nicht  mehr  durch  die  Fachhochschule  abgenommen  werden, 
sondern  anschlieBend  durch  die  "Arbeitgeber" ,  das  Sozialministerium, 
bzw.  die  Anstellungstrager.  Nicht  mehr  die  fachliche  Qua  1  if i kati on  , 
sondern  die  "Qberprijfung  der  person!  ichen  Eignung  vor  Obernahme  in 
das  endgliltige  Angestelltenverhaltnis"  soil   Kriterium  der  Prufung  sein. 

Angesichts  der  sich  haufenden  Berufsverbote  gegen  fortschrittliche 
f  Q      Kra^te  im  dffentl ichen  Dienst     angesichts  der  Nichtweiterbeschafti- 


gung  aktiver  Jugendvertreter  nach  AbschluB  ihrer  Lehre,   ist  zu  beflirch- 
ten,  daB  mit  der  Ubertragung  der  Prlifungskompetenz  an  die  Arbeitgaber 
einer  neuen  Form  von  Berufsverboten  Tiir  und  Tor  gebffnet  wird. 

Der  ASTA  (Allgemeiner  StudentenausschuB)  DER  FHS  FFM  FORDERT  ALLE  AUF, 
DIE  AN  EINER  QUALIFIZIERTEN  SA/P  -  AUSBILDUNG   IM  INTERESSE  DER  ARBEI- 
TENDEN  BEVULKERUNG  INTERESSIERT  SIND,  SICH  MIT  DEN  FORDERUNGEN  DER 
STUDENTEN  ZU  SOLIDARISIEREN: 

-  Gegen  die  Ausgliederung  des  Berufspraktikums 

-  Flir  ein  einphasiges  Studium  ohne  Zwischenprufung 

-  Fur  freie  politische  und  gewerkschaftliche  Betatigung  in  Ausbildung 
und  Beruf 

-  Gegen  verscharfte  Staatsaufsicht 

-  Keine  Kontrolle  der  Prufung  durch  die  "Arbeitgeber"  -  gleichberech- 
tigte  Mitbestimmung  aller  Hochschulangehcirigen  und  Gewerkschaften  bei 
alien  Studienangelegenheiten! 

Schickt  Eure  Sol idaritatsadressen  an:  Aktionskol lektiv  FHS 

Traudel  Schlenker, 
6  Ffm.,  Lortzingstr.   30 

Zum  Beruf spraktikum  soil   im  nachsten  Info  ein  grdBerer  Beitrag 
folgen. 


77 


Kleinanzeigen 


Strafgefangenenarbeit  FHS-Studentin  arbeitet  mit  Strafgefangenen  und 
sucht  Kontakt  zu  Einzelnen  und  Gruppen,  die  in  diesem  Bereich  arbei- 
ten  und  mit  den&n  sie  Liber  Probleme  diskutieren  kann.  Heidi  Goldberg, 
4816  Senneshedt,  Drosselweg  137. 

Strafgefangenenarbeit  Wir  suchen  dringend  Kontakt  -  besonders  im  Raum 
Hannover  -  die  sich  mit  dem  Theraenkreis  "Kriminalita't  und  Gesellschafts- 
struktur  beschaftigen  und  die  praktische  Erfahrungen  in  der  Arbeit  mit 
Strafgefangenen  haben.   Kontaktadresse:  Jutta  Haering,  3055  Loccum, 
Wiedensahlerstr.   16. 

Sozialarbeiter  gesucht  Jugendkollektiv  fiir  strafentlassene  Jugendliche 
in  Munchen  sucht  friihstmbglich  Sozialarbeiter/Sozialpadagogen  (in)  mit 
Gruppenerfahrung.  Bezahlung  nach  BAT  4b.  Zuschriften  an:  Gesellschafts- 
politische  Projekte  e.V.,   8  Munchen  19,  Birkerstr.    19. 

Mitarbeiter  gesucht  fur  eine  Gruppe  mit  7  Kindern  (FEH),  Raum  Aachen, 

Kinderwohnheim  Aachen,   51  Aachen, 


suchen  wir  al 
Hbrnhang  10. 


Sept.    1973  Mitarbeiter. 


Lan- 


78 


Ausschreibung  Die  Sozialistische  Ougend  Deutschlands  "Die  Falken" 
desverband  Hamburg,   sucht  zur  sofortigen  oder  spateren  Einstellung  einen 
Bildungsreferenten  fiir  die  padagogische  und  politische  Bildungsarbeit 
des  Verbandes. 

Voraussetzung  ist  die  Ausbildung  als  Sozialarbeiter  oder  Sozialpadago- 
ge  (Fachhochschul-  oder  Universitatsabschlu|3) .  Bezahlung  nach  BAT  4  b. 
Bewerbungen  sind  zu  richten  an:  Sozialistische  Jugend  Deutschlands 
"Die  Falken",  2  Hamburg  1,  Kurt-Schumacher-Allee  10. 

Material  gesucht  Suche  dringend  Material  liber  Arbeit  mit  sogenannten 
randstandigen  Jugendlichen  ("Rocker,  Verwahrloste  und  Verhaltensge- 
stbrte"),  Jugendzentren  und  Jugendclubs.  Unterlagen,  Berichte  und 
Kontaktanschriften  an:  Herbert  Effinger,  2  HH  1 ,  Repsoldstr.  49  IV. 

Material  gesucht  zur  Analyse  zur  Situation  in  Berufsfeldern:Berufs- 
praxis.   Problem  der  Organisierung  von  Sozialarbeit.  AK  Berufsperspek- 
tive Sozialpadagogik,  Mathias  Wolff,  74  Tubingen,  Bebenhauserstr.   17 

Projektstudium  ASta  der  FHS,  67  Ludwigshafen,  Ecke  Max/Kaiser-Wilhelm- 
str.   sucht  Arbeitsmaterialien  zum  Projektstudium. 

Berufsperspektive  Arbeitskreis  "Berufsperspektive"  Uni   Tlibingen  sucht 
Kontakt  zu  fortschrittlichen  Sozialarbeitern  und  Studenten. 
Kontaktadresse:  K.  Seifert,  785  Lbrrach,  Grabenstr.   18 


liner 


1. 


rzieher 
Itschrift 


Zeitschrift  vonErziehern  f  Or 
Erzieherfn  Beruf  u.  Ausbildung 


Die  Zeitschrift  versteht  sich  als  Forum  von  Praktikern  fiir  Praktiker, 
wo  hin  und  wieder  mal  Theoretiker  das  Sagen  haben.  Hier  sind  wir 
schon  beim  Kern  der  Sache:  diese  Zeitschrift  stent  und  fallt  mit  der 
Bereitschaft  ihrer  Leser,  Korrespondenzen  und  Beitrage  -  vor  allem 
aus  dem  Heimalltag  -  zu  schreiben,  Diese  Zeitschrift  kann  und  soil 
dazu  beitragen,  daS  die  Kollegen  durch  sich  selbst  erkennen,  dafi  der 
padagogische  MiBerfolg  nicht  ihr  personliches,  individuelles  Versa- 
gen  ist.  Ein  weiterer  Zweck  unserer  Zeitschrift,  als  Zeitschrift  der 
betroffenen  Autoren  und  Leser,  muB  es  sein,  klarzumachen ,  daB  fiir  die 
desolate  Heimsituation  nicht  der  Zufall  verantwortlich  ist  oder  die 
Unfahigkeit  der  Senatsbiirokratie,  sondern  daB  diese  Situation  und 
deren  Entwicklung  zwangslaufig  in  ihrem  gesantgesel lschaftlichen  Zu- 
sammenhang  zu  sehen  ist.  In  diesem  Sinne  sollen  Model le  der  Verbes- 
serung  vorgestellt  und  diskutiert  werden.  Erfahrungen  sollen  verall- 
gemeinert  werden,  wie  man  die  Lage  der  Heimkinder  und  -jugendlichen 
hier  und  .heute  verbessern  kann.  Dabei  wird  immer  klarer  werden,  woran 
Verbesserungen  scheitern  und  welche  Schritte  zwangslaufig  bei  einiger 
Konsequenz  daraus  abgeleitet  werden  miissen.  Weiter  wird  es  Sinn  die- 
ser  Zeitschrift  sein,  Erkenntnisse  zu  verallgemeinern  und  alien  zu- 
ganglich  zu  machen,  die  abstrakte  Tatsache,  daS  Eim'gkeit  stark  macht, 
deutlich  und  konkret  werden  zu  lassen.  Mancher  Biirokratensumpf  wird 
sich  gefallen  lassen  miissen,  seine  schillernden  Farben  hier  wiederzu- 
finden  -  riicksichtslos.  Die  Verquickung  von  Parteien,  Gewerkschafts- 
biirokraten  und  Verwaltung  wird  aus  dem  intimen  Dammerlicht  der  Abspra- 
che  an  den  Tag  gebracht  werden.  Wenn  diese  Zeitschrift  ein  Mittel 
sein  soil,  die  Inkenntnis  voneinander  aufzuheben  sowie  die  Isolierung 
und  das  individuelle  Austragen  von  Konflikten,  wenn  dadurch  also  - 
zusatzlich  zur  fachlich  lebendigen  Diskussion  -  solidarisches  Ver- 
halten  moglich  werden  soil,  dann  miissen  wir  uns  beteiligen.  Unsere 
Probleme  sollen  hier  abgehandelt  und  ihre  Wendung  hier  besprochen 
werden;  wir  haben  die  gleichen  Probleme  -  wir  miissen  sie  gemeinsam 
Ibsen. 


Die  hez  erscheint  monatlich.  1/2  Jahr  kostet  DM  9,60  im  voraus. 
Kiindigung  1  Monat  vor  Ablauf,  sonst  VerlSngerung  un  den  gleicher 
Zeitraum. 


F.infach  Postkarte  an:  hez/D.  Tartsch(Hrsg.)  1  8erlin  61,  Urbanstr 
Postscheckkonto  Berlin  West  Nr.  358636-109 


12S 


in 


^^efrfFEfrr^1'1  P^hologen,  di*  Uber  Berufsperspektiven  von  PjT 
Gaisbiihlstr.   28         Bb  Ps^ch-   Ursula  Harsch,  852  Erlangen-Frauenaurach. 

7  Stuttgart  1,  Arming     25  nordwestde"tschen  Raum.   Traude  Mittag 
Stadttei larbeit  i  <; 

5  K°l"  30,  VogelsangstV.   173  E1temarbeit).  Hannelore  Warmers 

1972 


.feld 


EHlf^^yse  und  Dokumentst?nricht'  Al"beiterbezirk  Wedding,   ■:      o) 
Kritik  der  ZeltlagerpSKlk  -  21   -a:  50  s-.  3-"~  DM  (+  "-70  Pf-P° 

1  n  ""«chlag.    Lieferung     a   h     „   °Pt°)'   Angebotsl iste  gegen  fra"- 

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