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ABHANDLUNGEN AUS DEM

SEMINAR FÜR STRAFREOIT und KRIMINALPOLITIK

AN DER HAMBURGISCHEN UNIVERSITÄT

HERAUSGEBER:

Professor Dr. M. LIEPMANN

Hefts:

Änselm v, Feuerbach

und das Problem der strafrechtlichen Zurechnung

Von

Dr. MAX GRÜNHUT

Privatdozent an der Hamburgischen Universität

IG78^ jENTE, wissenschaftlicher VERLAG, HAMBURG

1922 1922

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Presented to the

LIBRARY ofthe

UNIVERSITY OF TORONTO

by the

INSTITUTE FÜR

CHRISTIAN STUDBES

HAMBURGISCHE SCHRIFTEN

ZUR GESAMTEN

STRAFRECHTSWISSENSCHAFT

ABHANDLUNGEN AUS DEM

SEMINAR FÜR STRAFRECHT und KRIMINALPOLITIK

AN DER HAMBURGISCHEN UNIVERSITÄT

HERAUSGEBER:

Professor Dr. M. LIEPMANN

Hefts:

Änselm v. Feuerbach

und das Problem der strafrechtlichen Zurechnung

Von

Dr. MAX GRÜNHUT

Privatdozent an der Hamburgischen Universität

W. GENTE, WISSENSCHAFTLICHER VERLAG, HAMBURG

1922

Diese Arbeit wurde als

Habilitationsschrift

zur Erlangung der Venia legendi

der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät

der Hamburgischen Universität

vorgelegt.

Anselm v. Feuerbach

und das Problem der strafrechtlichen Zurechnung

Von

Dr. Max Grünhut

Privatdozent an der Hamburgischen Universität

Da das Geistige wie das Materielle wandelbar ist und der Wechsel der Zeiten die Formen, welche das Gewand des äußern wie des geistigen Lebens bilden, unaufhörlich mit sich rafft, ist das Thema der Ge- schichte überhaupt, daß sie die zwei in sich identischen Grundrichtungen zeige und davon ausgehe, wie erstlich alles Geistige, auf welchem Gebiete es auch wahr- genommen werde, eine geschichtliche Seite habe, an welcher es als Wandlung, als Bedingtes, als vorüber- gehendes Moment erscheint, das in ein Großes, für uns unermeßliches Ganzes aufgenommen ist, und wie zweitens alles Geschehen eine geistige Seite habe, von welcher aus es an der Unvergänglichkeit teilnimmt.

Denn der Geist hat Wandelbarkeit, aber nicht Vergänglichkeit.

Jacob Burckhardt.

Vorwort.

Die nachfolgenden Studien sind als ein Beitrag zur Dogmen- geschichte der deutschen Strafrechtswissenschaft gedacht. Sie wollen an einem zentralen kriminalistischen Problem die grundlegenden Gedanken Änselm v. Feuerbachs lebendig werden lassen, sie aus den wissenschaftlichen und rechtsgeschichtlichen Strömungen der Zeit verstehen und zugleich in ihrer Bedeutung für die strafrechtlichen Fragen der Gegenwart kennzeichnen. Eine gewisse Willkür in Auswahl und Gruppierung des überreichen Stoffes schien dabei unvermeidlich.

Dankbaren Herzens lege ich die nachfolgenden Blätter in die Hände meines verehrten Lehrers, des Herausgebers dieser Sammlung. Wie sehr mein strafrechtliches Arbeiten in den Grundlagen und in der Auffassung vieler Einzelheiten auf seinen Anregungen beruht, vermag am besten die Abhandlung selbst zu bezeugen, zu der er immer wieder Rat und Hilfe beigesteuert und überdies manches Mal dem Verfasser Geduld und Ausdauer neu gestärkt hat.

Herrn Professor Weygandt darf ich für die freundliche Durch- sicht der Bemerkungen zur Geschichte der gerichtlichen Psychiatrie herzlich danken.

HAMBURG, November 1922.

Max Grünhut.

. Inhalt.

I. Kapitel ^'"^

Feuerbachs rechtsphilosophische Ausgangspunkte

Naturrecht, Aufklärung, Kritizismus 1

Äußerer Studiengang Feuerbachs 6

Der autonome Rechtsbegrit! bei Kant und Feuerbach .... 11 Kriminalistische Folgerungen: Psychologische Zwangstheorie

und Bindung des Richters an das Strafgesetz 19

Naturrechtliche Nachwirkungen in der Feuerbachschen

Rechtsphilosophie 27

II. Kapitel

Feuerbachs Verhältnis zu zeitgenössischen Krimi- nalisten

Die Anhänger der Spezialprävention: Stübel, Tittmann,

Grolman 31

Der Streit mit Grolman 45

Älmendingen 53

Spätere Schriften Stübels, Tittmanns, Grolmans 55

Die strafrechtliche Reformbewegung 60

Beccaria, Filangieri, Hommel, Michaelis, Servin, Gmelin . . 62

E. F. Klein 69

III. Kapitel

Die systematische Ausgestaltung der Feuerbach- schen Zurechnungslehre in der Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts

Begriff der Zurechnung 74

Strafrecht und ethische Werturteile : Feuerbachs Zurechnungs- lehre in ihrem Verhältnis zu Kant

1. Willensfreiheit und Verantwortlichkeit 7S

2. Der Vergeltungsgedanke 91

Zurechnungsfähigkeit und Strafwürdigkeit 99

Kritik des Feuerbachschen Begriffs der Zurechnungsfähigkeit 110

lY. Kapitel Seiie

Die Reformbedürftigkeit der bayerischen Kriminal- gesetzgebung

Entwicklung des älteren bayerischen Kriminalrechts 117

Kreittmayr und sein Werk 121

Schuld und Strafe im Codex juris Bavarici Criminalis

von 1751 129

Die strafrechtliche Zurechnungslehre bei G. Ä. Kleinschrod 142

Kleinschrods Entwurf von 1802 156

V. Kapitel

Das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813

Entstehungsgeschichte des Gesetzes 171

Formale Prinzipien 180

Grundfragen strafrechtlicher Zurectinung 185

Verminderte Zurechnungsfähigkeit, Schuldbeweis, Strafbar- keit des Versuchs 190

Schuldformen 201

Rechtsirrtum 203

Praesumtio doli 208

Todesstrafe, Freiheitsstrafen, Ehrenstrafen 214

VI. Kapitel

Feuerbach als Kriminalpsychologe

Neue Wendung in Feuerbachs Leben 227

Äktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen 230

Psychologie und Verbrecherstudien 231

Die Anfänge der forensischen Psychiatrie 242

Medizinische und strafrechtliche Beurteilung der Zurech- nungsfähigkeit bei Feuerbach 249

Schlußbetrachtung 261

Literatur 263

Zeitschriften 281

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Erstes Kapitel

Feuerbachs rechtsphilosophische Ausgangspunkte.

Naturrecht, Aufklärung und kritische Philosophie waren die treiben- den Mächte der deutschen Rechtswissenschaft vor der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert. Nicht als mechanisch wirkende Kräfte, nicht als konstante Inbegriffe feststehender Gedankeninhalte, denen sich Personen und Zeitabschnitte eindeutig zuordnen ließen, sondern als geistige Strömungen, die sich bald feindlich gegenübertraten, bald einander helfend und verstärkend durchdrangen und befruchteten und in denen, sie bestimmend und durch sie bestimmt, die Menschen gedacht und gerungen haben, in deren Schaffen und Wirken der Gang der Wissenschaft vom Recht und die Entwicklung des Rechts selber beschlossen liegt. Wie jedes Stück Geistesgeschichte zugleich eine Geschichte der Menschen ist, in denen der Geist lebendig war, führt eine dogmengeschichtliche Betrachtung des Rechts zu den Persönlich- keiten der großen Juristen. Nur in seltenen Äugenblicken begnadet die Geschichte einen Einzelnen, in dem die kulturellen Mächte der Zeit und die schöpferischen und gestaltenden Kräfte des Rechts in solchem Maße in lebendiger Individualität verkörpert sind, wie in der unvergleichlichen Persönlichkeit Änselm v. Feuerbachs. Sein Ringen und Schaffen im Strom des geistigen Lebens seiner Zeit, die individuelle Konzentration der herrschenden Ideen in seiner eigenen Gedankenwelt und der bestimmende Einfluß, der von ihm zurückwirkte auf Zeit und Umwelt, sind auch in einzelnen engen Ausschnitten seines Wirkens erkennbar, wenn es gelingt, den inneren Zusammenhang mit Feuerbachs Persönlichkeit und wissenschaftlicher Entwicklung aufzudecken. Das Problem der strafrechtlichen Zurechnung, die Fragen nach den Vor- aussetzungen und dem Maßstab für die strafrechtliche Verantwortlichkeit, hängen aufs engste mit den letzten Grundfragen des Strafrechts zusammen. So umschließt die Stellung Feuerbachs und seiner Zeit zur strafrechtlichen Zurechnungslehre ein Stück von der Geschichte der Anschauungen über Sinn und Wert der staatlichen Strafe, und es werden dabei zugleich Kräfte sichtbar, welche noch heute in der Strafrechtswissenschaft wirksam sind.

1

Das Naturrecht, die alte Lehre von dem „Recht, das mit uns geboren" und darum in seiner Geltung von bestehenden staatlichen Gesetzen unabhängig ist, war seit Hugo Grotius in steigendem Maße in fruchtbare Beziehung zum positiven Recht getreten. Mehr und mehr suchte man die Regeln des positiven Rechts aus allgemeinen Prinzipien zu entwickeln und seine Geltung durch Zurückführung auf letzte, allgemeine Grundsätze wissenschaftlich zu erweisen. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts aber konkretisierte sich die naturrechtliche Doktrin von einem formalen Erklärungsprinzip zu einem selbständigen Inbegriff inhaltlich bestimmter Vorrechte, zu einer Quelle neuer materieller Rechtssätze, welche mit dem positiven Recht der bestehenden Gesetze konkurrierten. Eine Bewegung von ungeheurer Resonanz erhob die großen politischen Forderungen der Zeit, Freiheit, Gleichheit, Volks- souveränität, als die in der menschlichen Vernunft begründeten, unveräußerlichen natürlichen Rechte zur Idee des Rechts, zu dem Recht schlechthin, das mit dem Anspruch auf Ällgemeinverbindlichkeit die bestehenden Gesetze zu meistern suchte. Dieser Kultus der Vernunft führte zu einem weitgehenden Subjektivismus, denn, was mit dem Anspruch auf naturrechtliche ÄUgemeingültigkeit dem bestehenden Recht entgegengestellt werden sollte, entnahm der reflektierende Jurist den Gedanken der eigenen Brust. Auch im Strafrecht wurden die überkommenen, der Zeit längst unverständlichen Gesetze durch natur- rechtliche Neubildungen modifiziert. „Verlassen von Gesetzen, die nur den gröbsten Bedürfnissen ihres Zeitalters abhelfen sollten, verwickelt in unauflösliche Widersprüche und undurchdringliche Dunkelheiten des positiven Willens der Gesetze, war der Geist philosophischer Rechts- lehrer gedrungen, in sich selbst die Prinzipien und Hauptsätze seiner Wissenschaft zu suchen und durch Philosophie die unzähligen Lücken des Kriminalkodex auszufüllen."^

' Revision der Fortschritte des Kriminalrechts. Ergänzungsblätter zur Ällg. Lit. Zt. I, 1. Jena und Leipzig 1801. Nr. 33, Sp. 255. Vgl. über diesen Aufsatz unten S. 25, Änm. 1. Zur geschichtlichen Entwicklung der neueren Naturrechtsbewegung siehe: Ä. Lassen, System der Rechtsphilosophie, Berlin und Leipzig 1882, S. 28—108. O. v. Gierke, Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien. 3. Ausgabe, Breslau 1913 (Unters, z. dtsch. Staats- und Rechtsgeschichte VII). Derselbe, Naturrecht und deutsches Recht. Breslauer Rektoratsrede. Frankfurt a. M. 1883. R. Loening, Über geschichtliche und ungeschichtliche Behandlung des deutschen Strafrechts. Mit Anmerkungen zur Geschichte der deutschen Strafrechtswissenschaft seit 150 Jahren. Z. Str. W. Bd. 3, 1883, S. 219 ff. K. Bergbohm, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie I. Leipzig 1892, S. 148 231. H. Kantorowicz, Die Epochen der Rechtswissenschaft. In: Die Tat VI, Jena 1914/15, S. 345— 361.

Der kulturgeschichtliche Hintergrund dieser mehr rechtspolitischen als rechtsphilosophischen Strömung war die Aufklärung. Ruf allen Gebieten geistigen und kulturellen Lebens legte diese Zeit den Maßstab subjektiver Vernunft an die überkommenen Dogmen und Bindungen und führte allenthalben zu einer Überwindung mittelalterlicher Lebens- formen. Mit ihnen verschwanden die letzten Fesseln scholastischer Denkweise, schwanden Leibeigenschaft und Feudalismus, Tortur und Scheiterhaufen. Die Macht der Kirche wurde durch weitgehende Säkularisation auf politischem und geistigem Gebiet immer mehr zurückgedrängt. Eine Rationalisierung des Lebens hat zwar den Himmel zu entvölkern gedroht, aber die Erde für uns wohnbar gemacht. Im Gedanken der Humanität lebte mit dem Glauben an das Recht der freien Persönlichkeit die kühne Hoffnung, daß es gelingen werde, hier auf Erden das Menschengeschlecht zu innerer und äußerer Vollkommen- heit zu führen. Was als höchstes Ziel für die Entwicklung der Menschen den kühnen Reformfreunden voranleuchtete, was eine ideale Rechts- ordnung gewähren und ermöglichen sollte, das schien ihnen in der ursprünglichen Natur eines jeden Menschen beschlossen, in dem abstrakten Begriff des Menschen schlechthin für alle Zeiten und Völker vorgezeichnet. Wenn sie nach rationalistischer Weise das geschichtlich Gewordene nach abstrakten Begriffen zu meistern suchten, wenn sie, was von Rechtswegen sein sollte, mit dem identifizierten, was natürlicherweise allein sein kann, es war ja nicht ihr Ziel, Gewordenes zu begreifen, sondern Überkommenes in Trümmer zu schlagen und in neue, vollkommene Formen zu gießen. Schöner sind kaum diese Männer und Zeiten geschildert worden als in den Worten des Kriminalisten Adolf Merkel, aus denen man etwas von der tiefen Herzensheiterkeit Jean Pauls herauszuhören vermeint: „... Es war eine schöne Zeit, die Zeit ihres jugendlichen Wirkens. Nichts schien dem strebenden Geiste damals unerreichbar. Ein glänzendes Morgenrot breitete sich vor dem Äuge jener Trefflichen über Höhen und Tiefen des Völkerlebens aus und der Odem eines goldenen Zeitalters ging leise, verheißend durch die Welt. Sie aber standen auf ragender Warte, des Tages harrend, dem Wanderer vergleichbar, der auf hoher Alpenspitze die nahende Sonne erwartet, wenn das erste Licht die Nebel zerteilend die zahllosen Gipfel rings in Purpur kleidet und einen wundersamen und rührenden Glanz über die harrende Welt verbreitet."^

* Merkel-Liepmann, Lehre von Verbrechen und Strafe. Stuttgart 1912, S. 39 f., Änm. 2. Die von E. Troeltsch für Below und Meineckes Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte angekündigte Geschichte der Äufklärungszeit ist leider immer noch nicht erschienen. Politische Zusammenhänge in großen Zügen bei Karl Lamprecht, Deutsche

Mit der Erfüllung ihrer Forderungen führte die Aufklärung zugleich zu einer Überwindung naturrechtlicher Denkweise. Der Liberalismus wollte den Einfluß staatlicher Gewalt gegenüber der freien Sphäre des Einzelnen fest begrenzen und gelangte so zu der Forderung strenger Bindung der staatlichen Organe an das Gesetz: die rechtsstaatliche Neubildung von Justiz und Verwaltung bedeutete eine höchste Steigerung der Autorität des positiven Rechts. Und zugleich wurden im Konstitutionalismus, in der Anteilnahme der Bürger an der Bildung und Ausübung des Staatswillens, die großen historischen Kräfte geschaffen, welche ein Jahrhundert lang der Schöpfung neuen positiven Rechts in nie gekannter Fruchtbar- keit gedient haben.

Die Gestalt Immanuel Kants erscheint in der Geschichte der Rechtswissenschaft nicht in gleicher Weise wie sonst nur als der alles Zermalmende, sondern wie ein wahrer Januskopf zugleich der geschicht- lichen Vergangenheit und der zukünftigen Entwicklung zugewandt.^ Der kritischen Philosophie entsprach es, vor dem Erwerb von Kenntnissen nach der Möglichkeit des Erkennens, vor der Verkündung sittlicher Gebote nach der Möglichkeit der Pflichterfüllung, vor der Aufstellung von Rechtsgesetzen nach der Möglichkeit des Rechtes selbst zu fragen. Die Einsicht in diese Problematik hat auf dem Gebiete des Rechts Kant keineswegs gehindert, es den alten Naturrechtslehrern in der Ableitung inhaltlich bestimmter allgemeingültiger Rechtssätze aus der Vernunft nachzutun: „Der Zerstörer des flachen Dogmatismus, der Erneuerer der kritischen Erkenntnistheorie ein Naturrechtsdoktrinär und dazu Stifter der zünftigsten Naturrechtsschule, die es je gegeben hat!", so spottet Bergbohm.-' So bewegte sich Kants Einfluß zunächst innerhalb der naturrechtlichen Denkweise und drängte lediglich zu einer Vertiefung der Methode, indem man dem formalen Begriffe des Rechts,

Geschichte 3, II (Bd. 9 der ganzen Reihe), Berlin 1907, 23. Buch, 1. Kap. Neue Anschauungen von Staat und Gesellschaft. S. 3 122. Manche historisch merkwürdige Einzelheit aus jener Zeit bei Br. Bauer, Geschichte der Politik, Kultur und Aufklärung des 18. Jahrhunderts I, II, 1 3, Charlottenburg 1843—1845. Von speziellen Gesichtspunkten ausgehend, aber auch für allgemeine Fragen wichtig: Rudolf Unger, Hamann und die Aufklärung. Studien zur Vorgeschichte des romantischen Geistes im 18. Jahrhundert. I. Bd. Text. Jena 1911. S. 19-59.

' E. Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft 3, I. München und Leipzig 1898. S. 503 ff. Auf die Landsbergschen Bände des großen historischen Äkademiewerkes über die „Geschichte der Wissen- schaften in Deutschland" sei an dieser Stelle als auf die unvergleichliche literarische Grundlage aller dogmengeschichtlichen Arbeit aus dem Gebiet der Jurisprudenz grundsätzlich verwiesen!

" K. Bergbohm, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie I, S. 198.

aus dem man den Inhalt der einzelnen materiellen Rechtssätze ableitete, stärkere Aufmerksamkeit zuwandte und die „reine Vernunftidee des Rechts" in ihrer Selbständigkeit von Moral und Sitte herauszustellen suchte.^ „In die Kantische Revolution der Philosophie wurde auch das Naturrecht gezogen. Der Genius der Untersuchung, der bisher auf diesem Gebiet geschlummert zu haben schien, raffte sich gleichsam auf. Die Mischung der Moral und Rechtslehre sprang in voller Klarheit einem jeden Parteilosen in die Augen und man sah wohl ein, daß nur das Durchgraben des eigentlichen Bodens dieser Wissenschaft, daß das Aufsuchen fester, von moralischen Grundsätzen abgesonderter Prinzipien die Wissenschaft ihrer Bestimmung näher führen könnte" (Feuerbach)."

Die Aufklärung verdankt Kants berühmter Definition von 1784 die unvergängliche Deutung ihres Zieles und ihres Wesens: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündig- keit . . . Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!, ist also der Wahlspruch der Aufklärung."^ Das Humanitäts- ideal fand im kategorischen Imperativ, in dem die sittliche Persönlichkeit, die reine praktische Vernunft zum allgemeinen moralischen Gesetzgeber erhoben wird, seinen metaphysischen Ausdruck.

Gleichwohl lagen in der Kantischen Philosophie die Kräfte, welche beiden, Aufklärung und Naturrecht, ein Ende zu bereiten bestimmt waren. Gegenüber dem Polizei- und Wohlfahrtsstaat der älteren Auf- klärung entsprach dem Kantischen Rechtsbegriff ein Staat im Sinne einer reinen Rechtsanstalt, dem die Garantie der Äufrechterhaltung der Freiheit aller zugleich Aufgabe und Begrenzung seiner Befugnisse ist. In diesem formalen Charakter des Kantischen Rechtsbegriffes lag zugleich der innere Gegensatz zu den naturrechtlichen Konstruktionen. Freilich, die völlige Unvereinbarkeit von Kritizismus und Rationalismus auf dem Gebiete des Rechts haben erst spätere Zeiten aus Kant erschlossen, indem sie allein dem eigentlichen kritischen Nachweis einer Möglichkeit des Rechts überhaupt Ällgemeingültigkeit, jedem einzelnen materiellen Rechtssatz aber geschichtliche Bedingtheit zusprachen, indem sie jenen formalen Rechtsbegriff zwar als Beurteilungsnorm, ob etwas Recht sei, anerkannten, die Ableitung einzelner inhaltlich bestimmter Rechtssätze

^ Vgl. hierzu: W. G. Tafinger, Über die Idee einer Kriminalgesetz- gebung in Beziehung auf die Wissenschaft sowohl als das praktische Leben. Tübingen 1811. S. 17 ff.

^ Feuerbach, Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts Bd. II. Chemnitz 1800. S. 465.

^ Immanuel Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? Cassirer Bd. IV, S. 169. Über den historisch verhältnismäßig begrenzten Zusammenhang dieses „Programms" siehe G. Beyer haus, Kants „Programm" der Aufklärung aus dem Jahre 1784. Kant-Studien XXVI, 1—2, S. 1 16.

aus ihm aber verwarfen. So blieb vom Naturrecht nicht sein Inhalt, nicht der Codex ewiger Menschenrechte, sondern seine Fragestellung, die Methode, „sich zum Recht nicht nur deskriptiv sondern auch normativ, nicht urteilend sondern beurteilend zu verhalten, aber nicht irgend eines ihrer Ergebnisse" (Radbruch). ^ Ein „Naturrecht mit wechselndem Inhalt", in dem es sich nicht um einzelne, inhaltlich feststehende Rechtssätze handelt, sondern um eine allgemeingültige, formale Methode, nach der „man den notwendig wechselnden Stoff geschichtlich bedingten Rechts dahin bearbeiten, richten und bestimmen mag, daß er die Eigenschaft des objektiv Richtigen erhält" (Stammler).^ Solche Schlußfolgerungen haben ohne Zweifel zu der Isolierung des Rechts von kulturellen und sozialen Werten und zu der Formalistik der „rein juristischen Methode" beigetragen, welche das Wesentliche der Jurisprudenz in ihrer logisch-konstruktiven Arbeit sehen will. Aber andererseits hat der Verzicht auf ein inhaltlich bestimmbares allgemeines Vernunftgesetz den Weg zu positiver Gesetzgebungsarbeit freigemacht, hat die kritische Methode durch die Überwindung des Naturrechts der historischen Rechtsschule die Wege gebahnt. Hat doch gerade Savigny den formalen Charakter der Kantischen Philosophie früh erkannt: „Ich werde nie vergessen", heißt es in einem Brief an Jacob Friedrich Fries, „wie sehr ich bei meiner ersten Bekanntschaft bekümmert war, das Sittengesetz in meinem Bewußtsein nicht zu finden. Der Kummer ist von mir gewichen, und es ist noch die Einsicht hinzugekommen, daß die Sache da garnicht zu suchen sei."^

Es war eine Zeit reichen geistigen Lebens und jener hochentwickelten Kultur, in die die Schläge der großen Revolution von Frankreich her hereinklangen, jenes letzte Jahrzehnt des 1 S.Jahrhunderts, in welches die Studienzeit des jungen Feuerbach fällt.* ITjährig bezog er im Jahre 1792 die Universität Jena. Hochbegabt, voll glühenden Eifers,

' G. Radbruch, Grundzüge der Rechtsphilosophie. Leipzig 1914, 5.5.

^ R. Stammler, Die Lehre von dem richtigen Rechte. Berlin 1902, S. 116{. Gegen diese ganze Richtung: E. Kaufmann, Kritik der Neu- kantischen Rechtsphilosophie. Tübingen 1921.

' Jac. Friedr. Fries, Aus seinem handschriftl. Nachlasse dargestellt von E. L. Th. Henke, Leipzig 1867, S. 296f. Siehe hierüber: Hermann Cohen, Von Kants Einfluß auf die deutsche Kultur. Marburger Kaisergeburtstags- rede. Berlin 1883. S. 23ff.

* Die Hoffnung, welche der Berliner Kriminalist Hitzig nach Feuer- bachs Tode äußerte: „daß er doch, was jetzt in Deutschland nicht mehr ein so seltenes Glück ist, als es wohl früher war, einen seines Gegenstands würdigen Biographen fände," scheint unerfüllt zu bleiben. Die wichtigste Quelle für Feuerbachs Lebensgang ist: Anselm Ritter v. Feuerbachs Leben und Wirken, aus seinen ungedruckten Briefen und Tagebüchern, Vorträgen und Denkschriften veröffentlicht von seinem Sohne Ludwig

ein Vulkanus von früh an, in dem wie mit urwüchsiger KraR in lebens- langem Wechsel die Stürme eines leidenschaftlichen Temperaments nach außen drängten, in dessen Leben beständig Zeiten verhaltener Erregung mit vesuvischen Ausbrüchen empfindlichster Reizbarkeit wechselten, hatte er nach zornigem Streit seine Freiheit dem Vater abgetrotzt. Dem Elternhaus des Frankfurter Advokaten wandte er den Rücken und floh nach Jena. Hier in der Nähe, in Hainichen, hatte einst seine Wiege gestanden, hier nahm ihn die Jungfer Tante in ihr gastliches Haus, hier ward der Heimatlose der alma mater dankbarer Sohn.

Feuerbach, Leipzig 1852, 2 Bände, sowie für die Kieler Zeit neuerdings Liepmann, Von Kieler Professoren. Briefe aus drei Jahrhunderten zur Geschichte der Universität Kiel, Stuttgart -Berlin 1916, S. 90 98. Die vollständigste Bibliographie über die Fülle kleinerer biographischer Darstellungen bei Frantz Dahl, Juridiske Profiler, Kjobenhavn og Kristiania 1920, S. 77—85. An älteren, z. T. auf persönliche Eindrücke zurückgehenden Berichten seien erwähnt: Brockhaus, Zeitgenossen, Neue Reihe III, 11, 1823, S. 159 174; Hitzig in seinen Ännalen der deutschen und ausländischen Kriminalrechtspflege XV, 1833, S. 398 410; Mittermaier in Bluntschli und Braters deutschem Staatswörterbuch III, 1858, S. 503 513; Äbegg im Gerichtssaal Vlll, 1, 1856, S. 230 237, 241-275. Von Späteren haben über Feuerbachs Leben geschrieben: Glaser (Ges. kl. Schriften über Strafrecht, Zivil- und Strafprozeß 1, Wien 1868, S. 19 61), Geyer (Münchener Festrede zum 100. Geburtstag 1875 und Kl. Schriften strafrechtlichen Inhaltes, München 1889, S. 553 584), Binding (Straf rechtl. und strafproz. Äbhdlg. 1, 1915, S. 507— 521). Die Darstellungen in Rottecks u. Welckers Staatslexikon 3. Aufl., Bd.V, 1869, S. 346— 354 und in der Ällg. deutschen Biographie VI, 1877, S. 731—745 stammen von Marquardsen, Ferner K. Th. Heigel, Aus drei Jahrhunderten, Wien 1881, S. 234 257. Mit vielen Literatur- und Quellenangaben E. Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft 3, II, München 1910, Textband S. 112—139, Notenband S. 60-68. Zum Jahrhunderttag des Bay. StGB. Erich in Äschaffenburgs Monatsschrift X, 1913, S. 385—414, Edw. Baum- garten im Gerichtssaal 81, 1913, S. 98 150. Von speziellen Gesichts- punkten gehen aus die Studien von Holder, Savigny und Feuerbach, Virchow und Holtzendorffs Sammlung wissenschaftlicher Vorträge XVI, 378, Berlin 1881; Ä. v. Bechmann, Feuerbach und Savigny, Münchener Rektoratsrede 1894; Fleischmann, Anselm v. Feuerbach. Der Jurist als Philosoph, Erlangcr Diss. 1906; Edw. Baumgarten, Recht der Persönlich- keit und Zweckgedankc in Theorie und Praxis des deutschen Strafrechtes von der Carolina bis auf Feuerbach, Tübinger Diss. 1907; O. Döring in Kantstudien, Ergänzungsheft 3, Berlin 1907; Jos. Breuer, Die politische Gesinnung und Wirksamkeit des Kriminalisten Anselm v. Feuerbach, Straß- burger Diss. 1905; Coenders, Richtlinien aus den Lehren Feuerbachs für die moderne Strafrechtsreform (Recht und Staat in Geschichte und Gegen- wart 7), Tübingen 1914; Radbruch, Feuerbach als Kriminalpsychologe (Äschaffenburgs Monatsschrift VI, 1910, S. 1-9). Zur Familien- geschichte siehe Henriette Feuerbach, Anselm Feuerbachs Leben, Briefe und Gedichte, Bd. I der von Herm. Hettner herausgegebenen

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Es war die Zeit Karl Augusts, Jenas klassische Zeit!' Goethe kam oft von Weimar in das „liebe närrische Nest", Schiller hatte 1 789 seine Antrittsvorlesung gehalten: „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?", in der er am Eingang den Hörern dem philisterhaften „Brotstudenten" den ewig jugendlichen „philosophischen Kopf" gegenüberstellte und deren Grundgedanken durchdrungen waren von dem stolzen Selbstgefühl des aufgeklärten Zeitalters, dem die Fort- schritte bisheriger Menschheitsentwicklung zu immer höherer Vollkommen- heit zu führen bestimmt schien. Feuerbachs späterer „Lehrer, Freund und Gegner" Hufeland lehrte Naturrecht. Als Philosoph galt neben C. E. Schmid K. L. Reinhold als Berühmtheit. Dem österreichischen Jesuitenkloster entflohen, nun Wielands Schwiegersohn, war er einer der einflußreichsten Verkünder der Philosophie Kants, mit dem er selbst in regem Briefwechsel stand. ^ Es war Jenas Glanzzeit, berühmt durch bedeutende Männer in allen Fakultäten, so der Theologe Griesbach, der Naturwissenschaftler Froriep. Voran aber stand die Philosophische Fakultät, deren Ruhm damals alle anderen deutschen Universitäten über- sh-ahlte. Fast alle führenden Philosophen haben in jenen Jahren dort gelernt und gelehrt: Fichte, der Reinholds Nachfolger wurde. Sehe Hing und Hegel, Fries und Krause. Auch die Brüder Schlegel haben dort begonnen. Waren sie auch meist nur für kurze Zeit dort, so wollte doch jeder gern eine Zeitlang an dem regen Austausch geistigen Lebens an der Jenaer Universität und im Kreise ihrer Freunde, denen sich zeitweilig Alexander und Wilhelm v. Humboldt mit Caroline zu- gesellten, teilhaben.

Dem jungen Feuerbach wurden die Professoren, „die Väter auf der Universität", alsbald zu den „besten Freunden". Mit tiefer Treue

Nachgelassenen Schriften von Änselm Feuerbach (Archäologe) I IV, Braunschweig 1853, sowie das große Werk über den Maler Änselm Feuerbach, den Enkel des Kriminalisten: Julius Allgeyer, Änselm Feuerbach. In zweiter Aufl. in 2 Bänden herausgegeben von Carl Neumann, Berlin und Stuttgart 1904, Nachricht über handschriftliches Material: Breuer, a. a. O. pag. V VIII. Daselbst Angaben über sonstige verstreute biographische Mitteilungen. An Bildern Feuerbachs ist am bekanntesten Kreuls Porträt, das freilich, nach Ludwig Feuerbachs Urteil, „obwohl ein sehr gutes Bild, doch mehr den Präsidenten als den geistvollen Menschen darstellt". Wiedergaben in Bd. 1 von Leben und Wirken und bei Dahl a. a. O. Ungleich lebensvoller ist ein Biid aus jüngeren Jahren, dessen Wiedergabe der ersten Auflage von Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft (V/issenschaft und Bildung 79), Leipzig 1910, vorangestellt ist.

^ K. Biedermann, Die Universität Jena nach ihrer Stellung und Be- deutung in der Geschichte des deutschen Geisteslebens. Jena 1858. S. 77 ff.

- Karl Leonhard Reinholds Leben und literarisches Wirken. Heraus- gegeben von Ernst Reinhold. Jena 1825.

und Dankbarkeit hängt er an seinem Lehrer Reinhold, seinem „Führer zum Guten und väterlichen Freund". „Ihm danke ich es und mit mir unzählige Jünglinge", so bekennt er bei Reinholds Weggang nach Kiel „daß ich besser geworden bin, ihm danke ich die Ausbildung meines Geistes und die Schärfung meiner Denkkraft, ihm danke ich es endlich, daß ich warmer Freund reeller Wissenschaften, Freund des eigentlichen angestrengten Denkens geworden bin. " ^ So ward Philosophie sein Studium. Kant stählte ihm Seele und Verstand, Rousseau erwärmte die Glut des Herzens. Unruhig und begierig nahm er die Dinge auf, brennend vor freudigem Ehrgeiz, in heller Begeisterung dabei mitten im akademischen Leben, offenen Sinnes in der Hingebung jugendlicher Freundschaft, wenn „die Herzen sich wechselweise ergossen, die sich schon beim ersten Anblick einander zuschlugen". Schwelgend in der Romantik der „Rudolphsburg" und den Wäldern des Saale- tales, — so trinkt er in vollen Zügen das reiche Leben der Studentenzeit. Früh erwarb er den Doktorhut, schon brachte Niethammers Journal die ersten Abhandlungen aus der Feder des jungen Philosophen, da band er sein Schicksal an die Frau, an die schöne Mine Tröster, an deren Seite und zugleich nahe den verstehenden Freunden in der alten, nun neugewonnenen Thüringer Heimat zu leben, ihm höchster Wunsch an das Schicksal schien.' Nun galt es, den Vater völlig auszusöhnen, galt es, baldige Heirat möglich zu machen. Darum hieß es dem Lieblingsstudium entsagen und ein Brotfach ergreifen: Jurisprudenz! Nach Jahren hat der gefeierte Rechtsgelehrte dem Sohn Änselm, dem Vater des liebenswerten, unglücklichen Malers, von der schweren Entsagung, aber auch von der Kraft zielbewußten Pflichtgefühls gesprochen, die der 21jährige damals erlebte.'^ Mit dem Ernst der Arbeit stellte sich die Freude auch an dem neuen Gegenstand ein, die Beschäftigung mit den Quellen selbst zog ihn an, bald schien ihm das Corpus iuris kein confusum Chaos mehr, sondern „ein Produkt tiefster Weisheit, der innigsten Kenntnis des Menschen und seines Geistes".* Freilich, seinem Schicksal entgeht keiner: der „schlüpfrige

' Feuerbach, Leben und Wirken I, S. 8 und 9. Doch scheinen die Meinungen über den wissenschaftlichen Wert der Reinholdschen Vor- lesungen bei älteren, kritischen Hörern geteilt gewesen sein. So wird von dem Leipziger Philologen Gottfried Hermann, der als junger Magister bei Reinhold Kant studieren wollte, berichtet, ihn habe dessen Bestreben, das System Kants zu popularisieren und allgemein faßlich zu machen und alle Schwierigkeiten wegzuräumen, enttäuscht. Vgl. Otto Jahn, Biographische Aufsätze. Leipzig 1886, S. 99.

' Fe u erb ach, Leben und Wirken I, S. 16.

" Ebendort II, S. 132 ff.

* Ebendort I, S. 26 f.

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Pfad des akademischen Lebens", den er mit der Abkehr von der Philosophie als die Torheit jugendlicher Unbesonnenheit verlassen wollte, war ihm gleichwohl vorbestimmt. Kurz nach seiner juristischen Promotion 1799 wurde er Privatdozent. Bald hält er wohlbesuchte Kollegs: Rechtsgeschichte, Institutionen, peinliches Recht. Schüler reihen sich um ihn: Gildemeister, einer seiner „ersten und talent- vollsten Schüler", Lehmann aus Göttingen „ein interessanter Mensch, voller Kenntnisse".^ In 2 Jahren wird er Extraordinarius und alsbald Beisitzer des Schöppenstuhls und ordentlicher, wenngleich unbesoldeter, Professor des Lehnrechts. Sein Ruf dringt nach auswärts. Ein Monat bringt ihm vier Berufungen.

Im Frühjahr 1802 geht er als Ordinarius nach Kiel, dem „freundlichen, munteren Ort, voll liebenswürdiger, guter, treuherziger Menschen". Seit dem Fackelzug bei Reinholds Weggang war kein Hochschullehrer so geehrt worden wie Feuerbach, dem die Studenten, ähnlich wie Reinhold, eine Ehrenmedaille prägten: Praeceptori optimo, quem Jena sibi ereptum dolet, Kiloniae donatum gratulatur f. f. pietas auditorii Jenensis.^ Mit Freuden begann er die Arbeit der Kieler Zeit. In Jena war er bloß Gelehrter, hier wird er Mensch. „Nie war ich tätiger, nie habe ich mehr gelernt und mehr gewirkt als hier, und doch habe ich weniger als sonst an meinem Pult gesessen."^ Der freundliche Ort wirkt auf ihn unvergleichlich erheiternd, die Segelboote auf der grünen Flut, kriegerische Fregatten und friedliche Kauffahrtei- schiffe. Den Wein läßt man sich hier „trefflich schmecken", er hat „von dem besten Medoc im Keller". Welche Freude für den Binnen- länder, wenn er „aus dem Wäldchen auf Düsterbrook den himmelblauen Wellen in ihrem Spiel" zusieht oder „selbst in einem Segelboote auf ihren Spitzen tanzt" ! Reinhold nahm den einstigen Jenenser Schüler mit Freuden auf, der Kreis um Hegewisch, den „tätigsten Schriftsteller in Kiel", und um Hensler bringt ihm Anregung und Erholung, bei dem Curator, Staatsminister von Reventlow, einem „ungemein liebens- würdigen und kenntnisreichen Mann" ist er häufiger Gast. „Der ganze akademische Senat ist nur eine Familie, eine Gesellschaft von Freunden . . . " ^ Eine Idylle, die ihn wohltuend und verlockend aufnahm die ihm aber kein dauernder Gewinn sein konnte. Da war er doch von Jena eine andere geistige Beweglichkeit gewohnt als in der norddeutschen Kleinstadt, eine andere Hörerschaft als die „holsteinischen Klötze", deren „Nationalcharakter zu sehr in den Körper treibt: die viele

' Ebendort I, S. 55, 54.

' Ebendort I, S. 66.

' Ebendort I, S. 78.

* Ebendort I, S. 72, 73, 84, 92 f., 75.

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Krütze (sie) und das häufige fette Rindfleisch muß sich endlich auch den Köpfen mitteilen"! Es ward ihm zu eng, zu unbefriedigend in Kiel, und so ging er schon nach zwei Jahren mit Freuden daran, seinen „Katheder von den Ufern der Ostsee hinter die Donau zu versetzen" : durch kurfürstliches Dekret wurde er, der erste Nichtbayer, der erste Protestant, an die Universität Landshut berufen/

Die Grundlagen der strafrechtlichen Lehren Feuerbachs sind bereits in seinen philosophischen Jugendarbeiten vorgezeichnet. Früh hat er sich schon in seiner philosophischen Epoche Problemen des Rechts zugewandt, so wie später der Kriminalist auf Jahre hinaus den Philo- sophen der Kantischen Schule nicht verleugnen mochte. Als echter Jünger der kritischen Philosophie müht er sich von Anfang an um die Grundfrage nach dem Wesen des Rechts, fragt er vor der Ableitung einzelner materieller Rechtssätze, ob überhaupt aus der Vernunft Recht hervorgehen kann. Den „Vater des Naturrechts" nannte ein zeitgenössischer Rezensent den jungen Feuerbach, ^ nicht ahnend, daß mit solcher Vertiefung der naturrechtlichen Methode der Bestand des Naturrechts alsbald in Frage gestellt war.

Der Rechtsbegriff, der Feuerbach vorschwebte, sollte autonom sein. Recht sollte mehr sein als eine Ausstrahlung der Moral, sollte nicht, wie er es von seinem Lehrer Reinhold gehört hatte, im Verhältnis zum Sittengesetz heteronom bleiben. Reinhold nannte Recht dasjenige, „was durch Freiheit des Willens vermittelst des Sittengesetzes möglich ist,"^ d. h. was vom Sittengesetz weder geboten noch verboten ist.* Unter diesen allgemeinen Begriff fallen innere und äußere Rechte, „Gewissensrechte" und „Naturrecht". Im juristischen Sinne, im Sinne des Naturrechts, habe ich nach Reinhold ein Recht gegen jemand, wenn dieser mich rechtswidrig angreift, „folglich durch das von dem anderen übertretene Sittengesetz". '^

In zwei Gruppen teilt Feuerbach die Versuche ein, das Recht aus dem Sittengesetz herzuleiten, die „absoluten" Methoden, nach denen das Recht mit den sittlichen Pflichten des Berechtigten zusammenfällt und seine Kraft aus der Wirksamkeit des Sittengesetzes unmittelbar erhält und die „relativen" Methoden, welche das Recht auf die

' Leben und Wirken I, S. 90 f.

'^ Leben und Wirken I, S. 28.

' K. L. Reinhold, Briefe über die Kantische Philosophie II. Bd. Leipzig 1792, S. 193.

* K. L. Reinhold, Beitrag zur genaueren Bestimmung der Grund- begriffe der Moral und des Naturrechts. Neuer teutscher Merkur v. J. 1792 I. Bd. Weimar 1792. 6. Stück, S. 105 ff., vgl. S. 120.

^ Briefe über die Kantische Philosophie II. Bd., S. 153.

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mittelbaren Wirkungen zurückführen, welche von derjenigen sittlichen Pflicht ausgehen, die für den andern gilt, der dem Berechtigten als Verpflichteter gegenüber steht. ^

Die Wirksamkeit des Sittengesetzes besteht nach Feuerbach allein darin, daß es Pflichten begründet. Es erlaubt ein Verhalten nur insofern, als es auf seine Wirksamkeit verzichtet. „Das Sitten- gesetz als tätig erlaubt nichts, aber es erlaubt, inwiefern es nicht tätig ist, sondern als ruhend betrachtet wird."^ Nicht von einem Berechtigen, nur von einem Nichtverbieten kann man hier sprechen. Man kann ein solches nicht verbotenes Verhalten immerhin recht nennen, das Recht ist mehr als ein ethisches aSi-icpopov oder, wie Feuerbach es ausdrückt, etwas anderes als nur eine Negation des Sittengesetzes. „Beruhigt blicke ich in mein Inneres, wenn ich finde, daß das, was ich tat, recht war; aber frei und mutig blicke ich um mich her, wenn ich weiß, daß ich ein Recht habe."^ Vollends bliebe, wäre das Recht inhaltlich gleichbedeutend mit sittlich zulässigem Verhalten, jener immer wieder erlebte tragische Zwiespalt zwischen rechtlicher Bindung und sittlicher Pflicht summum ius summa iniuria schlechthin unerklärlich.

Ebenso weist Feuerbach die Unzulänglichkeit der relativen Methode nach. Nach ihr sollte sich aus der Verbindlichkeit des Ver- pflichteten das Recht als die Befugnis des andern, des Berechtigten ableiten lassen. Alles, so wird geschlossen, was der eine leiden muß, ist des anderen Recht. Ich habe zu allem Recht, was zu dulden der andere verpflichtet ist. Recht ist: „Nicht-gehindert-werden-dürfen".* Aber auch auf diesem Wege kommt man nicht zu einem Rechts- begriff, der inhaltlich Wesentliches enthält: „denn wie kann sein (des andern) Unrecht meine Handlung rechtmäßig machen?"^ Aus der Pflicht des andern folgt noch nicht das Recht, die Innehaltung dieser Verpflichtung zu erzwingen. Vielmehr wird eine Pflicht erzwingbar („vollkommen") erst dadurch, daß ein Recht, sie zu erzwingen, besteht. Es ergibt sich somit, „daß die Rechte nicht vollkommene Pflichten, sondern die vollkommenen Pflichten, inwiefern sie vollkommen sind, die Rechte voraussetzen".^

' Feuerbach, Versuch über den Begriff des Rechts. Niethammers Journal II. Bd., 2. Heft, S. 138 ff.; vgl. S. 144 f. Feuerbach, Kritik des natürlichen Rechts . . . Ältona 1796. S. 94 ff. und S. 139 ff.

Kritik des natürlichen Rechts S. 104.

" Ebendort S. 114.

* Ebendort S. 145.

'" Ebendort S. 146.

« Ebendort S. 174.

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Huf diese Kritik folgt nunmehr die eigene Lösung Feuerbachs: Die Ableitung des Rechts aus einer gegenüber dem sittlichen Vermögen selbständigen Funktion der Vernunft.

Das Vermögen, das sich auf die Willensbestimmung bezieht, heißt praktische Vernunft. Der Wille ist das „Vermögen, sich mit dem Bewußtsein eigener Tätigkeit zur Hervorbringung einer Vorstellung zu bestimmen".^ Die Hervorbringung der Vorstellung kann als not- wendig oder nicht notwendig bestimmt werden. Diejenige Funktion der praktischen Vernunft, bei der die Bestimmung als notwendige gegeben ist, ist die moralische, entsprechend dem Wesen der Pflicht: Du sollst; diejenige, bei der diese Bestimmung nicht als not- wendig gegeben ist, ist die juristische, entsprechend dem Wesen des Rechts: Du darfst. Es liegt dieser Deduktion der Gedanke zugrunde, daß, wie das Leben des Menschen undenkbar wäre, wenn ihn nicht das eigene Gewissen an seine Pflichten mahnte, ebenso notwendige Voraussetzung seines Daseins ist, daß er bestimmte Handlungen zu tun oder zu unterlassen berechtigt ist. Mag dies im einzelnen noch so verschieden gestaltet sein, wir können uns des Menschen Verhältnis zu den verschiedenen Möglichkeiten des Handelns immer nur unter der Form denken, daß er Rechte und Pflichten hat.

Mit dieser Deduktion ist eine Form gefunden, unter der wir uns das Wesen des Rechts als etwas Eigenartiges, gegenüber der Moral begrifflich Selbständiges vorstellen können. Aber dieser von der Sittlichkeit unabhängige Begriff des Rechts läßt nur die formale Struktur des Rechts erkennen, über Inhalt und Wesen des Rechts vermag er uns nichts zu sagen. Erst wenn nachträglich das Recht wiederum zur Sittlichkeit in Beziehung gesetzt wird, erhält der grundsätzlich von der Sittlichkeit unabhängige Begriff des Rechts Leben und Farbe.

Die Vernunft ist ein Begriff, unter dem wir eine Fülle von Einzelheiten in systematischer Einheit zusammenfassen. Diese vereinheitlichende Tendenz zeigt sich bei der praktischen Vernunft in einem für alles menschliche Wollen und Handeln gesetzten höchsten Zweck. „Die Vernunft setzt, vermöge ihrer Form, welche systematische Einheit ist, dem Willen einen höchsten Zweck, indem sie ihm ein absolutes, schlechthin durch sich selbst gültiges, allgemeines und notwendiges Gesetz vorschreibt."^ Zur Erfüllung der aus diesem absoluten Gesetz sich ergebenden Verbindlichkeiten wählt die Vernunft zwei Mittel: sie macht diese Erfüllung in der Moral dem Menschen zur Pflicht und sie gibt ihm im Recht die Möglichkeit, diese Pflichten zu

' Ebendort S. 248. =* Ebendort S. 251 ff.

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erfüllen. Um dem Dienst sittlicher Pflichterfüllung leben zu können, muß der Mensch frei in seinem Tun sein; um sich allein sittlicher Bindung zu unterwerfen, muß er unabhängig sein von äußerem Zwang. Denn allein um des Sittengesetzes willen handelt nur derjenige, dem es freisteht, auch entgegengesetzt zu handeln. Es kommt nicht darauf an, daß „die Pflichten der Erscheinung nach erfüllt werden (dies gibt bloße Legalität), sondern auch, daß das bepflichtete Subjekt sich frei zur Erfüllung derselben bestimmt".^ Hier liegt die Wurzel des Rechts im Sinne von Freiheit. „Gibt die Vernunft das Recht zur Freiheit, als einer Bedingung der Erreichung des höchsten Zwecks, so muß sie auch dadurch unmittelbar um dieses Rechtes, mittelbar um des Sittengesetzes und des höchsten Zwecks willen nicht allein die Hand- lungen sanktionieren, durch welche sich das Subjekt für, sondern auch gegen das Sittengesetz bestimmt."'' Z. B.: Warum habe ich das Recht, mir das Leben zu nehmen? Hätte ich kein Recht dazu, so wäre Selbstmord eine Rechtswidrigkeit. Ich wäre rechtlich verpflichtet, mir nicht das Leben zu nehmen und könnte zur Erfüllung dieser Verpflichtung durch Zwang angehalten werden. Dann wäre der Verzicht auf Selbstmord keine sittliche Tat. „Denn ich hätte die Pflicht nicht durch Freiheit, sondern durch Nohvendigkeit erfüllt. Die Vernunft muß aber Freiheit in Erfüllung der Pflichten wollen. Folglich muß sie mir das Recht geben, mich zur Erfüllung der Pflicht nicht zwingen zu lassen, sie muß mir das Recht geben, mir das Leben zu nehmen."^

Aber diese Freiheitssphäre darf nicht ohne Schutz bleiben. Wenn dem sittlich Handelnden in dem Verhalten anderer ein Hindernis entsteht, sanktioniert das Recht einen Zwang gegen diese anderen auf Beseitigung des Hindernisses. Huf diese Weise gelangt Feuerbach in der „Kritik des natürlichen Rechts" zu der Ableitung einer zweiten,^ dem Rechte wesentlichen Eigenschaft, der Erzwingbarkeit. In diesem Sinne ist Recht ein Zwangsrecht, damit „mir die Erreichung des höchsten Zwecks durch Erfüllung meiner Pflichten möglich werde, in Beziehung auf andere vernünftig sinnliche Wesen, die in eine Sphäre meiner Handlungen mit Gewalt eingreifen können. Dieses kann nicht anders geschehen als dadurch, daß ich dem Zwang der anderen Zwang entgegensetze."^

' Feuerbach, Über die einzig möglichen Beweisgründe gegen das Dasein und die Gültigkeit der natürlichen Rechte. Leipzig und Gera 1795, S. 95 ff. ' Über die einzig möglichen Beweisgründe ... S. 96 L

* Kritik des natürlichen Rechts S. 291.

* Kritik des natürlichen Rechts, Vorrede pag. XXVII. ^ Kritik des natürlichen Rechts S. 258.

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So kommt Feuerbach zu dem Ergebnis: Das Recht ist seinem Wesen nach etwas Selbständiges und von der Moral Unabhängiges. „Das Naturrecht hat mit der Moral nichts gemein als ihre allgemeine Quelle die Vernunft, und zwar die praktische Vernunft. Im übrigen sind sie durchgängig voneinander ver- schieden."^ Aber dieses Recht, das etwas anderes ist als Sittlichkeit, wird angewandt um des Sittlichen willen, dient der Erfüllung sittlicher Pflichten. Denn „Moralität ist Endzweck der Welt".-

Eine scholastische Argumentation! Und doch sind diese abstrakten Sätze Grundlagen, auf denen der ganze Bau der Feuerbachschen Lehren ruht. Die Autonomie des Rechts durchzieht wie ein Grund- dogma sein ganzes Wirken. Dieser Gedanke dient uns zur Erklärung, ihm selbst zur Rechtfertigung für die übermäßige Härte seiner straf- rechtlichen Bestimmungen, die eben den Anspruch nicht erheben wollten, als eine sittlichen Forderungen genügende Regelung mensch- lichen Verhaltens zu gelten. Bei dem Begriff des Rechts, um den es hier geht, ist nun aber nicht so sehr gedacht an das Recht im objektiven Sinn, an die Norm, den Imperativ, sondern in subjektivem Sinn an die Befugnis, an die Berechtigung des Einzelnen. Hier liegt die rechtspolitische Bedeutung jener abstrakten Deduktion, die in ihrem Kern ein Bekenntnis zu dem Rechtsgedanken der Äufklärungszeit enthält, jenem zu Unrecht verschrieenen „Htomismus", nach dem das Recht nicht allein als absolute Macht über der Masse der Untertanen lastet, sondern jeder Einzelne zugleich als Träger von Rechten und Pflichten den andern wie der Gesamtheit gegenüber Befugnisse und Ansprüche geltend machen kann. Derselbe Gedanke, der im Äntihobbes von 1796, dem Feuerbachschen Seitenstück zu Friedrich II. Äntimachiavel, in einer Apologie des ius resistendi gegenüber den Ansprüchen des unbeschränkten Staatsabsolutismus zum Ausdruck kam. Solche rechts- politischen Forderungen fanden auch das ist von grundsätzlicher Bedeutung für Feuerbachs Entwicklungsgang in den Lehren der Kantischen Philosophie eine formale Stütze.

Nicht nur rein äußerlich nimmt Feuerbach an vielen Stellen auf Kant Bezug."^ Die wichtigsten Bausteine der Beweisführung sind den Grundbegriffen der praktischen Philosophie Kants entnommen: die allgemeine gesetzgebende Bedeutung der Vernunft, der kategorische Imperativ und die sittliche Freiheit sind die unentbehrlichen Grundlagen für Kant wie für Feuerbach. ^ Selbst der Grundgedanke, daß, um

' Kritik des natüriichen Rechts S. 305. ' Ebendort S. 276. ' Kritik des natüriichen Rechts S. XXV, 90, 112, 171, 174. * Döring, Feuerbachs StraUheorie und ihr Verhältnis zur Kantischen Philosophie. Kant- Studien, Erg.-Heft III. Berlin 1907. S. 36.

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sittliche Pflichterfüllung möglich zu machen, wir zum Handeln nicht gezwungen werden dürfen, ist echter Kant. Wenn wir, heißt es in der „Kritik der praktischen Vernunft", alle Konsequenzen unseres Tuns wüßten, wenn „Gott und Ewigkeit mit ihrer furchtbaren Majestät uns unablässig vor Augen" ständen . . ., „so würden die mehresten gesetzmäßigen Handlungen aus Furcht, nur wenige aus Hoffnung und gar keine aus Pflicht geschehen, ein moralischer Wert der Handlungen aber, worauf allein der Wert der Person und selbst der der Welt in den Äugen der höchsten Weisheit ankommt, würde garnicht existieren"/ Gleichwohl hat sich Feuerbach seine Selbständigkeit gegenüber dem „Königsberger Weisen" zu wahren bemüht, wiewohl nach seinen eigenen Worten „ihn niemand inniger verehren, niemand mit tieferer Dankbarkeit die Verdienste erkennen kann, die sich dieser große Denker um Philosophie und Menschheit, um Welt und Nachwelt erworben hat . . . " ^

Feuerbachs rechtsphilosophische Untersuchungen weisen in der Tat über Kant hinaus. Dadurch, daß der Rechtsbegriff als Recht im subjektiven Sinn, als Recht des einzelnen Subjekts, als Berechtigung gefaßt ist, verstärkt sich zugleich der Gegensatz von Recht und Moral. Beide erscheinen ihrer Struktur nach als verschiedene Funktionen der praktischen Vernunft: rechtliches Dürfen und sittliches Müssen. Von hier aus war es kein weiter Schritt mehr, den Feuerbach in seinen kriminalistischen Schriften unbedenklich vollzieht: die Trennung von Recht und Moral auch in objektiver Hinsicht auf das Inhaltliche zu erstrecken und zwischen rechtlichen und sittlichen Geboten zu scheiden, welche Pflichten entgegengesetzten Inhalts be- gründen können.

Nach Kant besteht das Recht in der „Einschränkung der Freiheit eines jeden auf die Bedingung ihrer Zusammenstimmung mit der Freiheit von jedermann, insofern diese nach einem allgemeinen Gesetz möglich ist". ^

Ist die Freiheit des einzelnen das Ziel dieses Rechts, so tritt es doch vorwiegend als allgemein ausgleichende objektive Norm, nicht als der subjektive Anspruch des einzelnen in die Erscheinung. Kant kennt nur Zwangsgesetze, keine Erlaubnisgesetze.* Selbst die Befugnis zu rechtlichem Zwang folgert er aus der Verpflichtung des Handelnden zur Ausübung dieses Zwanges.^ Den Begriff der recht- lichen Freiheit kennt er nicht als Befugnis, innerhalb einer lediglich

' Akademie-Ausgabe Bd. V, S. 147, Cassirer Bd. V, S. 159.

'^ Kritik des natürlichen Rechts, Vorrede pag. XXV.

" Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber niclit für die Praxis. Cassirer Bd. VI, S. 373.

* Zum ewigen Frieden. Cassirer Bd. VI, S. 432, Note 1.

'" Rec. V. Hufelands Versuch über den Grundsatz des Naturrechts. Cassirer Bd. IV, S. 346.

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vom Recht gezogenen Schranke beliebig zu schalten und walten, sondern er spricht von rechtlicher Freiheit nur im staatsrechtlichen und politischen Sinne als dem Prinzip, „keinen äußeren Gesetzen zu gehorchen, als denen ich habe meine Zustimmung geben können".^

Auch als ein Jahr nach Feuerbachs „Kritik des natürlichen Rechts" Kants „Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre" erschienen," blieb die Darstellung des Rechtsbegriffs in gleicher Weise auf das objektive Recht beschränkt. Überhaupt war diese späte systematische Rechtsphilosophie des 73jährigen Kant wenig fruchtbar, ein Werk, wie es der Kriminalist Grolman nannte: „eines großen, aber keineswegs infalliblen Greises".^ Grundsätzlich ist auch hier das subjektive Recht, die Berechtigung lediglich gleichbedeutend mit einem Nichtverbotensein,* gelegentlich aber auch mit Nichtgehindertwerden- dürfen.^ Es ist die hergebrachte Doktrin, wie sie charakteristischer- weise auch von Reinhold vertreten war, dem Kant selbst drei Jahre zuvor brieflich bezeugt hatte, daß er über die Prinzipien des Natur- rechts im wesentlichen mit ihm übereinstimme.^ Feuerbachs Kritik an Reinholds Ableitung des Begriffes Recht hat Kant offenbar nicht gekannt. Spricht er doch in dem gleichen Brief an Reinhold davon, daß er zwar „wohl allenthalben Abhandlungen aus meinem eigenen Fonds herausspinnen" könne, sein Älter ihm aber Schwierigkeiten bereite, sich „in die Verkettung der Gedanken eines anderen hinein- zudenken und so dessen System, bei beiden Enden gefaßt, reiflich beurteilen zu können".

Hatte die „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" gelehrt, daß ein ethisches Gesetz verlange, das Gebot solle lediglich um des Gebotes willen, allein aus ~ Pflichterfüllung befolgt werden, so zeigte die „Metaphysik der Sitten", daß sich das Rechtsgesetz damit begnügt, daß sein Gebot überhaupt, gleichgültig aus welchen Beweggründen, erfüllt wird.^ So beruht bei Kant der Gegensatz von Moralität

* Zum ewigen Frieden. Cassirer Bd. VI, S. 434 f., Note 1.

^ 1797. Seit der 3. Aufl. noch im gleichen Jahre zusammen mit „Metaph. Anfangsgründe der Tugendlehrc" in der „Metaphysik der Sitten" vereinigt.

* Über die Begründung des Strafrechts und der Strafgesetzgebung. Gießen 1799, S. 218.

* Metaphys. der Sitten, Äkademie-Äusgabe Bd. VI, S. 222; Cassirer Bd. VII, S. 23.

' Metaphys. der Sitten, Äkademie-Äusgabe S. 246; Cassirer S. 47.

* K. L. Reinholds Leben und literarisches Wirken . . . Herausgegeben von Ernst Reinhold. Jena 1825, S. 158. Der Brief findet sich auch in den großen Kantausgaben: Akademie-Ausgabe Bd. XI, S. 475 ff. (Nr. 585) und Cassirer Bd. X, S. 235 ff. (Nr. 345).

' Äkademie-Äusgabe Bd. IV, S. 397; Cassirer Bd. IV, S. 253 f. Äkademie-Äusgabe Bd. VI, S. 219; Cassirer Bd. VII, S. 19.

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und Legalität auf einem Unterschied der Motivierung der Pflicht- erfüllung.^ Darüber hinaus ist die Autonomie des subjektiven Rechts und der Sinn und die Möglichkeit eines schneidend scharfen Gegensatzes rechtlicher Freiheit und sittlicher Pflicht klarer und vollkommener bei dem jungen Feuerbach erkannt und zum Ausdruck gebracht worden. Anders dachte offenbar der zeitgenössische Rezensent der Feuerbachschen „Kritik des natürlichen Rechts", der dieses Buch zwar rühmt als ein Beispiel, wie man Begriffe erörtern müsse, aber meint: „Die nach Ausgabe dieser Schrift erschienene Metaphysik der Sitten würde dem Verfasser Gelegenheit gegeben haben, sich noch die Seite des Begriffes aufzuhellen, die ihm dunkel geblieben war."'

Daß die herausgestellten Unterschiede zwischen den Lehren Kants und Feuerbachs zum Problem der Selbständigkeit von Recht und Sittlichkeit mehr sind als begriffliche Spitzfindigkeiten, zeigt sich in der Art, wie beide die ihrem Wesen nach von einander unabhängigen Größen Recht und Sittlichkeit zu einander in Beziehung setzen. Kant lehrte: Der Staat ist zwar seinem Wesen nach eine Institution äußerer Gesetzgebung, aber einen Staatsverband zu begründen ist sittliche Pflicht.^ In der „Metaphysik der Sitten" wird weiter ausgeführt, daß die Staatengründung für den Menschen geradezu eine Notwendigkeit ist, „wenn er nicht allen Rechtsbegriffen entsagen will".* Grundsätzlich faßt hier Kant die Beziehung zwischen Recht und Sittlichkeit in dem Gedanken zusammen, daß es eine sittliche Pflicht sein kann, allgemein den Gesetzen des Staates, nur weil sie dessen Gesetze sind, auch ohne daß sie selbst ein ethisches Gebot zum Inhalt haben, zu gehorchen.^

^ E. Kaufmann, Kritik der Neukantischen Rechtsphilosophie, Tü- bingen 192L S. 59 f.

' AUgem. Lit.-Ztg. Jena u. Leipzig 1798. Bd. IV, Nr. 323, Sp. 224 ff., insbes. Sp. 234. In der heutigen Literatur betonen die Priorität Kants und die Abhängigkeit Feuerbachs von Kant in der Frage der Selbständig- keit von Recht und Sittlichkeit: Baumgarten, Recht der Persönlichkeit und Zweckgedanke... Tübinger Diss. 1907, S. 131, und Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft 3, II, S. 61, Note 9. (Vgl. aber ebendort Text S. 113.) Für die Selbständigkeit Feuerbachs, unbeschadet des allgemeinen Einflusses der Kantischen Philosophie und seine Priorität im Sinne der im Text gegebenen Darstellung: Fleischmann, Anselm V. Feuerbach, Der Jurist als Philosoph, Erl. Diss. 1906, S. 70. Döring, Feuerbachs Straftheorie und ihr Verhältnis zur Kantischen Philosophie. Kant-Studien, Erg.-Heft III, Berlin 1907, S. 17. Nagler, Die Strafe. Eine juristisch-empirische Untersuchung. Berlin 1918. S. 65.

^ Idee zur allgem. Geschichte in weltbürg. Absicht. Cassirer Bd. IV, S. 156. Zum ewigen Frieden, Cassirer Bd. VI, S. 465.

* Akademie-Ausgabe Bd. VI, S. 312. Cassirer Bd. VII, S. 118.

' Akademie-Ausgabe Bd. VI, S. 219 f. und 231. Cassirer Bd. VII, S. 20 und 32.

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Diese Argumentation Kants schuf der Gehorsamspflicht gegen die Autorität des gegebenen Staates einen ethischen Unterbau und mündete damit in eine Apologie des unbeschränkten Staatsabsolutismus in schroffem Gegensatz zu den rechtspolitischen Forderungen der Auf- klärungszeit. Es ist derselbe Gegensatz, der sich darin zeigt, daß der junge Feuerbach im „Hntihobbes" das Zwangsrecht der Bürger gegen das Staatsoberhaupt bei einem Bruch des imaginären Unter- werfungsvertrages verficht, während Kant den Gedanken von einem Recht zur Revolution unbedingt zurückwies, die ihm ihrem Wesen nach eben stets ein Rechtsbruch bleibt.^ In der Beurteilung einzelner revolutionärer Bewegungen blieb Kant durch diese theoretische Fest- stellung jedoch keineswegs gebunden, hat er doch selbst die Enhvicklung der großen französischen Revolution mit einer „an Enthusiasmus grenzenden Anteilnahme" verfolgt.^

Das Recht ist begrifflich selbständig gegenüber der Sittlichkeit, aber es ist nur da um der Sittlichkeit willen. Dieser doppelte Gedanke bestimmte Feuerbachs Anschauungen auf dem Gebiet des Strafrechts. Er entspricht in seiner negativen Seite dem leidenschaftlichen Kampf gegen eine Hinübernahme der ethischen Begriffe Schuld und Willens- freiheit in die strafrechtliche Zurechnungslehre, von dem sein großes theoretisches Werk, die „Revision" von 1799/1800 erfüllt ist. Auf der andern Seite dient er ihm bereits im „Rntihobbes" zur Begründung seiner eigenen Strafrechtstheorie, wobei er, auch hier bewährter Dialektik folgend, von einer Kritik entgegenstehender Meinungen ausgeht. Ein Äbschreckungsstrafrecht, nach dem eine Strafe über einen Verbrecher verhängt wird, damit andere durch diese Strafe von ähnlichen Taten abgeschreckt werden, wäre eine unsittliche Rechtsanwendung. Denn sie würde ein Menschenschicksal als Mittel für einen außer ihm selbst liegenden Zweck um größerer Furcht der anderen willen dienstbar machen. Gebietet doch das Sittengesetz nach Kants „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" „Handele so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest".'' In der

' Feuerbach, Äntihobbes S. 80 ff. sowie die Bemerkung S. 51, Note. Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, Cassirer Bd. VI, S. 383. Zum ewigen Frieden, Cassirer Bd. VI, S. 469. Metaphysik der Sitten, Äkademie-Äusgabe Bd. VI, S. 320. Cassirer Bd. VII, S. 126 f. Über weitere Probleme der staatsrechts- philosophischen Auffassung Kants im Verhältnis zum Strafrecht siehe unten Kap. III, S.93.

* K.Vorländer, Kants Stellung zur französischen Revolution. Philos. Äbhdl. f. Herm. Cohen, Berlin 1912, S. 247 ff., insbes. S. 260 u. 265.

" Akademie-Ausgabe Bd. IV, S. 429. Cassirer Bd. IV, S. 287.

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„Metaphysik der Sitten" heißt es dann in spezieller Anwendung auf das Strafrecht: Es kann nie eine Strafe ein Mittel sein, „ein anderes Gute zu befördern für den Verbrecher selbst oder für die bürgerliche Gesellschaft, sondern muß jederzeit nur darum wider ihn verhängt werden, weil er verbrochen hat; denn der Mensch kann nie bloß als Mittel zu den Absichten eines andern gehandhabt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt werden, wowider ihn seine angeborene Persönlichkeit schützt, ob er gleich die bürgerliche ein- zubüßen gar wohl verurteilt werden kann"/ Ganz in diesem Sinne hält Feuerbach, der später ausdrücklich diese Worte Kants aufnahm,^ dem Äbschreckungsstrafrecht entgegen: „Heißt das nicht ein vernünftiges Wesen als eine Sache, als ein beliebiges Mittel zu einem höheren Zweck gebrauchen? Wie kann die Vernunft ein solches sich selbst widersprechendes Recht begründen?"^

Aber auch das Ziel, durch den Strafvollzug im Sinne einer Spezialprävention auf die Persönlichkeit des bestraften Verbrechers selbst zu wirken, lehnte Feuerbach als Zweck der Strafe ab. Daß es überhaupt ein „Zwangsrecht zur Prävention" gebe, eine Befugnis, „sich gegen den Beleidiger in Sicherheit zu setzen und ihm entweder die Lust oder die Möglichkeit zu nehmen, ferner Beleidigungen auszuüben,"* hat auch Feuerbach ursprünglich angenommen und erst später bestritten,'' wohl aber ist ihm von vornherein ein derartiges Recht niemals Strafrecht. Ein Strafrecht, das der Besserung des Bestraften diente, wäre kein Strafrecht, sondern ein Züchtigungsrecht. „Der Staat ist aber nicht Vormund, sondern Beschützer, nicht Zuchtmeister, sondern Verteidiger. " ''

Diese Fragen kehren später in dem Streit mit dem Kriminalisten Grolman ausführlich wieder. Der „Äntihobbes" begnügt sich damit, die Strafe als „ein zugefügtes sinnliches Übel" zu definieren, das zum Unterschied von dem „Präventionsübel" stets „eine Androhung oder ein Strafgesetz" voraussetzt.'

Damit werden die beiden Anschauungen fallen gelassen, welche die Rechtfertigung der Strafe herzuleiten suchten aus der Wirkung der Vollziehung der Strafe, sei es auf die Allgemeinheit, sei es auf

1 Äkademie-Äusgabe Bd. VI, S. 331. Cassirer Bd. VII, S. 139. - Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts Bd. I. Erfurt 1799. S. 48.

' Äntihobbes. Ältona 1796. S. 210.

* Äntihobbes S. 205 f.

' Vgl. unten Kap. II, S. 50.

" Äntihobbes S. 204.

' Ebendort S. 204 und 207.

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den Bestraften. Es bleibt Feuerbach nur der andere Weg, den Nach- weis für die Berechtigung der Strafe zu führen durch Hinweis auf die Wirkung der Strafdrohung. Auf diesem Wege gelangt er bereits am Ausgang seiner philosophischen Periode im „Antihobbes" von 1798 zu der für ihn charakteristischen Strafrechtstheorie, die meist als „psychologische Zwangstheorie" bezeichnet wird. v. Bar hat sie „Theorie des positiven Gesetzes" genannt,^ ähnlich wie sie ein zeit- genössischer Berichterstatter der Allgemeinen Literaturzeitung als „gesetzliche Straftheorie" bezeichnete." Binding gab ihr den Namen „Balancirtheorie".^

Der Gedankengang dieser Theorie ist folgender:* Das Motiv des Verbrechens ist Befriedigung eines Bedürfnisses. Durch Androhung eines Übels wird der Vorstellung von der durch die Bedürfnisbefriedigung erzielten Lust ein Unlustgefühl wegen des zu erwartenden Schmerzes assoziiert. Überwiegt dieses, so wird der Täter von der Begehung des Verbrechens abgehalten. „Die Tat kann nicht begangen werden, ohne das Übel zu leiden; das Übel kann nicht vermieden werden, ohne daß die Tat unterlassen wird. Es wird also nicht bloß die Vorstellung, die dem rechtswidrigen Begehren zum Grunde lag, verdunkelt, sondern das Begehren selbst wird an einem ganz andern, dem vorigen wider- sprechenden Gegenstande festgehalten."'^ Es ist dieselbe Theorie, aus der später in der „Revision" die Zurechnungslehre abgeleitet wurde.

So ist der Zweck des Strafgesetzes Verhinderung von Ver- brechen überhaupt. Erzielt wird dies dadurch, daß durch die gesetz- liche Straf drohung alle Bürger als mögliche Verbrecher von der Begehung verbotener Taten abgeschreckt werden. Die Berechtigung der abschreckenden Strafdrohung ergibt sich aus eben diesem Zweck und daraus, daß durch sie keiner in seinem Recht verletzt wird, „da das Übel nur auf den Fall einer Verletzung der Freiheit bestimmt, mithin die Freiheit, insofern sie mit der Freiheit aller besteht, durch die Androhung um nichts beschränkt, kein Recht also dadurch beleidigt wird".'' Diese Formulierung will besagen, daß der Staat nicht schlechthin befugt ist, denjenigen Übel in Aussicht

' V. Bar, Geschichte des deutschen Straf rechts und der Straf rechts- theoricn, Berlin 1882, S. 249.

- Revision der Fortschritte des Kriminalrechts. Erg.-Bl. z. Allgem. Lit.- Ztg., Jena u. Leipzig 1801, Nr. 49, Sp. 387. Vgl. unten S. 25, Hnm. 1.

" Binding, Handbuch des Strafrechts I. Bd., Leipzig 1885, S. 21.

^ Ausführliche Darstellung dieser Theorie, ihrer Argumente und eine kritische Betrachtung der gegen sie vorgebrachten Einwände bei Hepp, Kritische Darstellung der Strafrechtstheorien, Heidelberg 1829, S. 80 ff.

^ Antihobbes S. 217 f.

« Antihobbes S. 220 f.

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zu stellen, die irgendwelche gesetzlich bestimmte Handlungen begehen, sondern daß er nur Rechtsverletzungen unter Strafe stellen darf. Keineswegs liegt also in der Verbotswidrigkeit allein die Strafwürdigkeit einer Handlung.

Wird das Hauptgewicht auf die Wirkung der gesetzlich angedrohten Strafe gelegt, so erscheint die Zufügung der Strafe bei der Bestrafung des einzelnen Verbrechers als etwas Sekundäres. Sie hat nur den Zweck, „die Androhung selbst wirksam zu machen".^ Wie aber läßt sich bei diesem bescheidenen Zweck die Berechtigung der Zufügung der Strafe erweisen? Dieser Rufgabe dient schon im „Äntihobbes" die „Einwilligungstheorie". Durch das Gesetz ist die Ausübung der Tat an die Bedingung der Bestrafung geknüpft. Wer die Tat willentlich begeht, willigt mit dem Bedingten in die Bedingung ein, und „ich habe durch seine Handlung aus eben dem Grunde ein Recht, die Strafe zu exequieren, aus welchem ich das Recht habe, die Erfüllung eines eingegangenen gültigen Vertrages zu fordern"." Ganz im Sinne des Hugo Grotius, der aus der gleichen obligationen- rechtlichen Analogie den Satz ableitete: qui directe vult peccare, per consequentiam et poenam merere voluerit.^

Diese Einwilligungstheorie entspricht der naturrechtlichen Doktrin vom Sozialkontrakt mit dem Unterschied, daß bei Feuerbach der Vertragsschluß in der Begehung des einzelnen Verbrechens fingiert wird, während nach jener Doktrin im ursprünglichen Staatsvertrag jeder Bürger generell von vornherein dem Gemeinwillen die Befugnis zu strafrechtlicher Ähndung von Rechtsverletzungen überträgt. Auf diesem Gedanken beruhte der durch Kants Gegenargumentation berühmt gewordene Versuch Beccarias, die Unrechtmäßigkeit der Todesstrafe durch den Hinweis darauf naturrechtlich zu erweisen, daß kein Bürger über sein Leben zugunsten Dritter verfügen könne.*

^ Äntihobbes S. 226.

2 Äntihobbes S. 233.

^ Jus belli ac pacis. Lib. II, cap. XX, § 2, Abs. 3.

^ Beccaria, Über Verbrechen und Strafen. Übersetzt v. K. Esselborn, Leipzig 1905, S. 105 ff. Kant, Metaphysik der Sitten. Akademie-Ausgabe Bd. VI, S. 334 f.; Cassirer Bd. VII, S. 142. Kant findet in der „teilnehmender Empfindelei einer affektierten Humanität" entsprungenen Behauptung Beccarias „alles Sophisterei und Rechtsvcrdrehung". Im „Sozialkontrakt ist gar nicht das Versprechen enthalten, sich strafen zu lassen" und der Bürger als Subjekt der Gesetzgebung, als homo noumenon keineswegs identisch mit dem Verbrecher als Gegenstand strafrechtlicher Beurteilung, dem homo phaenomenon. Wie wenig eine doktrinäre Widerlegung der rationalistischen Begründung Beccarias die wahre Gültigkeit seiner Ideen in Frage zu stellen vermag, dafür zeugt der Umstand, daß er selbst weit mehr Gewicht auf die beredte Darstellung der Innern Gründe gegen die

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Wie die begriffliche Ableitung des autonomen Rechtsgedankens ist auch Feuerbachs Strafrechtstheorie der Ausdruck bestimmter rechts- politischer Überzeugungen. Denn sie führte folgerichtig zu einer Stärkung der Autorität des positiven Gesetzes und damit im Sinne des modernen Rechtsstaates zu einer gesicherten Abgrenzung zwischen der Freiheitssphäre des Einzelnen und der Macht des Staates. Wenn Feuerbach mit aller Leidenschaft den Kampf gegen schranken- lose richterliche Ungebundenheit führte und eng bestimmte Grenzen obrigkeitlichen Ermessens forderte, so folgte er gewiß den Konsequenzen seiner Strafrechtstheorie, zugleich aber bahnte er damit dem Staats- gedanken der Äufklärungszeit den Weg.

Nulla poena sine lege! Dieser Grundsatz unbedingter rechtlicher Beschränkung der staatlichen Strafgewalt ergab sich Feuerbach aus der doppelten Wurzel seiner dogmatischen Strafrechtstheorie und seiner politischen Rechtsüberzeugung. Wenn die Bedeutung der Strafe in erster Linie in der abschreckenden Wirkung der gesetzlichen Straf- drohung besteht, wenn die Verhängung der Strafe nur diese Wirksamkeit der vom Gesetz angedrohten Strafe stärken soll, so darf im Einzelfall nur die Strafe verhängt werden, die das Gesetz selbst angedroht hat. Daß damit das Strafrecht zugleich den Forderungen der Lehre von der „Teilung der Gewalten" entspricht, indem gesetzgebende und richterliche Gewalt nur dann in Wahrheit streng getrennt bleiben, wenn der Richter an das allgemeine Gesetz ausnahmslos gebunden bleibt, hat Feuerbach selbst mit einem Hinweis auf Hobbes gezeigt, wenn er auch nicht wie Hobbes in den richterlichen Beamten allein die Adressaten der strafgesetzlichen Bestimmungen sah.^ Mit dieser positivistischen Tendenz zugunsten einer strengen Bindung des Richters an das geschriebene Gesetz haben die Staatsrechtslehrer der Auf- klärungszeit und auf strafrechtlichem Gebiet Feuerbach den Rechts- garantien des modernen Staates die Wege geebnet. Freilich wir Heutigen erschrecken über die allzu ängstliche Beschränkung richterlichen Ermessens, zu der das Mißtrauen gegen den absoluten Staat führte. „Les juges de la nation", so verlangt es Montesquieu, „ne sont que la bouche, qui prononce les paroles de la loi, des etres inanimes, qui

Todesstrafe gelegt hat und vor allem der tiefe Eindruck, den seine Worte noch nach IV2 Jahrhunderten aufs neue jedem hinterlassen, der den berühmten 16. Abschnitt dieses unvergänglichen Buches nachliest.

' Feuerbach, Revision Bd. I, S. 148 l Vgl. Hobbes, De cive XIV, § 7 a. E., Deutsche Ausgabe von Frischeisen -Köhler (Philos. Bibl. Bd. 158), S. 230. Zu dem Satz: Nulla poena sine lege: Binding, Handbuch des Strafrechts I. Bd., Leipzig 1885, S. 17 ff., und in bezug auf das Feuer- bachschc Strafgesetzbuch die Darstellung unten Kap. V.

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n'en peuvent moderer ni la force, ni la vigueur."^ Aber der Grund- gedanke, daß das Gesetz die unübersteigbare Schranke staatlicher Strafgewalt bildet, bleibt uns ein unverlierbares Erbe der Äufklärungs- zeit, und wir sehen auch heute in dem Satz: Nulla poena sine lege das „Bollwerk des Staatsbürgers gegenüber der rücksichtslosen Macht der Mehrheit, gegenüber dem Leviathan". (Liszt.^)

Dieser Gedanke der strengen Bindung des Richters an das positive Gesetz beherrschte Feuerbachs Stellung zu dem Problem der straf- rechtlichen Zurechnung. Nicht richterliche Willkür, nicht eigenes Ermessen oder besondere Rücksicht auf die Umstände des einzelnen Falles, sondern einzig und allein die Bestimmungen des Gesetzes sollen Voraussetzung und Begrenzung der strafrechtlichen Verantwortung bestimmen. Auch dieser Gedanke war zugleich eine Konsequenz der kriminalistischen Doktrin Feuerbachs wie seiner staatsrechtlichen Über- zeugung. Wenn das Wesen der Strafe in ihrer Wirkung als angedrohtes Übel besteht, so kann die Frage nach strafrechtlicher Verantwortlichkeit grundsätzlich nicht gestellt werden im Hinblick auf den einzelnen, dem die Strafe zugefügt wird, sondern auf die Allgemeinheit, die durch ihre Androhung abgeschreckt werden soll. Zurechnung ist für Feuerbach daher primär ein abstraktes Problem, eine Beurteilung generalisierter Tatbestände, keine Diagnose einmaliger konkreter Tatsächlichkeiten. So mag der Gesetzgeber generell die Bedingungen vorschreiben, unter die der Richter den konkreten Einzelfall zu subsumieren hat. Hatte man sich gegenüber der für jene Zeit unerträglichen Härte der überkommenen Strafgesetze mit einem aus der italienisch -gemeinrechtlichen Doktrin von der poena extraordinaria abgeleiteten und zum Gewohnheitsrecht gewordenen Gebrauch geholfen, der dem Richter ein System von außer- gesetzlichen Milderungsgründen an die Hand gab, die ihn zur Änderung des gesetzlichen Strafrahmens berechtigten, so eröffnete Feuerbach einen leidenschaftlichen Kampf gegen diese Anarchie des positiven Rechts.'*

^ Esprit des lois. Livre XI, Chap. VI. Edition st^räotype Didot, Paris 1816, pag. 57.

'' V. Liszt, Straf rechtl. Aufsätze u. Vorträge II, Berlin 1905, S. 80. Anders Binding: „Wer indessen Verständnis für das Verbrecherleben und dafür besitzt, daß die Gesetzgebung demselben nicht in alle Schlupfwinkel zu folgen vermag, wer empfindet, was es heißt, schwere Mißtaten bloß in Ermangelung des Gesetzesbuchstabens straflos zu lassen, der muß dem Richter die Verurteilung auf Grund der Analogie nicht nur freigeben, sondern sie von ihm fordern." (Handbuch des Strafrechts I, Leipzig 1885, S. 28.)

** Über diese Lehre siehe: C. Lippmann, Historisch-dogmatische Dar- stellung der Lehre von der richterlichen Strafänderungsbefugnis. Münchener Preisschrift 1863. - R. Loening, Über geschichtliche und ungeschichtliche Behandlung des deutschen Strafrechts. Mit Anmerkungen zur Geschichte der deutsch. Strafrechtswissenschait seit 150 Jahren, Z.Str.W. Bd. 3, 1883, S.219ff.

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Gerade aus dem Vorhandensein bestimmter Strafgesetze (d. h. Strafgesetze mit absolut -bestimmten Strafgrößen) im Gegensatz zu unbestimmten Strafgesetzen (mit willkürlicher Strafdrohung) folgt, so lehrte seine juristische Dissertation von 1799: De causis mitigandi ex capite impeditae libertatis, daß das Gesetz, wo es eine bestimmte Strafe androht, will, daß eben diese unverändert verhängt wird. Nicht nach wohlerwogener Billigkeit oder naturrechtlichen Reflexionen, sondern allein den Bestimmungen des Gesetzes gemäß hat der Richter die Strafbarkeit der Tat zu beurteilen. Mochte, wem das Recht nur eine Ausstrahlung des Sittengesetzes war, bei der strafrechtlichen Zurechnung auf moralische Erwägungen Rücksicht nehmen, dem Gedanken der Autonomie des Rechts entsprach es, die Tat allein den Bestimmungen des Gesetzes zu subsumieren. Damit war keineswegs der unerträglichen Härte der Carolina das Wort geredet, sondern die drängende Notwendig- keit gesetzgeberischer Reformen nur um so fühlbarer gemacht. Feuerbach wollte, wie es ein in seinem Sinn abgefaßter zeitgenössischer Hufsatz in der Allgemeinen Literaturzeitung schildert, keineswegs „solange die Carolina besteht, sacken und pfählen", sondern sein Kampf galt der Doktrin, welche den Notbehelf der Praxis zum Prinzip erhob, welche „human wurde auf Kosten der Gerechtigkeit". Er wandle sich dagegen, daß „jene Milderungstheorie, die nach seiner Meinung zum Notbehelf für gegenwärtige Bedürfnisse erfunden ist, sich den Schein allgemeiner, notwendiger Wahrheit gebe" und verlangte, daß „der Richter . . . dem Begnadigungsrecht des Oberherrn in seinem Urteil die Milderung grausamer Strafen überlassen, nicht aber durch ungerechte Überschreitung seines Richteramtes der Menschlichkeit ein Opfer bringen müsse". ^

' Revision der Fortschritte des Criminalrechts in d. letzten drey Quin- qucnnien. Erg.-Blätter zur Allgemeinen Literaturzeitung I, 1, Jena u. Leipzig 1801, Sp. 257 u. 414. Von wem dieser Aufsatz stammt, steht nicht fest, Landsberg 3, I, Noten S. 318, nennt Grolmann (sie!) als Verfasser. Dagegen spricht nicht nur, wie Esselborn (S. 241 der unten S. 31 an- gegebenen Schrift) angibt, die, übrigens keineswegs konsequent durch- geführte, falsche Orthographie (Grohlmann) oder der Umstand, daß Grolman, der von sich stets mit größter Bescheidenheit sprach, hier mit Vorliebe als der „scharfsinnige Gegner Feuerbachs" bezeichnet wird, sondern vor allem der Inhalt der Abhandlung. Im allgemeinen beschränkt sich der Verlasser auf bloßes Referieren, wo er aber selbst Partei ergreift, ist eine enge innere Beziehung zu Feuerbach unverkennbar. So namentlich in dem oben im Text wiedergegebenen, der Grolmanschen Auffassung entgegen- gesetzten Bekenntnis zu der Lehre von der Bindung des Richters an das positive Gesetz. Dagegen, daß Feuerbach selbst der Verfasser ist, spricht die bei ihm sonst ungebräuchliche Bezeichnung der psychologischen Zwangs- theorie als „gesetzliche Straftheorie" (Sp. 387).

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Mit solchen Folgerungen war Feuerbach von dem naturrechtlichen Ausgangspunkt seiner Deduktion abgerückt. Bedeutet doch die Souve- ränität des positiven Gesetzes eine Überwindung der naturrechtlichen Doktrin. Hatten die jüngeren Naturrechtler und unter ihrem Einfluß Kriminalisten, wie Stübel und Grolman, die Herrschaft des Naturrechts auf subsidiäre Geltung gegenüber dem positiven Recht zu beschränken gesucht, so wurde Feuerbach nicht müde, immer wieder zu betonen, daß auch die Lücken der positiven Gesetzgebung nur dann durch philosophisch ermittelte Naturrechtssätze ergänzt werden dürfen, wenn sich ihre Zulässigkeit aus dem positiven Recht selbst nachweisen läßt. Ausführlich erörtert er in der „Revision", daß nur solche allgemeine Prinzipien zur Ergänzung des positiven Gesetzes herangezogen werden dürfen, die „in dem Willen des Gesetzgebers enthalten, mithin still- schweigend von demselben sanktioniert sind".^ Im Willen des Gesetz- gebers ist aber nach Feuerbach nur enthalten, was notwendig mit seinen Äußerungen verbunden ist, d. h. die zwar unausgesprochenen, aber gleichwohl mit den Bestimmungen des positiven Gesetzes untrennbar verbundenen Grundsätze. Eine Anweisung zur Interpretation von Gesetzen, die auch heute in unverminderter Geltung bleibt.

Als Feuerbach sein Landshuter Lehramt antrat, nahm er die Frage nach dem Verhältnis von Naturrecht und positivem Recht, von Philosophie und Empirie zum Gegenstande seiner akademischen Antritts- vorlesung.^ Wohl erfüllt ihn der Glaube an die Vernunft als letzte, allgemeingültige Quelle allen Rechts, als den höchsten Maßstab aller vergänglichen Rechte, aber das geltende Recht ist allein das positive Gesetz, das um irdischer Rechtssicherheit willen erlassen werden muß. Denn über die Auslegung des wahren Naturrechts können sich die Gelehrten nicht einigen, das Recht aber soll „Frieden im Handeln begründen, während des Krieges der Meinungen, während des Kampfes der Philosophen".^ Der Rechtsgelehrte soll die juristischen Begriffe aus dem Gesetz ableiten, unmittelbar, durch Analogie, durch Generalisieren und selbst, wenn er aus allgemeinen Erwägungen heraus Begriffe bilden muß, die nicht im Gesetz enthalten sind, kann die Philosophie ihn nur vorläufig zum Wahren „leiten", die Geltung der gewonnenen Hypothese bestimmt allein das Gesetz. So mag er „mit der Fackel der Wissenschaft das Gesetz beleuchten, aus dem der Richter dem Untertan seine Rechte zuerkennen soll",* und selbst als

' Revision Bd. I, S. 185.

* Feuerbach, Über Philosophie und Empirie in ihrem Verhältnisse zur positiven Rechtswissenschaft. Landshuter Antrittsrede 1804. ^ Über Philosophie und Empirie a. a. O., S. 29. ' Ebendort S. 31.

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Ratgeber für den Gesetzgeber des Staates hat ihn die Erfahrung über Schäden und Bedürfnisse der überkommenen Rechtspflege in seinen philosophischen Erwägungen zu ergänzen. Das war eine deutliche Absage an die Naturrechtler, ein Streitruf „wider die Anmaßung derer, welche alles Positive in der positiven Rechtswissenschaft nur als eine untertänige Magd wollen behandelt wissen, deren höchste Bestimmung es sei, der Philosophie die Schleppe nachzutragen, ihren herrschaft- lichen Befehlen sich in Untertänigkeit zu beugen und, wenn es der Herrin beliebt, vor ihren Äugen ganz zu verschwinden"/

Aber nur zu oft waren in Feuerbachs Wirken Fortschritt mit Beharren, neue Erkenntnis zugleich mit starrem Festhalten an alten Irrtümern allzumenschlich verschwistert. So sehr er immer wieder den Richter allein auf die Bestimmungen des positiven Rechts verweist, er selbst hat es keineswegs verschmäht, in naturrechtlichem Sinne inhaltlich bestimmte Rechtssätze aus Vernunftideen zu entwickeln. Mag er der Gedankenwelt, von der er ausgegangen war, unbewußt noch einen Tribut gezollt haben, oder hat das Pathos der naturrechtlichen Ideen in seinem Temperament empfänglichen Boden gefunden, freilich nicht als Rechtfertigung einer absolutistischen Staatsauffassung wie bei Hobbes, sondern im Sinne eines unvergänglichen Freiheitsbriefes gegen despotische Willkür? Wir müssen dem Tyrannen, der uns unterdrückt, „die Rechte, die er kränkt, beweisen, wir müssen ihm zeigen, daß wir über diese Rechte nicht bloß meinen, sondern daß wir sie wissen, daß sie nicht bloß erträumt, sondern wirklich, daß sie nicht das Produkt des menschlichen Stolzes, sondern der menschlichen Vernunft sind" !'

Nach naturrechtlichem Vorbild leitet Feuerbach den Rechtsstaat als ideelle Norm nicht als reales, historisch entstandenes Gebilde aus dem dreifachen Vertrag, dem Bürgerlichen Vertrag, dem Unterwerfungsvertrag und dem Verfassungsvertrag ab."^ Diese Lehre vom Sozialkontrakt will nicht ein historischer Erklärungsversuch, sondern ein rechtliches Beurteilungsprinzip sein, nicht behaupten, daß die historischen Staaten tatsächlich durch wirklich abgeschlossene Verträge entstanden sind, sondern „daß ein rechter Staat sich als durch einen Vertrag seiner Mitglieder entstanden denken lassen muß".* So hat die Vorstellung vom Staatsvertrag eine normative Bedeutung. Das tritt am stärksten bei Kant hervor, der dieser Lehre zugleich

' Ebendort S. 25.

"" Kritik des natürlichen Rechts S. 235.

^ Äntihobbes S. 10 u. 37. Vgl. Landsberg, Geschichte d. deutschen Rechtswissenschaft 3, II, S. 115.

* G. Radbruch, Grundzüge der Rechtsphilosophie, Leipzig 1914, S.107.

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eine Vertiefung nach der ethischen Seite hin gab: einen Sozialkontrakt einzugehen ist ethische Pflicht, d. h. eine Staatsordnung, die sich durch Vertrag entstanden denken läßt, zu begründen und zu bewahren, ist sittliches Gebot. Aber schon Rousseaus Contrat social von 1762 verstand den Vertragsgedanken als ideelle Norm.^ Feuerbach leitete aus jener imaginären dreifachen Vertragsform zugleich das ius resistendi der Untertanen und die Tatbestände des Hochverrats ab.^

Waren das immerhin Dinge aus seiner philosophischen Jugend- epoche, so blieb Feuerbach auch in Fragen von grundsätzlicher Bedeutung in naturrechtlicher Denkweise befangen.^ Er selbst glaubte fest daran, daß seine Zurechnungslehre den Bestimmungen und dem Sinn der positiven Gesetze entspreche. Aber in Wahrheit war sie allein aus seiner Straftheorie abgeleitet, aus der Lehre, daß Sinn und Zweck eines jeden Strafgesetzes in der Abschreckung aller Bürger durch die Drohung liege. Wenn Feuerbach hierbei den naturrecht- lichen Vertragsgedanken, der Verbrecher hätte durch seine Tat in die Erduldung der Strafe eingewilligt, mehr und mehr dahin abwandelte, er habe in die Strafe einwilligen müssen, weil der Staat zu ihrer Androhung berechtigt war, so läßt sich die Berechtigung der einzelnen staatlichen Strafandrohung wiederum nur naturrechtlich durch den Hin- weis auf die letzten Prinzipien des Rechts, aus der Notwendigkeit des wechselseitigen Schutzes der Freiheit aller ableiten.* Wenn die Wirkung der Androhung Zweck des Strafgesetzes ist, dann mußte nach Feuerbach zurechnungsfähig derjenige sein, auf den mit der Strafdrohung gewirkt

^ Liepmann, Die Rechtsphilosophie des Jean Jacques Rousseau, Berlin 1898, S. 95. M. Salomon, Kants Originalität in der Auffassung der Lehre vom Staatsvertrage, Ärch. d. öffentl. Rechts XXVIII, Tübingen 1912, S. 97 ff., konstruiert Kants Originalität aus dem Unterschied zwischen der „ideellen Auffassung" bei Rousseau und der Erhebung zur „Idee" bei Kant.

- Äntihobbes oder Über die Grenzen der höchsten Gewalt und das Zwangsrecht der Bürger gegen den Oberherrn I, Erfurt 1798. Philosophisch- juridische Untersuchung über das Verbrechen des Hochverrats, Erfurt 1798.

' K. Bergbohm, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie I, Leipzig 1892, S. 186, Anm. 14, weist Feuerbach „lauterste Naturrechtsdoktrin" nach, als ein Beispie! dafür, „welche Wirkungen der Druck einer unwiderstehlichen Zeitidee auf die hellsten Köpfe auszuüben vermag".

* Feuerbach, Antihobbes S. 222 ff.; Strafe als Sicherungsmittel, S. 100; Revision I, S. 53 f.; Lehrbuch 9. Aufl., § 17, S. 20 f. Schon Köstlin, Neue Revision der Grundbegriffe des Criminalrechts, Tübingen 1845, S. 810 f., weist auf diese Entwicklung hin, nach der Feuerbach der wirklichen Ein- willigung die rechtliche Notwendigkeit, sich der Strafe zu unterziehen, substituierte. Wenn der Verbrecher einwilligen mußte, dann wurde der Vertragsgedanke mit seiner ideellen Einwilligung eine „entbehrliche Zutat". So Seeger, Die Strafrechtstheorie Kants und seiner Nachfolger, Tübinger Festschrift für Berner, 1892, S. 30.

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werden kann. Ob aber das einzelne positive Gesetz sich diesen Standpunkt zu eigen gemacht hat, ob es tatsächlich die Verhängung der Strafe um der abschreckenden Wirkung ihrer Drohung willen anordnet, ob es die strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit als ein Urteil über die Bedingungen verstanden wissen will, welche eine abschreckende Wirkung möglich machen, das hat Feuerbach niemals geprüft. Er hielt seine Auffassung vom Wesen der Strafe für die einzig richtige und allein mögliche und schloß hieraus als echter Naturrechtler, daß sie von jedem positiven Gesetz vorausgesetzt werden muß. Seine Zurechnungslehre war somit ein deduktiv gewonnenes Philosophem; daß sie vom positiven Gesetz sanktioniert sei, blieb eine Fiktion!^ Als hätte Feuerbach diese schwache Stelle seiner Argumentation selbst empfunden, hat er in seiner Landshuter Antrittsrede für solche Elementarbegriffe wie Gesetz, Verfassung, Strafe, Strafgesetz nicht anders wie für Vernunft, Wille, Verstand, die jedes Gesetz voraus- setzt, seinen Positivismus selbst durchbrochen und den forschenden Rechtsgelehrten in diesem Fall ohne Rücksicht auf das positive Gesetz den „wohltätigen Händen der alles ergründenden und erleuchtenden Philosophie" anvertraut.' Damit ist dem Widerspruch lediglich ein theoretisches Gewand geschaffen. Wenn Feuerbach bei der Frage, ob vermindert Zurechnungsfähige der vollen Bestrafung unterliegen, nicht von den Bestimmungen und dem Sinn des einzelnen Gesetzes ausging, sondern es darauf abstellte, wieweit auf diese Personen mit der Strafdrohung eingewirkt werden kann, so hielt ihm der zeit- genössische Kriminalist Tittmann entgegen: „Hier ist doch in der Tat nicht von den positiven Bestimmungen auf das Allgemeine, sondern von dem Allgemeinen (Was kann der Zweck des Strafgesetzes sein?) auf das Positive (Kann das gegebene Strafgesetz auf Kinder der Gemütsart angewandt werden?) geschlossen."^

Der Einwurf Tittmanns ist richtig. Was Feuerbach bei den Gegnern leidenschaftlich bekämpfte, tat er selbst: er trug ein philosophisches Beurteilungsprinzip, eine aus allgemeinen Überlegungen abgeleitete Doktrin in die gesetzlichen Bestimmungen über strafrechtliche Zurechnung hinein. Seine Zurechnungslehre und seine Strafrechtstheorie stammten nicht aus dem Gesetz, sondern waren naturrechtlichen Ursprungs,

' Loeninp, Z. Str. W. III, S. 294.

^ Über Philosophie und Empirie a. a. O., S. 67.

' Tittmann, Über die Grenzen des Philosophierens in einem System der Strafrechtswissenschaft und Strafgeselzkunde, Leipzig 1802, S. 84. Mit „Kindern der Gemütsart" sind Personen gemeint, die gleich Kindern als vermindert zurechnungsfähig anzusehen sind. Die Bemerkung Tittmanns bezieht sich auf Feuerbach, Revision I, S. 186.

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und doch kämpfte Feuerbach gerade um ihretwillen für eine Stärkung der Autorität des positiven Rechts. So lebte in seinen Lehren neben positivistischen Forderungen der Aufklärung die alte naturrechtliche Denkweise ungestört weiter, und indem seine Ideen ihre beste Stütze in ihrer methodischen Verknüpfung mit der Kantischen Philosophie fanden, erscheint das wissenschaftliche Schaffen des jungen Feuerbach als ein Spiegel seiner Zeit, jener reichen Epoche, in der drei geistige Strömungen einander befruchteten und bekämpften, einander zu stützen suchten und schließlich überwanden: Naturrecht, Aufklärung und Kritizismus.

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Zweites Kapitel

Feuerbachs Verhältnis zu zeitgenössischen Kriminalisten.

Die erste Epoche der strafrechtlichen Wirksamkeit Anselm von Feuerbachs wird eingeleitet durch eine literarische Auseinander- setzung mit dem hessischen Kriminalisten Karl von Grolman.^ Erneute Durchdringung und tiefere Fundamentierung der eigenen Lehren, meisterhafte Dialektik und glanzvolle Form wissenschaftlicher Kritik und Apologie erwuchsen Feuerbach mehr und mehr als dauernder Gewinn aus dieser Fehde. Zugleich spiegelt dieser Streit ein echtes Stück deutscher Gelehrtengeschichte wieder. Immer wieder senken die Gegner bei aller Leidenschaft und Unnachsichtlichkeit, mit der um die sachlichen Gegensätze gestritten wird, vor der Persönlichkeit des andern die Klingen. „Noch nie ist Rezensent, so begann Feuerbach die Polemik mit einer Besprechung von Grolmans »Grundsätzen der Kriminalrechtswissenschaft« in der Allgemeinen Deutschen Literatur- zeitung vom 9. April 1798, durch eine juristische Schrift freudiger überrascht worden, noch keine schien ihm so sehr das Gepräge des entschiedenen Talents an sich zu tragen und zu größeren Erwartungen von ihrem Verfasser zu berechtigen, als die gegenwärtige . . . Der Verfasser hat nicht bloß Philosophie gelernt, sondern er versteht zu philosophieren." Und Grolman nimmt in der gleichen Gesinnung den Handschuh auf: „Aus dem Kampfe der Meinungen tritt erst die Wahrheit in ihrem vollen Glänze hervor. Darum habe ich mich herzlich gefreut, als die Resultate meines Nachdenkens über die letzten Gründe des Strafrechts Anfechtung fanden."" So konnte tiefe persön- liche Freundschaft die Zeiten wissenschaftlichen Kämpfens überdauern,

' Über Grolman vgl. Brockhaus, Zeitgenossen, Neue Reihe III, 9, S. 3 ff. Leipzig 1823. K. Esselborn, K.L.W, v. Grolman in Gießen. In: Beitr. zur Geschichte der Universitäten Mainz und Gießen. Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde, herausg. v. Dieterich und Bader. Neue Folge Bd. V. Darmstadt 1907.

^ Magazin f. Philosophie und Geschichte des Rechts und der Gesetz- gebung Bd. I. Gießen und Darmstadt 1800. S. 241.

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und als nach Jahren Feuerbach sein reifes Manneswerk über „Öffent- lichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege" dem Freunde widmete, gedachte er nicht ohne stille Wehmut der alten Zeiten.^

Die Anschauungen, die Feuerbach in den Schriften Grolmans bekämpfte, lassen sich zusammenfassen in der Lehre von der Spezialprävention, die in der Geschichte der deutschen Strafrechts- wissenschaft nicht zu mindest infolge der Feuerbachschen Polemik mit Grolmans Namen verknüpft zu werden pflegt. Allerdings stammt sie nicht eigentlich von Grolman. Er selbst nahm „nur allenfalls das Prädikat eines eifrigen Verteidigers jener Theorie" in Anspruch" und erkannte allzeit gern die Priorität eines andern Strafrechtlers, Chr. C. St üb eis, an. „Den ersten Versuch, auf die reine Präventions- theorie ein System des Kriminalrechts aufzubauen, machte Herr Professor Stübel zu Wittenberg."^

Die Lehre von der Spezialprävention sieht Ziel und Zweck der Strafe in der Einwirkung auf das Wesen und in der Beeinflussung des künftigen Verhaltens des einzelnen zu bestrafenden Verbrechers. Ein Gedanke, ebenso alt wie naheliegend! Plato und Cicero haben ihn geäußert* und Senecas Wort: Nemo prudens punit, quia peccatum est, sed ne peccetur wurde den Anhängern dieser Anschauung für alle Zeiten zum Wahlspruch.^ Wenn man trotzdem von dieser Lehre im Sinne einer eigenen Theorie einer Gruppe deutscher Kriminalisten spricht, so liegt die Berechtigung hierfür darin, daß hier jener Gedanke zur Grundlage eines geschlossenen strafrechtlichen Systems gemacht wurde. Dieses Verdienst gebührt als erstem Stübel. Ihm diente jener Grundgedanke, daß im einzelnen Verbrecher die antisozialen Tendenzen überwunden oder unschädlich gemacht werden müssen, zu einem einheitlichen Prinzip, aus dem er die Berechtigung der

^ Feuerbach, Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege. Gießen 1821, Widmung, Eine kriminalistische Würdigung des Streites zwischen Feuerbach und Grolman bei C. G. v. Wächter, Die deutsche Straf rechtswissenschaft des XIX. Jahrh. und ihre Aufgaben. In: Schletters Jahrbüchern der deutschen Rechtswissenschaft und Gesetzgebung I. Erlangen 1855. S. 105 ff.

'^ Magazin für die Philos. und Geschichte des Rechts und der Gesetz- gebung Bd. I. 1800. S. 241.

' Grolman, Über die Begründung des Strafrechts. Gießen 1799. S. 210. Vgl. auch E. Henke, Grundriß einer Geschichte des deutschen peinl. Rechts u. d. peinl. Rechtswissenschaft II. Tl. Sulzbach 1809. S. 359.

* Ziegler, Über die Sicherungstheorien. Gerichtssaal 14, 1862, S. 3 ff. Insbes. vgl. den Nachweis S. 24, Änm. 33.

^ De dementia c. 16. Vgl. Grolman, Grundsätze der Kriminalrechts- wissenschaft. Gießen 1798. S. 9.

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Strafe in juristischem Sinn in gleicher Weise wie ihre Zweckmäßig- keit in kriminalpolitischer Hinsicht abzuleiten suchte.^ Naturgemäß mußte in diesem Präventionsrecht die Prognose für das künftige Verhalten des Täters und damit die Beurteilung der Gefährlichkeit des Täters eine entscheidende Rolle spielen. Ein solches Urteil war aber nicht auf die Tatsache des begangenen Delikts allein zu stützen, sondern mußte auf die Persönlichkeit des Täters, auf die Gesinnung des Verbrechers zurückgreifen. Durch diese Berücksichtigung der Gesinnung näherte sich die strafrechtliche Zurechnung der sittlichen Beurteilung des Täters.

Alle diese Momente sind in einheitlichem Aufbau in S t ü b e 1 s System des allgemeinen peinlichen Rechts" (1795) zum Ausdruck gekommen. - Die Zurückführung aller strafrechtlichen Lehren auf das eine Grundprinzip der Spezialprävention mußte jener Zeit philosophischer Abstraktionen als erheblicher methodischer Vorzug erscheinen. Als Problem empfand man dagegen die Frage, in welchem Verhältnis diese Regeln, die als philosophische Prinzipien den Anspruch auf naturrechtliche Ällgemein- gültigkeit erhoben, zum positiven Recht standen. Hier war sich Stübel offenbar selbst nicht ganz klar. Grundsätzlich soll das Naturrecht, das den allgemein menschlichen, von staatlichen Bindungen unabhängigen Bedürfnissen entspricht, die maßgebende Rechtsquelle sein. Aber im Staat ist durch positive Gesetze bestimmt, wie die an sich allgemein gültigen Naturrechtssätze „in den bürgerlichen Verhältnissen im einzelnen anzuwenden sind".^ So beschränkt sich das Naturrecht auf subsidiäre Geltung und auf die Aufgabe, die Gründe und Zwecke der einzelnen positiv -rechtlichen Bestimmungen aufzuzeigen. Andererseits hat Stübel später von Fällen gesprochen, „in welchen, ungeachtet sie

Vgl. Stübel, System des allg. peinl. Rechts IL Bd. Leipzig 1795, Vorerinnerung pag. IV. R. Schmidt, Die Aufgaben der Strafrechts- pflegc, Leipzig 1895, S. 27, meint, diese Vereinheitlichung sei ein Verdienst Grolmans und erkläre sich aus dem Einfluß Kants auf Grolman. Aber Grolman hat doch wohl diesen Aufbau schon von Stübel übernommen. Es liegt dessen „System des allg. peinl. Rechts" von 1795 zugrunde, während die Darstellung der Strafrechtstheorie Kants in der „Metaphysik der Sitten" (Äkademie-Äusgabe Bd. VI, S.331 ff., Cassirer Bd. VII, S. 138 ff.) erst zwei Jahre nach diesem Werk Stübels erschien. Wenn Kant bereits vorher gelegentlich vom Strafrecht spricht, etwa im Zusammenhang mit der Frage, warum Glückseligkeit nicht Zweck der Moral sein kann (Kritik der praktischen Vernunft, Akademie-Rusg. Bd. V, S. 37, Cassirer Bd. V, S. 43), so hat er damit kaum einen Einfluß auf die Strafrechtswissenschaft ausgeübt.

"^ Chr. C. Stübel, System des allgemeinen peinlichen Rechts mit einer Anwendung auf die in Chursachsen geltenden Gesetze besonders zum Gebrauch für akademische Vorlesungen Bd. I und IL Leipzig 1795.

" System Bd. I, S. 53.

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unter ein vorhandenes Strafgesetz subsumiert werden können, dennoch höhere Gründe die Freisprechung rechtlich möglich machen. Diese höheren Gründe werden aus den philosophischen Rechtsprinzipien und der Politik abgeleitet"!^ Jedenfalls gehören die Voraussetzungen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu den allgemeinen naturrechtlichen Prinzipien: „Denn die Regeln von der Zurechnung und der Subsumtion der einzelnen Handlungen unter die Gesetze gehören in das Gebiet der Philosophie und werden von dem Gesetzgeber vorausgesetzt."^ Aus der naturrechtlichen Idee eines allgemeinen Schutzrechts gegen jedwede Bedrohung des Rechtsfriedens leitet Stübel neben der Befugnis zur Verteidigung gegen Angriffe und dem Anspruch auf Schadenersatz ein „moralisches Präventionsrecht" ab, das darin zum Ausdruck kommt, daß „die Gewalt denjenigen, der mich beleidigen will, überzeugt, er werde durch die Ausführung seiner Absicht mehr verlieren als gewinnen".^ Um dieses naturrechtlich vorbestimmten Zieles willen hat der Staat Strafgesetze erlassen, „zu jedermanns Warnung . . ., damit solchergestalt die bloße Drohung soviel wirke als die wirkliche Ausübung der Gewalt".^ Hat die Drohung aber nicht gefruchtet, so ist die „Vollziehung der Strafe das einzige unentbehrliche Mittel, dergleichen Gesetze in Ansehung zu erhalten".^ Während Feuerbach und Grolman über die Frage stritten, ob das Strafrecht generelle oder spezielle Wirkungen erstreben, sich an die Allgemeinheit oder den einzelnen Bestraften wenden solle, redet hier Grolmans Vorläufer Stübel selbst der generellen psychologischen Wirkung der gesetzlichen Strafdrohung, wie sie später Feuerbach vertrat, das Wort.*" Indessen hat diese Aufgabe der Strafe bei Stübel für den inneren Aufbau seiner Lehren im Verhältnis zur Spezialprävention nur geringe Bedeutung. Mag um dieser psychologischen Wirkung willen kriminal- politische Zweckmäßigkeit immerhin zur Bestrafung ein Bewußtsein der Strafbarkeit wünschenswert erscheinen lassen, zur rechtlichen Begründung der Bestrafung erscheint dies Stübel überflüssig. Ebenso wie es nach dem natürlichen Schutzrechte nicht notwendig ist, vorher bekannt zu machen, welche Art von Gewalt zur Prävention gegen gefährliche Elemente angewandt wird, kann auch in der bürgerlichen Gesellschaft

^ Stübel, Das Kriminalverfahren in den deutschen Gerichten Bd. III. Leipzig ISn. S. 148.

^ System Bd. II, Vorcrinncrung pag. IX. ' System Bd. I, S. 50.

* Ebendort S. 14.

^ Ebendort S. 124.

* Binding, Normen III, S. 96 f., Note 15, bezeichnet Stübel geradezu als Vorläufer Feuerbachs. In der Formulierung erinnern jene Worte Stübels an die spätere Warnungstheorie Bauers. Über diese unten Kap. III.

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ein Delinquent mit einer Strafe belegt werden, die der Täter vorher nicht gekannt hatte oder die vorher gar nicht bekanntgemacht worden ist. Vor allem zeigen sich die Konsequenzen der Lehre von der Spezialprävention in Stübels Verbrechensauffassung. Indem die Strafe der Gefährlichkeit des Täters, der Wahrscheinlichkeit künftigen anti- sozialen Verhaltens begegnen soll, wird das Verbrechen in erster Linie als Symptom künftiger Gefährlichkeit, die begangene Rechtsverletzung als Erkenntnisgrund für künftige weitere Rechtsverletzungen betrachtet.^ „Wir strafen keineswegs eine verbotene Handlung deswegen, weil sie geschehen ist, sondern weil wir ihre Wiederholung zu befürchten haben und betrachten sie also bei der Bestrafung als Drohung."- So lag in der Lehre der Spezialprävention bereits eine theoretische Aus- gestaltung des Grundgedankens des modernen Sicherungsstrafrechts v. Li szt scher Prägung, das die begangene Rechtsverletzung zwar als Voraussetzung strafrechtlicher Reaktion beläßt, mit dieser aber nicht die Tat, sondern den Täter treffen will. Die Gefahren eines einseitig über- triebenen symptomatischen Verbrechensbegriffes haben später Feuerbach als willkommene Angriffspunkte gegen die Lehre von der Spezialprävention gedient. Auf der anderen Seite hätte diese Lehre, welche die strafrechtliche Wirkung auf die Persönlichkeit des einzelnen bestraften Verbrechers abstellte, einer sinnvollen Ausgestaltung erfolg- reicher Verbrechensbekämpfung zur theoretischen Grundlage werden können. Wenn, wie zu zeigen sein wird, in jenem Streite Feuerbach Sieger blieb und seinem Generalpräventionsgedanken zunehmenden Einfluß verschaffte, so trägt dieser Ausgang nicht wenig zu der auf lange Zeit fühlbaren Unfruchtbarkeit auf dem Gebiet rationeller Behand- lung der Verbrecher und sinnvoller Ordnung des Gefängniswesens bei. Was Feuerbach bei seiner Anschauung einer begrifflichen Selb- ständigkeit von Recht und Moral in den Lehren zeitgenössischer Kriminalisten und namentlich Stübels und Grolmans mit besonderem Eifer bekämpfte, war die Verbindung indeterministischer Gedanken mit der strafrechtlichen Zurechnungslehre. Streng genommen hätten sich Stübel und Grolman vom Standpunkt ihrer Spezialprävention zu einem konsequenten Determinismus führen lassen müssen. Beruhte doch ihre Lehre auf dem Gedanken, daß, wer einmal gegen das Gesetz verstoßen habe, dies auch fernerhin tun müsse, womit geradezu die Determination zu einem bestimmten antisozialen Verhalten zur Vor- aussetzung strafrechtlicher Reaktion gemacht wurde. '^ Und das Ziel,

1 System Bd. I, S. 15. ' Ebendort Bd. II, S. 11.

* V. Bar, Geschichte des deutschen Strafrechts und der Strafrechts- theorien. Berlin 1882. S. 171.

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durch sinnlich wirkende Mittel den gefährlichen Verbrecher zu beein- flussen, konnte nur erreicht werden, wenn überhaupt menschliches Verhalten durch Ursachen bestimmt werden kann. Jene Kriminalisten ließen sich jedoch, je mehr sie zu einer Prognose über die Gefährlich- keit des Verbrechers einer Beurteilung seiner Gesinnung bedurften, zu Anschauungen treiben, die einer moralischen Bewertung menschlichen Tuns entsprachen, und solchen Reflexionen lag eine indeterministische Betrachtungsweise nicht eben fern. Stübel selbst sind gelegentlich Bedenken gekommen, die strafrechtliche Zurechnung in so ent- scheidendem Maße auf eine Beurteilung der Gesinnung des Täters zu gründen, da wir die Gesinnung anderer nie vollkommen beurteilen können. Aber er meint, „wir können doch wenigstens mit hoher Wahrscheinlichkeit von den Äußerungen bei den Unternehmungen und Ausführungen eines Verbrechens so weit auf die Gesinnung des Täters schließen, als nötig ist, um zu entscheiden, ob sie mehr oder weniger für den Staat gefährlich sei".' Ob und inwiefern die Handlung eines Verbrechers moralisch gut oder böse sei, das „liegt ganz außer der Sphäre des peinlichen Richters, da auch ein ganz unmoralischer Mensch ein guter und tugendhafter Bürger sein kann, insofern er seine Maximen und Handlungen nicht auf das Vernunftgesetz bezieht, sondern allein durch positive Gründe, durch sinnliche Furcht und Hoffnung zur Erfüllung der bürgerlichen Gesetze und Pflichten bestimmt wird".^ Hier klingt wieder die Kantische Unterscheidung von Legalität und Moralität als eine Verschiedenheit der Motive zur Pflichterfüllung heraus. Will die Präventionstheorie somit keineswegs die sittliche Schuld, sondern allein die Notwendigkeit und Möglichkeit strafrechtlichen Ein- schreitens zur Grundlage der strafrechtlichen Verantwortung machen, so leitet sie doch eben diese strafrechtlichen Voraussetzungen nicht aus einer Bewertung der begangenen Tat, sondern aus einer Beurteilung des Täters ab. Dabei herrschte die Vorstellung, daß eine begangene Rechtsverletzung dann von einer besonders gefährlichen Gesinnung des Täters zeuge, wenn er sich aus freien Stücken zu ihr entschlossen hat. Diese Freiheit der Willensentschließung ist völlig in indeter- ministischem Sinne gedacht. Zu ihrer philosophischen Rechtfertigung verweist Stübel auf Reinhold, der neben dem Kantischen reinen Willen, der der sittlichen Triebfeder unabhängig von sinnlichen Motiven folgt, die Möglichkeit eines in gleicher Weise „freien" unreinen Willens annahm und somit dem Menschen die Fähigkeit zusprach, sich mit der „natürlichen Freiheit des Willens" sowohl für als gegen das Gesetz

' Stübel, System Bd. II, S. 32. - Ebendort S. 37.

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zu bestimmen/ Der freie Willensentschluß, der nach Stübel ein Anzeichen für die gefährliche Gesinnung des Täters ist, besteht für ihn aus drei Elementen: aus dem Bewußtsein, daß durch die Handlung ein Gesetz übertreten wird, einer freien Überlegung über Zwecke und Folgen der Handlung und schließlich der eigentlichen Willensbestimmung, dem Entschluß. Hieraus folgt, daß es für Stübel im Grunde nur eine Schuldform gibt: Vorsatz.^ Gleichwohl suchte er sich mit der her- kömmlichen Zweiteilung der Schuldformen abzufinden. Vorsatz im engeren Sinne ist ihm der freie Entschluß mit dem ausdrücklichen Ziel einer Gesetzesübertretung, Fahrlässigkeit der freie Entschluß zu einem Handeln mit dem Bewußtsein, daß daraus wahrscheinlich eine Gesetzesverletzung entstehen kann, ohne daß diese beabsichtigt ist. Eine Handlung zu unterlassen, aus der nur möglicherweise eine Rechtsverletzung entstehen kann, kann dagegen nach seiner Ansicht von niemand verlangt werden; tritt diese Folge doch ein, so ist das ein Zufall, für den niemand verantwortlich ist.

Der Grad der persönlichen Gefährlichkeit und ihm entsprechend das Maß strafrechtlicher Verantwortlichkeit sind für Stübel um so größer, je mehr die Tat als der freie Entschluß ihres Urhebers anzusehen ist, je weniger äußere Gründe ihn zu seinem Verhalten determinierten. Hier liegt der Kern jener Zurechnungslehre, die Feuerbach wohl noch mehr ihrer indeterministischen Tendenz als ihrer präventionstheoretischen Begründung wegen mit aller Energie bekämpfte. Wo mangelhafte Erziehung, körperliche oder geistige Entwicklungsstörungen, über- raschend sich bietende Versuchungen oder gewaltsame Zwangslagen die innere Entschlußfreiheit beeinträchtigen, da rührt nach Stübel die Gesetzwidrigkeit weniger von der Gesinnung des Täters her, als von einem „zufälligen", d. h. nicht aus der Persönlichkeit des Täters zu erklärenden „ungewöhnlichen Ereignis ... Es bleibt in dem Fall zu hoffen übrig, daß der Verbrecher unter anderen Umständen anders gehandelt haben würde und daß, wie diese Hindernisse gehoben werden können, auch die Entschließung desselben eine andere Richtung nehmen werde ".^ Hier handelt es sich nicht um eine fehlerhafte Gesinnung, auf die mit Bestrafung eingewirkt werden muß. Darum bedingt eine

^ Carl Leonhard Reinhold, Beitrag zur genaueren Bestimmung der Moral und des Naturrechts. Der neue teutsche Merkur vom Jahre 1792. Weimar 1792. 6. Stück, S. 103 ff., insbes. S. 112 ff. Derselbe, Briefe über die Kantische Philosophie II. Bd. Leipzig 1792. 8, Brief, insbes. S. 272. Die Stellung Feuerbachs zu dieser Lehre seines Jenaer Lehrers sowie ihr Verhältnis zu Kant vgl. unten Kap. III, S. 82.

^ Stübel, System Bd. II, S. 54, auch Feuerbachs Schuldlehre führte zu dieser Konsequenz. Vgl, unten Kap. III.

" System Bd. II, S. 85.

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Verminderung der Freiheit des Willensentsclilusses eine Herabsetzung der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit. Huf der anderen Seite wird eine Tat umso ernstlicher ihrem Urheber zum Verbrechen zugerechnet, je geringer der äußere Anlaß zu ihrer Begehung war. War die Versuchung nur gering, hat der Täter nicht einmal die leichte Mühe aufgebracht, die dazu nötig gewesen wäre, die Tat zu vermeiden, so enthüllt er dam.it die ganze Fülle seiner eigenen verbrecherischen Neigungen und ihn trifft um seiner erhöhten Gefährlichkeit willen von Rechtswegen die schwerere Strafe.

Gegenüber diesem starken Subjektivismus in der strafrechtlichen Bewertung verbrecherischen Verhaltens fehlen jedoch bei Stübel nicht die traditionellen objektiven Momente, von denen gemeinhin die Schwere der begangenen Tat im Strafrecht abhängig gemacht wird: die Differen- zierung von Versuch und Vollendung, die Bedeutung des verletzten Rechts, Ort, Zeit und Umstände der Ausführung usw. Immerhin versucht Stübel, den Einfluß dieser objektiven Momente auf die strafrechtliche Zurechnung aus der Bedeutung zu erklären, die sie als Anzeichen für die Gesinnung des Täters haben. Wer eine Verbindlichkeit von besonderem Wert übertritt, bew^eist dadurch eine besonders starke „Mißachtung gegen das Rechtsgesetz ". Und wer „an öffentlichen Orten oder außer denselben in dem Angesichte anderer die Gesetze übertritt, der gibt zu erkennen, daß er auch in den Äugen seiner Mitmenschen nicht einmal für einen guten Bürger gelten wolle und die Meinung anderer, die ihn für einen gefährlichen Menschen halten könnten, nicht achte ".^

Ähnliche Gedanken wie Stübel vertrat sein Schwager Tittmann. Freilich ist er erst später zu umfassenden systematischen Werken gekommen, als die andern Anhänger der Lehre von der Spezial- prävention bereis ihre Anschauungen unter dem Eindruck der Feuerbach- schen Angriffe zu verändern begannen. Aber auch aus seinen früheren Schriften lassen sich charakteristische Züge seiner Lehren erkennen. Auch er behandelt die Grundsätze der strafrechtlichen Zurechnung als philosophische Prinzipien, sie dürfen „auf keine Weise der Willkür positiver Gesetze überlassen werden".^ Ist ihm doch das Naturrecht nicht wie bei Stübel grundsätzlich auf subsidiäre Geltung beschränkt, sondern „der Grund alles und jedes Rechts, welchen Namen es auch haben mag, und wenn sich ein Recht, das im Staate ausgeübt wurde,

' Stübel, System Bd. II, S. 95.

' Tittmann, Versuch über die wissenschaftliche Behandlung des peinlichen Rechts. Leipzig 1798. S. 38. Eine in gezierter Sprache geschriebene, vornehmlich methodologischen Fragen gewidmete Schrift. Über Tittmanns spätere Werke vgl. unten S. 56.

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nicht durch einen Titel jenes Rechts begründen (rechtfertigen) läßt, so ist es eine Anmaßung eines Rechts und Verletzung der Freiheit, von der kein Mensch, wenn er in den Staat tritt, mehr aufopfern kann, als wie nach dem natürlichen Rechte erlaubt ist".^ Inhaltlich entspricht Tittmanns Zurechnungslehre dem auch von Stübel vertretenen indeter- ministischen Beurteilungsprinzip, wonach ein minderer Grad der Freiheit des Entschlusses, körperliche und geistige Fehler, Leidenschaft und Trunkenheit, Not und Gelegenheit die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Täters mildern.' Ferner läßt er eine Strafmilderung zu, wenn der Täter ein lediglich auf positive Gesetzesbestimmungen begründetes Verbot nicht gekannt hat.^

Die stärkste Förderung verdankt die Lehre von der Spezial- prävention Carl V. Grolman. Mit unermüdlichem Fleiß und Gewissen- haftigkeit hat er immer aufs neue die alten Probleme durchdacht und an den Lehren gefeilt und gebessert. Doch blieb seinen Schriften die geistige Kraft und die suggestive Dialektik versagt, die den Arbeiten seines großen Gegners Feuerbach innewohnt. Die Gründlichkeit der

' Ebendort S. 35.

^ Diese Anschauungen ergeben sich für diesen Zeitpunkt aus einer a. a. O. S. 192 if, veröffentlichten „tabellarischen Übersicht über das System des peinlichen Rechts", einem in Stichworte zusammengefaßten Abriß nach Art der gedruckten Unterlagen der Vorlesungen.

^ Bei Handlungen, welche erst durch ausdrückliches Verbot zu Delikten werden, verlangt Tittmann eine Publikation des Gesetzes. „In dieser Hinsicht sollte es Bücher geben, nach denen schon in der Schule die Verbote bekannt- gemacht, nicht aber von den Kanzeln abgelesen würden, wobei der Zweck gar nicht erreicht wird, indem teils die Kirche nicht der Ort dazu ist, teils dem gemeinen Mann der Sinn der Gesetze nicht erklärt werden kann, den er doch aus der für ihn unverständlichen Gesetzessprache zu verstehen nicht imstande ist, zumal die Gesetze selbst von der Kanzel gewöhnlich immer in aller Eile abgelesen werden." Bei diesen Delikten ist Unkenntnis des Gesetzes Strafmilderungsgrund. Dagegen wird voraus- gesetzt, daß jeder weiß, daß die „übrigen Handlungen, z. B. Tötung und Brandstiftung" verboten sind. Es ist deshalb auch gar nicht nötig, daß die Gesetze hierüber publiziert werden man kann sie doch nicht alle kennen. „Es ist fast unmöglich, die zahllose Menge von Mandaten, Reskripten, Befehlen, Instruktionen und dickleibigen Gesetzbüchern bei einem immerwährenden Studio derselben ganz kennen zu lernen, selbst in den Spruchkollegien wird so mancher Streit darüber veranlaßt, wie sollten die Bürger die Strafgesetze kennen?" Versuch über die wiss. Behandlung des peinl. Rechts S. 52, Note 14. „Die Geheimkunst des Kriminalistenstandes", so nannte auch Binding die dem Pflichtigen Volksgenossen nicht zuzumutende schwierige Kenntnis der Strafgesetze (Strafrechtl. und strafproz. Äbhdl. I, S. 415)! Tittmann widmete jenem Thema eine besondere Schrift: Über den Unterricht des Volkes in Strafgesetzen auf Schulen. Leipzig 1799.

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Grolmanschen Bücher, die Verbindung fortgeschrittener humaner Tendenz mit der Beibehaltung traditioneller Institutionen und die einflußreiche Stellung des Verfassers, der von seinem Gießener Ordinariat nach Darmstadt auf einen leitenden Posten im Staatsdienst berufen wurde, trugen zur Verbreitung seiner Lehren bei, an der die Polemik Feuer- bachs vielleicht den stärksten Anteil gehabt hat. Seine „Grundsätze der Kriminalrechtswissenschaft" waren seinerzeit ein vielgelesenes, einflußreiches Buch. In ihrer ersten Auflage 1798 enthalten sie eine reine Darstellung der Lehre von der Spezialprävention, bis dann später- hin, wie zu zeigen sein wird, Grolmans literarisches Schaffen mehr und mehr den Einfluß der Auseinandersetzung mit Feuerbach verrät.

Auch für Grolman bedarf das positive Strafrecht einer Ergänzung durch philosophisch deduzierte Grundsätze des Naturrechts. Dieser doppelten Quelle strafrechtlicher Sätze suchte er dadurch in dem Aufbau seiner Wissenschaft gerecht zu werden, daß er diese in zwei Teile spaltete: Gesetzeskunde und Rechtswissenschaft. Dabei blieb es freilich eine Selbsttäuschung, daß die Gesetzeskunde eine selbständige Bearbeitung des positiven Rechts aus seinem spezifischen Geist heraus sein sollte. Grolman vermochte ebensowenig wie sein Vorgänger zu einer von naturrechtlichen Korrekturen freien Darstellung des positiven Rechts zu kommen.^

Ähnlich wie Stübel geht Grolman von der naturrechtlichen Idee eines allgemeinen Schutzrechts aus, aus dem die Befugnis folgt, die Bürger vor Rechtsverletzungen, die ihnen drohen, zu schützen: das Präventionsrecht. Da Grolman in der Begehung eines Verbrechens eine Drohung mit künftigen weiteren Rechtsverletzungen erblickte, so folgte für ihn aus dem Präventionsrecht die Befugnis, den Urheber eines Verbrechens von weiteren Verbrechen abzuschrecken oder solche Handlungen physisch unmöglich zu machen. Dieser Aufgabe aber dient das Straf recht.

Indem von dem Urteil darüber, ob der Verbrecher durch seine Handlungsweise künftige Rechtsverletzungen wahrscheinlich gemacht hat, die Berechtigung der Strafe abhängt, erhält das Problem der strafrechtlichen Zurechnung für Grolman eine zentrale Bedeutung. So verweist er in seinen Grundsätzen " die Zurechnungslehre in systematischer Geschlossenheit an den Anfang des Buches. Dabei zeigt sich, daß Grolman ebenso wie Stübel die strafrechtliche Beurteilung menschlichen Verhaltens mit indeterministischer Betrachtungsweise ver- knüpft. „Zurechnen (auf eine Rechnung schreiben) heißt: erklären, daß einer für etwas einstehen könne und müsse."" Für seine Handlungs- weise kann nach Grolman der Mensch nur dann einstehen, wenn es

' Loening, Z. Str. W. Bd. 3, S. 287.

^ Grundsätze der Kriminalrechtswissenschaft 1. Aufl. 1798. S. 13.

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von ihm abhing, ob er die Tat wollte oder nicht. Eine Zurechnung menschlichen Handelns zur Schuld oder zum Verdienst wäre gleicher- weise undenkbar, wenn der Mensch ein reines Vernunftwesen wäre, das seinem Wesen nach gar nicht anders als vernünftig handeln kann, oder wenn er zu den bloßen Naturwesen gehörte, deren Verhalten durch Naturgesetze zwangsmäßig festgelegt ist. Aber der Mensch erlebt in seinem Selbstbewußtsein seine doppelte Natur: das Gefühl des Könnens, die Unabhängigkeit von der Sinnenwelt der äußeren Natur wie das Bewußtsein des Sollens in der Abhängigkeit des Gewissens von sittlichen und rechtlichen Pflichten. Diese Erfahrung des Selbstbewußtseins macht Grolman zur Grundlage der Beurteilung anderer Menschen. Ihm ist der Mensch ein „beschränktes Vernunft- wesen", ein Geschöpf, begabt mit der doppelten Eigenschaft, „den Forderungen der Vernunft Genüge zu leisten und die Tierheit der Persönlichkeit unterzuordnen, aber auch sich leidend zu verhalten, sich als Tier nach Gefühlen bestimmen zu lassen und Sklave seiner Leidenschaften und Lüste zu werden".^ Der Gedanke des „beschränkten Vernunftwesens", der auch bei Feuerbach wiederkehrt,* geht auf die Argumentation Kants zurück, mit der dieser die Möglichkeit eines kategorischen Imperativs beweist. Ein kategorischer Imperativ wird dadurch möglich, daß ich mich als „Glied der Sinnenwelt ansehen" kann und zugleich „die Idee der Freiheit mich zu einem Gliede der intelligiblen Welt macht ".^ Was aber bei Kant eine Zuweisung zu verschiedenen Denkordnungen bedeutet, konkretisiert sich bei Grolman zu bestimmten menschlichen Fähigkeiten, wobei er zudem jene Alternative der Zuordnung zu den beiden Gesetzlichkeiten in ein willkürliches So-und-auch-anders-Handeln-Können umdeutet. Damit ist die indeter- ministische Willensfreiheit als selbstverständliche Wesenseigenschaft des Menschen statuiert. „Hat man nun ein Recht, zu behaupten, daß man den Menschen solange als Menschen betrachten müsse, bis gezeigt werden kann, daß er seiner Menschenwürde verlustig sei, so kann man auch mit demselben Recht behaupten, daß man im Zweifel jede Handlung eines Wesens, welches uns als Mensch erscheint, für eine menschliche halten, mithin vermuten müsse, daß sie willkürlich durch den Menschen hervorgebracht sei."' Indem Grolman in der strafrechtlichen Zurechnung das begangene Verbrechen als willkürliche

* Grundsätze. 1798. S. 14. Über die Begriffe von Dolus und Culpa. Bibl. f.d. peinl. Rechtswissenschaft u. Gesetzkunde I.Teil. 1798. I.Stück, S.20.

' Revision Bd. I, S. 33.

■'' Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Äkademie-Äusgabe Bd. IV, S. 454, Cassirer Bd. IV, S. 313 f.

•* Wird dolus bei begangenen Verbrechen vermutet? Bibl.I, 2. Stück, S.74.

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Tat der freien Persönlichkeit beurteilt, bewegt er sich völlig in den Bahnen ethischer Betrachtungsweise. Ihm selbst ist das nicht ent- gangen, doch dünkt ihm dieser Zusammenhang „ganz zufällig . . .: Moralität und Inmoralität sind für uns hier ganz fremde Wörter".^ In der Tat war der Ausgangspunkt Grolmans nicht die Beurteilung der sittlichen Schuld, sondern die strafrechtliche Prognose der künftigen Gefährlichkeit. Dabei schloß er, genau wie Stübel, daß der freie Entschluß zum Verbrechen ein besonders deutliches Symptom anti- sozialer Gesinnung sei, daß gerade „willkürliche illegale Handlungen künftige, ähnliche wahrscheinlich machen".^ Grolmans und Stübels indeterministische Präventionstheorie führt ebenso wie das deterministische moderne Sicherungsstraf recht zu einer „Ethisierung des Straf- rechts", indem in beiden Fällen die Prognose künftiger Gefährlichkeit das entscheidende Gewicht auf eine Beurteilung der Persönlichkeit des Täters verlegt, eine Berücksichtigung der Tat unter dem Gesichtspunkt ihres Verhältnisses zum Täter aber mit der sittlichen Bewertung mensch- lichen Verhaltens zusammenfällt.

Das Maß der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Übertretungen des Gesetzes ist bei Grolman entsprechend dem Gedanken der Spezial- prävention abhängig von dem Grad der Wahrscheinlichkeit künftiger Rechtsverletzungen, davon, wie gefährlich man die durch die begangene Tat dokumentierte Bedrohung des Rechtsfriedens einschätzt. Dieser Gefährlichkeit des Verbrechers entspricht die Stärke des inneren Kampfes zwischen der Stimme des Gewissens und den verbrecherischen Neigungen. Gerade an dieser Stelle zeigt sich das Widerspruchsvolle in der Ver- bindung indeterministischer Anschauungen mit dem Gedanken der Spezialprävention. Die Gefährlichkeit des Verbrechers wird nicht in der Stärke verbrecherischer Neigungen und der Schwäche des redlichen Gewissens gefunden, sondern in jenem geheimen Agens des freien Willens, das dann am schärfsten als antisoziale Willensbestimmung sich kundtut, wenn die Tat trotz starker innerer Hemmungen zustande- kommt. Hiernach würde der Musterknabe, der einmal strauchelt, besonders strafwürdig sein, denn sein verbrecherischer Wille war so stark, daß er selbst ein Höchstmaß innerer Rechtschaffenheit zu erschüttern vermochte."^

' Grundsätze. 1798. S. 17.

' Ebendort S. 17.

" Diese Entscheidung würde richtig sein vom Standpunkt eines ethischen Subjektivismus, der jeden mit seinem eigenen Maß mißt. Vom Standpunkt der Gefährlichkeit aus wäre umgekehrt nicht der Tugendmensch, sondern der unzurechnungsfähige Gewohnheitsverbrecher am meisten strafwürdig, eine Beurteilung, die, wie zu zeigen sein wird, nicht Grolmans, sondern gerade Feuerbachs Zurechnungslehre entsprechen würde!

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„Je mehr der Mensch kämpfen mußte, um seine Vernunft zum Schweigen zu bringen und je stärker er ihre Stimme unterdrückt hat, desto mehr muß er willkürlich gestimmt sein, seine subjektiven gesetzwidrigen Maximen auf Kosten des Gesetzes durchzusetzen, desto wahrscheinlicher sind von ihm künftige Verbrechen, desto stärkeres Strafübel muß ihn treffen."^

Drei Momente gibt Grolman als Kennzeichen der Stärke jenes inneren Kampfes und als Maßstab für die Strafwürdigkeit an. Einmal die Wichtigkeit des verletzten Rechts, ein objektives Moment, das wie bei Stübel subjektiviert wird. Der traditionelle Gedanke, daß das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit als Voraussetzung zur Zurechenbar- keit verlangt, aber zugleich mit der Zurechnungsfähigkeit des Täters präsumiert wird, wird hier von Grolman zu einer Fiktion gesteigert. Er nimmt an, daß dem willkürlich Handelnden die übertretene Ver- bindlichkeit nicht nur überhaupt, sondern auch in der Stärke vor- schwebt, die ihrem Werte in der Rangordnung der Rechte entspricht. Bei einem Mord würde Grolman voraussetzen, daß der Täter nicht nur das Bewußtsein hatte: „Du sollst nicht töten!", sondern auch die Vorstellung, daß er ganz besonders dazu verpflichtet ist, nicht zu töten. Tut er es dennoch, so hat er eben ein ganz besonders starkes Interesse an seiner Tat, das selbst die Vorstellung dieser besonders ernsten Verpflichtung zu paralysieren vermochte. „Es ist unleugbar, daß die gemeine Menschenvernunft oder lieber das auch dem rohesten Menschen beiwohnende Rechtsgefühl sich dieser Rück- sichten des größeren und unersetzlicheren Schadens als besonderer Äbratungsgründe, als Gegengewicht zur Überschreitung der Verbind- lichkeiten bedient und von, den formal gleich großen Verbindlichkeiten die eine dringender als die andere ans Herz legt."^' Darum soll die Übertretung einer besonders heiligen Rechtspflicht auch subjektiv einen besonders starken verbrecherischen Willen beweisen, der „Psychologie und aller Erfahrung widersprechend", wie Feuerbach späterhin bemerkte.^ Das zweite Merkmal für die Ermittlung des Maßes der Strafbarkeit ist aus dem Vorhandensein von Momenten zu entnehmen, die es dem Täter hätten erleichtern können, frei der Stimme der Vernunft zu folgen. Denn je ungestörter die Vernunft spricht, ist Grolmans Vorstellung, „um so mehr muß es ihn Anstrengung gekostet haben, seine Vernunft zu betäuben".^ Der Verbrecher ist um so strafbarer, je mehr er sich über seine Handlung, ihre Folgen

' Grundsätze. 1798. S. 33. ' Grundsätze. 1798. S. 35. » Revision Bd. II, S. 209. ' Grundsätze. 1798. S. 34.

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und ihre Rechtswidrigkeit im klaren ist. Nach dem Verhältnis zwischen dem Willen des Täters und seiner Vorstellung von der Rechtswidrigkeit seines Tuns bestimmt Grolman die Differenzierung des Schuldbegriffs in die traditionellen Formen von Vorsatz und Fahrlässigkeit. Vorsatz ist ihm der Entschluß zur Realisierung eines Zweckes durch vorher- gesehene Rechtswidrigkeit; Fahrlässigkeit Entschluß zu einer Handlung „ohne daß der Handelnde der Vermeidung eines rechtswidrigen Erfolges gewiß ist".^ Grolmans Fahrlässigkeitsbegriff ist also weiter als der Stübels, der Bewußtsein der Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des rechtswidrigen Erfolges gefordert hatte. Wer trotz geringer äußerer Motive zum Verbrecher wurde, ist besonders strafwürdig, denn erschreckend intellektualistisch gedacht! er wurde nur wenig an „der ruhigen Subsumtion der Handlung unter das Gesetz" gestört. ' Dagegen gelten Unmündige, Kranke und in leidenschaftlicher Erregung Handelnde nur in geringerem Maße als strafrechtlich zurechnungsfähig.

Als drittes Merkmal für die Stärke des inneren Kampfes und die Gefährlichkeit des Willens nennt Grolman den Umfang der rechts- widrigen Tätigkeit. Auch dieser Gedanke wird subjektiv gedeutet: alle Schwierigkeiten der Tat beweisen nur die Stärke des Willens, der sie überwand. „Denn jedes dieser Hindernisse war eine Klippe für die strebende Sinnlichkeit, bei welcher die Stimme der Vernunft erwachte und also neue Unterdrückung forderte oder doch erwachen mußte, wenn sie nicht ganz ertötet war."^

Wie verhalten sich nun diese Regeln über Voraussetzung und Umfang der strafrechtlichen Verantwortlichkeit zum positiven Gesetz? Wenn das Gesetz das Ausmaß der Strafe richterlichem Ermessen überläßt, soll der Richter die Strafe nach jenen Prinzipien bemessen. Bei Gesetzen mit absolut bestimmten Strafgrößen soll der Richter nach Grolman stets an die gesetzliche Strafe gebunden sein sofern der Gesetzgeber selbst alle möglichen Variationen des Tatbestandes, alle verschiedenen „Bedingungen des Falles" berücksichtigt hat. Ist dies nicht der Fall, dann nimmt Grolman an, „daß der Gesetzgeber nur von dem gewöhnlichen Fall subjektiver Gesetzwidrigkeit redet".* Normale subjektive Gesetzwidrigkeit wird dabei voller Zurechnungs- fähigkeit im Sinne ungestörter Freiheit des Willensentschlusses gleich- gestellt. Alle diejenigen Momente, die auf die Strafwürdigkeit von Einfluß sind und als Gründe verminderter Zurechnungsfähigkeit oder

' Grundsätze. 1798. S. 22. Über die Begriffe Dolus und Culpa a. a. O. S. 26 ff.

' Grundsätze. 1798. S. 38. ' Ebendort S. 40. * Ebendort S. 68.

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Anzeichen erhöhter Gefährlichkeit den Richter bei willkürlicher Strafdrohung zu besonders milder od-rr strenger Bestrafung verpflichten, berechtigen ihn hier zu einer Modifikation der gesetzlich festgelegten Strafe. Somit führte Grolmans Lehre zu einer neuen Rechtfertigung der überkommenen Doktrin von der richterlichen Strafänderungsbefugnis, nach der eine Variation des fingierten gesetzlichen „Normalfalls" zu einer willkürlichen poena extraordinaria berechtigte, und zu einer rationalistischen Begründung des traditionellen Systems außerordent- licher Strafmilderungsgründe, mit dem die Praxis die unerträgliche Härte der antiquierten Strafgesetze zu mildern sich abmühte. Dagegen entspricht der Gedanke, daß die Strafzumessungsgründe innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens und die Strafänderungsgründe, welche den Übergang zu einem außerordentlichen Strafmaß bedingen, auf den gleichen Prinzipien beruhen, auch heutiger Rechtsauffassung, wie Adolf Merkels Untersuchung hierüber lehrt.' Nur sind wir heute, entgegen Grolman und hierin seinem großen Gegner Feuerbach folgend, streng an das positive Gesetz gebunden, das den Übergang zu einem außer- ordentlichen Strafrahmen auf bestimmte, gesetzlich festgelegte Fälle beschränkt. Gerade Adolf Merkel hat einen Positivismus von besonderer Konsequenz vertreten, indem er darauf hinwies, daß, wenn unser Gesetz grundsätzlich darauf verzichtet, dem Richter bestimmte Anhalts- punkte für die Strafbemessung zu geben, es zwar das Strafmaß freier richterlicher Überzeugung überläßt, daß aber darum nicht, wo das Gesetz die Verbrechen nach der Schwere der begangenen Tat klassifiziert, im richterlichen Strafmaß allein eine Beurteilung der Gefährlichkeit des Täters zum Ausdruck kommen darf.

Noch im selben Jahre, in dem Grolmans grundlegendes Werk über die „Grundsätze der Kriminalrechtswissenschaft" erschienen war, eröffnete Feuerbach mit einer Rezension dieses Werkes in der Allgemeinen Literaturzeitung den Kampf." Schon in dieser ersten Auseinandersetzung sind die inneren Gegensätze in voller Schärfe herausgearbeitet. Zugleich erscheinen die Ansätze zu Feuerbachs eigenen Lehren, zwar noch nicht in voller Abrundung und allseitiger systematischer Geschlossenheit, dafür aber in der kraftvollen Lebendig- keit des ersten Wurfes. Sein rechtspolitischer Positivismus und seine von moralischen Reflexionen unbeeinflußte deterministische Zurechnungs- lehre sind die Ausgangspunkte für seine Kritik an Grolmans Lehren. Von dem einen aus sucht er zu zeigen, daß Grolmans Strafbegriff

* Merkel-Liepmann, Lehre von Verbrechen und Strafe. Stuttgart 1912. S. 314 H.

* Allgemeine Literaturzeitung. Jena und Leipzig 1798. Bd. II, Nr. 113 und 114, Spalte 65 H.

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nicht aus dem Gesetz selbst abzuleiten ist und daß, wenn er gleichwohl richtig wäre, die Geltung von Strafgesetzen überhaupt in Frage gestellt würde. Selbst wenn es ein allgemeines Verteidigungsrecht gegen drohende Rechtsverletzungen gäbe, so wäre dieses nicht identisch mit dem Strairecht der PCriminalgesetze. Denn die Strafe ist ein Übel, das „ohne Rücksicht auf die Zukunft bloß der Vergangenheit wegen zugefügt wird"/ Würde man trotzdem nach Grolmans Vorgang das Maß künftiger Gefährlichkeit des zu Bestrafenden zum Prinzip der strafrechtlichen Zurechnung machen, so träten an Stelle des Gesetzes, das allgemein an einen speziellen Tatbestand eine bestimmte Strafe als Rechtsfolge knüpft, irgendwelche allgemeinen Regeln, nach denen der Richter die Gefährlichkeit des Einzelnen abschätzt. Bereits an dieser Stelle stellt Feuerbach der Präventionstheorie, welche die Voraussetzungen der Strafbarkeit von dem subjektiven Urteil des Richters über die Gefährlichkeit des Delinquenten abhängig macht, die Bindung des Richters an das Gesetz und damit die Rechtsschutz- garantien des Bürgers gegenüber den Ansprüchen der allmächtigen staatlichen Strafgewalt entgegen. Materiell weist Feuerbach der Grolmanschen Zurechnungslehre ihre indeterministische Herkunft nach und zugleich den Widerspruch zwischen dieser indeterministischen, moralisch gefärbten Zurechnung und dem Sicherungszweck, dem sie dienen soll. Denn gerade der unfrei Handelnde und am meisten der Wahnsinnige und Rasende in ihrer zwangsläufigen Handlungsweise sind für die Rechtssicherheit gefährlich. Die Determiniertheit zum Verbrecher, nicht ein willkürliches Handeln und eine moralische Beurteilung der Gesinnung müßte die Grundlage der strafrechtlichen Zurechnung in einem konsequenten Sicherungsrecht bilden. „Bei einem Bösewicht, dessen ganzes Leben von Jugend auf ein Gewebe von Verbrechen war, werden alle Schandtaten endlich zur Gewohnheit und so zum Bedürfnis, daß er selbst unwillkürlich oder nur mit einem sehr geringen Grad der Willkür die Gesetze übertritt. Ist dieser etwa weniger gefährlich als ein anderer, der jetzt erst, aber mit voller Willkür Übertretungen begeht? Man nehme noch andere Beispiele: der zum Laster erzogene Mensch, der durch sein Tem- perament gleichsam zum Mörder Geborene, der, welcher durch unwiderstehlichen Trieb zu Freveltaten fortgerissen wird und so viele andere Auswüchse der menschlichen Natur, von welchen uns die Kriminalakten so häufige Beispiele liefern."" In allen diesen Fällen handelt der Täter mehr oder weniger unüberlegt und willkürlich nach der „Triebfeder der tierischen Natur", ist aber besonders gefährlich

' Ebendort Spalte 67. * Ebendort Spalte 72.

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und müßte daher gerade vom Standpunkt der Sicherungsstrafe aus besonders hart bestraft werden. „Und bei wem ist die Gefahr drohender und gewisser: bei dem verständigen Bösewicht oder bei dem seiner Vernunft unheilbar beraubten Beleidiger? Der erstere kann noch auf verschiedenen Wegen zum guten Bürger, vielleicht auch zum guten Menschen werden, dieser ist aller moralischen Wirksamkeit für immer entzogen, er ist ganz zum schädlichen Tier geworden und wir müssen ihn vertilgen, wenn wir uns vor ihm sichern wollen."^ Wenn also nach Grolman Sicherung vor dem Verbrecher Zweck der Strafe ist, so wären gerade nach seiner Theorie diejenigen am meisten strafbar, die er für unzurechnungsfähig hielt.

Während Grolmans Straf rechtstheorie „bloß auf die Zufügung des Übels, nicht auf die Androhung im Gesetz gerichtet" ist,^ will Feuerbach die Prinzipien der Bestrafung aus dem Gesetz selbst ableiten und darum ihre wesentliche Bedeutung in der generellen Androhung der Strafe durch das Gesetz, nicht in der speziellen Verhängung der Strafe durch den Richter suchen. Darum vindizierte er dem Strafrecht die Aufgabe, durch die Strafdrohung des Gesetzes den verbrecherischen Neigungen der Bürger entgegenzuwirken. Die Größe der angedrohten Strafe wird, um abschreckend wirken zu können, der Stärke der verbrecherischen Neigungen entsprechen müssen: „je stärker die Triebfeder ist, die zur Tat antreibt, desto größer muß das Übel sein, das jene Triebfeder aufheben soll."^ Nach diesem Prinzip hat nach Feuerbach die strafrechtliche Zurechnung die Verantwortlichkeit des Täters zu bemessen, ohne daß er ihr damit, wie Grolman, das Recht zusprach, gesetzlich festgelegte Strafen zu modifizieren. Denn nur dann kann die Vollstreckung der Strafe ihrer Aufgabe, den Ernst der gesetzlichen Strafdrohung zu erhärten, genügen, wenn in jedem Falle der Übertretung eines Gesetzes die durch dieses Gesetz angedrohte Strafe verhängt wird.

Mit einer erneuten Darstellung dieses Gedankens erschien Feuer- bach noch im gleichen Jahre in der von Grolman begründeten, später von ihnen beiden zusammen mit Älmendingen herausgegebenen Bibliothek für die peinliche Rechtswissenschaft und Gesetzkunde. ^ Er geht hier davon aus, daß Sprachgebrauch und Geschichte deutlich von der Sicherung vor künftigen Rechtsverletzungen die Strafe als Reaktion gegen die begangene Tat unterscheiden. Die Strafdrohung bezweckt

^ Ebendort Spalte 71. ^ Ebendort Spalte 68. " Ebendort Spalte 72.

* Ist Sicherung vor dem Verbrecher Zweck der Strafe? Bibl. f. d. peinl. Rechtswissenschaft und Gesetzkunde I. Teil, 2. Stück, S. 3 ff.

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die Vermeidung von Verbrechen überhaupt und findet hierin ihre Berech- tigung. Den Vollzug der Strafe nach begangener Tat rechtfertigt er ähnlich wie im „Äntihobbes" durch den Gedanken, daß der Verbrecher mit der Begehung seiner Tat in die Bestrafung einwilligt, die der Staat im Gesetz als Bedingung an die Ausübung der Tat zu knüpfen berechtigt war. Daraus ergibt sich, daß berechtigt nur die Verhängung eines vor der Tat im Gesetz für bestimmte Handlungen festgesetzten Übels ist, während nach dem Präventionsrecht das Maß der gegenüber dem einzelnen Verbrecher erforderlichen Sicherung niemals eine im voraus im Gesetz bestimmte Strafgröße sein kann. Schärfer als im „Äntihobbes" tritt in diesen Ausführungen Feuerbachs der repressive Charakter der Strafe hervor: „ein Übel, das wegen einer begangenen Verschuldung und bloß in Beziehung auf diese einem Subjekt zugefügt wird."^ Es ergibt sich hierbei aus den Ausführungen Feuerbachs, daß bei ihm diese Auffassung vom Wesen der Strafe nicht etwa die Folge eines absoluten Vergeltungsstrafrechts ist, sondern daher rührt, daß nur auf diese Weise der Zweck des Strafrechts, die generelle Abschreckung aller Bürger durch die gesetzliche Drohung erreicht werden kann. Die repressive Strafe Feuerbachs und die präventive Strafe Grolmans verkörpern keineswegs einen Gegensatz absoluter und relativer Straf- theorien, sondern in beiden Fällen ist die Bestrafung ein Mittel zu bestimmten kriminalpolitischen Zwecken.

Das folgende Jahr brachte Grolmans Replik: „Über die Begründung des Strafrechts"." Gern erkannte er an, daß ihm die Kritik Feuerbachs zu einer „richtigeren und besseren Einsicht" verholfen und daß er namentlich „die ganze Lehre von der juristischen Imputation und die darauf sich gründende von der Abfassung der Strafgesetze noch nicht in ihrer vollen Reinheit dargestellt" habe.^ In der Tat ist Feuerbachs Einfluß unverkennbar. Im Gegensatz zu Grolmans ursprünglicher Zurechnungslehre erscheint der festgewurzelte Hang zum Verbrechen nunmehr als Grund erhöhter Strafwürdigkeit und selbst der Gedanke der psychologischen Wirkung der angedrohten Strafe wird mit der Spezialprävention verbunden. „Zweck der Strafe an und für sich ist bloß und für alle Ewigkeit: Abhaltung des Strafbaren von künftigen illegalen Handlungen, aber Zweck der Strafe als Drohung des Gesetzes ist Abschreckung aller."* Aber die Berechtigung der Strafe, wie es Feuerbachs „Einwilligungstheorie" versuchte, allein daraus abzuleiten, daß sie im Gesetz angedroht war, lehnt er nach wie vor ab.

' Ebendort S. 12.

^ Über die Begründung des Strafrechts und der Strafgesetzgebung nebst einer Entwicklung der Lehre von der juridischen Imputation. Gießen 1799. » Ebendort S. 104, Note 2 und S. 196, Note. ' Ebendort S. 116.

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Die dem Verbrecher zugefügte Strafe kann nur aus dem Zweck dieser Zufügung selbst gerechtfertigt werden. „Weder", meint Grolman, „willige ich in alles ein, was mir als unabwendbare Folge meines Tuns angedroht ist, noch erlaubt mir der Staat etwa ein Verbrechen zu begehen, unter der Bedingung, daß ich mich bestrafen lasse. " Gerade umgekehrt wie Feuer- bach zeigt Grolman, daß die Berechtigung der generellen Strafandrohung sich nur aus der Zulässigkeit der Verhängung der Strafe im speziellen Fall ableiten läßt, „daß in dem Gesetze selbst die Größe der Strafe, wenn diese anders eine gerechte sein soll, bloß und allein nach dem Zweck berechnet sein könne, durch welchen dieselbe als zugefügtes Übel nach den Grundsätzen des Rechts gerechtfertigt werden kann".^

Wesentlich enger waren die Berührungspunkte zwischen Feuerbach und Grolman in speziellen Fragen der strafrechtlichen Zurechnung. Wollte die psychologische Zwangstheorie gegenüber der sinnlichen Triebfeder abschreckend wirken, so hatte Feuerbachs Kritik zugleich gezeigt, daß auch Grolmans Präventionsrecht konsequenter Weise die Höhe der Strafe von der Stärke der verbrecherischen Neigung abhängig machen müßte. So erscheint nunmehr bei Grolman als Symptom beson- derer Gefährlichkeit des Verbrechers neben dem freien und bewußten Entschluß zum Verbrechen der entgegengesetzte Fall, „daß die vor- handene Verwilderung dieses Menschen eine tief eingewurzelte, die illegale Maxime ein festes Gesetz für sein Handeln geworden ist".^ Der unverbesserliche Gewohnheitsverbrecher, der mangelhaft Erzogene, der geistig Beschränkte, der trunksüchtige Verbrecher, sie alle handeln regelmäßig unüberlegt und fast unwillkürlich und gerade deshalb stellt ihr Tun eine besonders ernste Bedrohung des Rechtsfriedens dar. So tritt die festeingewurzelte „illegale Maxime", d. h. die Determiniertheit zum Verbrechen neben die sich willkürlich auswirkende rechtswidrige Gesinnung als Grund zu erhöhter Strafwürdigkeit. Aber auch in der Beurteilung der Gesinnung bemüht sich Grolman, den einseitigen Subjektivismus zu mildern. Nicht die Gesinnung selbst soll aus der Tat erschlossen werden, „denn keiner kann dem andern im Herzen lesen", sondern das Verbrechen muß für gewisse äußere Erscheinungen „illegal" gestimmter Menschen typisch sein, wofür ihm Fichtes „Ver- wilderung der Sitten" der beste Ausdruck scheint.^ Schließlich soll

> Ebendort S. 111.

^ Ebendort S. 145.

^ J. G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissen- schaitslehre. II. Teil oder angewandtes Naturrecht. Jena und Leipzig 1797. S. 115. „Wer um des Schadens willen geschadet hat, hat außer der inneren Bosheit, darüber der Staat nicht Richter ist, eine Wildheit der Sitten und eine ungewöhnliche Sorglosigkeit für sich selbst gezeigt." Vgl. Grolman a. a. O., S. 126 ff. sowie S. 122.

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das Gesetz durch relativ bestimmte Strafratimen dem Richter den geeigneten Spielraum gewähren, um die Strafe nach den Grundsätzen der Zurechnung im einzelnen Fall zu bemessen.

Im gleichen Jahr wie diese Schrift Grolmans erschien der erste Band der Feuerbachschen „Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts"/ Die Darstellung der Gedankenwelt •dieses Werkes bleibt einem besonderen Kapitel vorbehalten. Hier soll zuvor, ehe das Verhältnis Feuerbachs zu anderen kriminalistischen Gruppen behandelt wird, von der weiteren Entwicklung der Aus- einandersetzung mit den Anhängern der Lehre von der Spezialprävention die Rede sein. Die „Revision" brachte eine systematische Darstellung einer strafrechtlichen Zurechnungslehre, die aus dem Gedanken der generellen Wirkung der gesetzlichen Strafdrohung abgeleitet ist. Wieder- um wird ausgeführt, daß allein die Stärke der sinnlichen Triebfeder, auf die mit der Strafdrohung abschreckend eingewirkt werden soll, die Strafwürdigkeit bestimmt. Dieses Prinzip steht in unüberbrückbarem Gegensatz zu einer moralischen Beurteilung menschlicher Handlungs- weise und Gesinnung. Denn gerade der Unfreiheit im Handeln, welche eine moralische Verantwortung herabsetzt, entspricht eine Stärkung der sinnlichen Triebfeder und deshalb muß „z. B. ein Verbrecher, der durch eine böse Erziehung verderbt ist und durch tief eingewurzelte, heftig antreibende sinnliche Triebfedern zu Verbrechen fortgerissen wird, in einem höheren Grade strafbar sein"." Hatte sich diesen Gedanken Grolman inzwischen auch für seine eigene Theorie nutzbar gemacht, so rückt nun Feuerbach in einer anderen Frage wieder weiter von Grolman ab. Im Gegensatz zu seiner früheren Meinung sieht er sich nämlich durch „bessere Überzeugung" genötigt, ein Zwangsrecht des Staates gegen die durch Begehung eines Verbrechens dokumentierte Bedrohung des Rechtsfriedens auch außerhalb des Strafrechts zu leugnen. Aus der Begehung des Verbrechens folgt lediglich eine Wahrscheinlich- keit der Wiederholung desselben: der Verbrecher erscheint künftiger Delikte verdächtig. Wenn aber „einmal nicht das Verbrechen selbst, sondern nur die wahrscheinliche Gefahr Grund der Zufügung des Übels ist", so heißt das, „daß der Staat das Recht habe, alle seine ver- dächtigen Bürger aufzugreifen und sie aus Gründen der moralischen Prävention ein wenig zu brandmarken oder, wenn die Gefahr gar zu groß ist, ihr Leben der künftigen Sicherheit aufzuopfern".^ Der Gedanke, der Feuerbachs leidenschaftlichen Kampf gegen die Präventionstheorie erst voll würdigen läßt, ist hier klar zum Ausdruck gekommen. Es

> Erfurt 1799.

^ Revision L Bd., Einleitung pag. XXIL

* Revision I, S. 87.

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ist das sichere Gefühl dafür, daß der Rechtsschutzgedanke im Straf- recht dem Sicherungszweck nicht geopfert werden darf und daß allein ein repressiver Charakter der Strafe die feste Abgrenzung der Sphäre des Einzelnen gegen staatliche Allmacht gewährleistet, indem hier die Bestrafung an die offenkundige Voraussetzung einer bestimmten, dem gesetzlichen Tatbestand entsprechenden äußeren Handlung gebunden ist. Kein Wunder, daß Adolf Merkel mit fast den gleichen Worten gezeigt hat, zu welchen Konsequenzen eine einseitig symptomatische Verbrechensauffassung führen muß. Würde diese Lehre doch „die Ordnung der gesetzlichen Verbrechensbegriffe als nichts anderes gelten lassen, denn als eine Sammlung von Stichwörtern, durch welche die Justiz heute diesen, morgen jenen Besserungsbedürftigen vor das Forum der weltlichen Gerechtigkeit zitiert, auf daß hier seine Willens- beschaffenheit einer allgemeinen Untersuchung unterzogen und der richterlichen Diagnose entsprechend eine moralische Kur für ihn angeordnet werden könne".*

So brannte der Kampf zwischen beiden Kriminalisten aufs heftigste, und Feuerbachs temperamentvolle Natur bohrte sich immer schärfer in die theoretischen Grundlagen der Streitfrage. Das nächste Jahr brachte eine neue Abhandlung „Über die Strafe als Sicherungsmittel"," in der gegenüber den vermittelnden Annäherungsversuchen Grolmans wieder die ganze Schärfe des Gegensatzes herausgearbeitet wurde. Beide meinen mit der Strafe etwas anderes. Feuerbach will auch hier nicht etwa einen Unterschied von absoluter und relativer Straftheorie begründen, sondern ihm sowohl wie Grolman ist die Strafe Zweckstrafe, nur daß sie dem verschiedenen Zweck entsprechend jeweils auch ihrem Wesen nach verschieden ist. Für Grolman ist „Realzweck"^ der Verhängung der Strafe Sicherung gegen den Verbrecher; dieser Grund der Bestrafung ist ihm wesentliches Merkmal der rechtlichen Strafe. Feuerbach dagegen, der die Zwecksetzung der Strafe in das Stadium der Androhung verlegt, sieht den Grund der Verhängung der Sh-afe lediglich in der begangenen Tat. Das ist für ihn der Sinn des Satzes, daß die Strafe durch die begangene Handlung rechtlich verschuldet sein muß. Zwar ist auch für Grolman die Tat Voraus- setzung der Strafe , aber man erinnere sich nur an den Begriff von rechtlicher Verschuldung und an den Unterschied zwischen Sachgrund und Erkenntnisgrund und man wird dann von selbst finden, daß durch diese Handlung die Strafe nicht verschuldet wird, daß die

' Merkel-Liepmann, Lehre von Verbrechen und Strafe S. 321.

' Chemnitz 1800.

" Strafe als Sicherungsmittel S. 43.

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begangene Handlung der Strafe zwar vorhergehen müsse, daß sie diese aber nicht rechtlich begründe, daß sie zwar Erkenntnisgrund für den bösen Willen sei (so wie dieser wieder Erkenntnisgrund der zukünftigen Verbrechen ist), daß sie aber nach richtigen Begriffen weder Sachgrund noch Rechtsgrund sei."^ Eine verklausulierte Rusdrucksweise, die den Gedanken der „Revision" erneut zum Ausdruck bringt, daß ein Strafrecht, dem das Verbrechen lediglich ein Symptom der künftigen Gefährlichkeit des Täters ist, sich nicht verträgt mit dem Gedanken, daß allein die Ausführung des vom Gesetz mit Strafe bedrohten Tatbestandes Grund zur Bestrafung ist, daß um der Rechts- sicherheit der Bürger willen die gesetzlichen Tatbestände die unüber- steigbare Schranke für die staatliche Strafgewalt bilden. In der Bindung des Richters an das positive Gesetz geht Feuerbach so weit, daß er selbst den Vorschlag Grolmans, einen Strafrahmen mit gesetzlichem Maximum und Minimum, verwirft. Später hat er im bayerischen StGB, von 1813 selbst diesen Weg beschritten, hier aber hält er Grolman entgegen, daß dann immer noch die Frage, wann ein Fall geringerer oder größerer Strafwürdigkeit vorliege, nicht aus dem Gesetz selbst zu entnehmen, sondern aus allgemeinen Erwägungen zu ermitteln wäre. Nicht nach irgendwelchen außerhalb des Gesetzes geltenden Theorien hat sich das Maß strafrechtlicher Zurechnung zu bestimmen, sondern nur aus dem Gesetz selbst. Einzig und allein die „positiv -rechtlichen Grundsätze sind der unmittelbare Gegenstand des positiven Kriminal- rechts; die Philosophie ist bloß die Magd, welche den Weg beleuchtet. Zur Herrin brauchen wir sie nicht, dazu hat sie der Launen zu viel".^ Vollends unerträglich ist das Präventionsrecht dadurch, daß es eine Beurteilung rechtswidriger Gesinnung zur Grund- lage der strafrechtlichen Zurechnung macht. „Die wechselseitige Freiheit aller wird dadurch nicht um eine Linie beschränkt, daß die Gesinnung und der Wille nicht mit dem Rechtsgesetz übereinstimmt. Nur durch Handlungen wird dem rechtlichen Zustand widersprochen . . . Wer einen Menschen bloß darum zwingt, weil die Maxime desselben nicht dem Rechtsgesetz gemäß ist, der begeht einen Verrat an dem ersten Rechte der Menschheit und handelt nicht vernünftiger als der Tyrann, der seine Untertanen dem Henker übergibt, weil seine Grillen nicht ihre Gedanken sind."^

Unter der Wucht solcher Angriffe, in denen mehr und mehr die revolutionäre Forderung nach rechtlicher Garantie gegenüber der Gefahr der Willkür allmächtiger Staatsgewalt sich durchsetzte, fühlte Grolman

' Ebcndort S. 37. ^ Ebcndort S. 87. * Ebendort S. 26 f.

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seine Position schwanken. „Es ist mir nicht unbekannt, daß man ziemlich allgemein die Sache, für w^elche ich gestritten habe, für verloren hält . . . , indessen wage ich es dennoch , den Kampfplatz noch einmal zu beh-eten", freilich nicht ohne ein bedenkliches Gefühl von Resignation: wie die Entscheidung auch ausfallen mag, „in solchem Kampfe zu unterliegen, kann nur ehren ".^ Cogitationis poenam nemo patitur ist auch für Grolman „heiliges Rechtsgesetz". Aber im Gegensatz zu Gedanken und Wünschen sieht er in der rechts- widrigen Richtung des Willens einen Verstoß gegen das Rechtsgesetz, das sich als ein Sollen gerade an den Willen wendet. Da wir nun die lediglich im Innern des Menschen sich abspielenden Willens- regungen nicht bestrafen dürfen, so beschränkt Grolman die Bestrafung des bösen Willens auf die Fälle, in denen er zur bösen Tat geworden ist. Hiermit sind im Grunde die Feuerbachschen Einwände gegen Grolmans Subjektivismus zugegeben und nur durch eine künstliche Konstruktion der Gedanke aufrechterhalten, daß in der Bestrafung der Tat sich die Strafe lediglich gegen die rechtswidrige Gesinnung des Täters richtet.

Diese literarische Auseinandersetzung konnte in der wissenschaft- lichen Welt nicht ohne Wirkung bleiben. Unschwer lassen sich die Spuren der Polemik zwischen Feuerbach und Grolman bei den zeit- genössischen Kriminalisten nachweisen. Wie ein Chorus begleitete der nassauische Rechtsgelehrte Harscher von Älmendingen den Sh-eit der Beiden. Aber so wie sein Lebensgang wenig glücklich verlief, so fehlte auch seinen Schriften trotz kluger Gedanken die Freiheit und souveräne Behandlung des Stoffes wie bei Feuerbach und Grolman. Für seine nasäauische Regierung verhandelte er während der Rheinbundzeit mit Grolman, dem Vertreter des größeren Hessen, über ein gemeinsames Vorgehen beider Länder in der Frage der Ein- führung des Code civil. Lange Zeit zählte er als Dritter zu dem Grolman - Feuerbachschen Freundschaftsbunde.

Älmendingen bekannte sich ursprünglich „unter gewissen Modi- fikationen" zur Präventionslehre. ^ Dabei geht er dem Problem des Strafzwecks, das Feuerbach immer schärfer zuspitzte, zugunsten einer vermittelnden Stellung aus dem Wege. „Die Form der Strafe ist mithin keine andere, als die eines Übels für den Bestraften, der Endzweck Sicherheit. Der Mittelzweck derselben oder die Art

' Grolman, Sollte es denn wirklich kein Zwangsrecht zur Prävention geben? Magazin f. d. Philos. und Gesch. d. Rechts u. d. Gesetzgebung Bd. L Darmstadt 1800. S. 241 H.

^ Bibliothek für die peinliche Rechtswissenschaft und Gesetzkunde II, 1. Stück, S. 350, Note.

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und Weise, wie der Staat durch die über den Verbrecher verhängten Übel seinen Endzweck erreicht kann mir hier gleichgültig sein."^ Soweit dieser Sicherungszweck durch das Mittel der Spezial- prävention erreicht werden soll, hängt die Höhe der Bestrafung von der Gefährlichkeit des Verbrechers ab. Die strafrechtliche Zurechnung soll in der Beurteilung der Gefährlichkeit wie bei Grolman von dem freien und bewußten Entschluß zum Verbrechen ausgehen, zugleich aber ein Gedanke, den Älmendingen offenbar ebenso wie Grolman von Feuerbach übernommen hat diejenigen Fälle berücksichtigen, in denen umgekehrt tief eingewurzelte verbrecherische Neigungen dem Täter eine freie Wahl unmöglich machen und ihn darum besonders gefährlich erscheinen lassen. „Der rohe, unaufgeklärte, beinahe aus bloßem Instinkt frevelnde Missetäter ist nach den Regeln der rechtlichen Imputation strafwürdiger als der Mann von Aufklärung, der in einem unbewachten Äugenblick oder in einer verzweifelten Lage mit vollem klaren Bewußtsein der Widerrechtlichkeit seiner Tat sich zu einem Verbrechen hinreißen ließ."^ Wer infolge „roher Erziehung" zum Ver- brecher wird, bei dem „würde also die rechtliche Imputation in eben dem Grade steigen müssen, in welchem die moralische abnimmt".'^ Daß solche Gedanken mit Grolmans ursprünglichen Lehren in Wider- spruch standen, hat Almendingen bereits in einer Besprechung der 1. Auflage der Grolmanschen „Grundsätze" zum Ausdruck gebracht.^ Enger als Grolman bindet er den Richter in der strafrechtlichen Zu- rechnung an die gesetzlichen Voraussetzungen der Bestrafung und er zeigt, daß es bei der Beurteilung der Gefährlichkeit des Verbrechers nicht auf eine sittliche Bewertung ankommt, sondern daß gerade um- gekehrt „der rohe sinnliche Mensch, der ohne Überlegung mechanisch Strafgesetze nur darum bricht, weil er sich zu gewissen sinnen- befriedigenden Handlungen gewöhnt hatte, ohne sie unter das ihm innewohnende Rechtsgesetz zu subsumieren, gerade der gefährlichste ist, zu welchem man sich eines neuen Verbrechens am ersten versehen muß".^ Nicht Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, nur die Möglichkeit der Subsumtion der Tat unter das Gesetz gehört nach Almendingen zur Zurechnungsfähigkeit. Wo diese fehlt, wo ihr „physische Hinder- nisse" entgegenstehen: Trunkenheit, Leidenschaft, Blödsinn, da ist

' Versuch über das Prinzip des Strafrechts. Bibl. für peinl. Rechts- wissenschaft und Gesetzkunde Bd. I, 3. Stück, 1799, S. 3 ff. Vgl. S. 55.

- Ebendort S. 51.

' Ebendort S. 68.

* Bibl. f. peinl. Recht und Gesetzkunde I, 3. Stück, S. 290 ff. und II, 1. Stück, S. 349 ff.

" Bibliothek ... I, 3. Stück, S. 312.

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keine strafrechtliche Zurechnung denkbar, während „moralische Hindernisse": vernachlässigte sittliche Erziehung, Gewohnheit zu sündigen, gänzliche Abstumpfung des moralischen Sinnes die Gefähr- lichkeit der Handlungsweise des Verbrechers und damit seine Strafbarkeit erhöhen.

So folgte Älmendingen, als er dem Problem der strafrechtlichen Zurechnung eine eigene Monographie widmete, Feuerbach, dem „mir unvergeßlichen Schöpfer meiner besseren Erkenntnis"/ Er hielt nunmehr die Verhängung der Strafe für gänzlich ungeeignet, die rechtswidrige Gesinnung des Verbrechers zu ändern und verlegte darum die Bedeutung der Strafe in die generelle Wirkung der gesetzlichen Strafdrohung. Auch ihn führte diese Lehre zu einer strengen Bindung des Richters an das Gesetz. Von äußerlich erkennbaren Handlungen, nicht von einem subjektiven Urteil über Gefährlichkeit und Äbschreck- barkeit des Täters hat der Richter die Bestrafung abhängig zu machen: er imputiert „die nackende Tat".^ Wo Furcht und Leidenschaften, wo der Druck einer Zwangslage oder das Gefühl der Berechtigung zur Tat die freie Wahl des Entschlusses beeinträchtigen, da mindert sich allenfalls die moralische Verantwortlichkeit, auf die strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit, die der Richter zu prüfen hat, haben diese Zustände keinen Einfluß. Wo es ungerecht und zwecklos erscheint, Handlungen, die aus solchen Motiven entspringen, mit Strafen zu bekämpfen, da mag der Gesetzgeber sie für straflos erklären und ihre Verhütung der höheren Staatspolizei überlassen! Um mit den alten Strafgesetzen zu erträglichen Entscheidungen zu gelangen, unter dem Gesichtspunkt einer „Äccomodation an die Carolina",'' gab Älmendingen selbst der Grolmanschen Lehre den Vorzug, die das überkommene richterliche Milderungsrecht aufs neue stützte. Dagegen waren seine und Feuerbachs Lehren in die Zukunft gerichtet: sie forderten eine Gesetzgebung, „welche keine richterliche Willkür zuläßt und keine Begnadigung nötig macht" !*

Besonders schmerzlich war es Grolman, daß unter dem Einfluß Feuerbachs der Begründer der Präventionstheorie, Stübel, „selbst öffentlich die Lehre verwarf, auf welche er mich geführt hatte ".^ Stübel hat sich später mit dem Problem der Straftheorien weniger befaßt und seine ganze Kraft nunmehr seinen grundlegenden

' Darstellung der rechtlichen Imputation. Gießen 1803. S. 91. Ebcndort S. 24. " Ebendort S. 18. * Ebendort S. 190.

^ Grolman, Grundsätze der Kriminalrechtswissenschaft, Nachtrag zur Einführung i. d. II. Ru\l In der III. Aufl. (1818) pag. XIII.

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prozeßrechtlichen Studien und gesetzgeberischen Arbeiten zugewandt.^ Aber das läßt sich erkennen, daß er im Gegensatz zu seinen früheren Lehren die strafrechtliche Zurechnung nunmehr auf die begangene Tat, nicht nur auf die Willensrichtung des Täters basierte. „Gesetzt auch, daß jemand ein Verbrechen unter solchen Umständen, welche einen weit gefährlicheren Willen verraten als die im Gesetz beschriebene Tatsache, unternommen habe, so kann das Gesetz doch keine An- wendung haben, wenn die nach demselben vorausgesetzte Rechts- verletzung nicht zugleich erfolgt ist."^ Zur Zurechnungsfähigkeit verlangt er zwar ebenso wie früher bewußtes Handeln, Kenntnis der Rechtswidrigkeit und Selbstbestimmung des Täters zur Tat, aber das sind ihm nicht mehr Symptome für die Gefährlichkeit der Willens- richtung des Täters, sondern im Sinne Feuerbachs Bedingungen für die Wirksamkeit der gesetzlichen Straf drohung.^

Nur Tittmann blieb der alten Lehre von der Spezialprävention treu. Seine im gleichen Jahr wie der zweite Band der Feuerbachschen „Revision" erschienenen „Grundlinien der Strafrechtswissenschaft"* ebenso wie die später erschienenen Bände seines umfangreichen Handbuchs'' entsprechen fast völlig den Lehren Stübels und Grolmans in ihrer ursprünglichen Gestalt. Die Begründung der strafrechtlichen Zurechnung auf das Urteil über die Gesinnung des Täters und die indeterministische Denkweise in der Bewertung menschlichen Handelns sind bei ihm unverändert zum Ausdruck gekommen. Die strafrecht- liche Zurechnung bestimmt sich nach dem Urteil darüber, inwieweit

^ Über die Mitarbeit Stübels an den Kommissionsarbeiten für ein sächsisches StGB, siehe Landsberg, Geschichte der deutschen Rechts- wissenschaft 3, Äbt. II, Noten S. 69, Nr. 61. Für das Gebiet des Prozeß- rechts: Chr. C. St übel. Über den Tatbestand der Verbrechen, die Urheber derselben und die zu einem verdammenden Endurteil erforderliche Gewiß- heit des erstem, besonders in Rücksicht der Tötung nach gemeinen in Deutschland geltenden und chursächsischen Rechten. Wittenberg 1805. Das Kriminalverfahren in den deutschen Gerichten mit besonderer Rücksicht auf das Königreich Sachsen wissenschaftlich, auch zum praktischen Gebrauch dargestellt, Bd. 1—5. Leipzig 1811.

- Stübel, Über den Tatbestand der Verbrechen .. . 1805. S. 14.

^ Stübel, Grundsätze zu der Vorlesung über den allgemeinen Teil des deutschen und chursächsischen Kriminalrechts nebst einer Einleitung und Übersicht der ganzen Kriminalrechtswissenschaft. Wittenberg (1803). § 50 f., S. 37 f.

* Leipzig 1800.

^ Handbuch der Strafrechtswissenschaft und der deutschen Strafgesetz- kunde 1. Handbuch des gemeinen deutschen peinlichen Rechts. I. Teil Halle 1806, II, Teil 1807, III. Teil 1809. Über Tittmanns Bemühungen für Verbesserung der Strafgesetzgebung siehe Landsberg 3, II, Noten S. 59, Nr. 1 und S. 69, Nr. 6L

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„ein gewisses Subjekt mehr od.- weniger gefährliche Gesin- nungen geäußert habe und inwiefern nun die Drohung des Straf- gesetzes auf ihn passe ".^ Dabei ist die Tat dem Verbrecher um so mehr zuzurechnen, je mehr sie seinem freien Entschluß entsprach und je sorgfältiger sie überlegt war. Bei aller Fülle von Einzelheiten und, vor allem älteren, Literaturangaben ist auf eine tiefere, grund- sätzliche theoretische Begründung zumeist verzichtet. Dabei trifft die Ablehnung der Feuerbachschen Lehre allerdings die empfindlichste Stelle seiner Argumentation, den Versuch, die Vollziehung der Strafe allein aus ihrer Androhung zu rechtfertigen. „Die Androhung der Strafe nämlich, sofern sie keine leere sei und Zufügung des Gedrohten wirklich nach sich ziehen soll, darf geschehen, weil das Recht, zu strafen, vorhanden ist, und liegt mithin der Grund der Androhung in diesem Recht, nicht umgekehrt der Grund dieses Rechts in der Androhung."" Ähnlich wie Grolman kommt Tittmann zu einer Neubelebung der alten Doktrin von der richterlichen Straf- änderungsbefugnis. Die Gesetze bestimmen „in der Regel bloß das Gewöhnliche eines Verbrechens als das allein Bestimmbare, das Un- gewöhnliche dagegen bleibt unberührt". Darum muß der Richter bei „ungewöhnlichen Eigenschaften eines Verbrechens, welche höhere Zurechnung veranlassen und bei der Strafbestimmung unberechnet geblieben sind", die gesetzliche Strafe verschärfen, während ein Umstand, durch welchen dem Verbrechen „die eine oder andere der bei ihm von dem Strafgesetz vorausgesetzten Eigenschaften abgeht", zu einer Strafmilderung berechtigt.^ Die reiche Kasuistik geltender und anti- quierter Milderungsgründe, die Tittmann hier bringt, ist kulturhistorisch nicht ohne Reiz. Zu den Momenten, denen Tittmann keinen Einfluß auf die strafrechtliche Zurechnung mehr zugesteht, zählt er Reue und freiwilliges Geständnis, Übergang zur herrschenden Religion des Staates, favor matrimonii contrahendi und weibliches Geschlecht. „Ist es Galanterie oder Nichtanerkennung des weiblichen Geschlechts, daß alle Strafrechtslehrer einstimmig Frauenzimmer gelinder bestraft wissen wollen?"* Feuerbachs heißen Kampf um eine strenge Bindung an das Gesetz erwähnt Tittmann mit keinem Wort. Den einen Fall aber, in dem bei Feuerbach die alte Doktrin von der poena extraordinaria und der Verdachtstrafe nachwirkt, zieht Tittmann als Stütze für seine Lehre von der richterlichen Strafänderungsbefugnis herbei: jene selt- same Anomalie zu dem Positivismus der Feuerbachschen Lehren, die

' Handbuch I, S. 245.

- Handbuch I, S. 50.

" Handbuch I, S. 322 und 333.

* Grundlinien des Strafrechts, S. 77, Note G.

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Modifikation der gesetzlichen Strafe beim Mangel an Tatbestand, oder, wie es Tittmann nicht eben klarer nennt, wegen „Mangels an den im Gesetz angenommenen Eigenschaften der Rechtsverletzung an sich selbst"/

Als Grolman daran ging, seine „Grundsätze" neu zu bearbeiten, konnte vom alten Bau vieles nicht mehr unverändert stehen bleiben. Indessen sind keineswegs alle die Folgerungen zum Ausdruck gekommen, zu denen er selbst in seinen anderen Schriften, dem Zwang der Feuer- bachschen Argumentation folgend, sich bekannte. Es fehlte ihm, seit er 1816 nach Darmstadt in die Hessische Gesetzgebungskommission berufen und 1819 zum Staatsminister ernannt war, an der Muße und den literarischen Hilfsmitteln seines Gießener Professorendaseins. ^ Das mag erklären, warum das Werk durch mannigfache Änderungen zwar an innerer Geschlossenheit verlor und gleichwohl noch manchen Zweifel, der in der Diskussion mit Feuerbach zu Tage trat, unbeantwortet ließ.^ Eins ist aber unverkennbar: das Bestreben, den von Feuerbach immer wieder aufgedeckten Widerspruch zwischen einer indeterministischen Beurteilung, die einer sittlichen Bewertung, aber nicht einer Prognose der Gefährlichkeit des Täters gerecht wird, und den Bedürfnissen eines erfolgreichen Sicherungsstrafrechts zu beseitigen. Darum soll nicht mehr das Urteil über die Gefährlichkeit des Täters für die Höhe der Bestrafung entscheidend sein, sondern die Strafe ist so zu bemessen, daß sie das Interesse des Täters an seinem Verbrechen zu paralysieren vermag. Das kommt dem Feuerbachschen Äbschreckungsstrafrecht erheblich nahe, nur daß Grolman die abschreckende Wirkung in die Spezialprävention verlegt. Kann man doch allgemein gar keine Proportion zwischen Äbschreckungsübel und dem Interesse am Ver- brechen aufstellen. „Denn was für das eine Individuum das Ziel rastloser Tätigkeit ist, vermag kaum das andere zu bewegen, und nicht selten ist ein Vorteil, welcher die Mehrheit der Menschen kaum zu einer gleichgültigen Handlung bestimmen könnte, in dem Individuum der Erzeuger der scheußlichsten Taten und darum notwendig der Gegenstand, welcher dessen ganzes sinnliches Interesse fast einzig beschäftigte."* Ahnlich wie früher bei der Beurteilung der rechts- widrigen Gesinnung erscheint ihm das Interesse an der Tat um so

' Handbuch I, S. 351. Zu dieser Lehre Feuerbachs vgl. Revision II, S. 5 ff,

■^ Dem folgenden liegt die 20 Jahre nach dem Erscheinen des Buches herausgekommene 3. Aufl. (1818) zugrunde. Eine 4. Aufl. folgte noch 1825. Auch jetzt war er zwar nicht mehr von den „literarischen Hilfsmitteln, wohl aber von den gewohnten literarischen Beschäftigungen getrennt".

' Vgl. Grundsätze III. Aufl., Vorwort pag. XVI.

' Grundsätze III. Aufl., S. 81.

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größer, je mehr innere Hemmungen bei der Tat überwunden werden mußten, je wichtiger die rechtliche Verbindlichkeit war, die übertreten wurde. Dagegen straucheln nur aus Schwäche, aus geringem ver- brecherischen Interesse Unmündige und geistig Minderwertige. Das entspricht noch seiner früheren indeterministischen Denkweise und erscheint zugleich wie eine neue rationalistische Begründung der traditionellen Art, menschliches Handeln zu bewerten. Dagegen ent- spricht es der strafrechtlichen Zurechnung bei Feuerbach, wenn Grolman da ein besonders intensives verbrecherisches Interesse annimmt, wo die Vorstellung des Verbotes dauernd unterdrückt ist. Denn hiermit begründet Grolman, was seine frühere Zurechnungslehre nicht zuließ, die größere Strafbarkeit des Gewohnheits- und Zustands- verbrechers.

Überblickt man so die Entwicklung der Lehren der zeitgenössischen Kriminalisten, so ergibt sich, daß in historischem Sinn von einem Sieg der Feuerbachschen Ideen gesprochen werden muß. Was dieses Ergebnis erleichterte, war ein zeitgeschichtliches Moment. Den alten Polizeistaat durch den Rechtsstaat zu überwinden, die Allmacht des absoluten Staates durch feste Normen zu begrenzen, war jener Epoche tiefstes Bedürfnis. Und nun zeigte Feuerbach, in dessen Sprache etwas von dem revolu- tionären Pathos der Ideen der Aufklärungszeit wiederklingt, daß das Sicherungsstrafrecht zu einer erneuten, zwar wohlgemeinten, aber ufer- losen Ausdehnung der staatlichen Strafgewalt führen muß, während er selbst durch strenge Bindung des Richters an das Gesetz die Rechts- garantien des einzelnen zu stärken verhieß. Dazu kam das Persönliche: der hinreißenden Kraft der Feuerbachschen Dialektik, hinter der etwas von dem sprühenden Geist und dem leidenschaftlichen Temperament ihres Urhebers zu spüren war, haben sich die Zeitgenossen nicht ent- ziehen können. Lange über die Zeit, in der seine Lehren selbst in Geltung waren, ist sein Wirken fruchtbar geblieben, ja als in dem modernen Sicherungsstrafrecht der Lisztschen Schule der alte Gedanke der Spezialprävention eine Neubildung erfuhr, ging man gleichwohl über Grolmans verstaubte Theorie schnell hinweg, um immer wieder aufs neue aus den lebenerfüllten kriminal -psychologischen Schöpfungen seines großen Gegners Feuerbach Anregungen zu gewinnen.' Hier hat die Geschichte nicht nach dem Inhalt vergangener Theorien, sondern nach der geistigen Bedeutung ihrer Schöpfer entschieden, und dies Ergebnis ist für Grolman dadurch nicht minder tragisch, daß sie dabei seinen eigenen Maßstab verwandte: sie hat nicht die Tat, sondern den Täter beurteilt!

* Lands bcrg, Geschichte d. deutschen Rechtswissenschaft 3, II, S. 144.

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Solche philosophischen Auseinandersetzungen über den Zweck der Strafe und das Wesen der strafrechtlichen Zurechnung kennzeichnen nur das äußere Gepräge der strafrechtlichen Literatur jener Zeit. Allem theoretischen Streit um naturrechtliche Deduktionen und gesetz- geberische Prinzipien lag ein Gemeinsames zu Grunde, ein heißer Drang, neue bessere Zustände in der Strafrechtspflege zu schaffen und der ernste Wunsch, mit den systematischen und kritischen Studien einem idealen neuen Strafrecht die Wege zu bereiten. Eine „Wissen- schaft de lege ferenda", wie sie Loening genannt hat,^ geltende Bestimmungen des positiven Rechts willkürlich beiseiteschiebend, aber durchdrungen von tiefer Verantwortlichkeit gegenüber den Forderungen des Rechts, das gerechterweise gelten sollte. Jeder einzelne Kriminalist fühlte sich zugesellt der großen strafrechtlichen Reformbewegung, einer bedeutsamen geistigen Strömung, in der nicht wenig von der sieghaften Zuversicht der Zeit lebte, die glaubte, daß es gelingen werde, durch neue bessere Gesetze und zweckmäßigere Institutionen das Menschengeschlecht einer Zeit neuer Wohlfahrt und Vervollkomm- nung entgegenzuführen. Diese Gesinnung beseelte und stärkte sie alle, und ein erwachendes Gewissen für die Grausamkeiten und Sinnlosig- keiten der überkommenen Sb-afrechtspflege bahnte einen nachhaltigen inneren und äußeren Läuterungsprozeß an. Dem Humanitätsgedanken der Zeit und dem Streben nach rationeller Ordnung des Lebens sollten auch die Gebiete des Strafrechts nicht fürder verschlossen bleiben.^

Diese Gedankenwelt war der geistige Boden, auf dem die straf- rechtliche Literatur jener Zeit erwuchs. Hier erstrebten Grolman und Feuerbach bei aller Verschiedenheit der Wege, die sie einschlugen, im Grunde gemeinsame Ziele. In Feuerbachs Wirken, das seinen krönenden Abschluß in der Schöpfung des ersten neuzeitlichen Landes- strafgesetzbuchs fand, sind mannigfache Wünsche der Reformfreunde

> Z. Str.W. Bd. 3, S. 321.

^ Die großen Züge der geschichtlichen Entwicklung der Rechtsstrafe siehe bei Merkel-Liepmann, Lehre von Verbrechen und Strafe. Stutt- gart 1912, S. 27 ff, und 238 ff. Im einzelnen: v. Liszt, Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge Bd. II, S. 133 ff. E. F. Klein und die unbestimmte Verurteilung. Hallenser Rektoratsrede 1894. Ed. Hertz, Voltaire und die französische Strafrechtspflege im XVIII. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte des Äufklärungszeitalters. Stuttgart 1887. L. Günther, Die Strafrechtsreform im Äufklärungszeitalter. Gross' Archiv Bd. 28. 1907. S. 112 ff. und 225 ff. Derselbe, Tomaso Natale, Marchese di Monterre- sato. Ein in Deutschland vergessener Vorläufer Beccarias. Goltdammers Archiv Bd. 48, S. 1 ff. Derselbe, Französische Revolutionäre als Kriminalpolitiker und Gegner der Todesstrafe. Frankfurter Zeitung 64. Jahrg., Nr. 809 (1. Morgenblatt v. 29. X. 18).

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erfüllt und enttäuscht worden. Es kann erst später nachgewiesen werden, wie seine Lehren zwar dem radikalen Reformgeist der Aufklärung entstammten, in ihrer speziellen Ausprägung aber zu einer alsbaldigen Erstarrung und zu einem Strafrecht von rigoroser Härte führen mußten.^ Neben diesen allgemeinen Beziehungen wirken bei allen wichtigen Einzel- problemen Einflüsse aus dem Geiste jener Bewegung und den Forderungen, die ihre Anhänger erhoben. So blieb Feuerbachs Stellung zu der Frage der strafrechtlichen Zurechnung nicht unberührt von den Gedanken, die von den Reformfreunden mit heiligem Eifer immer aufs neue verkündet wurden. Hatte Feuerbach in seinen rechtsphilosophischen Erörterungen die Selbständigkeit des Rechts gegenüber der Moral gefordert und im Gegensatz zu Grolmans Präventionslehre das Widerspruchsvolle einer moralischen Beurteilungsweise im Strafrecht nachgewiesen, so fand er bei den Vorkämpfern der strafrechtlichen Reformbewegung neue Elemente zu einer allein strafrechtliche Gesichtspunkte berücksichtigenden Zurechnungslehre. Die leidenschaftlichen Angriffe jener Bewegung galten einem Strafrecht, in dem an individueller Schuld Vergeltung geübt wurde. So wie über ein Jahrhundert später die Lisztsche Schule zeigte man damals, welche verhängnisvollen Wirkungen dies Vergeltungsstrafrecht zeitigte und wie beschämend oft ihm Erfolge versagt bleiben mußten. Das führte einmal zu einer Selbstbescheidung des Strafrechts, das die Grenzen seiner Wirksamkeit zu erkennen begann: immer wieder betonte man, Verbrechen zu verhüten sei besser, als begangene Delikte zu bestrafen. Auf der anderen Seite führte jene Kritik dazu, daß man sich darüber Rechen- schaft zu geben suchte, was mit der Strafe erreicht werden kann. Nicht ob der Täter die Strafe verdiente, sondern ob seine Bestrafung zweckmäßig war, nicht das Maß persönlicher Schuld, sondern ob die Strafe wirken kann, wird zur Kernfrage der straf- rechtlichen Zurechnung. Führt auch diese ganze Betrachtungsweise ihrem Inhalte nach näher an Grolmans als an Feuerbachs Lehren heran, so entzog sich Feuerbach um nichts weniger jenem formalen Prinzip: nicht in der sittlichen Bewertung der Tat, sondern in der Möglichkeit, strafrechtliche Ziele zu erreichen, den Sinn und die Berechtigung der Bestrafung zu suchen.

Den Führern dieser Bewegung war es nicht um eine systematische Verarbeitung neuer strafrechtlicher Theorien zu tun, sondern sie kämpften gegen Not und Elend mit dem ganzen Ernste sittlicher Hingebung und eben diese Wärme und Inbrunst sicherte ihnen die stärkste Wirkung. Allen voran, an erster „ehrenvoller Stelle" nennt Feuerbach Cesare

' Vgl. unten Kap. V.

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Beccaria, dessen Name Generationen zum Symbol fortgeschrittener, humaner Strafrechtspflege wurde. Hier flössen strafrechtliche Anregungen zusammen mit den großen geistigen Strömungen der Zeit. Der „un- sterbliche Präsident von Montesquieu" hatte Beccaria stark beeinflußt, Voltaire wiederum schärfte unter dem Eindruck des Bieccariaschen Buches über Verbrechen und Strafen (1764), während er für die Unschuld des hingerichteten Calas eintrat, die Waffen zum Kampf gegen die Todesstrafe. Beccarias „Verbrechen und Strafen" ist ein klassisches Werk geworden, nicht nur in der strafrechtlichen Literatur, sondern in der Geschichte des neuzeitlichen Kulturlebens überhaupt. Es ist kein wissenschaftliches Werk eines zünftigen Kriminalisten, sondern der geniale Wurf eines Dilettanten, elegant in der Form, suggestiv in der Sprache, zwanglos und gefällig in der Darstellung, zwingend und eindrucksvoll in der Wirkung.*

Sowie die Satzungen der menschlichen Rechtsordnung nicht den Naturgesetzen oder göttlicher Offenbarung entstammen, sondern auf den Gesellschaftsverträgen der Bürger beruhen, sieht Beccaria im Verbrechen nicht Sünde und schlechte Absicht des Täters, sondern den der Gesellschaft zugefügten Schaden. Wo kein anderes Mittel übrig bleibt, Verbrechen zu verhindern, da greift der Staat zur Strafe, nicht um Vergangenes ungeschehen zu machen, nicht um den Ver- brecher zu quälen, sondern um ihn „daran zu hindern, seinen Mit- bürgern neuen Schaden zuzufügen, und die anderen von gleichen Handlungen abzuhalten".^ „Die Schwere der Sünde hängt von der unerforschlichen Bosheit des Herzens ab: diese kann von beschränkten Wesen ohne Offenbarung nicht ergründet werden; wie kann man also sie zur Norm für die Bestrafung der Verbrechen nehmen?"^ Vielmehr muß die Strafe um so größer sein, je mehr das Verbrechen das öffentliche Recht gefährdet, je stärker der Anreiz für andere ist, der von ihm ausgeht. „Fühlbare Beweggründe" soll die Strafe schaffen, indem mit ihr ein Maß von Leiden über den Täter verhängt wird, „das den aus dem Verbrechen erwachsenden Vorteil überwiegt" und dieses Übel muß der Begehung des Delikts als unausbleibliche Kon- sequenz nachfolgen.^ Hier fand Feuerbach Berührungspunkte mit seiner Abschreckungstheorie, wiewohl auch er mehr in dem Geist und der Tendenz als in den einzelnen theoretischen Formulierungen die blei- bende Bedeutung Beccarias erkannte. „Bestimmtheit ist keines seiner

* Über Verbrechen und Strafen von Ccsare Beccaria. Übersetzt von K. Esselborn, Leipzig 1905.

Beccaria -Esselborn S. 102 f.

' Ebendort S. 131.

' Ebendort S. 69 und 103.

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Verdienste, er resümiert nicht als Philosoph, sondern nach der Ansicht seines eigenen gesunden Verstandes, und schreibt nicht für die Schule, sondern für die Welt."^

Nach Beccaria wirkte in Italien in seinem Sinn und Geist am stärksten der Ritter Cajetan Filangieri. Auch er geht bei der strafrechtlichen Zurechnung von dem Zweck der Bestrafung aus, auch ihm dient die Strafe zugleich den Zwecken der Spezialprävention und Generalprävention. „Der Endzweck der Gesetze, wenn sie Verbrechen bestrafen, kann also kein anderer sein, als den Verbrecher von fernerer Beunruhigung der Gesellschaft abzuhalten und andere von der Nach- ahmung seines Beispiels durch den Eindruck abzuschrecken, den die an ihm vollzogene Strafe auf ihr Gemüt machen soll."" Solche kriminalistischen Gesichtspunkte, nicht eine Beurteilung der Schuld des Täters, begründen die Strafwürdigkeit. „Die Moralisten mögen die Grundsätze prüfen, nach welchen das Gewissen sich richtet, wir aber wollen nicht vergessen, daß unser Amt, unendlich von jener ihrem (sie!) verschieden, sich bloß darauf einschränke, anzugeben, was die Gesetze über diese Handlungen bestimmen sollten.""^ Jenem doppelten Zweck der Strafe entspricht ein zwiefacher Maßstab in der strafrechtlichen Beurteilung: die Wichtigkeit des verletzten Rechts und der Grad der „mehreren oder mindern Bosheit, welche der Übeltäter hat blicken lassen".^ So geht Filangieri in der strafrechtlichen Zu- rechnung zwar aus von der Rücksicht auf den Zweck der Strafe, aber auch ihn führt der Gedanke einer Spezialprävention zu einem Urteil über das Verhältnis von Tat und Charakter, das einer An- erkennung persönlicher Schuld nahekommt.

Unter den Bahnbrechern der Gedanken Beccarias in Deutschland ist an erster Stelle die anziehende Gestalt Karl Ferdinand Hommels zu nennen. '^ Mit Weitblick und Unerschrockenheit ist er früh für den neuen Geist in der Strafrechtspflege eingetreten und bereits ehe er Beccaria kannte, hatte er die Unhaltbarkeit des herrschenden Systems bloßgelegt, ohne freilich zunächst mehr als das mitleidige Lächeln verständnisloser Überlegenheit zu ernten : Wenn Landesverweisung, wenn die Lebensstrafen abgeschafft werden sollten, so sei des Nachts niemand sicher, über die Straße

* Feuerbach, Revision II, S. 449.

"^ System der Gesetzgebung. Aus dem Italienischen des Ritters Cajetan Filangieri IV. Bd. Ansbach 1787, S. 19. " Ebendort S. 256.

* Ebendort S. 8.

^ K. V. Zahn, Karl Ferdinand Hommel als Strafrechtsphilosoph und Strafrechtslehrer. Ein Beitrag zur Geschichte der strafpolitischen Auf- klärung in Deutschland. Leipzig 1911.

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zu gehen, aus Furcht, erschlagen zu werden!" Man hielt solche Vorschläge einfach für undiskutabel und meinte, er sei nur ein junger Mann, der seinen Geist zeigen wollte.^ Später wurde er der eifrigste Verkünder der Ideen Beccarias, „dieses Weisen . . ., dieses Sokrates unserer Zeit, dem die künftige Welt Bildsäulen setzen und Altäre errichten wird".^ Ganz im Sinne der Hufklärung will Hommel nicht immer nur strafen, sondern durch Wohlfahrtspflege und Unterricht auf die Menschen wirken. „Man muß erst die Schulmeister bessern, ehe man Kinder verbessern will. Wenn es in dem Gehirn des Lehrers wie in einer Polterkammer aussieht, wie will er den Anflug des Staates in Ordnung bringen? . . . Man nehme reichen Pfarrherren den sechsten Teil ihrer Pfründe und gebe ihn dem Kinderlehrer, damit man bessere Leute bekomme."^

Huch Hommel und sein Gesinnungsfreund Rössig, der Hommels Betrachtungen über Beccaria herausgab, wollen nicht Schuld und Sühne, sondern den gesellschaftlichen Schaden zum Maßstab der Bestrafung machen. „Es kann etwas schädlich, es kann etwas sündlich und doch bürgerlich kein Verbrechen sein. Mensch, Bürger und Christ sind drei unterschiedene Begriffe."* Eine ethisch-religiöse Zurechnung zur Schuld, das hat dann Rössig ausgeführt, könnte nur in einem theokratischen Staate gerechtfertigt werden, in dem die Obrigkeit als unmittelbare Stell- vertreterin Gottes eingesetzt ist, „ein Grundsatz, den kein vernünftiger Gottesgelehrter mehr behaupten wird".^

Noch eine andere Seite der Hommelschen Gedanken berührt das Problem der strafrechtlichen Zurechnung: sein konsequenter Deter- minismus. Unter dem Pseudonym Alexander von Joch hat er dem Verhältnis zwischen Determinismus und strafrechtlicher Verantwortlich- keit ein besonderes Buch „Über Belohnung und Sh-afe nach türkischen Gesetzen" gewidmet.^ Luthers De servo arbitrio kehrt oft in diesem reizvollen Werkchen wieder, indem ein barocker Stil wie im Spiel übermütiger Laune bis hart an das Groteske getrieben wird. Kann der Mensch zwar tun, was er will, so kann er doch nicht zugleich das eine oder das andere wollen. Er besitzt entsprechend den Lehren der deterministisch gerichteten englischen Philosophie die Freiheit des Handelns, aber nicht die Freiheit des Willens.^

' K. F. Hommels Philosophische Gedanken über das Kriminalrecht. . . Herausg. v. K. G. Rössig, Breslau 1784. S. 47 f. ^ Ebendort S. 169. ' Ebendort S. 98 f. * Ebendort S. 39 f. ' Ebendort S. X. « 2. Aufl. Bayreuth und Leipzig 1772. ' Vgl. das unten Kap. III zitierte charakteristische Wort von Hob bes.

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Auch der Willensentschluß des Menschen ist nur ein Glied in der endlosen Kette von Ursachen und Wirkungen. Trotzdem können wir ihm seine Handlungen zurechnen. „Gott ist notwendig gut und doch muß ich ihn loben. Im Gegenteil hasse ich die Kröte und doch ist sie notwendig häßlich."^ Ebenso kann ich das Verhalten eines Menschen loben oder tadeln, wiewohl er so und nicht anders handeln mußte. Eine Strafe wäre, wenn der Mensch unabhängig von äußeren Bedin- gungen so oder so wollen könnte, zwecklos, denn sie soll ja gerade seinem Willen eine bestimmte Richtung geben. In der Tat folgt der Mensch in seinem Entschluß dem stärkeren Trieb, wie die Wagschale dem schwereren Gewicht. Eine solche Stärkung des Triebes zu dem vom Gesetz verlangten Verhalten soll die Strafe bewirken. „Dieses Gewicht im Bilde von der Wage heißt Strafe. Es wird guten Nutzen haben und bewirken, daß du besser acht geben wirst. "^ Dabei mag Hommel ein leiser Zweifel gekommen sein, ob nicht der um gemeinen Nutzens willen Bestrafte sein Schicksal als Ungerechtigkeit empfinden würde. Verweist er doch die Verurteilten, „die Anzahl der Unglücklichen, die ein Dichter Schlachtopfer des Schicksals nennen würde", auf die ewige ausgleichende Gerechtigkeit, die sie einst im Himmel durch besseres Los für ihr irdisches Leid schadlos halten wird!^ Feuerbach entnahm Hommel wertvolle Gesichtspunkte, um zu zeigen, daß man die strafrechtliche Zurechnung von einer indeterministischen Bewertung sittlicher Schuld unabhängig machen müsse. Gleichwohl nannte er sich selbst keinen Deterministen, glaubte er doch im Bereich moralischer Beurteilung des freien Willens nicht entraten zu können.

Zu den Vorkämpfern der neuen Richtung gesellte sich auch ein Theologe, Johann David Michaelis.^ Auch er löst das staatliche Strafrecht von der Voraussetzung subjektiver Verschuldung. Wie wir es in modernen Untersuchungen gewohnt sind, trennt er deskriptive und teleologische Strafbegriffe: Mag zu dem Wesen der Strafe Ver- geltung vergangener Handlungen gehören, ihr Zweck ist General- prävention.^ Wie bei Hommel ist das Mittel hierzu Abschreckung:

' Alexander von Joch, Belohnung und Strafe nach türkischen Gesetzen S. 205.

- Alexander von Joch, a. a. O. S. 129.

' Ebendort S. 158.

* J. D. Michaelis, Mosaisches Recht VI. Teil. Frankfurt a. M. 1775. Vorrede pag. 1 190.

^ Michaelis, a. a. O. S. 11. Vgl. E. Kohlrausch, Über deskriptive und normative Elemente im Vergeltungsbegriff des Strafrechts in „Zur Er- innerung an I. Kant", Äbhandl. herausgegeben v. d. Universität Königsberg. Halle 1904. S. 269 ff. M. E. Mayer, Der allgem. Teil des deutschen Straf rechts. Heidelberg 1905. S. 422 ff.

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„Strafen sind andern zum Exempel . . ."/ aber eine Abschreckung, niciit durch die Vollziehung der Strafe, sondern wie später bei Feuer- bach durch die Wirkung der gesetzlichen Strafdrohung." „Soll der, der seinen Vorteil bei Begehung eines Verbrechens sieht oder zu sehen meint, davon abgehalten werden, so muß ihm mehr Übel gedrohet werden, als der vermeinte Vorteil beträgt und dies selbst nach seiner eigenen Rechnung, d. i. ein Übel, das er, alles in Anschlag gebracht, die Gewißheit des vermeinten Vorteils und die Ungewißheit des Übels, doch größer schätzt als den Vorteil."^ Konsequenterweise führt diese Lehre Michaelis zu der Forderung, daß die gesetzliche Strafdrohung in allen Fällen in vollem Umfang zur Ausführung gelangen muß. Ganz wie bei Feuerbach soll endlich nicht Schuld oder Bosheit des Verbrechers, nicht die „ohnehin von einem nicht in das Herz sehen könnenden menschlichen Richter fast nie mit Gewißheit auszumachende Schwärze und Weiße des Verbrechens",* sondern die Stärke der zum Verbrechen reizenden „Triebe oder Bewegungsgründe" das Maß der strafrechtlichen Verantwortung begründen.^

Einen starken Widerhall fanden die neuen Lehren in Frankreich. Dort hatten schon vor Beccaria die Enzyklopädisten*" scharfe Angriffe gegen die herrschende Strafjustiz geführt. In den Sitzungen der Nationalversammlung gab es um die großen Fragen der Strafrechts- reform ernste Diskussionen.^ Für die fruchtbare Förderung einzelner dogmatischer Probleme dagegen waren die französischen Kriminalisten wenig ergiebig. Schon Feuerbach wirft ihnen ein Zuviel an „Dekla- mationen und Sentimentalischen Ergießungen des Herzens" und ein Zuwenig an „kalter Vernunft und trockener Spekulation" vor. „Solidität und philosophischen Geist" findet er noch am meisten bei Servin.*^ Wenn uns auch heute Servins übermäßige Fülle naturrechtlicher Konstruktionen und abstrakter Begriffsbildungen ermüdet, dem zeit- genössischen Göttinger Philosophen Feder schien sein Werk „Über

^ Michaelis, a. a. O. S. 18.

'^ Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft 3. Abt., L Halbbd., S. 405 bezeichnet Michaelis' Lehre geradezu mit dem für Feuerbach charakteristischen Namen Psychologische Zwangstheorie.

" Michaelis, a. a. O. S. 18 f.

* Michaelis, a. a. O. S. 14. ^ Michaelis, a. a. O. S. 64.

* Ä. V. Overbeck, Das Strafrecht der französischen Enzyklopädie. Freiburger Diss. 1902.

' Ch. Lucas, Recueil des d^bats des Ässembldes Legislatives de la France sur la question de la peine de mort. Paris 1831. H. Remy, Les principes g^n^raux du Code p^nal de 1791. Paris 1910.

* Feuerbach, Revision II, S. 453 und 458.

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die peinliche Gesetzgebung" das „beste philosophische Buch über das peinliche Recht"/ Auch bei Servin ist nicht Vergeltung, sondern der Sicherungszweck für die strafrechtliche Ahndung bestimmend. „Die Gerechtigkeit tut niemals etwas Übels, weil es das nämliche ist, das sie zu bestrafen hat, sondern um andern Missetaten zuvorzukommen."* Daraus ergibt sich die Forderung, „daß das Übel, mit dem das Gesetz droht, genau einen Grad stärker sei als das Gut, das man sich von dem Verbrechen verspricht".^ Liegt hierin eine deutliche Parallele zu der strafrechtlichen Zurechnungslehre Feuerbachs, so neigt andererseits Servin dem Prinzip der Spezialprävention zu und kommt hier, ähnlich wie Filangieri oder Grolman, dem Gedanken subjektiver Verschuldung nahe. Der Täter selbst soll durch das Strafübel, das er erleiden muß, vor weiteren Verbrechen abgeschreckt werden. Richtet sich so die Strafe in erster Linie gegen den Täter, so hat die Tat für die strafrechtliche Zurechnung vorwiegend symptomatische Bedeutung: „Das, was eigent- lich eine Missetat bewirkt, ist der sich veroffenbarte Wille, zu schaden."* Einen nachhaltigen Einfluß auf Feuerbachs strafrechtliche Lehren hat der Tübinger Rechtslehrer Chr. Gottlieb Gmelin ausgeübt. Die systematische Entwicklung der Zurechnungslehre in Feuerbachs „Re- vision" verwertet eine Reihe von Gedanken, die Gmelin in seinen „Grundsätzen der Gesetzgebung über Verbrechen und Strafe"^ ent- wickelt hatte. Dieser Einfluß mag durch eine gewisse innere Ver- wandtschaft gestärkt worden sein. Ähnlich wie später Feuerbach und stärker noch als er verbindet Gmelin mit seinem Eintreten für eine Reform der Strafgesetzgebung ein starres Festhalten an einzelnen Institutionen des alten peinlichen Rechts. So bleibt er entgegen Beccaria Anhänger der Todesstrafe,*^ und er tritt im Gegensatz zu dem ganzen Geiste der Aufklärung für ernstere Bestrafung der Fleischesdelikte ein. Selbst die „Bestrafung" des Selbstmörders mit unehrlichem Begräbnis findet in ihm noch einen Fürsprecher. Ver- brechen zu verhüten, ist nach Gmelin eine der wichtigsten Pflichten des Regenten. Eines, das letzte Mittel ist die Strafe. Sie besteht nicht „darin, dem Verbrecher ein Äquivalent für seine Schuld

^ Servin, „Über die peinliche Gesetzgebung". Aus dem Franzö- sischen . . . von J. E. Grüner. Mit einer Vorrede von Herrn Hofrat Feder. Nürnberg 1786. S. III.

"^ Servin, a. a. O. S. 51.

' Ebendort S. 33.

' Ebendort S. 19.

* Tübingen 1785.

^ Gmelin, Grundsätze der Gesetzgebung S. 76 ff. enthält eine über- sichtliche Zusammenstellung der zeitgenössischen Anhänger und Gegner der Todesstrafe.

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aufzuerlegen, ihm dasselbe Übel zuzufügen, das er durch moralische Häßlichkeit seiner Handlung verdient hat", sondern „das Übel der Strafe soll den Willen eines jeden vor der Begehung dahin bestimmen, daß er die strafbare Handlung unterlasse"/ So soll das Ziel der Straf- rechtspflege, Generalprävention, erstrebt werden durch Abschreckung, und zwar in dem alten Sinn, wie ihn auch Hommel noch vertrat, durch die abschreckend wirkende Vollziehung der Strafe. „Der Ver- brecher muß durch die Strafe leiden, damit andere in der Vorstellung dieser Leiden einen hinlänglichen Beweggrund finden, von ähnlichen Verbrechen abzustehen, und töricht ist es, solche Leiden eine Grau- samkeit zu nennen . . . " ^ Hier findet die Rücksichtslosigkeit des absolutistischen Polizeistaates noch einmal eine Apologie. Wenn Feuerbach im Sinne Kants, der auch im Verbrecher die menschliche Persönlichkeit zu respektieren verlangte, eine Bestrafung, damit ein Exempel statuiert werde, verwarf, so triumphierte bei Gmelin noch die allmächtige Staatsräson. Individual- ethischen Einwürfen hält er Hagedorns Vers entgegen:

Wenn ihr mit Dieben Mitleid habt. So habt ihr keines mit dem Lande!

Zugleich führt der Äbschreckungsgedanke Gmelin zu einer Reihe von Folgerungen, wie sie auch für die Feuerbachsche Zurechnungslehre charakteristisch sind. So wie Feuerbach das Maß der Strafe als ein Äquivalent gegenüber der zum Verbrechen drängenden sinnlichen Triebfeder zu bestimmen sucht, soll sie auch nach Gmelin „den Vorteil überwiegen, welchen sich der Verbrecher bei der Ausführung seiner Missetat verspricht".^ Ähnlich wie bei Feuerbach sind angeborene Neigungen und schlechte Erziehung als „Milderungsgründe nicht anzu- sehen, da ohne solche Umstände niemand zur Begehung eines Ver- brechens kommt und eben deswegen die Strafen verordnet werden, um solchen Umständen das Gegengewicht zu halten".^

So ergeben sich eine Reihe von Parallelen zwischen den Gedanken der Anhänger der strafrechtlichen Reformbewegung und Feuerbachs Lehren von Strafe und Zurechnung. Der Einfluß jener Richtung auf Feuerbach beschränkt sich dabei keineswegs auf die stets wieder- holten Hinweise darauf, daß die Strafe ein Gegengewicht gegen die verbrecherischen Neigungen sein soll. Vielmehr liegt all diesen Erörterungen der gemeinsame Gedanke zugrunde, daß nicht Vergeltung

' Gmelin, a. a. O. S. 29 l ^ Ebendort S. 29 f. " Ebendort S. 41. * Ebendort S. 107.

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begangenen Unrechts, sondern Verhütung künftigen Verbrechens Auf- gabe der Strafe ist. Der Emanzipation des Kulturlebens aus kirchlich- dogmatischen Banden, wie sie das Ziel der Aufklärung war, entspricht die Tendenz, auch das Strafrecht allein seinen eigenen Zwecken unter- zuordnen. Nicht die Schuld des Verbrechers, sondern die Zweck- mäßigkeit seiner Bestrafung vermag die staatliche Kriminalstrafe zu rechtfertigen. Das Problem der strafrechtlichen Zurechnung konzentriert sich daher nicht auf die Frage: „Hat der Täter schuldhaft gehandelt? Dann muß er bestraft werden!", sondern lautet: „Ist es zweckmäßig, den Verbrecher zu bestrafen?" Diesem ganzen Gedankengang entspricht das Ziel Feuerbachs, dem Recht eine der Sittlichkeit gegenüber selbständige Geltung zu gewährleisten und Prinzipien einer von allen Beimischungen moralischer Beurteilung freien, rein kriminalistischen Zurechnungslehre zu gewinnen.

Wie in der Behandlung einzelner Fragen, so zeigen die Krimina- listen der Aufklärung in der staatsrechtlichen Grundauffassung innere Gegensätze. Liegt doch in dem Prinzip, daß der gesellschaftliche Schaden und die antisozialen Neigungen des Verbrechers, nicht seine individuelle Schuld zum Maßstab der Bestrafung dienen soll, ebenso die Rechtfertigung der polizeistaatlichen Doktrin, die um gemeinen Nutzens willen über das Recht des Einzelnen hinwegschreitet, wie der Kampf gegen die Barbarei und Willkür der alten Kriminaljustiz zu der Forderung fester Begrenzung der staatlichen Strafgewalt führen mußte. Dabei ist zu bedenken, daß die Vorkämpfer des neuen Strafrechts, von denen hier nur einzelne mit wenigen Strichen charakterisiert wurden, nicht systematisch ausgebaute Strafrechtstheorien geben, sondern die Gewissen der Menschheit aufrütteln und stärken wollten. Der soziale Nutzen der Strafe war nicht wie bei den Apologeten des Absolutismus als eine Generalklausel gedacht, die jedweden staatlichen Eingriff rechtfertigt, sondern bedeutete in einschränkendem Sinne den Maßstab, an dem sich der Wert der im Rahmen des Rechts verhängten Strafe bewähren muß.

Die Frage, wieweit neben der Berücksichtigung kriminalpolitischer Zweckmäßigkeit eine Beurteilung des sittlichen Wertes in der strafrecht- lichen Zurechnung zum Ausdruck kommen soll, bildete den Gegenstand eines erbitterten Streites zwischen Feuerbach und Ernst Ferdinand Klein.^ Auch Klein war für die Entwicklung der strafrechtlichen Reformbewegung

' Eine Darstellung dieses Streites, allerdings im Unterschied von der im folgenden gegebenen Darstellung mehr unter Berücksichtigung der beiderseitigen Anschauung über das Wesen der Strafe im allgemeinen, gibt F. C. Th. Hepp, Darstellung und Beurteilung der deutschen Straf- rechtstheorien II, 1, 2. Aufl. Heidelberg 1844. S. 109 ff.

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von Bedeutung, indem er neben Suarez von Carmer zur Bearbeitung des strafrechtlichen Teils des Allgemeinen Landrechts, des Gesetzbuchs der aufgeklärten Despotie des friderizianischen Preußens, berufen wurde/ Auch nach Klein gilt die Strafe nicht der Wiedervergeltung, sondern der Verhütung der Verbrechen, wenn er auch die historische Bedeutung des Genugtuungsbedürfnisses für die Entwicklung der Rechtsstrafe zutreffender zu würdigen wußte als Feuerbach und manch einer der zeitgenössischen rationalistischen Erklärer." Als sich Klein nach seinem gesetzgeberischen Wirken literarischer und akademischer Tätigkeit als Professor und Universitätsdirektor in Halle widmete, gewann er bald den Ruf eines einflußreichen Kriminalisten. Aber seinen Werken fehlte die philosophische Vertiefung der Probleme und die juristische Schärfe und Klarheit, wie sie Feuerbachs Schriften eigneten.^ So wie das Allgemeine Landrecht wie eine ideale Kodifikation des herrschenden naturrechtlichen Lehrgebäudes anmutet, steckt auch Klein viel tiefer in der naturrechtlichen Doktrin als Feuerbach, der in der strengen Bindung des Richters an das staatliche Gesetz mit den Vorkämpfern des konstitutionellen Gedankens den Grundstein der bürgerlichen Frei- heit pries. Klein trat erneut für das alte Dogma von dem zwiefachen Strafrecht ein, den „natürlichen" Verboten und solchen, die erst durch staatliche Anordnungen Verbotscharakter erhalten.^ Hand in Hand damit geht das Bestreben, dem Richter, weitherziger wie bei Feuer- bach, einen Spielraum freien Ermessens einzuräumen und er fragt erstaunt, ob denn der Gebrauch des gesunden Menschenverstandes gänzlich von dem Richterstuhle verbannt und der Richter zu einer bloßen Referier- und Dekretiermaschine umgebildet werden soll?^ Rus solchen Gedankengängen heraus lag es nahe, auch moralischer Bewertung Einfluß auf die strafrechtliche Zurechnung zu verschaffen.

' Ä. Stölzel, Carl Gottiieb Suarez. Berlin 1885. S. 170 L Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft 3. Äbtlg.,

1. Halbband, S. 470 f.

- E. F. Klein, Über die Natur und den Zweck der Strafe. Archiv des Kriminalrechts II, 1, S. 74 ff. Hierzu v. Bar, Geschichte des deutschen Straf rechts und der Straf rechtstheorien, S. 172.

^ E. F. Klein, Grundsätze des gemeinen deutschen peinlichen Rechts,

2. Aufl., Halbband, 1799, sowie zahlreiche Aufsätze in dem von Klein und Kleinschrod 1799 begründeten Archiv des Kriminalrechts.

* Bei den Übertretungen naturrechtlicher Verbote hat der Verbrecher nicht einen Anspruch auf Innehaltung der gesetzlichen Festsetzung der Strafgröße, sondern „er muß sich bei an sich unerlaubten Handlungen jede Strafe gefallen lassen, welche durch seine unerlaubte Handlung not- wendig geworden ist". Grundsätze, S. 11.

^ Archiv II, 1, S. 128.

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Zwar nicht um eine rein moralische Bewertung („moralische Schätzung"), wohl aber um die mißbilligende Beurteilung einer Pflichtverletzung (das nennt Klein „moralische Zurechnung") handelt es sich im Straf- recht/ Es würde „das Ansehen der Gesetze untergraben werden, wenn man sie mit einer das moralische Gefühl empörenden Strenge anwenden wollte".^

Mit solchen Gedanken setzte sich Klein zu dem Rigorismus Feuerbachs in Widerspruch. Er tat das nicht ohne die Überheblichkeit des Alters gegenüber der Neuerungssucht der Jugend, die unaufhörlich an der Zerstörung dessen arbeitet, „was unsere Vorfahren aufgeführt haben" und er hielt es zudem als „alternder Mann" für „unerläßliche Pflicht", dem jungen Schriftsteller eine unverblümte „Sittenpredigt" wegen der „pomphaften Weise" zu halten, mit der Feuerbach angeblich den ersten Band seiner „Revision" in der Allgemeinen Literatur-Zeitung angekündigt hatte. ^ Feuerbach, persönlichen Angriffen gegenüber allzeit aufs äußerste empfindlich, lieh seinem Unmut die schärfsten Waffen seiner unvergleichlichen Dialektik, und seine Worte wirkten nicht minder suggestiv dadurch, daß er sich zugleich mit einem Appell an die „Urbanität in der Gelehrtenrepublik" gegenüber einer phrasenhaften Weichheit im Ausdruck bei Klein das Recht vindizierte, ohne Ansehen der Person Irrtum Irrtum und Wahrheit Wahrheit zu nennen. „Wem etwas bloß scheint, der tut besser, wenn er schweigt, und wer sagt, daß es ihm scheine, wenn er überzeugt ist, daß er es gewiß wisse, der lügt, der erniedrigt sich und die Wahrheit unter die Schellenkappe der Konvenienz und des Trugs. "^ Hatte Feuerbach aus Klein den Vorwurf der Niederträchtigkeit und Verfälschung herausgehört, so beklagte sich Klein nunmehr über Feuerbachs Vorwurf der Lügen- haftigkeit.^ Daß solch persönlicher Streit der Förderung des Problems wenig dienlich war, war zu erwarten. Klein versuchte, dem Problem der strafrechtlichen Zurechnung dadurch die Spitze abzubiegen, daß er die Gegenwirkung gegen die verbrecherischen Neigungen mit sinn- lichen Übeln als Züchtigung oder Sicherungsmaßnahme dem eigentlichen Strafrecht gegenüberstellte, bei dem es sich darum handelt, Gesetzen Gehorsam zu leisten. Hier hat der Freiheitsbegriff seine Stätte, indem

' Grundsätze, a. a. O. § 95, S. 77.

- Archiv II, 1, S. 129.

" Archiv II, 1, S, 113 ff. Die gerügte Ankündigung Feuerbachs im Intelligenzblatt der Allg. Lit.-Ztg. vom Jahre 1799. Nr. 35, Sp. 274 enthält eine kritische Kennzeichnung der Mängel der bisherigen Lehren über die strafrechtliche Zurechnung, ohne die Vorzüge des eigenen Werkes in unzu- lässiger Weise zu rühmen.

■* Revision II, Vorrede pag. VII.

* Für den Herrn Dr. Feuerbach, Archiv II, 3, S. 123 ff.

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das Recht nicht die heroische Freiheit des Sittengesetzes, sondern eine alltägliche gemeine Freiheit in Tun und Lassen voraussetzt. Aber all diese Dinge sind so allgemein und wenig bestimmt behandelt, daß man aus den Darlegungen immer nur ein verschwommenes Bild bekommt. Die Zweifel bleiben, und Klein führt dafür selbst Beispiele an, z. B. den Hausdiebstahl: die große Versuchung mindert die Schuld, aber der Gesetzgeber sucht die Strafe zu erhöhen, „damit die Leichtigkeit, solche Verbrechen zu begehen, nicht den Reiz dazu vermehren möchte".^ In diesem Streit zwischen den Forderungen der General- prävention und den Bedürfnissen der Spezialprävention findet Klein keine rechte Lösung, wenn er den ersteren in diesem Fall mehr zuneigt, zugleich aber erklärt, im Grunde sei auch die Schuld, nämlich der Vertrauensbruch, keineswegs gering. So gelangt er immer nur zu allgemeinen Erwägungen, eine wirkliche Durchdringung der Probleme, ein Versuch, diese Fragen aus einem methodisch geschlossenen Gedankengebäude heraus zu entwickeln, wie es Feuerbachs wissenschaft- lichen Zielen entsprach, fehlt bei Klein. Mag er mit dieser notgedrungenen Selbstbescheidung den fließenden Übergängen des Lebens oft im Grunde besser gerecht geworden sein, als es die starren Formen dogmatischer Straftheorien vermochten, ihm fehlten bei allem Versuch einer Anleh- nung an Kant die scharfen Waffen, welche die völlige Beherrschung und Verarbeitung der kritischen Philosophie, wie sie Feuerbach besaß, bei der Vorliebe jener Zeit für philosophische Methodik allein gewähren konnten." Und doch war sein Wirken gerade für die Fragen der Zurechnung von Bedeutung. Sicherlich hat er das Ällgemein- interesse für das Problem der ethischen Werturteile im Strafrecht angeregt. Er hielt im Jahre 1802 in der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin eine Vorlesung „Über die Schätzung des Menschen und seiner Handlungen in politischer und moralischer Hin- sicht als Einleitung in die Lehre von der rechtlichen Zurechnung".^ Für das folgende Jahr erließ die Königliche Akademie ein Preisaus- schreiben über die Frage, ob und wieweit die moralische Schätzung der Handlung bei Festsetzung und Anwendung eines Strafgesetzes zu berücksichtigen sei. Unter den gedruckten Äkademieschriften* findet sich eine Beantwortung von dem Kirchenrat J. H. Gebhard, der in ruhigen und klaren Worten den Gedanken einer strafrechtlichen Ähndung sittlicher Schuld verwarf und im Sinne der Aufklärung die

' Archiv IV, 3, S. 22.

^ Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft 3, 1, S.517. ' Archiv IV, 4, S. 44 ff.

^ Drei Preisschriften d. Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin für das Jahr 1803. Berlin 1804.

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Aufgaben der staatlichen StrafrechtspJlege auf die Sicherung des Zusammenlebens der Bürger und eine durch humane und vernünftige Gesetze gewährleistete mittelbare Stütze ihrer inneren Vervollkomm- nung beschränken wollte. Gebhard erhielt jedoch nur das Äkzessit, während der Preis dem Quedlinburger Domprediger Fr. Äug. Boysen zuerkannt wurde. Dieser wandte sich in langatmigen Ausführungen gegen den Rigorismus einer einseitig kriminalistischen Zurechnungs- lehre und verlangte, der Staat müsse um seiner eigenen und des Verbrechers Würde willen die strafrechtliche Beurteilung von einer moralischen Würdigung des bösen Willens abhängig machen. Den Schwierigkeiten einer Klassifikation moralisch verwerflicher und in gleichem Maße sozial schädlicher Handlungen vermochte freilich der Verfasser nicht gerecht zu werden, und wenn er die Möglichkeit menschlicher Fehlsprüche um des hohen Zieles der Verwirklichung überirdischer Gerechtigkeit willen in Kauf nehmen zu können glaubte, so hat schon damals die Kritik eine solch theokratische Ethisierung staatlichen Strafrechts als „mönchische Einmischung des Staates in Dinge, die nur vor die Kompetenz des allwissenden Richters gehören", zurückgewiesen und der Brutalität, die in der Überspannung des Prinzips der moralischen Beurteilung liegt, die Frage entgegengehalten: „Wie kann selbst die beste Absicht den Frevel heiligen, mit welchem ein Mensch auf die Gefahr hin, ungerecht zu sein, in das Amt des höchsten Richters einzugreifen und die Rechte des Herzenskündigers zu usurpieren kein Bedenken trüge?" ^

* Neue Leipziger Litcraturzeltung I. Bd. Leipzig 1805. 2. Stück, Sp. 28.

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Drittes Kapitel

Die systematische Ausgestaltung der

Feuerbachschen Zurechnungslehre in der

Revision der Grundsätze und Grundbegriffe

des positiven peinlichen Rechts.

Unter den Zeugnissen der deutschen Rechtswissenschaft vergangener Zeiten steht die „Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts" von Anselm von Feuerbach an besonderer Stelle. Eine virtuose Fähigkeit, den spröden Stoff abstrakter Begriffe plastisch zu gestalten, eine Zuspitzung der Antithesen von dramatischer Wucht und bei aller Formalistik der Argumentation der sichere Instinkt des geborenen Kriminalisten sichern diesen beiden Bänden bei aller Be- dingtheit ihres Gegenstandes, bei aller Anfechtbarkeit ihrer Ergebnisse unvergänglichen Wert.

Versucht man, der historischen Bedeutung dieses Werkes nahe- zukommen, so erweist es sich als eine systematische Ausgestaltung und erneute Rechtfertigung der mannigfachen Versuche Feuerbachs, das Problem der strafrechtlichen Zurechnung, der Imputation, allein nach rein kriminalistischen Gesichtspunkten zu lösen. Das Zurechnungsproblem enthält die Frage nach der Verantwortlichkeit für bestimmte menschliche Handlungen. Je nach dem Gesichtspunkt, der für die Voraussetzungen und die Gestaltung der Verantwortung maßgebend sein sollte, verband man mit dem Wort Zurechnung, imputatio, einen verschiedenen Begriff. Ursprünglich bedeutet imputare jemand etwas anrechnen, kaufmännisch gesprochen: jemand buch- mäßig — belasten. So heißt es z. B. 1. 1, § 4 D. 37, 3: Praeterea si matrem aluit pupilli tutor, putat Labeo imputare eum posse. So bemerkt Thomasius: Imputare nativa significatione terminus arith- meticus est et significat in rationes referre, auf die Rechnung schreiben.^ Neben dieser wirtschaftlich-rechnerischen Bedeutung hatte das Wort als- bald einen allgemeinen Sinn. Darnach bedeutet imputatio die Erklärung,

^ Fundamcnta juris naturac et gentium ... in usum auditorii Thomasiani. Halle u. Leipzig 1713. Lib. I, caput VII, § XXIV. Vgl. Revision I, S. 151 ff.

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daß ein Mensch Ursache einer bestimmten, im einzelnen gleichgültig wie gearteten Wirkung sei. Dann engte man diesen allgemeinen Sinn wieder ein in dem Sinne, daß nur einzelne von den Wirkungen, die ein Mensch verursacht hat, ihm zuzurechnen sind. So sagt man: „Ich habe die Handlung zwar getan, aber sie kann mir nicht imputiert werden. " ^ Und zwar beschränkt man dabei herkömmlicherweise die Zurechnung auf solche Wirkungen eines Subjekts, bei denen es als eine Ursache gedacht wird, die selbst nicht wieder durch andere Ursachen bedingt ist, und somit frei gehandelt hat. Diesen engsten Begriff der Zu- rechnung, die Zurechnung zur freien Handlung, nennt Feuerbach die Zurechnung im engeren und eigentlichen Sinn oder nach dem Vor- gang von Darjes moralische Zurechnung im Gegensatz zu jenem weiteren Begriff der physischen Zurechnung.^

Dieser Begriff der moralischen Zurechnung, nach dem die freie Tat eines Menschen ihrem Urheber als persönliche Schuld zugemessen wird, ist, wie das Feuerbach bereits erkannt hat, aus Ethik und Theologie zuerst von Samuel Pufendorf in das Strafrecht eingeführt und unter der Bezeichnung imputatio als Zusammenfassung der sub- jektiven Voraussetzungen der strafrechtlichen Verantwortung verwertet worden.^ Pufendorf hat nach dieser Richtung hin die wissenschaftliche Behandlung des Strafrechts für lange Zeit entscheidend beeinflußt. Die moralische Huffassung der strafrechtlichen Zurechnung findet sich dann in der Wolf f sehen Philosophie, und gerade in der ausgedehnten Herrschaft dieser Richtung hat Feuerbach einen wesentlichen Grund für die Ausbreitung jener Anschauung gesehen. In der Tat spielen bei Christian Wolff moralische Gesichtspunkte bei der Zurechnung strafrechtlich relevanten Verhaltens eine Rolle. In dem strafrechtlichen System, das sein Schüler Regnerus Engelhard nach Wolffs verstreut geäußerten kriminalistischen Gedanken bearbeitet hat, wird das Ver- brechen als freie, pflichtwidrige Handlung seinem Urheber zugerechnet.^

' Revision I, S. 153.

'^ J. G. Darjes, Observationes iuris naturalis, socialis et gentium. Vol. II. Jena 1754. Obs. XLII, § XVII. - Vgl. Revision I, S. 153.

' Samuel Pufendorf, Elementorum iurisprudentiae universalis libri II (1660), Liber I, Def. I, § 1—8. De iure naturae et gentium, libri VIII (1672), Liber I, Cap. IX de actionum moralium imputatione. De officio hominis et civis iuxta legem naturalem libri II (1673), Liber i, Cap. I de actione humana. Vgl. dazu v. Bar, Geschichte des deutschen Straf rechts und der Strafrechtstheorien. Berlin 1882. S. 171. R. Loening, Die Zu- rechnungslehre des Ari.stoteles. 1903. Vorwort S. X f.

* R. Frank, Die Wolffsche Strafrechtsphilosophie und ihr Verhältnis zur kriminalpolitischen Aufklärung des XVIII. Jahrhunderts. Göttingen 1887. S. 18 u. 23.

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Allerdings haben solche Gedanken bei WoHf nur theoretische Bedeutung. Die Staatsräson und das Interesse an der Erhaltung der allgemeinen Ruhe und Sicherheit lassen ihm jedes Mittel berechtigt sein, das zu gemeinem Nutzen für tauglich und erforderlich erachtet wird.' Damit treten die subjektiven Momente der Zurechnung zugunsten einer objektiven, der Erfolgshaftung nahekommenden strafrechtlichen Bewertung menschlichen Tuns zurück, für welche die Größe des Schadens für Staat und Gesellschaft das Entscheidende ist."

Eine Abkehr von dieser Methode, bei der strafrechtlichen Zu- rechnung von einer moralischen Beurteilung freien Handelns auszugehen, bahnten die Anhänger der strafrechtlichen Reformbewegung an. Indem sie sich allein in den Fällen zu strafen berechtigt glaubten, in denen man mit der Strafe etwas erreichen kann, in denen es Zweck hat, zu strafen, tritt an Stelle der Zurechnung zur Schuld die Beurteilung der Zweckmäßigkeit der Bestrafung als Voraussetzung und Rechtfertigung strafrechtlicher Ähndung. In dieser Eliminierung des Zurechnungsbegriffs lag zugleich eine Emanzipation des Strafrechts von dem Einfluß ethischer Werturteile. Diesem Ziele strebte Feuerbachs bisheriges Schaffen zu. Nun stellte er noch einmal die grundsätzliche Frage: „Ist die Imputation ein Grund der äußeren Strafbarkeit oder sind es andere Gründe, welche die äußere Strafbarkeit begründen?"^

Der Begriff der Zurechnung ist mit dem „rein theoretischen Urteil", daß ein Erfolg die Wirkung einer bestimmten Ursache oder der freien Handlung eines Subjekts sei, nicht erschöpft. Erst wenn durch ein „pragmatisches Urteil", durch die Beziehung des fest- gestellten kausalen Zusammenhangs auf ein Pflichtgesetz eine Bewertung zum Ausdruck kommt, wenn also festgestellt ist, ob das Subjekt, das einen bestimmten Erfolg verursacht hat, diesen Erfolg auch verursachen

' Frank, a. a, O. S. 82. Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft 3. ÄbtL, I. Halbbd., S. 204.

^ Das Wesen des Verbrechens besteht nach Wolff darin, daß damnum datur vel injuria infertur universitati vel civitati und die Schwere des begangenen Delikts hängt ab ex nucomento, quod affertur, et periculo, quod inde imminet. Chr. Wolff, Jus naturale methodo scientifica per- tractatum. Pars octava, Halle u. Magdeburg 1748. §§ 580 u. 625. Über die Bedeutung ähnlicher Äußerungen bei den Vorkämpfern der eigentlichen strafrechtlichen Reformbewegung vgl. oben Kap. II, S. 69.

* Revision I, S. 166. Leider wirkt Feuerbach oft selbst dadurch unklar, daß die Bedeutung des Wortes Zurechnung oder imputatio in der „Revision" schwankt. Grundsätzlich (so an dieser Stelle) versteht er darunter Zurechnung zur moralischen Schuld (Revision I, S. 159 und 170), zuweilen, dann meist mit dem Zusatz „im uneigentlichen Sinn", Zurechnung zum strafbaren Verbrechen (Revision I, S. XX und 176).

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sollte, kann von einer Zurechnung zur Schuld oder zum Verdienst gesprochen werden. Das ist von Feuerbach richtig erkannt und im Grunde nicht anders ausgedrückt, als wenn Adolf Merkel die Zu- rechnung als die Verbindung eines kausalen Urteils, das den Erfolg auf den Willen des Täters zurückführt, mit einem distributiven Urteil, das den Wert der Handlung dem Täter auf die Rechnung setzt, erklärt/ Bei der Untersuchung der entscheidenden Frage, ob die Zurechnung zur Schuld die Grundlage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit bilden solle, geht Feuerbach von der Voraussetzung aus, daß Zurechnung zur persönlichen Schuld mit der Annahme der Willensfreiheit untrennbar verbunden ist. „Soll aber das Subjekt selbst für schuldig oder für das Gegenteil gehalten werden, so muß die Tat aus wirk- licher Freiheit geschehen sein, weil Freiheit die Bedingung der Moralität ist und ohne diese zwar Legalität und Illegalität (äußere Gesetzmäßigkeit oder Gesetzwidrigkeit), aber keine Moralität oder Im- moralität der Handlung vorhanden sein kann."" Das scheint zunächst einleuchtend und entspricht üblicher vorwissenschaftlicher Redeweise, man sei nur für das verantwortlich, was man ebensowohl hätte tun als lassen können. Erst Adolf Merkel hat solche Gedankengänge aus strafrechtlichen Überlegungen verbannt und die „kriminalistische Schuldlehre aus der Umarmung des Indeterminismus befreit".^ Daß es auch ohne Annahme einer Wahlfreiheit einen Zweck haben könne, Menschen zu bestrafen, hatten bereits die Deterministen der Ruf- klärungszeit nachzuweisen versucht.* Feuerbach selbst erschien eine Bestrafung, die nicht auf den Menschen determinierend zu wirken bestimmt ist, zwecklos und ungerecht. „Die Strafe, wenn sie sich auf den Menschen, insofern er freie Ursache ist, bezöge, würde daher durchaus ungereimt sein und ihren Zweck auch nicht in einem Punkt berühren . . .," denn „insofern das Subjekt freie Ursache ist, insofern ist es allen Einwirkungen entzogen".^ Äußer der „Ungerechtigkeit

' Merkel-Liepmann, Lehre von Verbrechen und Strafe S. 80 H.

■^ Revision I, S. 155.

^ Merkel-Liepmann, Lehre von Verbrechen und Strafe S. 89 ff. Weiterhin: Liepmann, Einleitung in das Strafrecht S. 163 ff. Graf Dohna, Willensfreiheit U.Verantwortlichkeit. Heidelberg 1907. Ahnliche Gedanken- gänge bei: G. Heymans, Einführung in die Ethik auf der Grundlage der Erfahrung. Leipzig 1914. S. 98 If. Vgl. auch Fr. Jodl, Allgemeine Ethik. Herausgegeben von W. Börner, Stuttgart und Berlin 1918. S. 291: „In der Tat würden wir bei einer Regellosigkeit in der moralischen Welt so wenig bestehen, wie wir auf einem Planeten zu leben vermöchten, auf dem gelegent- lich die Schwerkraft zu wirken aufhörte."

^ Vgl. die charakteristischen Äußerungen Hommels (oben Kapitel II, S. 65) und Feders (unten Kapitel IV).

' Revision II, S. 131.

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einer eigenwilligen Tyrannei" läßt sich für solche unnütze und zweck- lose Strafe kein Grund denken/ Nur das bestritt Feuerbach, daß in einem solchen deterministischen Strafrecht eine Beurteilung nach ethischen Wertmaßstäben, eine Zurechnung zur persönlichen Schuld denkbar wäre. So hieß es auch bei v. Liszt ursprünglich: „Für die deterministische Huffassung entfällt aber freilich dem Zurechnungsfähigen wie dem Nichtzurechnungsfähigen gegenüber der von der klassischen Schule überlieferte, von der Willensfreiheit untrennbare Schuld- begriff und mit ihm der Begriff der Vergeltung."^ Erst Merkel hat gezeigt, daß die Voraussetzungen, unter denen wir uns und andere für Tun und Lassen verantwortlich machen, nichts mit der Annahme einer Gesetzlosigkeit menschlichen Handelns zu tun haben, daß wir in den Äußerungen der Menschen lediglich die damit kundgewordenen Eigenschaften ohne Rücksicht auf das, was möglicherweise von ihnen sonst hätte ausgehen können, beurteilen und daß die Gewißheit der Verknüpfung typischer Handlungsweisen mit bestimmten Persönlichkeiten Achtung oder Abscheu vor ihnen nur steigert. „Das Wort Luthers: Hier stehe ich, ich kann nicht anders, hat ihm in der Achtung der Welt keinen Abbruch getan, und niemand hat das Wort im Sinne einer Ablehnung der Verantwortung gedeutet!"*''

Im Gegensatz hierzu identifiziert Feuerbach die Loslösung des Strafrechts von der Voraussetzung persönlichen Verschuldens mit einer Eliminierung der indeterministischen Betrachtungsweise aus der strafrechtlichen Zurechnung. Gleichwohl wollte Feuerbach nicht als „Determinist" gelten.* Er bekannte sich zu Kants Lehre von der sittlichen Freiheit und war der Meinung, daß eben diese dazu nötige, außerhalb des Reiches der Sittlichkeit in der strafrechtlichen Zurechnung den Freiheitsbegriff auszuschließen, „also in dem Gebiet der Rechtslehre . . . Determinist zu sein".^

Die Ethik Kants gipfelt in der Autonomie des Willens. „Die Autonomie des Willens ist das alleinige Prinzip aller moralischen Gesetze und der ihnen gemäßen Pflichten"." Der autonome Wille ist

1 Revision II, S. 308.

^ V. Liszt, Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge Bd. II, S. 86. Später gab auch v. Liszt zu, daß „von indeterministischer wie von deterministischer Seite die Verantwortlichkeit anerkannt wird", a. a, O. S. 370. Ebenso Lehr- buch des deutschen Strafrechts 23. Aufl. 1921. S. 23 f., Note 1 und S. 161.

" Merkel-Liepmann, a. a. O. S. 93.

^ Revision II, S. 130 und 463, sowie ausdrücklich I, S. 319 f., Note.

'" Revision II, S. 133 f., Note.

•* Kritik der praktischen Vernunft. Akademie- Ausgabe Bd. V, S. 33, Cassirer Bd. V, S. 38. Vgl. zu dem folgenden: C. Gerhard, Kants Lehre von der Freiheit. Philos. Monatshefte Bd. XXII. 1886. S. 1 ff.

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in doppeltem Sinne ein freier Wille, in negativem Sinne, insofern er unabhängig von den durch den begehrten Gegenstand hervorgerufenen Reizen ist, und in positivem Sinne, insofern er allein durch das Sittengesetz selbst bestimmt wird: Freiheit im Sinne von Unabhängigkeit von sinnlichen Triebfedern und Freiheit im Sinne der Selbstgesetzgebung der reinen praktischen Vernunft.^ Wieweit nun der Mensch für sein Tun verantwortlich ist, zeigt Kant an der Lehre vom intelligiblen und empirischen Charakter. Die Kausalität des Menschen läßt sich nach zwei Seiten betrachten, „als intelligibel nach ihrer Handlung, als eines Dinges an sich selbst, und als sensibel nach den Wirkungen derselben als einer Erscheinung in der Sinnenwelt"." Die Tat eines Menschen als Erscheinung läßt sich nur erklären als notwendige Folge seines empirischen Charakters.^ Hierbei geht man auf dessen Quellen zurück: schlechte Erziehung, üble Gesellschaft, bösartiges Naturell, Leichtsinn usf.^ Aus diesem empirischen Charakter mußte diese konkrete Tat entspringen. Aber warum hatte der Mensch diesen empirischen Charakter? Hinter dem empirischen Charakter als Er- scheinung steht der intelligible Charakter als Ding an sich. Die empirische Kausalität ist eine Wirkung der intelligiblen Kausalität: der intelligible Charakter ist die transzendentale Ursache des empirischen, der empirische Charakter das sinnliche Zeichen des intelligiblen.^ „Ein anderer intelligibler Charakter würde einen anderen empirischen gegeben haben. "*^ So ist die Beschaffenheit des intelligiblen Charakters der letzte Grund, auf den die Handlung zurückgeführt werden kann. Mit dieser Feststellung begnügt sich die Kritik der reinen Vernunft.^ Wieweit man aber für den intelligiblen Charakter verantwortlich ist, das sucht die Kritik der praktischen Vernunft aufzuzeigen. Hiernach ist der intelligible Charakter, der als Ding an sich durch keine Ursache bedingt ist, durch einen Akt der Freiheit des intelligiblen Subjekts erworben. Diese „intelligible Tat"'^ besteht in der freiwilligen Annahme guter oder böser Grundsätze, die für das Wesen des Menschen entscheidend ist und ihn für die Handlungsweisen, welche notwendige Folgen dieses Wesens sind, voll verantwortlich

' Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Äkademie-Äusgabe Bd. IV, S. 446, Cassirer Bd. IV, S. 305.

- Kritik der reinen Vernunft. Akademie- Ausgabe Bd. III, S. 366, Cassirer Bd. III, S. 377.

' Ebendort, Akademie-Ausgabe S. 372, Cassirer S. 384.

* Akademie-Ausgabe S. 375, Cassirer S. 387.

° Akademie-Ausgabe S. 370, Cassirer S. 382.

® Akademie-Ausgabe S. 376, Cassirer S. 388.

' Akademie-Ausgabe S. 376 f., Cassirer S. 388 f.

" Gerhard, a. a. O. S. 29.

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macht/ Dies ist die Grundlage der Zurechnungslehre bei Kant. Für alle menschlichen Handlungen, mögen sie gut oder böse sein, ethisch oder juristisch bewertet werden, gilt es in gleicher Weise, wenn er sagt: „Man kann also einräumen, daß, wenn es für uns möglich wäre, in eines Menschen Denkungsart, so wie sie sich durch innere sowohl als äußere Handlungen zeigt, so tiefe Einsicht zu haben, daß jede, auch die mindeste Triebfeder dazu uns bekannt würde, imgleichen alle auf diese wirkende äußere Veranlassung, man eines Menschen Verhalten auf die Zukunft mit Gewißheit so wie eine Mond- oder Sonnenfinsternis ausrechnen könnte und dennoch dabei behaupten, daß der Mensch frei sei.""

Feuerbach geht bei seiner Argumentation, die versuchen will, die Unhaltbarkeit indeterministischer Beurteilung im Strafrecht zu beweisen und damit zugleich die Eliminierung ethischer Werturteile in der straf- rechtlichen Zurechnung zu rechtfertigen, von Kant aus. Hat er sich doch Kants Philosophie zu der seinigen gemacht, „nicht weil sie die Kantische, sondern weil sie die einzig wahre ist".^ Wenn der Straf- richter menschliches Handeln beurteilt, erscheint der Mensch als Gegenstand der Erfahrung und insofern „müssen wir ihn als Natur- wesen betrachten, das dem unabänderlichen Naturgesetz von Ursache und Wirkung unterworfen ist".^ Verbürgt uns aber nicht unser Selbstbewußtsein, die Vorstellung, daß wir uns nach vorheriger Wahl selbsttätig zu einem Entschluß bestimmen, daß wir tatsächlich in der Wahl und Entschließung frei sind? Diese Frage wird das Thema von Schopenhauers berühmter Preisschrift vorausnehmend verneint. Denn, sagt Hommel, auf dessen Determinismus Feuerbach sich in diesem Zusammenhang stützt, wenn eine Kugel auf einem Brett frei liegt und ich das Brett in die Höhe richte, gerade in dem Äugen- blick, in dem die Kugel sich bewegen möchte, so bin ich die Ursache der Bewegung, nicht die Kugel. „Weil sie aber meine Hand nicht sieht, muß sie glauben, daß ihr Wille das Laufen verursache."^ Alle menschlichen Handlungen können als zeitliche Erscheinungen nur als Glieder in der unendlichen Kette von Ursachen und Wirkungen erkannt werden, eine freie, d. h. ursachlose Handlung wäre unvorstellbar. Aber ebenso wie die Kausalität für unser Erkenntnisvermögen unentbehrlich

^ Kritik der praktischen Vernunft. Äkademie-Äusgabc Bd. V, S. 100, Cassirer Bd. V, S. 109.

^ Äkademic-Äusgabe S. 99, Cassirer S. 108.

^ Revision I, S. 319 f., Note.

' Revision I, S. 320.

'" Alexander v. Joch (Hommel), Über Belohnung und Strafe nach türkischen Gesetzen 2. Aufl. 1772. S. 64.

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ist, führt uns die praktische Vernunft zu der Annahme des katego- rischen Imperativs. Dieser stellt sich als das sittliche Gesetz dar, das den Anspruch erhebt, unbedingt, d. h. bloß um seiner selbst willen befolgt zu werden. Er setzt somit einen Willen voraus, der sich unab- hängig von sinnlichen Antrieben nur durch das Gesetz selbst bestimmen läßt: d. h. sittliche Freiheit. Aber kann nicht diese gesetzmäßige Gesinnung selbst wieder von äußeren Ursachen abhängen, wird es nicht ein „bloßes Werk der Natur und des Geschickes sein, daß wir moralisch oder unmoralisch sind"? Dann wäre „der Begriff des SoUens ein leerer Begriff, das Sittengesetz ein Hirngespinst und der Begriff der Pflicht ein eitler Name!" Darum setzt das Sittengesetz zugleich ein Vermögen voraus, „einen Zustand schlechthin von selbst anzufangen, die unbedingte Ursache einer Erscheinung zu sein": transzendentale Freiheit.^

Was folgt aus diesem philosophischen Exkurs für das Problem der Zurechnung? Nach Feuerbach dies, daß die Idee der Freiheit zwar Voraussetzung sittlichen Handelns und darum Grundlage mora- lischer Beurteilung ist, daß sie aber außerhalb des Gebietes des Sittlichen und namentlich für eine juristische Betrachtungsweise gegenstandslos ist. Die Annahme von der transzendentalen Freiheit geschah nur im Hinblick auf das Sittengesetz, das verlangt, daß der Mensch sich freiwillig zur Pflichterfüllung bestimmen soll. Das Sitten- gesetz ist also der Grund der Freiheit. „Da nun", schließt Feuerbach, „das Begründete nicht weiter gehen kann als sein Grund, so kann auch der Freiheitsbegriff durchaus nicht über das Gebiet des Sitten- gesetzes hinaus ausgedehnt werden, wenn wir uns nicht der sonder- barsten iJ.£Ta^a7'c v.z To a/.AO -fi-toc zuschulden kommen lassen und mehr annehmen wollen, als der Grund, aus welchem wir es allein annehmen können, gestattet."" Die Rechtsgesetze verlangen nicht eine von äußeren Antrieben unabhängige Befolgung, sondern sie begnügen sich damit, daß ihre Gebote überhaupt, gleichgültig aus welchen Motiven heraus, erfüllt werden. Sie setzen nicht Freiheit sondern staatliche Macht, die gegebenenfalls ihre Erfüllung erzwingt, voraus. Wir dürfen daher bei Befolgung eines sittlichen Gebotes von Freiheit reden, während die Verletzung einer Rechtspflicht wenn man nicht darin zugleich ein moralisches Verhalten erblickt, nicht voraussetzt, daß der Täter in Freiheit gehandelt hat. Soweit Feuerbachs Stellung zu Kants Lehre von der sittlichen Freiheit. Die Lehre vom intelligiblen Charakter berührt die „Revision" nur kurz. Von der Wahl der Maxime hängt

' Revision II, S. 100. - Revision II, S. 107.

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die Gesetzmäßigkeit oder Gesetzwidrigkeit unserer Gesinnung ab. Aber das ist eine Frage moralischer Bewertung. Im Strafrecht ver- wirft Feuerbach das Bestreben, Prinzipien, „die sich bloß auf die Denkungsart und den intelligiblen Charakter des Menschen beziehen, in das peinliche Recht, das auch nicht ein Wort über die Denkungsart des Menschen zu sagen hat, hinüberzupflanzen".^ Sucht man eine kritische Stellung zu dieser Argumentation Feuerbachs zu gewinnen, so ergibt sich ein Doppeltes. Daß der landläufige Indeterminismus sich nicht auf Kant berufen dürfe, darin hatte Feuerbach zweifellos recht. Wenn Reinhold glaubte, sein „Äquilibrismus" sei „dem Geiste der Kantischen Philosophie vollkommen angemessen" und widerspreche lediglich den Buchstaben einiger Äußerungen der Kritik der praktischen Vernunft, „wenn man diese falsch auslegt",- so hat das Feuerbach mit Recht als ein Miß- verständnis der Kantischen Freiheitslehre bezeichnet.^ Denn es gibt nicht ebenso einen „unreinen" wie einen „reinen" freien Willen, wie Reinhold es wollte, sondern sittliche Freiheit kann nur in dem Vermögen bestehen, sich unabhängig von sittlichen Triebfedern zu dem von dem Pflichtgesetz geforderten Verhalten zu bestimmen. Ein „unreiner", d. h. rechts- widriger Entschluß liegt demnach außerhalb der Sphäre sittlicher Freiheit.^ Auf der anderen Seite folgt aber hieraus keineswegs eine Beschränkung von Verantwortlichkeit und Zurechnung der Schuld auf das Gebiet des Sittlichen. Hier ist Feuerbach einem Trugschluß zum Opfer gefallen.'' Der Satz, daß das Begründete nicht weiter ausgedehnt werden darf als der Grund, gilt nur für einen Realgrund, nicht für einen bloßen Erkenntnisgrund. Das Sitten- gesetz ist aber für Kant lediglich die ratio cognoscendi der Freiheit. Ja, umgekehrt ist vielmehr die Freiheit die ratio essendi des Sitten- gesetzes, denn wie Kant im III. Abschnitt der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten zeigt allein auf die Idee der Freiheit, die mit dem Begriff eines jeden vernünftigen Wesens notwendig verbunden ist, kann das moralische Prinzip von der Autonomie des Willens gegründet werden.*^ Das Verhältnis von Freiheit und Verantwortlichkeit versucht Kants Lehre vom empirischen und intelligiblen Charakter zu verdeutlichen. Ihr Sinn ist der: unsere Handlungen sind notwendig,

* Revision II, S. 365.

^ Rcinhold, Briefe über die Kantische Philosophie II. Bd., S. 285. ' Revision II, S. 305.

* Revision II, S. 290. Vgl. Gerhard, a. a. O. S. 18 f.

'" Döring, Feuerbachs Straftheorien und ihr Verhältnis zur Kantischen Philosophie. Kant-Studien, Erg.-Heft 3. Berlin 1907. S. 46.

" Äkademie-Äusgabe Bd. IV, S. 446 ff., Cassirer Bd. IV, S. 305 ff.

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wir selbst aber sind frei, wir haben für unser Tun einzutreten, nicht weil wir auch anders hätten handeln können, sondern weil wir so sind, daß wir so handeln mußten. Von hieraus hätte man unschwer zu jenem Merkeischen Standpunkt gelangen können, daß die Zurechnung zur Schuld nicht die Bejahung der Wahlfreiheit, sondern im Gegenteil ihre Verneinung voraussetzt/ Liegt doch jener Lehre Kants der Gedanke zugrunde, daß der Vorwurf des Gewissens nicht die einzelne Tat trifft und somit den Trost läßt, daß wir das nächste Mal anders handeln werden, sondern unser ganzes innere Selbst als die Ursache aller unserer Handlungen belastet: „Diese unlautere Handlung ist wie du selbst, aber du selbst bist nicht wie du sein solltest und könntest!"^ Das, was Feuerbach gegen diese Lehre Kants vorbringt, hat denn auch nichts mit einer Kritik der Willensfreiheit zu tun, sondern ist nur eine Wiederholung seiner alten Forderung, daß sittliche Werturteile nichts im Strafrecht zu tun hätten. Dieser Gedanke war ihm seit seinen ersten rechtsphilosophischen Versuchen zum Dogma geworden, das er unermüdlich verteidigte: „Das Gebiet der Moral und des Rechts sind beide voneinander getrennt, beide haben ihre eigentümlichen Prinzipien und darum kann ein moralischer Grund weder eine recht- liche Möglichkeit noch eine rechtliche Notwendigkeit begründen, wie es hier angenommen wird, wo aus der Immoralität der Tat die rechtliche Möglichkeit und Notwendigkeit einer bürgerlichen Strafe begründet werden soU."^ Deutlicher als bei den rechtsphilosophischen Speku- lationen tritt hier das von Feuerbach mit instinktiver Sicherheit herausgefühlte kriminalistische Bedürfnis nach einer in der „Revision" freilich in unerträglicher Weise übertriebenen Elimi- nierung moralischer Gesichtspunkte aus der strafrechtlichen Zurechnung hervor. Es ist derselbe Gedanke, der ihn mit aller Leidenschaft den Subjektivismus Grolmans bekämpfen ließ: die Sorge vor der schiefen Bahn der Gesinnungsstrafe. Gibt man erst einmal zu, daß persönliche Schuld das Recht des Staates zu strafen begründe, „so läßt sich nicht begreifen, warum man ihm nicht auch das Recht ein- räumen will, auch bloß die unmoralischen Gesinnungen, selbst wenn sie nicht in ungerechte Handlungen übergegangen sein sollten, und die Übertretung bloß unvollkommener Pflichten (d. h. Pflichten, die nicht vom Recht erzwingbar gemacht sind) zu bestrafen".^

' Merkel-Liepmann, Lehre von Verbrechen und Strafe S. 99.

* Kuno Fischer, Geschichte der Philosophie Bd. V, 2. Teil, 4. Aufl. 1899. S. 94. Vgl. auch desselben Heidelberger Rektoratsrede 1875, Über das Problem der menschlichen Freiheit S. 24.

* Revision II, S. 118 ff.

* Revision II, S. 120.

6*

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Indem Feuerbach aus der strafrechtlichen Zurechnung ethische Werturteile verbannte, trat er zugleich der herrschenden Doktrin ent- gegen, welche in den Fällen verminderter Zurechnungsfähigkeit eine Milderung der Strafe verlangte. Ihr liegt der Gedanke zugrunde, daß die Tat eines Menschen ihm in dem Maße zur Schuld zuzurechnen ist, indem sie sich als typisches Abbild seines inneren Wesens, als unmittelbare Verkörperung seiner Gesinnung darstellt. Alle die Momente dagegen, die nicht dem Charakter des Täters entspringen, sondern von außen her die Handlungsweise des Täters bestimmen, ohne sein eigenes Selbst zur Entfaltung kommen zu lassen, mögen menschliche Fehltritte entschuldigen. Das entspricht der Beurteilungsweise von Ethik und Pädagogik und hat auch in Kants Metaphysik der Sitten Eingang gefunden. Von geringer Verschuldung wird hier gesprochen, wenn lebhafte Affekte, sinnliche Triebfedern von ungewöhnlicher Stärke oder Mängel der Erziehung die Tat zu erklären vermögen, aber „je kleiner das Naturhindernis, je größer das Hindernis aus Gründen der Pflicht, desto mehr wird die Übertretung als Verschuldung zu- gerechnet".^ Der sittlich hochstehende, aus äußeren Hemmungen herausgehobene Ehrenmann trägt daher die stärkste Verantwortung: sein Fehltritt wiegt ungleich schwerer, als wenn der verkommene Minderwertige den täglich wachsenden Versuchungen zum Opfer fällt. Es hat den Kampf Feuerbachs gegen die Übertragung solcher Gedanken- gänge in das Strafrecht erleichtert, daß sie zumeist in indeterministischem Gewände auftraten. Heutiger vulgärer Vorstellungsweise entsprechend knüpfte man die volle Zurechenbarkeit der Tat an die Bedingung, daß sie dem freien Willen ihres Urhebers entsprungen sei, während man im Sinne einer Verminderung der Zurechnungsfähigkeit von geringer Strafwürdigkeit sprach, wenn der Täter zwar nicht völlig unfrei galt, aber zu seinem Entschluß unter mehr oder minder starkem Einfluß pathologischer Zustände oder sozialer Umstände kam, also nicht mit „voller Freiheit" gehandelt hat." Daß mit dieser Lehre aufs engste das Institut des richterlichen Milderungsrechts zusammenhing, machte

* Metaphysik der Sitten. Äkadcmie-Äusgabe Bd. IV, S. 228, Cassirer Bd. VII, S. 29.

Vgl. z. B. J. Chr. V. Quistorp, Grundsätze des deutschen peinlichen Rechts VI. Aufl., herausgegeben v. E. F. Klein, Bd. I. 1810. § 63, S. 107. G. R. Kleinschrod, System. Entwicklung der Grundbegriffe und Grund- wahrheiten des peinlichen Rechts 2. Aufl., I.Teil. Erlangen 1799. § 44 f., S. 102 ff. C. Ä. Tittmann, Handbuch der Strafrechtswissenschaft und der deutschen Strafgesetzkundc 2. Aufl., I. Bd. Halle 1822. § 82, S. 156 f. Eine Charakterisierung dieser ganzen Richtung gibt Ed. Henke, Grundriß einer Geschichte des deutschen peinlichen Rechts und der peinlichen Rechts- wissenschaft II. Teil. Sulzbach 1809. S. 336.

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sie für Feuerbach nur noch verdächtiger. So wußte er diese Lehre mit einem ganzen Arsenal von Gründen zu bekämpfen. „Ich frage zuerst, wie man sich denn einen erhöhten oder verminderten Grad der Freiheit bei Hervorbringung gesetzwidriger Handlungen denke?" ^ Freiheit bedeutet Unabhängigkeit von sinnlichen Triebfedern, ist demnach ein absoluter Begriff, bei dem Grade von verschiedener Stärke unvorstellbar sind. „Ich will es nicht in Anregung bringen, daß eine Freiheit, die dem Grade nach geschwächt, vermindert ist, ein gerader Widerspruch, ein viereckter Zirkel oder ein rundes Vier- eck ist."^ Man kann von einem Spielraum, einer Möglichkeit, sich für das Gesetz zu bestimmen, sprechen, aber die Kraft, welche die dem Verbrecher entgegenstehenden äußeren Hindernisse überwindet, die allgemein als Grund besonderer Strafwürdigkeit gewertet wird, nimmermehr als Freiheit bezeichnen. Die Triebfeder, der sinnliche Reiz bestimmte vielmehr den Verbrecher zu seinem Schritt und vermochte die Gegengründe zum Schweigen zu bringen, nicht weil der Verbrecher darin freie Wahl hatte, sondern weil sich die Freiheit verstanden als das Vermögen, unabhängig von sinnlichen Triebfedern zu handeln nicht äußerte. „Alle nicht -moralischen Handlungen haben ihren eigentlichen Grund schlechterdings nicht in der Freiheit, sondern in Naturursachen, in Leidenschaften, Neigungen und Begierden, haben ihren Grund nicht in einer Äußerung, sondern in einer Nicht- äußerung der Freiheit."^

So wiederholt sich in immer neuen Wendungen der Grundgedanke Feuerbachs: die strafrechtliche Zurechnung hat nichts zu tun mit einer Beurteilung menschlichen Handelns nach sittlichen Maßstäben. Die persönliche Schuld ist nicht Voraussetzung und Maß der staatlichen Strafe. So bleibt nur der andere Weg, aus dem Wesen und Zweck der Strafe selbst die Grundlagen zur Beurteilung der Strafwürdigkeit zu ermitteln. „Denn wenn keine ausdrücklichen positive Gesetze uns über die Prinzipien der subjektiven Gründe der Strafbarkeit unter- richten, was anders könnte uns nötigen, eine solche Lehre in dem peinlichen Rechte aufzustellen, was anders könnte uns auf die ersten Grundsätze derselben leiten, als jene Natur und jener Zweck der Strafe?"'

Das Zurechnungsproblem, die Frage nach den Voraussetzungen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit hat für die Rechtswissenschaft eine doppelte Bedeutung. Der Gesetzgeber fragt nach den Gründen

' Revision II, S. 285.

■^ Revision II, S. 289.

' Revision II, S. 290 f.

' Revision II, S. 328 f.

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der Strafbarkeit in abstracto, der Richter nach den Gründen der Strafbarkeit in concreto. Dieser prüft die Strafbarkeit eines einzelnen Verbrechens, jener die einer generellen Deliktsform, dieser beurteilt die Handlungsweise eines bestimmten Diebes, jener den Diebstahl überhaupt, dieser hat es mit einem Faktum, jener mit einem Begriff zu tun. Woher schöpfen nun Richter und Gesetzgeber die Prinzipien ihrer Beurteilung? „Von positiven Gesetzen sind wir hier fast ganz verlassen und es läßt sich kein einziges aufzeigen, welches auch nur mit einiger Bestimmtheit sich über die Art der Anwendung der Straf- gesetze im allgemeinen erklärte."^ Also müssen diese Prinzipien aus allgemeinen Erv^'ägungen heraus ermittelt werden. Ausnahmsweise ist es hier Aufgabe der Philosophie, dem Juristen inhaltlich bestimmte Normen zu erschließen. Aber die Rechtswissenschaft darf solche all- gemeinen Prinzipien nicht ohne weiteres utilitatis et iucunditatis gratia annehmen. Als Wissenschaft vom positiven Recht darf sie Grundsätze, welche nicht ausdrücklich in positiven Gesetzen enthalten sind, nur unter der Bedingung akzeptieren, „daß jene allgemeinen Prinzipien in dem Willen des Gesetzgebers enthalten, mithin stillschweigend von demselben sanktioniert sind".^ Im Willen des Gesetzes aber ist enthalten, was mit einer positiven Verordnung desselben notwendig verbunden ist, „so daß sich ein Widerspruch in der ausdrücklichen Verordnung selbst fände, wenn das Gegenteil angenommen würde ".^ Wenn also der Gesetzgeber ein Strafgesetz erläßt, so hat er damit alle Prinzipien sanktioniert, die mit dem Wesen des Strafgesetzes und der Strafe notwendig verbunden sind. Hieraus folgt: „Nur diejenigen Gründe der Strafbarkeit sind wahr, welche sich aus der Natur des Strafgesetzbuches und der Strafe ergeben."* Das Problem der strafrechtlichen Verantwortlichkeit verlangt somit eine Untersuchung über die Natur der Strafe und des Strafgesetzes. Diese führt Feuerbach zu seiner Straftheorie vom psychologischen Zwang, wie sie bereits dem Antihobbes zugrunde liegt.

Strafe ist ein vorwissenschaftlicher Begriff. Über ihr Wesen gibt der allgemeine Sprachgebrauch Auskunft. Nach ihm ist Strafe ein

^ Revision I, S. 176.

^ Ebendort I, S. 185.

^ Ebendort I, S. 185.

^ Ebendort I, S. 187. Während die Formulierung dieser Argumentation in mustergültiger Weise die Methodik der Interpretation des positiven Rechts zum Ausdruck bringt, ist Feuerbach unbewußt gerade hier natur- rechtlicher Denkweise verfallen, dem Glauben, daß seine eigenen Straf- rechtsprinzipien mit dem Begriff des Strafgesetzes als solchen notwendig verbunden und darum bei der Erlassung eines jeden Strafrechts von diesem vorausgesetzt seien. Vgl. oben Kap. I, S. 29.

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Übel, „welches um begangener gesetzwidriger Handlungen, und zwar bloß um dieser willen einem Subjekt zugefügt wird: malum passionis ob malum actionis, wie die älteren Rechtslehrer sagen".' Dem Wesen nach unterscheidet die gemeine Vorstellung von der Strafe, die lediglich wegen einer in der Vergangenheit erfolgten Handlung eintritt, Übel, welche ein künftiges Verhalten erzwingen wollen. In den sogenannten natürlichen Strafen des Lasters und in den Strafen, die wir der göttlichen Gerechtigkeit zuschreiben, sehen wir lediglich die Wirkung vergangener Taten, ebenso wie in der Belohnung nur die Folge eines in der Vergangenheit liegenden lobenswerten Verhaltens. Ist dagegen die begangene Tat nur ein Symptom für die zu erwartende künftige Handlungsweise eines Menschen und füge ich ihm Übel zu, um da- durch auf sein künftiges Verhalten einzuwirken, so sprechen wir von Züchtigung, Verteidigung oder Sicherung, aber nicht von Strafe. ÄU diese Dinge hielt Feuerbach immer wieder dem Grolmanschen Präventionsrecht entgegen. Mit jener Definition ist die Strafe ihrer Gattung nach bestimmt. Es fragt sich nun, welche besondere Art von Strafe ist die bürgerliche Strafe, mit der allein es das Straf- recht zu tun hat, diejenige, welche „von der bürgerlichen Gesellschaft (der höchsten Gewalt) den Bürgern zugefügt wird".^

Die Frage nach dem Wesen der bürgerlichen Strafe ist eine Rechtsfrage: Wie muß die Strafe beschaffen sein, welche der Staat von Rechts wegen seinen Bürgern auferlegt?

Der Staat beruht auf der Idee des Rechts. Diese besteht, indem hier Feuerbach die Kantische Begriffsbestimmung aufnimmt, darin, „daß die Freiheit eines jeden mit der Freiheit alier bestehe, daß jeder die freie Ausübung seines Rechts habe und keiner die Rechte des andern beeinträchtige".^ Aufs neue fordert Feuerbach auch hier um der Idee des Rechts willen eine scharfe Sonderung juristischer und ethischer Werte. Moralische Vergeltung kann nicht Aufgabe des Staates sein, denn sie beruht nicht auf dem Prinzip des Rechts als dem rechten Einklang der Freiheit des einzelnen mit der Freiheit aller, sondern sie ist eine Forderung der sittlichen Weltordnung als einer Harmonie zwischen Glückswürdigkeit und Glückseligkeit: ein sittlicher Fehler soll zur Schmälerung des Glückes, Schuld soll zur Strafe führen. Solche Harmonie zwischen Verschuldung und Schicksal anzubahnen, ist nach Feuerbach nicht Aufgabe des Rechts. Da Zu- rechnung zur Schuld die Voraussetzung einer moralischen Vergeltung

' Revision I, S. 5. - Revision 1, S. 23.

' Revision I, S. 26. Kant, Metaphysik der Sitten. Äkademie-Äusgabe Bd. VI, S. 230, Cassirer Bd. VII, S. 31.

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ist, so scheidet mit dieser auch jene aus dem Bereich des Strafrechts aus. Es ergibt sich, „daß, wo wir eine Beurteilung nach dieser moralischen Idee voraussetzen, die Handlung, welche nach derselben beurteilt wird, nur als eine Verletzung der inneren moralischen Gesetze, nicht aber der äußeren Rechtsgesetze betrachtet werden kann und mithin die Tat nicht als eine Rechtsverletzung, sondern als immoralische Handlung bestraft wird"/

Hiermit war nun insofern nichts Neues gesagt, als die Forderung, der Staat solle sein Strafrecht in den Dienst sittlicher Vergeltung stellen, in dieser Allgemeinheit damals von niemand vertreten wurde. Ruch die anderen Kriminalisten gingen davon aus, daß das Strafrecht staat- lichen und sozialen Aufgaben zu dienen hat. Um dieser kriminal- politischen Zwecke willen aber verlangten sie in mehr oder minder hervortretender Weise, daß die strafrechtliche Verantwortlichkeit von dem Verschuldungsprinzip abhängig sein sollte. So sehr namentlich bei den Anhängern der Präventionstheorie, bei Stübel und Grolman, aber auch bei Filangieri und Servin, der Zweckgedanke im Vorder- grund steht, so kommen eben diese Kriminalisten, weil sie von einer Beurteilung der antisozialen Gesinnung des Täters ausgehen, der Zurechnung zur Schuld sehr nahe. Feuerbach dagegen verwirft auch eine solche mittelbare Verwertung des Schuldgedankens im Strafrecht. Einmal wäre es „lächerlichste Anmaßung", zu glauben, es sei menschlichen Richtern gegeben, Schuld und Vergeltung in rechtem Maß abzuwägen: „Nur von einem allwissenden Herzens- kündiger, von dem unbeschränkten Vernunftwesen . . . dürfen wir die Einführung dieser sittlichen Ordnung erwarten."" Wie es Feuerbach Grolman entgegenhielt, entspricht zudem die Höhe der Schuld keines- wegs immer dem staatlichen Strafbedürfnis. Je mehr der Verbrecher durch Triebe und Leidenschaften, durch schlechte Erziehung und Ge- wohnheit zum Verbrechen determiniert ist, um so geringer erscheint seine persönliche Schuld , aber um so gefährlicher er selbst. Hier steht das Bedürfnis des Staates, mit energischen Strafen einzu- greifen, in umgekehrtem Verhältnis zur Schuld des Täters. „Es steigt also da die Gefahr für das Recht, wo die eigentliche moralische Häßlichkeit der Tat, die Schuld verringert wird. Daher muß die moralische Strafe die Beleidigungen begünstigen und der sittlichen Ordnung die rechtliche aufopfern, weil sie jenen Triebfedern nicht gehörig widerstehen, ihnen kein überwiegendes Gegengewicht entgegen- setzen kann.""^ Hier liegen in der Tat tiefe Gegensätze zwischen dem

' Revision I, S. 27. ^ Revision I, S. 34. ^ Revision I, S. 32.

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Schuldprinzip und dem Sicherungsgedanken, wie sie am Problem des Gewohnheitsverbrechers und Rückfälligen am stärksten zutage treten. Während „oberflächliches Sichabfinden" gemeinhin den Rückfall als schulderhöhenden Umstand charakterisiert, hat Merkel gezeigt, daß nur der Gedanke der Sicherung vor dem Täter unter der Annäherung an den Standpunkt, den wir dem Irrsinnigen gegenüber einnehmen staatliche Eingriffe von gesteigerter Intensität in diesen Fällen recht- fertigen kann, wo eine Vergeltung für die Tat die Waffen senken muß : „Je tiefer ein Gewohnheitsverbrecher sinkt oder auch von Anfang an steht, um so weniger wird die Frage nach dem Maße der in einer einzelnen Handlung sich begründenden sittlichen Verschuldung uns einen Weg zeigen können . . ."^

Will der Staat dem Recht in jenem formalen Sinn Kants und Feuerbachs als Garantie der wechselseitigen Freiheit aller verstanden dienen, so muß er dafür sorgen, daß „keine Beleidigungen im Staate geschehen". Und da trotz Erziehung und Aufklärung nicht allen eine bürgerliche Gesinnung angewöhnt werden kann, so ist es im besonderen Aufgabe des Staates, „daß, wer unbürgerliche (rechtswidrige) Neigungen hat, psychologisch verhindert werde, sich nach diesen Neigungen wirklich zu bestimmen".*

Diese anspruchsvolle Aufgabe, auf psychologischem Wege Ver- brechen überhaupt zu verhindern, dünkt Feuerbach nicht allzu schwer. Er erklärt sich das Zustandekommen des verbrecherischen Entschlusses deterministisch als die Wirkung der „sinnlichen Trieb- feder" : auf das Begehrungsvermögen wirkt die Vorstellung eines Erfolges, die mit einem Lustgefühl verbunden ist, ein bis zum Eintritt des Erfolges schmerzvoll empfundenes Bedürfnis. Der Staat muß nun versuchen, „durch die Sinnlichkeit selbst auf die Sinnlichkeit zu wirken und die Neigung durch entgegengesetzte Neigung, die sinnliche Trieb- feder zur Tat durch eine andere sinnliche Triebfeder aufzuheben".^ Da der Mensch dem stärkeren Trieb, der Vorstellung, die mit einem lebhafteren Lustgefühl verbunden ist, folgt, so muß mit der Vorstellung von dem erstrebten verbotenen Erfolg eine stärkere, unlustbetonte Vorstellung assoziiert werden. „Die Übertretungen werden daher verhindert, wenn jeder Bürger gewiß weiß, daß auf die Übertretungen ein größeres Übel folgen werde, als dasjenige ist, welches aus der Nichtbefriedigung des Bedürfnisses nach der Handlung (als einem Objekt der Lust) entspringt."*

* Merkel-Liepmann, Lehre von Verbrechen und Strafe S. 99.

* Revision I, S. 39 und 43.

* Revision I, S. 44.

* Revision I, S. 46.

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Diese Vorstellung darf in den Bürgern nicht, wie es das alte Äb- schreckungsstrafrecht versuchte, das seine Anziehungskraft in diesem Punkte noch auf manche Kriminalisten der Äufklärungszeit nicht ein- gebüßt hatte (Hommel, Gmelin), dadurch hervorgerufen werden, daß der einzelne Delinquent „exemplarisch" umb mer forcht willen! besh-aft wird. Solches Verfahren, das den einzelnen zum Mittel fremder Zwecke mißbraucht, hatte der jünger Kants immer wieder als mit dem Recht der Persönlichkeit, die auch im Verbrecher zu respektieren ist, unvereinbar verworfen. Darf die Vollziehung der Strafe nicht der Abschreckung der anderen dienen, so bleibt als einziges Mittel, die verbrecherischen Neigungen der Bürger psychologisch zu beeinflussen, „daß die Verknüpfung des Übels mit dem Verbrechen durch das Gesetz angedroht sein müsse". Das Gesetz droht die Strafen allen Bürgern als rechtlich notwendige Folge von Verbrechen an. Es sagt: „Wer diese Handlung tut, soll Strafe leiden. Niemand, der sie tut, darf der Strafe entgehen."^

Aber das Gesetz ist nur dann eine ernsthafte Drohung, die determinierend auf die Bürger wirkt, wenn die Bedingung, die es an die Begehung des Verbrechens knüpft, tatsächlich in allen Fällen, in denen ein Verbrechen begangen wird, eintritt. Es muß immer, aber auch nur dann, wenn ein Verbrechen begangen ist, die angedrohte Strafe verhängt werden. Hierin erschöpft sich für diese Lehre die kriminalistische Bedeutung des Strafvollzugs. Er dient lediglich dazu, die Ernstlichkeit der gesetzlichen Strafdrohung zu erhärten, dem Gesetz Genüge zu leisten, das verlangt, daß jeden die bestimmte Strafe trifft, der es übertritt. Die Rechtfertigung eines Strafvollzugs, dem eine solch sekundäre Rolle im Strafrecht zugedacht ist, bleibt nach wie vor der schwächste Punkt der Feuerbachschen Theorie so wie in der späteren gesetzgeberischen Ausgestaltung der Feuerbachschen Lehren sich seine Theorie am unfruchtbarsten auf dem Gebiet des Strafvollzugs erwies. Auch die „Revision" bleibt bei der naturrechtlichen Ein- willigungstheorie," nach welcher der Verbrecher in die Strafe als Bedingung für die Begehung des Unrechts einzuwilligen genötigt ist. Aber das hatte diese Lehre voraus: sie entsprach der Forderung Feuerbachs nach strenger Bindung des Richters an das Gesetz und fester Begrenzung der staatlichen Strafgewalt. Hat der Verbrecher die vom Gesetz mit Strafe bedrohte Handlung begangen, so kann und muß der Richter allein die vom Gesetz für die Handlung angedrohte Strafe verhängen.

' Revision I, S. 49.

'' Vgl. oben Kap. I, S. 22 und S. 28.

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Von dieser letzten Überlegung aus gewinnt die Feuerbachsche Straftheorie ihre besondere Bedeutung. Will sie bewußt alle ethischen Werturteile und Forderungen ausschalten, so ist gleichwohl die formale Struktur dieses Strafrechts, die ausnahmslose Verknüpfung bestimmter Tatbestände mit feststehenden Strafgrößen Vergeltung. „So wie in der moralischen Welt Verminderung der Glückseligkeit mit der Immoralität nach der Idee von Glückswürdigkeit notwendig verbunden ist, so ist es unter der Voraussetzung eines solchen drohenden Gesetzes nach einer rechtlichen Ordnung notwendig, daß auf das Verbrechen das Übel folge . . . Das Gesetz sagt kategorisch: Das Verbrechen soll mit dem Übel verknüpft sein; es ist daher notwendig und nach einer rechtlichen Ordnung an dasselbe geknüpft."^ Ferner: „Um zu wissen, daß ein Mensch jenes Übel verdiene, brauche ich nur zu wissen, daß er ein solches Gesetz übertreten hat, keineswegs aber, ob und daß er noch künftig Rechte verletzen werde. "^ Indem so Zweckerwägungen und Nützlichkeitsgedanken von jedem bestimmenden Einfluß auf die Verhängung der Strafe ausgeschaltet werden, liegt in dieser Lehre etwas von dem Rigorismus absoluter Strafrechtstheorien. Die starke Gebundenheit dieses Strafrechts, das allein der an die Gesamtheit gerichteten, abstrakt gefaßten gesetzlichen Drohung zu dienen bestimmt ist, wurde von Feuerbach mit einer Unerbittlichkeit verfochten, in der etwas von dem Pathos des kategorischen Strafimperativs Kants wiederklingt. ^

Für Kant ist das Strafgesetz ein kategorischer Imperativ, d. h. es muß allein um seiner selbst willen befolgt werden: „Richterliche Strafe. . . kann niemals bloß als Mittel, ein anderes Gute zu befördern für den Verbrecher selbst oder für die bürgerliche Gesellschaft, sondern muß jederzeit nur darum wider ihn verhängt werden, weil er verbrochen hat."* Für das Ausmaß der Strafgröße, die solcherweise als unentrinn- bare Folge an die Übertretung des Gesetzes geknüpft ist, gilt das Prinzip der Gleichheit zwischen Schuld und Strafe „im Stande des Züngleins

' Revision I, S. 55.

^ Ebcndort.

^ Zu Kants Strafrechtstheorie: H. Seeger, Die Strafrechtsphilosophic Kants und seiner Nachfolger im Verhältnis zu den allgemeinen Grundsätzen der kritischen Philosophie. Ehrengabe für Berner, Tübingen 1892. Döring, Feuerbachs Straftheorien und ihr Verhältnis zur Kantischen Philosophie. Kant-Studien, Erg.-Heft III. Berlin 1907. M. Salomon, Kants Strafrecht in Beziehung zu seinem Staatsrecht. Z. Str. W. 33, S. 1 H. Vgl. auch desselben Idee der Strafe. In: Philos. Äbhandl. für Herm. Cohen. Berlin 1912. S. 223 ff.

'' Metaphysik der Sitten. Äkademic-Äusgabe Bd. VI, S. 331, Cassirer Bd. VII, S. 139.

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an der Wage der Gerechtigkeit", ius talionis. Darum Todesstrafe für den Mord! „Hat er aber gemordet, so muß er sterben. Es gibt kein Surrogat zur Befriedigung der Gerechtigkeit. Es gibt keine Gleich- artigkeit zwischen einem noch so kummervollen Leben und dem Tode, also auch keine Gleichheit des Verbrechens und der Wiedervergeltung, als durch den am Täter gerichtlich vollzogenen . . . Tod."^ In dem unerhörten Rigorismus, in dem hier gestraft wird, bloß weil das Gesetz der Gerechtigkeit es will, und somit jede Rücksicht auf Zweckgedanken, auf die „Schlangenwindungen der Glückseligkeitslehre" aus dem Straf- recht verbannt wird, sieht Kant die höchste Anerkennung der Würde der menschlichen Persönlichkeit, die selbst den Verbrecher als Mittel für die Zwecke irdischer Nützlichkeit zu gebrauchen verbietet.

Hiermit war freilich nur bewiesen, daß Strafe, wenn sie verhängt wird, Vergeltung sein müsse. Warum der Staat berechtigt und ver- pflichtet sei, überhaupt zu strafen, ist mit keinem Worte dargetan. Eben diesen Nachweis vermißten die zeitgenössischen Kriminalisten bei Kant, und schon Grolman meinte, als der erste Teil der Meta- physik der Sitten 1797 unter dem Titel „Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre" erschien, Kant habe es offenbar vergessen, „sein Prinzip der Wiedervergeltung zu deduzieren, sodaß also jeder, der nicht schon vorher Kants Meinung war, keinen anderen Grund finden kann, seine vorige Überzeugung aufzugeben, als Kants Autorität".' In dem kriminalpolitischen Wert des Vergeltungsstrafrechts kann seine Berechtigung im Sinne Kants nicht gefunden werden, weil ja gerade nach ihm in der völligen Unberührtheit von menschlichen Zweckmäßigkeitserwägungen der Rechtscharakter der Strafe sich bewähren soll. Müßte doch bei einer Auflösung der bürgerlichen

' Ebendort. Äkademie-Äusgabe S. 333, Cassircr S. 140 ff.

^ Grolman, Kants metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Bibl. f. d. peinl. Rechtswissenschaft I, 1, S. 123 ff., insbes. S. 130. Als charakteristisches Zeichen für die Ablehnung, welche Kants Straf- rechtslehre bei zeitgenössischen Juristen fand, siehe die kritischen Äußerungen in den Ergänzungsblättern zur AUg. Lit.-Ztg. I, 1, Nr. 33, Jena u. Leipzig 1801, Spalte 255 und Neue Leipziger Literaturzeitung I, 1, Leipzig 1805, Spalte 4. Der Verfasser dieser letzten Rezension bezeichnet Spalte 6 Feuerbach als den Urheber der oben Grolman zugeschobenen kritischen Anzeige in der Bibl. f. d. peinl. Rechtswissenschaft, wobei er übersieht, daß sich deren Verf. ausdrücklich als Anhänger des Präventions- rechts bekennt (S. 128 a. a. O.). Im Gegensatz zu diesen zeitgenössischen Meinungen über Kant steht die Beurteilung Bindings: „Gibt es doch kein besseres Zeugnis für den erhabensten Apostel der Gerechtigkeit, für Kants Charakter als seine großartige Straflheorie in ihrem eklatanten Widerspruch zu seiner Lehre von der Entstehung des Rechts aus der Willkür." Strafr. u. strafproz. Abhandlungen I. München und Leipzig 1915. S. 64.

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Gesellschaft „der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hin- gerichtet werden, damit ... die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte. "^ Wenn Kant gleichwohl in anderen Zusammenhängen von der Wirksam- keit der Strafe spricht,^ so sah er doch Wesen und Aufgaben der Rechtsstrafe, deren Rigorismus er mit unvergleichlichem Pathos zum Ausdruck zu bringen wußte, keineswegs darin, daß sie etwa im Sinne einer Generalprävention seelische Wirkungen auf die Allgemeinheit aus- übt.^ Einer Ableitung der Kantischen Strafrechtstheorien aus seinem Staatsrecht steht die Doppelzüngigkeit der Kantischen Staatsrechts- philosophie hindernd im Wege. Der Staat als Idee, als regulatives Prinzip, an dessen Maßstabe sich der Wert des rechten Staates erweisen muß, ist nach Kant getreu dem Ideal der Aufklärung der konstitutionelle Staat, der sich durch einen Vertrag freier Bürger entstanden denken läßt und dessen Gesetzen jeder Bürger seine Zu- stimmung hätte geben können.* Der Staat in der Erscheinung dagegen, wie er als reales Gebilde seinen Untertanen gegenübertritt, ist bei Kant mit der Autorität des absoluten Staates umkleidet, über dessen unerf erschlichen Ursprung zu „vernünfteln" den Untertanen verboten ist, denn nicht im Sinne einer historischen Erklärung, sondern eines Anspruchs auf Anerkennung ihrer absoluten Geltung, nicht als „Geschichtsgrund der bürgerlichen Verfassung", sondern im Sinne einer „Idee als praktischen Vernunftprinzips": „Alle Obrigkeit ist von

* Metaphysik der Sitten. Akademie-Ausgabe Bd. VI, S. 333, Cassirer Bd. VII, S. 141.

'' Gelegentliche Verwertung des Abschreckungsgedankens bei Kant: Kritik der praktischen Vernunft, Akademie- Ausgabe Bd. V, S. 30, Cassirer Bd. V, S. 34 und Metaphysik der Sitten, Akademie- Ausgabe Bd. VI, S. 235 f., Cassirer Bd. VII, S. 37. An der ersten Stelle wird zur Erläuterung der sittlichen Freiheit davon gesprochen, daß man sich durch Androhung der Todesstrafe zwar gemeinhin von scheinbar unwiderstehlichen Gelüsten abschrecken läßt, von einer sittlichen Tat aber trotz Androhung der Todesstrafe nicht abhalten zu lassen braucht. Im zweiten Fall wird die Straflosigkeit im Notstandsfall Brett des Carneades damit begründet, daß gegenüber dem sichern Tod die ungewisse Androhung künftiger Strafe wirkungslos sein müsse.

' Diese Anschauung vertritt R. Schmidt, Die Aufgaben der Straf- rechtspfiege, Leipzig 1895, S. 25: „...wirklich schwebte Kant die Hervor- rufung solcher wertvollen psychischen Eindrücke darum nicht weniger lebhaft vor, weil er auf sie nicht ausdrücklich hinzuweisen für notwendig fand." Gegen R. Schmidt auch Th. Sternberg, Das Verbrechen in Kultur und Seelenleben der Menschheit (Koblers Recht Bd. IX). Berlin 1912. S. 59, Anm. 42.

* Metaphysik der Sitten, Akademie-Ausgabe Bd. VI, S. 315, Cassirer Bd. VII, S. 122. Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis. Cassirer Bd. VI, S. 380 f.

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Gott."^ Einem solchen absoluten Staat, dessen Institutionen in ihrer Geltung unabhängig sind von ihrem Wert und Nutzen für die einzelnen Bürger, würde allerdings ein absolutes Strafrecht entsprechen, in dem die Rechtsverletzung allein um deswillen bestraft wird, weil das staat- liche Gebot übertreten ist.^ Aber damit ist keine methodische Ableitung der Vergeltungslehre aus den Prinzipien der kritischen Philosophie, sondern bestenfalls eine historische Erklärung für die Strafauffassung Kants gewonnen. Kant selbst war offenbar des Glaubens, daß der Vergeltungsgedanke in der Idee der Gerechtigkeit gegründet sei, die in überirdischer Erhabenheit über menschliche Schicksale hinweg- schreitet; „denn wenn die Gerechtigkeit untergeht, hat es keinen Zweck mehr, daß Menschen auf Erden leben". ^ Wenn Kant über die entscheidende, ungelöste Frage, inwiefern denn der irdische Staat zum Richter ewiger Gerechtigkeit berufen und die Übertretung positiver Gesetze in jedem Fall der Verletzung wahren Rechts gleichzuachten sei, ohne Bedenken hinwegglitt, so lag hierin offenbar eine ihm selbst unbewußte Nachwirkung jener naturrechtlichen Tradition, für welche die geltenden positiven Gesetze nur die unvollkommene Form des ewig gültigen, in der Vernunft offenbarten Rechts waren.

Nur von der Erkenntnis dieser Bruchstelle der Kantischen Straf- rechtsphilosophie aus vermag man der Bedeutung der Feuerbachschen Strafrechtstheorie in ihrem Verhältnis zu Kants Vergeltungslehre gerecht zu werden. Er gab jener rechtlichen Vergeltungstheorie, die straft, nur weil das Gesetz übertreten ist, das, was ihr bei Kant fehlte: die Rechtfertigung durch ihre Verbindung mit dem Zweckgedanken. ^ Indem die Strafe nur verhängt wird, weil das

^ Metaphysik der Sitten. Äkademie-Äusgabe Bd. VI, S. 318 f., Cassirer Bd. VII, S. 125.

' Über die innere Beziehung zwischen absoluter Strafrechtstheorie und überindividualistischer ", transpersonaler " Staatsauffassung vgl. G, Radbruch, Die politische Prognose der Strafrechtsreform. ÄschaHenburgs Monatsschrift V, S. 1 ff. Derselbe, Einführung in die Rechtswissenschaft, Leipzig 1910, S. 49, sowie Grundzüge der Rechtsphilosophie, Leipzig 1914, S. 125. Radbruch bezeichnet das Verhältnis der Vergeltungslehre Kants zu seiner in obiger Darstellung in normativem Sinne verstandenen individualistischen Staatslehre als „ungelöstes Problem". (Äschaffenburg V, S. 3, Änm. 1.)

^ Metaphysik der Sitten. Äkademie-Äusgabe Bd. VI, S. 332, Cassirer Bd. VII, S. 139.

* Weniger glücklich war Ed. Henkes Versuch einer „Versöhnung" der Strafrechtstheorien, indem er die absolute Vergeltungsstrafe mit dem Gedanken der Besserung des Verbrechers in Verbindung bringen wollte, ohne damit irgendwelchen pädagogischen Erwägungen Einfluß auf die

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Gesetz, das sie androht, verletzt ist, das Gesetz sie aber androht, damit keine Rechtsverletzungen begangen werden, behält die Strafe ihren absoluten, durch Nützlichkeitserwägungen nicht zu beeinflussenden Vergeltungscharakter und dient doch kriminalpolitischer Zweck- mäßigkeit. Am stärksten hat Reinhold Köstlin dieses Verdienst der Lehre Feuerbachs gerühmt, in dem er, „wenn er gleich oder vielmehr gerade weil er die Feuerbachsche Lehre für eine in ihrer TotaHtät schneidend einseitige und unwahre erkennt, gleichwohl den kühnen und großartigen Begründer einer neuen Epoche für die Philosophie des Strafrechts" grüßte. Feuerbach war es, der nach Köstlins Meinung mit der Theorie vom psychologischen Zwang das punctum saliens in der kriminalistischen Bedeutung der kritischen Philosophie traf und „die wahre Konsequenz der Kantischen Gedanken energisch aussprach und zum System ausführte".^ In der Tat wird der Rigorismus des Kanti- schen Vergeltungsstrafrechts erst in der durch Feuerbach gewiesenen irdischen Zweckbestimmung erträglich. Auf Erden eine staatliche Ord- nung an überirdische Gesetze zu binden, übersteigt die menschlicher Natur weise gesetzten Grenzen und führt, wie die blutige Geschichte chiliastischer Träume bisher vergebens gelehrt hat, zu einem er- schreckenden Höllensturz in nackte Gewalt. Glaubte Kant, die unverlierbare Würde der menschlichen Persönlichkeit nimmermehr irdischer Zweckbestimmung unterordnen zu dürfen, so führte gerade ihn sein Dogma von der absoluten Strafgerechtigkeit, die souverän über Leben und Schicksal des empirischen Trägers der menschlichen Persönlichkeit hinwegschreitet, zu dem Pharisäerwort, mit dem seit je das Recht des Gewissens dogmatischem Fanatismus und die Persön- lichkeit des Einzelnen mißverstandener Staatsräson geopfert wurde: „Es ist besser, daß ein Mensch sterbe, als daß das ganze Volk

Gestaltung der moralischen Vergeltungsstrafe zuzubilligen. Er scheut sich nicht zu sagen, „so sehr die gegenwärtigen Stimmiührer in der Rechts- wissenschaft auch hohnlächeln werden, daß die Trennung des Rechts von der Moral, worauf man sich in unseren Tagen so viel zugute tut, eine schmachvolle, bis in den Grund verderbliche sei, welche die Rechtswissen- schaft zu ewigem Tode verdammt". Über den Streit der Strafrechtsschulen. Regensburg 1811. S. 67 f.

' R. Köstlin, Neue Revision der Grundbegriffe des Kriminalrechts. Tübingen 1845. S. 2 und 3. Vgl. auch S. 804—819. Neuerdings wird diese Bedeutung des Verhältnisses zwischen Kant und Feuerbach hervor- gehoben bei: E. Baumgarten, Das Recht der Persönlichkeit und der Zweckgedanke in Theorie und Praxis des deutschen Strafrechts . . . Tübinger Diss. 1907. S. 95, 116 f. Döring, Feuerbachs Straftheorie und ihr Verhältnis zur Kantischen Philosophie. Kant- Studien, Erg.-Heft 3. Berlin 1907. S. 47. Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft 3, IL Berlin und München 1910. Noten S. 62, Nr. 23.

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verderbe!"^ Verbietet, wie uns Kant gelehrt hat, die Achtung vor der Persönlichkeit im Verbrecher, jede irgendwie nützliche Maßregel ihm gegenüber durch den bloßen Hinweis auf ihre Zweckmäßigkeit zu rechtfertigen, so hat Kant selbst in grotesker Überspannung jener Lehre verkannt, daß die Strafe, die irdische Richter über Menschen verhängen, ihre Legitimation nur in ihrer sozialen Brauchbarkeit finden kann.^ So heißt es schon bei Hugo Grotius: Sed haec in hominibus punientibus vera sunt: nam homo ita homini alteri ipsa consanguinitate alligatur, ut nocere ei non debeat nisi boni alicuius consequendi causa. In deo alia res est . . .^

Erscheint so die Feuerbachsche Strafrechtstheorie für die fruchtbare Ausgestaltung Kantischer Gedanken von entscheidender Bedeutung, so verdankt sie selbst wiederum ihren engen Beziehungen zu Elementen der kritischen Philosophie einen guten Teil ihres eigenen Ansehens und Einflusses. Darüber hinaus hat diese Annäherung an Kant ganz allgemein Feuerbachs kriminalistisches Denken beeinflußt und dazu beigetragen, daß die mit so unvergleichlichem jugendlichem Feuer vorgetragenen fortschrittlichen Ideen alsbald zu einer neuen Stärkung der Autorität des absoluten Staates und zu einer Erstarrung in dogmatischer Enge führten. Die rücksichtslose Härte des von ihm befürworteten Strafensystems, in dem in steigendem Maße infamierend wirkende Freiheitsstrafen und als Krönung die Todesstrafe eine uner- bittliche Stufenleiter scharf differenzierter Strafgrößen bildeten, erscheint wie eine Konkretisierung des Kantischen Vergeltungsgedankens. Wenn er hier gerade diejenigen enttäuschte, in deren Reihen er selbst einst in starker Begeisterung für die Gedanken der Aufklärung erglühte, wenn er sich selbst später dem Eindruck der Aussichtslosigkeit und Härte des neu geschaffenen Strafensystems nicht entziehen konnte, so mag er sich im Sinne Kants mit dem Hinweis abgefunden haben, daß der Wert der Strafe unabhängig von ihrem Nutzen für den Bestraften sei.

Einer wirksamen Fortbildung des Gedankens, das Vergeltungs- strafrecht Kants der Doktrin von der gesetzlichen Zwangstheorie dienst- bar zu machen, stand Feuerbachs Dogma von der radikalen Trennung rechtlicher und moralischer Beurteilung entgegen. Schon früh hat sich

^ Metaphysik der Sitten. Äkademie-Äusgabe Bd. VI, S. 331 f., Cassirer Bd. VII, S. 139.

^ Liepmann, Einleitung in das Strafrecht S. 199.

' De iure belli ac pacis libri tres. Lib. II, cap. XX, § IV, 2. Vgl. als Gegenstück zu der Überspannung des individualistischen Prinzips bei Kant: Georg Jellinek, Die sozialethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe 2. ÄuH. Berlin 1908. S. 105 ff.

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die Erkenntnis Bahn gebrochen, daß Feuerbachs Strafrecht dadurch, daß es in der Zurechnung zum Verbrechen ausschließlich krimina- listischen Gesichtspunkten folgte und allgemeingültige ethische Werturteile zugunsten des Maßstabes der kriminellen Gefährlichkeit unberücksichtigt ließ, sich des besten Teils seiner Wirkungskraft beraubte. Thibaut, der Zivilrechtler, gleich Feuerbach von der Über- zeugung durchdrungen, „daß ein vernünftiges Kriminalrecht nur allein von dem Hauptgrundsatz der Nötigung durch psychologischen Zwang ausgehen kann", tadelte sein System, weil es nicht „der gemeinen Meinung etwas nachgibt" und, indem es herrschenden Werturteilen entgegengesetzt ist, den Delinquenten, den es bestraft, als Märtyrer erscheinen läßt. Denn „gegen die herrschende Meinung strafen, ist keine Wohltat, sondern vielmehr eine der Nation selbst zugefügte Strafe, ein aufgedrungenes verhaßtes Glück und insofern ein Gegen- stand, worauf die Rechte und Verbindlichkeiten des Regenten nur in sehr wenig Fällen gerichtet sein können".^ So hat der bedeutendste Versuch, Feuerbachs Lehre von der psychologischen Wirkung der gesetzlichen Strafdrohung fortzuentwickeln, zu einer Umbildung gerade dieser Seite seiner Theorie geführt, indem man das Hauptgewicht weniger auf die Abschreckung der sinnlichen Triebfeder, als auf den Appell an das moralische Gewissen legte: Bauers Warnungstheorie. Bauer, der freilich keineswegs „dem unverwelklichen Lorbeerkranze Feuerbachs, welchem auch ich so sehr viel schuldig bin, undankbarer- weise auch nur das kleinste Blättchen entreißen wollte",^ sah in der gesetzlichen Strafdrohung nicht nur eine Abschreckung mit sinnlichen Übeln, sondern eine ernste Mahnung, die sich an Pflichtgefühl und Besonnenheit richtet und darum ihre beste Kraft aus der Überein- stimmung mit den Normen des sittlichen Verhaltens schöpfen muß. „Die warnende Stimme des Gesetzgebers will durch die Vorstellung des mit der Handlung verknüpften Strafübels dem Menschen außer den Beweggründen der Sittlichkeit, des Rechts, der Religion und der Ehre noch einen wichtigen Abratungsgrund mehr geben und ihm dadurch die pflichtmäßige Beherrschung seiner sinnlichen Antriebe erleichtern."'^

Sieht man von der speziellen Prägung des Feuerbachschen Gedankens ab, nach dem die Wirkung der Sb-afe sich in der

^ Änton E. J. Thibaut, Beiträge zur Kritik der Feuerbachschen Theorie über die GrundbegriHc des peinlichen Rechts. Hamburg 1802. S. 24 u. 100 f.

^ Ä. Bauer, Noch ein Wort über die Straftheorien, Äbhandl. aus dem Strafrecht u. Strafprozeß Bd. I. Göttingen 1840. S. 1 ff., S. 118.

' R. Bauer, Die Warnungstheorie nebst einer Darstellung und Beur- teilung aller Straf rcchtstheorien. Göttingen 1830. S. 38.

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Abschreckung durch die gesetzliche Strafdrohung erschöpfen soll, so bleibt aus der Verbindung Feuerbachscher Ideen mit der Ver- geltungslehre Kants der Kern, daß die Vergeltungsstrafe ihre Rechtfertigung in ihrer Bedeutung für die Generalprävention findet. Der Vergeltungsidee, so wie sie sich bei Feuerbach findet, als reiner Rechtsvergeltung, für die das Recht sich allein seinen eigenen Maßstab schafft, wird diese Bedeutung nur derjenige zusprechen, der in der Tendenz des Rechts, sich in seiner Geltung mehr und mehr von anderen Werten zu isolieren, den Grundwert des Rechts sieht und der These huldigt, die Rechtswidrigkeit einer Handlung gründe sich unabhängig von ihrem inneren sozialen und kulturellen Unwert allein darauf, daß sie vom Staat verboten sei/ Aus dieser formalen Rechtsidee heraus, die zu einer einseitigen Überspannung des Rechts- positivismus führen müßte, hat Richard Schmidt aufs neue auf die Bedeutung Feuerbachs verwiesen, der „die einzelne Bestrafung zur Einzelanwendung eines die Autorität der Rechtsordnung sichernden Vergeltungsprinzips erhob, das sich die Rechtsordnung zu ihrer eigenen Sicherung selbst geschaffen hatte"."

Was aber schon Thibaut und Bauer der psychologischen Zwangs- theorie im speziellen entgegengehalten hatten, gilt auch in dem all- gemeineren Zusammenhang: einer wirkungsvollen Generalprävention vermag ein Vergeltungsstrafrecht nur dann zu dienen, wenn es den Feuerbachschen Gedanken strengster Isolierung rechtlicher und ethischer Werturteile aufgibt. Rdolf Merkels Untersuchungen haben die Be- ziehungen zwischen Zweckgedanken, rechtlicher Vergeltung und ethischen Werturteilen deutlich herausgestellt. „Vergeltungs- strafe ist Zweck strafe und mißt sich an den Bedingungen ihres Zweckes."^ „Überall ist es aber für die Erreichung der staatlichen Zwecke wichtig, daß die Art ihrer Verfolgung nicht dem Gerechtig- keitssinne des Volkes widerstreite." Gerechtigkeit bedeutet „die Wahrheil der in unseren Handlungen zu praktischem Ausdruck gelangenden Urteile". Bei der Rechtsstrafe kommt es dabei auf eine dreifache Wahrheit an: auf die richtige Entscheidung der quaestio

'■ Vgl. K. Bin ding, Grundriß des gemeinen deutschen Strafrechts I, Einl. und allgem. Teil. 5. Aufl. Leipzig 1897. S. 58 f. E. Bcling, Lehre vom Verbrechen. Tübingen 1906. S. 145 ff.

- Richard Schmidt, Die Aufgaben der Straf rechtspflege. Änselm Feuerbach zum Gedächtnis. Leipzig 1895. S. 65. (Im Original gesperrt!) Als weitere moderne Apologie Feuerbachscher Lehren, hier mit stärkerer Betonung des psychischen Zwanges im Gegensatz zu eigentlichen Vergeltungs- theoricn, sei erwähnt: A. Coendcrs, Richtlinien aus den Lehren Feuerbachs für die moderne Strafrechtsform. Tübingen 1914.

' Merkel-Liepmann, Lehre von Verbrechen und Strafe S. 212.

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facti, auf die richtige Subsumtion der Tat unter das Gesetz und neben solcher faktischen und juristischen Wahrheit des Urteils auf die „ethische Wahrheit des Gesetzes, das die Strafe androht, das ist: auf die Übereinstimmung desselben mit den herrschenden ethischen Anschauungen und Werturteilen".^ Finden doch, wie Merkel in anderem Zusammenhang ausführte, die Rechtsnormen für ihre verpflichtende Kraft ihre stärkste Stütze in dem „Bündnis mit den im Volke lebenden moralischen Kräften", während es um- gekehrt „kein moralisches Ansehen für das Recht und demgemäß keine verpflichtende Kraft seiner Vorschriften gibt, welche von seinem Einklang mit den im Volke sich geltend machenden moralischen Kräften unabhängig wäre"."

Hat somit das Streben Feuerbachs nach einer ethisch indifferenten, rein kriminalistischen Zurechnungslehre ihm den Blick für den tieferen Sinn der kriminalpolitischen Bedeutung der Vergeltungsidee getrübt, so hat er den Wert eines solchen Strafrechts als Garantie des Rechts- staatsprinzips um so klarer erkannt. Lag doch seinem Kampf gegen Grolmans Präventionsrecht die Einsicht zugrunde, daß das Vergeltungs- recht, in dem nach fester Regel einem Kanon bestimmter Tatbestände ein System gesetzlich normierter Strafgrößen entspricht, ein Damm gegen willkürliche Ausdehnung staatlicher Strafgewalt sein und damit zum Eckstein bürgerlicher Freiheit werden kann.''

Aus dem Begriff der Strafe als eines allgemein angedrohten Übels, mit dem Feuerbach zugleich dem Vergeltungsgedanken wie den Forderungen kriminalpolitischer Zweckmäßigkeit zu entsprechen glaubte, suchte er das Wesen der Zurechnungsfähigkeit zu bestimmen. In jedem Strafgesetz kommt nach Feuerbachs Theorie der Wille des Gesetz- gebers zum Ausdruck, daß durch die Vorstellung eines bestimmten Übels jeder, der eine Neigung zu einer Rechtsverletzung hat, von der Verwirklichung seiner verbrecherischen Absichten abgeschreckt wird. Soll der Richter nach dem Willen des Gesetzgebers die Strafbarkeit

' Ebendort S. 228.

- R. Merkel, Elemente der allgem, Rechtslehre. In: Holtzendorffs Enzyklopädie der Rechtswissenschaft 5. Äull. Leipzig 1890. Bd. I, S. 12 f. Vgl. auch desselben Juristische Enzyklopädie. Berlin-Leipzig 1885. S. 13.

" Siehe oben Kap. II, S. 50 f. Vgl. die Polemik Merkels gegen die Gefahren des symptomatischen Verbrechensbegriffs. Merkel-Liepmann, a. a. O, S.321, und ähnlich Richard Schmidt, a.a.O. S. 134 ff. Als Beispiel dafür, daß auch vom Boden des modernen Sicherungsrechts aus an eine einseitige Überspannung des Präventionsgedankens nicht gedacht werden darf, vgl. v. Liszt, der an der „Überlieferung des Zeitalters der Aufklärung", der rechtlichen Begrenzung der staatlichen Strafgewalt allzeit festhielt. StGB. „Magna Charta des Verbrechers"! Aufsätze u. Vorträge II, S.60u. 80.

7*

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einer Handlung beurteilen, so muß er in gleicher Weise wie der Gesetz- geber vorgehen: er muß diejenige Strafe verhängen, durch deren Androhung allgemein ein dem speziellen Verbrecher entsprechender Täter von der gleichen Handlung abgeschreckt werden kann, denn allein dies ist die Strafe, die das Gesetz gemeint hat. „Die Gründe der Strafbarkeit in abstracto sind zugleich die Gründe der Strafbarkeit in concreto, oder aus denselben Gründen, nach welchen der Gesetz- geber die Strafbarkeit beurteilt, nach denselben Gründen muß sie auch der Richter beurteilen."^

Jeder strafrechtlichen Beurteilung geht die Prüfung der Frage voraus, ob der Täter überhaupt für sein Tun strafrechtlich verantwort- lich zu machen ist, eine Untersuchung der „absoluten Gründe der Strafbarkeit", der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit. Diese Voraussetzungen strafrechtlicher Verantwortlichkeit ermittelt Feuerbach, indem er die Natur des Strafgesetzes analysiert. Es können für ihn nur solche Bedingungen sein, die durch die Natur des Strafgesetzes notwendig bestimmt sind, welche das Strafgesetz seinem Wesen nach „in der Person, welche es mit der Strafe bedroht, notwendig voraussetzt".^ Nach seiner Theorie ist „absolut notwendiger Zweck" eines jeden Straf- gesetzes, Verbrechen durch Gegenwirkung gegen die rechtswidrigen Triebfedern zu verhindern, indem für den Fall der Ausführung des Verbrechens ein Übel angedroht wird. Wesentlicher Zweck des Straf- gesetzes ist Abschreckung. Es ist nur für den Fall gegeben, wo es diesen Zweck erreichen, wo es abschrecken kann, wo also „die psychische Möglichkeit seiner Wirksamkeit zur Verhinderung der Tat begründet ist"."^ Da die Strafe nur in dem Fall verhängt werden darf, für den sie angedroht ist, so folgt, daß die Voraussetzungen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit „diejenigen Eigenschaften der Person als Ursache der strafbaren Handlung sind, durch welche die psychische Wirksamkeit des Strafgesetzes begründet ist".^ Damit identifiziert Feuerbach die Zurechnungsfähigkeit mit Äbschreck- barkeit,^ nicht um durch die Bestrafung den Bestraften oder vermutliche künftige Verbrecher abzuschrecken, sondern um dem Gesetz zu entsprechen, das nur diejenigen mit Strafe bedroht, die es abschrecken kann. Um die einzelnen Momente, welche die

' Revision I, S. 196.

* Revision II, S. 37. ^ Revision II, S. 40.

* Revision II, S. 41.

^ Diese Formulierung stammt von Finger, Lehrbuch des deutschen Strafrechts Bd. I, 1904, S. 14. Von ihm hat sie G. Erich in Äschaffenburgs Monatsschrift Bd. X, S. 385 ff., übernommen.

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Rbschreckbarkeit begründen, zu ermitteln, bedarf es einer Unter- suchung über die Wirksamkeit der gesetzlichen Strafe. Das Straf- gesetz will nach Feuerbach durch die Erzeugung von bestimmten Vorstellungen das Begehrungsvermögen beeinflussen. Soll die Vor- stellung des drohenden Strafübels mich von einer Handlung abhalten, so muß ich das Strafgesetz kennen, muß wissen, daß die Handlung unter dies Strafgesetz fällt, und es muß eine Handlung sein, die aus meinem Begehrungsvermögen entspringt. Drei Momente sind es hier- nach, welche die Wirkung des Strafgesetzes bedingen und infolge- dessen Voraussetzungen der Verhängung der Strafe sind: erstens Kenntnis des Strafgesetzes; zweitens Subsumtion der Tat unter das Strafgesetz; drittens willentliche Begehung der Tat. Alle Menschen, bei denen diese Momente vorausgesetzt werden können, sind zu- rechnungsfähig. Wer eine Tat begangen hat, während diese Umstände bei ihm vorliegen, ist für sein Verhalten verantwortlich im Sinne des Strafrechts. „Die Bestimmung des Begehrens zur Übertretung eines Strafgesetzes mit dem Bewußtsein der Übertretung ist der höchste und letzte Grund aller äußeren Strafbarkeit. " ^

Will man in dieser Formulierung die Bildung eines Schuldbegriffs erblicken, so wäre eine Handlung verschuldet, wenn der Täter durch die Drohung des Strafgesetzes nicht gehindert wurde, seine Tat aus- zuführen, obwohl er sich hätte abschrecken lassen können.

Dieses Verfahren, das Zurechnungsfähigkeit auf Hbschreck- barkeit und Verschulden auf Sichnichtabschreckenlassen zurückführt, hat bereits bei Feuerbach selbst zu einer Reihe von Schwierigkeiten geführt, die ihn zu neuen Konstruktionen nötigten. So ist ihm das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit auch bei solchen Handlungen vorhanden, die ohne Überlegung einem Affekt, einer momentan besonders starken Regung entspringen. „Daß aber die Bedingung zur Strafbarkeit der Handlungen aus dem tierischen Begehren (wir wollen sie, um kurz zu sein, künftig nicht -willkürliche Handlungen nennen) in der Tat eintreten können, daß auch bei einer solchen Willensbestimmung das Bewußtsein der Handlung als enthalten unter einer Strafdrohung möglich sei, wird kein aufmerksamer Beob- achter, am wenigsten der Psychologe leugnen können."' In einer beispiellosen Überschätzung der psychologischen Wirkung des straf- gesetzlichen Verbots meinte er, die Furcht vor der angedrohten Strafe sei so stark, daß, wenn sich das Begehren auf ein verbotenes Tun richtet, die Phantasie unmittelbar die Vorstellung des Verbotes in dem

' Revision II, S. 66. " Revision II, S. 161.

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Täter auf dem Wege der Ideenassoziation hervorruft und damit „die Vorstellung der Strafe an die Vorstellung der Tat knüpft und den Lockungen des Verbrechens, dem Stachel des gegenwärtigen Bedürf- nisses, welcher zur Übertretung fortreißt, ihre künftigen Drohungen gegenüberstellt"/

Willentliches Handeln umfaßt nach Feuerbach nicht nur willkür- liches, überlegtes Tun, sondern alles Handeln, das sich auf das Begehrungsvermögen zurückführen läßt, also auch ein unwillkürliches Handeln, eine Tat aus Leidenschaft oder in Trunkenheit. Ähnlich wie Stübel stellt sich hier Feuerbach die Schwierigkeit entgegen, vom Stand- punkt reiner Willensschuld der Fahrlässigkeit gerecht zu werden. Während beim vorsätzlichen Handeln die Rechtsverletzung bewußt vom Täter bezweckt ist, führt das fahrlässige Handeln, ohne daß der Täter das will, zu einem rechtswidrigen Erfolge. Gleichwohl versucht Feuerbach auch die Fahrlässigkeit als Willensschuld zu konstruieren. Bei einem fahrlässigen Verhalten hat sich der Täter bereits vor der Begehung seiner eigentlichen Tat über eine Verbindlichkeit hinweg- gesetzt, eine obligatio ad diligentiam, welche ihm auferlegt, bei seiner Handlungsweise vorsichtig zu sein, damit sie keine Rechtsverletzung zur Folge hat, und alle Handlungen zu unterlassen, „aus welchen ein gesetzwidriger Erfolg nach Naturursachen entspringen kann"." In diesem Vorstadium hat der fahrlässig Handelnde willentlich und vorsätzlich eine Verbindlichkeit übertreten. Die Fahrlässigkeit wird damit erklärt aus einem actus voluntatis remotus.'^ Voraussetzung ist, daß es dem Täter bei Anwendung des schuldigen Fleißes möglich war, den rechtswidrigen Erfolg zu vermeiden. Ob das Maß des schuldigen Fleißes ein objektives oder subjektives sein soll, dieses Problem hat Feuerbach nicht berührt. In der objektiven Ausdehnung des Gebietes fahrlässigen Tuns geht er ziemlich weit. Sein Culpa- Begriff umfaßt einmal die Fälle des alten dolus indirectus, in denen das ältere gemeine Recht unbeabsichtigte Folgen vorsätzlichen Handelns als dolose Rechtsverletzungen bestrafte.^ Feuerbach zeigte, daß hier der rechtswidrige Erfolg nur fahrlässig und allein die gefährdende Handlung vorsätzlich herbeigeführt sei und setzte darum

* Revision II, S. 163. Zu der Frage, wieweit Feuerbach selbst die Konsequenzen aus dieser Theorie zog, nach der Bewußtsein der Straf- gesetzwidrigkeit zur Strafbarkeit gefordert werden müßte, siehe die Ausführungen unten Kap. V.

^ Revision II, S. 64.

^ Ebendort II, S. 53.

^ Über die Entwicklung dieser Lehre siehe die Darstellung unten Kap. IV, S. 132 ff. und 155.

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der alten Bezeichnung dolus indirectus den Terminus culpa dolo determinata entgegen.^ Gemeint ist damit eine Idealkonkurrenz zwischen einer vorsätzlichen Handlung und dem durch diese Handlung fahrlässig herbeigeführten Erfolg. Nach der anderen Richtung hin glaubte er auch die Fälle unbewußter Fahrlässigkeit als vorsätzliche Übertretung der allgemeinen Diligenzpflicht konstruieren zu können. Denn jene „Verbindlichkeit zum gehörigen Fleiß" erstreckt sich auch auf „innere Handlungen" und verpflichtet dazu, das „Erkenntnis- vermögen" anzustrengen, damit der Täter nicht aus mangelndem Verständnis für die Tragweite seiner Handlungen Rechtsverletzungen begeht! So straft Feuerbach in all den Fällen wegen fahrlässiger Begehung eines Delikts, in denen die Rechtsverletzung eine Folge der Handlungsweise des Täters ist, ohne daß er sich dieser Möglich- keit bewußt war, weil er sich keine genügende Kenntnis vom Gesetz verschafft, weil er sich das Wesen der Handlung und ihre Subsumtion unter das Gesetz nicht genügend klargemacht oder weil er etwaige Folgen seiner Tat nicht entsprechend in Rechnung gesetzt hatte." Eine solche Konstruktion der unbewußten Fahrlässigkeit als willent- liche Übertretung der allgemeinen Diligenzpflicht ist, wie Kohlrausch gezeigt hat, eine Abkehr von dem Prinzip der individuellen Ver- schuldung zugunsten der Erfolgshaftung. Denn während hier die Schuld darin besteht, daß der Täter es unterläßt, sich die zur Einhaltung der Rechtsordnung allgemein erforderlichen Kenntnisse anzueignen und sich somit auf die generelle Gefährdung erstreckt, ist die Strafe je nach dem speziellen rechtswidrigen Erfolg Tod, Körperverletzung, Brandstiftung usw. verschieden.^

* Gleichwohl nahm Feuerbach genau wie die alte Doktrin vom dolus indirectus an, wenn der Urheber einer an sich verbrecherischen Handlung sich der Folgen seines Tuns bewußt ist, seien ihm diese Folgen zum Vorsatz zuzurechnen. Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs 1804, Teil II, S. 42 f.

'^ Betrachtungen über dolus und culpa überhaupt und den dolus indirectus insbesondere, von D. Feuerbach, Bibliothek f. d. peinl. Rechtswissenschaft u. Gesetzeskunde Bd. II, Göttingen 1800. S. 193 ff., insbesondere S. 216 ff. und in bezug auf dolus indirectus S. 241 ff. Ausführliche Darstellung und Würdigung der Fahrlässigkeitslehre Feuerbachs bei Fr. Exner, Das Wesen der Fahrlässigkeit. Wien 1910. S. 15 f.

^ E. Kohlrausch, Die Schuld. In: Die Reform des Reichsstrafgesetz- buchs. Hcrausg. von Aschrott und v. Liszt. Bd. I, S. 180 ff., vgl. S. 208 f. Binding nennt Feuerbachs Culpa-Begriff „eine der interessantesten Verwirrungen des auch in seinen Irrtümern der großen Ein- wirkungen auf die Geister sicheren Genies". Normen IV, 1. Leipzig 1919. S. 217.

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Sind jene drei Momente, Kenntnis des Gesetzes, Subsumtion und willentliche Begehung der Tat gegeben, so hat der Richter die Handlung dem Täter zum Verbrechen zuzurechnen. Verstößt der Täter gegen ein Gesetz mit absolut bestimmter Strafdrohung, so hat der Richter diese Strafe zu verhängen, ist ihm ganz oder innerhalb eines Strafrahmens freie Hand im Ausmaß gelassen, so bedarf er eines Prinzips für die Bemessung der Strafbarkeit, für die relativen Strafbarkeitsgründe. Aber auch in diesen Fällen ist der Richter an das Gesetz gebunden. Er darf nur das aussprechen, was im Willen des Gesetzgebers liegt; das Prinzip, nach dem das Maß der strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Einzelnen zu beurteilen ist, muß nach Feuerbach aus der generellen gesetzlichen Strafdrohung abgeleitet werden. Das Strafgesetz soll durch die Androhung eines Übels die Bürger von möglichen Rechtsverletzungen abhalten, die in dieser Möglichkeit liegende Gefahr abwenden. Läßt der Gesetz- geber den Strafrahmen offen, so will er gleichwohl für den Einzelfall nicht mehr und nicht weniger an Übeln in Aussicht stellen, als zur Abwendung der durch eine solche Tat begründeten Gefahr erforderlich ist. Will der Richter also die Höhe der Strafe im Sinne des Gesetz- gebers bestimmen, so muß sein Maßstab für die Festsetzung der Strafe die Gefährlichkeit der Handlung sein. Nicht, um dadurch auf den Täter in besonderer Weise einzuwirken, sondern wiederum nur, um auf diese Weise diejenige Strafgröße zu ermitteln, welche der Gesetz- geber für die der konkreten Tat entsprechenden Fälle angedroht hat. Die Strafbarkeit einer Handlung ist daher um so größer, je größer die durch sie für den rechtlichen Zustand begründete Gefahr ist. Eine Strafe ist rechtmäßig, „wenn ohne ihre Androhung jene Gefahr nicht abgewendet werden kann, wenn sie also mit der Größe der Gefahr in einem richtigen Verhältnis steht". ^

Indem Feuerbach die Gefährlichkeit des verbrecherischen Verhaltens zur Grundlage der strafrechtlichen Beurteilung machte, stimmte er, was er selbst nicht leugnen konnte, im Grunde doch wieder mit Grolmans Präventionstheorie überein. ^ Das zeigt sich am stärksten bei der Behandlung der subjektiven Momente, aus denen die kriminelle Gefährlichkeit geschlossen werden soll. Nicht anders wie für Grolman handelt es sich hier um die Frage nach der Gefahr künftiger Rechtsverletzungen. Da es für Feuerbach darauf ankam, ein Strafübel zu bestimmen, durch dessen Androhung determinierend auf den Täter eingewirkt werden sollte, so hätte er konsequenterweise

' Revision II, S. 204.

- Revision II, S. 208 und 440.

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die Gefährlichkeit ausschließlich nach der Persönlichkeit des Täters bestimmen müssen, der abgeschreckt werden soll. Indessen wird man diese Folgerung bei Feuerbach vergeblich suchen. Vielmehr berück- sichtigt er neben der Gefährlichkeit des Täters die Schwere der Tat und ihre gefährlichen Folgen für die Rechtsordnung. Hierin kommt wiederum die enge Beziehung seiner Straftheorie zum Vergel- tungsgedanken und sein tiefes Mißtrauen gegen ein reines Sicherungs- strafrecht zum Ausdruck, das die strafrechtliche Ahndung allein nach der Prognose für die künftige Haltung des Täters bemißt, zum Ausdruck. Die symptomatische Verbrechensauffassung Grolmans, der auch die objektive Erscheinung des Verbrechens lediglich ein Indiz für die Wahrscheinlichkeit künftiger Rechtsverletzungen des Täters ist, verwirft er darum auch an dieser Stelle. „Die Wahrscheinlichkeit kann bei Hochverrat und dem Falsum gleich groß sein. Sind darum Hochverrat und Falsum gleich strafbar?"^

Nach Feuerbach bemißt sich die objektive Beurteilung der Gefährlichkeit des verbrecherischen Verhaltens nach der Bedeutung des verletzten Rechts für das Staatsganze. Das setzt eine Klassifikation der Rechte nach ihrem sozialen Wert voraus. Hier folgte Feuerbach naturrechtlicher Denkweise, indem er versuchte, die einzelnen abstrakten Verbrechensbegriffe nach a priori -Gesichtspunkten zueinander in ein bestimmtes Wertverhältnis zu bringen." An die Spitze stellte er diejenigen Rechte, welche für die Existenz des Staates unumgänglich notwendig sind. In dieser Beziehung sind die schwersten Delikte ein unmittelbarer Angriff auf die Existenz des Staates selbst: Hochverrat, eine Tat gegen die Ausübung des staatlichen Herrschafts- rechtes : Rebellion, und eine Verletzung des Anspruchs auf Anerkennung der Würde des Staates: Crimen laesae majestatis. An zweiter Stelle stehen Privatrechte, wobei Privatrechte des Fiskus und der Krone denen anderer Personen im Werte voranstehen. Unter den Privat- rechten stehen am höchsten die ursprünglichen Rechte auf Leben, auf Gesundheit und freien Gebrauch des Körpers und der geistigen Kräfte. Dann kommen die erworbenen Rechte: Eigentum und vertraglich begründete Ansprüche auf Leistungen, und an letzter Stelle steht wiederum ein ursprüngliches Recht: der Anspruch auf äußere Ehre.

' Revision II, S. 208 f. Über diese Inkonsequenz bei Feuerbach siehe O. Tesar, Die symptomatische Bedeutung des verbrecherischen Verhaltens. V. Liszts Seminarabhandlungen Neue Folge V, 3, S. 237. Bemerkens- wert ist, daß A. Bauer Feuerbach vorwarf, er beurteile das verbrecherische Verhalten allzu streng nach der Stärke der sinnlichen Triebfeder und berück- sichtige dabei zuwenig die objektive Bedeutung der Tat. Die Warnungs- theorie. Göttingen 1830. S. 125.

- Locning, Z. Str. W. Bd. 3, S. 304.

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Geringer als eine Verletzung dieser Rechte ist ein Polizeivergehen zu bewerten. Dieses ist eine Handlung, deren Unterlassung die Zwecke des Staates nicht bedingt, sondern lediglich erleichtert, und die nur durch das staatliche Verbot von einer indifferenten Handlung zur Rechtsverletzung wird. Bei der Beurteilung der Gefährlichkeit der Rechtsverletzung und ihrer Strafbarkeit kommt es ferner auf die Art und Weise an, wie die Tat bewirkt ist. Bei derselben Tat ist der Anstifter strafbarer als der Täter, weil er der gefährlichere ist. Denn der Täter hätte nicht ohne Einfluß des Anstifters gehandelt, der Anstifter aber hätte, wenn dieser Täter nicht zur Ausführung geschritten wäre, andere Mittel gefunden, um den Erfolg herbei- zuführen. Als Mittel zur Anstiftung ist am gefährlichsten und daher am meisten strafbar: Drohung und Zwang, danach Befehl, dann Rat, in dem auch eine Art Zwang liegen kann und am wenigsten Auftrag. Der Gehilfe ist weniger strafbar als der Urheber. Die Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe geschieht sowohl nach subjektiven als nach objektiven Gesichtspunkten. Der Mittäter hat den Willen, unmittelbar das Gesetz zu übertreten, während der Wille des Gehilfen auf Unterstützung des Urhebers, also nur auf eine mittelbare Rechts- verletzung gerichtet ist. Jener setzt eine „positiv wirkende Ursache", dieser eine bloße „conditio sine qua non".^ Unter mehreren Gehilfen ist der socius principalis, ohne den die Tat nicht geschehen konnte, gefährlicher als der den Erfolg lediglich befördernde socius minus principalis. Schließlich ist der Versuch als eine Handlung, welche unmittelbar auf Hervorbringung eines rechtswidrigen Erfolges gerichtet ist, ohne daß dieser Erfolg erzielt wurde, weniger gefährlicher als das vollendete Delikt. Innerhalb des Versuches werden verschiedene Grade der Strafbarkeit nach der Gefährlichkeit abgestuft, d. h. nach der Wahrscheinlichkeit der Vollendung des Verbrechens, auf das der Verbrecher bei der Versuchshandlung hinzielt.

Ungleich wichtiger sind die Momente, welche in der Persönlichkeit des Täters liegen, die subjektiven Gründe der relativen Strafbarkeit. Gerade hier zeigt die kriminalistische Zurechnungslehre Feuerbachs ihren Gegensatz zu einer Beurteilung der Schuld des Täters. Auch hier handelt es sich ihm darum, diejenige Strafgröße zu ermitteln, die zwar nicht ausdrücklich vom Gesetzgeber angegeben ist, die sich aber gleichwohl aus der gesetzlichen Strafdrohung notwendig ergibt. Die gesetzliche Strafdrohung will determinierend auf die sinnliche Triebfeder wirken, indem sie dem verbrecherischen Motiv die Vor- stellung eines Übels assoziiert. Soll diese entscheidenden Einfluß ausüben können, so muß sie sich der Stärke des Verbrechensmotivs,

' Revision II, S. 263.

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der Größe der durch dieses begründeten Gefahr anpassen. Maßgebend für den Umfang strafrechtlicher Verantwortlichkeit ist daher die Stärke der zum Verbrechen drängenden sinnlichen Triebfeder. „Die Gefahr künftiger Rechtsverletzungen ist um so größer, je stärker, herrschender und fester die sinnlichen, zum Ver- brechen hindrängenden Triebfedern sind, desto größer also die Strafbarkeit. "^

So gründet Feuerbach seine strafrechtliche Zurechnungslehre nicht auf die Annahme der Willensfreiheit, sondern umgekehrt auf die Sinnlichkeit, d. h. auf die Triebe und Motive des Menschen, auf die mit den Mitteln der Strafjustiz erfolgreich eingewirkt werden kann.^ i\uch auf willkürliche und klare Überlegung kommt es nicht an, denn der wirklich Kriminelle überlegt sich weniger das Ziel als die Mittel seiner Handlung. Je stärker und unwiderstehlicher es ihn zur Tat drängt, um so weniger wird er sich seinen Schritt überlegen, aber um so gefährlicher ist er. Gerade da, wo die sittliche Schuld gering ist, wo äußere Umstände und innere Veranlagung den Täter hemmungslos auf die Bahn des Verbrechens treiben, wo der Mensch zum Kriminellen determiniert scheint, ist er besonders gefährlich und darum nach Feuerbach in stärkerem Maße strafwürdig. Denn nicht die Schuld, sondern ob die Strafe wirken soll und kann ist Voraussetzung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. Nicht nach der sittlichen Schuld, sondern nach dem strafrechtlichen Bedürfnis hat sich die Reaktion gegen das Verbrechen zu bestimmen. „Der Verbrecher muß um so mehr strafbar sein, je stärker die Antriebe zum Verbrechen sind, je zahlreicher und herrschender sie sind, je weniger er fähig, den- selben zu widerstehen, je mehr er entweder durch seine natürliche Anlage oder durch andere äußere Naturursachen, durch Erziehung, Gewohnheit, böses Beispiel usw., der Herrschaft der Sinnlichkeit hingegeben ist.""^

Die Stärke der sinnlichen Triebfeder, die den Maßstab für die Größe der zu verhängenden Strafe bildet, dokumentiert sich nach drei Richtungen, nach ihrer Intensität, nach ihrer Festigkeit und nach ihrem Umfang.^

' Revision II, S. 334. Hier kommt die Annäherung an die sympto- matische Verbrcchensauffassung Grolmans am stärksten zum Ausdruck.

^ V. Bar, Geschichte des deutschen Stralrechts und der Strafrechts- theorien. Berlin 1882. S. 171 und 249.

' Revision II, S. 336.

■* Die Einteilung Feuerbachs ist wenig glücklich und führt im einzelnen zu Widersprüchen. Er betont darum immer wieder, nicht die Beurteilung eines dieser einzelnen Faktoren, sondern nur eine Gesamtbeurteilung der verbrecherischen Neigung nach allen angegebenen Richtungen sei für die strafrechtliche Zurechnung von Bedeutung.

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Die Intensität der sinnlichen Triebfeder kann nur aus ihren Wirkungen erschlossen werden. Sie wird um so größer sein, je mehr sie ihr entgegenwirkende Kräfte überwunden hat. Demnach muß sie stärker sein, wenn sie Gemütskräfte, Verstand und Überlegung zum Schweigen zu bringen vermochte, als wenn sie bloß irgendwelche aus Vorstellungen und Gefühlen abgeleiteten Gegenmotive gegen die Tat, wie Ängstlichkeit oder den Gedanken an die Möglichkeit der Ent- deckung, zu überwinden hatte. Schwieg bei der Tat die Stimme der Vernunft und Überlegung, so geschah das Verbrechen rein aus der sinnlichen Triebfeder heraus: unwillkürlich. Wenn der Mensch, der die Fähigkeit besitzt, willkürlich und überlegt zu handeln, gleichwohl unwillkürlich „durch bloß tierische Antriebe" sich bestimmen läßt, so ist das für Feuerbach ein Zeichen, „daß die Gewalt der Sinnlichkeit und der durch diese begründete Antrieb zu der Handlung so lebhaft und heftig war, daß er die Selbsttätigkeit des Verstandes beschränkte, seine Wirksamkeit zur Reflexion über die Handlung, zu der die Begierde antrieb, unterdrückte".^ Hieraus schließt Feuerbach bei unwillkürlichem, blindem Handeln auf eine verbrecherische Neigung von besonders starker Intensität und folgert daraus, daß „Verbrechen, welche durch das bloß tierische Begehren hervorgebracht wurden, der Intensität der Triebfeder nach in einem höheren Grade strafbar sind als Verbrechen, die in der Willkür und Überlegung ihren Grund hatten".^ i\ls fast unwillkürlich zustandegekommene Handlungen zeugen von besonders intensiver verbrecherischer Neigung Delikte, die gewohnheitsmäßig oder unter dem Eindruck leidenschaftlicher Affekte begangen sind. Unter den willkürlich herbeigeführten Rechtsverletzungen bestimmt sich die Größe der Strafbarkeit nach der Bedeutung der gegen die Ausführung der Tat wirkenden Äbratungsgründe und Naturhindernisse, denn je größeren Gegenmotiven und Hindernissen zum Trotz die Tat vollbracht wurde, um so intensiver war die verbrecherische Triebfeder. Der Täter ist um so strafbarer, je zahlreicher und klarer ihm die Gegengründe vor Äugen gestanden haben, je mehr Gründe er hatte, die Tat zu unterlassen. Darum ist bei einem entehrenden Delikt der Ehrsüchtige, bei einem gefährlichen der Furchtsame, bei einem grausamen der Mitleidige und aus mancherlei Gründen die Frau bei vielen Delikten besonders strafbar!

Die Gefährlichkeit der sinnlichen Triebfeder ist ferner um so größer, je fester und dauernder sie ist, je weniger leicht eine Änderung der Willensdisposition erwartet werden kann. Infolgedessen steigt die Strafbarkeit entsprechend der Festigkeit und Unverbesserlichkeit

' Revision II, S. 386 f. ' Revision II, S, 338.

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der sinnlichen Triebfeder. Von einer besonders festen und mit dem Charakter des Täters dauernd verbundenen Triebfeder kann man nicht reden, wenn momentane Reize zur Tat besonders stark und dringend waren. Daher ist die Strafbarkeit gering bei Delikten, die begangen werden aus Gelegenheit, aus Armut und Not, aus Furcht oder aus Leidenschaft unter diesem Gesichtspunkt, während um der Intensität der sinnlichen Triebfeder eben diese Umstände eine besonders harte Bestrafung notwendig machen können.

In erhöhtem Maße offenbart sich Festigkeit und Unwandelbarkeit der sinnlichen Triebfeder, wenn sie die guten, der verbrecherischen Tat entgegenwirkenden Triebe dauernd unterdrückt. So macht Gewohnheit die von der Tat abhaltenden Kräfte wirkungslos, schlechte Erziehung läßt den Hang zum Bösen fast unausrottbar im Menschen erstarken, körperliche und geistige Veranlagung lassen die verbrecherische Neigung fast „unverbesserlich" erscheinen. „Wer aus Gewohnheit Verbrechen begeht, der handelt gleichsam aus Instinkt und, seine Begierde zu befriedigen, ist ihm zur anderen Natur geworden."^ „Wer durch Erziehung verdorben ist, der ist von Grund aus verdorben. Das Böse, das aus dieser Quelle in uns gekommen ist, hat sich mit unserm ganzen Wesen so innig verwebt, daß es durch die Vernunft beschränkt, aber nie ganz vertilgt werden kann."" Dem geistig Minderwertigen „mangelt die Fähigkeit, gehörig zu überlegen und zu vergleichen, ihm mangelt die Kraft über sich selbst, über die Mittel, sich zu verbessern, über das Neigen der Begierde und die aus ihrer Befriedigung entspringenden Folgen nachzudenken . . . Soll daher die Strafe als zureichende Ursache zur Unterlassung des Verbrechens gedacht werden, so muß sie zugleich von der Größe sein, daß sie die Nichtexistenz jener Kräfte ersetzen kann".^ Bei all diesen Menschen ist die sittliche Schuld gering. Aber die verbrecherische Neigung wohnt fest und inkorrigibel in ihnen. Ihre sinnliche Triebfeder erscheint besonders gefährlich und ist deshalb vom Gesetz mit einer besonders hohen Strafdrohung bedacht. Noch ist hier das Handeln gewollt, d. h. es entspringt dem Begehrungsvermögen. Aber dies ist so disponiert, daß die Kräfte, die der verbrecherischen Neigung entgegenwirken könnten, kaum zur Entfaltung kommen. Sollen sich diese Menschen gleichwohl entgegen ihrer starken, fast widerstands- losen verbrecherischen Neigung zu gesetzmäßigem Verhalten bestimmen, so bedürfen sie der Gegengründe, die in ganz besonderem Maße auf sie einwirken. Die Vorstellung von dem rechtswidrigen Erfolg muß

» Revision II, S. 415. ' Ebendort II, S. 417. " Ebendort II, S. 423.

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sich mit dem Bilde eines besonders heftigen Übels verbinden; ihnen muß eine ausnehmend harte Strafe in Aussicht gestellt werden. Und lediglich diese ihnen angedrohte Strafe hat der Richter zu verhängen.

Hier kommt am schärfsten die schneidende Härte dieser rein kriminalistischen Zurechnungslehre zum Ausdruck, in der die Zu- rechnung zur Schuld und das Äbschreckungsbedürfnis zu entgegen- gesetzter Beurteilung führen. Nur in einer Beziehung von unter- geordneter Bedeutung nimmt auch Feuerbach eine gewisse Parallelität zwischen moralischer Beurteilung und kriminalistischem Strafbedürfnis an: bei der Berücksichtigung der Motive. Mitleid, Liebe und Pflicht- gefühl führen nur ausnahmsweise zu Verbrechen. Sie begründen darum nur eine geringe Gefahr für den Rechtsfrieden, wenn einmal durch sie ein Mensch sich zu einer Rechtsverletzung hat bestimmen lassen. Haß und Neid, Rachsucht und Eigennutz aber gehören zu den typischen Verbrechensmotiven und verlangen daher eine Drohung mit einem besonders empfindlichen Strafübcl.

Alle diese Überlegungen, das faßte Feuerbach am Schlüsse noch einmal zusammen, gehen von dem Strafbedürfnis, von der Gefährlich- keit aus. Sie wollen aber nicht und hierin liegt der entscheidende Unterschied von der Präventionstheorie feststellen, welche Strafe erforderlich ist, um auf den speziellen konkreten Verbrecher einzuwirken, sondern gehen davon aus, welches Strafübel der Gesetzgeber allgemein solchen Tätern zur Abschreckung androht. „Welche Strafe um diese Frage handelt es sich für Feuerbach bei dem Problem der strafrechtlichen Zurechnung würde der Gesetzgeber gedroht haben, wenn er dieses spezielle Ver- brechen, so wie es unter den vorliegenden individuellen äußeren und inneren Bestimmungen gegeben ist, durch eine bestimmte Strafe hätte bedrohen wollen?"^

Zu diesen Lehren Feuerbachs seien dem Begriff der Zurechnungs- iähigkeit noch einige kritische Bemerkungen gewidmet. Aus dem Grundsatz, daß die Strafe durch die Drohung des Gesetzes abschreckend wirken soll, folgert Feuerbach, daß strafrechtlich zurechnungsfähig nur derjenige sei, auf den das Gesetz mit seiner Drohung wirken kann. Zurechnungsfähigkeit wird zur Bestrafungsmöglichkeit. Dieses Ergebnis hängt mit seinem Bestreben zusammen, aus dem Strafrecht alle indeterministischen Beurteilungsweisen zu verbannen. Denn wenn man von der einzelnen konkreten Tat ausgeht und dabei annimmt, daß jede begangene Tat, eben weil sie begangen wurde, begangen werden mußte, so erscheint es sinnlos, eine Grenze zu

^ Revision II, S. 442. (Im Original gesperrt!)

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ziehen zwischen Handlungen, für die der Täter verantwortlich zu machen ist und solchen, die ihm nicht zur Last fallen. Wohl aber kann man fragen, ob die Strafe wirken kann oder nicht.' Auf Grund ähnlicher Gedanken ist auch v. Liszt zu entsprechenden Ergebnissen gekommen. Er hatte hierin, ohne daß er sich dessen bewußt war, einen weiteren Vorläufer in Gustav Geib, nach dem gleichfalls die strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit in der „Möglichkeit der Erreichung des Zwecks der Strafgesetze" und darum in der „Bestimmbarkeit des Menschen durch äußere Momente . . . insbesondere durch die Aussicht auf Strafe" bestehen soll." Liszt schließt von seinem deterministischen Standpunkt aus, es könne nur Notwendigkeit oder Unmöglichkeit, aber nicht bloße Möglichkeit schuldhaften Handelns geben und darum müsse Bestrafung immer für diejenigen eintreten, auf welche die Strafe wirken kann. Die Strafe soll determinieren, durch Motive das Verhalten beeinflussen. Zurechnungsfähigkeit ist daher Empfänglichkeit für die durch die Strafe bezweckte Motivsetzung, normale Bestimmbarkeit durch Motive, normale Determinierbarkeit.^ In seiner Rede über die strafrechtliche Zurechnungsfähigkeit auf dem III. Internationalen Psy- chologen-Kongreß von 1896 hat er dann, allerdings unter ausdrück- licher Ablehnung praktischer Verwertbarkeit, hieraus die Konsequenz gezogen, daß umgekehrt der unverbesserliche Gewohnheitsverbrecher, auf den die Strafe keinen Eindruck macht, eben deshalb unzurechnungs- fähig ist.* Die Berührungspunkte mit der Zurechnungslehre Feuerbachs zeigen sich in doppeltem: in der Eliminierung von Willensfreiheit und Schuld und in der Identifizierung von Zurechnungsfähig- keit und Bestrafungsmöglichkeit.^ Dagegen unterscheiden sich beide dadurch, daß Feuerbach die Wirkung der Strafe als General- prävention, Liszt aber als Spezialprävention auffaßt. Infolgedessen iden- tifiziert Feuerbach Bestrafungsfähigkeit mit Äbschreckbarkeit, weil nach ihm diejenige Strafe verhängt werden soll, welche das Gesetz angedroht hat, um durch diese Drohung abschreckend zu wirken, v. Liszt aber mit Determinierbarkeit in dem Sinne, daß die verhängte Strafe auf

' E. Kohlrausch, Sollen und Können als Grundlage der strafrecht- lichen Zurechnung. In: Festgabe für Güterbock. Berlin 1910. S. 14 f,

- G. Geib, Lehrbuch des deutschen Strafrechts II. Bd. Leipzig 1862. S. 57. Auf diese Zurechnungslehre Geibs weisen hin: Merkel-Liepmann, Lehre von Verbrechen und Strafe S. 66, und Kahl in der Vergleichenden Darstellung, Ällg. Teil Bd. I, S. 11.

' V. Liszt, Aufsätze II, S. 43, 45 und 85. Derselbe, Lehrbuch des deutschen Straf rechts 23. Aufl. 1921. S. 165.

* Aufsätze II, S. 222 und 227.

* Kennzeichnung und Kritik dieser Doktrin bei M. E. Mayer, Der allgemeine Teil des deutschen Strafrechts. Heidelberg 1915. S. 202 f.

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den Bestraften wirken kann. Feuerbach berücksichtigt die Stärke der sinnlichen Triebfeder und kommt damit zu einer, der ethischen Beur- teilung entgegengesetzten Bewertung, v. Liszt betrachtet dagegen, um die individuellen Bedürfnisse der Spezialprävention zu beurteilen, die antisoziale Gesinnung des Täters und er gelangt damit, indem die Tat um so strafbarer wird, je mehr sie sich aus dem Charakter des Täters erklärt, ähnlich wie die Anhänger der Spezialprävention, welche Feuerbach entgegentraten, zu einer „Ethisierung des Straf- rechts ".^ Dadurch wird bei v. Liszt die Schuld zu einem wesentlichen Moment der Zurechenbarkeit der einzelnen Handlung. In diesem Sinne liegt es als Konsequenz einer nur die zukünftigen Wirkungen der Strafe beachtenden Präventionstheorie, „im Rahmen eines folgerichtigen Sicherungsstrafrechts" nahe, mit Radbruch die grundsätzliche Frage aufzuwerfen, ob nicht überhaupt zwar die „Zurechenbarkeit der Tat dem Kreise jener Merkmale des Verbrechens, auf denen die Strafwürdigkeit beruht, die Zurechnungsfähigkeit des Täters aber dem davon ganz unabhängigen Kreise derjenigen Verbrechens- merkmale, welche die Möglichkeit und Zweckmäßigkeit einer Strafe bedingen", angehört.^ Soll man, wenn die Wirklichkeit der Schuld in jedem einzelnen Fall erwiesen sein muß, ihre Möglichkeit im Sinne der traditionellen Zurechnungsfähigkeit noch zum Gegenstand besonderer Prüfung machen?^

Hier muß zugegeben werden, daß da, wo wir Maßnahmen nur um des Sicherungszweckes willen verhängen, der Gesichtspunkt maßgebend ist, ob wir diese Maßregeln im gegebenen Fall für wirksam halten oder nicht. Das gilt nicht nur von der Behandlung Kranker, sondern ist ein Gesichtspunkt, der z. B. gegenüber kriminellen Jugendlichen mehr und mehr Anerkennung findet, indem hier die Verhängung von Strafen oder Erziehungsmaßnahmen davon abhängig gemacht werden soll, ob das Gericht Erziehungsmaßregeln für aus- reichend oder Strafe für erforderlich hält, um den Jugendlichen an ein gesetzmäßiges Leben zu gewöhnen.^ Überall aber, wo wir strafen, bedarf der Kreis der durch die staatliche Reaktion Betroffenen einer Beschränkung auf diejenigen, denen man aus ihrem Tun einen Vorwurf zu machen berechtigt ist. Denn die Strafe trifft die Tat nicht nur als gefährliche antisoziale Handlung, sondern als Pflichtverletzung, als Unrecht. Wollte der Staat unterschiedslos alle sozialgefährlichen

' Aufsätze II, S. 377.

^ G. Radbruch, Fr. v. Liszts Strafrechtslehrbuch, Deutsche Litcratur- zeitung 1919, Nr. 36, Sp. 683 ff., vgl. Sp. 688.

-' G. Radbruch, Über den Schuldbegriff, Z.Str.W. Bd. 24. 1904. S. 333 ff. * § 4 d. Entw. z. Jugendgerichtsgesetz. 1920. Begründung dazu S. 10.

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Handlungen bestrafen ohne Rücksicht darauf, ob der Täter in seiner geistigen Verfassung krankhaft gestört oder in seiner Entwicklung zurückgeblieben ist, so hätte er in dieser moralisch indifferenten Sphäre sich selbst des Rechts begeben, dem Verbrecher aus seiner Tat den Vorwurf der Pflichtverletzung zu machen. Hier gerade zeigt es sich, daß das staatliche Strafrecht die beste Stütze seiner ver- pflichtenden Kraft wie es Merkel lehrte in seinem Einklang mit ethischen Anschauungen findet. Der Gedanke, daß das staatliche Gebot eine innere Pflicht für den Bürger enthält, fällt in sich zusammen, wenn der Staat den Zurechnungsfähigen und den Verantwortungslosen in gleicher Weise allein nach kriminalistischen Nützlichkeitsrücksichten behandelt. Nicht, daß sich das sittliche Gefühl empört, wenn ein Kranker nach dem strengen Maßstab des Gesunden bestraft wird, ist das Entscheidende, sondern daß dem Verbrecher aus seiner Handlung kein Vorwurf gemacht werden kann, wenn sie genau so zu beurteilen wäre, wie das Tun eines Unzurechnungsfähigen.^

Hiergegen macht die Radbruchsche Argumentation zugunsten des Liszt-Feuerbachschen Begriffes der Zurechnungsfähigkeit geltend, daß selbstverständlich die Schuld, aber gerade deshalb nicht noch neben ihr die Möglichkeit der Schuld Voraussetzung der Strafbarkeit bildet. Der Einwand, daß das Wirkliche immer möglich war, besagt aber nichts gegen die Zurechnungsfähigkeit als Begrenzung der straf- rechtlichen Verantwortlichkeit, wenn man nach Franks Vorgang die Zurechnungsfähigkeit nicht als Voraussetzung, sondern als Element der Schuld auffaßt. Sieht man in ihr mit Kohlrausch eine Vor- aussetzung der Schuld, dann teilen sich allerdings die Wege.^ Vom Standpunkt einer individualisierten Zurechnungsfähigkeit aus, wie sie Bin ding '^ verstanden wissen will, erscheint dann jener Vorwurf berechtigt. Denn wenn man die einzelne spezielle Tat und den ein- zelnen konkreten Täter isoliert betrachtet, so hat man nur zwischen indeterministischen Spekulationen und einer glatten Tautologie die Wahl, indem derjenige, dem eine Tat zugerechnet wird, eben darum als zurechnungsfähig gilt. Hier wäre in der Tat die Zurechnungsfähigkeit nur eine Wiederholung des Wirklichen in der Dimension des Potentiellen. Der Fehler liegt darin, daß man ein objektives Möglichkeitsurteil ein solches liegt der Zurechnungsfähigkeit

' Liepmann, Einleitung in das Strafrecht S. 107.

^ R. Frank, Über den Aufbau des Schuldbegriffs. Gießener Fest- schrift 1907. S.519 ff. E. Kohlrausch, Die Schuld. In: Liszt-Aschrott, Die Reform des Reichsstrafgesetzbuchs. Berlin 1910. S. 180 f.

' K. Binding, Die Normen und ihre Übertretung II. Bd., 1. Hälfte, 2. Aufl. 1914. S. 200 f.

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zugrunde niemals fällen kann auf Grund einer isolierten Einzel- betrachtung, sondern nur auf Grund einer Generalisierung. ^ Nicht an jeden einzelnen Menschen, sondern an einen abstrakten Durch- schnittstyp (diese Normalität ist zumeist keine Norm im Sinne eines heroischen Vorbildes) denkt der Gesetzgeber, und er richtet seine Gebote an diejenigen Menschen, welche einem allgemeinen Durch- schnittsmaß von Pflichtgefühl, von intellektuellen Fähigkeiten, von Energie und Selbstbeherrschung entsprechen. Von einem solchen Mann wird erwartet, daß er die staatlichen Gebote innehält, den Anforderungen der Rechtsordnung zu genügen ist seine Pflicht. Zurechnungsfähigkeit bedeutet ein Urteil darüber, daß der einzelne Delinquent jenem generellen Durchschnittsbilde entspricht, daß er in seiner Individualität die allgemeinen Eigenschaften besitzt, die der Staat in seinen Bürgern voraussetzt und daß ihm darum aus seinem Tun ein Vorwurf gemacht werden kann."

Im Gegensatz zu diesen Überlegungen könnte man aus der jüngsten strafrechtlichen Entwicklung den Eindruck gewinnen, als sei die Schranke zwischen Veranhvortlichkeit und Unzurechnungsfähigkeit im Fallen begriffen und als gehöre die Zukunft dem Gedanken Liszts und Feuerbachs, man solle Ob und Wie der Bestrafung allein davon abhängig machen, wie die Strafe wirken kann. Die italienische Schule, die den konsequenten Sicherungsgedanken am radikalsten zur Anerkennung zu bringen trachtet, versucht die Scheidewand der Zurechnungsfähigkeit zugunsten eines unbegrenzten staatlichen Ver- teidigungsrechts zu durchbrechen, das eine soziale Verantwortlichkeit für alle von Menschen überhaupt vermeidbaren Handlungen begründet.^

^ J. V. Kries, Über den Begriff der objektiven Möglichkeit. Viertel- jahrsschrilt f. wissensch. Philos. Bd. 12, S. 179 ff., 287 ff., 393 ff.

- Über die Zurechnungsfähigkeit auf Grund einer Generalisierung vgl. Liepmann, Einleitung in das Strafrecht. Berlin 1900. S. 168 f. Derselbe, Äbschn. „Zurechnung" in: Religion in Geschichte und Gegen- wart. 1913. Ferner E. Kohlrausch, Sollen und Können als Grundlagen der strafrechtlichen Zurechnung. In: Festschrift für Güterbock. Berlin 1910. S. 1 ff., vgl. S. 24 f. P. Natorp, Willensfreiheit und Verantwortlichkeit in Phil. Äbh. f. H. Cohen, Berlin 1912, S. 203 ff., begründet den der Zu- rechnung zugrunde liegenden Vorwurf des Änderskönnens auf eine Beur- teilung der dem Täter bekannten Bedingungen also eine Generalisierung auf dem Standpunkt ex ante.

** Enrico Ferri, Das Verbrechen als soziale Erscheinung. Deutsche Ausgabe von G. Kurella. Leipzig 1896. S. 274 ff. Derselbe noch neuerdings: Die Reform der Strafjustiz in Italien. Z. Str. W. 41. 1920. S. 473 ff. Vgl. hierzu a 18, Vorentwurf zu einem italienischen Straf- gesetzbuch, 1921, und die Ausführungen der Denkschrift, Deutsche Aus- gabe, S. 227 ff. Über die Widersprüche, in welche die italienische Doktrin

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Aber was noch frappanter ist: unabhängig von allen theoretischen Erörterungen über die Zurechnungsfähigkeit lehrt die Wirklichkeit des Strafvollzuges, daß, wenn man erst einmal Ernst damit gemacht hat, der Freiheitsstrafe jede infamierende Wirkung zu nehmen und über die unsagbar schwere Strafe der Freiheitsentziehung hinaus auf alle absicht- liche Verstärkung ihres Übelscharakters zu verzichten Forderungen innerer Gerechtigkeit wie kriminalpolitischer Zweckmäßigkeit , anderer- seits aber einen energischen Schutz der Gesellschaft vor sozialgefährlichen, wenngleich schuldlos handelnden Personen durchzuführen, dann mehr und mehr die Grenzen zwischen der Strafe Zurechnungsfähiger und der Verwahrung Unzurechnungsfähiger schwinden und beide Institutionen sich in ihrer äußeren Ausgestaltung wie in ihrer psychologischen Wirkung ähneln/ Wozu dann, so könnte man fragen, eine Differen- zierung der Voraussetzungen, wenn die Folge in beiden Fällen die gleiche ist, wozu die Sonderstellung der Zurechnungsfähigen, wenn in jedem Fall nach der gleichen wirksamen Maßnahme gegriffen wird? Gleichwohl wird auch in Zukunft Verurteilung zum Zuchthaus etwas anderes bedeuten als Einweisung in eine Irrenanstalt, wird der Fürsorgezögling nicht das Gefühl haben müssen, als Verbrecher bestraft zu sein. Sicherungs- und Erziehungsmaßnahmen gelten einem sozial- gefährlichen Zustand, Strafe setzt stets eine bestimmte antisoziale Tat voraus. In bezug auf den Unzurechnungsfähigen trägt der Staat die Verantwortung: erweist sich sein Zustand als gefährlich, so hat der Staat dafür zu sorgen, daß er keinen Schaden anrichtet. Er braucht nicht zu warten, bis er ein bestimmtes Unheil angerichtet hat. In vielen Fällen wird freilich erst hierdurch sein gefährlicher Zustand offenbar, aber dann pflegt es meist nicht an Vorwürfen zu fehlen nicht gegenüber dem unzurechnungsfähigen Gemeingefährlichen, sondern gegenüber dem Staat und der Nachlässigkeit der Polizei, die wieder einmal wartete, bis das Kind in den Brunnen gefallen war. Anders gegenüber dem Zurechnungsfähigen. Er trägt selbst dem Staate gegen- über die Verantwortung, seine gefährlichen Neigungen zu bekämpfen ist seine Sache bis er sich zur offenkundigen Tat hinreißen läßt. Jetzt „macht", wie der Sprachgebrauch mit feiner Psychologie sagt, der Staat „ihn verantwortlich", d. h. das, was er selbst hätte tun sollen,

durch ihr Bestreben, ethische Werturteile aus dem Strafrecht zu eliminieren, selbst gerät, siehe Liepmann, Die Reform des deutschen Strafrechts (Hamburgische Schriften Heft 2). 1921. S. 5 ff.

' Ein deutlicher Beweis für die Schwierigkeiten einer Differenzierung in der inneren Struktur und Wirkungsweise von Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung ist das Buch von Exner, Die Theorie der Siche- rungsmittel. Liszts Seminarabhandlungen 3. Folge 1, 1. Berlin 1914.

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zwingt ihm der Staat nunmehr auf, da er sich nicht selbst im Zaume hält, sperrt ihn der Staat ein. So hat im Verhältnis zum Unzurechnungs- fähigen der Staat jederzeit das Recht und die Pflicht, Maßnahmen zum Schutze der Gesellschaft zu ergreifen, während er dem Zurechnungs- fähigen den Schutz der Gesellschaft vor den eigenen Begierden selbst überläßt. Darum ist dem Unzurechnungsfähigen gegenüber jede Maß- nahme moralisch indifferent, während die Verhängung derselben Maßregel der Freiheitsentziehung dem Zurechnungsfähigen gegenüber ein Schuldurteil, den Vorwurf der Pflichtverletzung, des Vertrauens- bruches bedeutet. Das ist nicht ein Dogma und eine Forderung, die sagt, daß es so aufgefaßt werden sollte. Vielmehr ergibt sich dies Bild aus der Erfahrung auf Grund der Tatsache, daß in einem Fall die Beurteilung des gefährlichen Zustandes, im anderen aber der Nachweis einer bestimmten vom Gesetz bezeichneten antisozialen Tat die Voraussetzung der strafrechtlichen Reaktion bildet. Ein strafrecht- liches Einschreiten ist dem Unzurechnungsfähigen gegenüber auch ohne daß eine bestimmte Tat vorliegt und nicht bei jeder verbotenen Handlung, dem Zurechnungsfähigen gegenüber dagegen nur, aber auch stets geboten, wenn er ein Delikt begangen hat. Wenn aber das Recht beide Gruppen von Individuen verschieden behandelt, so hat es einen guten Sinn, durch gesetzliche Kennzeichnung allgemeiner Eigenschaften den Kreis derer zu bestimmen, an die sich die staatlichen Pflichtgebote wenden. Das führt zu einer Ablehnung des Gedankens, es handele sich bei der Zurechnungsfähigkeit nur um die Prüfung der Frage, ob und wie die Strafe wirken kann, und damit zu einer Preisgabe des Begriffes der Zurechnungsfähigkeit im Sinne Erfolg versprechender Bestrafungsmöglichkeit, wie es Liszt und Feuerbach gelehrt haben.

in

Viertes Kapitel

Die Reformbedürftigkeit der bayerischen Kriminalgesetzgebung.

Die kritische Durchdringung der strafrechtlichen Lehren und ihre theoretische Neugestaltung waren das Ziel der ersten Epoche der kriminalistischen Wirksamkeit Änselm von Feuerbachs. Es folgte die zweite Periode seines Schaffens, die unmittelbare praktische Rrbeit an der Weiterbildung des Strafrechts selbst: die Jahre der Reform- arbeiten an der bayerischen Kriminalgesetzgebung, die ihren Abschluß in dem Strafgesetzbuch von 1813 fanden.

Niemals wird man einer gesetzgeberischen Reformarbeit durch bloßen Vergleich des alten mit dem neuen Gesetz gerecht. Ganz besonders dann nicht, wenn der Neuordnung eine starke und einfluß- reiche Bewegung voranging, wie die Reformbewegung der Äufklärungs- zeit. Vieles von dem Neuen war Gemeingut der Kriminalisten geworden, seit langem hatten Gewohnheit und Gerichtsgebrauch, dem Gedanken der Humanität folgend, das geschriebene Recht modifiziert. Die straf- rechtliche Doktrin jener Zeit trug als „Wissenschaft de lege ferenda" ihr Gesicht der Zukunft zugewandt und geriet mehr und mehr unter die Führung ausgesprochener Reformfreunde, deren theoretische Erörterungen der Aufstellung von praktischen Forderungen für die Neugestaltung der künftigen Strafgesetzgebung galten. Indem die Gesetzgebungen der Äufklärungszeit solche Forderungen zu verkörpern suchten, entstand ein enger Zusammenhang zwischen der Gesetzgebung und jener wissenschaftlichen Entwicklung, während ihnen eine organische Verbindung mit den früheren Gesetzen fehlte. Deshalb kann nur ein Vergleich mit den Forderungen der zeitgenössischen Wissenschaft nicht der Fortschritt allein gegenüber dem früheren Rechtszustand ein Wertmaßstab für die Beurteilung der Reformarbeit sein. Und schließlich haben die bisherigen Gesetze auch darum wenig Bedeutung für die Entwicklung der neuen Gesetzgebung, weil die Forderungen der jungen Strafrechtswissenschaft, befruchtet von den Gedanken der Naturrechts- lehrer und von dem Glauben an ihre absolute Vernunftgemäßheit getragen, einen allgemeingültigen, kosmopolitischen Charakter zeigten.

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All diese Umstände erklären es, daß für die historische Betrachtung von Feuerbachs Gesetzgebungswerk der Zustand der bisherigen Gesetzgebung von geringer Bedeutung ist. Die gleichen Strömungen, aus denen heraus seine theoretischen Arbeiten erwachsen sind, bilden den Zusammenhang, in den sein Wirken auch in dieser Epoche hinein- gestellt werden muß. Nur als Hintergrund, von dem sich sein Gesetz- gebungswerk abhebt, erscheinen das frühere bayerische Kriminalrecht und die bisherigen Reformversuche von Bedeutung. Aber in dieser Begrenzung liegt zugleich die Notwendigkeit, bei einer historischen Würdigung des strafrechtlichen Schaffens Änselm v. Feuerbachs an diesen Dingen nicht vorbeizugehen. Denn die Reformbedürftigkeit des bayerischen Kriminalrechts ward für ihn zum Hnreiz, seine Lehren für die praktische Gesetzgebung zu verwerten, der Stein, an dem sich der Funken seines Geistes entzündete. „Nicht den Richtern, sondern allein den Gesetzen, welchen sie dienen sollen," schob er die Verantwortung für die „großen Gebrechen des Criminalwesens" in Bayern zu, die eine gründliche Reform der Strafgesetzgebung zu den dringendsten Bedürfnissen des Staates machten.^

Das alte bayerische Kriminalrecht zeigt einen ausgesprochen konservativen Charakter." Man suchte in der Entwicklung des ge- schriebenen Rechts die Tradition bis auf Kaiser Ludwig zurückzuführen, der seine Söhne in einem Rechtsbuch die in Bayern geltenden Gewohnheitsrechte aufzeichnen ließ (1346). Noch lange mag die bayerische Strafjustiz von der Praxis jenes mittelalterlichen Herzogs Heinrich des Reichen beherrscht gewesen sein, von dem der Chronist rühmte: „Der Herzog last kainen Räuber leben, wo der betretten wird. Man henket auch die Wölff als wol in dem Land als die Räuber oder Dieb."^ Während im Rechtsbuch sich noch keine Bestimmungen über die Folter finden, sah sich die folgende Kodifikation, die Reformation des Landrechts von 1518, bereits genötigt, einem übermäßigen Gebrauch der inzwischen aufgekommenen Tortur entgegenzutreten; niemand sollte ohne „genügsame Anzeige" verhaftet oder auf die Folter gespannt und in allen zweifelhaften Fällen vor Erkennung der Tortur beim Herzog oder dem Hofgericht angefragt werden. Wie überall in Deutschland war die Carolina in Bayern nicht formell gültiges positives Recht, aber sie gewann durch ihren inneren Wert, ihr Bestreben nach begrifflicher Klarheit und den Willen, mit den Mißbräuchen

' Leben und Wirken Bd. I, S. 137.

- Zum folgenden: F. J. Lipowsky, Geschichte des bayerischen Kriminalrechts. München 1803. (Von Feuerbach oft benutzte Quelle.) Jos. R. V. Mussinan, Bayerns Gesetzgebung. München 1835.

* Oeffelc, Script, rer. boic. pag. 312, zitiert bei Lipowsky, S. 29 f.

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einer unzulänglichen Strafjustiz aufzuräumen, einen mehr tatsächlichen als rechtlichen Einfluß.^ Während sie mit ihren verstümmelnden Strafen in Norddeutschland von vornherein als grausam empfunden wurde, bedeutete sie für Süddeutschland, z. B. gegenüber der Nürnberger Praxis, eine Milderung des herrschenden Strafensystems," so sehr sich auch der bayerische Geschichtsschreiber Lipowsky bemüht, zu beweisen, daß die schon vor der CCC entstandenen bayerischen Gesetze „ebensoviel Gutes enthalten"."' Durch die Malefiz-Ordnung Maximilians I. wurde 1616 die Carolina ausdrücklich neben bayerischem Recht als subsidiär geltendes Gesetz anerkannt. Die Malefiz-Ordnung enthielt eine Reihe wohlgemeinter Bestimmungen: die Strafen des Ertrinkens und Lebendig- verbrennens sollten abgeschafft, wer zum dritten Mal, aber nur 5 Gulden gestohlen hat, von der Todesstrafe des a 162 CCC verschont bleiben. Auch durfte grundsätzlich ohne Befehl der kurfürstlichen Justiz -Kollegien kein Landgericht auf peinliche Frage erkennen.

Erst der Codex Juris Bavarici Criminalis von 1751 macht end- gültig auch der subsidiären Geltung der Carolina ein Ende. Freilich nur in formellem Sinne, denn dieses Gesetz, das noch zur Zeit Feuerbachs in Bayern galt, stand inhaltlich in vielem der Carolina nahe. Es war entstanden zu einer Zeit, in der das große Ringen zwischen einem Strafrecht mittelalterlicher Gebundenheit und den Forderungen der kühnen Reformfreunde noch nicht allenthalben entbrannt war. Weithin beherrschten die aus dem Mittelalter über- lieferten, in scholastischer Enge und dogmatischer Starrheit erhärteten Denkformen das Geistesleben. Staatliche und kirchliche Autorität regierten unbeschränkt. Das Strafrecht stand unter dem Einfluß Benedict Carpzovs, in dessen Wirken die Gebundenheit und der Rigorismus jener Zeit ihren erschütterndsten Ausdruck fanden. Und doch war die Morgenröte der neuen Zeit nicht mehr fern. Mit „allzu raschem Trompetenton" hatte nach Malblank* Christian Thomasius das „Signal zum Erwachen" gegeben. Entgegen den positiven Gesetzen bekämpfte er Hexenwahn, Inquisition und Folter, seine Argumente auf die Bibel und die Vernunft stützend.'' Kress, Boehmer und Leyser suchten durch erneute Durchdringung des alten Materials eine mehr kontinuierliche als reformatorische Entwicklung zu fördern. 1748

* V. Bar, Handbuch des deutschen Strafrechts I. Geschichte des deutschen Strafrechts und der Strafrechtstheorien. Berlin 1882. S. 128 f.

'' V, Bar, a. a. O. S. 121 und 129.

•'' Lipowsky S. 90.

■• Malblank, Geschichte der peinl. Gerichtsordnung Kaiser Karl V. Nürnberg 1783. S. 233.

^ Landsberg, Gesch. der deutschen Rechtswissenschaft 3, 1, S. 71 ff.

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erschien Montesquieus Esprit des lois, auf dessen geistvolle An- regungen späterhin die Reformfreunde immer wieder zurückgriffen. Die Zeit stand unmittelbar bevor, da die Männer der Aufklärung, wie es in der überströmenden Sprache jener Zeit hieß, „die Fackel der Philosophie in schaudervolle Martergewölbe und auf die vom Blute dampfenden Schaffotte" trugen/

So war die Jahrhundertmitte die Wende zweier Zeiten. In solchem Äugenblick mußte es für das Schicksal und den Wert einer Gesetz- gebung entscheidend sein, wem ihr Antlitz zugewandt war. Zukunfts- reiche Gedanken zeigten die gesetzgeberischen Bestrebungen in dem erstarkenden Preußen des jungen Friedrich, wo Coccejis Entwürfe versuchten, den Forderungen der öffentlichen Meinung und den Leit- sätzen der fortgeschrittenen Doktrin gerecht zu werden und nicht nur formell das ältere gemeine Recht zu beseitigen, sondern auch materiell- rechtlich Neues zu schaffen.' Anders in Bayern.^ Hier war 1745 der Kurfürst Maximilian 111. Joseph zur Regierung gelangt. Die Macht- politik seiner Vorgänger, die weit über die Kräfte des Landes ging, unglückliche Kriege, feindliche Besatzung im eigenen Land ließen ihn sein Reich verarmt und verwüstet vorfinden. Der Staat war überschuldet. Bettler, Landstreicher und entlassene Soldaten durchzogen wie nach dem 30jährigen Krieg in Scharen das Land, eine Quelle des ständig zunehmenden Verbrechertums. Der Kurfürst hatte den besten Willen, den Leiden seines Volkes zu steuern, nach dem Worte eines Zeit- genossen „ein Ehrenmann, der gut denkt und das Gute will", wie ihn spätere Historiker rühmten: „der liebenswürdigste und gutmütigste Fürst, den sein Volk so innig, wie er das Volk liebte".* Doch fehlten ihm Energie und Kraft zu großen Entschlüssen. So kennzeichnet sein Leben und seine Politik eine Kette von Halbheiten. In seine Erziehung teilten sich der Jesuit Daniel Stadler und der Wolffianer Johannes Hdam Ickstatt. In der Politik schwankte er beständig zwischen Frankreich und Österreich, später zwischen einer Annäherung an Friedrich IL und einem Bündnis mit dessen Gegnern. So konnte auch die Strafrechtspflege von ihm keine durchgreifenden Reformen erwarten. Vielmehr schien ihm gerade angesichts der Notlage der Gegenwart, welche ein energisches Einschreiten gegen das bedrohlich zunehmende Verbrechertum verlangte, jede unerprobte Neuerung

* Lipowsky, a. a. O. S. 130.

Projekt des Corpus Juris Fridericianum 1749 u. 1751. Hälschner, Geschichte des Brandenburg-Preußischen Strafrechts. Bonn 1855. S. 172 ff.

* Zu dem folgenden: M. Doeberl, Entwicklungsgeschichte Bayerns II. Bd. München 1912. S. 254 ff.

' .V.ussinan, Bayerns Gesetzgebung S. 50.

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bedenklich. Gleich der Vergangenheit sah er alles Heil in vielen und strengen StraJen und in einer in den Bahnen des bestehenden Rechts sich bewegenden, sicher und gleichmäßig arbeitenden Rechts- pflege. Darum sollte auch die Gesetzgebung nur das vorhandene Recht klar herausarbeiten und in eine Fassung bringen, die eine gleichmäßige und zuverlässige Handhabung gewährleistete.

Für eine solche konservative Reform fand der Kurfürst die geeignete Persönlichkeit in seinem Kanzler Alois v. Kreittmayr,^ dem Schöpfer der „Neuverbesserten Kurbayerischen Gerichtsordnung" von 1753 und des „Neuen Kurbayerischen Landrechts" von 1756. Von ihm stammt auch der Codex Juris Bavarici Criminalis von 1751.^'

Eine originale Schöpfernatur war Kreittmayr keineswegs. Zu reformatorischen Neuordnungen fehlten ihm Kraft und Schwung. Die Äufklärungsgedanken blieben ihm, wiewohl er gelegentlich Thomasius' Namen nennt, im Grunde in gleicher Weise fremd, wie späterhin die Anfänge der kritischen Philosophie. Doch besaß er eine große Belesenheit und sichere Kenntnisse in der Literatur des positiven Rechts. Ein gesunder Instinkt für das praktisch Gebotene befähigte ihn, mit seinen Bestimmungen den Bedürfnissen der damaligen Rechts- pflege in weitem Maße entgegenzukommen. Durch plastische, sinn- fällige Bezeichnungen, eher volkstümlich als gelehrsam, wußte er abstrakte Rechtsfragen in ausführlichen Anmerkungen zu erläutern und an zahlreichen, dem Leben entnommenen Beispielen zu ver- anschaulichen. So rühmte C. v. Menz, den freilich auch innerlich manch antiquierte Anschauung mit Kreittmayr verband, noch 1827 den Kanzler, „der mit seinem vielen Wissen stets die höchste Lebensweisheit verband und immer das Leben so richtig und treffend ergriff". (!)^

Solche formalen Vorzüge vermögen gleichwohl nicht über den inneren Charakter des Werkes hinwegzutäuschen. Kreittmayr gehört

* Vgl. über ihn: J. Ä. Kalb, Biographie des kurfürstl. bayerischen Staatskanzlers Ä. W. v. Kreittmayr. München 1825. Berner, Die Stral- gesetzgebung in Deutschland. Leipzig 1867. S. 1 ff. Bechmann, Der kurbayerische Kanzler A. v. Kreittmayr. Münchener Äkademierede 1896. Eisenhart, Ällgem. deutsche Biographie Bd. 17, S. 102 ff. Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft 3. Abt., I. Halbbd., S. 222.

München 1751: Gedruckt bei joh. Jak. Yötter, kurfürstl. Hof- und Landschaftsbuchdrucker. Dazu: Anmerkungen über den Cod. Jur. Bavar Crim. von einem unbenannten Authorc (Kreittmayr). München 1752.

•' C. V. Menz, Einige Stücke und Beiträge aus dem Gebiet der Erfahrung im Fache der Gesetzgebung. In: Zu Rheins Beiträge zur Gesetzgebung und prakt. Jurisprudenz I. Bd., S. 188.

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ganz der Zeit an, die sich gerade damals ihrem Ende zuwandte. Erhob sein Kodex auch formell den Anspruch einer selbständigen Kodifikation, so versuchte er doch fast nirgends, materiellrechtlich über den Stand- punkt des älteren Rechts, der Carolina und Carpzovs hinauszukommen. Er bietet ein Bild einer „von der bedeutsamen reformatorischen Bewegung des Strafrechts unberührt gebliebenen, sich nur auf das gemeine Recht in seiner bisherigen Gestalt, die ältere Landesgesetzgebung und heimische Praxis stützenden Gesetzgebung".^

Kreittmayrs Kodex ist ein strafrechtliches Spiegelbild des voll- endeten Fürstenabsolutismus. ^' In harten Strafen sieht er allein das Mittel zur Bekämpfung der Verbrechen, in denen ihm die Hint- ansetzung über den obrigkeitlichen Willen als besonders ver- werflich erscheint. Im Prozeß fehlt es an einer klaren Abgrenzung der Rechtssphäre des Beschuldigten gegenüber den allmächtigen Organen der staatlichen Strafjustiz.

Im Strafensystem hatte die Carolina, so grausam sie den Männern der Aufklärung erscheinen mußte, für ihre Zeit eine gewisse Milderung erstrebt. Entgegen der „Gewohnheit etlicher Gegend" bestimmte sie dem Totschläger die gegenüber dem Rade des Mörders mildere Schwertstrafe (a 137). Weitere Milderungen brachte für Bayern die Malefiz- Ordnung Maximilians I. von 1616. Kreittmayrs Kodex bricht diese mildernde Tendenz jäh ab.'^ Seine Strafdrohungen sind „in Drakos Geist gedacht, geschrieben mit Blut" (Feuerbach).* Rädern, Verbrennen, Vierteilen ohne vorherige Tötung des Hinzurichtenden findet sich als ordentliche Kapitalstrafe, Schleifen zur Richtstatt, Zungen- reißen, „härteres oder langsameres genus mortis" sind qualifizierte Todesarten des Gesetzes. Nur zur „Vermeidung unnötiger Kosten" soll es künftig unterlassen werden, die Stücke des gevierteilten Körpers auf offener Straße aufzuhängen! (cap. 1, § 5 und 6).° Dabei ist von der Todesstrafe reichlichst Gebrauch gemacht. Der Hochverräter wird „auf die Richtstatt geschleift, lebendig alldort gevierteilt oder mit Pferden zerrissen und all sein Hab und Gut dem Fisco heimgeschlagen" (cap. VIII, § 1). Die Entwendung einer Hostie wird mit dem Feuertod

' Hälschner, Geschichte des Brandenburg -Preußischen Strafrechts. Bonn 1855. S. 173.

" V. Bar, Geschichte des deutschen Stralrechts und der Strafrechts- theorien S. 155.

^ Eine Milderung gegenüber der CCC besteht darin, daß der Codex die Strafe des Fingerabhauens beim Meineid, die CCC a 107 als „gemeine gewöhnliche Leibstraff nit ändern" will, gänzlich abschafft.

' Leben und Wirken Bd. 1, S. 130.

' Wo der Codex ohne Zusatz zitiert ist, ist der erste, materiell- rechtliche Teil gemeint.

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(cap. II, § 1 7) bestraft. Die Schwertstrafe steht nicht nur auf Totschlag, Notzucht und Entführung (cap. III, § 1 und cap. VI, §§ 7 und 8), sondern bedroht den Falschmünzer (cap. IX, § 1), den mehrfach rück- fälligen Ehebrecher (cap. V, § 2) oder denjenigen, der einem anderen nachsagt, er hätte ein Kapitalverbrechen begangen (cap. Vlll, § 11). Ruf „großem Diebstahl" (20 fl.) oder „gefährlichem Diebstahl" (Einbruch und Bandendiebstahl) steht der Strang (cap. II, §§ 3 und 5), auf Blut- schande der Feuertod (cap. VI, § 1).

Die grausame Härte des Gesetzes wird besonders bei den Bestimmungen über den Kindesmord offenbar. Das Mittelalter, dem der Kindesmord als Folge des außerehelichen Geschlechtsverkehrs unter dem Einfluß des kanonischen Rechts besonders sündhaft erschien, behandelte ihn als qualifizierten Fall der gemeinen Tötung.^ Außer- dem hatte man ausdrückliche Bestimmungen gegen Verheimlichung der Niederkunft, die sich aus der Schutzbedürftigkeit des nasciturus bei heimlicher Schwangerschaft erklären. Zu Schwarzenbergs Zeit wurden die Kindesmörderinnen „gewöhnlich lebendig begraben und gepfählt" (CCC a 131), während den gemeinen Mörder nur das Rad traf (a 137). In der Carolina selbst läßt sich ein deutliches Schwanken zwischen dem Hbschreckungsprinzip und dem Streben nach einer privilegierenden Behandlung des Kindesmords nachweisen. „Aber darinnen Verzweiflung zu verhüten, mögen dieselben Übeltäterinnen, in welchem Gericht die Bequemlichkeit des Wassers dazu vorhanden ist, ertränkt werden, wo aber solch Übel oft geschähe, wollen wir die gemeldete Gewohnheit des Vergrabens und Pfählens um mehr Furcht willen solcher boshaftigen Weiber auch zulassen ..." (a 131). Im 18. Jahrhundert war der Kindesmord, von dem „sich die Empfind- samkeit der Zeit gewaltsam ergriffen fand", geradezu ein literarischer Lieblingsgegenstand. "'^ Man erkannte, daß man dem Übel nicht mit harten Strafen allein begegnen konnte, sondern vor allem die Mutter vor Beleidigung und Schande schützen mußte. Findelhäuser wurden errichtet und erweckten das Interesse menschenfreundlicher Reformer. Zugleich begann man einzusehen, wie der Entschluß der unehelichen Mutter durch ihre physiologische Situation und vor allem durch ihre innere Notlage, ihre Angst vor Schande, bestimmt wird. Friedrich der Große schaffte 1740 die Strafe des Säckens ab und Beccaria ward späterhin (1764) zum beredten Verteidiger jener unglücklichen Frauen: ,,Wie sollte die, welche die Wahl hat zwischen der Schande

' V. Liszt, Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts. Besonderer Teil Bd. V, S. 106 ff.

^ L. Günther, Die Strafrechtsreform im Hufkiärungszeitalter. Gross' Archiv Bd. 28, S. 246 ff.

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und dem Tod eines für Leiden noch unempfindlichen Wesens, nicht diesen dem unausbleiblichen Elend vorziehen, dem sie und der unglück- liche Sprößling ausgesetzt sein werden?!"^

Kreittmayr blieb von solcher Enhvicklung unberührt. Rückständiger noch als die tastenden Versuche der Carolina bedroht er den Kindesmord mit der Strafe für gemeinen Totschlag und bemerkt mit unverständigem Staunen, daß „manchen Rechtsgelehrten die Ordinari-Sfa-aff hart zu sein" scheine.^ Der Lehre Carpzovs folgend, daß die Verheimlichung der Schwangerschaft eine Präsumtion für den Vorsatz des Kindesmords bedeute,^ soll jede ledige Weibsperson, die heimlich niederkommt und deren Kind tot aufgefunden wird, mit der Entschuldigung, sie habe ein totes Kind geboren, „nicht angehört, sondern für eine Kindes- mörderin gehalten und mit dem Schwert am Leben bestrafft werden" (cap. VII, § 21). Hier sei, meint Kreittmayr, das bisherige Recht „mehr in favorem als in odium feminarum" abgeändert, denn eine erschreckende Spitzfindigkeit! nach den alten bayerischen Gesetzen forderte man ausdrückliches Leugnen der Schwangerschaft, jetzt aber brauche bis zur Niederkunft die Frau ihren Zustand nicht zu offenbaren!^ In verhängnisvoller Weise hat sich der Gedanke eines solchen Mißtrauens gegenüber der unglücklichen Mutter, die ihren Zustand verheimlicht hat, lange behauptet und noch in Feuer- bachs Strafgesetzbuch zu einer gesetzlichen Sanktionierung von Verdachtstrafen beim Kindesmord geführt.

In solch harten Strafdrohungen spricht sich neben dem Einfluß kirchlicher Vorstellungen über die Sündhaftigkeit unmoralischer Handlungen der Äbschreckungscharakter des Kreittmayrschen Strafensystems aus, der in Verbindung mit einem unnachsichtlichen Vergeltungsdrang jeden Terrorismus rechtfertigte. Von solchen Voraussetzungen aus muß, wie es Fe u erb ach Kreittmayr vorwarf, „ein Gesetzgeber seine unbedachtsame Strenge in immer wachsender Progression zum Extrem aller möglichen Grausamkeiten hinaufsteigern, damit der vorige Stachel, gegen welchen sich immer die Gemüter abstumpfen, eine neue schneidende Spitze bekomme". Dabei blieb solch blutige Strafjustiz im Kampf gegen das Verbrechertum letzten Endes ein untaugliches Mittel: die Zahl der Verbrechen nahm zu, „so wie sich die Galgen und Räder an den Landstraßen mehrten"!^

' Cesare Beccaria, Über Verbrechen und Strafen. Übersetzt von K. Esselborn. Leipzig 1905. S. 153.

- Anmerkungen über den Cod. Jur. Bav. Crim. Änm. a zu cap. III, § 19.

' Pract. Nov. Rer. Crim. Qu. 15, Nr. 51.

* Anm. zum Codex, Änm. c zu cap. VII, § 21.

'- Leben und Wirken Bd. I, S. 132.

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Mit solch drakonischen Strafen wetteiferte ein System rigoroser kriminalpolitischer Sicherungsmittel. So modern der Gedanke eines den Straf Sanktionen angegliederten Systems sichernder Maßnahmen anmutet, sie waren bei dem Mangel jeglicher rationeller Vollzugs- vorschriften und dem trostlosen Tiefstand der alten Zucht- und Werkhäuser nicht viel anders als eine Legitimierung reiner Kampf- maßnahmen gegen das Verbrechertum, wobei die wenigen, im Interesse der Rechtssicherheit gezogenen Schranken der Strafjustiz fielen und der des Verbrechens Verdächtigte selbst ohne die bescheidenen Rechtsgarantien des alten Strafrechts den allmächtigen Staatsorganen gegenüberstand. Dabei wurden die verhängten Maßnahmen von den Betroffenen kaum minder einschneidend empfunden als die eigentlichen Kriminalsh-afen. Ist doch die Freiheitsstrafe, die im Mittelpunkt des modernen Strafensystems steht, ursprünglich als wichtigste „bloße" Sicherungsmaßnahme verhängt worden. Die Carolina kennt neben der Sicherungshaft von unbestimmter Dauer (Straff oder Ver- sorgung a 176) nur ausnahmsweise die Androhung der Freiheitsstrafe subsidiär neben Geldstrafe (a 157). Kreittmayr betont zwar aus- drücklich, „Gefängnuss dient nicht nur zur Verwahr, sondern auch zur Straff" (Änm. zum Codex Tl. I, cap. I, § 9e), doch ist auch bei ihm im Gesetz Freiheitsstrafe nur in wenigen und nicht bedeutenden Fällen angedroht. Häufiger war die Verhängung von Gefängnis als „poena extraordinaria", wie man ja überhaupt aus dem gesetzlichen Strafensystem des Codex Juris Bavarici allein kein zutreffendes Bild der damaligen Strafrechtspflege erhält.

Am schärfsten prägt sich der rigorose Charakter jenes Sicherungs- rechts auf dem Gebiet aus, wo man kann sagen: durch Jahrhunderte hindurch die staatliche Ordnung in schwerem Kampfe mit einer gewohnheitsmäßigen, schwer faßbaren Form chronischer Kriminalität begriffen war: begünstigt durch die nur dünne Besiedelung des platten Landes, die staatliche Zerrissenheit, die machtlose, schlecht organisierte Exekutive erwuchs den Territorien in dem berufsmäßigen Bettler- und Vagabundentum eine unversiegbare Quelle ständiger Beunruhigungen.^ Diesen Leuten trat man mit äußerster Rücksichtslosigkeit entgegen. Kreittmayrs Codex bringt einen Katalog solcher Persönlichkeiten, der nicht ohne kulturhistorisches Interesse ist: Bettler, Vaganten, Stationierer, Wallfahrter, Pilger, Gartenknechte, abgedankte Soldaten, fahrende Schüler, verstellte Pfaffen, Klausner, Eremiten, Pfannenflicker, Spielleut, Schergen, Freileut, Schinder u. dgl. (Tl. 1, cap. IX, § 1). Werden solche Personen

' Vgl. R. Schmidt, Die Aufgaben der Strafrechtspflege. Leipzig 1895. S. 178 H.

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„aui dem Bettel -Vagiren oder Müssiggang betreten", so werden sie, falls sie nicht Bayern sind, gegen geschworene Uriehde und Huibrennung des Buchstabens B des Landes verwiesen. Werden sie ein zweites Mal in Bayern aufgegriffen, so werden sie „als Verächter des Chur- und landesfürstlichen hohen Gebotes" hier wird die besondere Bewertung des Verbrechens als Verletzung obrigkeitlichen Willens offenbar „von dem Leben zum Tode, und zwar die Mannsbilder mit dem Strang, die Weibsbilder aber mit dem Schwert hingerichtet.. ." (ebendort). Eine Brutalität, die in gar keinem Verhältnis zu der oft nur geringen kriminellen Energie ihrer einzelnen Opfer stand und die sich nur als Konsequenz des untauglichen, aber immer wieder unternommenen Versuchs erklärt, Massenerscheinungen allein mit strengen Strafen zu begegnen. Dabei trat man im Prozeß diesen Leuten von vorn- herein mit einem noch stärkeren Mißtrauen als anderen Verdächtigen entgegen. Die Folter durfte ihnen gegenüber auch bei Nicht -Kapital- verbrechen angewandt werden (Tl. II, cap. VIII, § 6). Werden sie „an abseitigen Orten", mit Dietrichen, Leimruten, Gewehr od. dgl. „oder sonst etwas mehr als andere gemeine Bettler und Müßiggänger verdächtig" befunden, so werden sie ohne Anfrage auf die Reck gezogen. Bekennen sie. hier nichts, so „sind selbe ebenfalls ohne weiteren Prozeß und Anfrage wenigist auf Jahr und Tag wegen des verbotenen Bettels und Müßiggangs in das Arbeitshaus mit Determinierung deren alldort zu empfangenhabender Carbatsch- Streichen zu liefern" (Tl. 1, cap. XI, § 5). Ein Hinwegsetzen über anerkannte Grundsätze des damaligen Strafrechts glaubte man den „verschreyt- und in öffentlichen Charten beschriebenen Dieben oder Räubern oder dergleichen fürchterlich- und gefährlichen Leuten" gegenüber also da, wo man einmal einer wirklich ernsthaften Kriminalität gegenüberstand, zu rechtfertigen: Während sonst die ausgestandene Tortur vor jedem Verdacht reinigte und zum völligen Freispruch führen mußte, sind diese Leute „auch post Torturam nicht zu entlassen, sondern in dem Arbeitshaus lebenslänglich oder doch auf lange Jahre einzusperren, weil solches nicht so viel zur Straff als guter Disziplin anzusehen ist" (Tl. II, cap. VIII, §22).

Solch harte Strafjustiz, in der etwas wiederklingt von dem Pathos des vollendeten Fürstenabsolutismus, wurde noch begünstigt durch die Ansprüche klerikaler Intoleranz. Der Kurfürst stellte, seiner allgemeinen Politik einer „ausschließlichen Katholizität" des Landes entsprechend, das weltliche Recht völlig in den Dienst der katholischen Kirche, Nicht nur wird der Abfall vom Katholizismus zum Heidentum und Judentum mit Schwert und Güterkonfiskation bestraft (Tl. I, cap. VII, § 4), sondern im Zeitalter Friedrichs des Großen und Voltaires

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aufs neue die Ketzerei strafrechtlicli geahndet. Diejenigen, die den „Christ -katholischen Glaubensartikeln widerige Meinungen wissentlich hegen und verfechten", sollen zunächst von der Geistlichkeit unter- richtet werden. Bleiben sie darnach „halsstarrig", so sind sie „des Landes gegen geschworene Urfehd auf ewig zu verweisen oder ein- zusperren und mit geringer Kost so lang in Verwahr zu halten, bis sie ihren Fehler erkannt, abgelegt und widerrufen haben" (Tl. I, cap. VII, § 5). Nun aber die qualifizierten Fälle: „Aufwieglerische" Ketzerei wird mit dem Schwert und Verbrennen des Leichnams, „leichtfertige" Ketzerei willkürlich gestraft (ebendort). Darüber, ob eine Handlung oder Äußerung gegen die Lehren der katholischen Kirche verstößt und eine offenbare Ketzerei darstellt, entscheidet das geistliche Gericht der Kirche. Einer ähnlichen Gedankenwelt entstammen die Bestimmungen über die Bestrafung von Zauberei und Hexentum. Während die Carolina dieses Verbrechen zu säkularisieren suchte und die ordentliche Strafe des Feuertodes auf die Fälle beschränkte, wo die Zauberei einen objektiven Schaden verursacht hatte (a 109), bedrohten die Sächsischen Konstitutionen das Teufelsbündnis als solches also ein rein geistiges Delikt mit dem Feuertod, die Schadenszufügung durch Zauberei aber mit dem Schwert.^ Carpzov, bei dem die fanatische Härte seiner strafrechtlichen Wirksamkeit nicht zuletzt auf seinem Glauben beruhte, mit der Strafjustiz die sittlichen und religiösen Grundlagen des Volkslebens stützen zu müssen, folgte der sächsischen Praxis und verhalf ihr zu nachhaltigem Einfluß." Doch lebte späterhin, wie die Tübinger Konzilien zeigen, in der Praxis die Tendenz auf, im Gegensatz zu Carpzov zu der milderen Auffassung der Carolina zurückzugehen: „cui inhaerere potius convenit quam textui vim inferre."^ Kreittmayr dagegen folgt in Wort und Sinn völlig Carpzovs Vorbild. Teufels- bündnis wird mit lebendiger Verbrennung, Schadenszufügung durch Zauberei mit dem Schwert, abergläubische Possen und Künste mit geringerer Strafe geahndet (Tl. I, cap. VII, § 7).*

^ Schletter, Die Konstitutionen Kurfürst Augusts von Sachsen. Leipzig 1857. S. 315 ff.

- Vgl. Nov. Pract. Qu. 49, Nr. 23 ff.

° M. Grass, CoUationes iur. civ. Rom. Tübingen 1723. In: R. Hegler, Die prakt. Tätigkeit der Juristenfakultäten. Freiburg 1899. S. 25.

* Mit kindlichem Anthropomorphismus wird in den Anmerkungen zu dieser Bestimmung die Huldigung vor dem Teufel bei versammeltem Hexen- tanz am Sonntag früh in der Kirche geschildert. Kreittmayr steht hier ganz in der Gedankenwelt Carpzovs und des Frölichschen Carolinenkommentars. Für die lebendige Darstellung jener märchenhaften Vorgänge aber war seine Quelle der protestantische Kirchenrat Joh. Georg Wal eh. Dessen Philoso- phisches Wörterbuch brachte noch in späteren Auflagen neben realistischen.

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So wurden denn noch einmal Ketzerei und Hexenwahn gesetzlich sanktioniert. Ein halbes Jahrhundert nachdem Thomasius Ketzerei als Irrtum, als Fehler des Intellekts, nicht des Willens erklärt und gezeigt hatte, daß man zwar von einer geistigen Wirkung des Teufels, Verführung zu schlechtem Lebenswandel, der alle Menschen unterliegen, reden kann, daß aber Bündnisse und Buhlschaften mit dem Teufel ein Ding der Unmöglichkeit sind/ Und jener bayerische Stiftsdechant und Pfarrer zum heiligen Peter in Neuburg, Leonhard Mayr, der sein Sterberegister vom Jahre 1630, in das er wieder den Namen von so mancher hingerichteten Hexe aufnehmen mußte, schloß mit den Worten: „Sic annus finem habuit, faxit Deus, ut finem quoque habeat ille modus procedendi plurimum suspectus"^ er wäre durch Kreittmayr aufs neue enttäuscht worden. Alle Bedenken und Proteste der Zeit, in der bereits die Morgenluft der Hufklärung fühlbar wurde, bewegen ihn nur zu der Warnung: „nicht alles, was dem menschlichen schwachen Verstände unergründlich scheint, gleich für Hexenwerk und Aberglauben anzusehen" (cap. VII, § 7). Innerlich stand er selbst jedenfalls kaum über den Vorurteilen orthodox kirchlicher Kreise. Er selbst war im Jesuitenkolleg erzogen, sieben seiner Schwestern nahmen den Schleier, „ob gezwungen oder ungezwungen, fügt der Biograph hinzu, ist ganz begreiflich unbekannt geblieben".^ So entsprach es seinen eigenen Anschauungen, wenn neben der Allgewalt des Staates die Ansprüche der Kirche im Gesetz voll zur Geltung kamen. Auch hier ein An- knüpfen an das Gegebene, kein zukunftsreiches Fortführen der Gesetz- gebungsreform, eine Zurückhaltung, wie sie Kreittmayr geradezu als Verdienst angerechnet wurde : „Ein Gesetzesverfasser dürfe durch- aus und unter gar keiner Bedingung dem herrschenden Zeit- geist vorspringen oder vorgreifen."'*

aus Bodinus, Torreblanca und Fausts Leben geschöpften Schilderungen der Walpurgisnacht auf dem Blocksberg als Apologie gegen die seit den Tagen des Erasmus einsetzende Kritik einen „historischen Beweis", in dem aus den Wirkungen des Teufels auf seine Existenz geschlossen wird. Diese Wirkungen sollten sein: übereinstimmende Aussagen geständiger Hexen und biblische Erzählungen, die sich nicht rationalistisch, nur magisch erklären lassen. Joh. G. Wa Ichs Philos. Lexikon, fortgesetzt u. vermehrt von J. Chr. Hennings, 4. Aufl. Leipzig 1775. S. 1918 H.

^ An haeresis sit crimen? (1697), De crimine magiae (1701). Dazu: Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft 3, I, S. 85u. 91.

- Aus den Akten mitgeteilt in: Lipowsky, Geschichte des bayerischen Kriminalrechts S. 210.

' Kalb, Biographie des kurfürstl. Staatskanzlers v. Kreittmayr 5.2.

* Kalb, a.a.O. S. 11. Vgl. Berners Spott: „In unsrcs guten Kreittmayrs Kopf spukt noch die ganze Walpurgisnacht!" Strafgesetz- gebung in Deutschland. Leipzig 1867. S. 6.

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Gehört somit Kreittmayrs Werk, kulturhistorisch betrachtet, einer schon zu seiner Zeit dem Ende nahen Epoche an, so stellt es auch rein strafrechtlich einen Ausläufer einer vergangenen Zeit dar. Seine Zurechnungslehre spiegelt noch einmal die strafrechtlichen Lehren des 17. Jahrhunderts wieder, die in Benedict Carpzov ihren stärksten Ausdruck gefunden hatten. Diese späte Kodifikation Carpzovscher Gedanken ist ein Beweis für den Einfluß Carpzovs auf die Entwicklung des deutschen Strafrechts, der, an Ruhm und Ansehen nur Bartolus vergleichbar, über ein Jahrhundert lang Doktrin und Praxis als Autorität beherrschte.^ Und indem Feuerbach berufen war, Kreittmayrs Codex durch ein neues Gesetzbuch zu ersetzen, bilden dessen Arbeiten für die bayerische Strafrechtsreform die große geschichtliche Scheide zwischen der Gedankenwelt Carpzovs und den Anfängen des modernen Strafrechts.

Untersucht man Begriff und Formen der strafrechtlichen Schuld bei Kreittmayr, so ist die Frage vor allem die, ob man über- haupt im alten Strafrecht in Fällen, in denen einer verschiedenen inneren Beziehung des Täters zur Tat und zu ihrem Erfolg entsprechend die Straffolgen differenziert wurden, diese Differenzierung tat- sächlich auf verschiedene Formen der Verschuldung zurückführte. Für die Abgrenzung der Tatbestände, die entwicklungsgeschichtlich zur Rufstellung bestimmter Schuldformen geführt haben, waren zwei Momente von Bedeutung. Einmal die Notwendigkeit, die vom Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten der Bestrafung den Bedürfnissen des Einzelfalls anzupassen und sodann die Beweisschwierigkeiten, mit den Mitteln und den Zielen des Inquisitionsprozesses das Innen- leben des Täters aufzudecken. Nur wenn man sich klar gemacht hat, welche Stellung das alte gemeine Recht diesen beiden Problemen gegenüber einnahm, kann man die schwankende Abgrenzung und die mangelnde Differenzierung der strafrechtlichen Schuldhaftung verstehen.

Das ältere gemeine Recht war beherrscht von dem Gegensatz zwischen der von dem Gesetz für einen idealen Normalfall angedrohten poena ordinaria und der vom Richter der Individualität des einzelnen Falles entsprechend modifizierten poena extraordinaria. Ein Prinzip, das dazu half, unzeitgemäße Grausamkeiten veralteter Strafgesetze gewohnheitsrechtlich außer Kraft zu setzen, das aber wegen seiner Gefahr für die Autorität des positiven Rechts von den Kritikern der Äuiklärungszeit und namentlich von Feuerbach nicht weniger scharf als die alten Gesetze selbst bekämpft wurde. ^ Kreittmayr überließ

' Stintzing, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft 2. Äbtlg. München und Leipzig 1884. S. 61. - Vgl. oben Kap. I, S. 24 f.

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die Modifikation der gesetzlich vorgesehenen Strafe nicht völlig richter- licher Willkür, indem er ein Abgehen von der „ordinari Straff" nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung oder per analogiam juris zuließ (Tl. I, cap. I, § 13). Dieser Bindung des Richters an das positive Gesetz entsprach eine Stärkung der Autorität des erkennenden Gerichts: die gemeinrechtlich übliche Äktenversendung an höhere Kollegien wurde verboten, statt dessen sollten die Richter selbst zweifelhafte Fälle „ex aequitate et analogia juris ihrem besten Wissen und Gewissen nach ohne Änfrag" entscheiden und lediglich hinterher an den geheimen Rat berichten, der dann eine eventuelle Gesetzes- änderung erwägt.^ Von diesen Prinzipien galt als wichtigste Ausnahme die Bestimmung, daß bei einer strafwürdigen Handlungsweise eines Bettlers und Vagabunden, die nicht unter einen bestimmten Tatbestand des Gesetzes fällt, der Fall „zu denen churfürstlichen Dikasteriis ein- berichtet und die Decision, wie derselbe zu bestrafen sein möchte, von dort erwartet werden" sollte (Tl. I, cap. II, § 10).

Auch über diesen Sonderfall hinaus bot das Gesetz mannigfachen Anlaß, die Strafe den Bedürfnissen des Einzelfalls entsprechend zu modifizieren. In vielen Fällen ist vom Gesetz eine willkürliche, d. h. absolut unbestimmte Strafe angedroht, sodaß der Richter zwar, ob er strafen soll, dem Gesetz, wie hoch aber, eigenem Ermessen entnehmen muß. Dazu kennt das Gesetz eine große Zahl von Milderungsgründen, die in den Fällen, in denen eine bestimmte Strafgröße angedroht ist, zur willkürlichen poena extraordinaria berechtigen. Nimmt man hinzu, daß für zahlreiche Delikte als ordentliche Strafe die Todesstrafe angedroht war, und Kreittmayr, eine alte Kontroverse „in mitiorem" entscheidend, bei willkürlicher Strafe die Todesstrafe ausschloß, so ist klar, daß auch nach dem Kreittmayrschen Gesetzbuch für die Urteilstätigkeit des Richters die Frage von höchster Bedeutung war, ob die bestimmte ordentliche Strafe oder die nach Größe und Art vom Ermessen des Richters abhängige poena extraordinaria anzuwenden sei.

Dieser Fragestellung erwuchs eine weitere besondere Bedeutung aus dem Verhältnis prozessualer Besonderheiten zur Anwendung der poena extraordinaria. Kreittmayr huldigte dem alten Inqui- sitionsprozeß, der von dem Gegensatz zwischen einem grenzenlosen Mißtrauen gegen den Beschuldigten und einer weitgehenden Vorsicht von unendlicher Naivität, die einen allgemeingültigen Nachweis absoluter Wahrheit zur Verurteilung forderte, durchzogen war. Hierin liegt die psychologische Wurzel der Tortur und der ganzen Ausprägung, die der

* Mandatum praemissum zum Codex Juris Bav. Crim.

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Inquisitionsprozeß und sein Beweisrecht bei den italienischen Juristen in den Formen erhalten haben, die in Deutschland rezipiert wurden. So knüpfte man die Verhängung der gesetzlich angedrohten Strafe an die Erfüllung gesetzlicher Beweisregeln, in denen man eine Garantie objektiver Wahrheit zu sehen glaubte und konnte sich doch nicht entschließen, wenn jene Beweisregeln nicht erfüllt waren, den Ver- dächtigen frei laufen zu lassen. So entstand das absurde Kompromiß der milderen poena extraordinaria als Verdachtstrafe. Diese Lehre der italienischen Doktrin behielt ihren unheilvollen Einfluß durch das ganze ältere gemeine Recht. ^ Ihre Nachwirkung ist noch bei Feuer- bach fühlbar. Bei Kreittmayr sind Folter- und Verdachtstrafe in vollem Umfang in Geltung. Dem a 22 CCC entsprechend ist zur Verurteilung zur ordentlichen Strafe „sonderbar da es an Leib und Leben gehen soll" „ein vollständiger sonnenklarer Beweis von Nöten, welcher auf zweierlei Weis, nämlich die Bekenntnis des Delinquenten oder desselben gänzliche Überweisung (d. h. durch zwei klassische Zeugen) bewirket wird" (Tl. II, cap. V, § 1). Andere Umstände, aus denen sich die Tat „rechtlich vermuten" läßt, Indizien führen nur zur peinlichen Frage oder zur „extraordinari Straff". Dieser prozessualen Regelung entspricht die materiellrechtliche Bestim- mung, daß ein Mangel im Beweis zur Verwandlung der ordentlichen in die willkürliche außerordentliche Strafe berechtigt (Tl. I, cap. I, § 24). Die Schlußbestimmung des materiellen Teils (Tl. I, cap. XII, § 11) bedroht allgemein den Verdacht eines Verbrechens mit außerordentlicher Strafe. So führte polizeistaatliche Ängstlichkeit im Verein mit jener beweisrechtlichen Naivität zu der grotesken Schöpfung: dem Ver- brechen, eines Verbrechens verdächtig zu sein!

Im übrigen ist der Inquisitionsprozeß bei Kreittmayr besonders rigoros ausgestaltet. Das ehrliche Bestreben der Carolina, durch bis ins einzelne gehende Anweisungen an den Richter, der im Inquisitions- prozeß zugleich Defensor sein sollte, die Verteidigung des Angeklagten sicherzustellen, da „mancher aus Einfalt und Schrecken nit fürzuschlagen weiß, ob er gleich unschuldig ist" (a 47), ist hier keineswegs fortgesetzt. Die Pflichten des Richters, für die Verteidigung des Angeklagten zu sorgen, sind eng begrenzt, ein Entlastungsbeweis aufs äußerste erschwert. Dem Angeklagten soll der Inhalt der einzelnen Zeugenaussagen vorenthalten werden (Tl. II, cap.V, § 20). Ausdrücklich wird davor gewarnt, den „rechtlichen Favor" beim Entlastungsbeweis zu weit auszudehnen, d. h. dem von Carpzov befürworteten Gedanken zu sehr nachzugeben,

* Liepmann, Gedanken über den Rechtsirrtum. Z. Str.W. 39, S. 533. Auf diese Abhandlung sei hier auch für die unmittelbar folgende Dar- stellung verwiesen.

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daß der Nachweis von Momenten, die zugunsten des Angeklagten spreclien, nicht an die strengen Voraussetzungen des formalen Schuld- beweises geknüpft sei.^ „Zwanzig Unschuldige auf dem Schaffot oder im Zuchthaus" scheinen nach einem Wort Feuerbachs dem Urheber solcher Bestimmungen lieber zu sein, als wenn „ein Schuldiger den Händen der Gerechtigkeit entschlüpft"!^

In welcher Weise haben nun diese Momente auf die Ausgestaltung der Zurechnungsprinzipien und Schuldformen gewirkt? Kreittmayr hat bereits im Gegensatz zu Carpzov einen allgemeinen Teil: „Von denen Criminalverbrechen und Straffen überhaupt", aber trotzdem sind auch bei ihm wichtige Fragen der Zurechenbarkeit, vor allem die Abgrenzung des Dolusbegriffes in der seit den Postglossatoren üblichen Weise bei den Tötungsdelikten behandelt. „Ein Verbrechen wird begangen", heißt es in den einleitenden allgemeinen Bestimmungen (Tl. I, cap. I, § 3), „da man gegen das Gesetz etwas tut oder unterlasset, und zwar ent- weder aus gefährlichem bösem Fürsatz oder aus merklichem Versehen, zu Latein dolo vel culpa ..." Und die Anmerkungen fügen hinzu: „. . . wo keins von beiden ist, da ist auch kein Verbrechen, folglich keine Straff." Wie es scheint, eine klare und eindeutige Ausprägung des Verschuldungsprinzips. Und doch zeigt eine nähere Untersuchung, daß bei Kreittmayr keineswegs Vorsatz und Fahrlässigkeit als selbständige Schuldformen gedacht sind.

Eine Legaldefinition des Vorsatzes findet sich im Codex Juris Bavarici Criminalis nicht. In den Anmerkungen bestimmt Kreittmayr den Vorsatz als die „böse Meinung, dem andern Schaden zu tun", und er versteht darunter sowohl die Fälle, in denen der Täter „das ausgeübte Verbrechen schon vorgehabt", als auch die, in denen er „in böser Meinung, Schaden zu tun, etwas unternimmt, woraus die verübte Übeltat gemeiniglich zu erfolgen pflegte, ob man schon selbe in specie nicht vorgehabt hat" (Anm. zu Tl. I, cap. I, § 3b). Diese Begriffsbestimmung entspringt einer Lehre, die, von Carpzov stark beeinflußt, in der Entwicklung freilich schon über ihn hinaus gediehen war. Carpzov ging nicht von einer allgemeinen Unter- suchung der Zurechenbarkeit zur Schuld aus, sondern er fragte nach dem Umfang der Strafbarkeit. Auf homicidium simplex dolosum steht als poena ordinaria für Totschlag das Schwert. Ein solcher vorsätzlicher Totschlag ist normalerweise ex voluntate et animo occidendi begangen. Quid autem, si animus occidendi desit? . . . Anne delinquens poena mortis sive gladi puniri debeat?'^ Ungezählte Morde

' Carpzov, Pract. Nov. Rcr. Crim. Qu. 115, Nr. 75.

■' Leben und Wirken I, S. 13L

» Pract. Nov. Rcr. Crim. Qu. 1, Nr. 15.

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blieben ungesühnt mit Hilfe der Ädvokati, „quorum Studium plerumque est lites ac inquisitiones protrahere", wenn die ordentliche Strafe auf die Fälle beschränkt bliebe, in denen eine unmittelbare Tötungsabsicht nachgewiesen ist/ Carpzov entscheidet daher jene Frage dahin, daß derjenige, der einem andern eine Verletzung beibringt, welche allgemein geeignet war, den Tod herbeizuführen, auch wenn er den Tod des andern nicht gewollt hatte, geradeso mit der poena ordinaria bestraft werden müßte, wie wenn er den Tod beabsichtigt hätte: ac si habeat animum occidendi." Wer auf einen andern mit einer lebensgefährlichen Waffe losgeht, lediglich um ihn zu verwunden, wird mit der Strafe des vorsätzlichen Totschlägers bestraft, wenn der andere an seinen Verletzungen stirbt. Mit dieser Entscheidung rezipierte Carpzov die bei den Postglossatoren durch den Einfluß des Baldus zur Herrschaft gebrachte Doctrina Bartoli.^

Hierbei handelt es sich für Carpzov zunächst keineswegs darum, den Begriff des Tötungsvorsatzes inhaltlich zu erweitern, als viel- mehr die Anwendbarkeit der poena ordinaria auf Fälle auszudehnen, in denen der durch Menschenhand verursachte Tod eines andern nicht beabsichtigt oder aber diese Absicht nicht nachweisbar war. Diesen Gedanken drückt er auch in der Weise aus, daß in diesen Fällen der gleiche, aber als solcher nicht beweisbare animus occidendi präsumiert wird. Der gleiche Vorsatz ist, ohne an Inhalt und Umfang geändert zu sein, um seiner Unerweislichkeit halber ein dolus praesumtus. Wer mit dem Schwert den andern anfällt und ihn tödlich trifft, dem wird nicht geglaubt, daß er ihn nicht töten wollte und er wird deshalb so bestraft, als ob er ihn animo occidendi getötet hätte. Quia seit aut sattem scire debebat, certo et destinato modo vulnus praesertim gladio vel simili instrumento ad homicidium perpetrandum apto dari non posse, in effectu negari nequit, quin talis habeat animum occidendi . . .*

* Qu. 1, Nr. 42. Auch Stintzing, Geschichte der deutschen Rechts- wissenschaft II. Abt., 1884, S. 77, legt entscheidendes Gewicht auf diese Begründung der Carpzovschen Doluslehre. ' Qu. 1, Nr. 28.

'■' Vgl. hierüber Engclmann, Die Schuldlehre der Postglossatoren. Leipzig 1895. S.77 ff. Bartolus (Digest, ad nov. ad 1. Corn. de sie, 1. divus, Nr. 7): Si quidem delictum, quod principaliter facere proposuerat, tendit ad illum finem, qui secutus est, et tunc inspicimus eventum. Baldus spricht ausdrücklich davon (Lectura in Codice IVmandati 1. si mandati), daß derjenige, der einen andern in der Absicht, ihn nur zu verwunden, mit einer Waffe verletzt, die aptum ad inferendum mortem ist, zu bestrafen sei: ac si habuis- set animum occidendi. (Zitiert bei Engelmann S. 79 f.)

* Qu. 1, Nr. 28. Lobe, Die allgemeinen strafrechtlichen Begriffe nach Carpzov, Leipzig 1894, S. 13, sieht hierin keine Dolus-Präsumtion, sondern meint, hier werde das Bewußtsein der Möglichkeit des Erfolges beim Gebrauch gefährlicher Werkzeuge lediglich „angenommen".

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Mit diesen Lehren hätte sich Carpzov begnügen können, um die Schwertstrafe auch für die tödlich verlaufenen, generell gefährlichen vorsätzlichen Verletzungen zu rechtfertigen. Wenn er weiterhin ver- sucht, den Tötungsvorsatz auch inhaltlich begrifflich auf jene Fälle zu erweitern, so ist das ein Beweis dogmatischer Unklarheit in den grundlegenden Fragen der Zurechnungslehre. Sonst hätte er erkennen müssen, daß Präsumtion des animus occidendi und Erweiterung des Dolus -Begriffes sich ausschließen. Denn wenn eine erweiterte Dolus- Form jene Yerletzungsfälle umfaßt, braucht nicht der enge animus occidendi präsumiert zu werden. Indessen sah sich Carpzov zur Erweiterung des materiellen Dolus-Begriffes durch die Doktrin gedrängt, daß bei Kapitalverbrechen dolus requiratur nee lata culpa dolo aequi- paretur.^ Um dieses auch von Kreittmayr vertretenen Satzes willen bemühte sich Carpzov nachzuweisen, daß er nicht etwa in Fällen, wo in Wahrheit fahrlässige Tötung vorliegt, dolus fingiere, sondern daß tatsächlich derartige lebensgefährliche Verletzungen unter den Begriff der vorsätzlichen Tötung zu subsumieren seien.

Die Gedankengänge, die Carpzov zur Lösung dieser Aufgabe heranzog, lassen sich auf den Satz des kanonischen Rechts zurück- führen: Versanti in re illicita imputantur omnia, quae sequuntur ex delicto.^ Hiermit war im kanonischen Recht freilich kein allgemeines Zurechnungsprinzip ausgesprochen, sondern nur ein Maßstab für die Frage gegeben, wann ein homicidium Irregularitätsgrund sei, d. h. wann derjenige, der den Tod eines Menschen verursacht hat, nicht mehr der geistlichen Würden der katholischen Kirche teilhaftig sein darf.^ Jene Regel hat sich mit fortschreitender Rechtsentwicklung aus einem Privilegierungs- in ein Qualifizierungsmoment verwandelt.* Gegenüber einer unbegrenzten Erfolgshaftung bedeutet sie eine Ausnahme zugunsten des Handelnden, indem sie die Zurechenbarkeit des Erfolges von einem subjektiven Moment abhängig machte, von der rechtswidrigen Absicht oder der Nachlässigkeit bei der vorausgegangenen Handlung, während

' Qu. 1, Nr. 51.

Vgl, Bernard Papiensis, Summa decretalium (Editio Laspeyres 1860) Lib. V, Tit. 10, §5: . . . distingue, an ille, qui casu occidit, instabat licito operi et adhibuit illam diligcntiam, quam debuit, an non; primo casu non imputatur sibi sed casui et fato et fortunae . . . , alioquim si vel non instabat operi licito vel non adhibuit illam diligentiam, quam debuit, sibi dcbet imputari."

•"* Vgl. Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts Bd. I. Berlin 1S69. S. 41 f. Löffler, Die Schuldformen des Strafrechts Bd. I. Leipzig 1895. S. 136 ff. Binding, Normen IV. Bd., S. 115.

' Das Folgende nach KoUmann, Die Lehre vom Versari in re illicita im Rahmen des Corp. Jur. Can. Z. Str. W. 35, S. 46 ff.

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sie vom Standpunkt ausschließlicher Schuldhaftung eine vom Geist der Kasualhaftung bedingte Anomalie darstellt.

Aus dem Gedanken, daß man für alle Folgen einer schuldhaften, verbotenen Handlungsweise einstehen muß, läßt sich auf zwei Wegen ein erweiterter Dolus -Begriff ableiten. Entweder man sieht von einer psychologischen Beziehung zum speziellen Erfolg überhaupt ab und sucht den Dolus allein in dem inneren Verhältnis zu der voran- gegangenen Handlungsweise, man stellt lediglich fest, der Täter hat überhaupt dolos gehandelt: Dolus generalis. Oder aber man setzt die eingetretene Folge als Konsequenz der beabsichtigten Handlung mit dem Willen zu dieser Handlung in Beziehung: Dolus indirectus. Von diesen Lösungsmöglichkeiten ist die zweite in der geschichtlichen Entwicklung ungleich stärker ausgeprägt v/orden.^ So trat auch bei Carpzov zu dem dolus directus im Sinne des alten animus occidendi ein neuer materiell anders gearteter Dolus -Begriff, die Beziehung des Willens auf die Folgen des unmittelbar Gewollten: Dolus indirectus. -

Der Mann, dessen Gedankenarbeit Carpzov hier übernahm, war der Spanier Covarruvias, der gelehrt hatte: wer die verursachende Handlung will, der will damit auch zugleich alle Folgen, die sich normalerweise unmittelbar aus ihr ergeben; wer einen anderen absicht- lich schwer verletzt, der hat auch den Tod gewollt, wenn jener an seinen Wunden gestorben ist.^ Auf Grund dieser Doktrin stellte Carpzov neben den Dolus directus (quando quis animum habet occidendi) den Dolus indirectus als zweite Form des materiellen Dolus -Begriffes: indirecte autem et per accidens fertur voluntas in homicidium, quoties

* Es findet sich auch der dolus generalis bei Carpzov (Qu. 1, Nr. 29). Jedoch ist für die Entwicklung des gemeinrechtlichen Dolus -Problems und seine Ausprägung bei Kreittmayr der dolus indirectus ungleich wichtiger. Über die Entstehung und die (geringe) Bedeutung des dolus in gcnere im italienischen Recht vgl. Engelmann, Schuldlehre der Postglossatoren S. 75 und 103 f.

' Hälschncr, System des preußischen Strafrechts I. Bonn 1858. S. 131 f. Lobe, Die allgemeinen strafrechtlichen Begriffe nach Carpzov S. 12 f., bestreitet einen wesentlichen Unterschied zwischen dolus generalis und dolus indirectus. Die obige Darstellung sieht im dolus indirectus eine mittelbare Beziehung des Willens zum Erfolg, während beim dolus generalis entweder überhaupt keine Beziehung des Willens zum Erfolg oder nur zu einem generalisierten Erfolg (dolus cum obiecto generali) ver- langt wird. Vgl. auch Engelmann, Schuldlehre der Postglossatoren S. 104f.

^ Covarruvias, Relcct. Clement, p.ll de homic. Init Nr. 1: ...voluntas cnim percutientis fertur in percussionem et in omne id, quod immediate et per se, non per accidens ex eo fuerit secutum et sie in homicidium ex percussione per se et immediato secutum. Zitiert bei Engelmann, a. a. O. S. 108, Änm. 7.

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fertur in id, ex quo immediate et per se, non per accidens homicidium sequitur.^ So braucht Carpzov bei absichtlicher lebensgefährlicher Verletzung den Tötungsvorsatz nicht mehr zu präsumieren, denn der Täter wollte zwar unmittelbar nur die Verletzung, mit ihr aber „mittelbar'' den Tod. Darum trifft ihn wie jeden andern Totschläger die Schwertstrafe. Das war Ausgangspunkt und Ziel der Carpzovschen Untersuchung: Verissima ergo manet haec nostra sententia, quod nimirum poena gladii seu ultimo supplicio afficiendus sit non solum ille, qui animo occidendi aliquem interfecit sed et qui doloso ac pravo animo percussit gladio nolens ipsum occidere, si mors subsecuta fuerit." Huch Leyser geht an die ganze Frage vom Standpunkt des kriminalpolitischen Strafbedürfnisses heran: diejenigen, welche die ordent- liche Strafe nur bei animus occidendi directus zulassen, saepe homicidis elabendi occasionem praebent.^ Dabei verläßt Leyser Carpzovs Stand- punkt insofern, als er an Stelle des Ausdrucks dolus indirectus, „ut male appellatur", dievoluntasnocendi setzte. Darin lag eine Einschränkung, indem hiernach der Tod nicht als vorsätzlich verursacht galt, wenn er die Folge harmloser Gesetzesverletzungen war: verbotene Feiertags- arbeit, übermütiges Abfeuern einer Kanone, Spielerei mit Waffen am unrechten Ort und so fort.^ Nur wenn der Tod die Folge einer Handlungsweise war, die mit einer allgemein auf Schädigung gerichteten Absicht begangen war, die keine Beziehung zu dem speziellen Delikts- tatbestand zu haben braucht, gilt der Tod als vorsätzlich verursacht. In ähnlicher Weise findet sich diese Vorsatzform bei Samuel Boehmer, der den Carpzovschen Voraussetzungen ähnlich wie Leyser einen animus laedendi hinzufügte.^ Später hat Boehmer den Begriff erheblich um- gestaltet. Dabei macht sich eine Verschiebung des Ausgangspunktes geltend. Es handelt sich nun nicht mehr um eine bloße Frage der Strafbarkeit, sondern Boehmer geht von einem einheitlichen Zurechnungs- prinzip, der Willensschuld, aus. Wer beabsichtigt, einen andern auf eine Weise zu schädigen, von der er weiß non enim sufficit cogitare debuisse , daß sie den Tod des andern herbeiführen kann, der will eventualiter den Tod.''

' Qu. 1, Nr. 3L

ä Qu. 1, Nr. 62.

^ Leyser, Mcditationes ad Pandectas. Specimen 597, Nr. 17.

■* Ebendort Specimen 603, Nr. 3.

" Jo. Sam. Fr. Boehmer, Elementa Jurisprudentiae Criminalis Sect. I, § 43 und II, § 202. Zitiert nach der 3. Aufl. 1743 (L Aufl. 1732).

" Jo. Sam. Fr. Boehmer, Observationes selectae ad B. Carpzovii Prac. Nov. Rcr. Crim. Frankfurt a.M. 1759. Observ. II ad quaest. 1, Nr. 62. Mcditationes in CCC. Halle -Magdeburg 1770. § V— VIII zu a 137. V^i. o.aru: Löiiler, Schuldformen S. 172 ff. Im Gegensatz zu den Elementa

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Von Leyser und der auf ihn zurückgehenden, in Boehmers ersten Schriften vertretenen Auffassung vom dolus indirectus übernahm Kreittmayr seinen Vorsatzbegriff. Auch er behandelt das Für und Wider dieser Lehre bei den Tötungsdelikten und bringt den Vorsatz in seiner doppelten Form, als animus Decidendi directus: „was jener sei, begreift jedermann leicht!", und als dolus indirectus. Dolus indirectus ist der „böse Wille, dem andern ohngeacht der dabei ob- schwebenden Todesgefahr Schaden zu tun" (Änm. zu Tl. I, cap. 111, § 2 a). Der vorsätzliche Totschlag besteht für ihn nicht „schon in einer ungebührlichen Handlung, wodurch ein Totschlag begangen wird, welcher leicht hätte vorgesehen werden können und sollen". Kreittmayr bringt in Anlehnung an Leyser folgendes Beispiel: „Es schießet einer auf dem Capuziner- Graben allhier gegen obrigkeitlichen Verbot auf die Schwalben, trifft dabei unglücklicher Weis einen Vorbeigehenden und schießt ihn tot." Carpzov würde hier vorsätzlichen Totschlag annehmen, meint Kreittmayr, weil der Täter „in re illicita versirt". Aber nach Leyser, dessen Doktrin Kreittmayr folgt, ist er nur homicida culposus, „weil er zwar ungebührlich gehandelt, jedoch dem Vorbeigehenden zumal auf eine Tods gefährliche Weis Schads zu tun, die böse Meinung nicht gehabt hat." Vorsätzliche Tötung im Sinne eines dolus indirectus würde vorliegen, wenn er „mit Fleiß auf den Entleibten schießen und denselben nur hätte lähmen oder ver- wunden wollen" (Hnm. zu Tl. 1, cap- 111, § 2a).

Eine ähnliche entwicklungsgeschichtliche Vergangenheit wie der Dolus indirectus weist die Culpa auf. Auch hier ist allmählich aus einer Formel, die eine Berechtigung nicht wie beim dolus indirectus zur erweiterten Anwendung sondern zur Modifikation der poena ordinaria zum Ausdruck bringen sollte, eine selbständige Schuldform entstanden. Noch bei Carpzov bedeutet die Culpa nichts anderes als eine Legitimation für die Anwendung der arbiträren poena extra- ordinaria in Fällen, in denen die Verhängung der für die „normale", vorsätzliche Begehung des Delikts angedrohten ordentlichen Strafe zu hoch erschien und in keinem Verhältnis zur wirklichen Schuld stand. ^ Bei Kreittmayr lassen sich deutlich Spuren dieser Auffassung nach- weisen, während andere Stellen auf eine beginnende Anerkennung

wird in diesen späteren Schriften Boehmers an Stelle der Möglichkeit des Bewußtseins des Erfolges (objektiv) das Bewußtsein der Möglichkeit des Erfolges (subjektiv) zum dolus indirectus verlangt. ' Liepmann, Rechtsirrtum, a.a.O. S. 531. Ausführliche Darstellung der Carpzovschen Fahrlässigkeitsfälle bei Binding, Normen IV, 1. Hbtl., S. 158 H., der in Carpzov zwar den „Schöpfer der gemeinrechtlichen Praxis auf diesem Gebiet" sieht, über das Wesen der Fahrlässigkeit jedoch tiefere Aufschlüsse bei ihm vermißt (S. 164).

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einer begrifflich selbständigen Fahrlässigkeitsschuld schließen lassen. Verbrechen werden begangen, heißt es Tl. I, cap. I, § 3, dolo vel culpa und die Anmerkungen ergänzen: wo keins von beiden ist, da ist auch kein Verbrechen.^ Nach dem Vorgang der Carolina (a 134, 146, 180) werden eine Reihe von Delikttatbeständen aufgezählt, die in bezug auf die subjektiven Voraussetzungen in ihrer Terminologie zwar schwanken, aber das gemeinsam haben, daß hier ausdrücklich eine andere, geringere Form der Schuld als die des Vorsatjes verlangt wird: Totschlag „aus Unbehutsamkeit" (Tl. I, cap. 111, § 3), „Apotheker und Materialisten, welche unvorsichtiger Weis Gift verhandeln" (cap. 111, § 14), Äbtreibung „mehr aus Versehen als bösen Fürsatz" (cap. 111, § 20), „verwahrloste Brünsten, welche sich nicht aus bösen Fürsatz, sondern aus Verschulden zutragen" (cap. VlII, § 8). Wenn man auch unschwer in diesen Tatbeständen Vorläufer der Fahrlässigkeitsdelikte erblicken kann, so zeigt doch die schwankende Terminologie, daß die Frage nach dem Wesen und den Graden der Fahrlässigkeitsschuld noch nicht als einheitliches Problem gesehen ist. Wie nahe Kreittmayr im Grunde auch hier noch Carpzov steht, zeigt der Umstand, daß alle diese Fälle nicht mit einer bestimmten gesetzlichen Strafe bedroht sind, sondern entsprechend der CCC lediglich willkürlicher Bestrafung überlassen bleiben. Hier wirkt die Fahrlässigkeitsstrafe in Form der Carpzovschen poena extraordinaria nach, obwohl allgemein bei Kreittmayr die Culpa als gesetzlicher Strafmilderungsgrund nicht anerkannt ist.

Wer aus gemeinrechtlichen Bestimmungen Prinzipien der Zu- rechnungslehre abzuleiten sucht, muß sich vor der Gefahr hüten, in den alten gesetzlichen Regelungen Lösungen für Probleme zu sehen, die erst die moderne Strafrechtsdoktrin gestellt hat. Zeigte sich schon bei den Bestimmungen über Dolus und Culpa, daß es sich ursprünglich weniger um eine Differenzierung selbständiger Schuldformen handelte, als vielmehr um den Versuch, bestimmte Fälle der poena ordinaria, andere der willkürlichen poena extraordinaria zuzuweisen, so ist auch bei einer Darstellung der Bedeutung des Rechtsirrtums bei Kreitt- mayr besondere Vorsicht notwendig. Insbesondere darf man aus der Behandlung des Rechtsirrtums Rückschlüsse auf das Wesen des Vor- satzbegriffes nur ziehen, wenn nachgewiesen ist, daß der Gesetzgeber die Irrtumsfälle in konsequenter Anwendung des Vorsatzbegriffes geregelt hat. Von einer Irrtumslehre darf nur dort geredet werden, wo die einzelnen Bestimmungen aus einer bestimmten Doktrin heraus einheitlich gestaltet sind.

' In cap. 1, § 30 wird culpa im Sinne einer genus- Bezeichnung für Schuld überhaupt verwandt.

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Auf den ersten Blick scheint das bei Kreittmayr der Fall zu sein. „Wem^ es an genügsamen Verstand und freien Willen ermangelt, der ist keines Verbrechens fähig." Aus einer solchen Doktrin ergibt sich folgerichtig der Satz, daß unvernünftiges Vieh, unmündige Kinder, unsinnige Leute kein Verbrechen begehen können. Verstand und Wille als Voraussetzungen der Zurechnungsfähigkeit dem scheint eine Zurechenbarkeit im Sinne einer bewußten Willensschuld zu ent- sprechen: was „aus Irrtum, Unwissenheit . . . geschieht, wird für kein Verbrechen geachtet" (Tl. I, cap. I, § 4).

Aber die näheren Bestimmungen des Gesetzes widersprechen solch trügerischer dogmatischer Aufmachung. Irrtum (sc. über die Identität der Tat) hebt alle Strafe auf, „wenn der Irrende in facto licito et inculposo versiret" (cap. I, § 30). Eine Verallgemeinerung des a 145 CCC, der Straflosigkeit zuläßt, „so einer in rechter not- wehr einen unschuldigen wider seinen, des täters willen entleibt"! Wer aber umgekehrt eine strafbare Handlung zu begehen glaubt, bei dem vermag ein error in obiecto allerhöchstens Strafmilderung zu bringen, ihn aber auch in den Fällen nicht von Strafe zu befreien, in denen wir von einem Putativdelikt sprechen würden. „. . . z. e. es beschlaft einer seine Schwester in der Meinung, es seye die Magd. Dieser wird nicht poena incestus, sondern milder gestraft, wenn er den angeblichen Irrtum wahrscheinlich dartun kann" (Änm. c zu Tl. 1, cap. I, § 30). Nun aber die Fälle der Unwissenheit (sc. der Rechts- widrigkeit), die eigentliche Domäne des Rechtsirrtums! Dabei ist die wichtigste Frage: welches Wissen setzt die Bestrafung mit der ordentlichen Strafe, also offenbar die Ähndung für vorsätzliches Handeln voraus? „Es ist aber hierzu nicht nötig, die besondere Gattung derselben Sh-aff zu wissen, sondern es ist genug, dass die innerliche Boss- und Straffmässigkeit der Tat nicht unbekannt sei oder sein könne" (Tl. I, cap. I, § 31). Kenntnis des positiven Strafgesetzes wird also nicht verlangt. Zwar heißt es in der Präambel, man habe dies Gesetz „zu Jedermanns Wissenschaft in öffentlichen Druck legen lassen", aber die Anmerkungen zu dieser Präambelstelle erklären, der Codex sei „lediglich für die Obrigkeiten zu mehreren Unterricht, nicht aber für die Malefikanten geschrieben, als welchen ihres Orts genug sein kann, dass ihnen die Straffmässigkeit ihrer bösen Thal nicht unbekannt seye oder seyn könne, ohne dass sie die besondere Gattung der Straff, womit jedes Verbrechen denen peinlichen Rechten nach belegt ist, zu wissen vonnöten haben, massen Richter und Rechtsgelehrte das Genus Poenae oft selbst

* In dem vorliegenden Text heißt es „Wenn..."; offenbar Druckfehler.

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schwer zu erraten wissen und sich ihren Meinungen vieimahl nicht hierüber vereinigen können, mithin wann auf Seiten der Misse- thäteren zu ihrer Bestraffung allmahl eine so genaue Wissenschaft erforderlich wäre, wohl gar selten oder vielleicht niemahl die gesetz- mässige Straff gegen gemein- oder unstudierte Leute würde vorgenommen werden können"/ Fehlt diese Kenntnis der Innern Büß- und Straf- mäßigkeit der Tat, so entfällt, müßte man annehmen, Vorsatz und, abgesehen von den wenigen kulposen Deliktstatbeständen, jede Straf- barkeit. Statt dessen aber führt solche Unkenntnis lediglich zur Zulassung der milderen poena ordinaria! So hat der Rechtsirrtum bei Kreittmayr die Bedeutung einer Modifikation der poena ordinaria. Dem entspricht die Stellung dieser Bestimmung inmitten anderer Straf- änderungsgründe, deren dogmatische Sonderbehandlung als einzelne Momente der Schuld, der Rechtswidrigkeit oder als bloße Strafbarkeits- bedingungen herauszuarbeiten erst der späteren Strafrechtswissenschaft vorbehalten blieb. All solche Momente erwähnte das ältere gemeine Recht lediglich als Gesichtspunkte, die den Bedürfnissen des einzelnen Falles entsprechend zu einem Abgehen von der festen Strafgröße der ordentlichen Strafe berechtigten, also in der Regel den Delinquenten mit der Todesstrafe verschonten. Jugend und hohes Alter, Schwäche des Körpers und verminderte Zurechnungsfähigkeit („denen der Verstand nur halb verruckt ist", § 17), Gähheit und Übereilung, ebenso wie langer Anstand (d. h. ein Verstreichen einer längeren Zeit nach der Tat, ohne daß sie bereits verjährt ist) oder „Befehl der Oberen'' zur Tat, unver- schuldete Haft vor dem Urteil. Ebenso wie diese Fälle ist auch der Rechtsirrtum lediglich ein gesetzlich anerkannter Strafänderungsgrund. Aber selbst von der ordentlichen Strafe befreit der Rechtsirrtum nicht in allen Fällen. Nur „Unwissenheit in Sachen, welche von Rechtswegen zu ignorieren erlaubt ist, entschuldigt wo nicht von aller, doch von der Ordinari- Straff" (Tl. I, cap. I, § 31). Die Anmerkungen grenzen diese Einschränkung näher ab. Hier wird unterschieden: „die Unwissenheit ist facti vel iuris'". Ohne auf den Unterschied beider Formen des Irrtums einzugehen, fährt Kreittmayr fort: „Jene (d. h. ignorantia facti) wird niemand imputiert, wer mit behöriger Vorsicht verfahrt und keine böse Meinung dabei hat."^

' Änm. e ad Mandatum Electorale praemissum.

- Die oben S. 139 besprochenen Irrtumsfälle handeln davon, daß ent- weder der Täter, während er tatsächlich recht handelt, irrtümlich einen verbotenen Erfolg herbeiführt (Irrtum des in echter Notwehr befindlichen Täters) oder umgekehrt glaubt, ein Delikt zu begehen, während der objektive Tatbestand gar nicht vorliegt. Hier aber begeht der Täter wirklich ein Delikt und ist sich infolge eines Irrtums über einen tatsächlichen Vorgang der Rechtswidrigkeit seines Tuns nicht bewußt.

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Error iuris „kann in Sachen, welche Jure naturae verboten sind, niemal, im übrigen aber nur von jenen vorgeschützt werden, quibus Jus ignorare licet"/ Kreittmayr folgt hier einer neuzeitlichen mildernden Tendenz, die Fälle auszudehnen, in denen ein Verbots- irrtum berücksichtigt werden kann. Er will „sogar in capitibus Juris naturae magis abstrusis et intricatis, wie z. B. bei dem Crimine sodomiae, incestus und dergleichen sich zuweilen ereignet, die Igno- rantiam Juris bei einfältigen Leuten pro Casu mitiganti passieren lassen" (Änm. a zu Tl. 1, cap. 1, § 31). Solche Billigkeitsmodifikation war um so notwendiger, weil es überaus bestritten war, ob im einzelnen Fall eine Norm dem positiven oder dem Naturrecht angehörte. Blut- schande unter Aszendenten galt als vom Naturrecht verboten, zwischen Verwandten der Seitenlinie im zweiten Grade war sie nur vom positiven Recht untersagt, aber „wie weit nun das Verbot des natürlichen Rechts in der Blutschande gehe, ist und bleibt ein philosophischer Disput, welcher vor Ende der Welt wohl schwerlich wird ausgemacht werden!" (/\nm. d zu Tl. I, cap. VI, § 5). In solchen Bestimmungen kommt zweierlei zum Ausdruck. Einmal, daß Rechtsunkenntnis und Verbots- irrtum nicht schuldausschließend, sondern lediglich straf- mildernd wirken. Und sodann die die Entwicklung vom 16. bis ins 18. Jahrhundert kennzeichnende, gewohnheitsrechtlich rezipierte römisch -italienische Doktrin, daß nur bei bestimmten Delikten und nur zugunsten bestimmter Personen ein Verbotsirrtum berücksichtigt wird."

In stärkerem Maße noch als bei der Abgrenzung von Dolus und Culpa spiegeln hier Kreittmayrs Bestimmungen die Lehren Carpzovs wieder. Carpzov sah ebenso wie in der Culpa im Rechtsirrtum nicht eine besondere Schuldart, sondern einen Strafmilderungsgrund. Gegenüber der unzeitgemäßen Strenge überkommener Strafgesetze wurde dieser Gedanke zu einem „Sicherheitsventil gegen zu harte Bestrafung"."' Die Aufnahme dieser Doktrin in das Gesetzbuch Kreittmayrs erscheint daher als notwendige Ergänzung zu den harten, vom Geist der neuen Zeit unberührten Strafdrohungen des Codex Juris Bavarici Criminalis.

^ Die privilegierten Personenklassen des römischen Rechts 1. 9 D XXII, 6.

" Vgl. zu dieser Lehre: Liepmann, Rechtsirrtum, a. a. O. S. 399 f. Binding, Normen 2. Aufl., Bd. III, S. 246 iL, sieht (anders wie die obige Darstellung) in den Bestimmungen des Codex Juris Bav. Crim. eine erste allgemeine Bezugnahme auf die „damals allgemein anerkannte Lehre: error iuris nocet, error facti non nocet", lindet aber von dieser Annahme aus selbst, daß jenes Gesetz sich „einigermaßen widerspricht" (S. 248).

' Liepmann, a. a. O. S. 539.

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So läßt es eine nähere Prüfung des Strafensystems und der kriminalistisch -dogmatischen Ausgestaltung erklärlich erscheinen, daß dieses Werk nach der bald nach der Jahrhundertmitte immer stärker zutage tretenden Wandlung der Anschauungen auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens und damit auch des Strafrechts alsbald veraltet war. Diese Entwicklung wurde gefördert durch die politischen Verhältnisse. Offenbarten sich allgemein in der französischen Revolution und in ihren Rückwirkungen auf die andern kontinentalen Staaten Wirkungen der neuen Geistesrichtung, so brachte vollends die napoleonische Ära den deutschen Ländern mit einer Loslösung von der Zentralmacht des Reiches eine starke Konsolidation der eigenen inneren Kräfte, die durch die Überwindung der alten Standesmächte die modernen Staaten entstehen ließ.^ In Bayern fand diese Entwicklung ihren äußeren Ausdruck in der Rheinbundpolitik und in der Königskrone des Jahres 1806. Im Innern wirkte Graf Maximilian v. Montgelas, der „dirigierende Minister" des aufgeklärten und freisinnigen ersten Königs Maximilian Joseph, für den Ausbau des Staates. Auf fast allen Gebieten staatlicher Wirksamkeit wurden nach neuzeitlichen Grundsätzen aufgebaute Verwaltungseinrichtungen geschaffen, von denen viele ein Jahrhundert überdauert haben. Von dieser Ent- wicklung blieb die Gesetzgebung nicht unberührt. Dem mehrfach ausgesprochenen Wunsche Napoleons folgend, beschäftigte man sich lange und noch in Feuerbachs Münchener Zeit hinein mit dem Gedanken, den Code civil in Bayern einzuführen. Vor allem ver- langte die neue Zeit dringend eine gründliche Reform des Strafrechts, nachdem inzwischen die Anhänger der strafrechtlichen Reformbewegung allenthalben ihren Gedanken Eingang verschafft hatten und unter ihrem Einfluß in Österreich, Preußen und Frankreich neue Strafgesetzbücher entstanden waren.

Für die Reform des Strafrechts zog die Regierung zunächst den Würzburger Kriminalisten Gallus Alois Caspar Kleinschrod heran. Daß man die Bearbeitung des neuen Strafgesetzentwurfs nur einem Manne anvertraute, in dem sich die Gedanken der neuen Richtung verkörperten, lag im Wesen der Hufgabe. Zugleich ist aber damit seine Bedeutung selbst umgrenzt. Kein kühner Neuerer, kein schöpferischer Reformator, erscheint Kleinschrod als ein getreues Spiegelbild der herrschenden Strömungen der strafrechtlichen Äuf- klärungsbewegung , weniger ein Führer als ein Glied der neuen Richtung. Seinen Schriften eignet nichts mehr von der Brutalität des

' M. Do eb er 1, Entwicklungsgeschichte Bayerns IL Bd. München 1912. S. 381 ff.

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Carpzov-Kreittmayrschen Strafenregisters. Unverkennbar durchzielit sein Wirken ein milder Geist fortgeschrittener Humanität. Eine vorwiegend pragmatisctie Tendenz läßt ihn befriedigende Lösungen von Einzelfragen einer konsequenten Deduktion philosophischer Begriffe und Leitsätze vorziehen. Mit geschickter Hand weiß er als Eklektiker aus der Fülle der Anregungen jener reichen strafrechtlichen Äuf- klärungsliteratur wertvolle Bausteine zu dem Mosaik seiner „systema- tischen Entwicklung" zusammenzutragen.^ Sicherlich war ein solcher Synkretismus um eine Welt entfernt von der Art, in der Grolman und Feuerbach voller Leidenschaft und mit dem Anspruch auf apodiktische Gewißheit ihre Strafrechtssätze aus naturrechtlichen und philosophischen Prinzipien deduzierten. Und doch hat auch Kleinschrod einen Schritt in der Methode getan, nach der jene die Fragen des Straf- rechts auf philosophische Probleme zurückführten. Kleinschrod versuchte die aus der Interpretation des positiven Rechts gewonnenen Bestimmungen mit den Forderungen der Theorie zu vergleichen, „das positive Recht in Verbindung mit den allgemeinen Wahrheiten vorzutragen"."

Kleinschrods äußerer Lebensgang verlief in ruhigen Bahnen.^ Als Sohn eines würzburgischen Beamten erregte er durch seinen Fleiß und seine Interessen früh die Aufmerksamkeit des Fürstbischofs Frei- herrn V. Erthal, der ihm in jungen Jahren eine Professur verschaffte. Als im Jahre 1795 der Bischof von Bamberg, dem Bedürfnis der Zeit folgend und im Gedächtnis an seinen Vorgänger Georg v. Limburg, der einst die Anregung zu Schwarzenbergs Bambergensis gegeben hatte, das Bamberger Strafrecht reformieren ließ, wurde Kleinschrod zur Mitarbeit herangezogen. Dies war für die bayerische Regierung der Anstoß, ihm im Jahre 1800 die Ausarbeitung des neuen Strafgesetz- entwurfs anzuvertrauen. Schon im nächsten Jahre legte Kleinschrod seine Arbeit im Manuskript vor, das von dem Rat am obersten Gerichtshof Joh. Bapt. Schieber und dem geistlichen Rat Professor Jos. Socher durchgesehen und nach entsprechenden Verbesserungen im Jahre 1802 als Entwurf eines peinlichen Gesetzbuchs für die kurpfalzbayerischen Staaten veröffentlicht wurde.*

' Systematische Entwicklung der Grundbegriffe und Grundwahrheiten des positiven peinlichen Rechts. 1. Aufl. Erlangen 1793, 2. Aufl. 1799, 3. Aufl. 1805. Im folgenden im Zweifel nach der 2. Aufl. zitiert.

-' System, Entw. Tl. I, Vorrede.

' Über Kleinschrod: Neuer Nekrolog der Deutschen, hcrausgeg. von Fr. Aug. Schmidt, 2. Jahrg. 1824, II. Heft. Ilmenau 1826. S. 999 ff. Teichmann, in Allg. deutsche Biographie Bd. 16, S. 109 ff. Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft 3. Abt., I. Halbbd., S. 462 ff.

* Als Ergebnis der Revisionsarbeit Schiebers und Socher s: Mate- rialien zur peinlichen Gesetzgebung in Bayern 1. Teil. München 1802.

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Die Arbeiten Kleinschrods an der Reform des bayerischen Strafrechts und das, was er zu der Entwicklung der strafrechtlichen Zurechnungslehre beigetragen hat, weisen auf Einflüsse aus einer doppelten Richtung hin. Man sieht eine starke Abhängigkeit von Gl ob ig und Hu st er und bemerkt einen Einfluß der zeitgenössischen psychologischen Literatur.

Ernst Y. Globig und Georg Huster, zwei sächsische Geheim- räte, waren die Preisträger in jenem berühmten Preisausschreiben, das die Ökonomische Gesellschaft in Bern auf die Initiative von „zweien unbekannten Freunden der Menschheit" im Jahre 1777 für die beste Bearbeitung der Frage nach der heilsamsten Einrichtung der peinlichen Gesetzgebung veranstaltet hatte. Durch weitere Schriften und durch ihre persönliche Berühmtheit gewannen sie großen Einfluß und wurden insbesondere für die Entwicklung des Preußischen Rechts von Bedeutung.^ Trajans: satius impunitum relinqui facinus nocentis quam innocentem damnare war das Motto ihrer Bearbeitung und anders als die aus Ärgwohn und Ängstlichkeit entsprungene brutale Rücksichtslosigkeit des alten Strafrechts sollte nach ihrer Meinung der peinliche Gesetzgeber als ein rechter Arzt die Krankheit des Staates „mit desto größerer Behutsamkeit behandeln, je mehr Schaden aus einer übereilten Kur entstehen könne ".^

Ein Bemühen, die Strafgewalt des Staates durch Verringerung und Vereinfachung der kriminellen Tatbestände zu begrenzen, ein Streben nach bestimmt gefaßter, klarer strafrechtlicher Gesetzgebung ist deutlich erkennbar. Im einzelnen freilich läßt sich nur in bedingtem Sinne von einem Fortschritt sprechen. '^ Sie huldigen noch dem Äb- schreckungsprinzip und glauben durch Abschreckung um so mehr erreichen zu können, je mehr die Strafe eine „Wiedervergeltung des zugefügten Schadens" ist.* Im Gegensatz zu Beccaria leiten sie aus naturrechtlichen Prinzipien ein Recht zu einem allerdings sparsamen Gebrauch der Todesstrafe ab. Das Prinzip der Talion läßt sie sogar verstümmelnde Körperstrafen bei Körperverletzungen befürworten, ein Gedanke, den sie freilich alsbald selbst aufgaben.^ Vermeintliche kriminalpolitische Gesichtspunkte führen sie zu dem Gedanken von

' Hälschner, Geschichte des Brandenburg-Preußischen Strafrechts. Bonn 1855. S. 199.

- E. V. Globig und G. Huster, Abhandlung von der Kriminal- gesetzgebung. Zürich 1783. S. 10.

^ V. Bar, Geschichte d. Strafrechts u. d. Strafrechtstheorien S. 236 f.

* Gl ob ig und Huster, Abhandl. v. d. Kriminalgesetzgebung S. 56.

* Globig und Huster, Abhandl. v. d. Kriminalgesetzgebung S. 196. Vgl. auch S. 94, Der revidierte Standpunkt: Vier Zugaben zu der gekrönten Schrift von der Kriminalgesetzgebung. Altenburg 1785. S. 93 f.

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der Publizität des Strafvollzugs. Allgemeine Fragen der strafrecht- lichen Dogmatik erfahren wenig Förderung. Vorsatz ist das Bewußt- sein, daß „die Handlung schädlich und den Gesetzen zuwider sei", „Nachlässigkeit" besteht in einem „mehr oder weniger verminderten Bewußtsein des Verbrechens".^ Huf solche Differenzierung wird aber nur geringes Gewicht gelegt: „Gesetzt aber, man könne das wahre Maß der Schuld bei jedem . . . Verbrechen ergründen, so würde solches doch bei weitem den Nutzen nicht haben, den einfache und beständige Verhältnisse (gemeint ist: zwischen Strafe und angerichtetem Schaden) in dem Gemüt des gemeinen Mannes hervorbringen.""

Der psychologische Einschlag der damaligen kriminalistischen Literatur, wie er bei Kleinschrod in einem zunehmenden Interesse für die subjektiven Momente der strafrechtlichen Verantwortlichkeit und die Voraussetzungen der Verschuldung offenbar wird, entspricht einer allgemeinen Popularisierung psychologischer Lehren durch einflußreiche Schriften zahlreicher Eklektiker. Hier waren Ausflüsse von Wolffs Rationalismus wirksam im Verein mit dem Positivismus der Engländer und der neugewonnenen naturwissenschaftlichen Erkenntnis.^ Ein Führer dieser Richtung war der auch von Kleinschrod häufig zitierte Joh. Hch. Feder. Feder wollte den praktischen Wissenschaften, Pädagogik und Politik, dienen, indem er sie auf die Erfahrungen über die menschliche Natur hinwies, wie sie in Biographien, Selbst- bekenntnissen und ethnographischen Studien vorliegen. Seine Haupt- untersuchungen galten dem Wirken und der Bedeutung des mensch- lichen Willens.* Aus seinen Erörterungen spricht eine ausgesprochen deterministische Tendenz, die sich als Konsequenz eines bereits das Jahrhundert von Descartes bis Leibniz kennzeichnenden Über- wiegens des Denkens über den Willen ergibt.^ Dabei ist Willens- freiheit von Feder in der von den damaligen Kriminalisten mit Vorliebe übernommenen Formulierung des Thomas Hobbes gedacht: nicht im Wollen sind wir frei, sondern darin, daß wir handeln können, wie wir wollen.'' Die Willenskraft ist nach Feder abhängig von der

' Vier Zugaben . . . S. 249. '' Ebendort S. 247.

' Max Dessoir, Geschichte der neueren deutschen Psychologie 1. Bd., 2. Aufl. Berlin 1910. S. 249 ff.

* Hch. Feder, Untersuchungen über den menschlichen Willen Tl. 1 3, 2. Aufl. Göttingen und Lemgo 1785.

■' Vgl. Wilh. Windelband, Geschichte der Philosophie Bd. 1, 5. Aufl. Leipzig 1911. S. 156.

" „Eine Freiheit, die Freiheit von Notwendigkeit wäre, kommt weder dem Willen des Menschen, noch dem der Tiere zu. Verstehen wir aber unter Freiheit die Fähigkeit nicht des Wollens, sondern des Aus- führ ens, dann besitzen eine solche Freiheit sicherlich beide, Mensch und

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Vorstellungskraft. Aber der Wille ist nicht an einzelne bestimmte Antriebe „gefesselt '". Man kann auch anders handeln, als man sich ursprünglich entschlossen hatte, so oft man Lust dazu hat, aber dann hat „diese Lust allemal ihren Grund in einer neuen Vorstellung".^ Dieser Determinismus bedeutet nicht eine Verneinung, sondern eine Begründung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit. „Will man weiter einwenden, daß es für denjenigen, der nur einmal so gehandelt, gewollt und gedacht hat, hypothetisch unmöglich war, anders zu wollen, zu empfinden und zu urteilen, so ist die Antwort, daß die Strafe eben dieser hypothetischen Unmöglichkeit für ein anderes Mal abhelfen soll. Es wird nicht gestraft, um das Geschehene ungeschehen zu machen, sondern um die Beweggründe wider das Böse für die Zukunft zu beleben und zu vermehren."" Freiheit des Handelns dagegen im Sinne der Fähigkeit, sich nach Vor- stellungen und Überlegungen zu bestimmen, dem durch diese Reize hervorgerufenen Willen entsprechend tätig zu werden, ist Voraussetzung jeder moralischen Beurteilung menschlichen Verhaltens.^

Neben den Einwirkungen Feders begegnen uns bei den Kriminalisten die Namen der Kantianer Reinhold und C. C. E. Schmid. Der nach Dessoirs Wort „zu Unrecht vergessene" Ehrhard Schmid war nicht nur als Popularisator Kants neben Reinhold einer der einflußreichsten Bahnbrecher des Kritizismus, sondern er suchte auch auf psycholo- gischem Gebiet durch Zeitschriften, die er herausgab, die Fülle des Tatsachenmaterials zu sichten und auf einleuchtende Regeln und Begriffe zurückzuführen und in eigenen Werken die Methoden der herrschenden Vermögens- und Ässoziationspsychologie zu verwerten.* Er faßte die Schuld im formalen Sinne des Kritizismus als Mangel an Ächtung vorm Gesetz auf, schied aber schärfer als Kant selbst zwischen zwei Schuldformen: Bosheitssünden „wider Wissen und Ge- wissen" und Nachlässigkeitssünden, bei denen man ohne Kenntnis des Gesetzes oder in falscher Beurteilung des Falles also unbewußt

Tier, in gleicher Weise, soweit sie überhaupt möglich ist." Thomas Hobbes, Qrundzüge der Philosophie I.Teil. Lehre vom Körper (1655). Deutsche Ausgabe von M. Frischeisen -Köhler. Phiios. Bibliothek Bd. 157. Leipzig 1915. Kap. 25 (S. 176).

' Feder, Untersuchungen über den menschlichen Willen Tl. I, S. 48. Vgl. S. 27 ff. und 49.

-' Feder, a. a. O. Tl. III, S. 538.

' Feder, a.a.O. Tl. III, S. 417 f.

* C. C. E. Schmid, Empirische Psychologie I.Teil. Jena 1791. Vgl. M. Dessoir, Geschichte der neueren deutschen Psychologie l.Bd., 2. Aufl., S. 145 und 289 f., sowie Abriß einer Geschichte der Psychologie (Ebbing- haus-Meumann, Psychologie in Einzeldarstellungen IV). 1911. S. 158.

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rechtswidrig handelt.' Gerade auf diese Stelle nahm Kleinschrod bei der Darstellung von Vorsatz und Fahrlässigkeit Bezug," obwohl er es sonst grundsätzlich ablehnte, von der Kantischen Philosophie Gebrauch zu machen, deren „Einfluß auf Rechtsgelehrsamkeit überhaupt noch so unbestimmt, so zweifelhaft, so schwankend ist".^

Die wechselseitigen Beziehungen zwischen Strafrecht und Psycho- logie zu einer besonderen Wissenschaft zu erheben, war das Ziel Joh. Chr. Gottlieb Schaumanns. Zwar verdankt die junge Kriminal- psychologie ihm mehr Namen und Programm, als inhaltliche Bereicherung, aber dafür bringen seine „Ideen zu einer Kriminal- psychologie, Friedrich Wilhelm IL, dem weisen Gesetzgeber und milden Richter gev,feihet" ^ ein anderes: mit aller Empfindsamkeit der Zeit ist hier in Briefen an einen jungen Juristen das Bild des idealen Richters gezeichnet, der, beseelt von Liebe und Ächtung auch gegen- über dem Verdächtigen, mit dem Leben vertraut, voll Erfahrung und Menschenkenntnis, der Bürger wie der Verbrecher Vertrauen gewinnt und aus tiefem Verstehen der Handlungsweise des Täters zu dessen eigenen Besten die Strafe auswählt. Eine reizvolle Apotheose des ausgehenden Inquisitionsprozesses und zugleich über alle zeitlichen Prozeßformen hinaus ein Vorbild des gerechten Strafrichters.

Kleinschrods Arbeit an einem Strafgesetzentwurf waren theore- tische Untersuchungen vorangegangen.^ Aus ihnen ergibt sich deutlich, welche Fortschritte die Strafrechtswissenschaft in der dogmatischen Ausgestaltung der grundlegenden Prinzipien gegenüber dem, noch

' C. C. E. Schmid, Versuch einer Moralphilosophie 3. Aufl. Jena 1795. S. 620 f. Schmid führt die „Nachlässigkeitssünden" ähnlich wie Feuerbach auf Vorsatz zurück: ich habe „nicht Fleiß genug angewendet..., um die Forderungen der Pflicht . . . gewiß und lebhaft zu denken . . ." (ebendort). Kant, Metaphysik der Sitten: „Eine unvorsätzliche Übertretung, die gleichwohl zugerechnet werden kann, heißt bloße Verschuldung (culpa). Eine vorsätzliche (d. h. diejenige, welche mit dem Bewußtsein, daß sie Übertretung sei, verbunden ist) heißt Verbrechen (dolus)." Akademie- Ausgabe Bd. VI, S. 224, Cassirer Bd. VII, S. 24.

* Kleinschrod, System. Entwicklung der Grundbegriffe und Grund- wahrheiten des peinl. Rechts Tl. I, 1. Aufl., 1794, S. 44, Anm.: „Fast auf dieselbe Art definiert C. C. E. Schmid die Nachlässigkeitssünden." In der

2. Aufl., 1799, S. 65, Anm. spricht er infolge veränderter Formulierung des eigenen Standpunktes von Übereinstimmung mit Schmid in der Hauptsache, .„jedoch mit andern Worten".

^ Syst. Entwicklung, Vorrede. ' Halle 1792.

'" Systematische Entwicklung der Grundbegriffe und Grundwahrheiten des positiven peinlichen Rechts Tl. I— III, Erlangen 1793-94, 2. Aufl. 1799,

3. Aufl. 1805. Abhandlungen aus dem peinlichen Rechte und peinlichen Prozesse Tl. I— III. Erlangen 1797—1805.

10*

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von Kreittmayr rezipierten, älteren gemeinen Recht gemacht hatte. Zugleich liegt auf diesem Gebiet weit mehr als in seinem Straf- gesetzentwurf die wissenschaftliche Bedeutung Kleinschrods. Diese Entwicklung hat namentlich zur Ausgestaltung der Lehre von der strafrechtlichen Zurechnung Erhebliches beigetragen, indem nunmehr die subjektiven Voraussetzungen strafrechtlicher Verantwortlichkeit in ihrer Eigenbedeutung erkannt und differenziert wurden.^ Hatten sich früher aus der stets wiederkehrenden Frage, ob die Tat mit der poena ordinaria oder mit willkürlicher Strafe zu ahnden sei, nur tastende Anfänge einer Scheidung in verschiedene Schuldarten ergeben, so trennt Kleinschrod bewußt zwischen den Voraussetzungen der Zurechnung zur Schuld und den kriminalpolitischen Bedürfnissen der Strafbarkeit. Der wechselseitigen Bedeutung beider Prinzipien sucht er mit der Formel gerecht zu werden, ob gestraft werden soll, bestimme die Voraussetzung einer Verschuldung, die Höhe der Ähndung aber ergebe sich aus Zweck und Wesen der Strafe. „Wir setzen die Schuld als eine Bedingung, ohne welche nicht gestraft werden kann. Ist diese erwiesen, dann muß die Größe der Strafe nach den Gesichtspunkten, die bisher vorkamen (d. h. aus dem Wesen der Strafe entwickelt sind), vom Gesetzgeber bestimmt werden."^ Daß diese Formel keine endgültige Lösung enthält, sondern selbst ein kompliziertes Problem darstellt, geht aus Kleinschrods Darstellung unmittelbar hervor. Denn Schuld und Strafbarkeit lassen sich nicht völlig isoliert ermitteln. Die Höhe der Schuld ist abhängig auch von objektiven Momenten, von der Bedeutung des verletzten Rechts für die „gemeine Ordnung", von dem „bürgerlichen Schaden" und von dem Maß der Strafbarkeit, mit dem die Rechtsordnung die antisoziale Bedeutung der Tat bewertet. Umgekehrt ist auch das Maß der Strafbarkeit von der Höhe der Schuld abhängig, und zwar glaubte Kleinschrod, anders als Feuerbach, einen Parallelismus zwischen dem Maß der Schuld und dem Bedürfnis nach strafrechtlicher Ahndung annehmen zu können: „Schwächung der Innern Zurechnung muß auf den Grad der äußern Strafbarkeit Einfluß haben. Zudem ist derjenige für die Sicherheit der Gesellschaft nicht so gefährlich , dessen Tat nicht voll kann zugerechnet werden."^ Doch finden sich bei Kleinschrod Fälle genug, in denen diese Harmonie nicht ohne weiteres her- stellbar ist. Leichte Gelegenheit und große Versuchung vermindern

' Vgl. die Anerkennung dieser Vorzüge bei Henke, Grundriß einer Geschichte der deutschen peinlichen Rechtswissenschaft Tl. II. Sulzbach 1809. S. 337.

- Syst. Entwicklung 2. Aufl., Tl. IL, S. 31.

* Syst. Entwicklung Tl. II, S. 153 f.

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die Zurechenbarkeit.^ Bleibt dieser Zustand aber dauernd bestehen, wie beim Dienstboten, dem die Güter des Hausherrn leicht zugänglich sind, so fordert die Gefahr ständig wiederkehrender Eigentumsdelikte erhöhten strafrechtlichen Schutz. Ebenso, wenn in einer Zeit, in der Delikte bestimmter Rrt häufig und von sehr vielen begangen werden, durch aufmunterndes Beispiel und die skrupellose Selbstverständlichkeit, mit der das Gesetz immer wieder von neuem übertreten wird, die Ver- suchung des einzelnen erhöht wird. Hier hilft sich Kleinschrod durch den Gedanken der motivierenden Kraft der gesetzlichen Strafdrohung, der bei Feuerbach die Grundlage der Strafrechtstheorie bildet. Nach Kleinschrod soll der Staat jenen Personen, die durch starke Motive auf die Bahn des Verbrechens gedrängt werden, härtere Strafen androhen: die Vorstellung dieses Übels wirkt jenen Motiven entgegen, damit entfällt die Herabminderung der Verantwortlichkeit, und die Straf- barkeit entspricht der Zurechenbarkeit der Tat." Ruch die Erhöhung der Rückfallstrafen sucht er auf ähnliche Weise durch den Ab- schreckungsgedanken zu rechtfertigen,^ während er beim Gewohn- heitsverbrecher, der die böse Tat „nicht mehr lassen kann und wider Willen zu seiner Lieblingsneigung fortgerissen wird",* den Gegensatz zwischen geringer Verschuldung und stärkster krimineller Gefährlichkeit als unausgleichbar anerkennt und hier das geringe Repressivbedürfnis dem Sicherungsgedanken unterordnet: „Seine Strafe ist zwar gering anzusetzen, aber in eine verhältnismäßige Einschränkung seiner Freiheit zu verwandeln, welche so lange dauern muß, bis man vom Verbrecher nichts mehr zu fürchten hat."^

Voraussetzung der Schuld ist Zurechnungsfähigkeit, diese wiederum auf der Freiheit des Handelns begründet. Feuerbach rechnete Kleinschrod zu seinen indeterministischen Gegnern. Im Grunde ließ Kleinschrod die Frage nach der Motivation des Willens offen und begnügte sich mit der bei Feder und andern Vorbildern nachwirkenden Hobbesschen Freiheit des Handelns. „Ohne in theoretische, hier überflüssige Untersuchungen einzugehen, ob es absolute Freiheit gebe, können wir uns damit begnügen, daß der Mensch nicht nur ein vernünftiges, sondern auch ein Sinneswesen sei, und der Erfahrung gemäß nicht nur dem Gesetz gemäß, sondern auch entgegen handeln kann."'^ Im einzelnen aber zog er aus dieser Handlungsfreiheit alle die Konsequenzen, die Feuerbach bei den Indeterministen bekämpfte, so vor allem die Lehre von der

' Syst. Entwicklung Tl. I, S. 294.

- Syst. Entwicklung Tl. I, S. 290 ff.

" Ebendort Tl. II, S. 167. ' Ebendort Tl. I, S. 300.

' Ebendort Tl. II, S. 167. " Ebendort Tl. I, S. 102.

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verminderten Zurechnungsfähigkeit. Ähnlich wie auch der Determinist Feder keineswegs die verschiedene kausale Bedeutung der Motive, die verschiedene „Stärke des Willens" verkannte/ schloß Kleinschrod aus geringen äußeren Anlässen bei der Begehung des Verbrechens auf besonders schwere Schuld in der Person des Täters, während starke Motive entschuldigend wirken: „Je stärker also die Reize und Beweggründe zu einer Handlung sind, desto geringer ist ihre Freiheit und Zurechnung."" Hierauf beruht nach Kleinschrod die geringe subjektive Schuld des unverbesserlichen Gewohnheits- verbrechers und die Minderung der Verantwortlichkeit für Handlungen, die einem starken Affekt, einer übermächtigen Leidenschaft entsprungen sind. Denn hier läßt sich nur in geringem Grade von menschlicher Handlungsfreiheit sprechen. Ähnlich liegen die Fälle, in denen „natürliche Dummheit" oder vernachlässigte Erziehung die „Geistes- kräfte einschränken". „Menschen dieser Art können das Gute und Böse einer Handlung nicht hinreichend unterscheiden" und sind nicht imstande, „ihre Leidenschaften zu bemeistern ... Je größer also die Stupidität ist, desto geringer die Zurechnung".^

Mit solchen Gedanken vertrat Kleinschrod die damals herrschende auf ethischer Betrachtung fußende Zurechnungslehre, der Feuerbach seine auf völliger Trennung von Recht und Moral beruhende, streng deterministische, rein strafrechtliche Zurechnungslehre entgegenzusetzen suchte. Kleinschrod erkannte den großen Gegner bereits in jener ersten kurzen Darstellung bei Gelegenheit der Besprechung von Grolmans Grundsätzen der Kriminalrechtswissenschaft in der Jenaer Literatur- zeitung* und er bemühte sich, dem „einsichtsvollen Rezensenten" gegenüber den eigenen Standpunkt zu wahren: „Rechtliche Handlungen hören dadurch, daß sie dieses werden, nicht auf, moralische zu sein." Darum „können wir auch im Kriminalrecht die moralische Imputation nicht entbehren".'' In der dritten Auflage seines Werkes setzte sich Kleinschrod ausführlich mit der Zurechnungslehre der Feuerbachschen „Revision" auseinander. Wenn man die ethische Beurteilung aus dem Recht ausschaltet und den Menschen in der Zurechnung „bloß als Naturmenschen behandelt", dann sei auch die Feststellung der „psy- chologischen Wirksamkeit der Gesetze" überflüssig und es kann ohne weiteres „die tierische Züchtigung stattfinden, sobald man weiß, daß

' Unters, über den menschl. Willen Tl. III, S. 46L ' Syst. Entwicklung Tl. I, S. 124. ' Syst. Entwicklung Tl. I, S. 237.

* Allgemeine Literaturzeitung. Jena und Leipzig 1798. Bd. II, Nr. 113 und 114, Sp. 65 ff. Vgl. oben Kap. II, S. 45 ff. ' Syst. Entwicklung 2. ÄuJl., Tl. I, S. 120.

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ein Mensch eine gesetzwidrige Tat beging".^ Feuerbach habe aber selbst diese Konsequenz gar nicht gezogen, sondern verlange zur Zurechnungsfähigkeit „Bewußtsein des Strafgesetzes, Beziehung der Handlung unter dasselbe und das Vermögen, sich zur Handlung zu bestimmen". Das sei letzten Endes nichts anderes als die „Willkür" und Handlungsfreiheit, die Kleinschrod zur Zurechnungsfähigkeit vor- aussetzt.^

Geisteskrankheit schließt die Zurechnungsfähigkeit aus. „Wahn- sinnige" sind nicht fähig, „richtige und bestimmte Begriffe sich zu bilden und den Willen durch die Vernunftgründe zu bestimmen"."' Das gilt naturgemäß nicht für die scheinbar normalen Stadien des temporären Irreseins, die berühmten, schon von Justinian so benannten, dilucida intervalla.'* Aber Kleinschrod nimmt auch hier nur verminderte Zu- rechnungsfähigkeit an: „Denn ist auch jemand nur eine Zeitlang oder in Ansehung eines Gegenstandes wahnsinnig, so kann man doch nie ganz gewiß behaupten, daß er einen vollkommen gesunden Geist habe."''

Einer milden Auffassung huldigt Kleinschrod auch in den Fällen, in denen die Handlung zwar in einem Stadium vorübergehender Unzu- rechnungsfähigkeit ausgeführt, diese Unzurechnungsfähigkeit selbst aber von dem Täter freiwillig herbeigeführt ist: Äctionesliberae in causa, Handlungen, die, wie man auch sagte, auf ein früheres Stadium voller Zurechnungsfähigkeit zurückbezogen werden können: Äctiones in liber- tatem relatae. Das ältere gemeine Recht bestrafte nach dem Vorgang der italienischen Doktrin und unter dem Einfluß Carpzovs und Boehmers die Ebrietas affectata, mit der ordentlichen Strafe des vorsätzlich begangenen Delikts.*' „Wer sich gar fürsetzlicher Weis", heißt es bei Kreittmayr, „in der bösen Absicht, um die Tat desto beherzter vollbringen zu können, mit Fleiß betrinkt . . . , verdienet keine Strafmilderung und wird diesfalls für nüchtern gehalten."^

Anders Kleinschrod. Er nimmt bei den actiones liberae in causa nur Fahrlässigkeit an und lehnt eine Bestrafung wegen vorsätzlichen Handelns auch für die Fälle ab, in denen der Täter den Zustand der Unzurechnungsfähigkeit in der Absicht herbeigeführt hat, um desto

' Syst. Entwicklung 3. Aufl., Tl. I, S. 1 10.

' Syst. Entwicklung 3. Aufl., Tl. I, S. 109.

" Syst. Entwicklung 2. Aufl., Tl. I, S. 199.

M. 9 C VI, 22.

•• Syst. Entwicklung Tl. I, S. 201.

'' Carpzov, Nov. Pract. Qu. 146, Nr. 58. Bochmcr, Obscrv. ad Carpzovii Pract. Rer. Crim. Obs. I ad quaest. 146 sowie Mcditationes in CCC, § 9 f. zu a 179. Über die Behandlung des Problems bei den italienischen Juristen vgl. Engelmann, Schuldlehre der Postglossatoren S. 31 f.

' Cod. Jur. Bav. Crim. Tl. I, cap. I, § 19.

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leichter ein Verbrechan zu begehen. Denn der Täter gibt ja selbst die Karten aus der Hand: „man ist nicht gewiß, ob die Tat auch so ausgefallen wäre, wenn der Wille vollkommene Freiheit behalten hätte"/ Nur „der Entschluß, dies Verbrechen zu begehen und die freiwillige Beraubung des Gebrauchs seiner Vernunft sind ohne Zweifel dolos". Bei der Ausführung aber kann der Täter „nicht mehr frei bestimmen, ob er handeln wollte oder nicht, er vermochte es nicht, die Äbratungs- gründe einzusehen. Er handelte ohne Bewußtsein, bloß nach tierischem Instinkt. Wer kann eine Handlung dieser Art dolos nennen?" "

Ein ähnlicher Gedankengang kehrte im späteren preußischen Recht wieder. Savigny sah in der Behandlung der actiones liberae in causa als vorsätzliche Rechtsverletzungen einen Widerspruch, denn wenn der Täter unzurechnungsfähig ist, kann er „die früher beabsichtigte Handlung nicht infolge des früheren Entschlusses vollziehen", oder aber er kann das, dann ist er eben nicht unzurechnungsfähig.^ Unter seinem Einfluß nahm man damals allgemein in solchen Fällen Fahr- lässigkeit an,^ während heute die herrschende Meinung Vorsatz bejaht, wenn der Täter vor oder durch Herbeiführung eines die Zu- rechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes eine Ursache für einen rechtswidrigen Erfolg gesetzt und dabei den Erfolg vorausgesehen hat.°

' Syst. Entwicklung Tl. I, S. 136.

■■' Ebendort S. 45.

' Goltdammer, Materialien zum Strafgesetzbuch für die preußischen Staaten Tl. 1. Berlin 1851. S. 353.

* Vgl. Urteile des Obertribunals in Goltdammers Ärch. VIII, S. 407 f. und IX, S. 70 f. Hälschner, System des preußischen Strafrechts Tl. I. Bonn 1858. S. 116. Berner, Lehrb. des deutschen Strafrechts 6. Aufl. Leipzig 1872. S. 129 f. Beide Autoren änderten später ihre Ansicht zugunsten der heute herrschenden Meinung. Vgl. Hälschner, Das gemeine deutsche Strafrecht I. Bd. Bonn 1881. S. 212. Berner, Lehrbuch des deutschen Strafrechts 17. Aufl. Leipzig 1895. S. 86.

^ V. Liszt, Lehrbuch 23. Aufl. 1921. S. 167. Frank, Strafgesetz- buch 11. 14. Aufl. 1919. §51, IV. Olshausen, 9. Aufl. 1912. §51, Nr. IIa. Ebermayer, Strafgesetzbuch. 1920. Anm. 8 zu § 51. RQ. 22, 418. Gegen diese Ansicht: Katzenstein, Die Straflosigkeit der Actio libera in causa, Liszts Scminarabhandlg., Neue Folge 1, 1. Hier wird in dem kausalen Handeln im zurechnungsfähigen Vorstadium nur eine Vorbereitungshandlung im Sinne der objektiven Versuchsauffassung gesehen (S. 50). Der Täter kann nicht „als Werkzeug seiner eigenen Tat" betrachtet werden (S. 59). Gegen Katzenstein: v. Bar, Gesetz und Schuld II, S. 104 ff. und 110, der Strafbarkeit annimmt, wenn es keines Willensaktes mehr bedarf, sondern der Täter im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit lediglich den bereits in Bewegung gesetzten Naturkausalismus ablaufen läßt, da eben hierdurch die auslösende Handlung über das Stadium der Vorberci'ungshandlung hinausgewachsen erscheint.

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Die psychologische Vertiefung der strafrechtlichen Probleme zeigt sich in der Differenzierung und dogmatischen Ausgestaltung der Schuldarten. Hier liegt, abgesehen von den Ergebnissen, auf methodischem Gebiet der große Unterschied zwischen dem neueren und dem älteren gemeinen Recht. Dabei haben die damaligen Kriminalisten selbst das Wesentliche dieses Gegensatzes nicht gesehen: daß nämlich die Bestrafung fahrlässiger Vergehen unter ihren Händen von einer Modifikation der gesetzlichen poena ordinaria zu einer nicht minder gesetzlichen, einer andern Schuldart entsprechenden Strafe wurde. Noch bei der Abfassung des bayerischen Strafgesetzbuches von 1813 verschloß sich Feuerbach in dieser Frage der bessern Einsicht Gönners.^ Gleichwohl trat damals in der dogmatischen Ausgestaltung der kriminalistischen Begriffe die Fahrlässigkeit als selbständige Schuldform neben den Vorsatz.

Nach Kleinschrod handelt vorsätzlich, wer sich zu einer unerlaubten Handlung bestimmt und einsieht, daß „dieselbe gesetz- widrig sei", fahrlässig, wer ohne dies Bewußtsein handelt, wiewohl er es hätte haben können und sollen. Vorsatz, der bewußt rechts- widrige Wille. Daraus folgt, daß es zur Begriffsbestimmung des Vorsatzes gehört, das Maß der zum Bewußtsein der Rechtswidrig- keit erforderlichen Kenntnisse zu begrenzen. Und umgekehrt: der Rechtsirrtum hat nicht mehr, wie bisher, die Bedeutung eines Straf- milderungsgrundes, sondern er stellt die Zurechenbarkeit zum Vorsatz in Frage. Auch hier werden Strafbarkeitsvoraussetzungen zu Schuldelementen: „Wenn es wahr ist, was in der Natur der Sache liegt (!), daß die Kenntnis des Strafverbots und das Bewußtsein, daß man unrecht handle, zur Essenz des Vorsatzes gehört, so ergibt sich daraus die natürliche Folge, daß Unwissenheit und Irrtum einen großen Einfluß haben müssen, die Zurechnung zu bestimmen."'^ Dabei genügt zur Annahme des Vorsatzes bei Kleinschrod nicht eine Kenntnis der „Innern Büß- und Strafmäßigkeit" der Handlung (Kreittmayr). Braucht der Täter auch nicht das einzelne Strafgesetz, das er über- tritt und die Höhe der verwirkten Strafe zu kennen, so muß er doch wissen, daß seine Tat von den positiven Gesetzen verboten ist. Daß die Tat „natürlich unerlaubt" ist, war nur eine der Veranlassungen, warum die Gesetze eine Strafe dagegen verordnet haben, die Bestrafung des Vorsatzes hat „ihren nächsten Grund darin, weil das positive Recht dem Urheber eines Vergehens ein Übel droht und dieser desungeachtet mit Verachtung der Drohung seine zügellose Willkür dem Gehorsam

' Vgl. unten Kap. V.

'' Syst. Entwicklung Tl. 1, S. 36.

' Ebendort Tl. I, S. 246.

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gegen die Gesetze vorzog".^ So ist Bewußtsein der Strafgesetzwidrigkeit zum Vorsatz notwendig. Bei der formalen Enge des alten Beweisrechts kann nach Kleinschrod der Vorsatz, da der bewußt rechtswidrige Wille eine innere Tatsache ist, nur durch das Geständnis des Verbrechers bewiesen werden.'- Hier rührt Kleinschrod an Probleme, deren gesetz- geberische Ausgestaltung in seinem Entwurf ihm selbst erhebliche Schwierigkeiten machte und die in anderer Form bei der Entwicklung von Feuerbachs Vorsatzlehren eine Rolle spielten.

Neben dem Vorsatz steht die Fahrlässigkeit, die unbewußt rechtswidrige Verwirklichung eines verbotenen Tatbestandes. Etwa zur gleichen Zeit hatte der Hallenser Kriminalist Ernst Friedrich Klein in ähnlicher Weise dem bewußt rechtswidrigen Willen eine zweite, selbständige Schuldform zur Seite gestellt, wobei er versuchte, die formale Einheit beider Arten als Willens schuld zu wahren.'' Nach ihm besteht eine Schuld entweder darin, daß jemand etwas unter- nimmt, von dem er weiß, daß er es nicht tun sollte: positiv böser Wille. Vorsatz. Oder es fehlt dem Täter der Entschluß, „die zur Vermeidung gesetzwidriger Handlungen erforderliche Fähigkeit und Aufmerksamkeit auszubilden oder anzustreben": ein Mangel des guten Vorsatzes, negativ böser Wille, Fahrlässigkeit.^ Kleinschrod konstruiert die Fahrlässigkeit als Wissensfehler. „Der Unwissende hält eine Handlung für erlaubt, die es nicht ist, der Unbedachtsame hält sich zu keiner weiteren Vorsicht verbunden, als er wirklich anwendet, der Nachlässige untersucht nicht, welchen Fleiß dieses oder jenes Geschäft erfordere, er hält den von ihm angewandten Fleiß für hinlänglich. So wird man bei allen Arten von Culpa, z. B. Unvorsichtigkeit, Unbedachtsamkeit, Nachlässigkeit, zu große Sicherheit, Ungeschicklichkeit, Schwachheit usw. einen Trugschluß, einen Irrtum entdecken." ' Der Schuldcharakter eines solchen Irrtums, seine Vorwerfbarkeit liegt darin, daß die Sicherheit des sozialen Zu- sammenlebens der Menschen ein bestimmtes Durchschnittsmaß an Kenntnissen und Einsicht voraussetzt. Darum ist „jeder Mensch schuldig, die allgemein bekannten physischen und moralischen Wir- kungen seiner Tat in Betracht zu ziehen und diese so einzurichten, damit er niemand beschädige"."

' Syst. Entwicklung Tl. I, S. 40 f. ' Ebendort S. 60.

' Vgl. Binding, Normen IV, 1, S. 186 f.

* E. F. Klein, Grundsätze des gemeinen deutschen peinlichen Rechts 2.Äufl. Halle 1799. §120,S.99f. Derselbe, Vom Unterschiede zwischen Dolus und Culpa in Beziehung auf Verbrechen und Strafe. Ärch. des Kriminairechts I, 2. Stück, S. 56 ff.

Syst. Entwicklung Tl. I, S. 66. '' Syst. Entwicklung Tl. I, S. 68.

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Sind so Vorsatz und Fahrlässigkeit als selbständige Schuldformen ausgebildet, so kann auch die Entscheidung über das strittige Grenz- gebiet zwischen beiden, den dolus indirectus nur aus der Analyse der Schuldbegrifie heraus erfolgen. Dabei knüpfte die Doktrin zunächst an die spätere Fassung Boehmers an, in der dieser an Stelle des dolus indirectus im Sinne der Leyserschen voluntas nocendi, wie ihn Kreitt- mayr rezipierte, den dolus eventualis setzte/ Eine bedeutsame Rolle spielte die berühmte Abhandlung Nettelbladt-Glaentzers." Gegen die traditionelle Anschauung, welche die bewußt herbeigeführten Folgen einer beabsichtigten Handlung als „indirekt" oder „eventuell" mit- gewollt behandelte, polemisierte als erster der Kieler Kriminalist Christiani,^ indem er auf die psychologischen Mängel dieser Konstruktion hinwies. „Die Erfahrung lehrt, daß der Mensch sehr oft eine Tat wolle, ohne zugleich die Folgen derselben zu wollen, selbst dann, wenn solche mit großer Wahrscheinlichkeit vorausgesehen werden."'* Das Mädchen, das sich dem Verführer hingibt, denkt wohl an die Folgen ihres Tuns, aber sie will und billigt alles andere als ihr Eintreten, der Student auf der Mensur denkt wohl an die Möglichkeit eines tragischen Ausgangs, aber er würde den Gedanken entsetzt zurückweisen, zum Mörder seines Gegners werden zu wollen. Tritt die unerwünschte Folge dann ein, so kann ihretwegen der Täter nicht wegen dolus, sondern nur wegen culpa lata zur Verantwortung gezogen werden.

Kleinschrod nimmt in dieser Kontroverse eine vermittelnde Stellung ein und nähert sich im Ergebnis der Art, in der die heute herrschende Meinung die Grenze zwischen dolus eventualis und bewußter Fahrlässigkeit zieht.'' Er unterscheidet zwei Fälle. Erstens: „Jemand entschließt sich zu einer Handlung. Er sieht ein, es könne hieraus ein Verbrechen entstehen. Es ist ihm gleichgültig, ob es erfolgt oder nicht, er will das Verbrechen, wenn es auch erfolgen sollte. Hier ist offenbar wahrer Dolus, und zwar ein eventueller da."*^

' Vgl. oben S. 136.

^ Diss. de homicidio ex intentione indirecta commisso. 1753.

' Die Chimäre des Totschlags aus indirektem Vorsatze. Kielsches Magazin vor die Geschichte, Staatsklugheit und Staatenkunde Bd. I. Kiel 1783. S. 345 ff.

' Ä. a. O. S. 351.

'' Vgl. z. B. den Standpunkt bei M. E. Mayer, Der allgemeine Teil des deutschen Strafrechts. Heidelberg 1915. S. 251 und 266.

'• Syst. Entwicklung Tl. I, S. 38. Während bei Boehmcr dolus eventualis und indirectus synonym gebraucht werden, ist der Sinn von Kleinschrods Argumentation, nachzuweisen, daß dolus eventualis ein dolus directus ist. Er folgt hier Eschenbach, Progr. de dolo indirccto homi- cidarum. Rostock 1787. § 5. Vgl. Kleinschrod, Syst. Entwickl. Tl. I, S. 55.

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Hat er dagegen infolge Unüberlegtheit nicht an die Folge seines Vorhabens gedacht oder glaubt er, „seine Handlung so einrichten zu können, daß jene nicht daraus entsteht", handelt er „mit aller Vorsicht, das zu Jürchtende Ereignis zu vermeiden...", so „kann unmöglich die Folge als dolos betrachtet werden".^ So bildet der heutigen Doktrin entsprechend letzten Endes das Maß der Sympathie für die Folgen des Vorhabens die Grenze zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit.^ Dabei bemühte sich Kleinschrod auch in diesen, unserer bewußten Fahrlässigkeit entsprechenden Fällen gemäß seiner Anschauung vom Wesen der Fahrlässigkeit die Schuld in einem Irrtum des Täters zu begründen: auch hier irrte der Täter, denn „er glaubte, durch seine Vorsicht die Folgen vermeiden zu können, was aber nicht möglich war".^

Zeigt so Kleinschrod in der theoretischen Bearbeitung der straf- rechtlichen Probleme eine entschiedene Wendung zu der Dogmatik des modernen Strafrechts, so bleibt sein Entwurf eines peinlichen Gesetzbuchs für die kurpfalzbayerischen Staaten, München 1802, in auffallendem Maße hinter den Lehren seines Verfassers zurück. Die theoretische Trennung von Schuld und Strafbarkeit ist im Gesetzentwurf nicht zum Ausdruck gekommen. Ganz im Sinne des alten gemeinen Rechts kennt sein Entwurf nur gesetzliche Straf- drohungen und Bestimmungen darüber, wann die gesetzliche Strafe wegfällt, gemildert oder verschärft wird. In kasuistischer Regelung erscheinen in buntem Wechsel Notwehr und Jugend, weibliches Geschlecht und pathologische Zustände, Armut und Irrtum lediglich als Strafänderungsgründe, und auch aus der schwankenden Termino- logie, nach der z. B. Kinder „kein Verbrechen zu begehen fähig" sind 214), während der in der Notwehr Handelnde lediglich „nicht als Verbrecher gestraft" werden kann 184), läßt sich im Zu- sammenhalt aller Bestimmungen kein einheitliches Prinzip ableiten. Bei der Zurechnungsfähigkeit überrascht eine auffallende Strenge gegenüber Kindern unter sieben Jahren, die „mit einer mittleren oder leichteren Züchtigung im Gericht belegt werden" können, wenn „die Bosheit das Alter übertrifft" 216).* Dabei hatte Kleinschrod

* Syst. Entwicklung Tl. I, S. 56.

'^ Im Gegensatz zu dieser Lehre suchte der Vorentwurf 1909, § 59, Abs. 2 die Grenzziehung von dem Grade der beim Täter vorhandenen Gewißheit des Erfolges abhängig zu machen.

' Syst. Entwicklung Tl. I, S. 56.

'' Diese Bestimmung, die im Wortlaut eine Reminiszenz an CCC 164 und den in zivilrechtlicher Beziehung gemeinten Satz der römischen Quellen: malitia supplet aetatem enthält, ist eine gesetzliche Sanktionierung der Carpzovschen Praxis, die selbst Kreittmayr nicht ins Gesetz aufnahm,

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selbst mit lebhaften Worten auf die für die Verantwortung noch zu schwache jugendliche Psyche hingewiesen/ wie sich auch bei seinem Vorbild Feder manche gute Beobachtung über das Weiche, Schwankende, den wechselnden Eindrücken Hingegebene jugendlicher Seelen findet.^ Bei den Jugendlichen zwischen sieben und vierzehn Jahren wird die Bestrafung nicht mehr von dem subjektiven Urteil des Richters über die Strafwürdigkeit des jungen Delinquenten abhängig gemacht, sondern im Gesetz selbst ist die Strafe auf die Hälfte bis ein Drittel der Strafe für den völlig zurechnungsfähigen Erwachsenen herabgesetzt und an die Voraussetzung geknüpft, daß der Richter festgestellt hat, daß der Jugendliche „die gehörige Kenntnis habe, daß er die Strafbarkeit der Tat, ehe er sie beging, hätte einsehen können" (§217f). Hier wirkt bereits das Discernement des franzö- sischen Rechts, das sich in traditioneller, wenn auch keineswegs un- angefochtener Weise bis ins Reichsstrafgesetzbuch 56) erhalten hat.^ Die theoretische Ausgestaltung der Schuldformen erwies sich für eine gesetzgeberische Regelung ungeeignet. Vorsätzlich handelt, wer „einsieht, daß seine Handlung von den Gesetzen unter Strafe verboten sei und dieser Wissenschaft ungeachtet die Tat vollbringt" 25). Aber diese Kenntnis der positiven Strafbarkeit war natur- gemäß in unzähligen Fällen nicht vorhanden oder nicht zu beweisen. Darum wird jedoch der Vorsatzbegriff nicht erweitert, sondern jene Kenntnis als vorhanden fingiert: „Da Wir alle Sorge tragen werden, daß Unsere Gesetze zur Kenntnis aller Unserer Untertanen gelangen, so soll der Regel nach niemand sich durch Unwissenheit der Gesetze entschuldigen können" 276). Zwei Fälle hebt der Entwurf besonders hervor, in denen die „vorgeschützte Unwahrheit als unbegründet zu verwerfen" ist 277). Einmal beim error affectatus, wenn sich jemand „die Gesetze absichtlich nicht bekannt macht, um nach zügelloser Willkür handeln zu können". Für diese Bestimmung findet sich eine

sondern nur in den Anmerkungen, gegen den Wortlaut das Gesetzes, als Erziehungsmaßregel: damit „keine böse Gewohnheit Wurzel fasse!" erwähnte (Änm. zum Cod. Jur. Bav. Crim. zu Tl. I, cap. I, § 4 c).

' Syst. Entwicklung Tl. I, S. 161 ff.

- Feder, Unters, über den menschlichen Willen 2. Aufl., 1787, Tl. II, S. 293 ff. und 304.

■' Diese Bestimmung geht zurück auf den Code p^nal von 1791, Titre V, al. R. Garraud, Traitö th^oretique et pratique du Droit p^nal Fran^ais 3. ed., 1913, Tome I, pag. 721. Während die Voraussetzung des Discernements im Code p^nal im Zusammenhang steht mit der freien Beweiswürdigung durch die Jury, bildet sie in dem formalen Beweis- recht des Kleinschrodschen Entwurfs eine Anomalie. Vgl. auch Remy, Les principes gdn(!raux du code pdnal de 1791. Paris 1910. Pag. 135 ff.

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Begründung in den theoretischen Erörterungen Kleinschrods, zu der ihn weniger die Analyse seiner SchuIdbegriHe als kriminalpolitische Bedürfnisse führen: „ein Mensch solcher Rrt ist für das öffentliche Wohl ebenso gefährlich als derjenige, der die Gesetze kennt und sie überschreitet"/ Entsprechend seiner Beurteilung der actiones liberae in causa hätte er allerdings auch in diesem Falle Fahrlässigkeit annehmen müssen. Der zweite Hauptfall der Präsumtion der Rechts- kenntnis betrifft Handlungen, die „nach den ersten Gründen der Vernunft und Sittlichkeit unerlaubt" sind, wenn der Täter die nötige Erziehung genossen hat." Auch diese Ausnahme hatte er sich in der Theorie offengehalten und sie soll nach dem Entwurf 277) gellen bei solchen Handlungen, „deren Stratlsarkeit jeder gemeine Menschen- verstand einsehen muß". So sind hier wieder Gedanken aus dem Naturrecht und seiner Ausgestaltung bei den Kanonisten, die Lehre vom error iuris Divini ac naturae in die Vorsatzlehre hineingenommen.

Auch die Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit ver- mochte er nicht klar und eindeutig in seinem Entwurf zum Ausdruck zu bringen. Nur wenn die Folgen eines an sich erlaubten Ver- haltens den Tatbestand eines Verbrechens bilden, hängt der dolus (eventualis) davon ab, ob der Täter „in dasselbe einwilligte, wenn es erfolgen sollte" 35). Bei der vorsätzlichen Begehung eines Delikts dagegen werden dem Täter alle „notwendigen Folgen dieser Handlung als vorsätzlich zugerechnet", andere Folgen, also z. B. nur mögliche Folgen der Haupttat dann, „wenn der Urheber der Haupthandlung diese Folgen vorsah und deren Dasein befördern wollte" (§§ 28, 29). Die formale Trennung zwischen den Folgen erlaubten und verbotenen Tuns und die Ausdehnung der Haftung im zweiten Falle auf alle notwendigen Folgen, unabhängig vom Willen und Bew^ußtsein des Täters, erklären sich als eine Nachwirkung des kanonistischen Satzes vom Versari in re illicita, die sich auch noch im Feuerbachschen Strafgesetzbuch an ähnlicher Stelle wiederholt.

Das Strafensystem des Entwurfs bricht endgültig mit der Brutalität des Kreittmayrschen Gesetzes. Qualifizierte Todesarten und verstümmelnde Strafen sind verschwunden. Aber im einzelnen macht sich auch hier die Unzulänglichkeit Kleinschrods geltend, seine theo- retischen Lehren für die praktische Gesetzgebung zu verwerten. Die Berechtigung der staatlichen Strafe führt Kleinschrod anfangs auf ein ursprüngliches staatliches Notwehrrecht, ^ später auf die dem Staate von dem Gemeinwillen aufgetragene Verpflichtung, die öffentliche

' Syst. Entwicklung Tl. I, S. 249.

- Ebendort.

' Syst. Entwicklung 1. Aufl., Tl. II, S. 17 L

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Ordnung zu erhalten, zurück/ Der Erreichung dieses Zieles dienen die drei traditionellen Zwecke der Strafe: Besserung, Abschreckung, Sicherung. Dabei will Kleinschrod nicht eine Idealstrafe konstruieren, durch die alle drei Zwecke vereinigt werden, sondern sie sollen alter- nativ, dem jeweiligen besonderen Reaktionsbedürfnis dienend, angewandt werden: Der jugendliche Rechtsbrecher und der aus Irrtum Fehlende bedürfen der Belehrung, deren Wirksamkeit durch ein gelindes Strafübel zu steigern ist. Wer aus Bosheit handelt, verdient eine abschreckende Strafe. Derjenige, von dem auch in Zukunft weitere Verbrechen zu befürchten sind, erhält eine Strafe, die vorwiegend den Charakter einer Sicherheitsmaßnahme zum Schutze der Gesellschaft trägt." Doch hat Kleinschrod ebensowenig wie v. Liszt, an dessen Trias: Abschreckung der Augenblicksverbrecher, Besserung der besserungsfähigen Zustands- verbrecher, Unschädlichmachung der Unverbesserlichen, man hier unversehens erinnert wird,^ daran gedacht, die äußerste Konsequenz aus einer solchen Auffassung zu ziehen und die Art der Strafe allein von der Auffassung des Richters über die Persönlichkeit des Täters, unabhängig von der Art und der Schwere der begangenen Tat bestimmen zu lassen. Vielmehr sind bei ihm solche Überlegungen nur Hinweise für den Gesetzgeber, die verschiedene Bedeutung bestimmter Handlungsweisen für die Beurteilung der Persönlichkeit in den Strafdrohungen entsprechend zu berücksichtigen. Damit nähert sich hier Kleinschrod der symptomatischen Verbrechensauf- fassung Grolmans. Doch wandte sich Kleinschrod bereits in der zweiten Auflage seiner systematischen Entwicklung gegen den „zu subjektiven Maßstab" Grolmans und lehnte es ab, die Strafbarkeit nach der durch die Tat dokumentierten „willkürlichen Gesetzwidrigkeit" abzustufen: „Ich halte vielmehr dafür, daß man nur durch einen objektiven Maßstab, durch die Beziehung der Handlung auf das Wohl der ganzen Gesellschaft, die Größe der Strafe finden könne."* Bei der Klassifizierung solcher objektiven Maßstäbe folgte er später Feuerbach. ^

Nur bescheidene Ansätze jener Differenzierung der Straf- zwecke sind in Kleinschrods Entwurf zum Ausdruck gekommen. Belehrung hielt er für angebracht bei dem Versuch des Selbstmordes

' Syst. Entwicklung 2. Aufl., Tl. II, S. 23. ^ Syst. Entwicklung Tl. II, S. 123 ff.

* V. Liszt, Der Zweckgedanke im Strafrecht, Aufs. I, S. 163 ff.

* Syst. Entwicklung 2. Aufl., Tl. II, S. 32 f.

' Syst. Entwicklung 3. Aufl., Tl. II, S. 35. Vgl. auch O. Tcsar, Die symptomatische Bedeutung des verbrecherischen Verhaltens, v. Liszts Seminar abhandlungen, Neue Folge V, 3, S. 117 H.

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und Religionsdelikten, darum läßt er den Selbstmörder straflos und sichert ihm ein ehrbares, jedoch stilles Begräbnis (§§ 970, 971) und mildert die Strafen für Religionsdelikte (Gefängnis). Als Abschreckung ist beim Diebstahl von 5 10 Gulden eine „mittlere Züchtigung im Gefängnis" gedacht 1045). Völlig unter dem Gesichtspunkt des Sicherungszwecks steht die Behandlung der Todesstrafe. Globig und Huster folgend, sucht er die Anwendung der Todesstrafe auf die Fälle zu beschränken, wo sie zur Erhaltung der staatlichen Sicherheit unentbehrlich erscheint.^ Solange „Zuchthäuser, Festungen und Ge- fängnisse einen Missetäter so fest verwahren können, daß er ganz außer Stande ist, fernere Anfälle gegen seine Mitmenschen zu unter- nehmen, so ist keine Notwendigkeit, also kein Recht da, das Leben dieses Menschen zu vernichten"." Dies Bestreben, die Todesstrafe aus den regelmäßigen Requisiten der Strafjustiz zu verbannen, war eine Folge jenes leidenschaftlichen Kampfes gegen die Todesstrafe, der seit Beccaria und Voltaire Geister und Herzen aller Auf- klärungsmänner bewegte. Indem Kleinschrod aber die Todesstrafe für Hochverräter, Mörder, Totschläger, Aufruhrer, Brandstifter als außerordentliches Sicherungsmittel zuließ, schuf er die Gefahr, daß die Todesstrafe von einer an festumrissene Voraussetzungen gebundenen Rechtsfolge zu einem willkürlichen Machtmittel der geschwächten Staatsgewalt wird. Dabei wirkte auch eine Über- schätzung der Wirksamkeit der Todesstrafe als eines Schutzes für die gefährdete Staatsautorität in Zeiten revolutionärer Erschütterungen mit: „Ludwig XVI. wäre wahrscheinlich noch am Leben, wenn im Anfange der Revolution einige Hauptanstifter derselben hingerichtet worden wären. "^ Die „Fälle der äußersten Notwendigkeit" 128) sind sehr dehnbar gefaßt: starker Anhang der Verbrecher, der eine Befreiung der Gefangenen befürchten läßt, erhebliche Zunahme schwerer Verbrechen, „. . . oder überhaupt, wenn ein Missetäter dieser Art so beschaffen ist, daß jede andere Strafe nicht im Stande ist, den Staat und Unsere getreuen Untertanen gegen ihn in Sicherheit zu setzen" 130). Hiermit ist tatsächlich die Husmerzung der Todesstrafe aus dem ordentlichen Recht illusorisch und ihre Anwendung in einer für die damalige Zeit unerträglichen Weise von richterlicher Willkür abhängig gemacht. Die Todesstrafe als Strafe verbannt, als außer- ordentliches Sicherungsmittel zugelassen, erscheint geradezu als Prämie für die Unzulänglichkeit der staatlichen Polizei und Strafrechtspflege.

* Vgl. Globig und Hu st er, Abhandlung von der Kriminalgesetz- gcbung S. 64 ff.

- Syst. Entwicklung Tl. III, S. 17.

' Abhandlungen a. d. pcinl. Recht Tl. III, 1. Abt., S. 63.

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Deren Schwäche und Ohnmacht, nicht die Schwere der Tat und das eigene Verschulden muß der Delinquent mit dem Tode büßen/ Zu diesen Konsequenzen führte bei Kleinschrod der Gedanke, die Todes- strafe sei zwar als reguläre Strafe zu verbannen, als außerordentliches staatliches Sicherungsmittel aber zulässig. Ein Dualismus, der auf Beccaria selbst zurückging. Auch Beccaria wollte die Todesstrafe zulassen „in einer Zeit der Anarchie, wenn Unordnung an Stelle der Gesetze tritt", wenn ein Verbrecher, „obwohl der Freiheit beraubt, noch solche Verbindungen und solche Macht hat, daß er hierdurch die Staatssicherheit gefährdet . . .""

Indem die Todesstrafe ihre alte zentrale Bedeutung als man kann sagen normale Strafe verlor, gewann die Freiheitsstrafe erhöhte Bedeutung. Kleinschrod berichtet, daß „der größte Teil der Strafen heutzutage (1797) in der Verdammung zum Zuchthause besteht".^ Mit dieser Entwicklung hatte aber die Ausgestaltung des Sh-afvollzugs in den alten Zucht- und Werkhäusern keineswegs Schritt gehalten. Hier lag noch alles im Argen. Gerade um diese Zeit hatten die ersten Versuche begonnen, in Deutschland das Interesse auf die Mängel im Vollzug der Freiheitsstrafen hinzulenken: 1780 war in Leipzig die erste deutsche Ausgabe von John Howards berühmtem Buch über Gefängnisse und Zuchthäuser erschienen, dem alsbald die Berichte von Wächter^ und Wagnitz^'' folgten. Klein- schrods Stellung zu diesen Dingen ist höchst charakteristisch: eine unverkennbare Müdigkeit hält ihn ab, die bessere Erkenntnis in reformatorische Taten umzusetzen. Er glaubt selbst, daß „Zucht- und Arbeitshäuser bei einer zweckmäßigen Einrichtung die beste Wirkung haben müssen, daß man sie zu den wirksamsten Mitteln gegen Verbrechen erheben kann".^ Da ihm aber die Kraft zu einer sinn- vollen Umgestaltung des Systems der Freiheitsstrafen fehlte eine

' Vgl. die Kritik Kleins im Ärch. des Kriminalrechts IV, 4, S. 149 L, der die „innere Gefährlichkeit der Handlung" selbst zur Todesstrafe erforderlich und genügend hält und meint, der Verbrecher könne gegenüber Kleinschrods Regelung einwenden, „es müsse doch wohl an der Regierung liegen, wenn es so viele Unzufriedene gebe", warum solle er „für die Torheit derjenigen büßen, welche ... zu denselben Ausschreitungen hingerissen würden?"

- Beccaria-Essclborn, S. 107.

* Über die Strafe der öffentlichen Arbeiten. G. A. Kleinschrods Ab- handlungen aus dem peinl. Recht und Prozeß I. Tl. Erlangen 1797. S. 233.

* Über Zuchthäuser und Zuchthausstrafen. Stuttgart 1786.

■' Historische Nachrichten und Bemerkungen über die merkwürdigsten Zuchthäuser in Deutschland. Halle 1V91-1794.

•^ Über die Strafe der öffentlichen Arbeiten, a. a. O. S. 235.

11

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Aufgabe, die freilich nicht in einem Strafgesetzbuch-Entwurf allein zu lösen war , griff er angesichts der Unzulänglichkeit der bestehenden Zuchthäuser gern zu einem Ersatz für Zuchthaus und Gefängnis: zur Strafe der öffentlichen Arbeit, die als schwerste Strafe für die Beurteilung des Entwurfs entscheidende Bedeutung hat. Ruch hier führten theoretische Lehren zu verhängnisvollen gesetzgeberischen Versuchen.

Den Äbschreckungsgedanken, der das alte gemeine Strafrecht beherrscht hatte, lehnte Kleinschrod ab. Nach dieser Maxime brauche man nur jedes Delikt „schwer und auffallend zu bestrafen, um desto mehr zu schrecken. Es würde aller Unterschied zwischen den Verbrechen aufhören und wir kämen dann auf die einfachste Gesetzgebung der Welt, die des Drako nämlich, der alle Verbrechen mit dem Tode bestrafte".^ Aber darf der Äbschreckungszweck auch nicht Größe und Gattung der Strafe bestimmen, so kann doch die Art des Vollzugs so gehandhabt werden, daß die Strafe möglichst abschreckend wirkt. Gestützt auf diese formale Unterscheidung, sucht der Entwurf eine Anregung Globigs und Husters zu verwirklichen, die selbst konsequente Anhänger des alten Abschreckungsprinzips waren: die Publizität des Strafvollzugs. Nach Globig und Huster sollte die Gefängnisstrafe gxtramuran vollzogen werden, die Gefängnisse an öffentlichen Plätzen errichtet, „nur mit Gittern vermacht, allen Vorbeigehenden zum Beispiel sein".^' Auch in den strafrechtlichen Reformbestrebungen der französischen National- versammlung wurde als Konsequenz des Abschreckungsprinzips die Forderung nach der Publizität des Vollzugs der Freiheitsstrafen in den verschiedensten Formen erhoben.^ Dieser Gedanke führte dazu, daß auch nach der, in Frankreich noch während der Revolutionszeit wieder rückgängig gemachten, Aufhebung der Brandmarkung die schweren Freiheitsstrafen infolge der entehrenden öffentlichen Zurschaustellung stigmatisierend wirken mußten.

' Syst. Entwicklung Tl. II, S. 130.

^ Gl obig und Hustcr, Abhandlung von der Kriminalgesetzgebung. Zürich 1783. S. 60 und 75.

^ Nach den Ausführungen des Berichterstatters Le Pelletier de Saint- Fargeau sollten die Strafen drei Eigenschalten haben: le premier, d'etre durables; le sccond, d'etre publiques; le troisifeme, d'etre toujours rappro- ch^es du lieu le crime a ^clatä. Der Code pönal von 1791 und der von 1810 behielten daher die Ausstellung am Pranger bei, die erst 1848 auf- gehoben wurde. In dem Aufhebungsdekret der vorläufigen Regierung hieß es: „. . . la peine de l'exposition publique dögrade la dignitö humaine, flötrit h jamais le condamnö et lui 6te, par le sentiment de son infamie, la possi- bilitö de la rehabilitation. H. Remy, Les Principes göndraux du codc pönal de 1791. Paris 1910. Pag. 47 und 121.

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Bei Kleinschrod wird als Grundsatz den Vorschriften über die ^Anwendung der Strafen überhaupt" die Bestimmung vorangestellt, daß „jede Strafe öffentlich vollzogen werden" soll 159). Vor dem Antritt der Zuchthaus-, Arbeitshaus- und öffentlichen Ärbeitsstrafe soll der Verurteilte am Ort der Tat am Pranger ausgestellt werden 162). Bei der schwersten Strafe sollen die Arbeiten der Sträflinge nach Kleinschrods Absicht „an öffentlichen Plätzen und im Angesicht des Publikums" verrichtet werden. Denn „wann läßt sich wohl eine größere Abschreckung gedenken, als wo der Verbrecher durch eine ausgezeichnete Kleidung entstellt, mit Ketten und Schande überhäuft, vor den Äugen des Staates ein mühseliges Leben führen und durch Arbeiten seine Mitbürger belehren muß, daß nicht Ruhe und Gemäch- lichkeit, sondern Schande und Arbeit unausbleibliche Folge der Verbrechen sei?"^

Hier sind Gedanken wirksam, die einer mittelalterlichen Strafjustiz zu entstammen scheinen und ein schweres Hemmnis für eine rationelle Entwicklung des Strafvollzugs werden mußten. Publizität des Straf- vollzugs ist eine Erscheinung niederer Kulturstufen." Die bewußt erstrebte infamierende Wirkung des Strafvollzugs machte alle Bemü- hungen, erzieherisch und aufrichtend auf den Verbrecher zu wirken, unmöglich; umsonst erwartete Kleinschrod von dem „mühseligen, mit Schande beladenen Leben" eine bessernde Wirkung.'' Zudem mußte der Makel der Schande nach Verbüßung der eigentlichen Strafe jede Möglichkeit für den Bestraften, sich wieder emporzuarbeiten, unter- binden. Hatte Gl ob ig wenigstens auf die Pflicht des Staates zu materieller Unterstützung des aus der Strafe Entlassenen hingewiesen, „wenn derselbe durch die erlittene Ahndung, durch die Dauer seines Arrestes in Armut geraten und der Mittel seiner vorigen Hantierung beraubt wäre",* so begnügt sich Kleinschrod mit dem Hinweis auf den Ouistorpschen Vorschlag, ins Gesetz eine Straf drohung gegen den- jenigen aufzunehmen, der einem andern eine verbüßte Strafe vorhält und dem Rat an den Entlassenen, an einen andern Ort zu ziehen.'

* Über die Strafe der öffentlichen Arbeiten, a. a. O. S. 237.

^ G. Jellinek, Die sozialethische Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe 2. Aufl. Berlin 1908. S. 137.

* Über die Strafe der öffentlichen Arbeiten, a. a. O. S. 239.

* Globig und Huster, Vier Zugaben zu der gekrönten Schrift von der Kriminalgesetzgebung. Altenburg 1785. S. 78.

* Kleinschrod, Über die Strafe der öffentlichen Arbeiten, a.a.O. S. 259. Quistorp in seinem Ausführlichen Entwurf zu einem Gesetz- buch in peinlichen und Strafsachen, Rostock und Leipzig 1782, I. Teil, §55, S.65 f., verlangt: „Würde daher jemand einem andern die überstandenc Leibes- oder eine andere Strafe schimpflicherweisc vorrücken

11*

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In den Entwurf ist jener Vorschlag als besondere Vorschrift nicht aufgenommen.^ So erkannte Feuerbach die Konsequenz aus dieser Strafgattung des Entwurfs: eine Rehabilitation war nach der Strafe der öffentlichen Arbeit ausgeschlossen. „Gewiß, der Elende, den das Publikum in dem Zustand seiner Erniedrigung immer umhergehen sah, bei welchem das Andenken an seine Schandtat täglich gleichsam wieder verjüngt wurde, der wird nie hoffen können, von der Gesellschaft wieder als ihr Mitglied anerkannt zu werden: von ihr ausgestoßen, wird er in neuen Verbrechen seine Erhaltung suchen müssen. " " Feuerbach hat aus dieser richtigen Erkenntnis den unheil- vollen Schluß gezogen, die Irreparabilität dieser infamierenden Strafe zum Prinzip zu erheben: die Kettenstrafe des Strafgesetzbuchs von 1813 konnte nie anders als auf „lebenslang" erkannt werden (a 8).'^ Treten so in Kleinschrods Entwurf bei einzelnen Strafarten besondere Strafzwecke in den Vordergrund, so ist im ganzen sein Strafrecht beherrscht von der Repression für schuldhaft begangene Handlungen. Dieses repressive Prinzip bildet bei zwei Personengruppen einen Gegensatz zum Sicherungszweck des Strafrechts bei den vermindert Zurechnungsfähigen und den gemeingefährlichen Gewohnheitsverbrechern. Kleinschrods

oder ihm deshalb seinen sonstigen Anteil an diesen oder jenen Rechten ungebührlicherweise bestreiten, so soll derselbe nicht allein dem Befinden nach zur Leistung einer gerichtlichen Abbitte angehalten, sondern auch überdies mit einer zum Besten der Armut des Orts zu ver- wendenden Geldbuße von 10 Talern oder in deren Ermangelung mit achttägigem Gefängnis bei Wasser und Brot bestrafet werden." Ein noch für die heutige Zeit beachtenswerter Vorschlag! Vgl. auch Globig und Huster, Vier Zugaben zu der gekrönten Schrift... Ältenburg 1785. S. 116.

' Vgl. dagegen die weitgehende Fassung des § 1324, unter dem das Vorhalten verbüßter Straftaten fallen könnte: „Wer die Handlungen seines Mitmenschen mit dem bösen Vorsatz lieblos beurteilt, um den Charakter desselben verdächtig zu machen und ihm alles Zutrauen und alle Ächtung seiner Mitmenschen zu entziehen, macht sich einer Schmähung schuldig, welche ebenfalls zu den wörtlichen Injurien gehört." Zugunsten der Angehörigen des Verbrechers enthält der Entwurf die inhaltsleere Bestimmung, es sollten „unsere Gerichte die Familie des Verbrechers in besonderen Schutz nehmen (?), wenn diese deswegen an ihrem guten Namen gekränkt wird, weil eines ihrer Mitglieder als Missetäter gestraft wird" 176).

* Kritik des Kleinschrndschcn Entwurfs III, S. 187 f.

' In Dänemark erwirkte im Jahre 1802 die Dänische Kanzlei die Abschaffung der Festungsbaustrafe. In der „Vorstellung" an den König führte die Kanzlei aus, durch die Öffentlichkeit des Vollzugs werde beim Verbrecher „jedes Gefühl des Guten, was noch in seiner Seele auf- kommen möchte, unterdrückt ... Er verzweifelt daran, jemals wieder die Achtung der Menschen, die Zeugen seiner Schande waren, gewinnen zu können". Blätter für Polizei und Kultur II. Bd. 1802. S. 819.

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Entwurf will hier die durch das Vergeltungsbedürfnis geforderte und begrenzte Strafe durch geeignete polizeiliche Maßregeln ergänzen. Den vermindert Zurechnungsfähigen kann „eben sein beschränkter Verstand, der ihn schon einmal zum Verbrechen antrieb", besonders gefährlich erscheinen lassen/ Bei ihnen soll zwar „nach dem Grade der Dummheit die Zurechnung des Verbrechens abnehmen", aber „die Polizei darauf Bedacht nehmen, daß sie für die Zukunft einer genauen Hufsicht anvertraut und mit den Pflichten des Menschen und Bürgers bekanntgemacht werden" 272 274).

Entsprechend lauten die für den Gewohnheitsverbrecher vorgesehenen Bestimmungen: Wer „ein Verbrechen so oft wiederholt, daß er die Gewohnheit, es zu begehen, nicht mehr unterdrücken kann", ist nach Verbüßung der den einzelnen Handlungen entsprechenden Strafen „der besonderen Aufsicht der Polizei zu unterwerfen", die seine Beschäftigung bestimmen und erforderlichenfalls eine besondere Beaufsichtigung oder eine zweckmäßige Freiheitsbeschränkung anordnen kann 399 402). Lassen diese Bestimmungen im Vergleich mit dem rigorosen Sicherungs- recht im Kreittmayrschen Gesetz eine Tendenz wohlwollender Fürsorg- lichkeit erkennen, so fehlten für eine humane, aber rationelle Kriminal- politik alle Voraussetzungen an Einrichtungen und Persönlichkeiten. Vom Standpunkt des Gesetzgebers treten hier die drei denkbaren Lösungsversuche des Problems des Unverbesserlichen unmittelbar hintereinander in die Erscheinung: in seinen theoretischen Arbeiten ordnete Kleinschrod das geringe Repressivbedürfnis dem Sicherungs- zweck unter,- im Entwurf treten Strafe und Sicherungsmaßnahme kumulativ nebeneinander, und Feuer b ach hat dann den Versuch gemacht, allein mit einer von den Schlacken moralischer Zurechnung bereinigten Strafe auszukommen.

Gegenüber Kreittmayrs Gesetzbuch war Kleinschrods Entwurf ein erheblicher P'ortschritt. Hier waltete der Geist der aufgeklärten Despotie: auch hier eine schrankenlose Staatsgewalt, aber gebunden durch ein Verantwortungsgefühl für das Wohl und Wehe des einzelnen Untertanen. Ein unverkennbarer Einfluß der Reformbewegung, eine Milderung der Strafdrohungen, eine Begrenzung des Umfangs krimi- nellen Unrechts, aber in wichtigen Fragen, Todesstrafe, Strafvollzug, ein ängstliches Schwanken und Zurücklenken zum Überkommenen. So verband der „würdige Kleinschrod", wie ihn Feuerbach zu nennen liebte, freundliche Empfänglichkeit für die neuen Ideen mit konservativ gerichteter Denkart. Dagegen war die große politische Forderung der

' Syst. Entwicklung Tl. II, S. 164.

- Syst. Entwicklung Tl. II, S. 167. Vgl. oben S. 149.

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Zeit nach der „Gleichheit aller vor dem Gesetz" im Entwurf erfüllt und damit mit den alten Standesprivilegien gebrochen. Bei Kreittmayr wurden gegenüber Standespersonen „Leib- und Schandstrafen " in Geld-, Arrest- u. dgl. Strafen abgeändert (Tl. I, cap. I, S. 25). Noch Beccaria war schwankend und wollte bei politischen Delikten, welche „nur quasi -maleficia darstellen, ... in weitgehendem Maße den Stand der Personen berücksichtigen, weil der Stock, der einen Packträger bessern kann, einen Adeligen, einen ehrenhaften Kaufmann und jedwede Person bürgerlichen Standes erniedrigt und vernichtet und deren ganze Familie der traurigsten Schande preisgibt."^ Ähnlich wie Gl ob ig und Huster- sieht Kleinschrod bei dem Verbrecher aus gebildeten Kreisen eine stärkere Schuld, aber zugleich eine erhöhte Empfindsamkeit für Strafe und eine leichtere Erziehbarkeit,^ sodaß die gleiche Strafe Avie für den gemeinen Mann der erhöhten Zurechenbarkeit gerecht wird. „Wer den Geist unserer Zeiten nur ein wenig studiert, wird finden, daß die Notwendigkeit, diese Grundsätze geltend zu machen, so groß sei, als sie noch nie war. Dieser wird es den ersten Grundsätzen moderner Politik angemessen erklären, daß das Schwert der Gerechtigkeit die festgesetzte Strafe an allen gleich vollziehe und keine Ausnahme gestatte, die dem ganzen Strafsystem so schädlich werden kann, da sie den Neid des gemeinen Mannes gegen die höheren Stände noch vermehret."^ So kennt Kleinschrods Entwurf keinerlei privilegierende Surrogatstrafe.

Der fühlbarste Fehler des Kleinschrodschen Entwurfs waren seine formalen Mängel. Die Voraussetzungen der strafrechtlichen Reaktion waren unklar und unbestimmt. Oft rührte die Vieldeutigkeit und die Unsicherheit aus dem ängstlichen Bestreben, in reicher Kasuistik die mannigfachen psychologischen Variationen menschlichen Verhaltens erschöpfend zu regeln. Häufig fehlte dem Verfasser die Gabe, alt- väterliche Ermahnungen in knappe Befehlsform zu verwandeln.^ Aber solche formalen Unzulänglichkeiten stellten den rechtspolitischen Wert gerade dieses Reformwerkes in Frage. Denn was die Zeit ersehnte, war ein klares bestimmtes Gesetzbuch, nachdem durch Generationen hindurch richterliche Willkür gegenüber veralteten Sü-afgesetzen zu einer Anarchie des positiven Rechts geführt hatte.

' Beccaria-Esselborn S. 180.

^ Äbhandl. von der Kriminalgesetzgebung S. 102 f.

=* Syst. Entwicklung Tl. II, S. 178 l

* 1794. Syst. Entwicklung 1. Aufl., Tl. II, S. 156.

* Vgl. Landsberg, Geschichte der Rechtswissenschaft 3. Abteilung. II. Halbband, S. 129.

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Kleinschrods Entwurf hatte nach seines Verfassers eigenen Worten „das Glück und Unglück, von einer Menge berufener und unberufener Kritiker beurteilt, rezensiert, gelobt und getadelt zu werden." Aber die „imponierendste, mit großem Aufwand von Witz und Bitterkeit gewürzte Kritik ist die des Herrn Hofrats und Professors Feuerbach. .."^

Diese Kritik Feuerbachs sollte für das Geschick der bayerischen Strafgesetzgebung wie für seinen eigenen Entwicklungsgang entscheidend werden. Nach den theoretischen Studien der vergangenen Jahre ist hier versucht, die strafrechtlichen Lehren im einzelnen den praktischen Hufgaben der Gesetzgebung dienstbar zu machen.^' Aber nicht minder wie dort, steht auch hier hinter dem Werk die Persönlichkeit. Die „scharfe und beißende Schreibart" und die „unbesiegliche Gewohnheit", die Gegner „im eigentlichen Sinne niederzuschlagen", worüber sich Kleinschrod beklagte,^ waren ein Ausfluß seiner kampflustigen Natur und ein Zeichen des leidenschaftlichen Eifers, im Bewußtsein des Wendepunkts der deutschen Strafgesetzgebung an entscheidender Stelle mitzuarbeiten. „Unter den Begebenheiten, so beginnt seine Kritik, welche das Menschengeschlecht in seinem Streben zum Bessern aufhalten, welche die Ketten des Vorurteils enger zusammenziehen und es durch diese mit verjüngter Liebe an das Alte fesseln, unter diesen Begebenheiten stehen, nicht im untersten Rang, mißlungene Reformationen." Der Geist des Beharrens bei dem Überkommenen zieht aus jeder verunglückten Neuerung triumphierende Nutzanwendung, aber jenes Älles-beim-Rlten-Lassen, in „Tagen der Finsternis eine magische Kraft", „gleicht in den Zeiten des Lichts dem Gemurmel eines Truggespenstes, das am hellen Mittag spukt."*

So wie Feuerbachs eigene Erfolge nicht zum wenigsten auf seiner bestechenden Dialektik und der formalen Überlegenheit seiner Argumen- tation beruhten, macht er hier die formalen Mängel des Entwurfs zum Ausgang seiner Kritik. Können sie doch die Wirksamkeit des Gesetzes selbst in Frage stellen. Ein Strafgesetz muß vollständig und volkstümlich, klar und bestimmt sein. Der Gesetzgeber soll eine bündige, knappe Sprache reden, nicht wie Kleinschrod in lehrhafter

* Äbhandl. aus dem peinl. Recht und Prozeß 3. Tl., I.Abt., S. 3 und 5.

* Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs zu einem peinlichen Gesetz- buch für die kurpfalzbayerischen Staaten, von P. Joh. Anselm Feuerbach. Drei Teile. Gießen 1804. Auch erschienen als Bd. II, 2 und 3 und Bd. III, 1 der Bibliothek für die peinliche Rechtswissenschaft und Gesetzeskunde, herausgegeben von Harscher v. Almendingen, Karl Grolman und P. J. A. V. Feuer bach.

••' Kleinschrod, Abhandl. 3. Tl., I.Abt., S. 5 f.

■* Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs Tl. I, Vorrede pag. III und IV.

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Weise „in Schlüssen deduzieren" und „Präzision und Deutlichkeit einem mißverstandenen Streben nach Verständlichkeit" opfern. Philo- sophischer Geist solle sich mehr in der Tiefe und Wahrheit des Gedankens als indem „philosophischen Gewand" doktrinärer Ausdrucks- weise dokumentieren.^ Um des Gedankens der Rechtssicherheit willen fordert Feuerbach strikte Präzisierung der gesetzlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit. Darum sieht er in Kleinschrods Entwurf mit seinen umständlich differenzierten Tatbeständen („schwere, leicht ausführbare Drohungen", „besonders gefährliche Aufrufe", „bald vorübergehende" Freiheitsentziehung) und den häufigen Abstufungen in „geringe", „mittlere" und „schwere Fälle" eine „feierliche Constitutionsakte für das Reich einer unbedingten richterlichen Willkür".^ Diesen Mangel an Bestimmtheit der gesetzlichen Strafen empfand Feuerbach besonders stark bei der Verwendung der Todesstrafe als außerordentliches Sicherungsmittel. Nicht, weil er diese Strafe verdient hat, trifft den Mörder und Hochverräter die Todesstrafe. Kleinschrod hat die Todesstrafe als einen „Akt der Gerechtigkeit aufgehoben und als einen Akt der Willkür konstituiert . . . Man hat sich bei so vielen Gelegenheiten des Wortes Justizmord bedient. Kann es für diese Tötungen einen passenderen Namen geben?" ^

Bei der inhaltlichen Prüfung des Entwurfs wollte Feuerbach fern von allem Schulensh-eit als „Repräsentant und Vermittler aller Parteien" nur das Unumstößliche und Unbestrittene der Beurteilung zugrunde legen. "^ Er vermißte bei Kleinschrod das „erste Erfordernis einer Criminalgesetzgebung", daß die gesetzlichen Bestimmungen ein einheit- liches, planmäßiges leitendes Prinzip erkennen lassen. Das fehlt Kleinschrods sorgsamem Eklektizismus, der mit all seiner ausführlichen Breite in den einzelnen Bestimmungen doch den Eindruck einer Leere und Gedankenarmut erweckt und ausgesprochene klare Stellungnahmen vermeidet. So ward Feuerbach, der es niemals liebte, eigene Gedanken zugunsten eines Eingehens auf fremde Denkweise zurücktreten zu lassen, durch die Schwächen des Entwurfs selbst dazu gedrängt, in der Kritik seine eigenen Vorschläge zur Geltung zu bringen. Diese kritische Arbeit wurde mehr und mehr zu einer Apologie der eigenen Anschauungen Feuerbachs. Er hat sie selbst später neben der „Revision" als wichtigste Quelle für die Motive zu seinem großen Werk, dem Bayerischen Strafgesetzbuch von 1813, bezeichnet.'' Durch

' Kritik, a. a. O. Tl. I, S. 20 f.

- Ebendort Tl. III, S. 13.

' Ebeiidort Tl. II, S. 165 und 181.

' Ebendort Tl. I, S. 39.

' Leben und Wirken Bd. I, S. 239.

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die suggestive Kraft scharf pointierter Kritik und die geistige Über- legenheit gegenüber Kleinschrods Unzulänglichkeit hat diese Schrift in hohem Mafk dazu geholfen, die Wirkung der Feuerbachschen Ideen auszubreiten und zu vertiefen.

Kleinschrod nahm eingehend zu den mannigfachen kritischen Angriffen gegen seinen Entwurf Stellung, am ausführlichsten gegen- über Feuerbach.^ Er tat dies mit sachlicher Ruhe und ohne persön- liche Ausfälle gegen die Gegner, die ihm gegenüber oft, wie es der Biograph in seinem Nachruf beklagte, die Formen verletzt hatten, „welche für die freie Bewegung der Geister in dem Gelehrtenstaate unumgänglich erforderlich sind"." Aber seine Repliken hatten wenig Erfolg. Er vermied es ängstlich, auf irgendwelche grundsätzlichen Auseinandersetzungen einzugehen, sondern begnügte sich, mit philo- logischer Gründlichkeit Paragraph für Paragraph gegenüber dem Gegner einzeln zu rechtfertigen. Von besonderem Interesse ist eine spätere Kritik Globigs, der zwei Jahrzehnte zuvor Kleinschrod selbst stark beeinflußt hatte. "^ Aus Globigs Schrift sprechen eine gewisse Müdigkeit und Skepsis gegenüber weitergehenden Reformen und zugleich eine starke Sympathie für Kleinschrod. Eine „absolute Vollkommenheit" läßt sich doch nicht erreichen, darum wäre es „sehr schade, jenen Enhvurf, der durch seltene Vollständigkeit und zweckmäßige Kürze (!) sich vor andern Werken dieser Art auszeichnet, bloß darum, weil manches daran zu verbessern ist, ganz bei Seite zu legen".* Globig sucht einem vermittelnden Standpunkt zwischen den moralischen Zurechnungsprinzipien Kleinschrods und der „schneidenden Imputationslehre des Herrn Feuerbach" Anerkennung zu verschaffen, weniger im Sinn einer neuen Theorie als dadurch, daß er in einzelnen Fällen die strafrechtliche Beurteilung in stärkerem Maße als Kleinschrod von objektiven Momenten abhängig macht. Die Humanisierung des

^ G. Ä. Kleinschrod, Revision der Kritiken über meinen Entwurf zum peinlichen Gesetzbuch für die kurplalzbayerischen Staaten. Äbhandl. aus dem peinl. Recht und dem peinl. Prozeß 3. Tl., 1. Äbt. Erlangen 1805. S. 1 ff. Von den zahlreichen Kritiken seien außer den im Text besprochenen erwähnt: Jos. Karl Schmid, Über die Unzulänglichkeit des Kieinschrodischen Entwurfs.,., Ulm 1803, ein zu völliger Unfruchtbarkeit verdammter Versuch, die Strafe nach einem einheitlichen naturrechtlichen Urprinzip unabänderlich zu bestimmen, und Salchow, Beiträge zur Kritik des Kieinschrodischen Entwurfs..., Jena 1804. Die „einzige umständliche Beurteilung des ganzen Entwurfs". (So: Kleinschrod, a. a. O. S. 203.)

- Neuer Nekrolog der Deutschen. Herausgegeben von Fr. Aug, Schmidt, 2. Jahrg. 1824, 2. Heft. Ilmenau 1826. S. 1005.

^ E. v. Globig, Kritik des Entwurfs eines peinlichen Gesetzbuchs für Bayern. Regensburg 1806,

' E. v. Globig, Kritik des Entwurfs usw., Vorrede pag. IV,

170

Strafrechts dürfe in dem an die drakonische Kreittmayrsche Strafjustiz gewöhnten Volk nur allmählich erfolgen. Die Zulässigkeit der Todes- strafe allein als Notwehrmittel „militärischer Gewalt" erscheint Globig viel zu eng. Er will sie wieder als allgemeine schwerste Kapitalstrafe zugelassen haben, wiewohl er selbst „in seiner Jugend" für Beccarias Gedanken eingenommen war.^

Indessen vermied die Geschichte hier den Weg des Kompromisses. Globigs Befürchtung, „daß die Gesetzkommission zu München den von allen Seiten kritisierten Kleinschrodschen Entwurf nicht mehr zum Grunde legen wolle, sondern an einem neuen Entwurf arbeiten lasse,"* traf zu. Mit der Ausarbeitung dieses neuen Entwurfs hatte die bayerische Regierung Feuerbach selbst beauftragt. Rn diese Tatsache knüpft die letzte der durch die Diskussion über Kleinschrods Entwurf angeregten Schriften an. Der Wetzlarer Kriminalist Tobias Werner will nicht „als Schutzredner der Kleinschrodschen Verirrungen", sondern, weil nun die Feuerbachschen Lehren ihren Einzug in die Gesetzgebung halten werden, zu der Kritik Feuerbachs in einzelnen praktischen Fragen vornehmlich des Besonderen Teils „metakritisch" Stellung nehmen.'*

Noch ein anderes Mal schien Kleinschrod zum Schöpfer eines deutschen Landesstrafgesetzbuchs berufen. Er erhielt den Huftrag, das österreichische Strafgesetzbuch von 1803 für das junge Großherzogtum Würzburg zu bearbeiten.^ Er legte einen Entwurf vor da machten die schnell wechselnden politischen Verhältnisse mit der Herrschaft Napoleons der Selbständigkeit Würzburgs ein Ende. Das Großherzogtum wurde dem Königreich Bayern einverleibt, just zu der Zeit, als das neue Strafgesetzbuch von 1813 in allen bayerischen Landesteilen eingeführt wurde. So mußte Kleinschrod, nicht ohne persönliche Tragik einer verborgenen geschichtlichen Konsequenz folgend, zum zweiten Male Feuerbach weichen.

' Ä. a. O. S. 54 und 56. .Auf dieser „Jugendanschauung" fußte Klein- schrods Beschränkung der Todesstrafe. Vgl. oben S. 160.

'-' Ä. a. O. Vorrede, pag. III f.

^ Jak. Tob. Werner, Metakritik über Feuerbachs Kritik des Klein- schrodischen Entwurfs. Frankfurt und Leipzig 1808.

* Teichmann, in Allgemeine deutsche Biographie Bd. 16, S. 110.

171

Fünftes Kapitel

Das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813.

Die Entstehung des Bayerischen Strafgesetzbuchs fällt in bewegte Zeiten. Oft mögen politische Nöte und Verwicklungen den Erfolg jener Jahre in Frage gestellt haben, in denen Feuerbach seine besten Kräfte der Arbeit an der Reform des bayerischen Strafrechts widmete, bis das Befreiungsjahr 1813 auch diesem Werk den Abschluß brachte/ Damit vollendete sich eine Periode im Schaffen Feuerbachs, die von den Kämpfen des jugendlichen Sturmes und Dranges hinüberleitet in die Zeit gereifter Festigung und bereits ein beginnendes Erstarren in dogmatischer Verengung erkennen läßt. Die Kritik des Klein- schrodschen Entwurfs, noch in der Kieler Zeit geschrieben, erschien 1804, nachdem Feuerbach unter glänzenden Bedingungen an die Landshuter Universität berufen war und brachte ihm noch im gleichen Jahr den Auftrag der Regierung, unter Benutzung aller eingegangenen gutachtlichen und kritischen Arbeiten und der Erfahrungen anderer Staaten selbst einen neuen Entwurf auszuarbeiten. Im Hochgefühl jugendlichen Schaffens machte sich der 29 jährige an die Arbeit. „Eine sehr mühselige und z. T. sehr gefahrvolle Ehre, es läßt sich dabei viel Ruhm erwerben, aber auch viel Ruhm verlieren", schreibt er im Weihnachtsbrief 1804 dem Vater." Herbst 1806 hoffte er, den ersten Teil seines Codex der Regierung zu übergeben. Da störten die unruhigen politischen Verhältnisse die stille Muße des Ärbeitens. Das Landshuter Universitätsleben, das ihm ursprünglich in solch verlockendem Lichte erschienen war, dünkte ihm mehr und mehr unbefriedigend.'^ Er fühlte sich in seiner Lehrtätigkeit durch die Ein- führung amtlicher Studienpläne beengt, er mußte Neid und Mißgunst

' Vgl. zu diesem Abschnitt: Edm. Baumgarten, Das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813 und Änselm v. Feuerbach, Gerichtssaal 81, S. 98 ff.

' Leben und Wirken Bd. I, S. 101.

' Interessant sind die Eindrücke Savignys von dem Geist der Lands- huter Universität der Jahre 1808—1810 („Deutschheit wird nicht genannt und nicht gefühlt"!) in seinen Briefen an den Pfarrer und Konsistorialrat Bang, den Sohn seines Marburger Lehrers und Pfarrers in Goßfeldcn, bei Enneccerus, Fr. C. v. Savigny u. die Richtung der neueren Rechts- wissenschaft. Marburg 1879. S. 57 ff.

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spüren und sah sich durch das Verhalten seines Fakultätskollegen, des Prozessualisten v. Gönner geradezu provoziert. Im Herbst 1805 kam es zum offenen Konflikt, und Feuerbach verließ fluchtartig Landshut. Doch gelang es Friedrich v. Zentner, dem späteren Justizminister, einem Rheinländer, den Graf Montgelas über die Rücksichten auf Alter und Tradition hinweg als Mitarbeiter zu den innerpolitischen Reformarbeiten berufen hatte, Feuerbach weiterhin für Bayern zu erhalten. Feuerbach wurde am 16. Dezember 1805 nach München berufen und im nächsten Jahr zum Ordentlichen Geheimen Referendar des neu konstituierten Ministerial-Justizdepartements ernannt.

So traten an Stelle der Stille der Studierstube ein großes Amt und ein Schaffen ins Weite. Gern ward der Professor zum Ministerialrat. Noch im Weihnachtsbrief von 1804 hatte er sich dankbar der Lands- huter „Ruhe und literarischen Muße, wie sie mir noch nie zu Teil geworden ist", gefreut, die ihn fast allein den Wissenschaften leben läßt.^ Im April 1805, als er mehrmals zu Besprechungen im Justiz- departement nach München gerufen wurde, „von den ersten Männern ...geachtet, geliebt und ausgezeichnet", von Montgelas selbst „mit Aufmerksamkeit behandelt", erscheinen ihm der bunte Strom des Lebens und die „glänzende Knechtschaft des Weltmanns" in blendendem Licht. Noch will er bei der Ruhe akademischer Unabhängigkeit bleiben und, dem Vater die Salomonische Warnung : „Alles ist eitel" vorwegnehmend, sich nur freuen an solchem Schaffen und Änerkanntwerden, „solange das Herz sich noch freuen kann".^ Nach der Enttäuschung in Landshut greift er mit Freuden zu. Er glaubt der Gefahr entronnen zu sein, „an Leib und Seele ein dürrer juristischer Pedant zu v/erden", als trockner Gelehrter kleinste Bruchstücke am Mosaik der Wissenschaft zusammentragend. Jetzt tritt er aus „der Schule in die Welt, auf ein Feld des Kampfes und der Ehre, jetzt sind für das Leben neue Kräfte zu üben, neue Bahnen zu brechen, neue Aussichten zu öffnen", so ruft er begeistert dem fürsorglichen Freund Jacobi, dem späteren Präsidenten der bayerischen Akademie der Wissenschaften, zu.^ Ähnlich schreibt er dem Vater: „Bei dem Umgange mit lauter schweinsledernen Bänden assimiliert sich nach und nach Seele und Leib der schweins- ledernen Natur." Wie anders jetzt: unmittelbar im Leben stehend, mit menschlichen Sorgen und Hoffnungen vertraut, „gepflegt und gehegt von der Liebe der ersten Männer an Geist und Herz . . . fange ich an, unter den Menschen für sie wieder aufzuleben". Und das Beglückende

' Leben und Wirken Bd. II, S. 100 ff.

^ Brief an den Vater. Leben und Wirken Bd. II, S. 104.

' Leben und Wirken Bd. II, S. 124.

17S

des Wirkens im großen /^mt: „Meine Arbeiten gehen unmittelbar auf das Wohl von Millionen!"^

In dieser Stellung hatte Feuerbach in der Gnadeninstanz und in denjenigen Kriminalsachen, in denen es sich um Bestätigung von Todesurteilen oder die Entscheidung in Kompetenzstreitigkeiten handelte, den Vortrag vor dem König. Hier enthüllte sich seinem Blick das Schicksal mancher „merkwürdiger Verbrecher", denen er später in seiner „Rktenmäßigen Darstellung", jener reifen Frucht kriminal- psychologischer Studien, ein bleibendes Denkmal setzte. Seine Haupt- aufgabe aber war die „Legislation in Civil- und Criminalsachen". Als erste Tat konnte er im Februar 1806 dem König eine Verordnung über die Aufhebung der Folter vorlegen, welche dieser nach einem ein- gehenden Vortrag Feuerbachs am 7. Juli unterzeichnete, angeblich mit den Worten: „Möge es Feuerbach verantworten, wenn nun die Ver- brecher der Strafe entgehen!"- „Aus weiser Vorsicht", sagt Feuerbach selbst, wurde diese Verordnung nicht veröffentlicht, sondern nur den Gerichten zur Nachachtung mitgeteilt.'"

Mit allen Kräften arbeitete Feuerbach jetzt an seinem Entwurf zum Strafgesetzbuch. Im Dezember 1807 war bereits ein erster, das materielle Strafrecht umfassender Teil soweit fertiggestellt, daß er zur Grundlage von Kommissionsberatungen im Justizministerium dienen konnte. Als Ergebnis dieser Beratungen erschien 1810 der Entwurf des Gesetzbuchs über Verbrechen und Vergehen für das Königreich Bayern.^ Dieser Entwurf wurde in einer weiteren, aus den vereinigten Sektionen der Justiz und des Innern gebildeten Geheimen Ratskommission durchberaten. Den Vorsitz führte der Minister Graf V. Reigersberg. Unter den acht anderen Mitgliedern befand sich neben Feuerbach der Oberappellationsgerichtspräsident Graf Ärco, der Freiherr von Aretin und späterhin Feuerbachs ehemaliger Fakultätskollege und Hauptgegner aus Landshut, v. Gönner, der im Dezember 1812 als Äppellationsgerichtsdirektor nach München kam. Die Sitzungen dauerten vom 10. September 1810 bis Ende Dezember 1812. Am 7. Januar 1813 wurde der Entwurf in der aus diesen 2. Kommissionsberatungen hervorgegangenen Form im Plenum des Geheimen Rats dem König vorgetragen, am 16. Mai publiziert.

' Leben und Wirken Bd. II, S. 126.

* Ä. Geyer, Kleinere Schriften. München 1889. S. 564, ohne weitere Quellenangabe.

' Vgl.: Die Aufhebung der Folter in Bayern, in: Themis oder Beiträge zur Gesetzgebung von P. J. Ä. Feuerbach. Landshut 1812.

* Kritische Bemerkungen zu diesem Entwurf bei Tafinger, Über die Idee einer Kriminalgesetzgebung. Tübingen 1811. S. 277 ff.

174

Am 1. Oktober 1813 trat das Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern in Kraft/

Seit diesem Tage war zum ersten Male ein neuzeitliches Landes- strafgesetzbuch in Deutschland in Geltung. Eine selbständige Schöpfung, ein Werk, das am Anfang einer neuen Epoche steht, geboren aus einer Zeit tiefgreifender Umwälzungen und kultureller Wandlungen und gerade darum in seinem Wert und in seiner Bedeutung für die weitere Entwicklung nur zu verstehen aus den besonderen Umständen, unter denen es entstanden ist. Was zunächst die äußere Weiterentwicklung des in diesem Gesetzbuch kodifizierten Strafrechts anlangt, so sind der allgemeine Einfluß auf die Strafrechtsentwicklung in Deutschland und der spezielle Gang der Rechtsentwicklung in Bayern zu trennen. Hier stand zunächst eine gesetzliche Beschränkung wissenschaftlicher Kritik und literarischer Bearbeitungen einer organischen Fortentwicklung des neuen Rechts hindernd im Wege. Die Regierung veranlaßte eine amtliche Ausgabe der Motive in Form von Anmerkungen zum Gesetzbuch,^ welche den Anspruch erhoben, durch ihre absolute Vollständigkeit im Zusammen- hang mit der vom Gesetz erstrebten begrifflichen Präzision alle Kommentare überflüssig zu machen. Aus dem Gedanken heraus, man könne nur auf diese Weise die Gefahr einer Rechtsungleichheit bannen, wurde die Veröffentlichung privater Kommentare ausdrücklich verboten und Wissenschaft und Praxis angewiesen, sich allein an den Gesetzes- text und die amtlichen Anmerkungen zu halten. Mit der Abfassung dieses offiziellen Werkes betraute der König den Protokollführer in den Sitzungen der Geheimen Ratskommission E. v. Kobell und Feuerbachs alten Gegner v. Gönner.

Hierin lag nicht nur eine persönliche Kränkung Feuerbachs, sondern auch eine sachlich bedenkliche Lösung. Hatte Feuerbach dafür gekämpft, richterliche Willkür durch bestimmt gefaßte gesetzliche Bestimmungen auszuschließen, so wollte er doch keine völlige Isolierung der Rechtspflege von wissenschaftlicher Jurisprudenz. Freilich lag diese Gefahr für die Anhänger der Aufklärungszeit nahe. Hatte der alte Polizeistaat die Regelung aller nur denkbaren Rechtsfälle der staatlichen Gesetzgebung vorbehalten wollen, so suchte die Aufklärung um des Schutzes des Bürgers willen die ungeschriebene Weiterbildung des Rechts möglichst auszuschalten. Nach der Doktrin der Gewaltenteilung

' Zur Entstehungsgeschichte des Gesetzes ist außer den Angaben in Feuerbachs Leben und Wirken zu vergleichen: Anmerkungen zum Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern Bd. I, München 1813, Einleitung S.12ff. und Jos.v.Mussinan, Bayerns Gesetzgebung, München 1835, S.96ff.

'^ Anmerkungen zum Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern. Nach den Protokollen des königl. Geheimen Rats, 3 Bände. München 1813—1814.

175

wollten Montesquieu und Beccaria den Richter auf die formale Aufgabe logischer Subsumtion beschränken. Feuerbach wandte sich in der Kritik des Kleinschrodschen Entwurfs dagegen, um dieses Prinzips willen jede wissenschaftliche Bearbeitung positiver Gesetze verbieten zu wollen: „Gewiß, Beccaria hätte gelacht, wenn er sich so verstanden gefunden hätte . . ."^ Ist das Gesetz auch „kein Werk der Wissenschaft, so ist es doch für die Wissenschaft: wie es selbst von Wissenschaft ausgegangen ist, so soll auch von ihm künftig eine Wissenschaft ausgehen"." Und in den Landshuter Fakultätskämpfen konnte er nicht Worte der Entrüstung genug finden gegenüber einer vom amtlichen Lehrplan begünstigten Methode mechanischen Einpaukens von Gesetzesbestimmungen und offiziell abgestempelten Lehrmeinungen. Damit würde „die Universität, soweit sie auch Rechtsgelehrte bilden soll, zu einem Hör- und Schreibinstitut organisiert, wo einer für Bezahlung Worte sagt, die von anderen mit den Ohren aufgefangen, mit der Feder aufs Papier gebracht und dann schwarz auf weiß in dem Pult zur Ruhe getragen werden". Das kann nur dazu führen, daß „der zwecklose Finger- und Ohrenfleiß den Geist der Jünglinge tötete und das Chaos eines verworrenen Vielerlei oberflächliche Seichtigkeit, mit dieser den leeren Dünkel der Vielwisserei hervorbrachte".^ Gleichwohl hat Feuerbach, als sein eigenes Werk Gesetz geworden war, von jeder, auch einer amtlichen Kommentierung des Gesetzes abgeraten. Er glaubte, vor einer „Enthüllung der inneren Absichten der Strafgesetz- gebung" warnen zu müssen, denn „ein Volk, welches von dem Gesetzgeber selbst aufgefordert ist, über seine Gesetze zu raisonnieren, wird nicht immer diesen Gesetzen gut gehorchen".*

Man wird hier weniger einen Gesinnungswechsel als vielmehr die Rücksicht auf taktische Erwägungen anzunehmen haben. Lag es ihm doch vor allem daran, zu verhindern, daß ein mit alleiniger Autorität offiziell veröffentlichtes Werk aus fremder Hand, unbeeinflußt von dem geistigen Urheber des Gesetzes, unter Mitwirkung seines alten Gegners Gönner entstanden, die Praxis des bayerischen Strafrechts beherrschen sollte. Sein Protest hieb umsonst. Man kann das im Gedanken an Feuerbach bedauern, wird aber zugeben müssen, daß diese Anmerkungen den Bestimmungen des Feuerbachschen Gesetzbuchs in der Hauptsache gerecht zu werden sich bemühen. An manchen Stellen sind durch sie die Schroffheiten des Feuerbachschen Abschreckungsstrafrechts

* Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs 2. Teil, S. 21, Änm. ^ Ebendort 1. Teil, S. 30.

^ Brief an Jacobi, 1805. Leben und Wirken Bd. I, S. 112 f.

* Ebendort S. 238.

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erfolgreich gemildert, so namentlich durch die von den Anmerkungen in das Gesetz hineininterpretierte Anerkennung der verminderten Zurechnungsfähigkeit. ^

Die Unterbindung freier wissenschaftlicher Auslegung des Gesetzes mag die Tatsache erklären, daß der literarische Niederschlag dieser Gesetzgebung, wie es schon Feuerbachs getreuem Helfer Mittermaier auffiel,^ gering blieb. Nur vereinzelt wurde das neue Gesetz zur systematischen Grundlage allgemeiner strafrechtlicher Untersuchungen gemacht, wobei hinzukam, daß die Literatur dem gemeinen Recht zu dienen sich bestrebte, Feuerbachs Werk aber zwar nicht der Bedeutung, aber der Geltung nach ein partikulares Gesetz blieb. Der dänische Richter Oersted legte das Gesetz seiner Untersuchung über die „Grundregeln der Strafgesetzgebung" zugrunde.^ Bei aller Kritik im einzelnen und obwohl Oersted Feuerbachs Eliminierung ethischer Grundsätze aus dem Strafrecht ablehnte, sah er in jenem Gesetz „die reifste Frucht der Einsicht und Kunst unserer Zeit im Criminalgesetzgebungsfach"* und bekannte sich zu diesem Urteil auch noch in späteren Schriften.^ Auch der Jenenser Kriminalist Martin legte auf enge Beziehungen seiner Darstellung des gemeinen Kriminal- rechts zu dem neuen Gesetz großen Wert. Sein Lehrbuch sollte zugleich die eigene Stellungnahme gegenüber dem Feuerbachschen Lehrbuch, das für ihn einst Ausgangspunkt seiner eigenen wissenschaftlichen Tätigkeit war, klarstellen.'' Später widmete Äbegg dem Feuerbachschen Gesetzbuch eine kurze Darstellung.' Von der Wirkung des Gesetzes in der praktischen Strafrechtspflege berichten nur allmählich vereinzelte Aufsätze über spezielle Fragen, unter denen Untersuchungen über die automatische Erhöhung der Rückfallstrafen nach dem Bayerischen

* Hierüber unten S. 190.

* Neues Archiv VI, S. 174. Über das Verhältnis zwischen Mitter- maier und Feuerbach siehe neuerdings v. Lilienthal und Wolfgang Mittermaier, K. J. Ä. Mittermaier als Gelehrter und Persönlichkeit. Z, Str. W. Bd. 43, S. 157—181 und die dort angegebene Literatur,

^ R. S. Oersted, Abhandlungen aus dem Gebiete der Moral und Gesetzgebungsphilosophie 1. Bd. Kopenhagen 1818.

* R. a. O. Vorrede pag. XV.

" Ausführliche Prüfung des neuen Entwurfs zu einem Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern. Kopenhagen 1823. S. 1.

* Martin, Lehrbuch des Teutschen gemeinen Kriminalrechts mit besonderer Rücksicht auf das neue Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern. Heidelberg 1825. Vgl. Vorrede pag. VIII.

' Äbegg, Die verschiedenen Strafrechtstheorien in ihrem Verhältnis zueinander und zu dem positiven Recht und dessen Geschichte. Neustadt a. d. O. 1835. S. 165 ff.

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Strafgesetzbuch von 1813 besonders hervortreten.^ Einen ausführlicheren Eindruck von dem damaligen bayerischen Strafrecht vermittelt die schnell anschwellende literarische Diskussion über die späteren gesetz- geberischen Reformprojekte. ^' Auch hat Mittermaier zu vielen Fragen des damals geltenden bayerischen Strafrechts Stellung genommen."^ Die wichtigste Quelle dafür, wie die bayerische Praxis das Feuerbach- sche Gesetz aufnahm und weiterverarbeitete, bildeten die Aufsätze des Münchener Oberappella tionsgerichtsrats Arnold im Archiv des Kriminalrechts, Neue Folge, Jahrgang 1843 und 1844.* Arnold war unter Feuerbach Assessor am Änsbacher Rppellationsgericht gewesen. Er besaß aus vielen Gerichtssitzungen und Privatgesprächen eine persönliche Kenntnis von Feuerbachs eigenen Anschauungen und wußte seine tiefe Hochachtung für seine Persönlichkeit mit einer ruhigen und kritischen Stellung gegenüber seinem Gesetzbuch zu verbinden.

Größer als das literarische Echo war im Augenblick des Erscheinens des Gesetzes jedenfalls seine Einwirkung auf die

' V. Schellhass, Von der Wiederholung der Verbrechen nach erlittener Strafe. Neues Arch. d. Kriminalrechts II. Bd. 1818. S.578ff. v.d. Pfordtcn, Die Lehre vom Rückfall. Zu Rheins Zeitschrift für Theorie und Praxis des bayerischen Zivil-, Kriminal- u. öffentlichen Rechts II. Bd. 1835. S. 151 ff. K. v. Menz, Über Rückfall und dessen Bestrafung nach dem königl. Bayer. Strafgesetzbuch von 1813. Archiv des Kriminalrechts. Neue Folge, Jahrgang 1848. S. 420 ff.

* Schriften zur späteren bayer. Strafrechtsreform: Welsch, Revision der Gesetzgebung und Rechtspflege in Bayern 1. Heft. München 1819. Oersted, Ausführliche Prüfung des neuen Entwurfs zu einem Strafgesetz- buch für das Königreich Bayern. Kopenhagen 1823. Vergleichende Kritik des Entwurfs des Strafgesetzbuchs für Bayern mit dem Bayerischen Straf- gesetzbuch von 1813, besonders zum Gebrauch der Landstände. Nürnberg

1823. Kammerer, Prüfung des Entwurfs zum neuen Strafgesetzbuch in Hinsicht der Verbrechen, Vergehen und Übertretungen durch Angriff auf Ehre. Nürnberg 1823. Mittermaier, Der neue Entwurf des Straf- gesetzbuchs f. d. Königreich Bayern. Neues Archiv des Kriminalrechts VI.

1824. S. 173 ff. und 351 ff. v. Wendt, Grundriß zu vergleichender Dar- stellung des Kriminalrechts. Nürnberg 1825. v. Menz, Einige Winke und Beiträge aus dem Gebiete der Erfahrung im Fache der Gesetzgebung. Zu Rheins Beiträge zur Gesetzgebung und praktischen Jurisprudenz I. Bd. München 1827. S. 77 ff. Windwart zu Amberg, Blick auf den gegenwärtigen Zustand der Gesetzgebung Bayerns. Zu Rheins Zeitschrift für Theorie u. Praxis d. bayer. Zivil-, Kriminal- u. öffentlichen Rechts I. Bd. München 1835. S. 1 ff.

* Vgl. die Zusammenstellung von Mittermaiers kritischen Arbeiten zum Bayerischen Strafgesetzbuch von 1813: Neues Archiv des Kriminal- rechts VL Bd., S. 175, Anm. 8.

* Arnold, Erfahrungen aus dem Bayerischen Strafgesetzbuch vom Jahre 1813 und Betrachtungen hierüber. Archiv des Kriminalrcchts, Neue Folge 1843, S. 96 iL, 240 ff., 377 ff., 512 ff.; 1844, S. 190 ff.

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Gesetzgebungsarbeiten anderer Länder/ Oldenburg führte das Bayerische Strafgesetzbuch mit nur wenigen Änderungen ein und in Weimar und Württemberg übte es starken Einfluß auf neue Ent- würfe aus. In Schweden bildete die Übersetzung des Feuerbachschen Gesetzes durch den Staatsrat Ozenius den Ausgangspunkt neuer Reformpläne. In der Schweiz wies Escher auf das bayerische Vorbild für das neue Züricher Strafgesetzbuch hin, nachdem es bereits seinen Einfluß auf die Gesetzgebungsarbeiten von St. Gallen und Basel ausgeübt hatte." War auch der unmittelbare Einfluß trotz solcher Anfänge angesichts der schnellen Wandlungen in allen Gebieten geistigen und politischen Lebens der Zeit zwischen den Freiheitskriegen, Vormärz und dem 48 er Jahr nicht von langer Dauer, so hat das Feuerbachsche Gesetzbuch durch seine formale Eigenart, seine innere Struktur und legislative Technik die gesamte Entwicklung der deutschen Strafgesetzgebung entscheidend bestimmt.^ Weit über Deutschlands Grenzen hinaus schloß sich noch 1886 das Argentinische Straf- gesetz dem Feuerbachschen Werke teilweise wörtlich an.*

In Bayern selbst waren die gesetzgeberischen Arbeiten auf dem Gebiete des materiellen Strafrechts mit dem Erlaß des Gesetzes keineswegs zum Abschluß gelangt. Schon unmittelbar nach diesem Zeitpunkt setzte eine fruchtbare Novellengesetzgebung ein, die mit der Diebstahlsnovelle vom 25. März 1816 auch für grundsätzliche Bestim- mungen einschneidende Veränderungen brachte.^ Nicht in allen Fällen

* Ausführliche Nachweise bei Günther, Wiedcrvcrgeltung Bd. III, S. 134, Änm. 303.

- Mittermaier im Neuen Archiv des Kriminalrechts Bd. VI, S. 173 f. und 351, Note.

' Die Motive zum ersten Entwurf des Kriminalgesetzbuchs für die Preußischen Staaten, Gesetzrevision I. Pensum, I. Bd., als Manuskript gedruckt, Berlin 1827, Vorrede pag. IV f., rühmen die Vorzüge des Feuerbachschen Strafgesetzbuchs, mit dem eine neue Periode für die Kriminalgesetzgebung begonnen habe. Allgemein anerkannt seien „seine streng systematische Ordnung, die Schärfe der darin aufgestellten Begriffe, das Streben, Bestimmtheit der Strafen ohne Beeinträchtigung des richter- lichen Ermessens zu erreichen, die stetig fortschreitende Stufenfolge der angedrohten Strafübel usw.". ~ Es ist daher kaum anzunehmen, daß der Einfluß des Feuerbachschen Strafgesetzbuchs nur ein negativer gewesen ist und, wie Bin ding meint, infolge der von Feuerbach verschuldeten „Verderbnis des gemeinrechtlichen Dolus -Begriffes" die Landesstrafgesetz- gebung „auf 25 Jahre... ins Stocken geriet". Binding, Die Schuld im deutschen Strafrecht, 1919, S. 32. Norm.cn Bd. III, S. 257.

* Löffler, Schuldformen des Straf rechts I, S. 242, Änm. 4.

^ (Lithographierte) Sammlung der wichtigsten königlichen Reskripte in Beziehung auf das Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern von 1813 I. Bd. (bis 1816). Dazu (gedrucktes) Alphabetisches Sachregister über alle

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Unzulänglichkeiten des Gesetzes, sondern die Weiterentwicklung der kulturellen und politischen Verhältnisse, die, nach Oersteds Wort, „unmäßige Reformiersucht ""^ der Regierung und die durch die Unter- bindung freier Auslegung und wissenschaftlicher Interpretation des Gesetzes verstärkten Schwierigkeiten, das geltende Recht in seiner Anwendung organisch fortzuentwickeln, haben diese Unbeständigkeit der damaligen Gesetzgebung verschuldet. Dazu kam als besonders ungünstiges Moment: Kurz nach dem Inkrafttreten des Gesetzes schied sein Schöpfer aus dem Ministerium aus. Rls Äppellationsgerichtspräsident in Bamberg, dann in Ansbach, blieb Feuerbach ohne Einfluß auf den Fortgang der Gesetzgebungsarbeiten, während sein alter Widersacher V. Gönner berufen wurde, um an der legislativen Fortentwicklung des Feuerbachschen Strafgesetzbuchs mitzuarbeiten. So erklärt es sich, daß das mit solch gründlicher Sorgfalt ausgearbeitete Gesetz in vielen Bestim- mungen alsbald veraltet schien. Über hundert Novellen sollen in den ersten vier Jahren erlassen worden sein, und Savigny fand in diesem wenig glücklichen Zustand einer „so plötzlichen Rechtsabwechslung" ein willkommenes Argument für seine These, daß seine Zeit „keinen Beruf zur Abfassung eines Gesetzbuchs" habe."

Bereits 1819, im Zusammenhang mit der Bayerischen Verfassung von 1818, beschloß die Regierung die Abfassung eines neuen Straf- gesetzbuchs.^ Im Jahre 1822 wurde ein Entwurf veröffentlicht, dessen Verfasser v. Gönner war. Der Entwurf brachte erhebliche Milderungen des Gesetzes. Er erscheint nicht wie ein neues Gesetz, sondern läßt als Grundlage Feuerbachs Werk unverkennbar bestehen. Die Regierung neigte vorübergehend dazu, Feuerbach selbst mit einer Revision seines Gesetzes zu betrauen. Im August 1824 wurde er aufgefordert, einen neuen Entwurf auszuarbeiten. Doch scheint es mehr die persönliche Initiative v. Zentners gewesen zu sein, die auch diesmal Feuerbachs

Verordnungen und Reskripte in Strafsachen. (Lithographierte) Reskripten- Sammlung über das königl. Bayerische Strafgesetzbuch Bd. II. 1817/18. Sammlung der Erläuterungen und Reskripte über das Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern 2. Aufl. Nördlingcn 1825. E. Rottmann, Das bayerische Strafrecht in seiner gegenwärtigen Gestaltung. Erlangen 1849.

' Oersted, Abhandlungen a. a. O., Vorwort pag. XV.

•^ Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft Bd. III. 1817. S.15f.

^ Vgl. zu dem Folgenden: Mussina n. Bayerns Gesetzgebung, München 1835. Windwart zu Ämberg, Blick auf den gegenwärtigen Zustand der Gesetzgebung Bayerns. In: Zu Rheins Zeitschrift für Theorie und Praxis des bayerischen Zivil-, Kriminal- und öffentlichen Rechts I. Bd. München 1835. S. 1 ff. Wächter, Beilagen zu den Vorlesungen über deutsches Strafrecht, Einleitung und Allg. Teil. Leipzig 1881. S. 151 If. V. Liszt, Lehrbuch 23. Aufl. 1921. S. 60.

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Mitarbeit zurückzugewinnen suchte. Feuerbach ging zunächst mit allem Eifer an die Arbeit. Als ihm aber Zentner den Rat gab, sich bei Ansprüchen auf Vergütung für diese Arbeit nicht auf einen offiziellen Auftrag zu berufen, sah der stets empfindliche Mann hierin eine erneute Zurücksetzung und lehnte seitdem jede weitere Mitwirkung an den Reformarbeiten schroff ab. Alle Manuskripte und Entwürfe, so schrieb er dem Ministerialrat v. Spies, der sich erneut dafür einsetzen wollte, daß Feuerbachs Einfluß auf die Gesetzgebung erhalten blieb, habe er verbrannt und zerstreut. Indessen fand sich, wie sein Sohn, der Philosoph Ludwig Feuerbach, berichtet,^ bei seinem Tode ein ausgearbeiteter Entwurf vor, dessen Inhalt Mittermaier später ver- öffentlicht hat.'''

Auch V. Gönners Entwurf wurde nicht Gesetz, ebensowenig wie eine Revision dieses Entwurfs aus dem Jahre 1827, den Gönners Mitarbeiter Schmidtlein bearbeitet hatte. 1831 und 1832 beschäftigte sich die Ständeversammlung wiederum mit der Neuschaffung eines Strafgesetzbuchs. Diesmal hatte Stürz er den Entwurf hergestellt. Auch in diesem Entwurf waren noch „die ursprünglichen Typen der V. Fcuerbachschen Arbeit allenthalben erkennbar".^ Aber auch diesmal kam man nicht zum Ziel.

So kam das Jahr 1848, und die neue Zeit empfand das Bedürfnis nach einer Reform des nunmehr veralteten und unzeitgemäßen Gesetzes besonders lebhaft. Zunächst beseitigten neue Novellen die schlimmsten Härten des Feuerbachschen Abschreckungsstrafrechts, aber zugleich nahm man auch die Arbeiten für ein neues Gesetzbuch auf. Doch kam das neue Strafgesetzbuch für Bayern erst 1861 zustande, dem somit nur ein Dezennium an Lebensdauer beschieden war.

Das Werk Anselm von Feuerbachs bedeutet einen Wendepunkt in der Entwicklung des deutschen Strafrechts. Von den beiden grund- legenden Prinzipien der Strafrechtspflege, dem Sicherungszweck und dem Rechtsgedanken, dem Schutz der staatlichen Gemeinschaft vor dem Verbrecher und der Garantie der Rechtssicherheit des Bürgers gegen- über der staatlichen Strafgewalt, hat das Bayerische Strafgesetzbuch das zweite zur Herrschaft gebracht. Ein wirkliches Strafrecht will dies Gesetzbuch schaffen, nicht lediglich eine Summe von Verboten für den Untertan und Instruktionen für den Richter bringen. Es begründet nicht nur den Anspruch des Staates auf Bestrafung des schuldigen Rechts- brechers, sondern gewährt auch dem Verbrecher ein Recht darauf^

' Lb.n und Wirken Bd. II, S. 251.

* Archiv des Kriminal- echts. Neue Folge 1847. S. 587 ff.

^ Windwart zu Amberg, a. a. O, S. 5.

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nur wegen solcher Handlungen und nur mit solchen Strafen verfolgt zu werden, wie sie das Gesetz bestimmt. Ein Abweichen vom Gesetz darf daher ebensowenig zulässig sein wie eine Änderung des Gesetzes zu Ungunsten des Beschuldigten, nachdem die Tat begangen ist. Dieser Grundsatz, welcher die Abgrenzung der freien Sphäre gegenüber der Willkür und Allgewalt des Staates gewährleistet, entstammt jener langen Entwicklung, in der sich der Gedanke bestimmter unverlierbarer Rechte des Einzelnen gegenüber der allmächtigen Staatsgewalt durchsetzte. In den Artikeln der Magna Charta (a39) der englischen Königsgewalt abgerungen, kehrt er wieder in den Bills of rights der amerikanischen einzelstaatlichen Verfassungen, um, von Lafayette übermittelt, in Zusammenhang mit den Gedanken Montesquieus aus den Verhand- lungen der französischen Nationalversammlung herauszuklingen, bis er im a 8 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 seinen Ausdruck fand.^ Bei Feuerbach vereinigte sich dieses staats- rechtliche Axiom mit dem Gedanken seiner Strafrechtsdoktrin, daß der Verbrecher durch seine Tat die Drohung des Strafgesetzes verletzt habe, seine Bestrafung deshalb die vorherige Ankündigung der gesetzlichen Strafdrohung voraussetze." Zugleich prägte Feuerbach die Formulierung jenes Satzes in die traditionell gewordenen Worte: Nulla po^ena sine lege.^

Mit einem ausdrücklichen Bekenntnis zu diesem Grundsatz beginnt der Eingangsartikel des Bayerischen Strafgesetzbuchs. „Wer eine unerlaubte Handlung oder Unterlassung verschuldet, für welche ein Gesetz ein gewisses Übel gedrohet hat, ist diesem gesetzlichen Übel als seiner Strafe unterworfen" (a 1).* Der rechtlichen Begrenzung der staatlichen Strafgewalt zu dienen, vermochte nur ein Gesetz, das wie dieses durch klare Fassung der gesetzlichen Tatbestände in knappem

' G. Jellinek, Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. 3. Aufl. 1919. Ä. Schottlaender, Die geschichtliche Entwicklung des Satzes Nulla poena sine lege. Breslau 1911. Strafrechtl. Abhdlg. 132. Gegen- über Redslob, Die Staatstheorien der französischen Nationalversammlung von 1789, Leipzig 1921, S. 92 ff., der den inneren Zusammenhang zwischen den amerikanischen Bills of rights und der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte bestreitet, weist Walter Jellinek nach, daß das Verbot rückwirkender Strafgesetze in beiden Strömungen in gleicher Weise als eine Beschränkung der gesetzgebenden Gewalt erscheint. (Vorwort zur 3. Äull. der angeführten Schrift von Georg Jellinek, pag. IX.)

-' Binding, Handbuch des Strafrechts I. Bd. Leipzig 1885. S. 17 ff. Vgl. die Darstellung oben Kap. 1, S. 23.

^ Lehrbuch 1. Aufl. 1801. S. 20, § 24.

^ a 2 des Promulgationspatents zum Bayer. Strafgesetzbuch bestimmt, daß bei Verschiedenheit des Gesetzes zur Zeit der Begehung und Aburtei- lung die Tat nach dem milderen Gesetz zu beurteilen ist.

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Befehlston verbotenes und erlaubtes Tun allgemein erkennbar abgrenzte und damit wirklich ersichilich machte, welche Handlungen mit Strafe bedroht sein sollten. Solche formalen Vorzüge bestimmten den rechtspolitischen Wert dieses Gesetzgebungswerkes. Denn, nach einem Wort Montesquieus : Les formalites de la justice sont necessaires ä la liberte.^

„Die Bestimmtheit der gesetzlichen Voraussetzungen ist die Grundbedingung jeder Gesetzgebung, weil sie die Grundbedingung aller Gewißheit ist. Was ist aber widersprechender, als eine Gesetz- gebung ohne Gewißheit?"^ Diese Worte Feuerbachs bildeten den Leitstern für die formale Bearbeitung seines Gesetzes. Klarheit und Be- stimmtheit seiner Bestimmungen erscheinen als erstes als Vorzüge dieses Werkes. Durch ein Doppeltes wird dieser Vorzug erstrebt: durch eng umrissene Verbrechensbegriffe uiid durch feste Strafrahmen.

Für ein System klarer Verbrechensbegriffe leistete Feuerbach durch sein Lehrbuch die Vorarbeiten. Während zu den allgemeinen Lehren wenig Neues gesagt ist, liegt die große Bedeutung dieses Werkes, das in immer erneuten Auflagen fast ein halbes Jahrhundert hindurch Generationen junger Kriminalisten in ihr Studium einführte, in der Herausarbeitung der einzelnen Tatbestände.'' Mit sicherem Gefühl ist Zusammengehöriges vereint, Allgemeinbedeutendes zu Oberbegriffen erhoben und überall mit glücklichem Erfolg eine straffe, eindeutige Formulierung erstrebt. Indem Feuerbach dieses System begrifflich scharf geprägter Tatbestände in das Gesetz einarbeitete, konnte er damit zugleich eine sichere Abgrenzung der Voraussetzungen straf- rechtlicher Reaktion gewährleisten. Ein Gedanke, der in dem Satz des französischen Staatsmannes Bigot - Preameneu zum Ausdruck gekommen war: Les definitions sont de veritables dispositions et meme les dispositions fundamentales de la loi.*

Für die Erkenntnis der Bedeutung dieses Satzes hat Feuerbachs Gesetzbuch erzieherisch gewirkt. Gönners Entwurf von 1822 zeigte eine Scheu vor „Definitionen, welche mehr der Doktrin als der

* Esprit des lois. Livrc 29, cap. I, Ed. stdröotype. Tome IV, pag. 23L

* Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs 3. Teil, S. 11.

'' Die 1. Auflage von Feuerbachs „Lehrbuch des gemeinen, in Deutsch- land geltenden Peinlichen Rechts" erschien 1801 in Gießen bei Georg Friedrich Heyer. Den wichtigsten Einschnitt stellt die 9. Auflage von 1826 dar. Die 11. Auflage, 1832, ist die „Ausgabe letzter Hand". Nach Feuer- bachs Tode besorgte Mittermaier noch dreimal, 1836, 1840 und 1847, mit eigenen Zusätzen versehene Neuausgaben. Weitere bibliographische Notizen bei Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft 3. Abt, IL Halbbd., Noten S. 62 f., Note 26 zu Kap. 14.

^ Feuerbach, Leben und Wirken Bd. I, S. 216.

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Gesetzgebung angehören"/ So strich er die gesetzliche Dolus- Definition, aber die Kritik machte ihre Bedenken geltend mit dem Hinweis auJ Feuerbachs Gesetz, in dem „ein gesetzlicher Anhalt über den Begriff des Vorsatzes gegeben und hiermit die schwankenden Lehren der Rechtslehrer hierüber entfernt wurden".^ Wieweit soll nun der Richter an diese scharf geprägten gesetz- lichen Bestimmungen gebunden sein? In seinen Jugendschriften hatte sich Feuerbach im Kampf gegen die in schrankenlose richterliche Willkür ausartende Anarchie der alten peinlichen Gesetze für einen strengen Positivismus eingesetzt. Jetzt gilt es, als Gesetzgeber die rechte Mitte einzuhalten. Das Gesetz darf keine richterliche Willkür begünstigen oder möglich machen, muß aber dem vernünftigen richter- lichen Ermessen innerhalb bestimmter Grenzen die gehörige Freiheit lassen.' Bewußt vermeidet er es, dem Vorbild der Strafgesetzgebung der französischen Revolution zu folgen, wo man im Code penal von 1791 aus Mißtrauen gegen die schrankenlose Strafgewalt des ancien regime und unter dem Eindruck der Gefahren, deren sich die junge Freiheit zu wehren hatte, mit „antiker Strenge" die Verbrechen mit absolut bestimmten Strafen, welche jeglichen Einfluß richterlichen Ermessens ausschlössen, bedrohte.^ Das Bayerische Strafgesetz huldigt grundsätzlich dem System der relativ -bestimmten Strafen, nach dem dem Richter die Wahl der Strafe zwischen einem gesetzlich festgelegten Maximum und Minimum zusteht. Aber in der Durchführung dieses Prinzips sind dem Richter enge Grenzen gesetzt. In vielen Fällen sind Todesstrafe oder lebenslängliche Freiheitsstrafe als einzige Strafe angedroht, und wo dem Richter ein gewisser Spielraum gelassen ist, bleibt in der Regel nur eine Strafart angedroht und dem Richter lediglich eine Differenz in der zeitlichen Dauer von regelmäßig vier Jahren, innerhalb deren er die Strafe abstufen darf. In der Kritik zum Klcinschrodischen Entwurf war noch ein Spatium von sechs Jahren befjrwortet.^ Zugleich mußte dies Bestreben nach enger Begrenzung

' Entwurf des Strafgesetzbuchs. München 1822. Einleitung S. 7.

* Vergleichende Kritik des Entwurfs mit dem Strafgesetzbuch. Nürn- berg 1823. S. 30. Übrigens hat auch Feuerbach in seinem nachgelassenen Neuentwurf die Dolus -Definition gestrichen. Lehrbuch, 14. Aufl., § 54, Note III des Herausgebers Mittermaier (S. 101).

' Leben und Wirken Bd. I, S. 215.

* Leben und Wirken Bd. I, S. 215. v. Bar, Geschichte des Straf- rechls und der Strafrechtstheorien. Berlin 1882. S. 167. H. Remy, Les principes g^n^raux du Code pönal de 1791. Paris 1910. 5.32 11. Der Code pönal von 1810 führte dann das Prinzip des gesetzlichen Slrafmaximums und -minimums ein.

' Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs 3. Teil, S. 125.

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der Strafrahmen zu einer reichen Kasuistik des Gesetzes führen, indem Modifikationen bestimmter Delikte zu Spezialtatbeständen erhoben wurden. War das freie Ermessen des Richters beschränkt, so blieb der Gnade des Königs ein gewisser Spielraum. So bestimmt a 96, daß, „wenn wegen Menge und Wichtigkeit zusammentreffender mildernder Umstände die gesetzliche Strafe in zu ungleichem Verhältnis mit der eigentüm- lichen Strafbarkeit des besonderen Falles zu stehen scheint", der Richter zwar nicht selbst zu einer Modifikation der gesetzlichen Strafe befugt ist, wohl aber von Amts wegen einen Begnadigungsantrag einreichen soll. In dieser Frage waren die Meinungen der Äufklärungsmänner geteilt. Während Beccaria im Strafrecht der Zukunft das Begnadigungsrecht ausgeschlossen haben wollte, trat Montesquieu für eine Beschränkung richterlicher Freiheit und ein „mit Klugheit" angewendetes Begnadigungs- recht des Staatsoberhauptes ein.^ Bei ihm folgte aus dem Prinzip der Teilung der Gewalten derselbe Gedanke, der bei den heutigen „Klassikern" in der Anschauung wiederkehrt, ein unbestimmtes Straf- urteil des Richters sei eine unerträgliche Gefährdung der Rechtssicherheit, eine vorläufige Entlassung aus der Strafhaft als Gnadeninstitut aber unbedenklich.- Feuerbach glaubte, durch die engen Voraussetzungen des a 96 die Begnadigung auf wenige Ausnahmefälle beschränkt zu haben, in denen ein Abweichen von dem Gesetz als ein „kleineres Übel, das den Übergang zur besseren Gesetzgebung bereitet",^ erschien. Das Feuerbachsche Strafgesetzbuch hat schon für seine Zeit die richterliche Freiheit in allzu enge Fesseln geschlagen. Alsbald machte sich das Bedürfnis nach Erweiterung des Spielraums richterlichen Ermessens fühlbar. Bei dem Projekt einer Einführung des Bayerischen Strafgesetzbuchs in Weimar warnte man vor dem Fehler, die Richter- gewalt zu ängstlich zu beschränken.* In Bayern selbst brachte de Diebstahlsnovelle vom 25. März 1816, a Vll, die Anerkennung des Gedankens, daß bei qualifizierten Diebstählen der Richter die gesetzliche Strafe „bei besonders mildernden Umständen" auf die Hälfte herab- setzen darf. Eine Regelung, die auf den Einfluß des Code pcnal von 1810 zurückgeht, der in a 463 die Gerichte ermächtigte, allgemein

^ Beccaria-Esselborn, S. 122. Montesquieu, Esprit des lois. Livre VI, cap. 16, Edition st^r^otype An XII (1803), Tome I, pag. 212. Vgl. Günther, in Gross' Archiv 28, S. 169 f.

- Birkmeyer, Z. Str. W. 16, S. 116; Goltdammers Archiv 48, S. 74; Gerichtssaal 67, S. 414. Wach, Reform der Freiheitsstrafe. Leipzig 1820. S. 39f. Schoetensack, Unbestimmte Verurteilung. (Krit. Beitr. VI.) Leipzig 1909. S. 32 und 53 f.

' Lehrbuch 7. Aufl. 1820. § 63, Änm. 1, S. 66. Vgl. auch Revision Bd. I, Einleit. pag. XXVII; Anmerkungen z. Strafgesetzbuch Bd. I, S. 236 f.

* Neues Archiv des Kriminalrechts II, S. 56.

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bei Gefängnis und Geldstrafe, si les circonstances paraissent attenuantes, unter den gesetzlichen Strafrahmen herunterzugehen, falls der an- gerichtete Schaden nicht mehr als 25 fr. betrug.^ Feuerbach, der sich später bei praktischen Erfahrungen in der Strafrechtspflege dem Eindruck einer zu weitgehenden Härte seines Gesetzes nicht verschließen konnte er hat es selbst nach Arnolds Bericht unbefangen zu- gegeben^ — nahm in seinen unveröffentlichten Neuentwurf eine Bestimmung auf, nach der, noch über den Code penal hinausgehend, in allen Fällen der Richter zur Milderung der gesetzlichen Strafe berechtigt sein soll, „wenn im ungewöhnlichen Falle so viele und so starke mildernde Gründe zusammentreffen, daß die gesetzliche Strafe mit der Schuld des Täters außer Verhältnis erscheint".^ Gönners Entwurf von 1822 kannte solch allgemeine Bestimmung nicht, suchte aber bei den einzelnen Delikten durch Differenzierung der Straf- drohung auch in der Wahl der Strafgattung dem Richter größere Freiheit zu gewähren. So drängte die Entwicklung über die engen Schranken im Feuerbachschen Strafgesetzbuch hinaus. Doch fanden sich auch ängstliche Stimmen, welche in diesem Fortschritt ein „Zurückfallen in die Willkür der älteren Criminal- Gesetzgebung" befürchteten.* Aus solcher Furcht vor richterlicher Willkür hat der Entwurf von 1831 wiederum dem a 96 des Strafgesetzbuchs von 1813 entsprechend beim Zusammentreffen einer größeren Zahl von Milderungs- gründen den Richter lediglich auf die Gnade des Königs verwiesen. Erst der Referent in der Kammer trat dafür ein, die Milderung einer vom Recht selbst als unverhältnismäßig hart erkannten Strafe als eine Angelegenheit der Rechtspflege dem Ermessen des Richters zu überlassen.^

Die gesetzgeberische Ausgestaltung der Zurechnungslehre stellt sich als Niederschlag der Theorien dar, die in Feuerbachs „Revision" entwickelt sind. Eine fruchtbare Ausgestaltung jener Lehren, eine Bereicherung durch die Anregungen der neuen Aufgabe und der aus ihr sich ergebenden veränderten Gesichtspunkte, hat diese Arbeit ihm nicht gebracht. Allenthalben finden wir in den grundlegenden Bestim- mungen des Gesetzes einen getreuen Niederschlag von Gedanken aus

' Vgl. Ortolan, El($incnts du Droit pdnal, V. ed. par A. Desjardins, 1886, Tome I, pag. 505, und P. Cuche, Trait^ de Science et de Legislation P^nitentiaires, Paris 1905, pag. 17. Durch Novellen von 1832 und 1863 wurde a 463 auf die schwere Kriminalität entsprechend ausgedehnt.

■'' Neues Archiv. 1843. S. 97.

' Mittermaier im Neuen Archiv, 1847, S. 588.

* Vergleichende Kritik des Entwurfs und des Bayerischen Strafgesetz- buchs. Nürnberg 1823. S. 6.

'" Mussinan, Bayerns Gesetzgebung, S. 331 f.

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der „Revision" und dem Lehrbuch. Aber während dort die Geschlossen- heit eines philosophisch fundierten gedanklichen Systems über eine im einzelnen oft unzureichende Begründung hinwegtäuscht, wird hier seine Unzulänglichkeit den Anforderungen einer modernen Entwicklung der Strafrechtspflege gegenüber in vielen Punkten offenbar. Die Einseitigkeit des Genera Ipräventions-Gedankens bewirkte es, daß Feuerbach sich mehr und mehr verschloß gegenüber der Frage, wie denn eigentlich seine Strafen auf den Verbrecher selbst wirkten. Seine Strafrechtstheorie vom psychologischen Zwang ließ ihn die Bedeutung dieser Frage gegen- über dem Gedanken der abschreckenden Wirkung der Strafdrohung immer wieder zurückdrängen.

Bei der für jene Zeit charakteristischen Vorliebe für theoretische Doktrinen empfand man mit besonderem Stolz als Eigentümlichkeit dieses Gesetzes, daß es aus rein theoretischen Prinzipien bearbeitet war und sich in seinen grundsätzlichen Bestimmungen aus einer einheitlichen Gedankenwelt heraus ableiten ließ.^ Wenn auch das Gesetz die Worte „dem Übertreter zur Abschreckung", die der Entwurf Feuerbachs der Definition der Strafe hinzugefügt hatte (a b Entwurf und a 1 Strafgesetzbuch), wegläßt und die Anmerkungen jede aus- drückliche Beziehung zu einer bestimmten Strafrechtstheorie ablehnen, „damit sich der Gesetzgeber nicht in doktrinelle Streitigkeiten einmische"," so ist doch Feuerbachs Abschreckungstheorie unverkennbar im Gesetzbuch zum Ausdruck gekommen. Die Strenge der Strafen, die häufige und meist absolute Androhung von Todes- sh-afe und lebenslänglicher Freiheitsstrafe gingen weit über Kleinschrods Entwurf hinaus. „Humane Strenge" glaubte Feuerbach Kleinschrods ungerechter und gefährlicher Schonung der Verbrecher entgegensetzen zu müssen, denn die Strafe soll nach ihm „ein abschreckender Beweggrund sein" und daher so beschaffen, „daß der Regel nach die bloße Gefahr der künftigen Erduldung derselben in der Vorstellung und dem Gefühl stärker wirke, als die Vorstellung des von dem Ver- brechen erwarteten noch so großen Genusses oder Vorteils".^ Von diesem Abschreckungsgedanken aus erklärt sich jene unbiegsame Strafskala, die jedes Variieren der Strafart nach der Individualität des Täters ausschloß. Das waren Momente, welche diesem Werke der Aufklärungszeit einen Charakter bedenklicher Härte verliehen. Das trat bereits in der „Revision" in dem schroffen Gegensatz zwischen juristischer und sittlicher Zurechnung zutage und steht auch hier in engem Zusammenhang mit der von Feuerbach mit Leidenschaft

' Mussinan, Bayerns Gesetzgebung. München 1835. S. 100 f.

* Anmerkungen Bd. I, S. 66,

' Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs 3. Teil, S. 139 f.

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durchgeführten Isolierung des Rechts von der Moral. Doch hat diere Tendenz zugleich zu einer wohltätigen Säkularisation des Strafrechts geführt, indem der Versuch gemacht wurde, mit dem überkommenen System strafrechtlicher Sanktionierung ethischer und religiöser Werte zu brechen. Da der Kriminalgesetzgebung allein die Ähndung der Verletzung von Rechten des Staates und der Bürger vorbehalten wird, bleibt sie vor der Versuchung bewahrt, wie sie es jahrhundertelang unter dem Einfluß kirchlicher Enge und obrigkeitlicher Bevormundung getan hat, „das moralisch Böse mit peinlichen Übeln zu vergelten".^ Feuerbach scheidet alle Handlungen, welche nicht Rechtsverletzungen sind, sondern lediglich „wegen ihrer nach- teiligen Folgen für die öffentliche Ordnung oder wegen ihres mittel- baren Einflusses auf Sicherheit, Sittlichkeit und Wohlstand dem Staate nicht gleichgültig sein können",^ aus dem Kriminalrecht aus und weist sie dem Gebiet der Polizei zu.^ So kennt sein Gesetzbuch keine „Verbrechen gegen die Sittlichkeit und die Religion". Fleischesdelikte werden nur insoweit mit Strafe bedroht, als ihnen als einer Verletzung von Rechten der Person (sub Beschädigungen und andere Mißhandlungen gegen die Person) ein besonderer krimineller Gehalt innewohnt: Notzucht a 190, Entführung a 201, Verführung eigener Kinder und Jugendlicher a 206 und 378, oder durch betrügerische Vorspiegelungen a 372 ff. Ehebruch a 401 wird als Bruch des durch die Ehe begründeten Vertrages betrachtet'' und erscheint ebenso wie Bigamie a 297 unter „Beeinträchtigung fremder Rechte durch Untreue" neben Treulosigkeit des Bevollmächtigten a 399 und des Vormundes a 295. Ausgemerzt ist die Bestrafung der Blasphemie. Während Kreittmayr noch einmal Hexenwahn und Ketzerverfolgung gesetzlich sanktionierte und Klein- schrods Entwurf eine wenn auch milde Bestrafung einer Lästerung oder Verspottung Gottes oder der Heiligen vorsieht 1399 ff.), kennt Feuerbachs Gesetzbuch nur eine Beleidigung eines Religionsdieners während seiner Amtsverrichtung oder einer Gemeinde, im Sinne einer Störung des Gottesdienstes a 424. Denn hier zeigt sich der echte Sohn der Aufklärung „daß die Gottheit injuriiert werde, ist unmöglich, daß sie wegen Injurien sich an Menschen räche, ist undenkbar, daß man sie durch Strafe ihrer Beleidiger versöhnen müsse, ist Torheit".^ Indessen blieb eine solche weise Selbstbeschränkung des Strafrechts

' Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs I.Teil, S. 66 f. ^ Anmerkungen z. Strafgesetzbuch f. d. Königreich Bayern Bd. I, S. 23. " Lehrbuch l. Aufl., §27 (S. 22) und §503 ff. (S. 407 ff.); Lehrbuch 9. Aufl., § 21 ff. (S. 24 ff.) und § 449 ff. (S. 377 ff.).

* Lehrbuch 1. Aufl., § 413, S. 329 f.; 9. Aufl., § 373 ff., S. 308 ff.

* Lehrbuch 1. Aufl., § 344, S. 265; 9. Aufl., § 303, S. 250.

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nicht unangefochten. Mitter maier sprach von „Modeansichten", durch die das Gesetz selbst die Religion demoralisiere, indem es derartige unmoralische Handlungen für nicht wichtig genug hält, um sie mit Strafe zu bedrohen.^' „Viel zu voreilig", meinte Henke, noch ehe Feuerbachs Gesetz in Kraft trat, „hat man in unseren aufgeklärten Zeiten Verbrechen wider die Religion als dem Staate gleichgültig aus der Liste der strafwürdigen Handlungen ausgetilgt. Es ist hier nicht die Absicht, Ketzerverfolgungen und die Greuel der Inquisition zu rechtfertigen und zurückzuwünschen, sondern nur die Lauigkeit zu tadeln, womit man Atheismus, Blasphemie, Verachtung des öffent- lichen Kultus usw. als der bürgerlichen Strafe fremd betrachtet, während man doch inkonsequent genug den Meineid straft. " ^ Die Entwürfe von 1827 und 1831 stellten dann auch die Äußerung von Grundsätzen und Gesinnungen in öffentlicher Rede, Lehre und Schrift, welche wider die Grundlage der Religion und Sittenlehre gerichtet waren, sowie jede ärgerniserregende Beleidigung „gegen das höchste Wesen" erneut unter Strafe.*

Der Äbschreckungsgedanke und der Grundsatz der Trennung von Recht und Moral liegen auch den einzelnen besonderen Be- stimmungen über die Zurechnung zugrunde. Dabei ist gesctiieden zwischen Bestimmungen über die Zumessung der Strafe innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens und der Angabe derjenigen Momente, welche ein Abgehen von der gesetzlich angedrohten Strafe selbst zur Folge haben. Gründe, welche „die Sh-afbarkeit aufheben", sind Unzurechnungsfähigkeit und Ausschluß der Rechts- widrigkeit, insbesondere die aus der Materie der Tötung endgültig in den allgemeinen Teil übernommene Notwehr.

Bei dem Ausmaß der besonderen Sh'afe innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens „soll der Richter teils auf die Beschaffenheit der zu bestrafenden Handlung an und für sich, teils auf die Größe der Gesetz- widrigkeit des Willens Rücksicht nehmen" (a 90). In der näheren Ausführung dieser beiden Momente kehren die gleichen Gesichtspunkte wieder, die Feuerbach in der „Revision" bei der Darstellung der „objektiven und subjektiven Gründe der relativen Strafbarkeit"

' Mittcrmaier, Über die Grundfehler der Behandlung des Kriminal- rechts in Lehr- und Strafgesetzbüchern. Bonn 1819. S. 32.

* Ed. Henke, Über den Streit der Strafrechtstheorien. Regensburg 1811. S. 89 f.

* Feuerbach, Lehrbuch XIV. Aufl., § 303, Note V des Herausgebers Mittermaier, S. 491. Über die „romantisch-orthodoxe Rückströmung" des Religionsstrafrechts der Reaktionszeit vgl. Kohlrausch, Die Beschimpfung von Rcligionsgesellschaften. Tübingen 1908. S. 33 f.

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entwickelt hatte: die Bedeutung des verletzten Rechts, die Größe der Gefahr und, auf der subjektiven Seite, alle Umstände, welche auf eine mehr oder weniger starke Intensität, Festigkeit und Inkorrigibilität der sinnlichen Triebfeder schließen lassen (a 91 94).^ Dabei wird in gleicher Weise eine besonders starke und darum in steigendem Maße der Abschreckung bedürftige Determination zum Verbrechen angenommen bei dem, der trotz nur geringer äußerer Veranlassung und starker innerer Hemmungen dennoch ein Verbrechen beging, wie bei dem unverbesserlichen Gewohnheitsverbrecher (a 92). Eine Milderung der normalen gesetzlichen Strafe ist vorgesehen innerhalb gesetzlich genau festgelegter Strafskalen für Jugendliche zwischen 8 und 12 und zwischen 12 und 16 Jahren (a 98 und 99). Unzurechnungs- fähig gelten Kinder unter 8 Jahren sowie Rasende, Wahnsinnige und andere Geisteskranke, welche ihren „Verstandesgebrauch" eingebüßt haben (a 120). Unzurechnungsfähig ist auch, wer in unverschuldeter Verwirrung sich seiner Handlung und ihrer Strafbarkeit nicht bewußt war (a 121). Diese Fälle, die ausführlich vom Gesetz aufgezählt werden, ergänzen die allgemeine Regel des a 119, daß eine Handlung straflos bleibt, wenn sie weder zum Vorsatz noch zur Fahrlässigkeit zugerechnet werden kann. Dieser Satz bringt zwar den Gedanken: „Keine Strafe ohne Schuld" unverkennbar zum Ausdruck, gibt aber auf die Frage, wann denn nun eine Handlung einer Person weder zum Vorsatz noch zur Fahrlässigkeit zugerechnet werden kann, keine Rnhvort und ist für die Bestimmung des Wesens der Unzurechnungs- fähigkeit ohne Wert. So bleibt es bei dem Zustand, den Feuerbach selbst Kleinschrod gegenüber gerügt hatte, daß dem Richter lediglich einzelne psychologische Tatbestände, Beispiele von Gemütszuständen, welche die Strafbarkeit ausschließen, vom Gesetz gegeben werden.^ Durch diese Regelung fühlten sich namentlich die Ärzte beschwert, da die Aufzählung einzelner Krankheitsformen und die einseitig intellek- tualistische Ausdrucksweise des Gesetzes sich als zu eng und einseitig erwiesen, um eine Handhabe für eine befriedigende Beurteilung zweifel- hafter Fälle zu bieten. So verlangte J. B. Friedreich eine Änderung des a 120 in dem Sinne, daß allgemein jedes Individuum unzurechnungs- fähig sei, „welches zur Zeit der Tat sich in einem psychisch unfreien Zustand befand", und er ging in der Bevorzugung einer solchen allgemeinen Formel so weit, daß er die gesetzliche Festlegung einer bestimmten Grenze der Strafmündigkeit ablehnte und die Zurechnungs- fähigkeit auch bei Kindern in jedem einzelnen Fall von dem Vorhandensein

' Vgl. oben Kap. III, S. 106 ff.

- Kritik des Kleinschrodischcn Entwurfs I.Teil, S. 11.

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der vom Sachverständigen zu prüfenden „psychischen Selbstbestimmung" abhängig gemacht wissen wollte.^

Eine solche Formulierung wäre freilich nicht im Sinne Feuer- bachs gewesen, der jede Verbindung von strafrechtlicher Zurechnungs- fähigkeit und Willensfreiheit bekämpft hat. Mit dieser Stellungnahme Feuerbachs hängt es zusammen, daß das Bayerische Gesetzbuch von 1813 sich dem Gedanken einer gesetzlichen Anerkennung des straf- mildernden Einflusses der verminderten Zurechnungsfähigkeit verschloß. Entgegen einer nahezu einmütigen Anerkennung der geminderten Zurechnungsfähigkeit durch die kriminalistische Literatur hat Feuerbach mit aller Energie und Zähigkeit an seiner Opposition festgehalten, ähnlich wie ein halbes Jahrhundert später Friedrich Berner in seinem Kampf gegen die Äbstufbarkeit des Begriffs der Zurechnungs- fähigkeit die überwiegende Mehrzahl der Strafrechtler gegen sich hatte.* Feuerbachs Stellungnahme erklärt sich nur aus dem ganzen Entwicklungs- gang seiner strafrechtlichen Lehren. Im gemeinen Strafrecht gehörten die Fälle der geminderten Zurechnungsfähigkeit, bei denen besondere physische oder psychische Zustände die volle Verantwortlichkeit des Täters beeinträchtigen, zu den vielen Momenten, aus welchen der Richter aus Gründen der Billigkeit oder um staatlicher und kriminal- politischer Zweckmäßigkeit willen das Recht herleitete, von der gesetzlich angedrohten Strafe abzugehen. Eine klare Absonderung jener verant- wortungsmindernden Zustände von anderen Strafänderungsgründen, die ihre methodische Sonderstellung als Modifikation der Zurechnungs- fähigkeit erkennen ließe, fehlte allgemein. Dieses Bild zeigte Kreitt- mayrs Codex (Tl. I, cap. I, § 17), während Kleinschrod ähnlich, wie es das Preußische Allgemeine Landrecht versuchte,^ eine begriffliche Scheidung zwischen Prinzipien der Zurechenbarkeit und denjenigen Momenten, welche die Strafbarkeit beeinflußten, durch- zuführen sich bemühte. Indem Feuerbach aus den Bedürfnissen der Rechtssicherheit heraus das ganze System richterlicher Strafänderungs- gründe bekämpfte, trat er damit auch dem Milderungsgrund einer geminderten Zurechnungsfähigkeit entgegen. Für eine gesetzliche

' J. B. Fried reich, in: Zu Rheins Zeitschrift für Theorie und Praxis des bayerischen Zivil-, Kriminal- und öffentlichen Rechts I. Bd. 1835. S. 108 ff. und II. Bd., S. 70 ff.

Eingehende Literaturangaben bei Kahl, Geminderte Zurechnungs- fähigkeit. Vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Stratrechts. Ällg. Teil Bd. i, S. 9.

* Ä. L. R. 2. Teil, XX. Titel, § 16 ff. „Moralität der Verbrechen" und § 58 ff. „Milderung der Strafe". - Vgl. Hälschner, Geschichte des Brandenburg - Preußischen Strafrechts. Bonn 1855. S. 210 f.

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Anerkennung einer entsprechenden Strafminderung, welche die Bedenken seiner positivistischen Stellungnahme hätte zerstreuen können, ließ ihm seine Straftheorie keinen Raum. Denn wenn die Höhe der Strafe abhängig ist von der Stärke der sinnlichen Triebfeder, die den Täter zum Verbrechen drängt, dann bedarf gerade der Mensch der Androhung eines besonders starken Übels zur Abschreckung, den besondere Umstände in stärkerem Maße zur Tat determinieren, denen gegenüber seine Hemmungen unzulänglich sind, d. h. gerade der Täter im Zustand geminderter Zurechnungsfähigkeit. Es handelt sich hier um die Fälle, in denen geringe moralische Verantwortlichkeit einer erhöhten kriminellen Gefährlichkeit gegenüber steht, und hier hat Feuerbach seiner These von der Isolierung des Rechts von der Moral entsprechend die Stärke der Strafdrohung unbedenklich dem erhöhten Bedürfnis nach Abschreckung angepaßt. Gegenüber der von dem Gegner gebrauchten Terminologie einer „verminderten Freiheit" stützt er seine Opposition auf das doppelte Argument einer Eliminierung der Willensfreiheit aus der strafrechtlichen Zurechnungslehre und des Hinweises auf das Widerspruchsvolle einer graduellen Abstufung der Freiheit, die nur als absoluter Begriff denk- bar sei. Diesen Gedankengang hat er in seiner „Revision" entwickelt und in dem Eingang des maßgebenden Kapitels (Bd. 11, cap. IX) diese Problemgruppe als einen Gegenstand bezeichnet, der „mehr als irgend ein anderer im Gebiet des peinlichen Rechts von dem wichtigsten Einfluß für das Leben und Handeln ist, der mit dem Wohl des Staates, selbst mit dem Interesse der Menschheit auf das innigste verbunden ist".^ Leider hat Feuerbach trotz dieser wuchtigen Worte die eigentliche Bedeutung der Frage der verminderten Zurechnungsfähigkeit für die Gesetzgebung und Rechtspflege nicht gesehen. Er stand ihr als einem philosophischen Problem gegenüber, und er hat sich von dem inneren Zusammenhang dieser Frage mit dem theoretischen System seiner Strafrechtsdoktrin nie ganz frei machen können. Darum mußte ihm ein tieferes Verständnis für die neuen Aufgaben der jungen Kriminal- psychologie und Psychiatrie versagt bleiben. So kannte Feuerbachs Lehrbuch den Begriff der verminderten Zurechnungsfähigkeit nicht, und das Strafgesetzbuch läßt jede Sonderbehandlung von Fällen, die jenem problematischen Zwischengebiet zwischen voller Zurechnungsfähigkeit und Unzurechnungsfähigkeit angehören, vermissen. Im Gegensatz hierzu unternahmen es die offiziellen Anmerkungen, den Richter anzuweisen, bei Handlungen, die etwa im Rausch oder unter der Einwirkung eines starken Affekts begangen sind, wenn „die Zurechnung zum Dolus nicht offenbar vorliegt", gleichwohl aber die Tat nicht

' Revision Bd. II, S. 274.

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„zu Fahrlässigkeit zuzurechnen" ist, auf mildere Strafe zu erkennen. '^ Die Praxis griff diesen Hinweis freudig auf, wobei man in a 106 eine formale Stütze für diese Strafmilderung zu sehen glaubte. In a 106 handelt es sich um jene, wie zu zeigen sein wird, durchaus nicht einwandfreie Bestimmung, wonach bei einem Mangel am Tatbestand sich die für den gesamten, vollständigen Tatbestand angedrohte Strafe reduziere, und man wandte diese Bestimmung auch auf einen Mangel am subjektiven Tatbestand, nämlich eine Verminderung der Zu- rechnungsfähigkeit, an.^ Gönners Entwurf versuchte dann eine gesetzliche Sanktionierung dieser Übung zu schaffen, indem er bestimmte, daß, wenn „die Zurechnung zwar nicht ganz ausgeschlossen, jedoch in solchem Grade gemindert ist, daß die gesetzliche Strafe der Tat außer Verhältnis mit der Strafbarkeit des besonderen Falles stehen würde", die Gerichte zu einer Herabsetzung der Strafe nach Maßgabe der Strafminderung beim Versuch ermächtigt seien (a 86).

Es kann nicht wundernehmen, daß diejenigen Kritiker des Entwurfs, die in ihren Grundansichten Feuerbach nahestanden, der Bedeutung dieser Bestimmung nicht gerecht wurden und von ihr im Zusammenhang mit der allgemeinen Tendenz des Entwurfes zu einer Erweiterung der gesetzlichen Strafrahmen die Gefahr erneuten Mißbrauchs richterlicher Willkür befürchteten.^ Feuerbach selbst gab „durch die Macht der Erfahrungen", wie Rrnold erzählt, in den letzten Jahren seines Lebens selbst zu, daß „geminderte Zurechnungsfähigkeit eine geminderte Strafe zur Folge haben müsse".* Sein Neuentwurf enthielt die Bestimmung, daß der Richter zu einer Milderung der Strafe befugt sei, wenn physische oder psychische Krankheit, welche die Fähigkeit, „nach Willkür die mit Strafe bedrohte Handlung zu unterlassen", beeinträchtigt, in hohem Maße vorhanden ist, ohne geradezu alle Zurechnung aus- zuschließen.^ Doch trat in den neuen Auflagen seines Lehrbuches diese Wandlung nirgends zutage, sodaß er selbst diese Sinnesänderung niemals öffentlich kundgegeben hat. Dies ist wohl weniger aus einer Scheu vor dem Eingeständnis eigener Irrtümer zu erklären, als vielmehr als ein Anzeichen dafür, daß Feuerbach selbst die Empfindung hatte, daß mit der Preisgabe dieser einen Position sein ganzes System ins

' Anmerkungen Bd. I, S. 299 f.

^ Seuffiirt, in: Blätter für Rechtsanwendung zunächst in Bayern in. Bd. 1838. S. 4. - Arnold, in: Neues Archiv. 1843. S. 109.

' Oersted, Ausführliche Prüfung des neuen Entwu fs zu einem Straf- gesetzbuch für das Königreich Bayern. Kopenhagen 1823. S. 101 u. 222. Ebenso: Vergleichende Kritik des Entwurfs fies Strafgesetzbuchs mit dem Strafgesetzbuch von 1813. Nürnberg 1823. S. 42.

' Arnold, Neues Archiv. 1853. S. 245, Anm. 6.

^Mittermaier, Neues Archiv. 1847. S. 588.

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Wanken geriet, sodaß die offizielle Aufnahme des Prinzips der ver- minderten Zurechnungsfähigkeit zu einer neuen „Revision" seiner „Grundwahrheiten und Grundbegriffe" hätte führen müssen. Dazu vermochte er sich aber wohl um so weniger zu entschließen, als er jene allgemeinen Prinzipien des Strafrechts auf deduktivem Wege gewonnen hatte, während jetzt in zunehmendem Maße in seinen Studien zur Prozeßreform die philosophische Methodik verlassen wurde und die Erscheinungen des Lebens in ihrer Unmittelbarkeit und Plastik mehr und mehr sein Interesse beherrschten. So waren seine Stellung zu grundsätzlichen Problemen des materiellen Strafrechts und sein Ver- hältnis zum Strafgesetzbuch selbst verhältnismäßig bald nach den eigenen grundlegenden Taten veraltet. Und als er die Mitarbeit an der Reformarbeit der 20 er Jahre so brüsk abbrach, mag neben der berechtigten Empfindung erlittener Kränkung und Zurücksetzung vielleicht im tiefsten Grunde ein wrenn auch uneingestandenes Gefühl der Resignation wirksam gewesen sein, daß er doch nur eine Flickarbeit an dem eigenen Werk hätte vollbringen können und daß die not- wendigen Reformen auf den Zusammenhang mit einem Strafrecht ganz anderer, ihm selbst wesensfremder Prägung hinweisen mußten. „Überdies, schreibt er dem Ministerialrat v. Spies, hat jeder Mensch seine Zeit, ich hatte die meinige, andere haben jetzt die ihrige. Rn dem Ulyssesbogen der Gesetzgebung, mit welchem ich zwar nicht jedes, doch manches Ziel getroffen, werden jetzt rüstigere Arme und bessere Schützen sich versuchen."^ Aber Feuerbachs Temperament war nicht dazu angetan, solch tragischen Ausgang in entsagungsvoller Selbstbesinnung hinzunehmen. Das eigene Gefühl dafür, daß seinem Werk gerade in solchen Punkten fühlbare Unzulänglichkeiten anhafteten, die mit seinen einst mit so viel leidenschaftlicher Kraft verfochtenen Grundansichten aufs engste verknüpft waren, ließ ihn die erlittene Zurücksetzung um so schmerzvoller empfinden, als er nun sehen mußte, wie sein alter Widersacher v. Gönner einen immer stärkeren Einfluß auf die bayerische Gesetzgebung erlangte. Kein Spott ist ihm scharf genug, die Arbeit der bayerischen „Solone" mit grimmigem Hohn zu brandmarken, wo jetzt „Tagelöhnerjungen, die sich bisher nur mit dem Steintragen und Kalkrühren beschäftigt haben", sich am Bauen versuchen, bis daß das Haus einstürzen wird:'' „. . . also mein freund- schaftlicher Rat, so schreibt er am 25. November 1835 an den Ministerialrat v. Spies, der sich bemühte, Feuerbachs Einfluß auf die gesetzgeberische Reformarbeit noch weiterhin sicherzustellen; manum

' Leben und Wirken II, S. 252. ' Leben und Wirken II, S. 253.

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de tabula, welches jetzt vielmehr besser so ausgedrückt wird: fallen Sie dem Rumpelkasten, mit welchem einige blinde Karrengäule dem Abgrunde zurennen, nicht in die Räder, sondern springen Sie auf die Seite!" ^

Die große Bedeutung, die Feuerbach der begrifflichen Klärung und der prägnanten Formulierung der Zurechnungsprinzipien in seinen theoretischen Arbeiten und seiner gesetzgeberischen Tätigkeit beigemessen hat, hat einen tiefen Sinn. Denn nur wenn es gelang, daß Wissen- schaft und Gesetzgebung „die subjektiven Bedingungen der Strafbarkeit" in verständlicher Weise klar begrenzten, war die Innehaltung jenes Satzes gewährleistet, der das Wesen des modernen Strafrechts kenn- zeichnet: Keine Strafe ohne Schuld. Das Gesetz bekennt sich in a 1 1 9 ausdrücklich zu diesem Satz und läßt Feuerbachs Bemühen um die Wirksamkeit dieses Prinzips allenthalben in der Aufnahme seiner theoretisch entwickelten Voraussetzungen und Formen der strafrechtlichen Schuld erkennen. Und doch findet sich mitunter ein verhängnisvolles Schwanken auf Gebieten, deren unmittelbaren Zusammenhang mit jenem Axiom ihm selbst offenbar nicht klar war. Die Bedeutung der berühmten Schuldpräsumtionen Feuerbachs kann erst im Zusammen- hang mit der Vorsatzlehre dargestellt werden. Auffallend ist eine Inkonsequenz in der Verwirklichung der prozessualen Seite jenes Schuldprinzips, der Forderung: Keine Verurteilung ohne Beweis der Schuld. Eine restlose Durchführung dieses Prinzips ist nur möglich, wenn der Nachweis der Wahrheit allein gegründet wird auf die in freier Beweiswürdigung gewonnene subjektive Überzeugung des Richters. Solange man aus dem naiven Glauben an die Möglichkeit einer Erkenntnis absoluter objektiver Wahrheit und der Forderung einer unbedingten Gewißheit der Schuld eine Verurteilung von dem Vorhandensein bestimmter, gesetzlich festgelegter Beweismittel abhängig machte, stand man immer wieder ratlos gegenüber einer Überzahl von Fällen, in denen zwar der gesetzlich vorgeschriebene, formale Beweis nicht vollständig war, gleichwohl aber die Schuld des Verdächtigen nicht bezweifelt werden konnte. Da man diese Leute nicht laufen lassen wollte, half man sich mit dem Kurpfuschermittel der Verdacht- strafe, indem man sie wie mit schlechtem Gewissen mit einer milderen poena extraordinaria bestrafte. Dieser Zustand beherrschte den gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß, für den durch a 22 CCC die formale Beweistheorie der italienischen Juristen in Deutschland offiziell Anerkennung gefunden hatte. ^ Im späteren gemeinen Recht wurde

* Leben und Wirken II, S. 257.

* Liepmann, Gedanken über den Rechtsirrtum im Strafrecht. Z. Str.W. Bd. 39, S. 533.

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das Problem der Verdachtstrafe insofern modifiziert, als einmal durch die Aufhebung der Tortur die Notwendigkeit einer Erweiterung des Beweisrechts offenbar wurde und allmählich die Doktrin unter dem Einfluß positivistischer Tendenzen sich gegen die poena extraordinaria wandte und statt einer geringeren Strafe Sicherheitsmaßregeln gegen den eines Verbrechens Verdächtigen, aber nicht restlos Überführten, verlangte.^

Das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813 huldigt noch dem Inquisitionsprozeß, aber Feuerbach hat doch versucht, das Beweisrecht in dem Sinne zu erweitern, daß beim Zusammentreffen besonderer vom Gesetz in eingehender Kasuistik und mit aller Vorsicht geschilderter Indizien eine zur Verurteilung genügende „überzeugende Gewißheit" (II. Tl., a 328) zugelassen wird. Doch waren die Anschauungen über das formale Beweisrecht so stark eingewurzelt, daß die Kommissionen entgegen Feuerbachs Stimme die Einschränkung in das Gesetz brachten, daß zur Todesstrafe ein solcher Indizienbeweis niemals ausreiche (a 330). Feuerbach hatte sich mit klaren Worten gegen eine solche Inkonsequenz ausgesprochen. Ist eine Tatsache nicht erwiesen, so ist damit juristisch kein Grund für die Existenz der bedrohten Handlung vorhanden und, so schloß er in seinem Lehrbuch," die Strafe bei unvollkommenem Beweis ebenso wie die Verhängung von Sicherheits- maßregeln rechtswidrig. „Wer macht denn den Richter zum Polizei- meister? Wer gab ihm, der doch nur Kriminalgesetze anzuwenden hat, das Recht, Verfügungen zur künftigen Sicherheit des Staates zu treffen?"^ Hat sich aber das Gericht in einwandfreier Weise von

' G. Ä. Kleinschrod, Über die Wirkung eines unvollkommenen Beweises in peinl. Sachen. Abhandlungen aus dem peinl. Recht und peinl. Prozeß I.Teil. Erlangen 1797. S. 1 ff. Über Lossprechung von der Instanz im peinl. Prozeß. Ebendort S. 165 ff. E. L. R. Eisenbarts Preisschrift im Archiv des Kriminalrechts III. Bd., l.St. 1800, S. 65 ff. und 2. St. 1801, S. Iff. Gegen spezielle Sicherheitsmittel gegenüber einzelnen Verdächtigen, unbeschadet der allgemeinen vorbeugenden Tätigkeit der Polizei: Zachariae, im Archiv d. Kriminalrechts 111. Bd., 4. St., S. 1 ff. Ein kurzer, die praktischen Folgerungen ablehnender Hinweis auf den Zusammenhang dieser Frage mit Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme und Geschworenengericht bei Klein, im Archiv d. Kriminalrechls III. Bd., 2. St., S. 64 ff., der einer der eifrigsten Verfechter des Sicherungsrechts war. Vgl. auch J. N agier, Verbrechens- prophylaxe u. Strafrecht. Krit. Bcitr, XIV, Leipzig 1911, S. 17, u. K. Fuhr, Strafrechtspflege u. Sozialpolitik, Berlin 1892, S. 1 ff.

* Lehrbuch 1. Aufl., § 91, S. 70.

^ Ebendort S. 71, Änm. In den späteren Auflagen des Lehrbuchs fehlt diese Polemik gegen die Sicherheitsmaßnahmen. Vgl. VIII. Aufl. § 83, S. 84 f. und XIV. Aufl., § 83, S. 153. In der „Revision" I, S. 64 f. bekannte er sich sogar ausdrücklich für das Sicherungsrecht bei unvollkommenem Beweist

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der Schuld des Angeklagten überzeugt, dann schafft jene Einschränkung des a 330 den merkwürdigen Zustand, bei dem, wie er später einmal ausführte, „ein Mörder, von welchem die Justiz selbst in einem furchtbar feierlichen Strafakte öffentlich verkündet, daß sie ihn des Mordes für schuldig erkannt habe, gleichwohl nicht die durch den Mord verdiente Strafe leide und auch dieses nur von Rechts wegen ".^ Um so auffallender ist es, daß bei Feuerbach selbst in einer Bestimmung des materiellen Teils sich der Einfluß jener alten Tradition der Verdacht- strafe geltend machte. In a 106 findet sich der gesetzliche Niederschlag eines Gedankens, der bereits in der „Revision" einen Gegensatz zur positivistischen Tendenz dieser Schrift darstellt: die außerordentliche Strafe bei Mangel am Tatbestand. Wenn der Tatbestand in dem einen oder anderen Punkte mangelhaft oder ungewiß ist, soll hiernach die gesetzliche Strafe gemildert werden in dem Verhältnis, in dem das fehlende Tatbestandsmerkmal zu der Summe aller Tatbestandsmerkmale steht. Das war der Gedanke des a 106. Bestimmte z. B. a 172 für Äbtreibung 8 Jahre Arbeitshaus, so entfielen nach dieser Vorstellung von diesen 8 Jahren 4 Jahre auf das Tatbestandsmerkmal des Abortiv- mittels, 2 Jahre auf das Tatbestandsmerkmal der Schwangerschaft, 2 Jahre auf den Dolus. Fehlt eines dieser drei Tatbestandsmerkmale, so soll sich die Strafe um die entsprechende Anzahl von Jahren mindern.^ Die Sinnlosigkeit dieser Berechnung liegt auf der Hand. „Schwangerschaft" und „Dolus" sind nicht selbständige mit Strafe bedrohte Tatbestände, sondern stets bleibt die gesamte Strafe eine Rhndung des ganzen Delikts. Der Täter wird auch bei „Mangel am Tatbestand" für das ganze Delikt bestraft, nur sind in diesem Fall wesentliche Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt oder nicht erwiesen. So wird hier ein Angeklagter bestraft wegen einer Tat, deren er nicht völlig überführt, sondern nur aus bestimmten Gründen verdächtig ist. So sehr sich die Anmerkungen zum Gesetz bemühen, die Bestimmung mit den Argumenten der Feuerbachschen Konstruktion des Begriffs „Mangel am Tatbestand" zu rechtfertigen und den Vorwurf einer Verdachtstrafe zu entkräftigen, ^ so fand diese Regelung doch allgemeine

' Feuerbach, Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen. 3. Aufl. 1849. S. 357. Grundlegend für die wachsende Erkenntnis der Sinnlosigkeit des überkommenen Beweissystems, das aus Mißtrauen gegen den Indizienbeweis der Willkür der Verdachtstrafen verfiel, wurde Chr. C. Stübel, Über den Tatbestand der Verbrechen .. . Wittenberg 1805.

Mittermaie r, Über den Einfluß des Mangels am Tatbestande auf das Strafurteil. Neues Archiv des Kriminalrechts III, 1820, S. 394 f.

^ Anmerkungen zum Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern I. Bd. München 1813, S. 246.

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Hblehnung. Mi tt er maier wies nach, daß die Strafe nur dem Verbrechen in seinem gesamten Tatbestand entspreche und daß zu geringerer Strafe keineswegs ein geringerer Grad von Gewißheit der Voraussetzungen der strafrechtlichen Reaktion ausreiche/ In Olden- burg, wo das Bayerische Strafgesetzbuch eingeführt wurde, übernahm man den a 106 nicht, in Weimar warnte man ausdrücklich vor diesem Vorbild.- v. Gönners Entwurf von 1822 kannte gleichfalls diese Bestimmung nicht mehr. Später zeigte Arnold die Entbehrlichkeit dieser Bestimmung. Denn, da nur die bewiesene Tat strafbar ist, so kann eine Handlungsweise nur als vollendete Ausführung aller tatbestandsmäßigen Handlungen eines Delikts oder als Versuch zu dieser bestraft werden."^ Feuerbach selbst hat den Gedanken nie völlig aufgegeben, wohl aber späterhin versucht, ihm eine abschwächende Formulierung zu geben. So spricht er in den letzten Auflagen seines Lehrbuchs^ nicht mehr von fehlenden und ungewissen Tatbestands- merkmalen, sondern vom Fehlen besonderer, durch das Gesetz oder die Auslegung erforderter Eigenschaften des Tatbestands. Doch ist hiermit der Begriff eher unklarer geworden. Die Fälle, an die Feuerbach hier denkt, erweisen sich in Wirklichkeit, wie Mittermaiers Anmerkung zeigt, als Verbrechensversuch (z. B. ein räuberischer Überfall, bei dem der Täter nichts zum Wegnehmen findet), oder es fehlen lediglich Eigenschaften, welche richtigerweise gar nicht zum gesetzlichen Tatbestand gehören sollten, wie die Verheimlichung der Schwangerschaft beim Kindesmord. Der a 106 ist erst durch a 8 des Gesetzes vom 29. August 1848 aufgehoben worden.

Die Forderung: Keine Strafe ohne Schuld wird ergänzt durch den Gedanken, daß als Bedingung strafrechtlicher Reaktion stets die Verwirklichung eines objektiven Tatbestandes erforderlich ist, sodaß nur eine schuldhafte Handlung eine Bestrafung rechtfertigen kann. In der Grolmanschen Präventionstheorie hatte Feuerbach die symptoma- tische Verbrechensauffassung bekämpft, nach der die objektive Handlung nicht selbständige und wesentliche Voraussetzung der Strafe ist, sondern lediglich ein Anzeichen für die durch die Strafe in erster Linie zu treffende verbrecherische Gesinnung. Mit einer Gesinnungsstrafe aber verliert die Strafjustiz den festen Boden des Rechts und verfällt

' Mittermaier, Neues Archiv III, S. 394 ff. Gegen Feuerbach auch Klcinschrod, Abhandlungen S.Teil, I.Abt., S. 94 f. - Neues Archiv Bd. II, 1818, S. 60.

* Arnold, Erfahrungen aus dem Bayerischen Strafgesetzbuch v. 1813. Archiv des Kriminalrechts. Neue Folge, Jahrg. 1843, S. 110 ff. und 240 fl.

* XIV. Aufl., herausgeg. von Mittermaier, Gießen 1847, § 99, S. 191. Die VII. Aufl., 1820, zeigt noch die alte Fassung.

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der Gefahr der Despotie und Klassenjustiz, der bei der Unmöglichkeit, einem Menschen sein Innenleben und seine Gesinnungen nachzuweisen, derjenige zum Opfer fällt, dem man die vom Recht verpönte Gesinnung zutraut. „Kann eine Überzeugung, eine dem Staat gefährliche Meinung, ein der Staatsreligion gefährlicher Glaube bestraft werden ? " fragt Feuerbach. „Niemand wird diese Fragen bejahen." Denn der Gesetzgeber „kann nichts den Strafsanktionen unterwerfen, was nicht mittelbar oder unmittelbar eine Rechtsverletzung in sich enthält, kein Faktum, was nicht äußerlich erkennbar ist und dessen Existenz nicht in concreto vollständig bewiesen werden kann".^ Diesen Gedanken hat das Bayerische Strafgesetzbuch durch seine gesamte Anlage durchgeführt, indem nicht nur die typischen Gesinnungsdelikte, wie Ketzerei und Aberglaube, schwanden, sondern durchweg im Besonderen Teil durch scharfe Herausarbeitung der Tatbestände aller und namentlich der gegen den Staat gerichteten einzelnen Delikte der Richter in die Lage gesetzt wurde, aus dem Verhalten des Täters ganz bestimmte Handlungen als strafbares Unrecht zu eliminieren. Hierin liegt die große historische Mission Feuerbachs als Gesetzgeber.^ Erst wenn man sich die Bedeutung dieser Tat, für die ein Vorbild allenfalls im Code penal vorlag, klarmacht und bedenkt, welch gewaltiger Schritt von dem bisher in Bayern geltenden Recht des Kreittmayrschen Codex und dem altväterlichen, durch die Fülle besorglicher Regeln und Ratschläge unklaren Entwurf Kleinschrods getan ist, wird man es verstehen, daß auch diesem Gesetz Reste jener ängstlichen Auffassung nicht fehlen, welche in dem Bestreben, die verbrecherische Tätigkeit in einem möglichst frühen Stadium zu bekämpfen, mit Strafdrohungen schon in einem Punkte einsetzt, wo objektiv eine kriminelle Betätigung noch nicht erfolgt ist.

Dieser Gefahr unterliegt ein Strafrecht um so eher, je mehr es auf dem Gebiete der Teilnahme und des Versuchs die Straf- barkeit von subjektiven Momenten abhängig und dabei auch ein solches Verhalten zum Gegenstand strafrechtlicher Ahndung macht, das in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Ausführung einer verbrecherischen Handlung selbst steht. So wird nach dem Bayerischen Strafgesetzbuch ein Komplott, die bloße Verabredung und gegenseitige Verpflichtung, ein Verbrechen zu begehen, auch wenn es gar nicht zur Ausführung des Verbrechens kommt, als Versuch dieses Delikts bestraft (a 52 und 50). Die Bestrafung des Versuchs hat für Feuerbach eine hohe kriminalpolitische Bedeutung, sie ist

' Revision II. Bd., S. 13 und vorhergehende.

^ Vgl. Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft 3. Abt., II. Halbbd., S. 129.

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bestimmt, „gleichsam dem Verbrecher den Weg abzugraben, die Keime des Verbrechens in ihrer ersten Entwicklung zu ersticken".' Infolge- dessen bestraft Feuerbach nicht nur den nächsten Versuch, bei dem der Täter teilweise in der Ausführung begriffen ist, sondern auch den entfernteren Versuch, d. h. bloße Vorbereitungshandlungen (a 60 und 62). Beiden Fällen sucht er mit einer subjektiv gerichteten Begriffsbestimmung gerecht zu werden, nach der ein Versuch anzunehmen ist, „wenn eine Person, in der Absicht, ein Verbrechen zu begehen, äußerliche Handlungen vorgenommen hat, welche auf Vollbringung oder Vorbereitung desselben gerichtet sind" (a 57). Dagegen bewahrte Feuerbach die Auffassung, daß jede Vollendung eines Delikts die Verletzung eines Rechts voraussetzt, vor einer Ausdehnung der Straf- barkeit auch die Fälle des untauglichen Versuchs. Denn wenn zur Vollendung eine wirkliche Rechtsverletzung gehört, so muß von einem Versuch verlangt werden, daß aus ihm „die Übertretung wirklich entspringen konnte".^ So wie die Carolina in a 178 „etliche scheinliche wercke, die zu volbringung der missethatt dienstlich sein mögen", verlangt, fordert Feuerbach, daß die Versuchshandlung „nach ihrer äußeren Beschaffenheit mit dem beabsichtigten Verbrechen in ursächlichem Zusammenhang steht, objektiv gefährlich ist"."' Ein Begriffsmerkmal, das noch im Lis zischen Lehrbuch wiederkehrt!* „Wer", heißt es bei Feuerbach, „von dem Verbrechen der Mitteilung eines vermeintlichen Gifts, von dem Versuch der Tötung eines Leichnams u. dgl. spricht, verwechselt das Moralische mit dem Rechtlichen, die Gründe der Sicherungspolizei mit dem Recht zur Strafe und muß auch jenen Bayern eines strafbaren Versuchs der Tötung schuldig erkennen, der nach einer Kapelle wallfahrte, um da seinen Nachbar totzubeten ! " "^ Infolgedessen fügte Feuerbach der subjektiven Fassung des Versuchs- begriffs in seinem Entwurf zum Strafgesetzbuch die Einschränkung hinzu, daß der Versuch straflos bleiben sollte, „wenn die äußere Handlung mit dem dadurch beabsichtigten Verbrechen in gar keinem Zusammenhang war, sodaß dieses nach dem Lauf der Natur schlechterdings nicht daraus entstehen konnte" (a 60 Abs. 2 des Entwurfs). Doch drang Feuerbach mit dieser Ansicht nicht durch und die Anmerkungen begründen das damit, daß in strafrechtlicher Beziehung kein Unterschied zu machen sei zwischen demjenigen, der sich in der Wahl der Mittel

' Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs 2. Teil, S. 102. Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs I.Teil, S. 67. •'' Lehrbuch 7. Aufl., 1820, § 42, S. 45; desgl. 9. Aufl., 1826, § 42, S. 42. ' Lehrbuch 23. Aufl., 1921, § 46, I, 3, S. 201 f.

' Lehrbuch 7. Aufl., 1820, § 42, Anm. a (S. 46); desgl. 9. Aufl., 1826, § 42, Anm. c (S. 42 f.).

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vergriffen habe und dem, der durch andere äußere Umstände an der Vollbringung des Verbrechens gehindert sei.^

So stand das Gesetz nach jeder Richtung auf dem Boden der subjektiven Versuchsauffassung. Doch blieb die Opposition nicht aus. Bei der Neuregelung des Weimarer Strafgesetzbuchs warnte man vor dem bayerischen Vorbild einer so weiten Ausdehnung der Straf- barkeit des Versuchs, bei der „auf Zweckmäßigkeit der Mittel gar nicht und nur auf die Absicht gesehen werden soll"." Die bayerische Rechtspflege erfuhr täglich die Schwierigkeiten des gesetzlich festgelegten subjektiven Versuchsbegriffs und bemühte sich, die extremen Fälle untauglicher Versuchshandlungen auszuscheiden, indem man regelmäßig freisprach, wenn das Mittel von der Art war, „daß dessen Anwendung nur ein Produkt des reinen Unverstandes ist".^ Noch zahlreicher waren die Stimmen, welche sich gegen die Strafbarkeit der Vorbereitungs- handlungen wandten. 1818 erschien Mittermaiers kurzer und wichtiger Aufsatz über den Anfangspunkt der Strafbarkeit der Versuchs- handlungen.* Mittermaier zeigt hier, daß in dem Stadium des entfernten Versuchs, in dem es sich nur um ein Ausspähen der Gelegenheit, um Beschaffung und Zurüstung der Mittel handelt, in der Handlung des Täters nichts strafrechtlich Relevantes liegt und eine Bestrafung nur eine, zudem keineswegs unumstößlich feststehende, Absicht zum Gegenstand hat. Er beschränkt deshalb die Strafbarkeit auf dasjenige Stadium, in dem mit der Anwendung der Mittel bereits begonnen ist, da man vorher von der Übertretung eines Gesetzes nicht reden kann. Auch die Praxis empfand die Härte einer zu weit ausgedehnten Strafbarkeit, die sich nur dadurch mildern ließ, daß der Nachweis des Vorsatzes bei bloßen Vorbereitungshandlungen in vielen Fällen nicht erbracht werden kann.^ Dazu kam, daß, wie das Oberappellations- gericht an das Ministerium berichtete, die Abgrenzung zwischen entferntem und nächstem Versuch, für die verschiedene Strafdrohungen galten, zu zahlreichen Kontroversen und widersprechenden Urteilen führte.*' So

' Anmerkung zum Strafgesetzbuch Bd. I, S. 182 f. - Neues Archiv Bd. II, S. 60.

* Arnold, in: Neues Archiv, 1843, S. 513. Das Reichsgericht, das grundsätzlich auf dem Standpunkt subjektiver Versuchsauffassung steht, sieht ebenfalls in der Anwendung von Mitteln, „welche nicht in der wissenschaftlichen Erkenntnis und Erfahrung des Lebens begründet", welche „außerhalb sowohl der physischen als der psychischen Kausalität liegen", ausnahmsweise keinen, nicht einmal einen untauglichen strafbaren Versuch! RG. 33, S. 323.

' Neues Archiv Bd. II, S. 602 ff. Vgl. Bd. I, S. 163 ff.

* Arnold, in: Neues Archiv, 1843, S. 512.

"* Jahrbuch der Gesetzgebung und Rechtspflege im Königreich Bayern Bd. in, 1820, S. 153.

201

suchte Y. Gönnej*s Entwurf von 1822 mit dem Prinzip der Bestrafung „bloßer Vorbereitungen zu einer strafgesetzwidrigen Handlung" ^ zu brechen und definierte den Versuch in Anlehnung an den Commencement d'execution des französischen Rechts^ als „Anfang der Ausführung des bezielten Verbrechens" (a 46). Mit dieser objektiven Fassung entfiel die Strafbarkeit nicht nur der Vorbereitungshandlungen, sondern ebenso wenn auch vermutlich von Gönner nicht beabsichtigt des untauglichen Versuchs. Ein Umstand, auf den bereits Oersted damals hinwies, und zwar gerade deshalb, weil er selbst ein Anhänger der Bestrafung des untauglichen Versuchs war."

Auch die Behandlung der Schuldformen im Feuerbachschen Strafgesetzbuch läßt den Zusammenhang mit seinen theoretischen Studien erkennen. Hier wie dort ist die Schuld als Willens schuld aufgefaßt, ein Standpunkt, von dem aus es im Grunde nur eine Schuldform: Vorsatz geben kann. So ist er dem Problem der Fahrlässigkeit niemals völlig gerecht geworden. Das zeigt sich schon auf methodischem Gebiet. Wenn auch die Rrt der Behandlung der Culpa im Lehrbuch keinen Zweifel darüber aufkommen läßt, daß es sich hier um Probleme der Zurechenbarkeit der Schuld oder, wie es dort von Dolus und Culpa heißt: um „Verschiedenheit nach dem intellektuellen Grund der Übertretung" handelt,* so erscheint im Entwurf zu dem Strafgesetzbuch die Fahrlässigkeit neben Versuch und Teilnahme lediglich als Grund zur Anwendung der außerordent- lichen Strafe (Entwurf a 59). Bis zu Feuerbach lassen sich somit die Spuren jener dem römischen und italienischen Recht entstammenden, im gemeinen Recht bei Carpzov besonders deutlich erkennbaren Tradition aufzeigen, nach der Culpa nicht als besondere Schuldart, sondern als Grund zur Strafmilderung angesehen wurde.' In den Kommissionsverhandlungen wies v. Gönner auf die Haltlosigkeit der ganzen Unterscheidung von ordentlicher und außerordentlicher Strafe hin i'id die Majorität entschied sich, um das Gesetz nicht mit einer dokirinären Kontroverse zu belasten, dahin, die Bezeichnung ordentliche und außerordentliche Strafe zu streichen. Die Anmerkungen erklären

* Entwurf eines Strafgesetzbuchs. München 1822. Einleitung pag. VII.

- Zuerst im Gesetz vom 22. praiv. an IV. Später Code p^nal, 1810, a 2.

' Oersted, Ausführliche Prüfung des neuen Entwurfs zu einem Straf- gesetzbuch für das Königreich Bayern. Kopenhagen 1823. S. 154 f. Derselbe, Über Grundregeln der Strafgesetzgebung. Kopenhagen 1818. S. 164 ff.

' Lehrbuch VII. Aufl., Überschrift vor § 53 (S. 55).

" Liepmann, Z. Str. W. 39, S. 542 u. 531 f. Binding, Normen IV, S. 114, 115. Anders im A. L. R., vgl. oben S. 190, Anm. 3.

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dies damit, man könne nicht sagen, der fahrlässige Totschläger werde mit außerordentlicher Strafe des begrifflich regelmäßig vorsätzlichen Totschlags bestraft, sondern „ihn trifft die ordentliche Strafe der fahrlässigen Tötung"/ Feuerbach, leicht verletzt, wenn er mit seinen Gedanken nicht durchdrang, vermerkte es bitter, daß hier V. Gönners Argumente und nicht das Nonliquet des Kommissions- beschlusses in den offiziellen Anmerkungen zum Ausdruck gekommen ist.^ Aber auch inhaltlich war Feuerbachs Fahrlässigkeitsbegriff zu Unfruchtbarkeit verdammt. Ausgehend von dem Gedanken der Willensschuld erschwerte er sich die Erkenntnis der Natur der Fahrlässigkeit dadurch, daß er nach seiner Äbschreckungstheorie als Voraussetzung der Zurechenbarkeit der Handlung das Bewußtsein ihrer Strafbarkeit verlangen mußte. So vertrug sich mit seiner Theorie im Grunde nur die Annahme einer Schuldform, nämlich das bewußte Wollen einer Strafgesetzwidrigkeit, ^ d. h. Vorsatz, und er hat sich immer wieder bemüht, die Fahrlässigkeit als eine Form des Vorsatzes zu konstruieren.^ So sieht er in oder besser vor jeder fahrlässigen Begehung eines speziellen Delikts die vorsätzliche Ver- letzung einer generellen Diligenzpflicht. Diese generelle Diligenzpflicht hat ihren gesetzlichen Ausdruck gefunden in a 64: „Jeder Untertan ist schuldig, gefährliche Handlungen zu unterlassen und in jedem Unternehmen mit gehöriger Aufmerksamkeit und Bedachtsamkeit zu verfahren, damit er auch nicht unabsichtlich Andere an ihren Rechten verletze oder Gesetze des Staates übertrete." Handelt er dieser Norm zuwider, so werden ihm die aus dieser Handlungsweise sich ergebenden Rechtsverletzungen als fahrlässige Übertretungen zugerechnet.

Der Vorsatz wird vom Gesetz im Anschluß an die Definition des Lehrbuchs-^ in Übereinstimmung mit dem Entwurf (a 41) begrifflich bestimmt: „Mit rechtswidrigem Vorsatz wird ein Verbrechen begangen, wenn eine Person die Hervorbringung des aus ihrer Handlung ent- standenen Verbrechens sich als Zweck und Absicht dieser ihrer Handlung vorgesetzt hat und sich dabei der Rechtswidrigkeit und Strafbarkeit dieses Beschlusses bewußt gewesen ist" (a 39). Folge- richtig ergibt sich aus dieser Bestimmung der Gedanke des a 42, daß besondere qualifizierende Eigenschaften der Handlung dem Täter

' Bd. I, S. 125.

- Leben und Wirken I, S. 253 f.

' Vgl. Binding, Normen IV, S. 211.

' Vgl. oben Kap. III, S. 102 f.

' Im Lehrbuch hieß es lange Zeit „böser Vorsatz": I. Aufl., 1801, § 62, S.46; VII. Auil., 1820, § 53, S. 55. Dagegen „rechtswidriger Vorsatz": IX. Aufl., § 54, S. 51.

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nicht zum Vorsatz zugerechnet werden dürfen, wenn er sie nicht gekannt hat. Wer also einen Tatbestand annimmt, der, wenn er vorläge, kein strafbares Tun darstellen würde, handelt nicht vorsätzlich.^

Zwei Problemgruppen sind mit dem Feuerbachschen Vorsatzbegriff verknüpft und erschweren eine klare Erkenntnis der Zurechnungs- prinzipien dieses Gesetzbuchs: die Frage des Rechtsirrtums und die Praesumtio doli.

Die psychologische Zwangstheorie Feuerbachs führt, das hat man schon früh eingesehen, konsequent zu der Unentbehrlichkeit des Bewußtseins der Gesetzwidrigkeit des Begehrens für den Vorsatz.^ Denn, so drückt es Feuerbach selbst in der „Revision" aus: „wo keine Vorstellung von dem Gesetz, von der Verbindlichkeit, die Handlung zu unterlassen und von der Strafe als Bestimmungsgrund der Unter- lassung ist, da ist es auch nicht möglich, daß die Drohung, die nur vermittels der Vorstellung derselben wirksam sein kann, auf das Gemüt Einfluß haben könne"." Die folgerichtige Durchführung dieses Gedankens würde verlangen, daß der vorsätzliche Rechtsbrecher nicht nur wissen muß, daß er sich strafbar macht, sondern auch Art und Umfang der gedrohten Strafe kennen muß. Denn nur unter dieser Voraussetzung war er in der Lage, die abschreckende Strafdrohung, die ja bei jeder speziellen Deliktsart auf die verschieden starken sinnlichen Triebfedern vom Gesetzgeber sorgfältig abgestimmt ist, auf sich wirken zu lassen. In solcher Schärfe ist dieses Prinzip freilich nur ganz vereinzelt im Straf- recht durchgeführt worden, so von Unterholzner, nach dem eine Strafmilderung einzutreten hat für denjenigen, der in dem Glauben handelte, die angedrohte Strafe sei geringer.' Feuerbach hat diese

' Vgl. Arnold, in: Archiv d. Kriminalrechts, Neue Folge, 1843, S. 534.

Mühlenbruch, Über iuris et facti ignorantia. Archiv für zivilistische Praxis Bd. II, 1819, S. 399, Anm. 87. Wächter, Lehrbuch des Römisch- Teutschen Slrafrechts I. Teil Stuttgart 1825. S. 119, Änm. 43. Der spätere Feuerbachkommentator Morstadt nannte das Strafbarkeitsbewußtsein beim Vorsatz „ebenso überflüssig, wie beim Kirchendogma die Vernunft- gemäßheit". Ausfuhr!, krit. Kommentar zu Feuerbachs Lehrbuch. Schaff- hausen 1855. Anm. 1 zu § 87, S. 131.

' Revision Bd. II, S. 44.

* C. A. D. Unterholzner, Jurist. Abhandlungen. Mit einer Vorrede von Feuerbach. München 1820. S. 366. Bei Samuel Boehmcr findet sich der Gedanke: omnes poenas iuris positiv! esse und deshalb poenae ignorantia ... veniam mcrctur. Jedoch wird dieser Satz keineswegs als konsequentes Prinzip durchgeführt, sondern er erscheint nur in besonders gelagerten Fällen als eine Handhabe, die harten, der späteren Zeit unverständlichen Strafen früherer Gesetze zu mildern. Meditationes ad CCC a 179, § 12. Observationcs ad Carpzovii Practicam. Qu. 76, obs. 6 und Qu. 149, obs. 4. Vgl. Liepmann, Rechtsirrtum. Z. Str.W. 39, S. 548.

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äußerste Konsequenz niemals gezogen. „Irrtum oder Ungewißheit bloß über Art und Größe der Strafe" schließt den rechtswidrigen Vorsatz nicht aus (a 39, Abs. 2). Bei Feuerbach braucht der Täter nicht zu wissen, welche spezielle gesetzliche Bestimmung er im ein- zelnen übertritt, es genügt vielmehr, wenn er weiß, sein Handeln ist überhaupt vom Gesetz verboten. Vom Gesetz ... da erhebt sich die neue Frage: denkt hier Feuerbach an das positive Gesetz, die Bestimmungen des geltenden Strafgesetzbuchs oder irgendeinen außergesetzlichen Rechtssatz, der dem geschriebenen Recht zugrunde liegt, viel genannt und doch schwer bestimmbar als die Quelle jener Pflichten und Bindungen, welche als nur langsam wandelbares ererbtes Gut das Leben der Menschen beherrschen, die Norm im Bindingschen Sinne „mittelbar aus der Luft des Lebens geatmet", „allen von ihrer Kindheit an durch die verschiedensten Kanäle des Lebens vermittelt"?^ Unzweifelhaft ist, daß von dem Boden der Lehre, die das ganze Strafrecht darauf aufbaut, daß das Strafgesetz sich drohend und abschreckend an den Verbrecher wendet, Feuerbach eine Kenntnis eben dieses Gesetzes verlangen müßte, aber ebenso ist unverkennbar, daß er es immer wieder vermeidet, diesen Gedanken klar und eindeutig durchzuführen. Das geht schon daraus hervor, daß sich bei Feuerbach trotz der zentralen Bedeu- tung, die für ihn das Bewußtsein der Gesetzwidrigkeit haben muß, nirgends eine grundsätzliche dogmatische und kritische Behandlung der durch die Wandlungen einer langen Vergangenheit schwer belasteten Lehre vom Rechtsirrtum findet. Vielmehr wird dieses Problem nur nebenbei berührt, zwar nicht wie im älteren gemeinen Strafrecht unter den Strafmilderungsgründen, sondern bei der Bestimmung der Zurechnungs- fähigkeit. Vorsätzliches Handeln ist bewußt rechtswidriges Wollen, auch der Culpa liegt letzten Endes ein Vorsatz zugrunde, folglich gehört nach Feuerbach zur Imputativität, oder, wie er später sagte, zur Zurechnungsfähigkeit, d. h. zu der „Gemütseigenschaft, welche die Strafbarkeit eines Menschen begründet", „das Bewußtsein der Straf- barkeit der Handlung". Und diese Eigenschaft wird ausgeschlossen und damit die Zurechnungsfähigkeit hinfällig durch „unverschuldeten Irrtum oder Unwissenheit in Rücksicht auf das Dasein des Straf- gesetzes überhaupt oder der Subsumtion der Tat unter dasselbe." Das Gesetz bestimmt in a71: „Wer bei einer in diesem Gesetzbuch als strafbar erklärten Handlung seine Unwissenheit über das Dasein eines Strafgesetzes vorschützt, wird mit diesem Vorgehen nicht gehört, wenn nicht Blödsinn, große Dummheit und andere dergleichen

' Binding, Normen Bd. III, S. 88.

- Lehrbuch 1. Aufl., § 92 ff. (S. 72 ff.); 7. Aufl., § 84 H. (S. 83 ff.).

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Gemütsfehler dieses Vorgeben unterstützen. " ^ Diese Bestimmung wird von der herrschenden Meinung als ein Ausweg aus dem Irrgang der Feuerbachschen Zurechnungslehre erklärt: Feuerbach verlange zum Vorsatz das Bewußtsein, daß die Handlung vom positiven Recht verboten sei, und hier werde die Kenntnis der Verbote des positiven Rechts vom Gesetz bei allen normalen Menschen präsu- miert.' Sicherlich entsprang jene Bestimmung den Schwierigkeiten, die auf deduktive Methode ermittelten Voraussetzungen der Zurechnungs- fähigkeit dem einzelnen Verbrecher gegenüber empirisch nachzuweisen, aber andererseits läßt sich gerade an dieser Bestimmung zeigen, daß, soweit Feuerbach in diesem Punkte überhaupt zu einer Klarheit gelangte, er nicht Kenntnis des Gesetzes, sondern der .,Norm" von dem vorsätzlichen Rechtsbrecher erwartet. In diesem Sinne haben die offiziellen Anmerkungen den a 71 verstanden. Unwissenheit der Strafgesetze heißt es hier, kann deshalb nicht die Zurechnung zur Schuld ausschließen, weil „gemeiner gesunder Verstand ohne Kenntnis eines positiven Rechts für sich allein hinreicht, das Unerlaubte solcher Handlungen einzusehen".^ Hiernach hat jene Bestimmung allerdings einen ganz anderen Sinn als den einer Präsumtion hin- reichender Gesetzeskenntnis. Der Einwand, man hat das positive Gesetz nicht gekannt, ist unerheblich, weil es gar nicht auf positive Gesetzeskenntnis, sondern auf das Bewußtsein der Norm, d. h. des Umstandes, daß die Handlung überhaupt irgendwie unerlaubt ist, an- kommt. Und eben diese Kenntnis der Norm wird von jedem normalen Bürger vorausgesetzt. Daß diese Interpretation der Anmerkungen keine Verfälschung der Gedanken Feuerbachs ist, geht aus einem Vergleich des a 71 mit der entsprechenden Bestimmung in Feuerbachs Entwurf von 1810 hervor. Hier ist nämlich von einer solchen Handlung die Rede, „welche schon an und für sich unerlaubt und als Verbrechen in diesem Gesetzbuch erklärt wird" (a 73 des Entwurfs). Ist also eine Handlung „an und für sich" normwidrig und zudem im Strafgesetzbuch verboten, so ist die Berufung auf Unkenntnis des Strafgesetzbuchs unerheblich. Im Lehrbuch hatte Feuerbach

* Die Stellung dieses a unter den Bestimmungen über Fahrlässigkeit erklärt sich daraus, daß nach Feuerbach ein erwiesener, aber unentschuld- barer Irrtum „Culpa durch Unwissenheit des Gesetzes" zur Folge hat, Lehrbuch 1. Aufl., § 64 (S. 48 f.).

' Vgl. z. B. Heinemann, Zur Dogmengcschichtc des Rechtsirrtums. Z. Str.W. 13, S. 392 f. AI Held, Bedeutung des Rechtsirrtums im Straf- recht. Erlangcr Rektoratsrede, 1903. S. 9 I. Ebenso bereits Köstlin, Neue Revision der Grundbegriffe des Kriminalrechts. Tübingen 1845. S. 619. Über Bindings Stellung zu dieser Frage siehe unten S. 207.

^ Anmerkungen zum Strafgesetzbuch Bd. I, S. 200 f.

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ursprünglich die Zurechnungsfähigkeit überhaupt beim Vorhandensein einer „dem Gesetz äußerlich widersprechenden Tat ... so lange ver- mutet, bis das Gegenteil erwiesen ist". Hn Stelle einer Begründung trat lediglich der ebenso kurze wie nichtssagende Hinweis: „aus ähn- lichen Gründen, aus welchen auch Dolus vermutet werden muß".^ In den späteren Auflagen wird diese generelle Vermutung der Zurechnungsfähigkeit spezialisiert und dabei mit dem Bewußtsein der Rechtswidrigkeit begonnen: „Von jeder mit Verstand begabten Person wird im allgemeinen als rechtlich gewiß angenommen, daß sie mit den Strafgesetzen bekannt sei." Man denkt zunächst, hier sei im Sinne der herrschenden Auslegung eine Kenntnis der positiven Strafgesetze gemeint, findet aber in einer Anmerkung, daß Feuerbach den anscheinend einfachen und unzweideutigen Sinn jenes Satzes erheblich modifiziert. Hier heißt es mit dem Hinweis auf vielzitierte Stellen des römischen Rechts:" „Diese Regel gilt ohne Ausnahmen bei denjenigen Verbrechen, welche juris gentium sind, d. h. an und für sich rechtswidrige oder moralische schänd- liche Handlungen und schon naturali ratione als unerlaubt betrachtet werden müssen, sodaß in Ansehung dieser die ignorantia juris selbst den Personen nicht zustatten kommt, welchen sonst die Rechtsunwissenheit verziehen wird. Bei solchen Handlungen, welche nur nach den besonderen Gesetzen eines bestimmten Staates (jure civili) Verbrechen sind (wohin alle rein polizeilichen Übertretungen gehören), kommt die Rechtsunwissenheit wenigstens den zuletzt erwähnten Personen zugut."^ Und durchaus im Sinne dieser Gedanken sprechen die späteren Auflagen bei dem eine Zurechnung zur Schuld ausschließenden Irrtum nicht wie in der früheren Fassung von „Irrtum oder Unwissenheit in Rücksicht auf das Dasein des Strafgesetzes", sondern von „Irrtum und Unwissenheit in Ansehung der Rechts- widrigkeit und Gefährlichkeit der Handlung".^

Man hat es bereits damals erkannt, daß Feuerbach mit diesen Worten den Folgerungen, die er aus seiner Strafrechtstheorie hätte ziehen müssen, untreu wird und sich zu dem Gedanken bekennt, daß das Verbrechen nicht als Strafgesetzwidrigkeit, sondern als Verletzung von Pflichten, die in außergesetzlichen Normen begründet sind, bestraft wird. Rosshirt^ nennt jene Bemerkung Feuerbachs „vielleicht die

* Lehrbuch 1. Aufl., §98 (S. 77); 7. Aufl., §90 (S. 90). Über die pracsumtio doli vgl. unten S. 208 ff.

M. 7, § 4 D 2, 1; 1. 39, § 2, 4, 7 D 48, 5; 1. 2 C 2, 6; 1. 4 C 5, 5. ' Lehrbuch 9. Aufl., 1826, § 86, Anm. a, S. 80 f.

* Ebendort § 90 (S. 69).

' Rosshirt, In welchen Fällen kann sich der Verbrecher mit Unkenntnis des Rechts entschuldigen? Neues Archiv des Kriminalrechts Bd. IX, S. 491 ff.

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wichtigste neue Erklärung in dem ganzen Feuerbachschen Buche", so sehr sie „mit den Resultaten seiner philosophischen Entwicklungen im Widerspruche steht ".^ Rosshirt sieht in ihr ein Zugeständnis Feuerbachs zu dem Gedanken, daß die allgemeine Grundlage der Verbrechen ihre „grobe Rechtswidrigkeit und besondere moralische Schändlichkeit sei", deren sich jeder normale Mensch ohne Kenntnis des Buchstabens des Gesetzes bewußt ist, während in den meisten Fällen der Verbrecher die positive Strafdrohung gar nicht zu kennen braucht.

Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist folgendes: Dogmatisch läßt sich aus den Gedanken der Feuerbachschen Strafrechtstheorie nur ein Dolus-Begriff ableiten, der das Bewußtsein der Straf- gesetzwidrigkeit im Sinne eines Verstoßes gegen ein Verbot des positiven Gesetzes als notwendigen Bestandteil in sich schließt. Aber historisch stellen sich die Dinge so dar, daß Feuerbach selbst diese Konsequenz nicht gezogen hat, sondern nur eine Kenntnis des außergesetzlichen Verbots, des „an und für sich" Unerlaubten der Handlungsweise des Täters zur Bedingung der Zurechnung zum Vorsatz gemacht hat.

In dieser Feststellung liegt zugleich eine Präzisierung des Stand- punkts gegenüber der Ansicht Bin ding s über den Einfluß, den Feuerbach auf die Lehre vom Rechtsirrtum ausgeübt hat." Binding glaubt, Feuerbach habe mit seiner psychologischen Zwangstheorie, durch welche dem Strafgesetz „die gesetzlich bis dahin nie dagewesene Funktion zugewiesen wird, durch die angedrohte Strafe die Verbrecher- neigung zu paralysieren",^ eine völlige Verderbnis der italienischen und älteren gemeinrechtlichen Irrtumslehre verschuldet durch jene „perverse Vorstellung", als gehöre zum Vorsatz das Bewußtsein der Strafgesetzwidrigkeit. Und „so traten nun an Stelle der so einfachen, leicht verständlichen und allgemein verstandenen pflicht- begründenden Rechtssätze die komplizierten Strafgesetze, die nun die armen Rechtsgenossen aufs Haar scharf auslegen mußten".^ Gewiß, diese Folgerung hätte Feuerbach konsequenterweise aus seiner Theorie ziehen müssen. Tatsächlich aber hat Feuerbach niemals das Bewußtsein des positiven Strafgesetzes, sondern lediglich die Kenntnis des pflichtbegründenden Rechtssatzes, der Norm, im Sinne Bin ding s verlangt! Damit entfällt der Vorwurf Bindings

» Ebendort S. 496.

* Binding, Über den Irrtum bei Delikten. Zuerst: Gerichtssaal 81, S. 19 If. Nun: Strafrcchti. und strafprozessuale Abhandl. Bd. I, S. 403 ff.

« Ä. a. O. Abhandl. Bd. I, S. 416.

* Ebendort S. 417.

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in bezug auf den verhängnisvollen Einfluß, den Feuerbach auf die dogmengeschichtliche Entwicklung der Vorsatz- und Irrtumslehren gehabt haben soll. Bindings eigene Darstellung läßt an anderer Stelle^ erkennen, wie Feuerbach alle Mittel anwendet, um den Folgerungen seiner Theorien für die Praxis zu entfliehen. Dabei hält Binding jene Bestimmung, der Einwand, man habe das positive Gesetz nicht gekannt, sei in der Regel nicht zu hören, für eine Präsumtion des Bewußtseins der Strafgesetzwidrigkeit und für ein künstliches Mittel, den falschen Irrtumsbegriff „kriminalistisch unschädlich" zu machen.

Somit spielt in die Probleme des Rechtsirrtums jene weitere Kom- plikation der gesetzlichen Regelung der Feuerbachschen Schuldformen hinein: die Praesumtio doli. Der a 43 bestimmt: „Bei einer wider eine Person erwiesenen gesetzwidrigen Tat wird gesetzlich angenommen, daß dieselbe aus rechtswidrigem Vorsatz gehandelt habe, sofern nicht aus den besonderen Umständen die Gewißheit oder Wahrscheinlichkeit des Gegenteils sich ergibt." Diese Bestimmung, die sich als Abnormität aus- nimmt in einem Strafgesetzbuch, das, aus dem Schöße der Aufklärungszeit entstanden, dem Rechtsgedanken im Strafrecht in besonderem Maße zu dienen bestimmt schien, ist zu erklären aus der Enge und den Nöten des formalen Beweisrechts. Solange man nur ein Geständnis oder zwei klassische Zeugen für Beweismittel von genügender Zuverlässigkeit hielt, um daraufhin einen Menschen verurteilen zu können ein Standpunkt, dem grundsätzlich das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813 noch huldigte" , mußte man wie zum Beispiel Kleinschrod verlangen, daß der Vorsatz als ein Faktum der Innenwelt in jedem einzelnen Falle nur durch Geständnis bewiesen werden kann.^ Nun drängten aber die Bedürfnisse der Strafrechtspflege gerade beim Nach- weis der Schuld auf Zulassung eines Indizienbeweises. Schon im Regensburger Reichsabschied von 1594 wird die Praxis, daß die Verurteilung wegen Landfriedenbruchs „nicht allweg dolus dermaßen erfordert, daß er eben im Buchstaben also erzehlet werde, sondern genugsam sey, wann das Factum an ihm selbst strafwürdig", in dem Sinn erklärt, daß „sintemal solcher dolus in mente delinquentis beruhet und derwegen schwerlich directe zu probiren, derselbe aus den Umständen der Tathandlung, ex perspicuis indiciis et evidentia ipsius facti könne und möge erwiesen werden" 69).

' Binding, Normen Bd. III, S. 106 ff. und 253 H.

* IL Teil, a 260. Über die nur unvollständige Anerkennung des Indizienbeweises siehe oben S. 195.

^ Syst. Entwicklung der Grundbegriffe des peinlichen Rechts 2. Aufl., I. Teil, S. 60. Vgl. oben Kap. IV, S. 154.

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„Der Vorsatz, heißt es ähnlich später bei Quistorp/ kann keiner Okular -Inspektion unterworfen sein, sondern nur aus den Um- ständen geschlossen werden." Hierbei erschien als wichtigstes Indiz, daß der Täter die rechtswidrige Handlung ausgeführt hat, und diese Erfahrungstatsache fand Ausdruck in dem Gedanken, daß bei einem begangenen und erwiesenen Verbrechen der Vorsatz zu vermuten sei." Grolman hat dann diesem Gedanken einer Praesumtio doli noch einmal eine „zeitgemäße" theoretische Begründung zu geben versucht: Charakteristisches Merkmal des Menschen ist seine Willkür, und da man grundsätzlich jeden Menschen bis zum Beweis des Gegenteils als Menschen mit menschlichen Eigenschaften betrachten müsse, so müsse man auch von demjenigen, der eine bestimmte Tat vollbracht hat, annehmen, er habe sie willkürlich, also vorsätzlich vollbracht. Das sei für den Richter „viel beruhigender", als wenn man von ihm einen Beweis für den Dolus verlangen sollte. Man müßte sonst nach Kleinschrod ein freies Bekenntnis zum Nachweis des Dolus fordern.^ Von Grolman übernahm Feuerbach, wiewohl er sonst den Begriff der Willkür als Merkmal menschlichen Handelns ablehnte, den Satz: Facta laesione praesumitur dolus, donec probetur contrarium.* Die weitere Entwicklung dieses Prinzips ist dadurch gekennzeichnet, daß jenes trügerische theoretische Gewand bekämpft wird, dagegen seine wahre Bedeutung im Sinne einer Zulassung des Indizienbeweises für den Nachweis des Vorsatzes immer mehr zutage tritt.

Die offiziellen Anmerkungen zum Strafgesetzbuch gaben bei a 43 eine ausführliche Anweisung zu einem Indizienbeweis des Vorsatzes aus den Umständen der Tat, wobei der Richter auf Art und Umfang der Mittel, die Verhältnisse bei Begehung der Tat achten und so „die Tat nach der äußern Erscheinung in ihrem vollständigen Zusammen- hange nach allen Umständen und Verhältnissen abwägen" soll, um hieraus Dasein, Stärke und Umfang des rechtswidrigen Vorsatzes zu

' Quistorp, Grundsätze des deutschen Peinlichen Rechts Bd. I. In der von Klein besorgten 6. Aufl. (1810), § 34, Anm. e (S. 53).

^ Quistorp weist hier auf Stellen des römischen Rechts und Carpzovs hin, die aber keineswegs den Sinn einer allgemeinen Praesumtio doli haben. L. 1 C.IX, 16: Crimen contrahilur, si et voluntas nocendi intercedat. Carpzov denkt an die durch Verheimlichung der Schwangerschaft begründete Vermutung zugunsten des Vorsatzes des Kindesmords: ex actu enim clandestino dolus et malus animus agentis praesumitur. Nov. Pract. Qu. 15, Nr. 51.

" Grolman, Wird Dolus vermutet? Bibliothek für peinliches Recht I. Teil, 2. Stück, S. 70 ff.

* Lehrbuch 1. Aufl., § 68 (S. 54).

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ermitteln.^ Worin die besonderen Umstände bestehen, welche den Schluß auf das Vorhandensein des Dolus gestatten, hat Borst im einzelnen näher dargestellt. Eine praesumtio doli könnte meint Borst nur bedeuten: „Der böse Vorsatz wird aus der bösen Tat vermutet, wenn sie so beschaffen ist, daß derselbe daraus vermutet werden kann."" Damit war die Grolmansche Theorie von der Vermutung zugunsten eines willkürlichen Handelns der Menschen preisgegeben, wie dies vor Borst bereits Wening nach- gewiesen hatte.* Auch Tittmann suchte zu scheiden zwischen solchen Umständen der Tat, die zur Annahme von Dolus berechtigen und solchen, die, wie eine besonders unglückliche Verkettung einzelner Momente und ein völlig atypischer Kausalverlauf, lediglich Culpa vermuten lassen.*

Feuerbach selbst nahm in späteren Auflagen seines Lehrbuchs' die praesumtio doli in der früheren Form „gern zurück" und brachte nunmehr klar und unzweideutig zum Husdruck, daß die besondere Hrt des Verschuldens (Dolus oder Culpa), „ohne daß es dafür eines besondern direkten Beweises bedürfte", lediglich nach dem Vorhandensein von Indizien dreifacher Art: Beschaffenheit der Handlung, Verhältnis von Handlung und Erfolg sowie besondere vor, mit oder nach der Handlung selbst eingetretene Umstände zu beurteilen sei. Und zwar glaubte Feuerbach mit diesem Gedankengang im Einklang zu stehen sowohl mit dem Regensburger Reichsabschied von 1594 als auch jenen Stellen des römischen Rechts, die man gemeinhin zur Begründung des praesumtio doli heranzog.*'

' Anmerkungen zum Strafgesetzbuch Bd. I, S. 154. Die betreffenden Worte sind im Original gesperrt! Die Polemik Oersteds, Grundregeln der Strafgesetzgebung S. 305 ff., gegen die Interpretation der Motive beruht auf der unklaren Unterscheidung Oersteds zwischen der Vermutung einer willkürlichen Handlungsweise (so angeblich Motive) und der Ver- mutung zugunsten der Vollbringung eines Verbrechens aus bösem Vorsatz (so angeblich Feuerbach).

- Borst, Über den Beweis des bösen Vorsatzes. Neues Archiv II, S. 434 H., insbesondere S. 436. Im Original gesperrt!

^ Wening, Über die Vermutung des bösen Vorsatzes nach dem römischen Recht. Neues Archiv II, S. 194 ff.

* Tittmann, Handbuch der Strafrechtswissenschaft und der deutschen StrafgesGtzkunde I. Bd., § 94, 2. Aufl. Halle 1822. S, 184 f.

' Lehrbuch IX. Aufl., 1826, § 87 (S. 81).

° L. 24 C. IX, 22 handelt von der Beweislast in zivilen oder strafrecht- lichen Urkundenprozessen, 1. 5 C. IX, 35 erklärt beim Beweis, man habe eine beleidigende Äußerung nicht convicii consilio getan, befreie die Glaub- würdigkeit dieser Tatsache von der Calumnienklage. Zu 1. 1 C. IX, 16 vgl. oben S. 209, Anm. 2.

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So zeigt sich in bezug auJ Feuerbachs Dolus-Präsumtion, wie es Heinrich Es eher, der Schweizer Freund Feuerbachscher Ideen, 1822 schon vor jener Änderung in der Darstellung des Lehrbuchs aussprach, „bei genauer Einsicht . . ., daß der Streit mehr die Worte als die Sache beb-ifit".' Denn „eigentlich", meint Mittermaier, Eschers Urteil zustimmend, „liegt nur die Frage zum Grunde, ob auch der Vorsatz durch Schlußfolgerungen erwiesen werden könne, was wohl schwerlich geleugnet werden kann"."

Damit erweist sich die Vorsatzvermutung als ein Versuch, das formale Beweisrecht zu durchbrechen, nicht im Sinne einer Beschränkung des Beweises, sondern zugunsten seiner freieren Husgestaltung. Ihr Sinn läßt sich in den Satz fassen: Die Art und Weise, in der die Tat begangen wurde, kann ein Indiz für den Vorsatz des Täters bilden. Indem Rechtspflege und Doktrin diese Folgerung jenes Satzes immer schärfer herausarbeiteten, erweist sich, so paradox das klingen mag, die gesetzliche Vorsatzvermutung des a 43 als erster Schritt zur Anerkennung der freien Beweiswürdigung.

Freilich barg die Formulierung jenes Gedankens in der Form einer gesetzlichen Präsumtion bedenkliche Gefahren. Daß dadurch die Beweislast beeinflußt und etwa, wie noch bei Ouistorp, dem Inquisiten die Pflicht auferlegt wird, Tatsachen, welche gegen seinen Vorsatz sprechen, zu beweisen oder doch als wahrscheinlich darzustellen,'' war allerdings nach den Grundsätzen des späteren gemeinen Prozeß- rechts ausgeschlossen, da hierdurch dem Richter in vollem Umfang der Nachweis aller für die Unschuld des Angeklagten sprechenden Momente oblag.^ Aber eine verständnisvolle Handhabe des Indizienbeweises war nur in den Fällen möglich, wo das Gesetz selbst wie in a 43 von einer Widerlegung seiner Vermutung durch eine aus den Umständen sich ergebende Gewißheit oder Wahrscheinlichkeit des Gegen- teils sprach. Dagegen führt, wie es Arnold^ erkannte, diese Vermutung zu einem unzulässigen Abschneiden des eigentlichen Beweises, zu einer Verdachtstrafe, wenn der Gegenbeweis gegen die Vermutung des

' Escher, Vier Abhandlungen über Gegenstände der Strafrechts- wissenschaft. Zürich 1822. S. 164.

- Mittermaier, in: Neues Archiv des Kriminalrechts VI, S. 355. Vgl. auch Mittermaier, Lehre vom Beweise. 1834. S. 145 f.

' Quistorp, Grundsätze des deutschen Peinlichen Rechts 6. Aufl. 1810. § 34, Anm. e (S. 53).

* Bayerisches Strafgesetzbuch Teil II, a 107. Feuerbach, Lehrbuch 1. Aufl., §624 und 646 (S. 488 und 502); 9. Aufl., §600 und 623 (S. 495 und 511). Martin, Lehrbuch des Teutschen gemeinen Kriminalprozesses. 1812. § 14, S. 20f. Mittermaier, Lehre vom Beweise. 1834. S. 141 H.

'" Archiv des Kriminairechts. Neue Folge, 1843. S. 532.

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Gesetzes an bestimmte Bedingungen geknüpft oder gar völlig aus- geschlossen ist. Das ist ganz allgemein in zwei Fällen so, in denen sich letzte Nachwirkungen des kanonisch-italienischen Satzes Versanti in re illicita imputantur omnia quae sequuntur ex delicto noch bei Feuerbach bemerkbar machen. Einmal wird von dem, der mit verbrecherischer Absicht eine Handlung unternahm, die sowohl eine leichtere als eine schwerere Rechtsverletzung zur Folge haben kann, unter Ausschluß des Gegenbeweises angenommen, daß sein Vorsatz sich auch auf das schwerere Delikt erstreckte (a 41) entsprechend dem Feuerbachschen, auf mehrere Rechtsverletzungen derselben Gattung alternativ gerichteten dolus eventualis.^ Ferner wird, wenn die Handlung erwiesenermaßen beabsichtigt war, auch ihr voraussehbarer Erfolg dem Täter als beabsichtigt zugerechnet, eine Vermutung, die nur „durch klare Beweise" ausgeschlossen werden kann (a 44). Eine verhängnisvolle Verirrung bedeuten die gesetzlichen Schuldpräsumtionen bei den Bestimmungen über den Kindesmord. Hier hat der Gedanke, daß Verheimlichung der Schwangerschaft eine Vermutung für den Vorsatz der Abtreibung oder des Kindesmords begründe in Verbindung mit der Lehre von dem eine außerordentliche Strafe begründenden Mangel am Tat- bestand zur Aufstellung einer grauenvollen Skala von nach den Graden mehr oder minder vollkommener Gewißheit abgestuften Ver- dachtstrafen von 1 2 jährigem Arbeitshaus bei bloßer Verheimlichung der Schwangerschaft und Beiseiteschaffen der toten Leibesfrucht bis zu Zuchthaus auf unbestimmte Zeit bei vollem Beweise des Kindesmords, ja in qualifizierten Fällen der Todesstrafe geführt." Ein Rigorismus, der um so erstaunlicher ist, als Feuerbach seit der ersten Auflage seines Lehrbuchs die eine mildernde Beurteilung des Kindesmords bedingenden besonderen psychologischen Momente berücksichtigte.^ Wie kaum bei irgendeiner anderen Bestimmung tritt hier die Härte des Abschreckungsprinzips im Bayerischen Strafgesetzbuch von 1813 zutage.

» Lehrbuch 1. Aufl., §66 (S.51); Lehrbuch 9. Aufl., §59 (S. 56 f.). Ein Vergleich des Gesetzes mit dem Entwurf von 1810, a 43, widerlegt die Vermutung Löfflers, Schuldformen 1, S. 243, die beweisrechtliche Sonderbehandlung des bei Feuerbach „rein matericllrechtlichen Begriffs dieser Dolus -Art" sei ein Werk der Kommission. Damit ver- mindert sich der von Löffler gerügte Gegensatz zwischen den materiellen Dolus -Begriffen Feuerbachs und der Darstellung der Anmerkungen, die „alles vom Standpunkt des Beweises" auffassen.

^ a 157 ff.

' Lehrbuch l.Aufl., §271 (S. 211): Furcht vor Schande, Schwächung der höheren Gemütskräfte, noch mangelnde Stärke des Instinkts der mütterlichen Liebe.

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Ruch über diese besonderen Bestimmungen des Kindesmords hinaus hat die Regelung der Schuldformen im Feuerbachschen Straf- gesetzbuch nicht glücklich in der Rechtspflege gewirkt. ^Es wird kaum eine Materie des Bayerischen Strafgesetzbuchs geben, heißt es bei Arnold, welche den Praktikern mehr Zweifel erregte, als die vom Dolus und der Vermutung desselben."^ Es blieb nicht aus, daß allzu strenge Richter „Rigoristen, welche das Heil der Justiz und des Staates in häufigen und strengen Strafen suchen" glaubten, nur bei zwingenden Gegengründen von der Vermutung des Vorsatzes abgehen zu dürfen." Doch bildete sich allmählich eine mildere Praxis aus, die auch dort, wo das Gesetz den Gegenbeweis ausschloß, analog dem a 44 „klare Beweise" zuließ und den Begriff „klare Beweise" möglichst weit im Sinne einer „großen Wahrscheinlichkeit" faßte.^ Arnold selbst hat versucht, die Dolus-Lehre des Gesetzes in der in Geltung befindlichen Form in allgemeinen Linien herauszuarbeiten. Er unterscheidet dabei den für den Vorsatz wesentlichen Irrtum über tatsächliche Verhältnisse und Umstände, das Bewußtsein, daß die Handlung Strafe verdient habe, wobei eine Kenntnis des speziellen Strafgesetzes nicht erforderlich ist und schließlich die kausale Bedeutung des Willens für die Tat und die Reflexion über mögliche Folgen der Tat. Nur in bezug auf diese letzten beiden Punkte gestattet das Gesetz eine Vermutung des Vorsatzes im Sinne eines durch die gesamten zutage getretenen besonderen Umstände und Verhältnisse des Einzelfalls gerechtfertigten Rückschlusses auf das Innenleben des Täters.*

Ging aus solchen Untersuchungen hervor, welch unendliche Mühe es kostete, mit der Feuerbachschen Regelung der Schuldformen aus- zukommen, so war es doch offenbar schwer, eine grundsätzliche Neuordnung zu schaffen. Gönner vermied es in seinem Entwurf, den Dolus zu definieren, behielt aber die Vermutung des Vorsatzes in alter Weise. Beim Kindesmord wurde die Verdachtstrafe zwar nicht ausgemerzt, aber eingeschränkt und mildernde Umstände vor- gesehen (a 243 des Entwurfs von 1822). Entwicklungsfähig erwies sich die gesetzgeberische Ausgestaltung der Schuldformen Feuerbachs nicht. Ernüchtert und in einer empfindlichen Reaktion auf die Jahr- zehnte, in denen Feuerbachs dogmaüsche Requisite die Strafrechtspraxis hemmend und beengend beherrscht hatten, brach man die Entwicklung schließlich radikal ab. a 1 des Gesetzes vom 29. August 1848 hob

' Archiv des Kriminalrechts. Neue Folge, 1843. S. 522. ' Ebendort S. 529. » Ebendort S. 534. * Ebendort S. 524 ff.

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alle Bestimmungen des Strafgesetzbuchs über Dolus und Culpa auf und bestimmte statt dessen:

„Ob eine dem Strafgesetze äußerlich zuwiderlaufende Handlung vorsätzlich begangen worden oder ob dem Täter desfalls Fahrlässigkeit oder kein Verschulden zur Last fällt, gehört zur Tatfrage und ist nach den Umständen zu beurteilen."

Das Äbschreckungsprinzip Feuerbachs und seine einseitige Bevor- zugung des Gedankens der Generalprävention sind auch für das Strafensystem des Bayerischen Strafgesetzbuchs bestimmend gewesen. Nicht die Rücksicht auf die Individualität des einzelnen Falles sollte das Maß der Strafe bestimmen, sondern der Richter hatte durch Subsumtion unter den bestimmten Tatbestand zu ermitteln, welche Strafe aus der nach Art und Größe vom Gesetzgeber sorgsam abgestuften Skala für solche Verbrechen angedroht war. Denn die wichtigste Wirksamkeit der Strafe sollte in der die sinnliche Triebfeder abschreckend beeinflussenden gesetzlichen Drohung bestehen. Die Unbiegsamkeit und Härte der gesetzlichen Strafrahmen trat dabei am schroffsten in der „terroristischen Mathematik der Rückfall- Strafen"^ zutage. Jede neue Begehung eines Delikts, wegen dessen der Täter bereits bestraft war, bewirkte automatisch eine weitere Erhöhung der gesetzlich angedrohten Strafe (a 1 11 ff.).

An der Spitze des Strafensystems steht die Todesstrafe. In einem Gesetzbuch der Aufklärungszeit nichts Selbstverständliches. Feuerbachs Ausführungen über die Todesstrafe- setzen sich keineswegs mit allen Argumenten der Gegner, die sich um Beccarias Namen geschart hatten, auseinander, ja, es wird erzählt, er habe schließhch in dem großen Kulturkampf der Aufklärung um Humanisierung des Strafrechts auch diese letzte Schranke aufgegeben und sich am Ende überzeugt, „daß dieTodesstrafe als unrechtmäßiges Strafmittel abzuschaffen sei"."' Bei der Reform der bayerischen Strafgesetzgebung fürchtete er einen plötzlichen unvorbereiteten Übergang „von einem System voll von Todesstrafen, zum Teil qualifizierten Todesstrafen zu einem

' Berner, Strafgesetzgebung in Deutschland S. 91. Die gesetzlichen Bestimmungen über den Rückfall waren zudem schwerfällig und kompliziert gefaßt. Die Anmerkungen bemühten .sich vergebens, allgemeine Prinzipien herauszuarbeiten, wobei sie für den Gedanken, daß die den Rückfall begründende Straftat mit dem Tatbestand der Vortat identisch sein muß, den Begriff der „respektiven Identität" prägten.

^ Der Tod ist das größte Übel und die abschreckendste Strafe. Bibl. für peinliches Recht 2. Bd. Göttingen 1880. S. 244 f. Kritik des Klein- schrodischen Entwurfs 2. Teil, S. 163 ff.; S.Teil, S. 164 ff. Leben und Wirken Bd. I, S. 232 ff.

' Leben und Wirken I, S. 232, Anm.

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System ohne alle Todesstrafen, von der höchsten Strenge zu der höchsten Milde" und die Besorgnis vor einer demoralisierenden Wirkung einer radikalen Aufhebung aller Todesstrafen bestimmte ihn, sich „für die Todesstrafe zu erklären und ihre Abschaffung wenigstens jetzt für das gefährlichste Wagstück zu halten, das an Bayern versucht werden könnte": Bayern würde „ebenso plötzlich von Verbrechern überschwemmt werden, als es die Todesstrafe abgeschafft hat"/ Diese Gedanken sprachen weniger zugunsten der Todesstrafe als gegen ihre sofortige Abschaffung. Zum Anhänger der Todesstrafe machte ihn seine Äbschreckungstheorie. Die Drohung mit dem Tode als dem stärksten sinnlichen Übel schien ihm geeignet, auf den stärksten Trieb des Menschen, den Selbsterhaltungstrieb zu wirken und darum als abschreckendste Strafe fähig, den Willen zur Gesetzmäßigkeit zu lenken, wo keine andere Furcht hinreicht, die verbrecherischen Begierden und egoistischen Instinkte zu überwinden. Und da nach seiner Theorie für den Nachweis der Berechtigung einer Strafe die Notwendigkeit ihrer Androhung genügte, so schien ihm der Staat, wenn der Bürger der Androhung zuwiderhandelte, nicht weniger berechtigt, in das Leben einzugreifen, als in Freiheit oder Vermögen. So erklärt es sich, daß im Bayerischen Strafgesetzbuch von der Todesstrafe ein ausgiebiger Gebrauch gemacht ist, auch in Fällen, in denen man schon damals die Todesstrafe zu hart empfand wie bei Kindesmord im Rückfall oder Raub und Erpressung, wenn der Angegriffene in Lebensgefahr versetzt war (a 143, 239, 241). Die Praxis der Gnadeninstanz in Bayern war milder: man rechnete bis 1831 jährlich 3 vollzogene Hinrichtungen, 1843 nahm Arnold" an, daß von 7 Todesurteilen jährlich 1 bis 2 vollzogen wurden.

Theoretisch hat Feuerbach stets daran festgehalten, daß, wenn überhaupt, dann jeder mit dem Tode bestraft werden müsse, der ihn verdient hat, d. h. der eine Handlung beging, für die das Gesetz den Tod als notwendige Folge angedroht hat. Dagegen lehnte er den Gebrauch der Todesstrafe nach Kleinschrods Vorschlag ab, dessen Entwurf sie als ein nur ausnahmsweise verhängtes außerordentliches Mittel zur Aufrechterhaltung der staatlichen Sicherheit gedacht hatte. ^ Solch staatliches Notwehrrecht könne in normalen Zeiten niemals gegenüber einem Untertan, den der Staat schon in seine Gewalt bekommen hat, bestehen. Ein Staat aber, der sich nur

' Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs 3. Teil, S. 171 und 168.

' Archiv des Kriminalrechts. Neue Folge, 1843. S. 363. Vgl. auch Arnold, Die Ohnmacht der Todesstrafe. Gerichtssaal Bd. 10. 1858. S. 455—466.

'' Vgl. oben Kap. IV, S. 160.

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durch die Hinrichtung vor dem Verbrecher schützen kann, könnte sich die Mühe einer Kriminalgesetzgebung ganz ersparen.^ Und doch hat Feuerbach selbst in seinem Gesetzbuch jenen Gedanken einer außergewöhnlichen Erweiterung staatlicher Machtbefugnisse im Rahmen des Strafrechts Ausdruck verliehen. Die a 441 ff. des zweiten Teils enthalten als Mittel erhöhter Sicherung für außergewöhnliche Verhältnisse die nach österreichischem Muster übernommene Institution des Stand- rechts." Die Verkündung des Standrechts in Zeiten des Aufruhrs und der Überhandnähme gemeingefährlicher Verbrechen hat die doppelte Folge einer Erweiterung des Anwendungsgebiets der Todesstrafe und eines außerordentlichen, schnellen, summarischen, die Rechts- garantien des Beschuldigten kürzenden Verfahrens.

Das System der Freiheitsstrafen wird bei Feuerbach von dem Gefängnis- oder Festungsarrest und der erst von der Kommission zugefügten Festungsstrafe abgesehen durch drei Strafarten bestimmt: Kettenstrafe, Zuchthaus und Strafarbeitshaus. Dabei kam es Feuerbach um seines Generalpräventionszwecks vor allem darauf an, den mehr oder minder schweren Charakter jeder einzelnen Strafart in auffallender Weise kenntlich zu machen.

Die Kettenstrafe ist eine Reminiszenz an die alte Festungsbau- strafe: öffentliche oder schwerste Zuchthausarbeiten auf Lebenszeit. Ihre Wirkung ist der bürgerliche Tod. Sie bedeutet darum nicht minder wie die eigentliche Todesstrafe eine völlige Vernichtung der Existenz des Bestraften, ein unwiederbringliches Abschneiden jeder Möglichkeit für den Sträfling, an sich zu arbeiten und sich irgendwie emporzuringen.^

In einem schon 1801 geschriebenen Gutachten, für das Feuerbach selbst nicht Worte des Rühmens genug fand,* hatte der preußische Staatsminister v. Arnim Freiheitsstrafen, die vom Gesetz unabhängig von dem Verhalten und der Entwicklung des Bestraften auf volle Lebensdauer bestimmt waren, für noch verwerflicher als Todesstrafe erklärt. Denn man läßt den Verbrecher leben, d. h. „bloß dem Körper nach" und versündigt sich an seiner moralischen Natur, indem ihm jede Hoffnung, „das höchste Gut eines jeden moralischen Wesens"

' Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs 2. Teil, S. 168 f.

- Vgl. Leben und Wirken I, S. 214 f.

'■' Charakteristisch ist, daß im Bayerischen Strafgesetzbuch die ab- lehnend beantwortete Frage überhaupt aufgeworfen werden konnte, ob ein Mord an einem Kettensträfling straflos ist. Vgl. P. Kammerer, Prüfung des Entwurfs zu einem neuen Strafgesetzbuch in Hinsicht der Verbrechen... durch Angriff auf Ehre, München 1823, S. 73, und Arnold, in: Archiv des Kriminalrechts. Neue Folge, 1844. S. 209.

* Kritik dss Kleinschrodischen Entwurfs 3. Teil, S. 173, Änm.

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genommen und er so, stumpfer Gleichgültigkeit überlassen, „zu aller Ausbildung und Besserung unfähig gemacht wird"/ So mußten schon die Zeitgenossen die lebenslängliche Kettenstrafe mit dem bürgerlichen Tod als empörende Härte empfinden." Feuerbach fühlte selbst die Verpflichtung, die Aufnahme eines solch drakonischen Strafmittels besonders zu rechtfertigen.^ Dabei vermochte er nur den einen Gedanken zu ihrer Rechtfertigung anzuführen: „sie ist bloß abschreckend".* „Man kann nicht erwarten," so fährt Feuerbach fort, und man glaubt, anstatt einer Apologie dieser Äbschreckungsstrafe eine leidenschaftliche Polemik gegen sie zu lesen, „daß ein Mensch, der mit der Schande des Verbrechens bedeckt vor den Äugen des Publikums Sklavenketten geschleppt hat, dessen Gefühl eben durch die Publizität seiner schmach- vollen, schimpflichen Erniedrigung notwendig abgestumpft worden ist, jemals wieder sich zum Bessern aufrichten und als nützlicher Bürger in den Schoß der Gesellschaft zurückkehren werde." Diese Wirkungen der Kettenstrafe waren um so verhängnisvoller, als im Fall eines Justizirrtums die Irreparabilität der Kettenstrafe jede Rehabilitation ausschloß. Feuerbach selbst hat diesen Zustand, auf den auch Oersted hinwies,^ in anderm Zusammenhang mit erschütternden Worten geschildert. „Aus dem bürgerlichen Tod gibt es so wenig ein Wieder- aufstehen zum bürgerlichen Dasein als ein Mittel der Wiederbelebung für den Enthaupteten. Soll der bei Leibes Leben Beerbte sein Ver- mögen von seinen Erben wieder zurückfordern, oder, wenn jenes vielleicht schon längst unter hundert Händen sich zerstreute, aus allen Ecken wieder zusammenlesen dürfen? Und die Gattin, deren Ehe durch den bürgerlichen Tod ihres Gatten von Rechts wegen aufgelöst war, kann sie der aus dem bürgerlichen Tode erstandene Kettensträfling lÄHcder zurückfordern, während sie unterdessen in zweiter, rechtmäßiger Ehe lebt? Mit einem Worte: der Tod, gleichviel ob bürgerlicher oder leiblicher, ist Tod."'' Allein der Abschreckungsgedanke vermag die Aufnahme eines solchen Strafmittels zu erklären. Feuerbach ging von dem Bestreben aus, zur Gegenwirkung gegen die verschiedenen verbrecherischen Neigungen ein entsprechendes System gleichmäßig abgestufter Strafübel anzudrohen und da schien ihm, trotzdem er die

' Bruchstücke über Verbrechen und Strafen. Anonym erschienen. Frankfurt und Leipzig 1803. S. 138 L

* Neues Archiv des Kriminalrechts Bd. II, S. 59.

' Leben und Wirken I, S. 252.

' Kritik des Kleinschrodischcn Entwurfs 2. Teil, S. 187.

' Oersted, Ausführliche Prüfung des neuen Entwurfs zu einem Straf- gesetzbuch für das Königreich Bayern. Kopenhagen 1823. S. 80.

'' Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrecher 3. Aufl., S. 356.

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furchtbare Wirkung ihres Vollzugs erkannte, die Rndrohung der Ketten- strale notwendig, da so lautet wörtlich seine Begründung „von dem physischen Tod zu der bloß zeitlichen Freiheitsstrafe ein zu großer Absprung sein würde". ^ Wie so mancher Institution, zu der ihn die Konsequenz seiner Strafrechtstheorie führte, soll Feuerbach auch dieser seiner Schöpfung untreu geworden sein und die Kettenstrafe „später mündlich getadelt" haben."

Der zum Zuchthaus Verurteilte wird zu Arbeiten innerhalb der Strafanstalt angehalten, ist ständig gefesselt und während seiner Strafzeit unfähig zu jeder rechtlich wirksamen Verfügung über das Seine (a 10). Bei der Zuchthausstrafe findet sich die Bestimmung, der Sträfling könne nach Ablauf einer Reihe von Jahren, wenn er ausgezeichnete Arbeitsam- keit bewiesen und unverwerfliche Proben gebesserter Gemütsart abgelegt hat, gnadenweise entlassen werden. Dabei ist die Verurteilung entweder durch den gesetzlichen Strafrahmen auf eine bestimmte Zeit nicht über 20 Jahre begrenzt oder ohne bestimmte Grenze. In diesen vom Gesetz ausdrücklich festgelegten Fällen ist die Mindest- dauer der Straf haft 1 6 Jahre, die Höchstdauer, falls die Voraussetzungen der Begnadigung niemals eintreten, lebenslänglich (a II f.). So kennt schon das Feuerbachsche Strafgesetzbuch die Verurteilung auf unbestimmte Zeit.^

Der Gedanke einer Internierung des Rechtsbrechers auf unbestimmte Zeit war dem gemeinen Recht nicht fremd. Als besondere kriminal- politische Maßnahme, als Sicherungsverwahrung gemeingefährlicher Elemente hat sich Klein für die unbestimmte Verurteilung eingesetzt.*

' Leben und Wirken I, S. 252.

- Arnold, in: Archiv des Kriminalrcchts. Meue Fol^'e, 1843. S. 266.

•' Auch Octker, Rechtsgüterschutz und Strafe, Z. Str. W. 17, S. 577, sieht in diesen Bestimmungen des Bayerischen Strafgesetzbuclis von 1813 eine „unbestimmte Verurteilung", während Binding, Grundriß des deutschen Strafrechts, AUg. Teil, 7. Aufl., 1907, S. 237, meint, das , Zuchthaus auf unbestimmte Zeit" sei in Wahrheit eine „lebenslängliche Freiheits- strafe". — a 18 des Feuerbachschen Entwurfs von 1810 hatte den Gedanken so gefaßt: Diese Verurteilung schließt „zwar die lebenswierige Dauer der Strafe mit in sich, doch bleibt dem Verurteilten die Hoffnung..." auf Begnadigung usw. Das Gesetz gab diesen Wortlaut auf, um zum Ausdruck zu bringen, daß die für die Begnadigung notwendige Besscrungsfrist mit jedem Tag beginnen könne und die Strafe daher von Rechts wegen niemals bis zum Lebensende zuerkannt werde. Anmerkung zum Bayerischen Strafgesetzbuch Bd. I, S. 90 f. Diese Überlegung rechtfertigt die Bezeichnung Unbestimmte Verurteilung. Vgl. Freudenthal, Unbe- stimmte Verurteilung. Vergleichende Darstellung des deutschen und aus- ländischen Strafrechts. Allgemeiner Teil. Bd. III, S. 250, Anm. 1.

* V. Liszts Hallenser Rektoratsrede 1894: E. F. Klein u. die unbestimmte Verurteilung. Aufs. u. Vortr. Bd .II, S. 133 ff. Auf eine Beschränkung der

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Eine engere Beziehung zur Strafe im eigentlichen Sinn brachte die Preußische Verordnung vom 26. Febr. 1799, nach der gegen denjenigen, der bereits zweimal wegen Diebstahls vorbestraft ist, neben verschärfter körperlicher Züchtigung „auf Einsperrung in eine Besserungsanstalt" auf so lange erkannt werden soll, „bis die Vorgesetzten dieser Anstalt sich überzeugt haben, daß der Verbrecher durch die erlittene Strafe wirklich gebessert worden, daß er imstande sei, sich auf eine redliche Art zu ernähren und daß durch dessen Freilassung der öffentlichen Sicherheit nicht geschadet werde ".^ Bei dem völligen Mangel rationeller Vollzugseinrichtungen und geschulten Personals hatte diese Verordnung freilich nur geringe Bedeutung und eine kurze Geltungsdauer. Im Feuerbachschen Strafgesetzbuch liegt der Wert der unbestimmten Ver- urteilung gerade in ihrer Anwendung auf die eigentliche Kriminalstrafe. Hat doch hiermit das Gesetz beim Zuchthaus im Gegensatz zur Ketten- strafe eine Grundbedingung für einen individuell wirkungsvollen Straf- vollzug geschaffen. Indem das Gesetz den Bestraften an der Gestaltung seines Geschickes selbst teilnehmen läßt, ermöglicht es an Stelle starrer Vergeltung, an Stelle einer Brechung und Äuslöschung der Persönlichkeit des Verbrechers eine Weckung seiner Selbstverantwortung, einen Antrieb zur Selbstbeherrschung und zur Gewöhnung an ein regelmäßiges und arbeitsames Leben, um hiermit zugleich sich die Freiheit zu erarbeiten und sich für die Freiheit fähig zu machen. Die Verfasser des Gesetzes mögen sich dieser tieferen Bedeutung ihrer Schöpfung nicht bewußt gewesen sein, ließ doch Feuerbachs Strafrechtstheorie für den Gedanken eines individuell wirkungsvollen Strafvollzugs keinen Raum.' In der zeitgenössischen Literatur fand das „Zuchthaus auf unbestimmte Zeit" wenig Widerhall,'' und Gönners Entwurf, der eine unbestimmte Zwangs- arbeit, bis der Sträfling „befriedigende Proben der Besserung gegeben hat", als Rückfallstrafe bei Übertretungen vorschlug,^ wollte beim

unbestimmten Detenlion auf reine Sicherungsmaßnahmen wird von den heutigen „Klassikern" entscheidendes Gewicht gelegt. Vgl. Joh. N agier, Verbrechensprophylaxe und Strairccht {Kritische Beiträge XIV), Leipzig 1911, S. 250 f., und Oetker, Gerichtssaal 73, S. 435 ff., Anm. 2.

' Vgl. hierzu Klein, Archiv des Kriminalrcchts Bd. 11, Nr. I. Halle

1800. s. 32 n.

- Vgl. dagegen Fuhr, Strafrechtspflege und Sozialpolitik, S. 243, der im „Zuchthaus auf unbestimmte Zeit" eine individualisierende Berücksichti- gung der „sinnlichen Persönlichkeit des Verbrechers" sieht, zu der nach seiner Ansicht im Gegensatz zu dem schroffen System abschreckender Vergeltung im Code pönal gerade Feuerbachs Theorie vom psychologischen Zwang führen mußte.

' Hälschner, Das gemeine deutsche Strafrecht 1, S. 583, spricht geradezu von einem „Überrest der Strafen des vorigen Jahrhunderts"!

■* Entwurf des Strafgesetzbuchs. München 1822. 11. Teil, a 47.

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Zuchthaus die „dem Wort und der Tat nach unbestimmte Zeit" streichen/ Und doch ist jene Bestimmung des Feuerbachschen Gesetzes von großer Bedeutung geworden, denn sie fand einen Mann, der ihren Wert erkannte und ausnutzte: Obermaie r. Obermaier, ein Mann von ungewöhnlichen pädagogischen Fähigkeiten, war als Stratanstaltsleiter in Kaiserslautern und München eine der markantesten Erscheinungen in der Geschichte des deutschen Strafvollzugs. Mit größtem Erfolg hat er die unbestimmt begrenzte Internierung im Zuchthaus zu einem erzieherisch vertieften Strafvollzug ausgestaltet. Seine Gedanken, die er mit bezwingender Wärme vorzutragen wußte, sind in vielem noch heute vorbildlich. Wenn gleichwohl in Deutschland sein Werk ebensowenig wie jene gesetzliche Institution Nachahmung fand, so lag das an dem über- triebenen Mißtrauen der Anhänger rationalistischer Strafvollzugs- Systeme" gegen einen ganz auf die Persönlichkeit des Anstalts- leiters abgestellten individuellen Strafvollzug. Wohl aber haben Obermaiers Erfolge über die Grenzen Deutschlands hinaus F. C. Wines, der in Amerika aufs neue für den Erziehungsgedanken im Strafvollzug und die unbestimmte Verurteilung eintrat, nachhaltig beeinflußt. So spinnen sich hier, wo Feuerbach seinem theoretischen Dogma einen wertvollen Gedanken praktischer individualisierender strafrechtlicher Behandlung abgerungen hat, die Fäden zu jenen modernen amerika- nischen kriminalpolitischen Bestrebungen, aus denen das Strafrecht des Kontinents in unsern Tagen wertvolle Anregungen geschöpft hat."

Leider steht dieser moderne Gedanke im Feuerbachschen Strafen- system vereinzelt da. So fehlt den Bestimmungen über die dritte Form der Freiheitsstrafe, das unserm Gefängnis entsprechende Straf- arbeitshaus, in dem die Gefangenen ohne Fesselung und ohne Beeinträchtigung ihrer Ehrenrechte zu Arbeit innerhalb der Anstalt angehalten wurden, abgesehen von einer entsprechenden Anwendung

' Ebendort Vorrede pag. XIII.

- Näheres über diese Entwicklung bei Freudenthal, Verglexhende Darstellung..., ÄUg. Teil, Bd. III, S. 251 ff., und HoltzendorH- Kohlers Enzyklopädie VII. Aufl., 1914, Bd. V, S. 97 ff. - Obermaier hatte auf Grund seiner Erfahrungen in Kaiserslautern 1835 eine Anleitung zur voll- kommenen Besserung der Verbrecher in den Strafanstalten erscheinen lassen. Seit 1842 war er Vorstand am Zuchthaus in München -Au. Über sein Wirken: Arnold, Die körperliche Züchtigung und das Zuchthaus zu München, Archiv des Kriminalrechts, Neue Folge, 1844, S. 438 ff., sowie Verhandlungen der ersten Versammlung für Gefängnisreform im September 1846 in Frankfurt a. M. Frankfurt a. M. 1847. Insbesondere S. 123 ff. Neuerdings G. Stamm, Obermaier und seine für die Gefängnis- reform grundlegende Anleitung zur vollkommenen Besserung der Verbrecher von 1835. In: AschaHenburgs Monatsschrift XI, S. 34 ff.

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der Vorschriften über vorzeitige Entlassung aus dem Zuchthaus, jedes Eingehen auf die Erzielung zweckmäßiger und wirksamer Methoden des Strafvollzugs. Stand doch Feuerbach diesen Dingen im Grunde fremd gegenüber. Er kannte und rühmte zwar die Schriften Howards und des Hallenser Predigers Wagnitz, trat selbst für Modernisierung und Verbesserung der bayerischen Gefängnisse ein, „ohne welche die beste Gesetzgebung wie leerer Schall in der Luft verfliegt"' und erkannte an, daß in der Gefängnisstrafe vorzugsweise die Nebenzwecke der Besserung des Verbrechers durch Gewöhnung an Arbeit und durch Erweckung eigenen Nachdenkens zur Geltung kommen sollten." Doch das waren für Feuerbach im Grunde Dinge von sekundärer Bedeutung. Eher stand noch Grolman von seiner die Individualität des einzelnen Verbrechers berücksichtigenden Spezialpräventionstheorie aus zu diesen Fragen in näherem Verhältnis, und er erkannte sofort die tiefe Bedeutung jener Bestrebungen, durch Humanisierung und Rationalisierung des Gefängnisses und durch stärkere Berücksichtigung des Erziehungsgedankens eine bessernde Wirkung des Strafvollzugs zu ermöglichen, auf die er bei den damals bekanntwerdenden Nach- richten über das Gefängnis in Philadelphia mit wärmstem Eifer hinwies.^ In den 20er und 30 er Jahren des 19. Jahrhunderts erwuchs aus solchen Bestrebungen eine einheitliche Bewegung, in der die Forderung einer allgemeinen „hygienischen und moralischen Sanierung des Straf- vollzugs" sich mehr und mehr auf das Dogma eines bestimmten Prinzips, des Pönitentiarsystems, verdichtete. Einzelhaft, rationelle Arbeit, Erziehung und Selbstbeherrschung und in allem die Wirksamkeit religiöser Einflüsse waren die Forderungen der Reformfreunde, die in gläubiger Zuversicht an dem System der Einzelhaft als absolutem Heilmittel gegen alle Schäden der Kriminalität hingen und durch ihr Wirken die Entwicklung des modernen deutschen Strafvollzugs ent- scheidend beeinflußt haben.* Wenn auch bei den Anhängern der Einzelhaft in Deutschland die Vorliebe für das Vergeltungsprinzip und die Berücksichtigung des eigentlichen pönalen Elements der „einsamen Einsperrung" den Erziehungszweck zurücktreten ließen, so bleibt es die bleibende Bedeutung dieser Bewegung, einen nachhaltigen äußeren Läuterungsprozeß des Gefängniswesens angebahnt und darüber hinaus die Verantwortlichkeit für den Strafvollzug vertieft zu haben. Natur- gemäß mußte diese Richtung allmählich auch die theoretischen, zum Teil

' Leben und Wirken Bd. I, S. 140.

* Kritik des Klcinschrodischcn Entwurfs Bd. 2, S. 209 f.

* Bibliothek für peinliches Recht I.Teil, 1. St., S. 346 f.

'' Zu dieser Entwicklung: Kriegsmann, Einlührung in die Gcfängnis- kundc. 1912. S. 58 ff.

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deduktiv gewonnenen Grundlagen der Lehren vom Wesen und der Zurechnung der Strafe beeinflussen, während umgekehrt Feuerbach, der der Wirkung des Strafvollzugs nur eine sekundäre Bedeutung neben der gesetzlichen Drohung zugestand, der tieferen Bedeutung der Anfänge jener Entwicklung fremd blieb. Um so interessanter ist, daß er unter einem anderen Gesichtspunkt dem Gefängnisreformgedanken wissenschaftliche Anregungen entnahm. Im Jahre 1817 wurde in dem oberfränkischen Schloß Plassenburg eine Strafanstalt gegründet, in der man jene unter dem Namen Äuburnsches System bekannte Ab- wandlung der Einzelhaft einführte, bei der die Isolierung der Gefangenen durch eine geistige Absonderung ersetzt wurde: für alle Insassen galt ein durch strenge Disziplinarmittel erzwungenes Schweigegebot. Hier interessierten Feuerbach die psychologischen Wirkungen dieses Schweigens, die ewige Gleichförmigkeit eng begrenzter, von wortloser, ununterbrochener Arbeit erfüllter Lebensweise, die „überall lauernde Aufsicht", und bei allem jener „furchtbare Bann, welcher die Zungen fesselte und den Mund verschloß". Immer wieder drängten sich die Insassen zu freiwilligen Geständnissen längst vergessener und, noch öfter, nie begangener schwerer Verbrechen, um aus dem unerträglichen Druck herauszukommen. So ward „dieser Ort des Schweigens zu einer Stätte der Bekenntnisse". Die Beurteilung dieser Geständ- nisse erregte Feuerbachs psychologisches Interesse. Die geschickte Taktik der Inquisiten, welche die Prozesse endlos zu verlängern wußten, bis sich ihre Geständnisse als Erfindungen erwiesen, die kritische Prüfung der Aussagen, aus denen alles ausgeschieden werden mußte, was ihnen lediglich die Hoffnung, dem unerträglichen Druck der schweigsamen Plassenburg zu entgehen, eingegeben hatte, das Schicksal jener unglücklichen Gestalten selbst waren Fragen, welche Feuerbach zum Ausgangspunkt kriminalpsychologischer Studien und Schilderungen machte. Mochte die Plassenburg sich auch anfänglich günstiger Erfolge rühmen und auf die geringen Rückfallziffern ihrer ehemaligen Insassen hinweisen, Feuerbach stand dem System skeptisch gegenüber und hatte für die allgemeine Bedeutung neuer Haftsysteme wenig Interesse.^

Feuerbachs gesetzgeberische Tätigkeit und die Ausgestaltung seines Strafensystems werden beherrscht von dem Gegensatz zwischen dem

' Feuerbach, Äktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen III. Aufl., S. 468 ff., insbesondere S. 474. Über das /\uburnsche System: K r i e g s m a n n, a. a. O. S. 33 f. Feuerbachs Schilderungen jener Gefangenen haben Jacob Wassermann, der in seinem Kaspar-Hauser-Roman zu eineni Interpreten Fcuerbachscher Kriminalpsychologie wurde, offenbar angeregt, die Psychologie dieses Schweigens in einer kleinen Skizze literarisch zu ver- werten: Die Gefangenen auf der Plassenburg. Die Weltliteratur Nr. 11, 1921.

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Rechtsstaatsprinzip der Aufklärung, die Grenze der staatlichen Macht gegenüber der freien Sphäre der einzelnen Persönlichkeit fest abzustecken, und den Konsequenzen seiner Äbschreckungstheorie. Ganz besonders zeigt sich dieser Widerspruch in Feuerbachs Stellung zu den Ehren- strafen. Der Gedanke, die Vorstellung der Strafe müsse abschreckend wirken, ließ ihn ein System von Freiheitsstrafen befürworten, in dem gerade der bei der einzelnen Strafart verschieden ausgestaltete Grad der Beeinträchtigung der bürgerlichen Ehre den Charakter der nach verschiedener Schwere abgestuften Ketten-, Zuchthaus- und Strafarbeitshausstrafe bildeten und bei dem die einzelnen Strafen durch besonders entehrende Behandlung: Pranger, öffentliche Aus- stellung, körperliche Züchtigung verschärft werden konnten. Auf der anderen Seite blieb das Bayerische Strafgesetzbuch in wesentlichen Punk- ten hinter Feuerbachs Forderung auf Abschaffung entehrender Strafen zurück. Die ausdrückliche Erklärung im Feuerbachschen Entwurf, daß Ehrlosigkeit als Haupt- oder Nebenstrafe unzulässig sei (a 32 des Entwurfs von 1810), erhielt im Gesetz eine erheblich abgeschwächte Formulierung (a 24), und die offiziellen Anmerkungen sabotieren den Gedanken geradezu mit der Erklärung, man wolle durch diese Bestimmung, welche „nur die juristischen, nicht aber die moralischen oder physischen unvermeidlichen Folgen der strafbaren Handlung zum Gegenstand hat", keineswegs „der öffentlichen Meinung und dem Zartgefühle guter Bürger hierdurch zu nahe treten"^ oder etwa so heißt es an anderer Stelle „Ächtung, Zutrauen und Annäherung für Menschen erzwingen, welche durch eine schändliche Handlung sich der Ächtung und des Zutrauens guter Bürger unwürdig gemacht haben"." Hier wird, wie Feuerbach entrüstet nachwies, die Infamie zwar „von dem Gesetzbuch ausgeschlossen, aber in dem Leben zugelassen." Keine Korporation, keine Zunft wird, wenn eine solche Interpretation zur Geltung gelangt, einen entlassenen Sträfling aufnehmen, und so der Gedanke des Gesetzgebers illusorisch werden, daß der Verbrecher nach überstandener Strafe gerade dadurch, daß er nicht vom freien Verkehr der Menschen ausgeschlossen bleibt, in den Stand gesetzt werden soll, „nicht nur im Bewußtsein wiedererlangler Ehre sich zu bessern, sondern auch sich redlich sein Fortkommen zu verschaffen"."^ Die infamierende Wirkung der Strafe wurde ferner dadurch besonders betont, daß das Bayerische Strafgesetzbuch nach dem französischen Vorbild die Gerichte ermächtigte, „nach Erwägung besonderer Umstände" anstatt auf die normale Freiheitsstrafe, auf die

' Anmerkungen zum Strafgesetzbuch Bd. I, S. 106.

* Ebendort S. 41.

'■' Leben und Wirken Bd. I, S. 247 l

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privilegierende Festungsstrafe zu erkennen (a 19). Denn wurden die einen durch diese bevorzugte Behandlung aus dem Niveau gewöhn- licher Verbrecher herausgehoben, so wurde für die anderen die Ver- urteilung zur ordentlichen Freiheitsstrafe hierdurch zu einer Deklassierung, welche dem Bestraften den dauernden Makel unehrenhafter Qualifikation aufprägte. Die Festungsstrafe war gegen Feuerbachs Willen von der Kommission in das Gesetz eingefügt worden, und er hat es an dem Fall des Frauenmörders Pfarrer Riembauer, „Tartuffe als Mörder", erleben müssen, wie in der Festungsstrafe die privilegierende Standes- strafe des ancien regime aufs neue Geltung fand.^ In der Folgezeit drängte die Praxis auf eine gesetzliche Formulierung der Voraus- setzungen für die Verurteilung zur Festungsstrafe," während die Gesetzgebungsarbeiten an der Fiktion festzuhalten suchten, es handele sich nur um eine besondere Vollzugsart der im übrigen gleichen Strafen, um die Verschärfung zu paralysieren, die für den Gebildeten in der gemeinsamen Haft mit gemeinen Verbrechern niederer Kreise liegt.^

Schließlich fehlt auch die Prügelstrafe, jenes unentbehrliche Requisit einer Strafjustiz, welche die Persönlichkeit im Verbrecher mißachten zu müssen glaubt, weder im Gesetzbuch noch im Entwurf Feuerbachs von 1810, wiewohl Feuerbach angeblich sich für ihre Abschaffung eingesetzt haben soll.^ Gönners Entwurf kannte keine körperliche Züchtigung mehr. Bei den Kammerberatungen der Justiz- reform der 30er Jahre befaßte man sich eingehend mit dieser Strafe. Sie erscheine zwar, meinte damals der Berichterstatter, für gewisse Menschen und gewisse Übertretungen als die zweckmäßigste Strafe, könne aber, da sie „das Ehrgefühl mächtig verletze", niemals als allgemeine, auch gegenüber Standespersonen anwendbare, Strafe in Frage kommen, während eine Beschränkung „auf gewisse Subjekte" verfassungswidrig sei. Überhaupt sei „mit unserer auf bürgerliche Ehre gegründeten Staatsverfassung ein die Menschheit unleugbar erniedrigendes Strafmittel

' Äktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen III. Aufl., S. 324.

-' Bericht des Oberappellationsgerichts an das königl. Staatsministcrium in Gönners u. Schmidtleins Jahrbüchern der Gesetzgebung u. Rechts- pflege in Bayern III. Bd., S. 146 f.

' Anmerkungen zum Strafgesetzbuch Bd. I, S. 101 ff. v. Gönners Entwurf 1822, a 27. Die weitere Entwicklung bei So n tag, Die Festungs- haft. 1872. S. 49 if.

* Geyer, Kleine Schriften strafrechtlichen Inhalts. München 1889. S. 569. Ohne Quellenangabe. In der Kritik des Kleinschrodischen Entwurfs empfahl Feuerbach Rutenschläge und bemühte sich ängstlich zu verhindern, daß beim Vollzug der für die Bestimmung der Zahl der Tracht Prügel zuständige „Wundarzt" gewissermaßen zum Gesetzgeber und Richter werde. (Kritik des Kleinschrodis-chen Entwurfs II. Teil, S. 220 f.)

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nicht wohl vereinbar".^ Doch brachten auch hier erst die Stürme der 48er Zeit endgültigen Wandel: eine Novelle vom 12. Mai 1848 hob mit einigen anderen Bestimmungen des Feuerbachschen Straf- gesetzbuchs auch die Prügelstrafe in Bayern auf.

In diesen Fragen ist die gesetzgeberische Tätigkeit Feuerbachs ein Zeugnis dafür, wie trotz der Einsicht in die Verwerflichkeit aller Strafen, die an die Ehre gehen, der Gedanke der Generalprävention vollends in der Form des Äbschreckungsprinzips mit anderen terroristischen Methoden auch infamierende Strafen anzuwenden geneigt ist. Ähnliches läßt sich immer wieder beobachten. So hat Thyren vom Standpunkt der Spezialprävention aus keine Rechtfertigung für eine privilegierende Behandlung von Verbrechen „aus altruistischen Motiven" finden können, gleichwohl aber in den Schwedischen Vor- entwurf von 1918 aus Gründen der Generalprävention eine Custodia honesta aufgenommen.^ Auf diese Weise erklärt es sich, daß der verhängnisvolle Gegensatz von entehrenden und nichtentehrenden Strafen in traditioneller Weise Eingang in das geltende Recht und die neueren Entwürfe gefunden hat."^ Zugleich wird verständlich, daß eine endgültige Ablehnung solcher Methoden nur erfolgen konnte von einer Strafrechts- auffassung aus, die ihre wesentliche Aufgabe in ihrer Wirksamkeit gegenüber dem einzelnen Verbrecher sah. War schon Grolmans Präventions- und Besserungsstrafrecht vorsichtiger und schonender gegen- über der Ehre des Bestraften als Feuerbachs Äbschreckungssystem, so zeigte sich vor allem auf diesem Gebiet, wie das Pönitentiarsystem die Anschauungen über Wesen und Aufgabe der Strafe zu modernisieren geeignet war. Wie einer jener Reformfreunde, der hessische Hof- gerichtsrat Friedrich Noellner, in einer kleinen Schrift nachwies, mußte diese Bewegung, die, anstatt die Persönlichkeit des Verbrechers zu vernichten und zu zermürben, ihn aufzurichten und durch Erziehung und rationelle Arbeit seinen inneren Wert zu erhöhen strebte, die unbedingte Respektierung der sittlichen und Ehrensphäre des Verbrechers in der Strafrechtspflege fordern. Darin lag mit der Abweisung aller infamierenden und inhumanen Behandlungsarten zugleich ein wirksames Argument für die Einzelhaft, indem durch dieses Haftsystem der entehrende Zug der Freiheitsstrafe ausgeschaltet wird, der nach der Meinung jener Reformer gerade darauf beruhte, daß in den bisherigen Gefängnissen jeder Verurteilte mit dem Haufen gemeiner Verbrecher

' Mussinan, Bayerns Gesetzgebung. 1835. S. 336.

* Vgl. Joh. C. W. Thyrfen, Prinzipien einer Strafgesetzreform I. Berlin- Lund 1910. S. 130 f.

" Vgl. über diese Entwicklung: E. Guckenheimer, Der Begriff der ehrlosen Gesinnung im Strafrecht. Hamb. Schriften Heft I. Hamburg 1921.

15

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zusammen unter einem Dach eingesperrt wurde. Damit entfiel aber das Bedürfnis zu jeder privilegierenden Surrogatstrafe ebenso wie die Not- wendigkeit, innerhalb der Freiheitsstrafen anders als nach der zeitlichen Dauer zu differenzieren. Ein Gedankengang, von dem aus Noellner jede Art von Ehrenstrafen als widerrechtlich, der Kriminalpolitik und nicht minder der Humanität widerstreitend bekämpfte.^

Feuerbachs Strafgesetzbuch von 1813, ein großes Werk, ein kühner Wurf gesetzgeberischer Kunst und doch behaftet mit unverkennbaren Mängeln! In der Zurechnungslehre und der Ausgestaltung des Strafen- systems vor allem zeigten sich die im Gesetz getroffenen Lösungen wenig entwicklungsfähig. Die starre und unbeugsame Härte des Abschreckungsprinzips machte sich überall da hemmend fühlbar, wo die Aufgaben einer wirkungsvollen, neuzeitlichen Strafrechtspflege ein Eingehen auf spezielle Eigenarten des Verbrechers verlangten. Das ist das Verhängnisvolle an dem Werdegang Feuerbachs: in jungen Jahren von der Philosophie herkommend, hatten sich ihm die Prinzipien von Schuld und Strafe zu einem geschlossenen System deduktiv gewonnener Begriffe und Leitsätze gestaltet. Nun, wo es galt, ihre legislative Brauch- barkeit zu erproben, fehlte ihm selbst die Biegsamkeit und Leichtigkeit den eigenen Dogmen gegenüber. Sie blieben ihm in der alten Form theoretisch wohlfundierte Resultate, aber zu einer Weiterentwicklung seiner Lehren unter dem Einfluß praktischer Bedürfnisse haben ihn die neuen Aufgaben nicht geführt. So mußte er später selbst schmerzlich genug immer mehr von den alten Positionen aufgeben, ohne daß er eine organische Umbildung oder einen systematischen Neubau seiner strafrechtlichen Lehren auch nur versucht hätte."

Indessen besteht bei solcher Betrachtung die Gefahr, daß man Feuer- bach und sein Werk allzusehr vom Standpunkt der ihm nachfolgenden Entwicklung aus und mit modernen strafrechtlichen Anschauungen beurteilt. Hat er doch sicherlich „den Besten seiner Zeit genug getan" mit seinem Gesetzbuch, das nach dem Urteil der Zeitgenossen „die allgemeine Stimme von Deutschland" zu den „ersten und gelungensten des Jahrhunderts" zählte.^ Diesen Ruhm verdankt es nicht zuletzt seinen formalen Vorzügen. Sind doch in ihm die Methoden des begrifflich- abstrakten Rationalismus zu einem solchen Höchstmaß gesetzgeberischer Technik gesteigert, daß uns auch heute noch aus seinen Artikeln die Gesetzessprache des modernen Rechtsstaates entgegenklingt.

' Friedr. Noellner, Das Verhältnis der Strafgesetzgebung zur Ehre der Staatsbürger. Frankfurt a. M. 1846.

'^ Vgl. Baumgarten, Gerichtssaal Bd. 81, S. 132,

^ G. W. Böhmer, Handbuch der Literatur des Kriminalrcchts. Göttingen 1816, S. 120,

227

Sechstes Kapitel

Feuerbach als Kriminalpsychologe.

Die politisch bewegten Zeiten der Freiheitskriege brachten in Feuerbachs Leben eine neue Wendung. In jenen Tagen des Über- gangs zwischen Rheinbundpolitik und dem Anschluß an die Sieger von Leipzig, zwischen partikularistischen Ansprüchen und national- deutschen Forderungen, zwischen Liberalismus und Restauration war es nicht ungefährlich, an exponierter Stelle im Staatsleben zu stehen und voll Temperaments die Dinge mitzuerleben und den Drang in sich zu fühlen, auf die Geister zu wirken, wie Änselm v. Feuerbach. Hatte er jahrelang allen Intrigen und Anfeindungen zum Trotz wenig- stens sein großes Gesetzgebungswerk zum Abschluß bringen können, so war nunmehr sein Sturz unvermeidlich geworden. Sein rücksichts- loses Eintreten für national-deutsche und liberale Forderungen berührte empfindliche Stellen der ängstlich lavierenden bayerischen Politik. Missen wir heute ein solch leidenschaftliches Sicheinsetzen für die Aufgaben der großen Stunde deutscher Geschichte ungern an den Männern jener Zeit vor 100 Jahren, die Gegenwart hat ihm das wie vielen nicht gelohnt. Was ihm innerstes Bedürfnis und zugleich ernste Pflicht war, kostete ihn sein Ämt.^ 1814 geht er als zweiter Hppellationsgerichtspräsident nach Bamberg. Schmerzlich empfindet er Verbannung und Zurücksetzung. Pläne, zur Universität zurück- zukehren, nach Preußen überzusiedeln, beschäftigen ihn. Schließlich kommt er 1817 als Präsident des Rppellationsgerichts für den Retzat- kreis nach Ansbach.

Auch hier, unter den enger begrenzten Pflichten beruflicher Alltagsarbeit bewahrte er sich noch Freiheit des Geistes zu wissen- schaftlichem Schaffen. Freilich, wie anders stand er nunmehr zu den Dingen, als der junge Rechtsphilosoph, der vom Naturrecht herkam

' Vgl. die 1833 als Änselm v. Feuerbachs Kleine Schriften vermischten Inhalts erneut veröffentlichten Abhandlungen: Über die Unterdrückung und Wiederbefreiung Europens (1813); Die Weltherrschaft, das Grab der Mensch- heit (1814); Über teutsche Freiheit und Vertretung teutschcr Völker durch Landstände (1814). Zusammenfassend über Feuerbachs politische Tätig- keit: Jos. Breuer, Die politische Gesinnung u. Wirksamkeit des Kriminalisten Änselm v. Feuerbach. Straßburger Diss., 1905.

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und zu Füßen des Kantianers Reinhold gesessen hatte. Nicht mehr will er als Gelehrter, „befangen in jener von Papieren und Büchern umstellten Mauerwelt, von welcher Goethes Faust so viel zu sagen und so wenig zu rühmen weiß . . ., nur von Ferne die Gestalten, die der Erdgeist frei erschafft", sehen/ Die Ideen eines aus theoretischen Deduktionen abgeleiteten Vernunftrechts und einer allen historischen Bedingtheiten entrückten Philosophie der Gesetz- gebung erkennt er als „Grundirrtümer, welche selbst die Idee einer Rechtsphilosophie in ihren Elementen zerstörten . . . Das darauf errichtete Gebäude konnte daher nicht viel melir sein als ein leeres Fachwerk, zur Lust zu öde und zum Bewohnen zu gebrechlich und zu enge".^ Der neuen großen geschichtlichen Epoche, welche die Zeitgenossen staunend erlebten, können auch die Wissenschaften sich nicht verschließen: „Haben sie sich vorher eigensinnig von der Erfahrung losgesagt, so werden sie nun unwiderstehlich von ihr angezogen, um in ihr und für sie zu wirken und mit neuen Ansichten von ihr bereichert zu frischem Leben zu erwachen."^ Solches Hinlenken zu den Erscheinungen des Lebens selber,, das Bestreben, auch mit der wissenschaftlichen Arbeit den großen Aufgaben der Zeit zu dienen und die stille Forscherarbeit durch- dringen zu lassen von dem Geist jener Epoche, in der vieles zerstört und vieles aufzubauen war, dem „Geist der Kraft und der Tat" und der mithelfenden Teilnahme aller, all das tat dem wissenschaftlichen Wert des Feuerbachschen Schaffens keinen Abbruch. Im Gegenteil, die Schriften, die nicht sub specie aeterni geschrieben sind, erscheinen uns Heutigen in weit geringerem Maße zeitlich gebunden und in ihrem Wert auf die historische Bedeutung beschränkt, als die Formalistik seiner theoretischen Deduktionen. Hier ist sein großes Werk über „Öffentlichkeit und Mündlichkeit in der Gerechtigkeitspflege" und die „Gerichtsverfassung und das gerichtliche Verfahren Frankreichs" zu nennen.^ (1821 1825.)

^ Einige Worte über historische Rechtsgelehrsamkeit und einheimische teutsche Gesetzgebung. Kleine Schriften vermischten Inhalts, 1833, S. 135.

^ Blick auf die teutsche Rechtswissenschaft. Kleine Schriften S. 167^

' Ebendort S. 173.

* Betrachtungen über die Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerechtig- keitspflege 1. Bd. Gießen 1821. 2. Bd. unter dem Titel: Über die Gerichts- verfassung und das gerichtl. Verfahren Frankreichs in besonderer Beziehung auf die Öffentlichkeit u. Mündlichkeit der Gerechtigkeitspflege. Gießen 1825. Ferner: Betrachtungen über das Geschworenengericht. Landshut 1813. Erklärung des Präsidenten v. Feuerbach über seine angeblich geänderte Überzeugung in Ansehung der Geschworenengerichte. Aus dem Rheinischen. Mercur besonders abgedruckt. Jena 1819.

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Wie Feuerbachs Stellungnahme zu beurteilen ist, der die Freiheit der Advokatur preist, Öffentlichkeit und Mündlichkeit in der Haupt- verhandlung vor dem erkennenden Gericht fordert und zugleich vor einer Hinübernahme der französischen Einrichtungen warnt, der die <ieschworenengerichte als notwendige Attribute freier Verfassungsstaaten anerkennt und zugleich wegen ihrer angeblichen strafprozessualen Mängel und, weil sie mit der herrschenden Form deutscher Monarchien unvereinbar seien, verwirft, gehört an einen andern Ort. Hier handelt es sich um die Bedeutung dieser Werke für die Entwicklung des wissenschaftlichen Schaffens Feuerbachs. Da zeigt es sich, daß hier die große Kunst, das Recht, so wie es lebt und wirkt, lebendig zur Anschauung zu bringen, mit unübertrefflicher Meisterhand zu Werke ging. Das Prozeßrecht, in seiner bunten Mannigfaltigkeit in juristisch wesentliche Formen zergliedert und zugleich aus seinen abstrakten Gesetzesbestimmungen zu plastischer Wirklichkeit dargestellt, erscheint hier in unvergleichlicher Wiedergabe als ein Stück unmittelbaren Kulturlebens. Uns Heutige noch lehrt dieses Werk, mögen seine Urteile und Ziele längst der Geschichte angehören, in den scheinbar willkürlichen und starren Formen des Prozesses und den historischen Ordnungen der Gerichtsverfassung einen sinnvollen Ausdruck mannig- faltiger Mächte und Kräfte im Kampf um das Recht verstehen. So ist Feuerbach selbst weit weg von der Gefahr, vor der er die empirisch-pragmatische Wissenschaft v/arnt: „von dem Tumult betäubt, von dem Schimmer geblendet in der Gemeinheit zu versinken".^ Davor bewahrte ihn nicht zuletzt jener tiefe ethische Idealismus, aus dem heraus er den Richtern des Änsbacher Gerichtshofs von der hohen Würde des Richteramts sprach: „Der Ungehorsam ist dem Richter eine heilige Pflicht, wo der Gehorsam Treubruch sein würde gegen die Gerechtigkeit, in deren Dienst allein er gegeben ist."" So bleibt eines in allen Wandlungen seines Lebens und Schaffens stetig und unverändert: sein tiefernstes Streben, mit allen Kräften der Seele und des Geistes dem Recht und der Wahrheit zu dienen. „Gerechtigkeit, ein Name, auszusprechen mit jenem Gefühle der Ehrfurcht, womit allein das Höchste und Heiligste von sterblichen Lippen genannt werden darf."'

So war der jugendliche Philosoph als reifer Mann dem tätigen Leben in reger Anteilnahme zugewandt. Hus dem Jünger Reinholds, dessen „philosophischer Pedantismus" und dessen „Glaube an eine allein seligmachende Metaphysik, für die er immer Proselythen sucht",

' Kleine Schriften S. 173.

Die hohe Würde des Richteramts. Kleine Schriften S. 128.

•' Kleine Schriften S. 123.

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ihm schon in Kiel zu mißfallen begannen/ wird der Freund der geistvollen Elise von der Recke und des liebenswürdigen Tiedge, des „göttlichen Sängers der Urania", wird der „heitere Rat" jenes unvergleichlichen Kreises, den die letzte Herzogin von Kurland in Karlsbad und Löbichau um sich zu sammeln pflegte.^ Die täglichen Aufgaben der Rechtspflege bestimmten die Richtung seines Interesses, und seiner wissenschaftlichen Arbeit erwuchsen neue Anregungen aus den bunten Eindrücken des Lebens selbst. Noch einmal gewann er von hier aus ein Verhältnis zum Strafrecht. Nicht so sehr abstrakte Begriffe und theoretische Prinzipien interessieren ihn, als vielmehr das Studium der einzelnen Verbrecher selbst, ihre Persönlichkeiten, ihr Schicksal, ihr Fühlen und Handeln. Kriminalpsychologische Untersuchungen traten an Stelle philosophischer Deduktionen.^ Schon 1808 und 1811 hatte er „Merkwürdige Kriminalrechts- fälle" erscheinen lassen, und er berichtete mit Stolz, daß sie nicht nur in dem Studierzimmer der Gelehrten, sondern sogar hier und da „in den Boudoirs der eleganten Lesewelt" willkommene Aufnahme fanden.^ Doch waren sie noch nicht im eigentlichen Sinne die Frucht besonderer kriminalpsychologischer Neigungen. Es waren Berichte, die er in seiner Münchener Zeit in der Gnadeninstanz dem König erstattet hatte, ein „Aggregat von Ämtsarbeiten", und sie kamen vorwiegend „in ihrer ursprünglichen Gestalt und oft noch allzusehr mit dem von der Geschäftseile aufgeregten Staube bedeckt unter des Setzers Hand".'^ Erst als Präsident am Äppellationsgericht in Ansbach fand er rechte Muße zu eigentlichen kriminalpsychologischen Studien. Hier ward ihm der „Gerichtssaal zum Hörsaal", war er doch „einer nie versiegenden, überreichen Quelle merkwürdiger Rechtserfahrungen nahegestellt und ihm dabei die beneidenswerte Freiheit geblieben, nach eigener Lust so viel und so wenig daraus zu schöpfen, als er jedesmal seinen Bedürfnissen angemessen erachten mochte".'' So machte er es sich „zum erheiternden und belehrenden Geschäfte mancher Mußestunde", Kriminalfälle, die ihm im Gerichtssaal auffielen, in der

' Leben und Wirken I, S. 93.

- Vgl. hierzu: Jean Paul, Briefblättchen an die Leserin des Damen- taschenbuchs bei gegenwärtiger Übergabe meiner abgerissenen Gedanken vor dem Frühstück und dem Nachtstück in Löbichau, Sämlliche Werke Bd. 32, Berlin 1842, S. 327 ff., und Henriette Feuerbach, in: Änselm Feuerbachs Nachgelassenen Schriften Bd. I, S. 31 ff.

^ Vgl. für das Folgende den Aufsatz von Radbruch, Feuerbach als Kriminalpsychologe. Aschaffenburgs Monatsschrift, 6. Jahrg., S. 1 ff.

' Äktenmäßigc Darstellung merkwürdiger Verbrechen. Vorrede zur 2. Aufl. 3. Aufl., 1849, pag. III.

^ Ebendort pag. IV. '' Ebendort pag. IV.

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Stille der Studierstube erneut zu durchdenken, sie wissenschaftlich zu bearbeiten und sie zusammen mit anderen Darstellungen und Mitteilungen auswärtiger Gerichtshöfe zu einem „nicht unbedeutenden Kabinett seltener Delinquenten -Exemplare"^ zu vereinen. Aus dieser Sammlung im Verein mit Neubearbeitungen der alten ,, Geschäfts- arbeiten" erschien 1827 und 1829 in 2 Bänden die „Äktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen". -

In der noch ungeschriebenen Geschichte menschlicher Lebens- beobachtung und Seelenkunde wäre eine Geschichte der Verbrechens- darstellungen von besonderem Reiz. Gerade das 18. Jahrhundert war der Entwicklung der „Psychognosis", der „praktischen und künst- lerischen Seelenkunde, die um das Rätsel des Charakters bemüht ist", in besonderem Maße günstig.^ Dem Rationalismus, der die bunte Mannigfaltigkeit des Lebens in das nivellierende Gleichmaß abstrakter Vernunftgemäßheit zwang, erwuchs die Gegenströmung des Senti- mentalismus, der wieder subjektiven Gefühlen und innersten Empfindungen Anerkennung verschaffte.* An Stelle des Menschen, der nur ein abstraktes blutleeres Schema war, traten die Menschen, wie sie waren mit ihrem Sehnen und Fühlen, in ihrer ursprüng- lichen Verschiedenheit, losgelöst von den stereotypen Formen und Bindungen gesellschaftlicher Kultur und Zivilisation. Es begann jener Kult persönlichen, innerlichen Gefühlslebens, der im Sturm und Drang in jugendlicher Frische alte Formen zu sprengen suchte und von romantischer Naturschwärmerei und religiösem Pietismus befruchtet, über Werther und Susanne v. Klettenbergs „Schöner Seele" allenthalben dem „Triumph der Empfindsamkeit" die Wege ebnete. In einer Flut von Bekenntnissen, Tagebüchern, biographischen und Erziehungsromanen entstand eine breite Literatur einer analytischen Psychologie, die den Lebensgang des Einzelnen in seiner individuellen seelischen Entwicklung zu begreifen und darzustellen suchte. Von hier führen Fäden zur Moderne, zum realistischen Roman und zum naturalistischen Drama. Dabei standen jene beiden Richtungen keineswegs so unvermittelt einander gegenüber, wie es ihre innere Gegensätzlichkeit vermuten ließe. „Erkenne dich selbst!", war auch die Mahnung der Aufklärer,

* Ebendort pag. VI.

- Im folgenden zitiert nach der von Mittermai er 1849 besorgten, unveränderten 3. Ausgabe in einem Bande. Eine englische Übersetzung von Lady Duff Gordon erschien New York 1846, eine moderne deutsche Auswahl von Wilhelm v. Scholz München und Leipzig 1913 (2 Bände).

^ M. Dessoir, Abriß einer Geschichte der Psychologie (Ebbiiighaus- Meumann, Psychologie in Einzeldarstellungen IV). 1911. S. 3 und II ff.

' Zu dem Folgenden: M. Dessoir, Geschichte der neueren deutschen Psychologie I. Bd., 2. Aufl., 1910, S. 134-164.

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wo sie die Menschen neue Wege zu irdischer Wohlfahrt und Glück- seligkeit führen wollten. Was man aber als tiefstes Gefühl im Herzen zu empfinden glaubte, war oft ebenso der Wiederhall allgemeiner Ideen der Zeit, wie die Aufklärer immer wieder für die Gedanken allgemein- gültige Vernunftgemäßheit beanspruchten, die im Grunde allein ihrer eigenen Brust entsprungen waren. Ruch bei Kant sind beide Richtungen fühlbar: wie die „Metaphysik der Sitten" ein naturrechtliches System, enthält die „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht" ein psychologisches System rationalistischer Begriffe und abstrakter Sätze, und doch treibt es den Kant der „Kritiken", das Unerforschliche still zu verehren.

Jener neuen Freude an lebensvollen, psychologisch vertieften Selbstdarstellungen und Biographien entsprach ein erhöhtes Interesse an Schilderungen aus dem Leben auffallender Persönlichkeiten und an Berichten über Kriminalrechtsfälle. In Ännalen und Magazinen wurden Darstellungen aller möglichen Prozesse verbreitet. Schiller schrieb 1792 eine Vorrede zu einer deutschen Ausgabe von Rechts- fällen aus dem Pitaval,^ jenen Causes celebres et interessantes des Pariser Parlaments -Advokaten, die schon damals die klassische Sammlung bemerkenswerter Kriminalrechtsfälle waren. Der Dichter der „Räuber" erzählte die Geschichte vom „Verbrecher aus verlorener Ehre", jenes Wilddiebs, den erst die infamierende Wirkung der Festungsbau- strafe endgültig auf die Bahn des Verbrechens brachte: „Ich betrat die Festung, sagte er, als Verirrter und verließ sie als Lotterbube." „In der ganzen Geschichte der Menschheit, heißt es hier bei Schiller, ist kein Kapitel unterrichtender für Herz und Geist, als die Ännalen seiner Verirrungen."-

Indessen dies Interesse blieb keineswegs auf literarisch -ästhetische Bedürfnisse beschränkt. Dem Kriminalisten war neben der Tätigkeit in den Spruchkollegien die literarische Beschäftigung mit merkwürdigen Rechtsfällen eine willkommene Ergänzung der allgemeinen theoretischen Studien und Lehrtätigkeit. Gerade das Strafrecht der Äufklärungszeit, das den abstrakten, formalen Verbrechensbegriff herausgearbeitet hatte, bedurfte um so mehr der lebensvollen Darstellung wirklicher Verbrechen, indem es so im eigenen Fachgebiet das Doppelantlitz der Zeit, die logische Geschlossenheit des begrifflichen Rationalismus und das Streben nach intuitiver Erfassung ursprünglichen individuellen Lebens wiederspiegelte.

^ Merkwürdige Rechtsfälle als ein Beitrag zur Geschichte der Mensch- heit. Herausgegeben von Schiller, 2 Teile, Jena 1792.

-' Schillers Werke in 12 Bänden (Reclam), Bd. 10, S. 44. Vgl. V. Rohden, Schiller und die Kriminalpsychologie. Äschaffenburgs Monats- schrift II, S. 81 ff.

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Feuerbachs Buch bedeutet einen Höhepunkt in der Literatur der Verbrechensschilderungen. Hier war ein großer Künstler am Werk, der das Leben in unmittelbarer Plastik darzustellen versteht und zudem ein geborener Kriminalist, dem es tiefstes Bedürfnis ist, immer wieder das Verbrechen selbst, das Schicksal und die Persönlichkeit der Verbrecher zu studieren, menschliches Fühlen und Wollen auch in verborgenen und unverständlichen Regungen zu ergründen und den es in heißem Wissensdrang und aus einer letzten seelischen Veranlagung heraus immer aufs neue zu denen zieht, welche die Menschen aus ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen haben. So entstand eine echte Lieb- haberarbeit — Euphrosyne, der wohltätigsten der Grazien anvertraut ein Geschenk glücklicher Mußestunden und doch geschrieben unter dem zwingenden Müssen innerster Neigung. Nur was so aus schöpferischer geistiger Arbeit heraus erwachsen ist, wird wie Feuerbachs Buch auch heute noch nach seines Urhebers Worten „zwar nicht dem bloß um seinen Tagelohn arbeitenden Handwerker der Justiz, aber dem denkenden, zumal für die Gesetzgebungswissenschaft arbeitenden Rechtsgelehrten, dem Seelenforscher und dem Gerichtsarzte, dem Moralisten wie dem Pädagogen nicht unwillkommen sein und hin und wieder selbst dem- jenigen, der nur geistige Unterhaltung sucht, einige Befriedigung gewähren können".' Freilich mögen zu Feuerbachs Zeit an den Gerichten selbst wenig Männer gesessen haben, die so aus tiefstem Herzen sich zum Beruf des Kriminalisten bestimmt fühlten. War doch Feuerbach selbst noch die unmittelbar praktische Bedeutung kriminalpsychologischen Denkens für das einzelne Strafverfahren fremd. Ihn als Forscher trieb es immer wieder zu einer Untersuchung der psychologischen Bedingungen der Tat, des Gewebes mannigfaltiger Neigungen, Triebe, Gefühle und Wünsche, aber daneben sah er die Tätigkeit des Richters als ein rein juristisches Arbeiten, und jene ganze Psychologie war auch ihm etwas, das „gemeiniglich entweder ganz außerhalb der Grenzen streng richterlicher Beurteilung liegt oder höchstens nur nebenbei und in einzelnen Punkten ihren Gesichts- kreis berührt.""

Zweierlei ist für die Verbrechensauffassung jener Zeit charakteristisch: Neben dem Verbrecher aus edlen Motiven bevorzugt sie namentlich den großen Verbrecher, starke Naturen, und ist geneigt, in der verbrecherischen Persönlichkeit eine besondere Energie und Eigen- willigkeit zu sehen. „Bei jedem großen Verbrechen war eine verhältnis- mäßig große Kraft in Bewegung. Wenn sich das geheime Spiel der Begehrungskraft bei dem matteren Licht gewöhnlicherer Affekte versteckt,

* Äktenmäßigc Darstellung, Vorrede pag. Vif. - Ebcndort pag. IV

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so wird es im Zustand gewaltsamer Leidenschaft desto hervorspringender, kolossalischer ..." (Schiller).^ Es war die Zeit der ersten großen Shakespeare -Begeisterung in Deutschland, in der man sich an Kraftgenialischem berauschte und in den Königsdramen jene tragischen Konflikte zwischen der Eigengesetzlichkeit starker Persönlichkeiten und einer Ordnung für Menschen von mittlerem Maß erlebte. So zieht auch Feuerbach immer wieder Shakespearesche Gestalten und Verse heran. In seinen Verbrechensschilderungen klingt oft eine Bewunderung für seine Mördergestalten an, und der temperamentvolle Mann vermag auch dem Laster die Anerkennung innerer Größe nicht zu versagen. Mögen Reue und Geständnis den Richter zu milderem Spruch bestimmen, Feuerbachs Sympathie gilt den „großen Sündern", die, wie der Mörder Forster, durch kein Bekenntnis die Bürde ihrer Schuld verringern. „Wie ein aus Eisen gegossener Riese steht er da, mit Blut bedeckt, kalt, in sich verschlossen, unbewegt und unbeweglich, ebenso verabscheuungs- wert durch seine aus Tiger- und Schlangennatur zusammengesetzte Gemütsart als bewunderungswürdig durch die ungemeine Seelenstärke, mit der er schweigend das Geheimnis seiner Schuld standhaft bewahrt. " ^ Man mag auch heute noch an jenen Feuerbachschen Verbrechen, meist derb -brutalen Totschlägen, begangen in einer Zeit, in der noch nicht auch im Verbrechen die Raffinements moderner Technik an die Stelle persönlicher Kraft und Mutes getreten waren, etwas ursprünglich Gesundes finden und mit dem zeitgenössischen Rezensenten^ eine gewisse Sympathie empfinden für diese Taten „aus wilder Leidenschaft gezeugt, schnell beschlossen und richtig ausgeführt . . ., nichts von mattem Lebensüberdruß"! Aber man darf sich der Gefahr einer romantischen Konstruktion nicht verschließen, die von außen Dinge in das Bewußtsein des Verbrechers hineinträgt. Die Geschichte des Strafrechts hat gelehrt, wie verhängnisvoll die Vorstellung gewirkt hat, daß im Verbrecher eine besonders starke Energie lebt und daß es gelte, im Strafvollzug den Willen des Verbrechers zu brechen. Die Bewunderung der Stärke und Unbeugsamkeit verbrecherischer Neigungen hat nur zu oft den Blick dafür getrübt, daß, was als Konsequenz und Energie erschien, nur die Zwangsläufigkeit einer erkrankten Psyche war. Wenn wir von jenem standhaften Mörder Forster hören, wie er jahrelang im Zuchthaus die schwere Kette schleppt: „in seinen starren Zügen ist selten oder nie eine Veränderung wahrzunehmen, sein Kopf gleicht einer Marmorbüste, welche kein Leben zeigt außer in zwei großen, weit hervortretenden

^ Verbrecher aus verlorener Ehre, a. a. O. S. 44. ' Äktenmäßige Darstellung S. 364.

■' K. E. Schmid, Allg. Litcratur-Ztg. Jena und Leipzig 1809. Bd. III, Nr. 169, S. 141.

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Äugen, die meistens vor sich hin auf den Boden stieren und in welchen sich nichts ausspricht als Grimm und verbissene Verzweiflung"/ so regt sich in uns Heutigen der Verdacht einer schweren Psychose. Auf der andern Seite war es das Verdienst der Rufklärungszeit, das Allgemeinmenschliche im Verbrecher herauszustellen: „Alle Menschen werden Brüder . . .", nicht nur im Jubel der Freude und im Drang sittlicher Hingebung, sondern auch in der Erkenntnis, wie eng nebeneinander oft die Pfade der Tugend und des Lasters laufen. Den „Freund der Wahrheit" überrascht es nach Schiller nicht mehr, „in dem nämlichen Beete, wo sonst überall heilsame Kräuter blühen, auch den giftigen Schierling gedeihen zu sehen, Weisheit und Torheit, Laster und Tugend in einer Wiege beisammen zu finden". Würde ein zweiter Linne ein System menschlicher Triebe und Neigungen aufstellen, so fände man manchen, „dessen Laster in einer engen bürgerlichen Sphäre und in der schmalen Umzäunung der Gesetze jetzt ersticken muß, mit dem Ungeheuer Borgia in einer Ordnung beisammen".^ In diesem Sinne scheinbar unerklärliche Verbrechen auf letzte, allgemeinmenschliche Motive zurückzuführen, war vornehmlich das Ziel der Feuerbachschen Kriminalpsychologie. „Auf der tragischen Bühne der Verbrechen spielen ganz dieselben Triebfedern, welche nicht nur in viele krasse und glänzende Weltbegebenheiten, sondern auch alltäglich in den engen Kreis des bürgerlichen Lebens und der gemeinen geselligen Verhältnisse eingreifen."^ Solche Erkenntnis schließt alles pharisäerhafte Aburteilen aus, aber sie birgt bei Feuerbach wiederum die Gefahr in sich, die Sphäre des Normalen, in der der Mensch für sein Tun verantwortlich zu machen ist, auf Kosten des in ärztlichem Sinne Pathologischen zu weit auszudehnen. Wenn auch jede wahre sittliche Beurteilung den Menschen mit dem Maß mißt, das seinen individuellen psychischen und physischen Kräften entspricht, so erscheint doch jene „ideale Forderung" auf möglichste Ausdehnung des Umfangs menschlicher Selbstverant- wortung als ein Zeichen starken Glaubens an die Macht der sittlichen Kräfte im Menschen. Feuerbach, dessen strafrechtliche Lehren auf die Trennung von Recht und Moral aufgebaut sind, weilt hier gern bei Betrachtungen über die Regungen und Wandlungen sittlichen Lebens im Menschen. Das Bestreben der Verbrecher, auch wo sie nichts mehr zu verlieren haben, die „abscheulichsten Züge ihrer Missetaten" zu verbergen und abzuschwächen, ist ihm noch eine letzte Regung sittlichen Empfindens im Verbrecher. „Solches Zurückhalten ist ein stilles Opfer, womit selbst der Verbrecher widerwillig in seinem Herzen dem Guten

* Äklenmäßige Darstellung S. 366.

Verbrecher aus verlorener Ehre, a. a. O. S. 44 und 45.

" Äklenmäßige Darstellung, Vorrede pag. V.

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huldigt, und gehört zu den vielen Erscheinungen, in welchen selbst am Bösewicht sich offenbart, daß die Tugend kein leerer Name ist"/

Über allen Betrachtungen und Problemen aber steht die unvergleich- liche Kraft der Darstellung der Leben und Taten jener merkwürdigen Verbrecher selbst. Mit unvergänglicher Lebendigkeit treten sie noch heute aus den vergilbten Blättern vor uns. Anna Margaretha Zwanziger, die „deutsche Brinvillier", die Giftmörderin, der das geheimnisvolle Arsenik eine verhängnisvolle Verführung wurde, in das Glück fremder Menschen und Familien als Schicksal einzugreifen, die Fäden nach ihrem Willen lenkend und so, berauscht von dem Gefühl persönlicher Macht, sich für ein eigenes Leben voll Enttäuschungen schadlos zu halten. Wie das „frohe, tröstende Wiedersehen eines lang entfernten Geliebten" begrüßt sie vor Gericht den Anblick des „lieben Giftes". Pfarrer Riembauer, der ein verbrecherisches, sittenloses Leben mit scheinheiligen moralischen Spitzfindigkeiten zu rechtfertigen wußte und seine unbequeme Geliebte umbrachte, nicht ohne ihr vorher die priesterliche Absolution erteilt zu haben Tartuffe als Mörder. Seidel, der Räuberhauptmann, dessen Ehrgeiz es ist, ein zweiter Schinnerhannes zu werden, Thalreuter, der jugendliche Hochstapler. Aller Aberglaube der Zeit wird lebendig in der Geschichte des „Mädchen- schlächters" Bichel, der die armen Opfer seiner Habsucht lockt, in einen geheimnisvollen Erdspiegel zu sehen. Und so fort, eine lange Reihe, Menschen von unserem Fleisch und Blut und doch mit einem schmerzlich- fremden Ausdruck, wie die Kupfer zu Lavaters Physiognomischen Fragmenten, die gerade damals auch das Interesse des Kriminalisten erweckten. Und mit den Menschen werden Zeit und Landschaft lebendig: jene abgelegenen bayerischen Dörfer, die Stille des Einöd- hofs, die grausige Einsamkeit der Schwarzmühle im Sibbenthal, auch die alte Justiz mit ihrem ängstlich-sorgsamen Verfahren, die unendliche Geduld und die listige Schlauheit des Inquirenten, in den zurück- liegenden Fällen aus „Alt-Bayern" in ihren Mängeln nicht ohne eine gewisse Freude der fortgeschrittenen neuen Zeit über die Absonderlich- keiten der Vergangenheit geschildert. Ohne Zweifel war der ausgehende Inquisitionsprozeß solcher Seelenanalyse außerordentlich günstig. Der Inquisit, lediglich Objekt der Untersuchung, war genötigt, gleichsam wie auf dem Seziertisch der „eindringenden Sonde des untersuchenden Richters" stillzuhalten und sein Leben bis in seine letzten Regungen zu offenbaren.

So erscheint Feuerbachs Buch mit den Strömungen und Stimmungen seiner Zeit verbunden und zugleich als das reife Werk eines großen

' Ebendort S. 42.

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Künstlers, dem die Ursprünglichkeit unmittelbarer Intuition und die Kraft plastischer Darstellung über das Jahrhundert hinweg ungeminderte Wirkung sichern. Nie wieder hat die Kriminalpsychologie eine solche Höhe geistig bedeutender, lebensvoller Verbrecherstudien erreicht. In der Literatur nahmen in der Folgezeit Prozeßberichte zunächst noch einen breiten Raum ein. Die politischen Prozesse der Zeit vom Wiener Kongreß bis zu den 48 er Jahren boten eine Fülle von Material. Eine Flut von Schriften erschien, die teils dem Nachweis der Unschuld und Ehrenrettung politischer Märtyrer dienten oder zeigen wollten, wie not- wendig gerade im Hinblick auf die [deprimierenden Erfahrungen der Demagogenprozesse eine rechtsstaatliche Umbildung der Gerichts- verfassung und eine endliche Erfüllung der großen prozeßrechtlichen Reformforderungen waren, wie sie im Anklang an den neuen rheinisch- französischen Prozeß immer lauter erhoben wurden. Feuerbach hat sich selbst lebhaft noch für die aus dem Streit um den Wert der rheinischen Schwurgerichte bekannte Frage über „Fonks Unschuld" interessiert.^ Mancher Prozeß bot den Freiheitsmännern Anlaß, gegen „Geheime Inquisition, Censur und Cabinetsjustiz im verderblichen Bunde"" Sturm zu laufen. Aber die Darstellung eigentlicher Verbrechergestalten trat zurück. Als dann unter dem Einfluß der Hegeischen Philosophie die Strafrechtswissenschaft aufs neue unter die Abhängigkeit abstrakter Begriffsbildungen geriet, fehlten ihr realistische Verbrecherstudien aus der Hand kundiger Seelenschilderer, welche den Pulsschlag des Lebens unmittelbar zu fassen verstehen. In den neuen positivistischen Schulen stand bei den Kriminalanthropologen mehr das Somatisch -Physiologische im Vordergrund, während die soziologische Betrachtungsweise zu einer Entpersönlichung des einzelnen Verbrecherschicksals zugunsten eines Massenphänomens zu führen scheint. Es war hier ein naturwissenschaft- licher Einfluß, der auch in der Psychologie das Interesse an deskriptiver Einzeldarstellung zugunsten des Strebens nach quantitativ auswertbaren und beliebig überprüfbaren Feststellungen zurücktreten ließ. Erst neuerdings erwacht ein Bedürfnis, das einseitige Gravitieren nach der Naturwissenschaft durch eine Wiederanlehnung an die Arbeitsweise des Historikers zu überwinden. Geschichtsforscher und Psychologe haben in dem Verstehen des Wesens und des Entwicklungsganges individueller Persönlichkeiten ein gemeinsames Ziel. Damit ist der wissenschaftlichen Biographie auch von psychologischer Seite erneut Berechtigung und Wert anerkannt."^ Zur gleichen Zeit beginnt in der Kriminalpsychologie

^ Vgl. Hitzig, Erinnerung an Feuerbach. Annalcn der deutschen und ausländ. Kriminalrechtspflege XV (Neue Folge Bd. III). 1833. S. 398 ff. u. 410. ^ W.Schulz und C.Welcker, Karlsruhe 1845. » W. Stern, Differentiellc Psychologie 3. Äull. 1921. S. 4 f. und 318 L

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ein stärkeres Interesse, neben statistischer Erfassung allgemeiner Erfah- rungen und Beziehungen einzelne antisoziale Persönlichkeiten in ihren individuellen Lebensschicksalen und Charaktereigentümlichkeiten zu studieren. Was fehlt, ist das wahre Ethos des Kriminalisten, die Freude an der Beschäftigung mit dem Verbrechen in seiner kulturellen Eigenbedeutung. Unsere Wissenschaft ist zu einer Technik ratio- neller Verbrechensbekämpfung geworden, und sie hat vergessen, wie ihr Sternberg nicht ohne Berechtigung vorwirft,^ „daß nur das Interesse an dem Lebendigen, an dem Wesen, das Verbrechen heißt . . ., die Lockung, das Verbrechen zu sehen und in seinem Geheimnis und seiner Bedeutung kennen zu lernen," den Kriminalisten mit wirklicher Liebe und Hingebung in seiner Wissenschaft arbeiten lassen.

Feuerbach beschränkt sich in seinen Prozeßdarstellungen nicht auf eine Geschichtserzählung des Verbrechens oder eine Lebens- beschreibung des Verbrechers. Vielmehr gewähren seine Studien auch in der endgültigen Fassung noch einen Einblick in die Art, wie er selbst das Prozeßmaterial kritisch sichtete. Die Beweis- würdigung in jenen Verfahren läßt uns heute noch die ganze Struktur und Psychologie des späteren inquisitorischen Beweisrechts wie aus eigener Anschauung erkennen. Für das Problem der strafrechtlichen Zurechnung interessieren vor allem die Fälle, in denen Feuerbach die Frage prüft, ob der Täter vom strafrechtlichen Standpunkt aus als zurechnungsfähig zu betrachten ist. Dabei zeigt sich, daß Feuerbach an eine unmittelbare Anwendung seines theoretischen Begriffs der Zurechnungsfähigkeit in der forensischen Praxis niemals gedacht hat. Aus der Identifizierung von Zurechnungsfähigkeit mit Bestrafungsfähigkeit im speziellen Sinne der Äbschreckbarkeit hätte folgen müssen, daß nun in jedem einzelnen Fall zu prüfen sei: kann auf den Täter in normaler Weise durch Motive bestimmend gewirkt werden, vermag er insbesondere durch die Vorstellung sinnlich wirkender Strafübel vor verbrecherischen Neigungen abgeschreckt werden? nur ein solcher Täter ist zurechnungsfähig. Diese

^ Theodor Sternberg, Das Verbrechen in Kultur und Seelenleben der Menschheit. (Kobler, Das Recht, Bd. IX. Berlin 1912. S. 5.) In der umfangreichen Literatur moderner Kriminalromane handelt es sich nicht so sehr um das Seelenleben des Verbrechers, als um seine Ent- deckung und Überführung. Der mit allen Mitteln moderner Technik, persönlicher Tollkühnheit, kaum glaublicher Kombinationsgabe und mathe- matisch-klarer Berechnung arbeitende Detektiv ist der eigentliche Held dieser Literatur. Als Beispiel kriminalpsychologischen Interesses in der modernen Belletristik sei hier nochmals (vgl. oben S. 222, Änm. 1) an Jacob Wassermann erinnert, dem im „Christian Wahnschaffe" eine virtuose Darstellung der psychologischen Analyse eines Lustmords gelingt.

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Konsequenz hat Feuerbach niemals gezogen, von derartigen Unter- suchungen hören wir nichts. Im Gegenteil, auch da, wo offensichtlich von einer psychologischen Wirkung der Strafdrohung keine Rede sein kann, erleidet nach Feuerbachs Berichten die volle strafrechtliche Verantwortlichkeit keinen Zweifel. So beim Räuber Seidel, auf den auch die schlimmsten Strafen und die Androhung der Todesstrafe, als er das erste Mal vom Militär desertiert war, keinen Eindruck machten, und beim Maler Franz, der sich nicht dadurch von einem Raubmord abhalten ließ, daß er vorher an einem Hochgericht vorbei- gehen mußte. Hier rechtfertigt Feuerbach die Todesstrafe mit dem Zweck der Unschädlichmachung: „die zunehmende Unsicherheit in der Oberpfalz" forderte seinen Tod! Eine Argumentation, die zwar den Kriminalisten Fr. Meister nicht hinderte, zu bemerken, Feuerbachs Buch müsse endlich die bekehren, die noch an der Rechtmäßigkeit der Todesstrafe zweifelten,^ die aber seinen philosophischen Freund Niethammer zu der Erkenntnis führte, daß hier zugunsten einer Auffassung, die in der Hinrichtung allenfalls ein physisches Sicherungsmittel sieht, Feuerbachs eigentliche psychologische Theorie ad absurdum geführt ist."

Noch weniger konnte bei dem völlig aus Gedanken der General- prävention entwickelten Begriff der Zurechnungsfähigkeit davon die Rede sein, daß, wie es dem Lisztschen Zurechnungsfähigkeitsbegriff ent- sprechen müßte, gefragt wird, ob ich dem einzelnen Verbrecher gegen- über mit dem Vollzug der Strafe wirken kann. Es wirkt erschütternd und läßt die ganze Härte der Feuerbachschen Generalprävention empfind- lich hervortreten, wenn man sieht, mit welcher Skepsis er selbst zuweilen die Wirkung der Freiheitsstrafen ansah, denen er in seinem eigenen Gesetzbuch eine solch zentrale Stellung zugewiesen hatte. Mancher Verbrecher erlebt erst in der Strafanstalt die „hohe Weihe zu größeren Übeltaten'', und es geht ihm wie dem Mörder Wallis er, der bekannte: „Man hätte mich nicht in das Zuchthaus tun sollen, da bin ich erst böse geworden!" „Solche Äußerungen, sagt Feuerbach, an den Stufen

1 Ällg. Lit.-Ztg. Jena und Leipzig 1829. Bd. I., Nr. 2, S. 11.

- Ebendort S. 13. Die Autorschaft Niethammers an diesem Auf- satz nach Radbruch, Äschaflenburgs Monatsschrift VI, S. 8, Änm. 1. Ebenso wirft der Rezensent in Schunks Jahrbüchern der gesamten deutschen juristischen Literatur 13. Bd., Erlangen 1830, der den standhaften Mörder Forster spottend den „Held des psychologischen Zwangs" nennt, Feuerbach vor, er habe nichts zur Verteidigung seiner Theorie vorgebracht, die durch seine eigene Darstellung einer Reihe jener Fälle geradezu wider- legt sei (S. 144 ff. und 288). Vgl. auch Schunks Jahrb. Bd. I, S. 341-344, wo der gleiche Rezensent die nämlichen Einwände gegen Feuerbach bei einer Besprechung seines Lehrbuchs vorbringt.

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eines Schafotts klingen fast wie Anklagen gegen den Staat ! " ^ Ja, daß der 1 7jährige Hochstapler Thalreuter vor dem Ende seiner Strafzeit stirbt, ist nach Feuerbach geradezu ein Glück für die bürgerliche Gesellschaft wie für den Gefangenen selbst.^

So bleibt in Wirklichkeit die strafrechtliche Zurechnung völlig unabhängig von der Möglichkeit und Aussicht, mit der Strafe auf den Täter zu wirken. Der Abgrenzung zwischen Verantwortlichkeit und Unzurechnungsfähigkeit liegt vielmehr auch bei Feuerbach, so wie es dem banalen Empfinden entspricht, ein, wenn auch nicht bestimmt ausgesprochener, Begriff des Normalen zugrunde. Der normale, gesunde Mensch ist verantwortlich für sein Tun, auch und gerade vor dem Strafrichter. Nur Krankheit exkulpiert. Wo aber läuft die Grenze von gesund und krank? Das ist eine Frage, die eng verknüpft ist mit den psychologischen Anschauungen und psychiatrischen Kenntnissen der Zeit, in der sie gestellt und beantwortet werden soll.

Zwei Richtungen von polarer Gegensätzlichkeit haben sich in der Geschichte der Psychologie die Herrschaft streitig zu machen gesucht, je nachdem man den Willen oder das Wissen als das Primäre und für den Ablauf des psychischen Geschehens Entscheidende ansah. ^ Nach Thomas ius war der Wille das primum agens der Menschenseele. Der Wille bestimmt nach ihm die Richtung des Handelns, das der Verstand nachträglich mit seinen Urteilen begleitet. Den entgegen- gesetzten Standpunkt vertrat Christian Wolf f. Er sieht in den in der Seele vorhandenen Vorstellungen das Primäre : erst aus den Vorstellungen entstehen Lust- und Unlustgefühle, welche die seelische Kraft zu Hand- lungen treiben. Diese Gedanken Wolffs entsprachen dem Weltbild des Rationalismus und beherrschten mit diesem auch die psychologischen Anschauungen der Äufklärungsperiode. Sie kehren wieder in der auf englische Einflüsse zurückgehenden Lehre der Popularpsychologen von der determinierenden Kraft der Vorstellung, wie sie oben in den Gedankengängen Feders nachgewiesen wurde. ^ Solche Bevorzugung der Vorstellung findet selbst wieder ihre psychologische Erklärung in dem naheliegenden Bestreben, die unsichtbaren Vorgänge des Seelen- lebens in einer der sichtbaren Erscheinungswelt analogen Weise dar- zustellen, die lediglich funktionalen psychischen Beziehungen nach Art sinnlich wahrnehmbarer Gegenstände zu ver dinglichen. Darum tritt das Wollen, in dem das Wandelbare und Fließende seelischen Lebens in übergangsloser Bewegtheit zutage tritt, zurück hinter der

^ S. 48L - S. 467.

' Zu dem Folgenden: M. Dessoir, Geschichte der neueren deutschen Psychologie I. Bd., 2. Aufl., 1910, S. 60 f. und 76 f. * Vgl. oben Kap. IV, S. 145.

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Vorstellung, in der man gleichsam das innere Bild ihres äußeren Gegenstandes sah, wie dieser in relativ gleichbleibender Beschaffenheit beharrend. Aus der gleichen Wurzel entsprang die gleich jenen ersten Gedanken auch heute noch vorwissenschaftlichem Denken vertraute Tendenz, da, wo wir lediglich zur verständlichen Beschreibung eine Klassifikation seelischer Vorgänge ausführen, objektiv vorhandene, substantiell verselbständigte Gebilde, qualitativ bestimmbare seelische Fähigkeiten anzunehmen/ So nahm jene berühmte Vermögens- psychologie von Wolff ihren Ursprung, die in der Tetens sehen Trias: Gefühl, Verstand und Tätigkeitskraft ihren klassischen Ausdruck fand.^ Ihr erwuchs alsbald in dem Helmstedter Philosophieprofessor G. E. Schulze ein ernster Gegner, dessen „Änesidemus" von einer Kritik der Idee des Vorstellungsvermögens, wie sie Feuerbachs Lehrer Reinhold verfocht, ausging. Schulze bestritt die Berechtigung, von den Wirkungen der Seele auf bestimmte ihnen homogene Fähigkeiten zu schließen und zeigte, daß mit solcher Tautologie gar nichts erklärt sei : „Man hat aber schon längst eingesehen, daß die gemein üblichen Erklärungen gewisser Veränderungen und Tatsachen aus besonderen Ursachen und Vermögen derselben im Grunde nichts weiter aus- machen, als eine bloße Wiederholung der Erscheinung und der Tatsache selbst, deren Eigenschaften man erst begreiflich machen will, mit der Hinzufügung des Wortes , Kraft' oder , Vermögen' ".^

Feuer b ach hat zwar die Kritik des Schulzeschen Änesidemus in seiner erkenntnistheoretischen Jugendarbeit verwertet,^ aber seine eigenen psychologischen Anschauungen stehen noch ganz auf dem Boden der rationalistischen Vermögenslehre. Seine psychologische

1 Vgl. W. Wandt, Grundriß der Psychologie 9. Äufi. 1909. S. 6 ff. Otto Klemm, Geschichte der Psychologie. Leipzig 1911. S. 60 ff.

" J. N. Tetens, Philos. Versuche über die menschliche Natur I. Bd. Leipzig 1777. S. 625. Neudruck der Kantgesellschaft. Berlin 1913. S. 613.

" „Wenn man z. B. einen Stab aus dem Wasser zieht, so werden einige Tropfen daran hängen bleiben. Fragt man nun aber, woher dies rühre, so wird zur Antwort gegeben, der Stab habe ein das Wasser anziehendes Vermögen. Allein ist wohl durch diese Antwort das Faktum selbst im geringsten begreiflicher gemacht und dasjenige bestimmt worden, was den Tropfen am Stabe fester hält?" Änesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Professor Reinhoid in Jena gelieferten Elementarphilosophic. Anonym erschienen 1792, S. 106. Neudruck der Kantgesellschaft. Berlin 1911. S. 81. Vgl. auch M. Dessoir, Abriß einer Geschichte der Psychologie (Ebbinghaus-Meumann, Psychologie in Einzeldarstellungen IV). 1911. S. 158 f.

'' Über die Unmöglichkeit eines ersten absoluten Grundsatzes der Philosophie. Niethammers Philosophisches Journal einer Gesellschaft Teutscher Gelehrter Bd. II. Neustrelitz 1796. S. 306 ff., vgl. S. 316.

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Zwangstheorie geht von dem intellektualistischen Gedanken aus, daß aus der Vorstellung eines sinnlichen Übels dem Willen die Kraft erwachse, dem Gesetze gemäß zu handeln. Wo er die Motive verbrecherischer Handlungen darstellt, führen ihn seine Beobachtungen nicht nur zu bestimmten Charakterbezeichnungen, sondern diese konkretisieren sich ihm gewissermaßen zu besonderen seelischen Organen, zu einzelnen qualitativ konstanten, abgrenzbaren Vermögen, aus denen die Tat entspringt: „aus Eitelkeit", „aus Rachsucht", „aus Liederlichkeit", oder zu besonderen Kräften „Bosheit und Verlogenheit" , die im Innern des Täters miteinander kämpfen. Eben dieser Intellektualismus war auch entscheidend für die Art, menschliches Handeln zu verstehen und zu beurteilen. Indem er in einem bestimmten Maß seelischer Kräfte und Vorstellungen die als konstant gegebenen Voraussetzungen des zu erklärenden psychischen Verhaltens ansieht, verbleibt ihm als Erklärungsprinzip seelischen Geschehens und damit menschlichen Tuns überhaupt vorwiegend das Mittel logischer Interpretation.^

So waren die Methoden der Beurteilung menschlichen Handelns abhängig von den theoretischen Lehren der herrschenden psycho- logischen Doktrin. Daß zu der speziellen Frage der Abgrenzung normalen und pathologischen Seelenlebens die empirische Medizin das entscheidende Wort zu sagen hat, war damals alles andere als selbstverständlich. Jahrhundertelang hatte die Theologie die Beur- teilung und Behandlung der „Seelenkrankheiten" für sich in Anspruch genommen. Auch auf diesem Gebiet führte erst die Aufklärungszeit zu einer Säkularisation. Dabei ging um das Erbe der Theologie ein lebhafter „Streit der Fakultäten". Namentlich auf dem Gebiet der damals jungen forensischen Psychiatrie erhoben philosophische Psychologie und empirische Medizin den gleichen Anspruch, zur Entscheidung über die Zurechnungsfähigkeit berufen zu sein." Kant hatte „die Frage, ob der Angeklagte bei seiner Tat im Besitz seines natürlichen Verstandes- und Urteilsvermögens gewesen sei",

' Vgl. W. Wundt und Otto Klemm a. a. O.

Zur Geschichte der Psychiatrie jener Zeit vgl. außer den im Text angeführten zeitgenössischen Autoren: August Hirsch, Geschichte der medizinischen Wissenschaften in Deutschland (Geschichte der Wissenschaften in Deutschland, Neuere Zeit 22. Bd.). 1893. S. 623 ff. S. Kornfeld, Geschichte der Psychiatrie. Puschmann- Neupurger -Pagcl, Handbuch der Geschichte der Medizin III. Bd. Jena 1905. S. 601— 728. M. Dessoir, Geschichte der neueren deutschen Psychologie 2. Aufl., I. Bd. Berlin 1910. S. 524 ff. Th. Kirchhoff, Geschichte der Psychiatrie. Aschafienburgs Handbuch der Psychiatrie. Allgem. Teil, 4. Abt. Leipzig und Wien 1912. S.22ff. Carl Jaspers, Allgemeine Psychopathologie 2. Aufl. Berlin 1920. S. 404 ff. Von speziellem Interesse für die Entwicklung der gerichtlichen

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als „gänzlich psychologisch" bezeichnet.^ Denn „obgleich körperliche Verschrobenheit der Seelenorgane vielleicht wohl bisweilen die Ursache einer unnatürlichen Übertretung des Pflichtgesetzes sein möchte", so sind Ärzte und Psychologen nicht imstande, die „Anwandlung zu einer Greueltat" aus physiologischen Momenten zu erklären vollends nicht, ehe sie den Delinquenten seziert haben ! Gar eine von Juristen betriebene Medicina forensis wäre „Einmischung in fremdes Geschäft, wovon der Richter nichts versteht, wenigstens es, als zu seinem Forum nicht gehörend, an eine andere Fakultät verweisen muß".'^ So steht am Eingang der Entwicklung der forensischen Psychologie der Hallenser Philosophie -Professor Joh. Christ. Hoffbauer. Seine

Psychologie: R. v. Krafft-Ebing, Lehrbuch der gerichtlichen Psychopa- thologie 2. Aufl. Stuttgart 1881. S. 1—9. W.Weygandt, Die Entwicklung der gerichtl. Psychiatrie u. Psychologie. Aschaffenburgs Monatsschrift VIII, S. 209 ff., und mit besonderer Kennzeichnung der Bedeutung Feuerbachs: H. Reichel, Über forensische Psychologie. München 1910. S. 8 f.

* Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. 1798. Äkademie-Äusgabe Bd.YII, S. 213 f.

* Diese gleiche naiv somatisch-materialistischc Auffassung der Medizin führte den Heidelberger Psychiater Friedrich Groos zur Ablehnung der Todesstrafe. „. . . wie kann noch, frage ich, der Gerichtsarzt, ohne vor sich selbst zu erschrecken, den Verbrecher, in dessen Inneres er erst nach der Sektion des Leichnams einen schwachen, nur etwas genügenden Blick tun kann, bei Leben für zurechnungsfähig der Todesstrafe erklären?" Untersuchungen über die moralischen und organischen Bedingungen des Irreseyns und der Lasterhaftigkeit. Heidelberg und Leipzig 1826. S. 71.

" Im Grunde berührte sich diese Zuständigkeitsverteilung noch eng mit der älteren Auffassung, wonach die Behandlung Seelenkranker Sache der Theologen sei. Das zeigt ein tragischer Fall aus Hamburg vom Jahre 1803. Der ehemalige Prediger Rüsau hatte aus Nahrungssorgen seine Frau und seine fünf Kinder umgebracht. Ein Gutachten zweier Arzte stellte eine geistige Erkrankung fest. Darauf wurde eine Kommission von neun Hamburger Gelehrten zur Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit herangezogen, je drei der juristischen, medizinischen und philosophisch- theologischen Fakultät. Während zwei Juristen und ein Mediziner für Unzurechnungsfähigkeit eintraten, gelang es dem Direktor der Gelehrtenschule Johanneum, Prof. Gurlitt, und zwei Pastoren, die Majorität für Anerkennung der vollen Verantwortlichkeit zu gewinnen. Infolgedessen bestimmte das Urteil, Rüsau sei „sich selber zur wohlverdienten Strafe und andern dergleichen leidenschaftlichen, um alltägliche Sorgen des Lebens willen sich feige der Verzweiflung ergebenden Menschen zum abschreckenden Beispiel, nach dem Richtplatz zu führen und mit dem Schwerte vom Leben zum Tode zu führen". Das Urteil wurde vom Ober- gericht in Rädern von obenher umgewandelt und entsprechend vollstreckt. Vgl. die zum Teil auf ungedrucktes Material des Hamburger Staatsarchivs gestützte Hamburger Dissertation von R. Brachmann, Ein Beitrag zur Geschichte der forensischen Psychiatrie: Der Fall Rüsau.

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„Psychologie in ihren Hauptanwendungen auf die Rechtspflege" (1808) war von grundlegender Bedeutung;^ Heinroth kam sich 13 Jahre später mit seinem „System der psychisch -gerichtlichen Medizin" wie mit einer „Ilias post Homerum" vor." Hoffbauer ging von der Vermögenspsychologie aus. Aber so sehr diese Auffassung in ihrer Tendenz, die psychischen Erscheinungen zu vergegenständlichen, dem psychologischen Intellektualismus verwandt ist, so versagte doch Hoffbauer keineswegs den manischen Zuständen, der mangelnden Herrschaft über gesteigerte Begierden grundsätzlich die Anerkennung als Krankheiten. In der Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit ist Hoffbauer völlig abhängig von den Folgerungen der psychologischen Zwangstheorie. Ohne Feuerbach zu nennen, wird ganz wie in der „Revision" Zurechnungsfähigkeit mit Äbschreckbarkeit identifiziert.^ Infolgedessen muß der Unverbesserliche „als ein Kranker behandelt werden, den man nur für die bürgerliche Gesellschaft unschädlich machen will",^ der Beschränkte und der durch starke Affekte zur Tat Determinierte aber durch härteres Strafübel abgeschreckt werden. Unzurechnungsfähig ist somit ganz im intellektualistischen Sinne nur derjenige, dem das Bewußtsein seines Tuns fehlte.^ Für die praktische Gutachtertätigkeit findet sich Hoffbauer damit ab, daß der Staat besondere Ärzte zu Sachverständigen autorisiert. Rd hoc Psychologen als Experten anzustellen, wäre so, „als wenn man zu öffentlichen Untersuchungen der Weine, die in den Handel kommen, besondere Chemisten anstellen und sich hierbei nicht auf das Gut- achten des Stadtphysikus verlassen wollte"!''

Auf dem Wege der praktischen empirischen Arbeit drangen die Ärzte in das Gebiet der forensischen Psychologie. Kants Königsberger Kollege Metzger trat für den „wahren Naturphilosophen", den Arzt^ ein die Philosophen selbst seien in zu viele Schulen geteilt. Zacharias Platner hatte bereits 1740 die Forderung vertreten : „Medicos de insanis et furiosis audiendos esse!"^ Diese Entwicklung wurde

' Joh. Christ, Hoffbauer, Die Psychologie in ihren Hauptanwendungen auf die Rechtspflege nach den allgemeinen Gesichtspunkten der Gesetzgebung oder die sog. gerichtliche Ärzneiwissenschaft nach ihrem psychologischen TeU. Halle 1808.

' Heinroth, System der psychisch- gerichtlichen Medizin. Leipzig 1825. S. 6.

» Hoffbauer, a. a. O. S. 11, Änm., und S. 181.

* Hoffbauer, a. a. O. S. 188 ff.

= Hoffbauer, a. a. O. S. 182 f. und 194

'^ Hoffbauer, a. a. O. S. 4.

' Zacharias Platner, Programma quo ostcnditur medicos de insanis^ audiendos esse. 1740.

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namentlich durch die Entstehung der ersten großen Heilanstalten gefördert, wo der Arzt, in enger Gemeinschaft mit dem Kranken lebend, eine Fülle von Beobachtungen machen konnte. Berühmt war die Salpetriere, an Stelle einer früheren Salpeterfabrik im Südosten von Paris, in neuerer Zeit durch Charcots Wirken bekannt und noch heute im Betrieb. Später wurde weit vor den Toren der Stadt der Bicetre eröffnet.^ Von den Pariser Ärzten waren vor allem Pinel, der Leiter der Salpetriere, und sein Schüler Esquirol, „die überragende Persön- lichkeit, zu Beginn der kontinuierlichen Entwicklung der psychiatrischen Wissenschaft" (Jaspers)-, von großer Bedeutung für Deutschland, wo namentlich Reil (nach Langermanns Vorgang) als Vorkämpfer für systematische Änstaltsbehandlung zu nennen ist.

Reils Wirken galt vor allem den sozialen Schäden. So wie sein Freund, der Prediger Wagnitz, nach Howards Vorbild, die Gewissen wachzurufen suchte angesichts der Barbareien des überkommenen Gefängniswesens, wollte er für eine humane und sinnvolle Ausgestaltung der Einrichtungen für Geisteskranke eintreten. Die Irren bildeten mit Verbrechern, Landstreichern, Armen, Arbeitsscheuen, allen, mit denen Staat und Gesellschaft nichts anzufangen wußten, die bunt zusammen- gewürfelten Bewohner der alten Zucht- und Werkhäuser „wie die Pandekten ohne System, oder konfus, wie die Ideen ihrer Köpfe!" „Wir sperren diese unglücklichen Geschöpfe gleich Verbrechern in Tollkoben, ausgestorbene Gefängnisse, neben den Schlupflöchern der Eulen in öde Klüfte über den Stadttoren oder in die feuchten Kellergeschosse der Zuchthäuser ein, wohin nie ein mitleidiger Blick des Menschenfreundes dringt und lassen sie daselbst angeschmiedet an Ketten in ihrem eigenen Unrat verfaulen. Ihre Fesseln haben ihr Fleisch bis auf die Knochen abgerieben und ihre hohlen und bleichen Gesichter harren des nahen Grabes, das ihren Jammer und unsere Schande zudeckt.""^ Hier ist schon um des Gebotes staatlicher Selbsterhaltung willen gründlicher Wandel geboten. Zunächst verlangt Reil Trennung zwischen bloßen Bewahrungsanstalten und eigentlichen Heilanstalten. Diese sollen mit geringer Belegzahl in anmutiger Gegend mit freundlicher Ausstattung ohne vergitterte Fenster und zu hohe den Ausblick hindernde Mauern, mit Gelegenheit zu verständiger Arbeit im Freien und allen medizinischen Einrichtungen errichtet werden.^ Die Behandlung darf nicht einem

^ Nach einer freundlichen Mittcilunj^ von Prof. Weygandt, Hamburg.

' Karl Jaspers, Allgemeine Psychopathologie 2. Aufl. 1920. S. 404.

" Joh. Christ. Reils Rhapsodien über die Anwendung der psychischen Kurmethode auf Geisteszerrüttungen II. Ausg. Halle 1818. S. 14 f.

' Zur Frage der Finanzierung dieses Projekts schreibt Reil den beherzigenswerten Satz: „Man überzeuge die reichen Kapitularen, daß das Übermaß des Fettes ihren Nachfolgern ungesund sei ..." A. a. O. S. 478.

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..bloßen Körperarzt" anvertraut werden, denn „es ist ein empörendes Schauspiel, wenn man zusieht, wie übel der handfeste Empiriker mit seinen Geisteskranken umspringt. Gleich einem blinden Maulwurf wühlt er sich in ihre Eingeweide ein und sucht die Seele auf, wo die Natur die Werkstätte für die niedrigsten Operationen der Tierheit angelegt hat. Deklinationen des Denkvermögens will er durch Verdünnung eines atrabilarischen Bluts und durch Schmelzung stockender Säfte im Pfort- adersystem berichtigen, Seelenschmerz mit Niesewurz und verkehrte Gedankenspiele mit Klistierspritzen bekämpfen. Wehe dem Ebenbildc Gottes, das unter einen solchen Hobel fällt! "^ Freilich, die psychische Kurmethode, der Reil seine Rhapsodien widmet (1803), läßt ein wirkliches Verständnis für seelische Beeinflussung der Kranken zumeist völlig vermissen. Sie ist nicht viel mehr als ein Versuch, mit plumpen, der normalen Erfahrungswelt entnommenen Mitteln den Symptomen der Erkrankung entgegenzuwirken: Erheiterung des Melancholikers, Beruhigung und Zwang zur Konzentration beim Maniakus, Erregung des Kataleptikers, der etwa in einen Kübel mit lebenden Aalen gesteckt wird. Im Anfang der Behandlung steht die Erzwingung des Gehorsams im Vordergrund, wozu Hunger und Durst und der Gebrauch des Ochsenziemers als taugliche Mittel empfohlen werden. Immer soll möglichst intensiv und überraschend auf den stumpfen Geist gewirkt werden: wie in Jean Paulschen Romanen lesen wir von den Schrecken geheimnisvoller Grotten, plötzlichen Kanonenschlägen, Totenhänden, Eis- säulen, dumpfen Glocken in finsteren Gewölben. Das erscheint wie eine rationalistische Reminiszenz an mittelalterliche Geisterbeschwörungen.

Für die Frage der Beurteilung krimineller Handlungen sind Pinel, Esquirol und Reil wichtig durch ihre Stellung zur Monomanien- lehre. Diese Lehre, die den Inhalt verschiedener, im Leben auffallender äußerer Verhaltungsweisen als besondere Krankheiten klassifizierte Hypochondrie, religiöser Wahn, Mordmonomanie usw. , ging im Grunde an den eigentlichen Symptomen und der Ätiologie der Erkrankungen vorbei und war darum bald zur Unfruchtbarkeit verdammt." Sie ist aber in diesem Zusammenhang von Bedeutung, als erster Versuch, Abnormitäten des Trieblebens und pathologisch -veränderte Formen der Willensbildung auch in solchen Fällen als krankhaft zu erkennen, in denen der intellektuelle Habitus unversehrt schien. Gerade jene ersten großen Anstaltsärzte haben immer wieder auf die Fälle der Manie sans delire ou fureur maniaque non delirante, auf die „Wut ohne Verwirrtheit" hingewiesen, bei denen der Kranke seine anscheinend

Ä. a. O. S. 138 f.

Jaspers, Allgemeine Psychopathologie II. Aufl. 1920. S. 167 f.

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völlig intakte, oft geradezu raffinierte Überlegung in den Dienst seines abnorm gesteigerten Trieblebens stellt.^ Sie sahen das Krankhafte in dem automatischen Zwang, unter dem jene Unglücklichen Grausamkeiten und Sinnlosigkeiten begingen, obwohl sie in ihren Wahrnehmungen, ihrer Einbildungskraft, in ihrem Verstand „ganz vernünftig" schienen. Eben dieser Widerspruch war den Gegnern ein Grund, diese Lehre zu verdammen, in der man oft nur einen Vorwand sah, Schuldige dem Strafrichter zu entziehen. Unter dem Eindruck intellektualistischer Psychologie verneint Adolf Henke die Möglichkeit krankhafter Störung der Willensbildung bei „vollkommenem Selbstbewußtsein und ungestörtem Vernunftgebrauch".- Die Skepsis gegenüber der partiellen Erkrankung einzelner Triebe war gewiß berechtigt, verfehlt nur der Gedanke, daß tatsächlich das Gesamtverhalten, an dem nichts Äußeres auffiel, gesund war und deshalb „der des Vernunftgebrauchs nicht Beraubte nicht für toll ausgegeben werden könnte". Dazu kamen Bedenken wegen der Konsequenzen in der Zurechnungslehre: Es wäre dann ja jeder Mensch von Zeit zu Zeit toll, jeder „Jüngling, der ehrenrührige Reden und Beschimpfungen durch tätliche Züchtigung rächt, jedes Mädchen, das von sinnlicher Lust überwältigt, sich dem Verführer hingibt".^

Vollends Heinroth bekämpfte von der hohen Warte metaphysischer Konstruktionen die Lehre von der Unzurechnungsfähigkeit manisch Erregter. Von der „lebendigen Anschauung" in der psychisch -gericht- lichen Medizin, die „den Psychologen in ihren Studierstuben ebenso abgeht, wie sie den Ärzten in den Krankenstuben fast täglich entgegen- kommt",^ merkt man in den Schriften Heinroths selbst, der den 1813 begründeten Lehrstuhl für psychische Heilkunde an der Universität Leipzig inne hatte, herzlich wenig. Ihm „reicht Empirie für die Voll- endung der psychischen Medizin nicht hin" ^ so hat er nicht umsonst noch nach seiner Promotion sich auf das Studium der Theologie geworfen.

' Reil, a.a.O. S. 387 ff. Pinel, Philosophisch -medizinische Ab- handlung über Geistesverwirrung oder Manie. Aus dem Französischen übersetzt von W. Wagner. Wien 1801. Esquirol, Bemerkungen über Mordmonomanie. Aus dem Französischen mit Zusätzen von M. I. Bluff. Nürnberg 1831.

* Henke, in Zeitschrift für Staatsarzneikunde. 1829. Heft 2, S. 247. Vgl. Esquirol-Bluff, Über Mordmonomanie. 1831. S. 97 und 100.

' R. Henke, Abhandlung aus dem Gebiet der gerichtlichen Medizin Bd. II. Bamberg 1816. S. 233 ff., insbesondere S. 259.

^ J. Chr. R. Heinroth, System der psychisch -gerichtlichen Medizin. Leipzig 1825. S. 6.

^ Heinroth, Lehrbuch der Störungen des Seelenlebens. Vom rationalen Standpunkt aus entworfen. Tl. 1 und 2. Leipzig 1818. Tl. 1, S.VI und 170.

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Psychische Krankheit erscheint ihm als Verstrickung der freien Persön- lichkeit in Abhängigkeit und Unfreiheit; Ursachen der Hemmung und Störung des wahren freien Lebens aber sind Leidenschaften und Wahn, Laster und Sünde. Nur in der erlösenden Kraft des Glaubens, dem Frommen allein verständlich, liegt der Weg zur Reinheit und Lauterkeit des menschlichen Wesens, zu wahrer geistiger Gesundheit; denn Gott- seligkeit ist zu allen Dingen nütze !^ Freilich die Folgerung, die ihm Groos entgegenhielt, daß wir alle „Sünder allzumal" sind und es darum gar keine Geistesgesunden geben könne,' hat Heinroth nicht gezogen. Mit unerbittlichem Rigorismus zieht er eine scharfe Grenze zwischen der absoluten Unfähigkeit des unfreien Zustandes und voller Zurechnungsfähigkeit. Eine verminderte Zurechnungsfähigkeit kennt er nicht, eine partielle Erkrankung im Sinne der Manienlehre lehnt er ähnlich wie Henke ab, wobei auch er nicht zugeben will, daß jene partielle Störung das Symptom einer sonst nicht erkennbar hervor- tretenden Gesamterkrankung sein könnte.^ Und in bezug auf die strafrechtlichen Fragen: „Wenn die Macht der Begierden und Leiden- schaften ein Schutzmittel gegen die Zurechnungsfähigkeit wäre, was sollte da aus der Rechtspflege werden?"^ „Heißt es also nicht, fragt ähnlich C. W. Hufe 1 and, geradezu die Leidenschaft, die Tierheit im Menschen, die Immoralität und Irreligiosität (!) sanktionieren und legalisieren, wenn man die Ausbrüche derselben unter dem Namen Monomanie entschuldigen und gesetzlich straflos erklären wolle? Denn man vergesse doch nicht die rückwirkende Kraft der Strafe . . ."^ Es konnte keinem Zweifel unterliegen, auf welche Seite sich die Juristen in diesem medizinischen Streit stellten. Hitzig sah in der Lehre von der Monomanie die „nämliche Gesinnung, welche den Deklamationen gegen die Todesstrafe zum Grunde liegt . . ., den Verbrecher als den Bedauernswerten darzustellen, der nicht eigene Verschuldung trägt, sondern einem unabwendbaren Verhängnis unterlegen" ist.*'

^ Lehrbuch der Störungen des Seelenlebens Tl. 2, S. 63 ff. ^ Fr. Groos, Untersuchungen über die moralischen und organischen Bedingungen des Irrseyns. Heidelberg 1826. S. 26 f.

* Vgl. Heinroth in E. Hitzigs Zeitschr. f. d. KriminalrechtspHege in den preußischen Staaten Bd. VIII, Berlin 1828, S. 152 f.: „Die amentia occulta aber kommt mit den ehemaligen qualitatibus occultis in die gleiche Rubrik, in die des Unerweislichen. Jede Krankheit hat ihre Zeichen. Eine Krank- heit, die dergleichen nicht hätte, könnte auch nicht erkannt werden".

* System der psychisch-gerichtlichen Medizin S. 16.

^ Hitzigs Ännalen der deutschen und ausländischen Kriminalrechts- pflege III. Bd., 5. Heft. Berlin 1829. S. 394. ^ Ebendort S. 39L

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So hatte sich der „Streit der Fakultäten" von der philosophisch- medizinischen zur medizinisch -juristischen Seite gewandt, und er wurde jetzt weniger um die Zuständigkeit zur Beurteilung überhaupt, als um die Art der Behandlung des Delinquenten selbst geführt, nicht zum Vorteil eben dieses. Wie unzureichend freilich das durch Henke und Heinroth geförderte System ist, wonach der Richter dem Arzt die Frage in der stereotypen Formel: „Willensfreiheit?" vorlegt, hat schon damals Clarus erkannt/ Beide Wissenschaften sollten nicht durch eine Formel getrennt, sondern in gegenseitigem Verstehen und wechselseitiger Unter- stützung zusammenarbeiten, beginnend mit einer durch Gelehrte aller Fächer geleiteten Universitätsausbildung. Der Richter habe dann den Arzt zu fragen, ob in der und der konkreten Beziehung der „Vernunft- gebrauch" als aufgehoben betrachtet werden muß. Auch müsse dem i\rzt ein non liquet gestattet sein. Nur so sei die Medizin so tritt immer stärker der Einfluß des „Standesinteresses" in den Debatten über Zurechnungsfähigkeit hervor vor dem Vorwurf geschützt, die Ärzte erklärten jeden Menschen für unzurechnungsfähig, bei dem sich „irgend einmal in einem Zustand von Beunruhigung des Blutumlaufs oder der Nerven etwas Ungewöhnliches und Auffallendes in seinem Benehmen gezeigt hat" und ließen so „jede Kriminaluntersuchung aus den Händen der Richter in die Hände der Arzte über- gehen!"^

So waren innerhalb der Mediziner selbst die Meinungen keineswegs geklärt. Es trug nicht zur Milderung des Streites bei, daß den ver- schiedenen Richtungen letzten Endes der Gegensatz der voluntaristischen und intellektualistisch-rationalistischen psychologischen Gesamtauffassung zugrunde lag. Zugleich im engsten Sinne des Wortes ein Kampf um die Seele des Delinquenten, indem die einen die Berechtigung zu einem Einschreiten des Strafrichters in eben den Fällen aufs entschiedenste bestritten, wo die andern vor einem unberechtigten Nachlassen straf- rechtlicher Energie warnen zu müssen glaubten.

Man darf in Feuerbachs kriminalpsychologischen Studien nicht ein vorbehaltloses Bekenntnis zu einer bestimmten ärztlichen Schule suchen. Heinroths Theorie vom Zusammenhang zwischen Sünde und Wahnsinn lehnt er gelegentlich grundsätzlich ab, um dann wieder dem Gedanken, daß Willensfreiheit bei Seelenstörungen nur durch einen Akt der Freiheit selbst, d. h. durch Sünde, aufgehoben werden kann, eine „logische Konsequenz" anzuerkennen.'' Hat doch auch er

^ Joh. Christ. Ku^. Clarus, Beiträge zur Erkenntnis und Beurteilung zweifelhafter Seelenzustände. Leipzig 1828. =" Clarus, a. a, O. S. 226 f. ' Vgl. Äktcnmäßige Darstellung S. 131 mit S. 420, Änm. 3.

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die Willensfreiheit allein dem Gebiet des sittlichen Handelns vor- behalten. Er hat ein periodisches Irresein anerkannt und dann wieder die Vorstellung eines partiellen Wahnsinns abgelehnt/ Im Grunde gehört er zu den Gegnern der Monomanienlehre. Mit einer aus- gesprochen intellektualistischen Anschauungsweise vermochte er den Vorgängen der Willensbildung nicht gerecht zu werden. Wo man den Eindruck von Wahnvorstellungen hatte, wo sich aulfallende Wider- sprüche, Sinnlosigkeiten im Handeln zeigten, da glaubte er an geistige Störungen. Wo aber der Täter „ganz vernünftig" schien, wo er in verständlicher und logisch einwandfreier Weise bestimmte Zwecke durch geeignete Mittel zu erreichen suchte, da konnte von einer „Verstandeszerrüttung" keine Rede sein. Übernormal gesteigertes Triebleben, übermäßige Äffektivität und Hemmungslosigkeit Er- scheinungen, denen die Monomanielehre in einem ersten tastenden Versuch gerecht zu werden sich mühte vermochte Feuerbach nicht als krankhaft anzuerkennen, solange des Täters Vorstellungs- leben ungetrübt und seine Handlungsweise folgerichtig blieb. Mit unerbittlicher Strenge werden solche Regungen, auch wo sie mit unwiderstehlicher Gewalt den Menschen beherrschen, als Leiden- schaften angesehen, für deren ersten Ursprung zumindest der Täter selbst verantwortlich zu machen ist. Wer aber nicht selbst seiner Leidenschaften und Triebe Herr zu werden vermag, den zu bändigen ist Aufgabe und Pflicht des staatlichen Strafrechts. Von diesem Gedanken aus weist Feuerbach die Ansprüche der Ärzte zurück, die das Gebiet des Pathologischen auch auf die Fälle über- mäßig gesteigerten Trieblebens auszudehnen und damit nach seiner Meinung lediglich einer konsequenten Strafrechtspflege in den Hrm zu fallen suchten. Hier verficht Feuerbach mit aller Starrheit und Unduldsamkeit den Standpunkt, daß, mochte man das sittliche Urteil immerhin dem ewigen Richter der Gesinnungen überlassen, das Recht jedenfalls von jedem Menschen eine unbedingte Beherrschung seiner Leidenschaften und Triebe fordert, und er mag die Berechtigung zu solch unerbittlichem Rigorismus nicht zuletzt in dem eigenen lebenslänglichen Kampf strenger Selbstdisziplin mit den Feuern seines leidenschaftlichen Temperaments gefunden haben.

Solche Gedanken sind nicht wie die Zurechnungslehre der „Revision" bloße Theorien, hervorgegangen aus philosophischen Besinnungen der stillen Studierstube. Hier stehen unmittelbar Menschenschicksale auf dem Spiele, deren Gestalten aus den Blättern seiner Verbrecher- geschichten erschütternd aufleben. Und wenn dabei der Gedanke

' Vgl. Äktenmäßige Darstellung S. 237 mit S. 412. ^ Radbruch, flschaffenburgs Monatsschrift VI, S. 7.

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der Ableitung des Begriffs Zurechnungsfähigkeit aus der Bestrafungs- fähigkeit keine fruchtbare Fortbildung fand, so wird hier eine andere Verbindung mit der psychologischen Zwangstheorie sichtbar. Auf die sinnliche Triebfeder sollte nach Feuerbach das Strafgesetz wirken, die Strafe das wohl auskompensierte Gegenmaß gegen die zum Verbrechen drängenden Leidenschaften sein wie konnte er anders, als sich mit aller Energie gegen eine Zurückdrängung des Strafrechts von seiner ureigensten Aufgabe zur Wehr setzen?

Nichts wirkt mehr zur Besinnung und zur Bescheidenheit, als eine Geschichte der menschlichen Irrtümer. So reden jene hilflosen Gestalten eine ernste Sprache, die zu ihrer eigenen schweren Mitgift den Aberglauben und die Vorurteile der Welt jener Tage, Böswilligkeit und Verständnislosigkeit oft der Nächsten tragen mußten, bis schließlich vor dem Strafrichter ihr Schicksal bestimmt wurde von dem Streit wissenschaftlicher Kontroversen.

Als ein Beispiel notorischer Geisteskrankheit erzählt Feuerbach die Geschichte des jungen Sörgel. Seit seiner Jugend Epileptiker, in Wahnideen verfangen, in denen der ganze übersinnliche Reichtum des alten Volksaberglaubens wiederklingt, lebt er im Armenhaus. Unklare mystische Gedanken verdichten sich ihm zu bestimmten Vorstellungen, er erschlägt einen Arbeiter im Wald mit dem Beil und haut ihm die Füße ab. Ohne Zögern gesteht er die Tat ein: er wollte Armsünderblut trinken, um von der Fallsucht geheilt zu werden, und er hätte ihm die Füße abgeschlagen, indem er wie Feuerbach interpretiert daran dachte, daß seine eigenen Füße von einer Kette, an die er während seiner Anfälle geschlossen wurde, befreit wurden. Ob diese Auslegung des irren Gedankengangs richtig ist, stehe dahin Sörgel wurde freigesprochen und starb bald danach im Irrenhaus zu Schwabach.

Wie sehr persönliche Voreingenommenheit der nächsten Umgebung und subjektive Empfindungen der Zeugen eine objektive Beurteilung erschweren, zeigt Feuerbach an dem Prozeß gegen Georg Eder. Eder war ein Bauer, der seinem Hauswesen ordentlich vorstand, aber durch aufbrausendes Wesen und maßlose, durch nichts gerechtfertigte Zornesausbrüche alle Welt terrorisierte. Als er mit seinem Wagen an einer Wiese vorbeikam, wo ein alter Bauer hölzerne Vorlagen am Weg aufgestellt hatte, geriet er in solche Wut, daß er den andern mit einer Heugabel ersticht. Dann rühmt und freut er sich laut der Tat, will am liebsten noch ein paar andere Bauern umbringen und ihre Häuser in Brand stecken und bleibt auch bei der Untersuchung bei allerlei krausen, verschmitzten Redensarten. Die Bauern erklären samt und sonders begreiflich genug Eder für einen Simulanten,

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Frau und Kinder bitten flehentlich, man möchte ihn nicht wieder in die Freiheit lassen. Das Gericht erster Instanz verurteilt zum Tode. Auf Feuerbachs Betreiben versagt der König die Bestätigung und ordnet ein neues Verfahren vor dem Hofgericht in München an. Inzwischen hatte das Landgericht ein übriges tun wollen und ein ärztliches Gutachten eingefordert. Aber der Ämtschirurgus erklärte ihn für gesund, weil er „jede auf seine Gesundheit befindliche Frage genügend beantwortet habe und sich sonst ganz wohl befinde".^

Das Hofgericht ließ Eder durch zwei Münchener Medizinalräte untersuchen, die ihn als einen im höchsten Grade blödsinnigen iVlenschen erkannten, der auf die einfachsten Fragen nichts zu antworten wußte. Ein Fall, merkt Feuerbach an, der charakteristisch für eine dem Kreittmayrschen Codex entsprechende Auffassung ist, die nach dem Satz: „Wozu doch mit dem schlechten Delinquentengesindel so viele Umstände machen?" die Kriminaljustiz gleichsam „als die partie honteuse" der Justiz betrachtet, die keine besondere Sorgfalt verdiene, mit der man sich nur obenhin zu befassen brauche, und „deren Geschäfte je schneller je besser abgetan werden müßten".^

Lagen in diesen beiden Fällen die Fragen der Zurechnungsfähig- keit für jeden ernsten Beurteiler einfach, so läßt die kaum glaubhaft klingende romanhafte Erzählung von Joh. Holzinger, „aus Liebe und Eifersucht erst Totschläger, dann Mörder und Selbstmörder", die Gegensätze in der Beurteilung scharf hervortreten. Holzinger wird als gutmütiger Schwächling, zugleich aber ausgesprochen sinnlich veranlagt, geschildert. Nach dem Tode seiner Frau lebte er mit seiner Schwägerin zusammen, die ihn ganz in ihrer Gewalt hatte, aber vor dem Gesetz seine Frau nicht werden wollte. Er entschließt sich, eine andere zu heiraten, der Hochzeitstag kommt heran, seine Gedanken gelten nur der Schwägerin. Quälende Eifersucht und die Enttäuschung über die Zurückweisung führen zu einem Wortwechsel. Holzinger nimmt vom Tisch ein Messer und schneidet ihr die Kehle durch. Eine Tat, erläutert Feuerbach, die in klar erkennbarer Absicht der Befrie- digung seiner Leidenschaften dienen sollte. Mochten die Leidenschaften sich zu unwiderstehlicher Stärke gesteigert haben, seine Schuld lag eben darin, daß sie in solchem Umfange die Oberhand gewannen. Hier berührt sich Feuerbach mit Heinroths Lehren. Indessen: „die Medi- zinische Fakultät kommt dem Verbrecher zu Hilfe". "^ Der Hausarzt meint, Holzinger habe infolge Trunkenheit, Zorn und Eifer- sucht unfrei und ohne Selbstbewußtsein gehandelt, der Gerichtsarzt lehnt eine krankhafte Störung ab. Nun gehen die Akten an das

' Äktenmäßige Darstellung S. 239. ' S. 240. ^ S. 377.

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Medizinalkollegium, das zu dem Ergebnis kommt, Holzinger habe sich „zur Zeit der Tat in einem teils durch den höchsten Grad des Affekts, teils durch erbliche Anlage bewirkten Zustand der Geistesverwirrung oder Unfreiheit befunden"/ „Ein Muster psychischer Gutachten, wie sie", nach Feuerbach, „nicht sein sollen."" Unter dem Eindruck dieses Gutachtens erhält Holzinger die Mindeststrafe für Totschlag, acht Jahre Zuchthaus. Der Strafanstaltsdirektor bezeichnet ihn als einen „von Seite des Geistes nur dürftig ausgestatteten, an Erziehung und Unterricht verwahrlosten, durch unordentliches und wollüstiges Leben physisch und moralisch erschlafften Menschen".^

Nach sechs Jahren wird er wegen guter Führung entlassen. Und nun ereignete sich etwas sehr Merkwürdiges, eine erstaunliche Duplizität der Ereignisse. Wieder trieb ihn die Neigung zu einem Mädchen, wieder verlobt er sich mit einer andern, die er nicht liebte. Das dritte Aufgebot war schon bestellt. Er macht noch einen Spazier- gang mit seiner geliebten Rosina und schießt sie nieder. Dann erschießt er sich selbst. Und nun ging es, wie es immer geht: jeder sieht in den Ereignissen die Bestätigung seiner eigenen Meinung. Die einen hielten seine Verrücktheit nunmehr über jeden Zweifel erhaben, die andern meinten, man hätte ihn lieber gleich beim ersten Mal einen Kopf kürzer machen sollen. Feuerbach selbst meinte, hier liege für „den gesunden Menschenverstand" des „schlichten Bürgers" Überlegung und vorbedachte Absicht zutage: er wollte eben lieber mit der geliebten Rosina sterben, als die verhaßte Braut heiraten. So hat er, nach Feuerbach, nur „durch selbstgegebenen Tod sich des Scharfrichters Schwiert entzogen, dem er diesmal, aller ärztlichen Rettungsversuche ungeachtet, schwerlich hätte entgehen können".^

So erscheint Niethammers Vorwurf, daß es Feuer b ach an hin- reichendem Verständnis für den Einfluß gesteigerter Affekte auf die Zurechnungsfähigkeit habe fehlen lassen, schon in diesem Zusammen- hang verständlich.'"^ Indessen hinderte ihn sein rigoroser Standpunkt nicht, gelegentlich doch die Bedeutung starker Affekte zwar nicht für eine psychologisch wirkende Beeinträchtigung der Zurechnungsfähigkeit, wohl aber für die Strafwürdigkeit der Handlung anzuerkennen. Joseph Auermann, ein ehrbarer und geachteter Handwerker, wurde von seinem ehemaligen Knecht Poegel leidiger Schulden wegen auf das elendigste gepeinigt und gequält. Alle Versuche, das geschuldete Geld zu beschaffen, schlagen fehl. Verzweifelt kommt er abends aus dem Wirtshaus heim: wenn ihn Poegel, der sich in seinem Hause

S.382. ' S.380. ' S. 391. - S. 395.

Vgl. die Rezension in Ällg. Lit.-Ztg. 1829. Bd. I, Nr. 2.

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festgesetzt hat, wiederum reizt, schlägt er ihn tot. So wird er „tadelloser Mensch und Bürger . . . zuletzt doch ein Mörder". Das Gericht verurteilt ihn zum Tode nach Feuerbach, „dem strengen Rechte gemäß". Allein hier heißt es, Gerechtigkeit mit Billigkeit versöhnen, zwischen der „unbeugsamen Strenge des unwandelbaren allgemeinen Gesetzes und der wandelbaren Veränderlichkeit mensch- lichen Verschuldens mit Weisheit auszugleichen". Äuermann ist kein verderbter Verbrecher, er handelte unter dem Drang unverschuldeter Zufälle und in der „Verwirrung eines an Verzweiflung grenzenden Gemütszustandes". So beantragt Feuerbach auf dem Gnadenwege eine Milderung der Strafe. Nicht, weil er nicht zurechnungsfähig war in dem Sinne, daß seine Tat sich nicht unter die Strafdrohung des Gesetzes subsumieren ließe, sondern weil er zu denen gehört, die „wegen ihrer Tat mehr als Unglückliche zu bemitleiden, denn als Missetäter zu verabscheuen sind".^ Eine einleuchtende Beurteilung, und doch eine Anomalie in Feuerbachs Zurechnungslehre, indem er hier selbst die Tat nach moralischen Maßstäben mißt. Vom Stand- punkt seiner bewußt ethisch indifferenten Zurechnungslehre hätte er es, so wie K. E. Schmid es zu diesem Fall tadelnd anmerkte, als Inkonsequenz und Verwirrung ablehnen müssen, daß „sich die Rechts- pflege auf die Frage einläßt, ob der Verbrecher ein gefährlicher, böser oder ein moralisch achtenswerter Mensch sei".^ Daß Feuerbach selbst im Gegensatz hierzu eine zu schroffe Divergenz zwischen ethischen und juristischen Werturteilen als unerträglich empfand, beweist, daß das Strafrecht eben doch nicht auf eine gewisse Resonanz moralischer Beurteilung verzichten kann. Aber gerade, wenn, wie bei Feuerbach, nur ganz ausnahmsweise ethische Gesichtspunkte maßgebend sind, entsteht die Gefahr einer subjektiven und einseitigen Auswahl der privilegierten Fälle. Das lehrt die Vergleichung der Beurteilung Auermanns mit der Geschichte von den „Vorarlberger Patrioten".

Als im Jahre 1796 die Heere Napoleons die Österreicher in Tirol bedrängten, verließen die Spitzen der Behörden von Bregenz, angeblich auf Befehl der Regierung, die Stadt. Das Volk fühlte sich enttäuscht und verlassen und witterte Verrat. Man versicherte sich schließlich der Beamten und brachte sie in das Kloster St. Peter bei Bludenz. Aber die einmal geweckte Erregung schlug immer höhere Wellen. Bewaffnete Bauern wurden zur Bewachung der Landesverräter aufgeboten, und die allgemeine Stimmung wurde, nachdem man nach Kriegsbrauch auf öffentliche Kosten zu essen und zu trinken

' Aktenmäßige Darstellung S. 154 ff.

" Allg. Lit.-Ztg. 1809. Bd. III, Nr. 169, S. 139.

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begonnen hatte, immer hemmungsloser und undisziplinierter, bis schließlich die Internierten von ihren Wächtern auf brutale Weise umgebracht wurden. Die österreichische Regierung hat dann die Hauptschuldigen zur Rechenschaft gezogen, aber nach kurzer Strafzeit „bei den neuerdings eingetretenen Kriegsverhältnissen" „aus Staats- rücksichten" entlassen. Als Tirol 1805 durch den Frieden zu Preßburg unter bayerische Herrschaft kam, war nur noch der Haupträdelsführer Fr. Jos. Tochofen in Haft. Einem Gnadengesuch wurde nicht statt- gegeben. Feuerbach kann in ihm nur einen nichtswürdigen Burschen sehen, der aus Haß gegen die bürgerliche Ordnung und aus Eitelkeit „die allgemeine Stimmung der Gemüter schnell ergriff, den leicht zu betörenden patriotischen Eifer seiner rohen unwissenden Landsleute als Werkzeug zu seinen schändlichen Absichten mißbrauchte".^ Ob er wirklich ein solcher abgefeimter Verführer war, läßt sich heute nicht sagen. Immerhin hätte es nahegelegen, anzunehmen, daß auch sein Verschulden unter dem Einfluß äußerer Umstände und innerer Erregung milder zu beurteilen ist. Zweifellos hätte bei der Prüfung der Zu- rechenbarkeit untersucht werden müssen, wie weit die Furcht vor der drohenden Invasion die Erbitterung gegen die flüchtigen führenden Beamten gesteigert, wie weit selbst der Rädelsführer der Massen- suggestion, dem Einfluß der kriegerischen Atmosphäre unterlag und die Tat nur aus dem Rausch maßlos gesteigerter Affekte erklärbar ist. Aber eben dafür ließ die Zurechnungslehre Feuerbachs keinen Raum, und so war es nur eine Konsequenz, wenn er, wie ihm der Rezensent Fr. Meister vorwarf, den Einfluß „patriotisch -politischer Gefühle in Zeiten der Kriegsdrangsale" auf die Zurechnung außer acht ließ.^

Handelt es sich hier günstigenfalls um momentane außergewöhn- liche Erregungszustände innerhalb der Breite der Gesundheit, so kann in andern Fällen das Vorhandensein einer schweren geistigen Erkrankung nicht zweifelhaft sein. Wie eine erschütternde Anklage wirkt die Tragödie des jungen Mathias Lenzbauer. Lenzbauer erschlug seinen kleinen Bruder im Walde, dessen Erbteil ihm die heißersehnten Mittel verschaffen sollte, um sich als Maurer freisagen zu lassen. Eine ganze Reihe von Umständen hätten ohne weiteres auf pathologische Momente hin- weisen müssen. Die Leiche war auf bestialische Weise verstümmelt, die Gedärme herausgerissen und um einen Ast geschlungen. Die Zeugen bezeichneten den Täter zwar als nicht blödsinnig, doch habe er immer „so etwas Schlüffelartiges an sich", er sei „nicht ganz just im Kopf". In seiner Jugend hatte er stark an Kopfschmerzen gelitten

Äktenmäßigc Darstellung S. 222.

AUg. Lit.-Ztg. 1829. Bd. I, Nr. 2, S. 11.

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und war völlig „würflig" und zur Arbeit unfähig, wenn er nicht alle Jahr zur Ader gelassen wurde. So machten der Untersuchungsrichter und der als Defensor fungierende hofgerichtliche Korreferent ernste Zweifel an der geistigen Gesundheit des Inquisiten geltend. Anders die Beurteilung Feuerbachs, in der sich die Gefahren einer logischen Interpretation seelischer Vorgänge zeigen. Das Motiv zur Tat, das Streben nach dem Geld, um sich freizusagen, die Wahl des geeigneten Mittels, die Überlegung und Bedachtsamkeit bei der Tat, das vorsichtige Leugnen und Beschönigen vor Gericht alles schließt sich nach Feuerbach zu einer lückenlosen Kette zusammen und dieser, naturgemäß vom Interpreten konstruierte, logische Zusammenhang der Handlungsweise ist ihm die beste Gewähr für den „gesunden Verstandesgebrauch Lenzbauers". Auch der Landesgerichtsarzt konnte nicht die „mindeste Verstandesschwäche" an ihm wahrnehmen. Die unmenschlichen Verstümmelungen erklärt zwar Feuerbach aus einer „Gemütsverwirrung", aber diese war erst eine Folge des Mordens: Entschluß und Beginn der Tat kommen mit kalter Überlegung zustande, erst die Ausführung der Bluttat erhitzt die Leidenschaften bis zu Wahn- sinn und Raserei. „. . . wer die Schranken der Natur mit frevelnder Hand durchbrochen hat, . . . der wird zum Tier, das zuletzt in seinen eigenen Greueln sich gefällt und von Untat zu Untat selbst über die Schranken seiner Verstandeszwecke hinauseilt, dem gezähmten Löwen gleich, der, sobald er frisches Menschenblut gekostet hat, selbst seinen geliebten Wärter zerreißt und gegen ihn in wollüstigem Blutdurst wütet." Aber deshalb ist er nicht unzurechnungsfähig, denn der Entschluß und Anfang der Tat waren ja zurechenbar! ^ Darum ist es nach Feuerbach „nur ein Beweis der tiefsten Unkunde und der höchsten Begriffs- verwirrung — welcher jedoch weit öfter in gerichtsärztlichen Gutachten als in richterlichen Entscheidungsgründen gegeben wird wenn solche . . . Erscheinungen geradezu als Beweise eines die Zu- rechnungsfähigkeit ausschließenden Gemütszustandes des Verbrechers aufgeführt werden".- So vermochte Feuerbach in jenem Unglücklichen keine andere Verkehrtheit zu finden, „als die Verkehrtheit seines Herzens und jene sittliche Zerrüttung des Geistes, ohne welche noch kein Mensch zu großen Missetaten gekommen ist".^ So ward das Todesurteil bestätigt, und, „wiewohl sehr unglücklich", vollzogen. Wohl die berühmteste Persönlichkeit jener merkwürdigen Ver- brecher ist der unglückliche Querulant Ludwig Steiner. Steiner war Schuhmachermeister in Regensburg. Als man einst in der

' Man könnte also in Feuerbachs Sinn geradezu von einer actio libera in causa sprechen!

* Äktenmäßige Darstellung S. 4L ^ Ebendort S. 38.

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Zunft um einen neuen Fürmeister stritt, natim sich Steiner eines seiner Meinung nach zu Unrecht zurückgedrängten Kollegen an. In der Hitze des Streites behauptete er plötzlich, gesehen zu haben, wie der Führer der Gegenpartei mit einem der Zunftlade gehörenden Sechser so lange gespielt hätte, bis er ihn heimlich in die Tasche schob. Die Folge war ein Injurienhandel, in dem Steiner zu 24 Stunden Polizeiarrest, Abbitte und Erstattung der Kosten verurteilt wurde. Er hielt sich für unschuldig, glaubte, ihm sei Unrecht geschehen, und so beginnt mit diesem Urteil der verhängnisvolle Kampf dieser Michael- Kohlhaas -Natur um sein vermeintliches Recht. Er legt Berufung ein, aber das Urteil wird bestätigt. Mit der Verkündung und Vollstreckung ist der Magistratsrat Elsperger beauftragt. Einen Antrag auf Rekurs ans Ministerium lehnt Elsperger ab. Steiner bittet, noch einmal nach Hause gehen zu dürfen, aber in „überstrengem hastigen Ämtseifer" läßt ihn Elsperger sofort ins Gefängnis abführen. Krank kehrt er nach zwei Tagen zurück, angeblich infolge schlechter Luft und Hitze im Ärrestlokal. Zweimal fuhr er nach München, um die Wiederaufnahme seines Prozesses zu bewirken. Vermögen, Geschäft, Familienglück fielen dem unglücklichen Prozeß zum Opfer. Schließlich wird sein Rekurs vom Staatsrat abgelehnt. Da trifft Steiner Elsperger auf der Straße, gerät mit ihm in Wortwechsel und schlägt ihn nieder.

Mit genialer Einfühlung hat Feuerbach die einzelnen Stadien dieses Werdeganges psychologisch entwickelt. Der Gedanke an sein Recht verdrängt allmählich alles andere in der Gedankenwelt Steiners. Wer ihm sein Recht nicht bestätigt, ist sein Feind, ist ein Intrigant. Weil ja das Recht auf seiner Seite steht, so muß doch jeder einsehen, daß er Recht hat. Nur bewußte Rechtswidrigkeit kann ihm vorenthalten, was ihm zusteht: . . . also hat Elsperger ein falsches Protokoll unter- geschoben. Gäbe es 100 Instanzen, er würde sie alle durchlaufen und „von der höchsten abgewiesen, doch immer wieder von der untersten anfangen". Ihm ist Rechtskraft ein „unverständliches Wort".^

War Steiner zurechnungsfähig? Zwei juristische und vier medi- zinische Instanzen haben diese Frage geprüft und Feuerbach Anlaß gegeben, seinen beißenden Spott über die ärztlichen Gegner zu ergießen. „Seit die Ärzte sich in dem Gebiete der Rechtspflege in der Kunst üben, aus gescheuten Leuten gutachtlich Narren zu machen, gibt es selten einen Verbrecher, wäre er auch nach sonnenklarem Recht der Gerechtigkeit verfallen, dessen moralisch juridischen Leiden die Medizin nicht mit einem heilenden Vorrat psychischer Krankheiten beizuspringen wenigstens versuchte."" Der Hausarzt beschränkte

' Aktenmäßige Darstellung S. 413. - Ebendort S. 409.

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sich, auf die Möglichkeit hinzuweisen, daß häufig derartige heftige Leidenschaften in eine Trübung der Urteilskraft und momentanen Wahnsinn ausarten. Der Gerichtsarzt nahm einen partiellen fixen Wahnsinn, also eine Monomanie an. Alles und nur das, was mit dem Prozeß in Verbindung stand, sei durch irrige Vorstellungen beeinflußt. Ahnlich nahm auch das Medizinalkollegium Unzurechnungs- fähigkeit wegen melancholischen Wahnsinns an. Gemäß diesem Gutachten müßten nach Feuerbach „entweder alle Verbrechen aus Leidenschaft, mithin ungefähr sieben Ächtteile aus der Liste der Justizsachen gestrichen und der Heilkunde überwiesen oder es müßte den Leidenschaften zu- gemutet werden, sich gerade ebenso verständig, abgemessen, kalt und ruhig zu benehmen, als wenn sie keine Leidenschaften, sondern der klare trockene Hausverstand selbst wären". Der modernen patho- graphischen Literatur vorgreifend meint Feuerbach, würde ein solches Kollegium .auch Hamlet und Macbeth für geisteskrank halten und den Dichtern, wenn sie „der Natur getreu Charaktere zu zeichnen, Leidenschaften darzustellen glaubten", nachweisen, daß sie nur „Narren" hervorgebracht haben. ^ Das Obermedizinalkollegium verwarf dann auch alle bisherigen Gutachten, stellte aber doch fest, daß Steiners Gemütsart bei der Tat verändert und „seine Selbstbestimmungskraft, das ist die Freiheit seines Willens, trübend und gewissermaßen beschränkend erscheint, sodaß hierin allerdings ein Milderungsgrund für Steiner gesucht werden müsse". Auch dieses Urteil greift Feuerbach an. Niemals sei es Sache des Arztes, dem Richter einen Strafmilderungs- grund vorzuschreiben. Wie er in der „Revision" Freiheit nur als absoluten Begriff, der keine gradweise Abstufung kennt, zu verstehen vermochte, so erscheint ihm auch hier eine „gewissermaßen beschränkte" Freiheit als Unding „gewissermaßen" zudem „für den wissenschaftlichen Verstand ein sehr übel klingendes, allgemein verrufenes Wörtchen" !^

Das Gericht erster Instanz verurteilte Steiner zum Tode, die zweite Instanz aber unter Annahme verminderter Zurechnungsfähigkeit zu Zucht- haus auf unbestimmte Zeit. Das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813 enthält zwar keine gesetzliche Anerkennung der verminderten Zurechnungs- fähigkeit. Wohl aber hatten die amtlichen Anmerkungen dem Sinn des Gesetzes und dem Willen Feuerbachs entgegen die gesetzliche Strafmilderung wegen „Mangels am Tatbestand" auf Handlungen nicht voll Zurechnungsfähiger angewandt.^

Feuerbach bietet eine erhebliche Energie auf, um die ärztlichen Zweifel an der vollen Zurechnungsfähigkeit Steiners ad absurdum

Ebendort S. 419. ' Ebendort S. 420. Vgl. oben Kap. V, S. 191 f.

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zu führen. Hielt doch Steiners eigene Frau ihren Mann für normal: „...er hat zu Hause alles vernünftig getan; wenn er närrisch gewesen wäre, wie hätte er seine Profession treiben können?" „Man sieht," sagt Feuerbach, „die Schustersfrau hat ein gesunderes Urteil über Geisteskrankheit als mancher gelehrte Doctor medicinae."^ Dies war bei Feuerbach mehr als eine bloß agitatorische Berufung auf den „gesunden Menschenverstand". Denn tatsächlich entspricht seine eigene rationalistische Beurteilung des Seelenlebens dem vulgären Denken. Ganz ähnlich wie die Schustersfrau vermag auch er nicht an eine geistige Störung zu glauben, weil bei Steiner alle Handlungen ganz vernünftig erscheinen und durch einen logischen Zusammenhang verständlich sind. Ähnlich wie bei Lenzbauer ist ihm die aus einleuchtenden Motiven erklärbare Tat selbst ein Beweis verständigen Handelns. „Wer gleichwohl noch zu behaupten wagt, Steiner sei demungeachtet wahnsinnig gewesen und habe im Wahnsinn gehandelt, weiß entweder gar nicht, was er will oder will nichts Geringeres als die Behauptung: ein Mensch könne zu einer und derselben Zeit bezüglich einer und derselben Handlung erwiesenermaßen vollkommen verständig und doch zugleich, ohne daß man das mindeste hiervon, vielmehr das Gegenteil wahrnimmt, im Grunde der Seele wahnsinnig sein." Nur wo Wahnvorstellungen das Bewußtsein der Handlung und ihrer Rechtswidrigkeit trüben, vermag solche intellek- tualistische Denkart an einen Ausschluß der Zurechnungsfähigkeit zu glauben. Ja, hätte sich z. B. „Steiners Haß bis zu der Vorstellung potenziert, Elsperger sei nicht der Magistratsrat Elsperger, sondern ein wildes Tier oder der leibhaftige Satan, der ihn zerreißen wollte oder er, Steiner selbst, sei ein Erzengel, der von Gott auf die Erde geschickt worden, den höhnischen Magistratsrat für die an dem braven Schuster Steiner verübten Ungerechtigkeiten zu strafen . . .", dann könnte von einer im Wahnsinn verübten Tötung die Rede sein."

Diese einseitige Stellungnahme wurde auch hier verstärkt durch den Gedanken des Feuerbachschen Hbschreckungsstrafrechts, das, je stärker und unwiderstehlicher Leidenschaften und Triebe zur Tat drängen, um so härter und rücksichtsloser den Kampf gegen die verbrecherischen Neigungen aufnehmen zu müssen glaubt. Gerade in diesem Zusammenhang steht seine psychologische Zwangstheorie an Härte und Schroffheit dem rigorosen Pathos der Kantischen kategorischen Straftheorie nicht nach. Wohl haben die Stürme der Leidenschaft und übermäßige Erregungen Steiners seelisches Gleich- gewicht erschüttert und die Herrschaft der Vernunft gefährdet, aber

' Äktenmäßigc Darstellung S. 417. ' Ebendort S. 412.

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das sind lediglich „die moralischen und juridischen Krankheiten der Seele, welche ganz außer dem Kreise der medizinischen Fakultät liegen und für welche keine Apotheken und Narrenspitäler, sondern, wenn dagegen vernünftige Vorstellungen, religiöse und sittliche Äbhaltungsgründe, selbst die strafdrohenden Gesetze nichts fruchten, Gefängnisse, Zuchthäuser und Schaffotte errichtet sind"/

Ähnliche Gedanken waren späterhin auch anderwärts wirksam. Im Jahre 1857 wurde in Tilsit der Arbeiter Wilhelm Nehring hingerichtet, der den Kreisgerichtsrat Meyrhöfer erschossen hatte. Nehring war wegen Verdachts des Diebstahls verhaftet gewesen und ihm waren bei der Entlassung Geld und Kleidungsstücke abhanden- gekommen. 1 7 Jahre hindurch überlief er Behörden und Gerichte mit allen möglichen, zum Teil sinnlosen Beschwerden, und verfolgte den Kreisgerichtsrat Meyrhöfer als den vermeintlichen Urheber des erlittenen Unrechts mit Haß und Bedrohungen. Im Gegensatz zum Fall Steiner bejahten hier die Ärzte, obwohl Nehring früher für geisteskrank erklärt und zeitweise in der Irrenanstalt Königsberg gewesen war, nach der Tat die Zurechnungsfähigkeit. So sprachen die Geschworenen ihr Schuldig. Erst dem Justizminister kamen Bedenken. Er forderte ein Gutachten der Wissenschaftlichen Depu- tation für das Medizinalwesen. Die Deputation gibt ähnlich wie Feuerbach eine feine und eingehende psychologische Analyse der Entwicklung des Querulanten. Solche Momente können auch nach ihrer Meinung der Entstehung des Wahnsinns günstige Bedingungen darstellen; aber das berechtigte nicht, das Vorhandensein einer geistigen Erkrankung selbst vorauszusetzen. So wurde das Todes- urteil bestätigt.^

Erst die neueste Zeit vermochte dem Querulantenwahn gerecht zu werden. Freilich nicht in jenem einfachen Sinn der Monomanien- lehre. Wohl aber lernte man den Einfluß gesteigerter Reizbarkeit, überwertiger Ideen und die oft in kaum merklichen Abgrenzungen in das normale Vorstellungsleben sich einfügenden Wahnsysteme in ihrer symptomatischen Bedeutung für geistige Gesamterkrankungen verstehen. So ward auch Steiner und Nehring eine späte Ehren- rettung. Pelmann reiht beide seinen Psychischen Grenzzuständen ein.^ Nach seinem Urteil würden aller Wahrscheinlichkeit nach beide „heute eine andere Beurteilung gefunden haben und als das erkannt worden sein, was sie tatsächlich waren nämlich geisteskrank".

' Äktenmäßige Darstellung S. 412.

- Sello, Die Irrtümer der Strafjustiz. Berlin 1911. S. 79 ff.

* Pelmann, Psychische Grenzzustände 4. Aufl., S. 166.

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Und Sello nimmt beide auf unter seine Sammlung von Irrtümern der Strafjustiz,' wo sie nunmehr aufs neue eine beredte Sprache über die Beschränktheit menschlichen Richtens und Urteilens reden. Birnbaum, der beste Schilderer psychopathischer Persönlichkeiten, hat auch das Charakterbild des degenerativen Querulanten gezeichnet und neuestens gerade Feuerbachs psychologische Analyse des Entwicklungsgangs Steiners als Dokument zur Psychopathologie der katastrophalen Tat verwertet. Freilich, indem er, anders als Feuerbach, für das blinde und hemmungslose Durchkämpfen des subjektiv verfälschten, egozentrisch aufgefaßten Rechts die Erklärung in Steiners unglückseliger Veranlagung zum psychopathischen Querulanten sieht."

In den kriminalpsychologischen Arbeiten Änselm v. Feuerbachs zeigt sich eine ähnliche Tragik, wie in seinen philosophisch-theoretischen Deduktionen und seinem gesetzgeberischen Wirken. An dem einmal gewonnenen Standpunkt hängt er mit solch leidenschaftlicher Energie, daß er bei all seiner kritischen Begabung den eigenen Schöpfungen gegenüber sich der Einsicht in Irrtümer und Bedingtheiten verschließt. Im Anfang ein revolutionärer Neuerer, verfällt er alsbald selbst in dogmatische Enge. Konsequenz und Beharrlichkeit erstirbt zu scholastischer Starrheit. So fallen seine Lehren gerade da der Vergänglichkeit anheim, wo er mit allen Kräften um ihre dauernde Geltung kämpft.

Aber der wirklichen Größe dieses Mannes vermag dies keinen Abbruch zu tun. Nicht in den gewonnenen Ergebnissen, sondern in dem Streben und Kämpfen um neue Ziele liegt sein bleibender Wert, nicht im Inhalt seiner Lehren, sondern in der Bewegtheit und der geistigen Bedeutung seines Wirkens. Wo er selbst die Wandel- barkeit irdischer Wissenschaft und menschlicher Institutionen aufwies, als kühner Neuerer die Geister aufrüttelte und Feststehendes zu Fall brachte, hinter anerkannten Lösungen verborgene Problematik bloß- legte, gingen von seinem Wirken wie aus einer reichen Quelle eine Fülle von Anregungen auf die Zeitgenossen aus und über diese auf alle die, welche hinter der virtuosen Dialektik etwas von der

' Sello, Die Irrtümer der Strafjustiz. Berlin 1911. S. 29 ff. und 79 ff.

^ Karl Birnbaum, Die psychopathischen Verbrecher. Berlin 1914. S. 266 ff. Psychopathologische Dokumente. Berlin 1920. S. 191 ff. Von älteren Stimmen für die Anerkennung der psychopathologischen Bedeutung des Querulantenwahns sei genannt: Ed. Hitzig, Über den Querulanten- wahnsinn. Seine nosologische Stellung und seine forensische Bedeutung. Leipzig 1895.

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schöpferischen Kraft eines Großen zu spüren vermochten. So ver- ehrten ihn die Freunde nach Hit zig s Wort^ mit ganz Deutschland als den „Schöpfer neuen Lebens in der Kriminalrechts- wissenschaft".

Im Wandel der Geister an das Beständige zu glauben und im ewigen Wechsel für das Unvergängliche zu wirken, gehört zum Ethos wahrer Wissenschaftlichkeit. In Änselm v. Feuerbach lebte etwas von diesem Geist und er hat selbst in besonderer Stunde im Anschluß an ein Wort aus Schillers Jenaer Antrittsvorlesung solche Gedanken zum Ausdruck gebracht.^ „Der beste Teil aller literarischen Tätigkeit besteht nicht sowohl in dem, was sie gibt, als in demjenigen, was sie in andern Geistern anregt und durch diese wirkt. Jenes geht notwendig mit der wechselnden Zeit wenigstens in veränderten Formen unter; dieses aber ist, wie einer unserer großen Schriftsteller sich ausdrückt: die Tat, welche lebt und weitereilt, wenn auch der Name ihres Urhebers hinter ihr zurückbleiben sollte."

So mag auch heute noch, wer hinter den Bedürfnissen des Alltags den tieferen Problemen der Strafrechtswissenschaft nachsinnt, in seiner Arbeit immer wieder Gedanken und Spuren jenes größten deutschen Kriminalisten begegnen, wenn er, im Geiste Feuerbachs ewiger Wahr- heit und Gerechtigkeit in leidenschaftlicher Hingebung dienend, den wechselnden Gestaltungen wandelbarer menschlicher Satzung neue und immer vollkommenere Formen sucht.

Und umzuschaffen das Geschaffene, Damit sichs nicht zum Starren waffne, Wirkt ewiges, lebendges Tun.

' Hitzigs Zeitschrift für die Kriminalrechtspflege in den preußischen Staaten I. Bd., 1. Heft. Berlin 1825. Widmung an Feuerbach.

- Lehrbuch des peinlichen Rechts IX. Aufl. 1826. Vorrede S. VIII.

263

Literatur.

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München 1813 14. Arnim, v., Bruchstücke über Verbrechen und Strafen (anonym erschienen)

Bd. I— III. Frankfurt und Leipzig 1803. Arnold, Erfahrungen aus dem Bayerischen Strafgesetzbuch vom Jahre 1813

und Betrachtungen hierüber. Archiv des Kriminalrechts, Neue Folge,

1843, S. 96ff., 240 ff., 377 ff., 512 ff., und 1844, S. 190 ff.

Die körperliche Züchtigung und das Zuchthaus zu München. Archiv des Kriminalrechts, Neue Folge, 1844, S. 438 ff.

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Archiv für Strafrecht und Strafprozeß. Begründet von Goltdammer. Fortgesetzt von Kohler. Herausgegeben von Klee. Bd. 1 69. Berlin 1833 1920.

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Blätter für Rechtsanwendung, zunächst in Bayern. Herausgegeben von J. Ä. Seuffert und Chr. C. Glück. Bd. 1 57. Erlangen 1836 1892.

Gerichtssaal, Zeitschrift für Zivil- und Militärstraf recht und Straf- prozeßrecht sowie die ergänzenden Disziplinen. Begründet von Jagemann. Herausgegeben von Oetker und Finger. Bd. 1 88. Stuttgart 1849 1921.

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Jahrbücher der gesamten deutschen juristischen Literatur. Herausgegeben von F. Ch. K. Schunk. Bd. 1 30. Erlangen und Neustadt a. d. O. 1826 1836.

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Kant-Studien, Philosophische Zeitschrift. Herausgegeben von Vaihinger und anderen. Bd. 1 26. Hamburg, Leipzig und Berlin 1897 1921. Dazu Ergänzungsheftc 1—54. Berlin 1906 1921.

Kritische Zeitschrift für Rechtswissenschaft. Redigiert in Tübingen von Mohl, Scheurlen, Schrader, Wächter. Bd. 1 6. Tübingen und Stuttgart 1826 1829.

Leipziger Literatur-Zeitung. Jahrg. 1802 ff.

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Neuer Nekrolog der Deutschen. Herausgegeben von Fr. Ä. Schmidt. Jahrg. 1 ff. Ilmenau 1824 ff.

Philosophisches Journal einer Gesellschaft Teutscher Gelehrter. Herausgegeben von F. J. Niethammer. Bd. 1 6. Neustrelitz 1795 1798.

Philosophische Monatshefte. Begründet von Bergmann. Fortgesetzt von Natorp. Bd. 1—27. Berlin und Heidelberg 1868 1891.

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Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie. Heraus- gegeben von Ävenarius. Jahrg. 1 6. Leipzig 1877 1892.

Zeitgenossen. Biographien und Charakteristiken. Bd. 1 6. Leipzig und Ältenburg 1816 1821. Neue Reihe: Bd. 1 6. Leipzig 1821—1827. 3. Reihe : Ein biographisches Journal für die Geschichte unserer Zeit. Bd. 1-7. Leipzig 1829 1841 (Brockhaus).

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Begründet von Liszt und Dochow. Herausgegeben von Lilienthal, Hippel, Kohlrausch, Delaquis, Feisenberger (Z. Str. W.). Bd. 1 42. Berlin und Leipzig 1881 1921.

Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft. Herausgegeben von Savigny, Eichhorn, Göschen. Bd. 1 15. Berlin 1815 1850.

Zeitschrift für die Kriminalrechtspflege in den Preußischen Staaten mit Ausschluß der Rheinprovinz. Herausgegeben von Ed. Hitzig. Bd. 1—24 (Heft 1 48). Berlin 1825 1833, Repertorium 1 4, 1830 1833. Suppl.-Heft zu Bd. 24, 1833. Suppl.-Bd. 1, 1836.

Zeitschrift für Staatsarzneikunde. Begründet von R. Henke. Fortgesetzt von Siebenhaar und anderen. Jahrg. 1 44 (Bd. 1 88 und Suppl.-Bd. 1 47). Erlangen 1821—1864.

Zeitschrift für Theorie und Praxis des bayerischen Zivil-, Kriminal- und öffentlichen Rechts. Herausgegeben von Zu Rhein. Bd. 1, 1—3, und Bd. 2, 1-2. München 1834—1836.

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Herausgeber: Prof. Dr. M. LIEPMÄNN

Heft i: E. GUCKENHEIMER, Der Begriff der ehrlosen Gesinnung im Strafrecht. Ein Beitrag zur strafrechtlichen Beurteilung politischer Verbrecher. Hamburg 1921.

„Eine neue strafrechtliche Schriftenreihe! Gewiß ein Wagnis, eben jetzt zu beginnen in einer Zeit, in der so vielen anderen der Mut zur Fortsetzung gesunken ist. Doch um so dankbarer muß man dem Herausgeber und denen, die sein Werk ermöglichen, sein." Prof. E x n e r, Zeitschr. {. d. ges. Strafrechtswissenschaft XLIII, 401 .

„Die von Guckenheimer behandelte Frage ist insbesondere de lege ferenda von großer Bedeutung. Mag man den Ausführungen des Verlassers im einzelnen zu- stimmen oder nicht, jedenfalls ist es höchst dankenswert, daß er das schwierige Problem der ehrlosen Gesinnung einer eingehenden historischen und dogmatischen Untersuchung unterzieht. Wenn alle Hefte des neuen Sammelwerks diesem ersten entsprechen, so bedarf es nicht der im Vorwort enthaltenen Rechtfertigung für den Versuch der Begründung dieses Sammelwerks." Oberreichsanwalt Dr. Ebermayer, Leipziger Zeitschrift für deutsches Recht, Heft 17/18 vom 1. 9. 1922.

Heft 2: M. LIEPMÄNN, Die Reform des deutschen Strafrechts. Kritische Bemerkungen zu dem ,, Strafgesetzentwurf'*. Hamburg 1921.

„Der Verfasser tritt den bisherigen überwiegend günstigen Beurteilungen des Regierungsentwurfs zu einem deutschen Strafgesetzbuch von 1919 und der Vorstellung, als liege in ihm eine reife Reformarbeit großen Stils vor, scharf entgegen... flls Gesetz wäre er bereits im Moment seiner Geltungskraft veraltet. Denn er ist w^eit davon entfernt, den kriminalpolitischen und kulturellen Forderungen der Gegenwart zu genügen. Dies nachzuweisen, ist der Zweck der höchst lesenswerten und tem- peramentvollen warmherzigen, von tiefem Verantwortungsgefühl erfüllten Schrift." Wirkt. Geh. Rat Prof. D. Adolf Wach, Juristische Wochenschrift 1922, Heft 13, S. 985.

„Was das Werk des Verfassers so wertvoll macht, ist der Umstand, daß er es verstanden hat, das Ergebnis der modernen Forschung in kurzer und wirksamer Weise zusammenzufassen und den vielfach veralteten Bestimmungen des Entwurfs die neuen Gedanken in einleuchtender und scharf geschliffener Form gegenüberzustellen. Dem Kenner gibt diese Kritik eine schnelle Übersicht über das, was die moderne Straf- rechtsschule und nicht zum wenigsten der Verfasser selbst in früheren Schriften geleistet hat; den Nichtfachmann führt sie in leicht faßlicher Weise in die Probleme ein, die unser Strafrecht bewegen... Das vorliegende Werk wird, so hoffen wir, ein gut Teil dazu beitragen, daß das Gesetz in der Behandlung des Neuen eine glücklichere Hand zeigt!" Oberlandesgerichtsrat Dr. Boden, Hamb. Fremdenblatt v. 25.2. 1922.

Als weitere Hefte werden erscheinen:

WALTER HERRMANN, Der Erziehungsgedanke im Hambur- gischen Jugendgefängnis Hahnöfersand.

HENRY PHILIPP, Der Kampf gegen die Einzelhaft im neun- zehnten Jahrhundert.

HILDEGARD v. HEIMANN, Fürsorgeerziehung an verwahrlosten Mädchen. Unter Berücksichtigung der Erfahrungen in Hamburg - Ohlsdorf.

HANS GROSSMANN, Entwicklung und Kritik der Lehre vom Dolus eventualis.

MAX MÖLLER, Die Gefangenenarbeit in Hamburg- Fuhlsbüttel während der letzten 30 Jahre.

HANS LEVIEN, Die Ehrenstrafen.

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