_ SOZIALARBEIT

INFORMATIONSDIENST

NEUORGANISATION SOZIALER DIENSTE NEUE STRATEGIE SOZIALER BEFRIEDUNG ?

Ausserdem: Sozialpädagogisches Zusatzstudium Hamburg e Bewährungshilfe e Zeitverträge e Termine e Hinweise

Offenbach im Dezember 1980 Doppelnummer Preis DM 8,--

Dieser Informationsdienst Sozialarbeit wird im Sozialistischen Büro von Gruppen, die im Sozialisationsbereich arbeiten, herausgegeben. Der Info dient der Kommu- nikation und Kooperation von Genossen, die mit sozialistischem Anspruch im Feld der sozialen Arbeit tätig sind.

Folgende Hefte sind noch lieferbar:

Heft 5: Organisierung im Sozialbereich e 7: Jugendhilfetag und Sozialistische Aktion 1974 e 8: Reformismus in der Sozialarbeit e lo: Sozialarbeit im Knast e 12: Stadtteilbezogene Sozialarbeit e 13: Sozialarbeit und Jugendarbeitslosigkeit e 14: Alternative Psychiatrie Sonderpreis: jedes Heft DM 2,--

Heft 16: Gewerkschaftsarbeit in der ÖTV (88 Seiten, DM 5 ,--) Heft 17: Kindergartenarbeit (96 Seiten, DM 5,.-)

Heft 18: Jugendhilferecht Jugendhilfetag (96 Seiten, DM 6,--) Heft 19: Heimerziehung (168 Seiten, DM 8,--)

Heft 20: Sozialarbeiterausbildung (104 Seiten, DM 7,--)

Heft 21: Familienfürsorge (80 Seiten, DM 5,--) Heft 22: Jugendhilfetag 1978 in Köln/Geschlo Heft 23: Frauen und Sozialarbeit (144 Seiten, DM 8,--)

Heft 24: Psycho-Methoden in der Sozialarbeit (96 Seiten, DM 6,--) Heft 25: Materialien zur Sozialhilfe-Aktion (96 Seiten, DM 6,--) Heft 26: Kritik zur psychosozialen Versorgung (80 Seiten, DM 6,--)

ssene Heimerziehung(DM 7 ,--)

Herausgeber: Sozialistisches Büro Postfach 591, Ludwigstr. 33, 605 Offenbach 4 Verleger: Verlag 2000 GmbH, Offenbach

Erste Auflage:

Dezember 1980, 3000 Exemplare Alle Rechte bei dem Herausgeber

Vertrieb: Verlag 2000 GmbH, 605 Offenbach 4 Postfach 591, 605 Offenbach 4 Postscheck Frankfurt Kto. Nr. 61041-604 Preis: Doppelnummer, DM 8,-- bei Abnahme von mindestens 1o Exemplaren 20% Rabatt; Weiterverkäufer(Buchläden, Buchhandel) 40% Rabatt jeweils zuzüglich Versandkosten Abonnement 1980 (Heft 25 - 27) : DM 15,-- + 4,-- Versand Verantwortlich: Redaktion Info Sozialarbeit Presserechtlich verantwortlich: Günter Pabst, Offenbach Druck: hbo-druck, Einhausen ISSN: ol7o - 2688 ISBN: 3-88534-018-6 Karikaturen: Das much-buch - herausgegeben vom AKS Wien

INFO SOZIALARBEIT, HEFT 27

NEUORGANISATION SOZIALER DIENSTE NEUE STRATEGIE

SOZIALER BEFRIEDUNG?

INHALT

Vorbemerkung zu dieser Ausgabe

Berichte von der Arbeitstagung “Neustrukturierung Sozialer Dienste” in Hamburg

Dokumentation der Podiumsdiskussion

@ Thesen des AKS Hamburg zur Neuorganisation

@ Podiumsdiskussion mit Beiträgen von Christian Marzahn (Uni Bremen), Siegfried Müller (Redaktion Neue Praxis), Verena Fesel (Fachhochschule Hamburg), Jens P. Burmester (GEW Hamburg), Lisel Werninger (Sozialarbeiterin a.D. Ham- burg) und Auszügen aus der Diskussion

@ Dokumente

“Sozialarbeiter brauchen zwei Arbeitgeber” Ein Interview mit Lisel Werninger über die Tradition fortschrittlicher Sozial- arbeit und die Neuorganisation Sozialer Dienste in Hamburg

Neuorganisation Sozialer Dienste = Neue Strategie Sozialer Befriedung ?

Die Verstaatlichung der Sozialarbeit in Bürokratie

Intensivierung der Arbeit und Effektivierung der Kontrolle

Vier Modelle der Neuorganisation

1. Duisburg/Dortmund: Neue Formen der Kooperation

2. Trier: Sozialarbeit als Dienstleistung

.3. Bremen: Das Zielgruppenkonzept

4. Berlin-Neukölln: Ein Versuch, Handlungskompetenz und Status zu entkoppeln

4. Schlußfolgerungen

4.1. Neuorganisation als Rationalisierungsstrategie

4.2. Neuorganisation als Ansatz fortschrittlicher Sozialarbeit

Josef Bura, Hamburg

Sozialarbeit für wen? Der Konflikt um das Sozialpädagogische Zusatzstudium

Informationen aus dem Gewerkschaftsbereich

Berichte Hinweise Termine

33 46

49

61

62 63

66 70 74 80

83 86

91

97

lo3

VORBEMERKUNG ZU DIESER AUSGABE

Nachdem in Hamburg jahrelang über eine Neuorganisation Sozialer Dien- ste (NOSD) geredet und spekuliert worden war, wurde 1979 absehbar, daß etwas passieren sollte.

Da die wesentlichen Informationen von der Behördenleitung monopoli- siert wurden, versuchten wir in einer Untergruppe des AKS Hamburg, uns Klarheit über die geplanten Veränderungen zu verschaffen. Wir kamen in dieser Gruppe nach mehreren Diskussionen zu dem Schluß,

daß diese Art der NOSD weder im Interesse der Fachbasis noch in dem der betroffenen Bevölkerung sein konnte. Wir wollten deshalb für

die Fachbasis so etwas wie ein Forum schaffen, auf dem noch einmal die Konsequenzen der NOSD sowie deren Planung diskutiert

werden sollten. Auf dieser Veranstaltung sollte neben einer Darstel- lung der bisherigen Organisationsstruktur deren Konflikte und Wider- sprüche analysiert werden. Desweiteren sollten anhand dieser Erfahr- rungen die faktischen Auswirkungen der NOSD einbezogen werden. Ziel dieser Veranstaltung sollte es sein, zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen, wie man die Neuorganisation einschätzte und welche Forde- rungen an eine wirkliche NOSD gestellt werden müßten. Dieses Ergeb- nis sollte dann mit einem entsprechenden Forderungskatalog an die jeweils zuständigen politischen Vertreter und an die entsprechenden Verwaltungsebenen gesandt werden. Auch erhofften wir uns von einer solchen Veranstaltung eine längerfristige Zusammenarbeit von inter- essierten und betroffenen Kollegen, um Änderungsvorschläge zu konzi- pieren und durchzusetzen. Damit wollten wir der Resignation und Rat- losigkeit gegenüber grundsätzlichen Fragen der Organisation der so- zialen Dienste an der Fachbasis entgegentreten.

Die Veranstaltung war über zwei Tage geplant. Am Abend des ersten Tages fand eine Podiumsdiskussion statt, über die wir in Teil 2 be- richten, am darauf folgenden Tag ein Seminar, das wir in Teil 1 dar- stellen.

Zu der Podiumsdiskussion erschienen dann ca. 120 Kolleginnen und Kollegen. Diese Zahl muß als Erfolg gewertet werden, wenn man be- denkt, daß zu gleicher Zeit die zweite öffentliche Anhörung der Bür- gerschaft zur NOSD stattfand, an der ein Teil der engagierten Kolle- gen Interesse zeigte, andererseits ein Großteil der Kolleginnen und Kollegen schon so resigniert hatte, daß sie kaum mehr zur Teilnahme an derartigen Veranstaltungen motivierbar schienen. Das Seminar am zweiten Tag dagegen fand nur bei wenigen Resonanz und bewirkte eher Ernüchterung als die erhoffte Wirkung. Die Ergebnisse dieser zweitä- gigen Veranstaltung wurden von uns schriftlich zusammengefaßt und an interessierte Kolleginnen und Kollegen, die sich in eine bereitgeleg- te Verteilerliste eingetragen hatten, zusammen mit einem Terminvor- schlag für die Weiterarbeit verschickt. Auch zu diesem Termin kam kaum einer, so daß wir uns entschieden, auf dieser Ebene nicht wei-

terzumachen.

Gemessen an dem Ziel, betroffene Kolleginnen und Kollegen zu einer längerfristigen Arbeit an inhaltlichen Gegenpositionen zu mobilisie- ren, war diese Veranstaltung ein Mißerfolg. Dies mag daran gelegen haben, daß die Veranstaltung zu einem Zeitpunkt geplant wurde, an dem wesentliche Entscheidungen über die Neuorganisation schon gefal- len waren. Auch war es deutlich, daß auf der Leitungsebene kein In- teresse bestand, die Fachbasis an der Entscheidungsfindung zu betei- ligen. So resignierten viele, da wieder einmal über ihre Köpfe hin- weg entschieden worden war und schlechte Erinnerungen an frühere "Reformen" wachgerufen wurden. Tenor: "Es ist eh alles gelaufen."

Wie wir als AKS-Untergruppe nach der am 1.3.1980 vollzogenen Verwal- tungsreform weitermachen können, ist noch offen. So überlegen wir,

wie wir mögliche Modellvorstellungen in den Regionalen Arbeitsgrup-

pen unterstützen können - z.B. durch Weiterbildungskonzepte - oder wie wir auf kommunalpolitischer Ebene "mitmischen können - z.B. bei der Jugendhilfeplanung.

Auch wenn wir wichtige Ziele unserer Arbeit nicht erreicht haben, so halten wir es für wichtig, die über die spezielle Hamburger Situa- tion hinausgehenden Beiträge zu veröffentlichen.

So dokumentieren wir in Teil 1 geplante oder vollzogene Organisa- tionsänderungen in Berlin, Bremen, Frankfurt und Hamburg. Es berich- ten Kolleginnen und Kollegen aus diesen Städten.

In Teil 2 geben wir die Podiumsdiskussion wieder, die sich neben Hamburger Problemen in erster Linie mit der generellen Problematik der NOSD beschäftigt.

Mit einer der Podiumsteilnehmerinnen, Lisel Werninger, haben wir noch ein Interview geführt (Teil 3) Sie verkörpert für uns eine fortschrittliche, demokratische Sozialarbeitertradition, die nicht erst heute in der Minderheit ist. Von ihr wollten wir wissen, wie sich die Sozialarbeit in Hamburg nach dem Krieg entwickelt hat - speziell unter dem Aspekt der "Neuorganisation".

In Teil 4 versuchen wir, an Hand weiterer Beispiele die NOSD in den allgemein-politischen Zusammenhang zu stellen und mögliche Konse- quenzen daraus zu ziehen.

%

BERICHTE VON DER ARBEITSTAGUNG

Zur Arbeitstagung hatten wir Sozialarbeiter(innen) aus Berlin, Bre- men und Frankfurt eingeladen, deren Beiträge wir im folgenden zu- sammen mit einem Beitrag von uns über Hamburg dokumentieren. Bei dem Bremer und Frankfurter Beitrag handelt es sich um überarbeitete Wortbeiträge, die auf Tonband aufgenommen wurden.

BERLIN

Einsparungen in den öffentlichen Haushalten, die wegen geringerer Steuereinnahmen infolge der kapitalistischen Krisenerscheinungen notwendig werden, treffen vorrangig den Sozialbereich, da Sparmaß- nahmen in den sozialen Betreuungsverwaltungen noch verhältnismäßig leicht durchgesetzt werden können: "Klienten haben keine Lobby'. Neben der Durchsetzung direkter Sparmaßnahmen mittels materieller Leistungskürzungen gewinnt in jüngerer Zeit zunehmend auch der Be- reich der indirekten Einsparungen, z.B. durch Verringerung der Per- sonalausstattung, zunehmend an Gewicht. Diese Kürzungen stehen im Gegensatz zu den Forderungen von Sozialarbeitern nach mehr Personal, weil ihrer Erfahrung nach nur so der gestiegene Arbeitsanfall be- wältigt werden kann. Die Anstellungsträger versuchen, durch organisa- torische Änderungen (das sind in der Regel Rationalisierungen) die- sen Forderungen zu begegnen und darüber hinaus die Mitarbeiter zu intensiverem Arbeitseinsatz zu veranlassen.

In Berlin sind Bestrebungen im Gange, die Gesamtzahl von Planstellen für Sozialarbeiter im Öffentlichen Dienst auf dem derzeitigen Stand festzuschreiben und für die Zukunft nur noch Umschichtungen inner- halb dieses Gesamtstellenrahmens zuzulassen. Das würde zur Folge ha- ben, daß die Verbesserung der Personalsituation in einem sozialen Tätigkeitsfeld dann durch eine Verschlechterung in einem anderen Be- treuungsbereich ausgeglichen werden muß und für neue Aufgaben der Sozialarbeit überhaupt kein zusätzliches Personal mehr zur Verfü- gung steht.

Auf diesem Hintergrund müssen auch die Berliner Bemühungen um eine Neustrukturierung der Sozialen Dienste gesehen werden. Eine Bewer- tung der diesem Plan zugrunde liegenden Prämissen wird allerdings

zu berücksichtigen haben, daß mit einer beabsichtigten Veränderung von eingefahrenen und gewachsenen (Verwaltungs-)Strukturen mögli- cherweise neben den zuvor geschilderten Intentionen auch Rahmenbe- dingungen für innovative Verbesserungen geschaffen werden, die der Arbeit mit Klienten auch tatsächlich zugute kommen können. Endgültigen Aufschluß über die Vor- und Nachteile einer Reorganisa-

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tion der Sozialen Dienste kann wohl nur eine differenzierte Ausein- andersetzung mit den Ergebnissen einer Modellerprobung liefern, die bisher noch fehlt.

Ausgangslage

Die besondere soziale Situation Berlins läßt sich an ein paar Zahlen ablesen: Bei insgesamt weniger als 2 Mio Einwohnern leben in Berlin rd. 500 000 Menschen im Alter von über 65 Jahren, rd. 65 000 Sozial- hilfeempfänger beziehen ständig "Hilfe zum Lebensunterhalt', geschätz- te 5 000 Drogen- und Rauschgiftabhängige warten auf Hilfe und mehr als 3 000 Jugendliche sind ohne ein geregeltes Ausbildungs- und Be- schäftigungsverhältnis.

Zur mittelbaren und unmittelbaren Betreuung dieses Personenkreises sind im Land Berlin, in den Haupt- und Bezirksverwaltungen, gegen- wärtig rd. 2 300 Sozialarbeiter beschäftigt. Dabei teilen sich die Sozialarbeiter auf drei Verwaltungen auf: Es gibt die Senatsverwal- tungen (als sog. Hauptverwaltungen, die gleichzeitig die Ministerial- aufgaben der Flächenstaaten zu leisten haben) und die entsprechen- den Bezirksverwaltungen für 'Gesundheit', "Jugend! und 'Soziales', Schaubild 1

Schaubild 2 Theoretisch ist für jeden 'Fall' die Zuständigkeit eindeutig gere-

gelt, praktisch kommt es jedoch zu Doppel- und Mehrfachbetreuungen, Die Klienten wissen sowieso kaum,an wen sie sich zu wenden haben, noch viel weniger, wer für ihr Problem tatsächlich zuständig ist, Dieser Zustand ist für alle unbefriedigend, zumal diese Struktur der Verwaltungsorganisation Ansätze von Team- und interdisziplinärer Zusammenarbeit weitestgehend verhindert.

Entwicklung des Projektrahmens

An diesem Punkt setzten in Berlin Überlegungen an, die Struktur der Organisation der Sozialen Dienste zu verbessern und den gewandelten Anforderungen anzupassen. Erste Ansätze zu einer Reform gehen bis Ende der 60-iger Jahre zurück, als in der Senatsjugendverwaltung neue Organisationsrichtlinien für dieses Amt entwickelt werden soll- ten. Bei dieser Arbeit wurde schon bald deutlich, daß, wollte man

es nicht nur bei einer halbherzigen organisatorischen Anpassung an inzwischen eingetretene Entwicklungen belassen, eine Koordination der Planung mit der anderer Senatsverwaltungen erforderlich war.

Es kam hinzu, daß Anfang der 70-iger Jahre während der damaligen allgemeinen Reformfreudigkeit durch Einrichtung einer Planungsleit- stelle eine Vielzahl von auch ressortübergreifenden Planungsvorhaben begonnen wurden.

Dies führte dazu, daß schließlich im März 1972 durch Senatsbeschluß ein ressortübergreifendes Planungsteam für den Aufgabenbereich 'Neu- strukturierung der Sozialen Dienste' eingesetzt wurde.

—————— [I Exkurs: Stichwort zum Berliner Planungssystem

Die tragenden Organe des Berliner Planungssystems sind das "Planungs- team' und der '"Planungsausschuß'.

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SCHAUBILD 1

Gliederung der Berliner Verwaltung P>

Senatskanzleı

| Recht und Verwaltung. li Berlin-Politik. IIi Innere Politik IV Presse V i n. Vi Fremdenverkehr. VII Protokoll

Der Regierende Bürgermeister von Berlin Stobbe

Der Bürgermeister von Berlin Lüder

Der Senator f. Bundesan- Der Senator für

gelegenheiten Bevoll- Familie, Jugend u Abt I Verwaltung u Recht, Il Allg. Familien u. Jugendhilfe. 1l! Öffentl Erzie Dienststelle Berlin mächtigter d. Landes Ber- Sport hung IV Sport u Freizeit

lin b. Bund. Prof, Heimann Reichel

Der Senator für Abt G General u Rechtsangeiegenheiten, | Allgemeine Abterlung. Il Medi hnaiwesen, Allgemeine Hygiene. I Krankenhaus und ambulante Dienste IV Veterinärwesen. Lebensmitteluberwachung, Pharmaziewonen, V Umwelt

schutz

Abt AV Allg Verwaltung. I Vertassungs: u Verwaltungs. Wahlen, Datenschutz. | Der Senator für 5 Jangehöngk., Namens u Porsonenstandawenen. Geschäftsvert, Entscha Gesundheit u digung u Bett d Opfer d nationalsor Verfolgung. Ii Recht d oltent! Dienstes, Inneres

M Ottenni Sicherh. u. Ordnung. IV Landesamt tur Vertassungsachutz, V Porsonal | L riep Umweltschutz planung, Stellenplan. Organisanon. Burotech , VI Elekti Datenverarbeitung Pätzold

Abt. | Rıchterecht, Anwalts- u Notanatswesen, Personal, Prulungawesen. Aus Der Senator für aki 5 iai i Yon i 2Zei ngelegenheiten | Bau: u Wohnungsaufsicht Ji Landes- u

u Fortbildung, Orgamsation, Gerichtaverfassung. Haushalt, II Öffentl Recht Der Senator für Bau- u. Wohnungs: Stadtplanung. Stadterneuerung. Il Grünflächen, Naturschutz u Wasserwesen.

Gesetzgebung u Verfahren. I Zivilrecht, Zwilverlahrensrecht, Fishussachen Justiz Intern Rechishule in Zwisachen, IV Strafrecht, Stralverlahrensrech und wesen IV Bauförderung. Wohnungswesen und Bauwirtschaft. V Vermessungswesen,

Rechishife in Strafnachen, V Justizvollzug. Gnadenwenen. Soz Dienste m Meyer Justizbermch, Strafvolistreckung 2 Ristock

VI Hochbau, VI Tiefbau

3 Abt. 1 Allgemeine Verwaltung. II Wirtschaftspoliik, Ill Recht, Banken und Ver Der Senator für Der Senator für ‚sicherungen, Handwerk, Landeshartelibehörde und Verbraucherpoltik, IV

Abt | Allg Verwaltung Rechtsangelegenheiten, Il Berlıner Schule e aa Mee aaa Schulwesen Wirtschaft u. Verkehr | insustne. Gewerbe, Energie. Wirtschafstorderung. V Ernährung, Landwirt schaft. Forsten und Handel, generelle Grundsatz: und Planungsangolegen

Rasch Luder heiten der Senatsverwaltung, VI Verkehr. VII Bevorratung

Der Senator für Abt. | Allgemeine Abteilung: DKLB und DKLB-Stiftung, II Finanzpolitik, Finanz Osr Sanmontur wirtschaft, Haushalt, II! Angelegenheiten der Steuerverwaltung; Automaton

Abt. | Gemeinsame Angelegenheiten, Grundsatzlragen und Hoch

ontwmeklungsplanung. Ii Wissenschaft. Ausbildungsförderung Wissenschaft Finanzen Dan N a aiaa k a N a

M Forschung u. Forschung Landesvermögen. Bürgschaften, V Landesausgleichsamt. VI Besatzungs Dr. Glotz Dr Riebschläger lasten

Abt | Rechts ‚Personal und Haushaltsangelegenheiten

Abt | Verwaltung, Haushalt u Automaton. II Sozulvermscherung u Der Senator für Der Senator für horton

Knegsopterversorgung. II Arbeitsrecht u Arbeitsmarkt, IV Berufl Bildung, V Arbeitsschutz, Unfallverhütung. VI Soz Dienste u Ein Arbeit u. Soziales Kulturelle H Kuchi Angelogen Angelegenheiten

nchtungen. VII Soziaihile, Fiuchtingawesen, VIII Knegsopfer tursorge u Betundertenhilfe Sund Dr. Sauberzweig

SCHAUBILD 2

Mustergliederung eines Bezirksamtes

Bezirksamt

(Bezirksbürgermeister und 6 Bezirksstadträte)

Abt Abt

Abt Abi Abt Abt

Gesundheits Wirtschaft gl Finanzen X

woson

Jugend und

Personal und Volksbildung Sozialwesen Sport

Verwaltung

Amu Amior Amter Amter Amter Amtor Amor Haushai

Gesundheitsamt Stadtplanungsamt Gewerbeamt Berrkskanse

Schulamt Allg Verwaltung Alig Verwaltung Verwaltungs Kunstamt Sor Einrichtungen Vormundschalts Vet und Vermessungsamt | am Volks und Angebote und Unterstutzungs Lebenamittelauf Hochbauamı Standonamt hochachule Allg so: wesen sichteamt Tıelbavamı amt Bezirks. Nusikschule Dienste Famihenlürsorge Gartenbauamı Ausgleichs Wohngeldamt amt 3)

oinwohneramt Bes soziale Erziehungs Bücherei Dienste beratung Bau und Wohnungs)

Sor Sonder Famillen und Heimpliege Jugendptiege Sportamt Baderamı

Grundstücks

Rechtsamt aufsichtsamt

leistungen

1) In den Bzırken Tiergarten. Wedding und Kreuzberg nicht vorhanden, die Aulgaben werden vom Senator fur Bau- und Wohnungswesen wahrgenommen } In den Bezirken Wodding, Wilmersdorf, Schöneberg und Reinchendort, Abteilung Finanzen und Wirtschaft Dom Bezirknamt nachgeordnet Nichtrechtsfähige Anstalten (z B Schulen Krankenhausbetriebe)

3) Zentralinierung geplant

© Planungsteam

Für Angelegenheiten von besonderer Bedeutung und soweit mehr als

ein Ressort betroffen ist, werden zur Sicherstellung einer ressort- übergreifenden Planung in Angelegenheiten von besonderer Bedeutung vom Senat sogenannte Planungsteams für bestimmte Ziel- und Pro- grammplanungen eingesetzt. Ihre Aufgabe ist es, gemeinsame Konzep- tionen zur Lösung auftretender Probleme zu erarbeiten. Die Planungs- teams setzten sich aus fünf bis sieben Fachleuten der beteiligten Ressorts zusammen und sind in ihrer Arbeit nicht weisungsgebunden. Allerdings sind die erarbeiteten Konzepte für die Exekutive auch in keiner Weise verbindlich und haben nur den Charakter einer Planungs- studie.

© Planungsausschuß

Der Planungsausschuß ist das Lenkungsorgan der beteiligten Verwal- tungen unter Beteiligung der Legislative und setzt sich aus Senato- ren, Vertretern der Bezirksämter und Mitgliedern der Fraktionen des Abgeordnetenhauses zusammen. Aufgabe des Planungsausschusses ist es, den Planungsteams Prämissen ihrer Arbeit vorzugeben und die im Pla- nungsteam erzielten Ergebnisse auf ihre - auch politische - Reali- sierbarkeit hin zu prüfen. Der Planungsausschuß soll verhindern hel- fen, daß Planungsüberlegungen in eine unerwünschte Richtung zielen, ohne daß jedoch umgekehrt bei einer Billigung der Planungsergebnis- se durch diesen Ausschuß davon ausgegangen werden kann, daß die Er- gebnisse erwünscht sind und somit die Gewähr gegeben ist, daß die Planung auch tatsächlich realisiert wird.

Jedes Planungsteam veröffentlicht seine Ergebnisse in einem sogenann- ten "Abschlußbericht', der dem Abgeordnetenhaus zur Kenntnisnahme zugeleitet wird.

. En Die "Rote Bibel" m „SUrE Bibel

Aufgabe des Planungsteams "Neustrukturierung der Sozialen Dienste' sollte es laut Senatsbeschluß sein, "Inhalte, Methoden und Organi- sationsformen des sozialen Dienstes auf die veränderten gesellschaft- lichen Verhältnisse, die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse und neu formulierten Gesetzesaufträge einzustellen mit dem Ziel des ef- fektiven Einsatzes der persönlichen und materiellen Hilfen und einer optimalen Befriedigung der Bedürfnisse der Klienten".

Zur Durchführung dieser Aufgabe ließen sich die Teammitglieder zu- nächst in Quickborn bei 'Metaplan' schulen. 'Metaplan' hat sich darauf spezialisiert, Planungsprozesse im Öffentlichen Dienst zu begleiten und zu moderieren, wobei die Teilnehmer angehalten werden, auf mehr oder weniger assoziativer Grundlage unter Anleitung eines Moderators Ideen und Vorstellungen zu entwickeln. Auf diese Weise werden zwar möglicherweise eine Reihe interessanter Vorschläge pro- duziert, doch fehlt jede Auseinandersetzung mit den gesellschaftli- chen und gesetzlichen Bedingungen und Voraussetzungen, worunter die Praktikabilität der so entwickelten Konzepte entscheidend leidet.

Es führt oft zu dem Zustand, daß zwar papierne Vorstellungen über einen wünschenswerten Idealzustand entwickelt werden, dabei jedoch keine auch für die Praxis brauchbaren Alternativen zustande kommen. Kritiker dieses Quickborner Planungsverfahrens haben denn auch die- se Art, Planung zu betreiben, mit "quickly born, quickly died' cha- rakterisiert.

8

Die Arbeiten an dem Bericht dauerten bis Herbst 1973, bevor eine erste Fassung als Zwischenbericht vorgelegt und zur Diskussion ge- stellt werden konnte. Nachdem noch eine Reihe von Verbesserungen

und Änderungswünsche verschiedener Seiten eingearbeitet waren, konn- te dann im Frühjahr 1974 der Abschlußbericht vorgelegt werden. We- gen seines roten Einbandes wurde der Bericht im Zuge der weiteren Erörterungen "Rote Bibel' genannt.

In diesem Bericht werden die Inhalte und Zielvorstellungen der So- zialarbeit wie folgt bestimt:

"Sozialarbeit darf nicht nur Reaktion auf vorhandene Mißstände sein, sondern muß darüber hinaus zum Ziel haben, die sich im steti- gen Wandel befindende Gesellschaft aktiv mitzugestalten. Sie muß in der Lage sein, neue Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens

zu akzeptieren und - wo nötig - zu fördern.

Der Sozialarbeiter wird insbesondere die Aufgabe haben,

e zur Herbeiführung gegenseitigen Verständnisses Artikulationshil- fen anzubieten,

e sozio-Öökonomische Abhängigkeiten aufzuzeigen,

e emanzipatorische Hilfen anzubieten,

e Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und aktiv bei der Sozialplanung mitzuwirken,

e unbürokratisch Eigeninitiative der Bürger durch fachliche Beratung zu unterstützen,

e als Auftrag der Sozialarbeit auch Bildungsarbeit zu begreifen und entsprechend zu handeln."

Als Voraussetzung zur Erfüllung dieser anspruchsvollen Zielsetzung

wurden vom Planungsteam drei Bedingungen genamnt:

e Teamarbeit

e interdisziplinäre Kooperation verschiedener Fachressorts

e Bürgernähe der Sozialarbeit sowohl in sachlicher als auch in räumlicher Hinsicht

Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze werden sodann im Bericht die

folgenden Organisationsvorschläge entwickelt:

© Regionale Arbeitsgruppen (RAG)

Aufgabe aus den drei Verwaltungen/Abteilungen "Familie und Jugend', "Gesundheitswesen! und 'Sozialwesen' sollen in sogenannten 'regiona- len Arbeitsgruppen' zusammengefaßt werden,

Dieser Vorschlag zur Regionalisierung der Sozialarbeit ist ein we- sentliches Kernstück der gesamten Reformvorschläge. Die regionale Arbeitsgruppe soll eine relativ selbständige Einrichtung im Wohnge- biet außerhalb der Rathäuser und für einen Einzugsbereich von rd.

25 000 Einwohner zuständig sein. In ihr sollen Sozialarbeiter und Angehörige des nichttechnischen Verwaltungsdienstes (Verwaltungs- beamte und -angestellte) aus den drei Sozialressorts in Arbeitsteams gleichberechtigt zusammenarbeiten. Unter Zugrundelegung des derzei- tigen Mitarbeiterstamms würde ein Team aus max. zwölf Personen be- stehen (sieben Sozialarbeiter und fünf Fachleute der Verwaltung). Die regionale Arbeitsgruppe ist nach Ansicht der Autoren die geeig- nete Organisationsform, um

e Mehrfach-und Doppelbetreuungen zu vermeiden,

e die Verwaltungsorganisation für den Bürger überschaubarer zu machen,

e zur Lösung von Problemen unterschiedliches Fachwissen zusammen- zuführen und h

e damit die Organisationsform sozialer Dienstleistungen auch den veränderten gesellschaftlichen Anforderungen anzupassen.

Dazu gehört auch, die bisher gewachsene Spezialisierung der Sozial-

arbeit in Form einer immer weitergehenden Aufgabenausdifferenzie-

rung zugunsten eines zusammenfassenden zielgruppenorientierten An-

satzes aufzugeben.

Solche möglichen Zielgruppen sind:

e Hilfen für Kinder, Jugendliche, Erwachsene

e Hilfen für Problemgruppen: Obdachlose, arbeitslose Jugendliche, Senioren etc.

Ein solcher Ansatz, der auf die Zusammenfassung aller Hilfsangebote und -möglichkeiten für die Bedürfnisse der speziellen Zielgruppe ge- richtet ist, erscheint den Autoren als ein gangbarer Kompromiß zwi- schen der Sozialarbeit als Spezialistentum einerseits und einer un- differenzierten Allgemeinfürsorge andererseits.

Ergänzend zu dieser Zielgruppendifferenzierung werden sechs Aufga- benschwerpunkte unterschieden. Im Info I der Arbeitsgruppe werden aufgezählt:

l. Hilfen materieller Art

2. Hilfen für Einzelne und Gruppen

3. Hilfen zur Gesundheit (Prävention und Gesundheitshilfe)

4. Prophylaktische Arbeit

5. Wohngebietsbezogene Arbeit

6. Bildungsarbeit

Schaubild 3

Dieses Konzept regionalisierter Sozialarbeit löste im weiteren Ver- lauf der Diskussion die heftigsten Kontroversen aus. Insbesondere wurde bezweifelt, ob Verwaltungsangehörige und Sozialarbeiter gleich- berechtigt in Teams würden zusammenarbeiten können. Sozialarbeiter fürchteten, daß für ihre zukünftige Arbeit zu sehr Verwaltungsge- sichtspunkte bestimmend sein würden; von Verwaltungsseite wurden Zweifel laut, der Diskussion mit Sozialarbeitern gewachsen zu sein.

(J Zentraleinrichtungen

Für Aufgaben, die nicht regionalisierbar sind, wurde die Zusammen- fassung in 'Zentraleinrichtungen' vorgeschlagen. Bedeutsamste Zen- traleinheit war das 'diagnostisch-therapeutische Zentrum' als Zu- sammenfassung aller Hilfen gesundheitlich-sozialer Beratung und Be- treuung, um sowohl in differential-diagnostischer als auch therapeu- tischer Hinsicht eine interdisziplinäre Kooperation zwischen Sozial- arbeitern und weiteren Fachleuten zu erreichen. In jedem der zwölf Berliner Bezirke sollte jeweils ein Zentrum errichtet werden, wobei für Spezialaufgaben - wie Hilfen für Sehbehinderte etc. - eine un- terschiedliche Schwerpunktbildung nach bezirksübergreifender Ab- sprache stattfinden sollte.

10

SCHAUBILD 3

Bereitschafts - dienst

Regionale Arbeitsgruppe

© Periphere Einrichtungen

Darüber hinaus wurden eine Reihe von peripheren Einrichtungen und Gremien zur Vervollständigung des Gesamtvorschlags konzipiert, Ein Vorschlag z.B. zielt auf die Einrichtung bezirklicher Arbeitsgemein- schaften zwischen dem Bezirksamt und den Verbänden der freien Wohl- fahrtspflege, um eine optimalere Planung der sozialen Betreuung

und Versorgung zu erreichen. Die Einrichtung eines gemeinsamen Fort- bildungswerkes für Sozialarbeiter und die anderen Mitarbeiter der Verwaltung soll einer besseren Abstimmung der Fortbildungsbedürf- nisse der Mitarbeiter dienen.

IP EEE u O S ES Ic ERS Kritik der Reformvorstellungen

Der Abschlußbericht des Planungsteams "Neustrukturierung' wurde von der unmittelbar betroffenen Fachöffentlichkeit mit Skepsis aufge- nommen, während die ungeteilte Zustimmung im Quadrat der Entfernung von Berlin wuchs.

Von der Verwaltung wurde zunächst rechtlich argumentiert. In einem noch vom Planungsteam in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten kommt

ein namhafter, wenngleich wahrlich nicht besonders fortschrittlicher Verwaltungsjurist zu dem Ergebnis, daß mit der Verwirklichung die- ser Reformvorstellungen so "erhebliche! Rechtstatbestände wie die 'Rechtsgleichheit zwischen den Bundesländern' und die "Einheitlich- keit des (Verwaltungs-)Rechtssystems' in Frage gestellt seien und bemüht zum Beweis das Grundgesetz und eine Fülle weiterer Rechts- quellen. Desgleichen wird in diesem Gutachten die Möglichkeit von Teamarbeit in der Verwaltung unter Einschluß von Teamentscheidun- gen verneint, weil damit das Prinzip der Einzelentscheidung (Sachbe- arbeiterentscheidung) durch plebiszitäre Gruppenentscheidungen aufge- hoben werde, Dieses bedeute für den Bürger einen Abbau an Rechtssi- cherheit, weil es ihm z.B. bei einem belastenden Verwaltungsent- scheid unmöglich wird, sich an den dafür verantwortlichen Sachbear- beiter zu wenden.

Von Seiten der politischen Administration wurden politische und fi- nanzielle Bedenken erhoben. Die politischen Bedenken richteten sich gegen die Durchsetzbarkeit dieser weitgehenden Reformvorstellungen, da, wenngleich im Bericht selbst explizit nicht gefordert, eine Zu- sammenfassung von Aufgaben aus den drei Ressorts längerfristig eine Reduzierung der Zahl der Bezirksstadträte - z.Zt. sieben in jedem der zwölf Berliner Bezirke (davon allein je drei für die Sozial- Ressorts) - die Folge sein müßte. Zwar waren alle Rathausparteien für Sparmaßnahmen, jedoch war keine Partei bereit, auf Versorgungs- posten für ihre verdienten Funktionäre zu verzichten, zu denen eben auch ein Bezirksstadtratsposten mit entsprechendem Pensionsanspruch gehört.

Zu den finanziellen Auswirkungen wurde eine Modellberechnung des Finanzsenators vorgelegt, nach der allein die diagnostisch-therapeu- tischen Zentren 3-4 Mio DM pro Bezirk kosten würden. Trotz der von allen Fachleuten geforderten Verbesserung der psycho-sozialen Be- treuung der Bevölkerung war der Senat nicht bereit, diese Summe bereitzustellen.

Die Berliner ÖTV äußerte sich weit skeptischer zu den dem Modell-

12

vorschlag zugrunde liegenden Intentionen als der Hauptvorstand der ÖTV in Stuttgart, der im März 1976 in einem als Diskussionsvorschlag bezeichneten Thesenpapier zur Neustrukturierung der Sozialen Dienste sich die Ergebnisse des Berliner Abschlußberichts z.T. wörtlich zu eigen machte.

Von der Berliner Fachgruppe Sozialarbeit der ÖTV hingegen wurde mehr auf die Probleme einer praktischen Umsetzung der Ergebnisse verwie- sen und eine Reihe von Forderungen erhoben: So soll sichergestellt werden, daß die Umsetzung der Planungsergebnisse nur unter freiwil- liger Beteiligung von Sozialarbeitern durchgeführt wird und ferner der 'Sparbeschluß' über die Festschreibung der Sozialarbeiterstel- len aufgehoben wird, um die aus einer Umstellung resultierenden Mehr- belastungen der Kollegen durch eine entsprechende Personalvermehrung auszugleichen.

In einer Stellungnahme wurde davor gewarnt, eine Reorganisation der Sozialen Dienste unter Rationalisierungsgesichtspunkten zu betreiben und darauf aufmerksam gemacht, daß eine Verbesserung der Arbeitswei- se Sozialer Dienste ganz wesentlich von einer Verbesserung der Ar- beitsbedingungen und -voraussetzungen, für die allein der Senat mit seiner Politik verantwortlich ist, abhängt.

Auch von Seiten der Sozialarbeiter und ihrer Berufsorganisationen wurde heftige Kritik laut. Es wurden Befürchtungen geäußert, daß

mit der Aufhebung der Spezialfürsorgen ein bereits erreichter Stand der fachlichen Arbeit zurückgenommen werde und durch die Hintertür der ehemalige 'Fürsorger für alles' wieder Eingang in die Arbeit fin- det.

Ein Teil der Sozialarbeiter fühlte sich wohl auch von den auf sie zukommenden neuen Aufgaben und Arbeitsweisen überfordert, andere wiederum waren nicht bereit, auf einen bereits erworbenen Status in der behördlichen Hierarchie zugunsten einer gleichberechtigten Team- arbeit zu verzichten.

Im Verlauf der Diskussion wurde schließlich die Forderung erhoben, vor einer so weitgehenden administrativen Veränderung der Arbeits- strukturen zunächst einmal die Bedürfnisse der Klienten zu erfor- schen. Nur wenn fundierte Aussagen auf wissenschaftlicher Grundlage über ein Anforderungsprofil von Klienten und Klientensystemen an die Sozialarbeit gemacht werden könnten, so wurde argumentiert, sei zu beurteilen, ob die Neuorganisation auch tatsächlich den Bedürfnis- sen der Klienten entgegenkomme und nicht nur Bedürfnisse der Verwal- tung abdeckt.

Pe Er E FELSEN EEE Modellversuch zur Neustrukturierung

Als Ergebnis der Erörterungen und Diskussionen und trotz aller Ein- wände wurden im Frühjahr 1975 in 16 vom Senat verabschiedeten "Leitlinien" Teile des Gesamtmodells zur praktischen Erprobung

im Rahmen eines dreijährigen Modellversuchs bestimmt. Dazu wurde

zur Vorbereitung, Durchführung und wissenschaftlichen Begleitung

und Auswertung eine fünfköpfige Arbeitsgruppe mit der Aufgabe ein- gesetzt, zusätzliche Entscheidungskriterien für die weitere Modell- bewegungsdiskussion zu bekommen.

Dieser Modellversuch ist von Beginn an nur halbherzig betrieben wor-

13

den und praktisch nie zur Durchführung gekommen.

Zunächst brauchte der Senat weitere eineinhalb Jahre, bis die Mit- glieder der Arbeitsgruppe ausgewählt und eingestellt waren. Im Herbst 1976 konnte dann mit der praktischen Erprobung begonnen wer- den, zu einem Zeitpunkt, als Berlin wieder mal in einer akuten Fi- nanzkrise steckte. Zur Sicherung des Finanzhaushalts waren gerade sogenannte 'Sparbeschlüsse' verabschiedet worden, die u.a. auch Ein- sparungen für den Sozialbereich beinhalteten.

In diesem Zusammentreffen von Sparmaßnahmen und dem Beginn der Tätig- keit der Arbeitsgruppe wurde ein ursächlicher Zusammenhang gesehen. Neustrukturierung, so hieß es nun, ist das versteckte Bemühen um eine Effektivitätssteigerung der Sozialarbeit durch verstärkte Aus- beutung des vorhandenen Mitarbeiterstabes. Es wurde der Verdacht laut, daß unter dem Vorwand der Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Wirklichkeit Rationalisierungsabsichten des Senats verwirklicht werden.

Es kam dann zwar 1977 noch zur Auswahl von zwei Modellerprobungsbe- zirken (Neukölln und Reinickendorf), in denen regionale Arbeitsgrup- pen eingerichtet werden sollten, jedoch hatte inzwischen die tat- sächliche Entwicklung die 'Modellbewegung von oben' längst überholt. Es darf dabei nicht unberücksichtigt bleiben, daß inzwischen über fünf Jahre seit Beginn der Diskussion um eine Neuorganisation ver- gangen waren und sich während dieser Zeit auf lokaler Ebene eine Reihe von Initiativen und Entwicklungen eingestellt hatten, die zu neuen Arbeitsformen und -ansätzen geführt hatten. Gerade von diesen engagierten und fortschrittlichen Kollegen wurde das von außen auf- gesetzte Modell einer Neustrukturierung ohne Berücksichtigung der lokalen Besonderheiten als eine massive Gefährdung der derzeitigen Arbeitsbedingungen angesehen. Keiner wollte sich freiwillig für einen Versuch hergeben, dessen Ausgang ungewiß war.

Zu einer umfassenden Erörterung der Bedingungen eines fortschritt- lichen Modellversuchs unter ausreichender Beteiligung aller Betrof- fenen und unter Wahrung derer Interessen ist es dann: aber gar nicht mehr gekommen. Zwischen alle Fronten geraten, ist das Projekt, unter welchen Prämissen auch immer, inzwischen de facto wohl gescheitert - jedenfalls ist es in Berlin inzwischen still geworden um alle Re- formvorhaben im sozialen Bereich.

BREMEN

(vergl. dazu: Teil 4, Abschnitt 3.3.) bearbeitetes Tonbandprotokoll

In Bremen gibt es zur Zeit drei wesentliche Bereiche Sozialer Dien- ste; da ist zunächst die Familienhilfe mit sehr breit gefächerten Aufgaben, dann das Jugendamt mit den verschiedenen Abteilungen und das Sozialamt, Diese drei Bereiche sollen zusammengelegt werden, wo- bei allerdings auf der Stadtteilebene nach dem Zielgruppenprinzip gearbeitet werden soll.

Gerade diesen Punkt kritisieren wir, denn mit dem Zielgruppenprin- zip ist nichts Neues geschaffen, sondern es sind nur ein paar Ämter und Abteilungen umbenannt. Ohne Neuorganisation arbeiten wir zum

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Teil in Gruppen, die sich an einem Stadt- bzw. Ortsteilprinzip orien- tieren und damit über die geplante Neuorganisation schon hinausge- hen. Unsere Forderung ist deshalb, daß diese Aufteilung nach dem Zielgruppenprinzip aufgehoben wird, daß statt dessen überschaubare Arbeitsgruppen in den Stadtteilen mit einer Allzuständigkeit ge- schaffen werden.

Vor etwa vier Jahren begann eine Untersuchungsgruppe, eine Ist-Ana- lyse der Sozialen Dienste in Bremen zu erarbeiten. Dabei herausgekom- men ist "Die Neuorganisation der Sozialen Dienste" in Bremen. Diese Untersuchung bringt neben der Ist-Analyse einen Vorschlag der Neuor- ganisation der gesamten Sozialen Dienste in Bremen.

Danach ist z.B. vorgesehen, daß die verschiedenen Zielgruppen für Kinder, Jugendliche und die Gruppe für Sozial- und Wirtschaftshilfe jeweils als Fachgruppe miteinanderkooperieren und auf Stadtteilebe- ne stadtteilbezogene Konferenzen abhalten. Das Ganze ist sehr theo- retisch und wir haben dieses Modell auf einer Weiterbildungsveran- staltung anhand eines Planspiels durchgespielt. Dabei sind wir zu dem Ergebnis gekommen, daß im Grunde genommen nur die jetzige Orga- nisationsform unter einem neuen Namen weitergeführt wird, das in- haltlich aber tatsächlich keine neuen Arbeitsmöglichkeiten gegeben sind. Wir lehnen deshalb diese Form der Neuorganisation ab.

(Vgl. Dokument, S. 78)

Parallel zu dieser Diskussion um die Neuorganisation laufen Arbeits- gruppen zur Erstellung eines Jugendhilfeplanes. Die Jugendhilfepla- nung geht davon aus, daß die betroffenen Sozialarbeiter einbezogen werden müssen. Zur Zeit laufen in zwei Stadtteilen Planungen unter Leitung eines von der Senatorischen Dienststelle dafür freigestell- ten Mitarbeiters.

In Bremen ist vorgesehen, die Neuorganisation erst modellhaft in einem Stadtbezirk zu erproben, und es herrscht zur Zeit große Unsi- cherheit, wo dieses Modell zuerst durchgeführt werden wird. Vor al- lem ist unklar, unter welchen Bedingungen es laufen soll, denn es ist davon auszugehen, daß keine zusätzlichen Stellen geschaffen wer- den sollen.

Nachfrage: Was ist denn dieses Zielgruppenkonzept?

Das bedeutet praktisch nur eine Umbenennung: Die jetzige Familien- hilfe wird heißen "Sozialer Dienst Kinder und deren Familien" und die jetzige Jugendhilfe wird dann heißen "Sozialer Dienst Jugendli- che und deren Familien".

Wirtschaftliche Jugendhilfe ist praktisch die jetzige Kostenstelle. Dieses Nebeneinander der Bereiche ist gerade das, was wir ändern wol- len. Besonders wichtig ist, daß Sozialarbeiter und Verwaltungskolle- gen enger und gezielter miteinander arbeiten können.

Übrigens ist es auch in Bremen so, ähnlich wie in Berlin, daß sich, vor allem in der Familienhilfe schon Modelle und Projekte entwickelt haben, die inhaltlich zum Teil weit über die geplante Neuorganisa- tion hinausgehen.

15

FRANKFURT (überarbeitetes Tonbandprotokoll)

Der Aufbau in Frankfurt ist grundsätzlich anders als in Hamburg, da Frankfurt ja Stadt ist und kein Stadtstaat. Es gibt an der Spitze einen Dezernenten, der Wahlbeamter für vier Jahre ist: Dezernent für Soziales und Jugend. Im Sozialbereich gibt es dann drei wichti- ge Dienste: das Dezernatsverwaltungsamt, das Jugendamt und das So- zialamt.

Alle drei sind zunächst auf zentraler Ebene angeordnet, denen dezen- tral sogenannte Sozialstationen nachgeordnet sind (wobei Sozialsta- tionen in Frankfurt einen anderen Inhalt haben als z.B. in Hamburg oder Rheinland-Pfalz). In Frankfurt sind Sozialstationen Organisa- tionseinheiten der Sozialverwaltung. Sie werden von einem Leiter geleitet; die Sozialstation selber ist dann in folgende Abteilungen unterteilt:

® Familienfürsorge,

® wirtschaftliche Sozialhilfe,

© wirtschaftliche Jugendhilfe,

® Amtsvormundschaft.

Diese Abteilungen werden jeweils von Oberfürsorgerinnen (Ofüs) bzw. Sachgebietsleitern geleitet.

Neun derartige Sozialstationen gibt es in Frankfurt, wobei die Ab- grenzung ihrer Bereiche z.T. sehr willkürlich ist.

In der Abteilung Familienfürsorge arbeiten zehn bis fünfzehn So- zialarbeiter, die eine Art Allzuständigkeit haben - bis auf Aufga- ben, die zentralisiert sind (darauf komme ich gleich .noch), und Er- mittlungsaufgaben für das Sozialamt, die wirtschaftliche Sozialhil- fe und die Amtsvormundschaft. Sonst machen die Sozialarbeiter wirk- lich alles, d.h. inklusive Innen- und Außendienst. Diese Trennung gibt es hier nicht. Insgesamt arbeiten also 40 bis 50 Leute in so einer Sozialstation.

Zentral sind in den drei oben genannten Ämtern folgende Aufgaben konzentriert, wobei jeweils das, was zentral oder dezentral gemacht wird, relativ willkürlich ist. Wenn irgendwie ein neues Problem auftaucht, wird es entweder zentral oder dezentral zugeordnet.

Bei der Zentrale gibt es so eine Art Koordinationsstelle, in der auch der leitende Sozialarbeiter, also praktisch der höchste Sozial- arbeiter in Frankfurt, angeordnet ist. Hier wird auch Zentralstati- stik und ähnliches durchgeführt.

Vor einigen Jahren war die Besetzung der lange unbesetzten Stelle

des leitenden Sozialarbeiters eine Basisforderung. Die Basis glaubte zunächst, daß solch eine Stelle wichtig wäre, um die Interessen der Sozialarbeiter auch oben zu vertreten. Aber diese Forderung hat sich als "Schuß nach hinten' herausgestellt: Nämlich auch Sozialarbeiter in höheren Positionen sind eben in erster Linie Leiter und nicht Sozialarbeiter. Damals hatten wir noch sehr demokratische Vorstel- lungen, es herrschte auch Personalnot, und wir hatten den Plan, da müßte jedoch irgend jemand sein, der keine direkten Vorgesetztenfunk- tionen wahrnimmt, sondern eine Art Koordinator ist, z.B. Kontak

zur Fachhochschule hält, Sozialarbeiter-Fortbildung organisiert u.ä.. Wir haben damals statt einer Stelle zwei gefordert. Die haben wir

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sogar auch gekriegt. In der damaligen Zeit, das kann man sich heute kaum vorstellen, gab es eine akute Personalnot. Von den zehn Stel-

len waren vielleicht drei oder fünf besetzt. Wir haben uns, solange die Stelle nicht besetzt war, selbst koordiniert. Es gab also große Sitzungen, und wir haben versucht, Strukturreformen durchzuführen,

z.B. Abschaffung der Oberfürsorgerinnen.

Aber eines ist uns hinterher klar geworden: Wenn irgendeine Koordi- nationsstelle eingerichtet wird, dann hat die auch Machtbefugnisse.

Neben dem Dezernatsverwaltungsamt gibt es dann noch Jugendamt und Sozialamt auf zentraler Ebene, die alle drei an sich gleichrangig sind. Zentral ist auch die allgemeine Gesundheitshilfe und die TBC- Hilfe angeordnet. Zwar gibt es da auch Zuordnungen zu Sozialstatio- nen, aber sie sind von der Struktur her gesehen zentral. Auch die Altenhilfe ist zentralisiert. Dann ist noch die Gefährdetenhilfe zentralisiert, dazu gehört die Obdachlosenhilfe, das Pflegeamt, die Wohnungsfürsorge. D.h. also, daß die ganze Obdachlosenproblematik zentralisiert ist.

In diesen Ämtern sitzen allerdings auch häufig Sozialarbeiter. So- wohl im Jugendamt als auch im Sozialamt gibt es natürlich auch je- weils Grundsatzabteilungen. Im Jugendamt zentralisiert ist dann noch die Jugendpflege, also Jugendfreizeitarbeit, Ausländerarbeit, Jugendschutz und die Hauptverwaltung der Jugendfreizeitheime. Eben- falls angebunden an das zentrale Jugendamt ist die Erziehungshilfe, die aber dekonzentriert arbeitet. Ebenso ist auch das Pflegekinder- wesen zentralisiert. Allerdings ist der Bereich der direkten Be- treuung von Pflegekindern und deren Pflegeeltern dezentralisiert, d.h., daß jeweils ein Sozialarbeiter in der Familienfürsorge in den Sozialstationen nur für Pflegekinder zuständig ist. In diesem Punkt wurde also das Prinzip der Allzuständigkeit durchbrochen. Die- se Spezialisierung auf Pflegekinder wird allerdings nur dann ge- macht, wenn mindestens 50 Pflegekinder zu betreuen sind, sonst müs- sen noch andere Aufgaben übernommen werden. Diese Spezialisierung rührt nicht zuletzt daher, daß Pflegekinderunterbringung billiger ist als die Heimunterbringung.

Zentral ist ebenfalls noch die Jugendgerichtshilfe und die Adoptions- stelle.

Zusammenfassend kann man sagen, daß ein großer Teil der Sozialarbeit an sich dezentral gemacht wird, auch wenn die Zuordnung häufig zen- tral ist.

Kommen wir zurück zur Familienfürsorge, die jetzt Allgemeiner So- zialdienst heißt (siehe dazu Info Sozialarbeit, Heft 24). Wir sind zehn Sozialarbeiter in einer Gruppe und haben einen Stadtteil von ca. 54 000 Menschen zu versorgen. Die Berechnungsgrundlage ist so eine Mixtur aus Einwohnerzahlen und Aktenzahlen, wobei witzigerwei- se sich seit 15 Jahren ein Fehler durch diese Berechnungen zieht. Der führt dazu, daß bei sinkender Einwohnerzahl und gleichzeitig steigender Aktenzahl nach der Berechnungsformel weniger Sozialar- beiter gebraucht werden. Das heißt also, daß diese Berechnungsfor- mel stark an der Einwohnerzahl hängt. Entgegen dem, wie es eigent- lich sein sollte, wirkt somit die Aktenzahl eher arbeitsstellenredu- zierend.

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INFORMATIONSDIENST SOZIALARBEIT

MATERIALIEN ZUR SOZIALHILFE AKTION

Zum loo-jährigen Bestehen des Deutschen Vereins und zum 69. Deutschen Fursorgetag in Frankfurt

INFORMATIONSDIENSI SOZIALARBETI

INFORMATIONSDIENST SOZIALARBEIT

FAMILIEN- FURSORGE

Aus dem Alltag der Sozialarbeit

* Bericht + Diskussion + Dokumentation *

Arbeitsfeldmaterialien zum Sozialbereich

SOZIALARBEIT ZWISCHEN BÜROKRATIE UND KLIENT

Dokumente der Sozialarbeiterbewegung Sozialpädagogische Korrespondenz 1969 - 1973

(reprint)

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Ein Sozialarbeiter hat einen räumlich abgegrenzten Bezirk und ist innerhalb dieses Bezirks für alle Sachen zuständig. Früher gab es mal eine Zuständigkeit nach Jugendlichen, Kindern und Alten usw., das ist aber über Bord geworfen worden. Wir sind also jeweils von der Wiege bis zur Bahre zuständig. Das ist die formelle Organisa- tion, allerdings gibt es auch zahlreiche Versuche, das informell auf- zulockern, indem z.B. drei oder vier Kollegen und Kolleginnen sich zusammenschließen, damit sie sich vertreten und auch einzelfallüber- greifende Sachen machen können. Allerdings gab es solche Projekte auch offiziell. 1973 wurde eine Abteilung Gemeinwesenarbeit (GWA)

im Sozialamt gegründet, um die Obdachlosensiedlungen aufzulösen. Diese Gruppe war zwar ebenfalls wieder zentral zugeordnet, war aber dezentral in drei gefährdeten Gebieten tätig. Diese Gruppe arbeite- te relativ unabhängig, hatte keinen eigenen Vorgesetzten (das war eine Bedingung), war also direkt dem Abteilungsleiter zugeordnet. Mit dieser GWA-Gruppe gab es ziemlich viel Stunk, denn sie arbeitete anders als im Sinne der Behörden. Auch gab es sehr öffentlichkeits- wirksame Konflikte. Dabei wurde versucht, soviel wie möglich für

die Betroffenen herauszuholen. Deshalb wurde diese Gruppe als Grup- pe aufgelöst und einzeln in die einzelnen Sozialstationen versetzt.

Dabei wurde folgendes Modell entwickelt: In Gebieten mit unzurei- chender sozialer Infrastruktur, also Neubaugebiete oder Gebiete, wo viele ehemalige Obdachlose wohnten, wurden sogenannte Dreiergrup- pen eingerichtet, also drei Sozialarbeiter, die für ein Gebiet zu- ständig sind. Diese Gruppen galten als eine Einheit innerhalb der Sozialstation. Der Auftrag war, mit den Methoden der Gemeinwesenar- beit und der Sozialen Gruppenarbeit sowie der Einzelfallhilfe unter Beibehaltung der Pflichtaufgaben in relativ kleinen Bezirken zu ar- beiten. Das war zunächst die einzige Vorgabe. Insgesamt arbeiteten dann schließlich nur acht derartige Dreiergruppen, obwohl ursprüng- lich 24 geplant waren, da man 24 soziale Brennpunkte in diesem so- zialen Brennpunkt Frankfurt geortet hatte. Diesen Dreiergruppen war es möglich, in Teamarbeit stadtteilbezogen zu arbeiten. Wir hat- ten es dann so gehandhabt, daß es jeder Familie freigestellt wurde, mit welchem Sozialarbeiter sie es zu tun haben wollte, wir sonst im übrigen nach unseren Interessen arbeiteten, d.h. der eine eben stär- ker in der Gruppenarbeit, der andere mehr in der GWA. Ein Ziel war auch, daß wir untereinander austauschbar waren. Auch fühlten wir uns alle drei zumindestens nach außen für jede Familie verantwort- lich. Das bezog sich auch auf die Aktenführung, die wir sowieso sehr klein gehalten haben.

Das lief für uns sehr gut und für die Vorgesetzten sehr schlecht, mit dem Erfolg, daß nach ungefähr zwei Jahren folgende Änderungen eingeführt wurden: Es wurde eine Rundverfügung gemacht, in der jeder Sozialarbeiter verpflichtet wurde, 50 % seiner Arbeit der Einzel- fallhilfe, d.h. konkret der Familienfürsorge zu widmen. Jeder mußte 33 1/3 Z der Fälle haben und innerhalb seiner Arbeitszeit eben 50 % Einzelfallhilfe. Damit war jeder einzelne natürlich besser kontrol- lierbar und so Flausen wie GWA usw. eher ausschaltbar. Gerade aus dem hohen Anteil der GWA haben sich nämlich Konflikte ergeben, die der Verwaltung und der Stadt unangenehm waren.

Es gab parallel dazu weitere inhaltliche Einschränkungen, so Z.B., daß wir sehr auführliche Berichte schreiben mußten, damit wir auch

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kontrollierbar sind. Auch sollten wir Protokolle über Bewohner- versammlungen abgeben und all so ein Zeug. Insgesamt wollte man un- sere Arbeit einschränken, kontrollieren und verwaltungstechnisch handhabbar machen.

Als neue Tendenz kommt hinzu, daß man weitere Spezialisierungen an- strebt. Zunächst soll z.B. die Altenhilfe als spezieller sozialar- beiterischer Ansatz in die Sozialstationen eingegliedert werden, so daß wir dann schon zwei Spezialisten hätten, einen für Pflegekinder, einen für die Alten.

Insgesamt scheinen sich damit zwei widersprüchliche Tendenzen anzu- deuten: zum einen stärker zu regionalisieren und die Sozialstationen mit mehr Leuten und mehr Kompetenzen auszustatten (z.T. werden da auch neue Stellen geschaffen). Zum anderen wird durch konkrete Vor- schriften Einfluß auf die Arbeitsplätze genommen, um diese besser kontrollierbar zu machen. Damit hängt auch eine Art neue Speziali- sierung in der Dezentralisierung zusammen. Z.B. wird jetzt auch über- legt, speziell Sozialarbeiter für von Wohnungsräumung Betroffene oder Bedrohte "einzurichten", damit diese entweder die Zwangsräumung abwenden oder sozialtherapeutisch mit den Familien so arbeiten, daß es nicht zum sozialen Problem wird und das Ganze leise über die Büh- ne geht.

Damit hängt die Tendenz zusammen, die Aufgaben genauer zu beschrei- ben und auch quantifizierbar zu machen. Von vielen Kollegen und Kol- leginnen wird diese Tendenz noch nicht gesehen, sondern bislang als Hilfe betrachtet, indem Arbeitsvorgänge und Arbeitsplätze genauer beschrieben werden, wohl auch in der Hoffnung, irgendwann einmal höhergruppiert zu werden. Tatsächlich bedeuten solche "Hilfen" eine stärkere Einflußnahme und eine besondere Art von Rationalisierung

im Sinne von Effektivierung verwaltungsmäßiger Abläufe. Sozialar- beit wird so von ihrem bißchen fortschrittlichen Habitus befreit und in den Vollzug eingegliedert. Damit die Sozialarbeiter das auch nicht so merken, wird das Ganze natürlich begleitet mit sozialthe- rapeutischen Zusatzausbildungen und ähnlichen Sachen.

NEUORGANISATION DER SOZIALEN DIENSTE IN HAMBURG

In Hamburg gibt es seit über 10 Jahren Überlegungen zur Neuorganisa- tion der Sozialen Dienste. Erst 1970 waren in einer groß angelegten Reformaktion die Schul- und die Jugendbehörde in einer Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung (BSJB) zusammengefaßt worden. Im Hamburger Jugendbericht von 1973, von dem man in der Chefetage der Behörde bald nach seinem Erscheinen am liebsten nichts mehr hö- ren wollte, wurde dies richtig so begründet:

"Schule, Berufsbildung und Jugendhilfe ergänzen oder durchdringen einander und sind auf ein enges Zusammenwirken angewiesen. Um ihre Aufgaben aus einem Gesamtverständnis von Bildung, Erziehung zu erfül- len, haben Senat und Bürgerschaft die Behörde für Schule, Jugend

und Berufsbildung geschaffen. Die Aufgaben der Jugendhilfe leiten sich aus den allgemeinen Zielen von Bildung und Erziehung ab. Auch das sozialfürsorgerische Wirken im Rahmen der Jugendhilfe ist päda- gogisch bestimmt."

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Doch schon ab 1974 begann die in Hamburg regierende SPD sich in programmatischen Aussagen wie Wahlprogramm, Koalitionsvereinbarung und Regierungserklärung von diesem Konzept zu distanzieren. Damit endlich "Mitwirken und Mitentscheiden in allen gesellschaftlichen Bereichen" (SPD-Landtagswahlprogramm 74) für den Bürger möglich würde, sollten die Bezirksversammlungen gestärkt werden, (Im Stadt- staat Hamburg fällt die kommunale Entscheidungsebene weitgehend un- ter den Tisch. Die eigentlichen Kompetenzen liegen bei zentralen Fachbehörden). Vernünftigerweise sollten Fragen, die nur den Bezirk betrafen, auch dort entschieden werden. So hatten die Fachbehörden Kompetenzen an die Bezirke abzugeben. Dies galt gerade für den Be- reich der Sozialen Dienste. Entsprechend der Verwaltungslogik wur- de in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, den Jugendhilfebereich aus der BSJB auszugliedern und der Arbeits- und Sozialbehörde (AuSB) zu- zuordnen, die dann Behörde für Arbeit, Jugend und Soziales (BAJS) heißen sollte. Dies sei notwendig, damit die Bezirke zukünftig in Fragen der Sozialen Dienste nur noch einen zentralen fachbehördli- chen Ansprechspartner hätten. Die damit verbundene Gefahr einer Ver- schiebung der inhaltlichen Schwerpunktsetzung in der Jugendhilfe war zu keinem Zeitpunkt Gegenstand der offiziellen Betrachtungswei- se. Es wurde vielmehr so argumentiert, als ob ein längst fälliger selbstverständlicher Zustand hergestellt werden müsse:

"gine Zuordnung des Amtes für Jugend zur Arbeits- und Sozialbehörde ist vor allem auf Grund des engen Sachzusammenhanges geboten, wie er sich aus der gemeinsamen Rechtsentwicklung für die Jugend- und die Sozialhilfe ergibt. Jugend- und Sozialhilfe sind vor allem un- ter dem grundgesetzlichen Gebot der familiengerechten Förderung eng miteinander verbunden. Deshalb ist bei den inhaltlich zusammenhän- genden Fragen des Jugend- und Sozialwesens die Konzentration der fachlichen Lenkung auf die Arbeits- und Sozialbehörde von erhebli- chem Vorteil." (Wochendienst der staatlichen Pressestelle Hamburg,

9.2579)

1978 wurde die Neufassung des Hamburger Bezirksverwaltungsgesetzes verabschiedet, in dem die Vorstellungen der SPD von Bürgernähe

ihren Niederschlag fanden. Damit wurde die Realisierungsphase für die Neustrukturierung der Sozialen Dienste eingeleitet.

Die bei vielen Kollegen vorhandene Freude über den vermeindlichen Schritt in der Verwaltung zur Dezentralisierung der Entscheidung und zur Konzentration der Fachaufgaben am Ort verflog schnell, als deutlich wurde, daß es hier nicht um eine inhaltliche Neugestaltung der Sozialen Dienste gehen sollte, sondern lediglich um eine verwal- tungslogische Neuzuordnung. Das Vorgehen des Senats und der Behörden- spitzen bei der Durchsetzung ihres Konzepts war dubios.

Es gab 1978 und 1979 zwei öffentliche Anhörungen zur NOSD des zustän- digen bürgerschaftlichen sozialpolitischen Ausschusses, die von der Fachöffentlichkeit her gut besucht waren: viel herausgekommen ist allerdings nicht. Die zuständigen Senatoren (...der früheren Ar- beits- und Sozialbehörde und Behörde für Schule, Jugend und Berufs- bildung sowie der Behörde für Bezirksangelegenheiten, Naturschutz und Umweltplanung) und deren Fachvertreter nahmen nur ausweichend Stellung zu den Einwendungen der Fachbasis und der vom Ausschuß ge- ladenen Fachverbände. Massive Kritik an der miesen Öffentlichkeits- arbeit und unzulänglichen Informationsbereitschaft wurde "zur Kennt- nis" genommen. Es wurde klar, daß Senat und Verwaltung nicht bereit

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waren, auf Einwände einzugehen oder sie gar zu berücksichtigen. Auch auf den zur NOSD einberufenen Personalversammlungen der betroffenen Fachbehörden, and denen die zuständigen Senatoren teilnahmen, änderte sich an dieser Haltung erwartungsgemäß nichts. Innerbehördliche Arbeitsgruppen unter Beteiligung der Fachbasis liefen erst zur Regelung von Detailfragen, nachdem die Grundsatz- entscheidungen gefällt waren.

Dennoch regte sich kein nennenswerter Widerstand. Das mag daran lie- gen, daß Strukturfragen von Sozialarbeitern häufig als unwesentlich für ihren Arbeitsbereich abgetan werden, oder an dem mangelnden Vertrauen in die eigenen Möglichkeiten gegenüber dem Apparat ("Wir können ja doch nichts machen, wenn die Behördenspitze es bestimmt hat."), z.T. aber sicher einfach an der Trägheit vieler Kollegen ("Am besten, es bleibt alles, wie es war, dann komme ich am besten zurecht.''). Besonders enttäuschend war die praktische Abstinenz der gewerkschaftlichen Gruppen, die zwar frühzeitig Papiere zum Problem verfaßt hatten, sich aber in der entscheidenden Phase nicht zum mas- siven Eingreifen entschließen konnten (z.B. über die Personalräte). Grund hierfür mag sein, daß jedenfalls für den Stadtstaat Hamburg ÖTV und SPD nahezu identische Interessen vertreten, was sich inner- halb der Verwaltung inhaltlich wie auch personell als Filzokratie bemerkbar macht. Zudem haben in der ÖTV die Kollegen aus den Szia- len Diensten, vor allem die Sozialarbeiter/Sozialpädagogen und die Erzieher keine Lobby, was sich eben auch in der Durchsetzung ihrer Forderungen auf gewerkschaftlicher Ebene als Nachteil erweist. Auch die GEW hat es nicht verstanden, ihre Vorstellungen bzgl. der NOSD durchzusetzen, was damit zusammenhängen mag, daß sie traditionell eher die Interessen ihrer Mitglieder in den Schulen und Hochschulen vertritt und erst in den letzten Jahren Tendenzen sichtbar sind, daß verstärkt Sozialarbeiter/Sozialpädagogen und Erzieher in der GEW ihre Interessensvertretung sehen.

Also konnten die Änderungen mit leichter zeitlicher Verschiebung am 1.3.1980 in Kraft treten:

® Das Amt für Jugend wurde in seiner bisherigen Form aufgelöst. We- sentliche Aufgaben gingen an die Bezirke über. Ein Rumpf-Landes- jugendamt wurde in die neue BAJS eingegliedert, dazu gehören als wesentlichster Bestandteil die städtischen Kindertagesheime.

© Als "Kernstück der Reform" propagiert, wurde die Leitstelle für Soziale Dienste als eigenständiges Amt in der BAJS gebildet, das Koordinations- und Lenkungsaufgaben sowie konzeptionelle und Auf- gaben der Aus- und Fortbildung wahrnimmt. Hier wurden auch die außendienstlichen Aufgaben angesiedelt, die man nicht den Bezirken überlassen wollte (Vorbehaltsaufgaben), wie die Betreuung von 0b- dachlosen, Aussiedlern usw.

® Die praktische Sozialarbeit wurde den Bezirken zugeordnet. Dazu wurden die bisherigen Sozialdezernate in den Bezirksämtern zu Jugend- und Sozialdezernaten erweitert. Sie setzen sich zusam- men aus den Bezirksjugendämtern (bisher Außendienststellen der zentralen Fachbehörde), den Ämtern für Soziale Dienste (neu ge- schaffen), den Sozialämtern und den Ausgleichsämtern. Den Bezirks-

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jugendämtern verbleiben außer dem jugendfürsorgerischen Außen- dienst alle bisherigen Aufgaben einschließlich des oanbea Dazu kommen Angelegenheiten der bezirklichen Jugendförderun (Be- zirksjugendreferent), Jugendfreizeitstätten und Sii

Den Ämtern für Soziale Dienste wurden die Familienfürsorge Ju end- fürsorge/Außendienst und sozialtherapeutische ee pi ordnet. Ein Amt für Soziale Dienste ist in regionalen Arbeits k I pen (RAG) organisiert, in denen Kollegen der Jugendfürsorge Banker lienfürsorge und der sozialtherapeutischen Gruppenarbeit a einem leitenden Sozialarbeiter zusammenarbeiten sollen. Die Ein- zugsbereiche der RAG entsprechen den bisherigen Oberfürsorgerin- nen-Bezirken. Die Leitung wird i.d.R. von den Ofüs gestellt. Zu- ständigkeitskriterien wie Alter und Geschlecht wurden abgeschafft. Über eine vorgesehene Erweiterung des Zeichnungsrechtes ist noch nicht entschieden. Kollegen der Innendienste und der Sozialämter wehren sich z.T. dagegen, Kompetenzen abzugeben. Kollegen der Außendienste sehen teilweise eine zu starke Arbeitsbelastung auf sich zukommen.

Die Landesjugendplanmittel werden jetzt nicht mehr ausschließlich zentral von der Fachbehörde verwaltet. Einige Positionen wurden an die Bezirke abgegeben, die hier jedoch noch weitergehende Zu- ständigkeiten fordern.

Eine weitere wichtige Änderung ist die Einrichtung von Bezirksju- gendwohlfahrtsausschüssen, die entsprechend der Maßgabe des JWG zusammengesetzt sınd, was für Hamburg durchaus keine Selbstver- ständlichkeit ist. Bisher wurde das JWG in diesem Punkt umgangen. Es gibt keinen Landesjugendwohlfahrtsausschuß. Seine Aufgaben nimmt die Deputation wahr, die sich aus dem zuständigen Senator, einem Vertreter der Finanzbehörde (!) und von der Bürgerschaft ge- wählten Deputierten zusammensetzt. Die Vertreter der Freien Trä- ger wurden in den Ausschuß zur Förderung der Jugendwohlfahrt ab- gedrängt, der lediglich beratende Funktion hat.

Bei der Beurteilung der Änderungen ist im Wesentlichen nicht das zu kritisieren, was sich geändert hat, sondern,daß sich vieles nicht

geändert hat:

Die Hierarchisierung in den Sozialen Diensten wurde in keinem Fall angeknackt.

Die Trennung von Innen- und Außendienst besteht immer noch.

Die Trennung von Jugendförderung und Jugendfürsorge wurde in die bezirklichen Jugend- und Sozialdezernate übernommen.

Der Arbeitsbereich der Sozialen Dienste wurde nicht über seine traditionellen Grenzen hinaus erweitert (z.B. durch Integration von Aufgaben aus dem Bildungs-, stadtplanerischen und sozialme- dizinischen Bereich).

Die offiziell propagierte inhaltliche Einbindung der Jugendhilfe in den Bereich Erziehung und Bildung wurde nicht in der Praxis realisiert, sondern in den Bereich Therapie und Sozialhilfe weg-

definiert.

Doch es reicht nicht aus, den versäumten Möglichkeiten einer Reform nachzutrauern. Jetzt muß es darum gehen, verbliebene oder neue Spiel-

räume

auszuloten. Dabei stehen die RAG im Mittelpunkt der Betrach-

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tung. Hier müssen neue Arbeitsmethoden und Möglichkeiten der Koope- ration mit Gruppen und Institutionen im Stadtteil entwickelt werden. Die Entwicklung von neuen Arbeitsmethoden wird eingeengt durch Vor- gabe von gesetzlichen Bestimmungen, betrieblichen Regelungen und Ar- beitsplatzbeschreibungen, wie auch durch die Aufrechterhaltung der hierarchischen Struktur. Positiv ist die Aufhebung der Trennung von Familienfürsorge und Jugendfürsorge. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit zur engeren Zusammenarbeit in kleinen, überschaubaren Gruppen, was eine größere Durchsetzungsfähigkeit in der Hierarchie bedeuten könnte. Ferner können durch die bezirkliche Zuordnung der Sozialen Dienste stadt- teilbezogene Aspekte verstärkt in die Arbeitsweise einbezogen wer- den. Das hieße, die isolierte Fallbearbeitung der klassischen So- zialarbeit zu durchbrechen, indem mit anderen Gruppierungen wle Bürgerinitiativen, freien Trägern und anderen Dienststellen zusammen- gearbeitet wird, z.B. durch die Bildung stadtteilbezogener Arbeits- gemeinschaften, die offen für jeden im Stadtteil Engagierten sind. Hierdurch sollte erreicht werden, daß der Einfluß der Betroffenen

auf Behörden und Gremien erweitert wird und entsprechende Interven- tionen von einer möglichst breiten Basis getragen werden. Die Mög- lichkeiten, die die Bezirksjugendwohlfahrtsausschüsse dabei bieten, müssen noch erprobt werden. Als erster Schritt ist es notwendig durchzusetzen, daß diese Ausschüsse öffentlich tagen.

Für eine fundierte Arbeit der RAG im Stadtteil ist zunächst eine Ar- beitsfeldanalyse erforderlich, die die Wohn-, Bevölkerungs- und In- frastruktur, die Stadtentwicklungsperspektiven sowie die Möglich- keiten der Kooperation erfaßt. Daraus muß ein Bedarfsplan entwik- kelt werden, der die Schwerpunkte der stadtteilbezogenen Arbeit so- wohl im Aktuellen wie auch im Prophylaktischen festlegt. Der Bedarfs- plan kann dann kompetente Grundlage für Forderungen gegenüber Be- hörden und Gremien sein. Dabei muß der Bereich der Spezialpräven- tion und der generellen Prophylaxe wesentlich stärker als bisher be- achtet werden, will die Sozialarbeit nicht in defizitären Arbeits- bereichen verharren, Eine weitere dringende Notwendigkeit für die RAG ist die Verlagerung der Supervision auf externe Supervisoren. Auf keinen Fall sind hiermit Vorgesetzte zu betrauen, wie dies in einem Papier der Hamburger Ofüs vorgeschlagen wird. Es sollten fer- ner Fortbildungsveranstaltungen bei Anrechnung auf die Arbeitszeit durchgeführt werden, in denen die Voraussetzungen Zur Teamarbeit geschaffen werden können. Hinzu käme die Auswahl einiger RAG als Projekte, in denen neue Arbeitsmethoden unter wissenschaftlicher Be- gleitung erprobt und ausgewertet werden.

Alle bisher aufgeführten Aspekte können nur dann inhaltlich ausge- füllt werden, wenn kooperatives Arbeiten mit anderen Dienststellen wie Sozialamt und Jugendamt enger gefaßt werden als vorgesehen.

Wie genau die Kompetenzen zwischen RAG und Sozialamt abgegrenzt wer- den, steht noch zur Debatte. Fragen, wie die der Bewilligungsbefug- nis sollten sorgfältig ausdiskutiert werden, damit eine Frontenbil- dung zwischen Sachbearbeitern und Sozialarbeitern einem gemeinsamen Vorgehen nicht im Wege steht. Hier könnte die Erfahrung der Alten- hilfe, die bereits Bewilligungsbefugnisse hat, ausgewertet und ge- nutzt werden.

Lücken hinsichtlich der Kooperation sind ebenfalls zwischen dem Amt

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für Soziale Dienste und dem Bezirksjugendamt zu sehen. Hier sollten regelmäßige Treffen der Kollegen initiiert werden, um die alte Tren- nung zwischen präventiver und defizitärer Sozialarbeit abzuschwächen, gerade weil der Außendienst Informationslieferant für eine Ursachen- analyse und letztlich für die Einleitung präventiver Maßnahmen ist. Die Kooperation aller dem Jugend- und Sozialdezernat unterstehenden Dienststellen muß besonders in der gemeinsamen gewerkschaftlichen Arbeit der Kollegen in den Betriebsgruppen ihre Entsprechung finden, so daß gemeinsame Forderungen gestellt und durchgesetzt werden kön- nen.

Ausgehend davon, daß die Neustrukturierung der Sozialen Dienste weniger inhaltlich-methodisch begründet ist, sondern vielmehr eine Verwaltungsumstrukturierung darstellt, ist die tatsächliche inhalt- liche Ausgestaltung in sehr starkem Maße von dem Engagement und der Solidarität der Kollegen abhängig.

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Ziel der Podiumsdiskussion war es, neben Hamburger Probl A Ngan auen grundsätzliche Aspekte zu Mein um ni he Bei AR reinen Organisationsdiskussion stecken zu bleiben 1c ei der Deshalb hatten wir zu dieser Veranstaltung sowohl Diskussionsteilneh- ern auherhalb ale auch aus Hamburg eingeladen. Eher grundsätzlich RER dann auch die Beiträge von Christian Marzalın (Uni ee ) und Siegfried Müller (Uni Bielefeld/Neue Praxis), stärker auf di "a hi burgar PAERBRNOR bezogen die von Verena Fasel (FH Hamburg) ii it wernimge, (pensionierte Leiterin der Kuai eiar andun irehea nippi Berge Hamburg) und Jens Peter Burmester (GEW). Vertreter der ÖTV und der Arbeits- und Sozialbehörde hatten auf ungez Einladung nicht einmal geantwortet, Senator Grolle von der Behörde für Schul 8 a gend und Berufsbildung hatte wenigstens abgesagt. chule, Ju

Vor Beginn der Diskussion hatten wir unsere - schon im Einlad - brief enthaltenen - Thesen noch einmal kurz erläutert Sie nieg Pa halb hier zunächst als Dokument abgedruckt. Danach fol en die State- ments der Podiumsteilnehmer, sodann Auszüge aus der en Beides sind überarbeitete Tonbänder. Zum Schluß dokumenti ir di “einmü angenommene Resolution. ieran wir die EÄMETE

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THESEN ZUR NEUORGANISATION SOZIALER DIENSTE IN HAMBURG

I. Warum ist das Thema wichtig für uns?

Zum 1.1.1980 sollen die Sozialen Dienste (genauer: nur ein Teil) neu orga- nisiert werden. Neu wird dabei in erster Linie die Zuordnung von Verwal- tungsstrukturen sein (sh. Teil 2). Ein neues Amt wird geschaffen (Amt für Soziale Dienste), ein altes fast aufgelöst (Amt für Jugend), neue Hierarchie- ebenen geschaffen (Jugend- und Sozialdezernat) und das ganze in eine Be- zirksreform eingebettet. . f Ehrlicherweise wird in der ganzen Flut von Papieren nicht darauf eingegan- gen, was denn diese Neuzuordnung der Bevölkerung nützt. Floskeln wie “Bürgernähe” und “Nähe zum Klienten” verdecken nicht einmal notdürf- tig, worum es vor allem geht: entweder um die Erhaltung des status quo

(so z.B. in einem Papier der Bezirksjugendamtsleiter, die eine Beschneidung ihrer Kompetenz befürchten) oder um dessen Änderung, wobei vor allem mittel- und langfristige Statusverbesserungen angestrebt werden. So liest sich ein Vorschlag der Oberfürsorgerinnen fast wie ein Höhergruppierungs- antrag.

Einzig hinter dem Begriff “Regionale Arbeitsgruppe” (RAG) verbirgt sich noch ein reformerischer Aspekt, wenn auch die rein verwaltungslogi- sche Behandlung dieses Themas viele hat resignieren lassen. f

Wenn allerdings die RAG nicht nur ein neues Etikett für die im ganzen kaum veränderte Arbeitssituation sein soll und der bisherigen FaF ü-Gruppe nicht nur Kollegen/innen aus der bisherigen Jugendfürsorge, Altenfürsorge und Sozialtherapeutischen Gruppenarbeit zugeordnet werden sollen, so liegt gerade hier die Möglichkeit, doch noch initiativ zu werden.

Dies ist deshalb auch der Ansatzpunkt unserer Veranstaltung: Was

ist “unterhalb” der bürokratie-internen Neuzuordnung an fortschrittli- cher Arbeit in den RAG möglich? Welche Forderungen und welche Per- spektiven sollten und können verfolgt werden?

Um über die bürokratiekonforme Diskussion um Stellenplan und -zuordnung, Fach- und Dienstaufsicht, Zeichnungsrecht usw. hinauszugehen, ist es sinn- voll, an die fortschrittlichen Inhalte der Reformdiskussion um die Neuorga- nisation der Sozialen Dienste zu erinnern. Die wichtigsten Aspekte lassen sich exemplarisch an den Forderungen einer Berliner Sozialarbeitergruppe

in der dortigen Familienfürsorge Anfang der siebziger Jahre aufzeigen:

(vgl. Info Sozialarbeit Nr. 5).

1. Statt traditioneller Einzelzuständigkeit Gesamtzuständigkeit der Gruppe Um die Vereinzelung in der täglichen Arbeit und die Zerschneidung zusam- mengehörender Arbeitsvorgänge zu beenden, entscheidet die Gruppe über Arbeitsaufteilung und Schwerpunktsetzung. Damit wird eine grundlegende Änderung der Arbeitsbeziehungen nach innen und nach außen und eine höhe- re Zufriedenheit am Arbeitsplatz möglich.

2. Keine hierarchische Aufteilung: Statt Gruppenleiter (OFü) gewählte Ver- treter

Die Neubestimmung der Kontrollstruktur erweitert die Handlungsspielräu- me der Gruppe und des einzelnen, denn die faktisch wirksamste Aufgabe einer herausgehobenen Leitungsfunktion, nämlich die Durchsetzung insti- tutioneller Normen, wird damit zumindest erschwert.

3. Abschließendes Zeichnungsrecht der Gruppe (bis auf wenige Ausnahmen)

Damit vergrößert sich die Autonomie der Gruppe von anderen Einrichtun- gen und den oberen Hierarchieebenen, d.h. die Problemdefinition erfolgt in erster Linie nicht von “oben” oder von “außen”, sondern aus den Lebenszu- sammenhängen des Stadtteils, in dem die Gruppe arbeitet.

4. Aufhebung von Innen- und Außendienst

Durch die Zuordnung von Verwaltungskräften zur Gruppe und durch die Verwaltung der eigenen Akten verringert sich der Kontrollcharakter der Ak- ten und ihr ““Gebrauchswert’’ als Informationsträger gewinnt an Bedeutung.

5. Schwerpunktsetzung je nach den Erfordernissen der benachteiligten Gruppen im Stadtteil Ziel der unter 1. - 4. beschriebenen Veränderungen ist es, eine alternative Kontaktaufnahme zur Bevölkerung zu bekommen. Der (fast) einzige Zugang zum “Klienten” erfolgt normalerweise über die (von anderen) definierten individuellen Defizite. Hier ist es über die gesetzlichen Aufgaben hinaus möglich, an den kollektiven Problemlagen im Stadtteil anzusetzen (Mietpro- bleme, Schulprobleme, arbeitslose Jugendliche ...). Damit wird zugleich auch eine tatsächliche Einheit der Jugendhilfe möglich statt einer bürokra- tischen, wo Jugendfürsorge und Jugendförderung zwar im gleichen Amt an- gesiedelt sind, aber sonst nichts miteinander zu tun haben.

Fazit:

Eine derart veränderte Arbeit hat Auswirkungen auf alle anderen Bereiche

der Sozialarbeit:

® Sozialtherapeutische Gruppenarbeit und Sozialpsychiatrischer Dienst könnten integriert werden.

® Die Praxis der Fremdplazierung könnte modifiziert werden durch Ein- richtungen im Stadtteil (Jugendwohngemeinschaften, Pflegestellen...).

® Das Verhältnis zum Sozialamt könnte neu bestimmt werden (z.B. Sozial- hilfeentscheidungen dem Grunde nach).

Insgesamt würde eine derartige, tatsächliche Neuorganisation Sozialer Dien-

ste die Funktion der Sozialarbeit als Sozialisationsinstanz vergrößern und

ihre Kontroll- und Auslesefunktion verringern.

Übrigens:

Das Berliner Vorhaben wurde nach drei Monaten eingestellt. Die Gruppe wollte sich ganz auf die Seite der Betroffenen stellen und “vergaß” dabei, daß sie auch bei neu konzipierter Arbeit staatliche Lohnabhängige sind, ein struktureller Konflikt, der auch bei einer Neuorganisation nicht über- sprungen werden kann. Als die Sozialarbeiter im Amt Flugblätter gegen die Praxis der Wohnraumvergabe verteilten und damit gegen eine andere Ab- teilung ihres Amtes öffentlich Stellung nahmen, kam das Faß zum Überlau- fen und der “Modellversuch” wurde aufgelöst. Es gab Versetzungen und En Entlassungen.

II. Zusammenfassung der wichtigsten geplanten Änderungen

Ab 1.1.1980 wird es das Amt für Jugend in der bisherigen Form nicht mehr geben. Einerseits werden Teile des Amtes wie Grundsatzfragen, fachliche Lenkung und landesjugendamtliche Aufgaben einer anderen Behörde Arbeits- und Sozialbehörde zugeordnet. Andere Teile werden dezentrali- siert und den sieben Hamburger Bezirksämtern angegliedert. Im Rahmen der Bezirksverwaltungsreform erhalten die einzelnen Bezirksämter mehr Kom-

petenzen und neue Organisationsstrukturen.

Auf Bezirksamtsebene wird das bisherige Sozialdezernat zu einem Jugend- und Sozialdezernat erweitert. Darin sind das Bezirksjugendamt (bisher be- zirkliche Außenstelle der Fachbehörde Amt für Jugend —), das Amt für Soziale Dienste (wird neu geschaffen), das Sozialamt und das Ausgleichs- amt zusammengefaßt. Dem Amt für Soziale Dienste werden die derzeitigen Aufgaben der Familienfürsorge, der Jugendfürsorge/Außendienst, der Alten- fürsorge und wahrscheinlich auch der sozialtherapeutischen Gruppenarbeit zugeordnet. Den Bezirksjugendämtern verbleiben außer dem jugendfürsor- gerischen Außendienst alle bisherigen Aufgaben; also auch der jugendfürsor- gerische Innendienst. Zusätzlich erhalten sie die Dienststellen Jugendfrei- zeitstätten, Elternbildungsstätten, Angelegenheiten der bezirklichen Jugend- förderung und Erziehungsberatungsstellen.

Innerhalb des Amtes für soziale Dienste bilden die bisherigen Oberfürsorge- rinnen-Bereiche der Familienfürsorge sogenannte ‘Regionale Arbeitsgruppen’, deren Leiter (Leitender Sozialarbeiter lie Oberfürsorgerinnen werden.

Die bisher wichtigsten bekannten Änderungen werden sein:

® Auflösung der bisher nach Alter und Geschlecht vorgenommenen Tren- nung der Betreuung von Kindern und Jugendlichen (soweit nicht auf- grund von Spezialisierung der RAG-Mitarbeiter diese Trennung in der Praxis aufrechterhalten wird);

® die Sozialarbeiter erhalten Zeichnungsvollmacht (der Umfang ist aller- dings noch ungeklärt; Widerstand der Mitarbeiter der Sozialämter sowie des jugendfürsorgerischen Innendienstes);

® die Jugendhilfe wird dekonzentriert auf die einzelnen Bezirke;

@ ein Teil der Haushaltsmittel, die bisher das Amt für Jugend zentral ver- gab, werden auf die sieben Bezirke verteilt und dort in Selbstverwaltung vergeben;

® auf der Bezirksebene werden Jugendwohlfahrtsausschüsse eingerichtet;

® die Mitarbeiter des Amtes für Soziale Dienste und des Bedzirksjugendamtes sind einheitlich bei der Bezirksverwaltung angestellt;

@ es werden neue Hierarchien und Aufsichtsstrukturen geschaffen.

III. Beurteilung der geplanten Neuorganisation und Konsequenzen daraus

Ausgehend von den grundsätzlichen Überlegungen (Teil I) und den z.Zt. be- kannten Änderungen (Teil II) sollen nun Kritik und Forderungen in drei

Punkten präzisiert werden:

1. Hierarchie/Arbeitsform

Wird die Hierarchie der Sozialen Dienste abgebaut? Werden neue Arbeitsformen ermöglicht?

® Einschätzung:

Die geplante Veränderung wird im wesentlichen eine Neuzuordnung sein. Es wird nicht keine oder weniger, sondern in vielen Fällen nur neue Vorge- setzte geben. Dies kann im Einzelfall durchaus eine Verbesserung bedeuten, ist aber nicht von strukturellen, sondern von personellen Kriterien abhän- gig und somit weitgehend zufällig. Im Amt für Soziale Dienste wird unter dem Etikett Regionale Arbeitsgruppe (RAG) Teamarbeit angekündigt. Teamarbeit wird hier aber unter dem Vorzeichen Effektivierung stehen und nicht für weitgehende Entscheidungsautonomie in der Gruppe. Die RAG werden als feste Leitung eine Oberfürsorgerin/einen Oberfürsorger (leitender Sozialarbeiter) haben. Das Festhalten an Leitungsfunktionen könnte im Be- reich der Jugendförderung auf die Spitze getrieben werden, wo in einigen Bezirken u.U. bei zwei Mitarbeitern der eine Leiter, der andere Sachbearbei- ter sein wird.

Forderung:

Es sollen überschaubare Arbeitseinheiten geschaffen werden, in denen Team- arbeit durch ausreichende Zeit für Mitarbeiterbesprechungen und durch Ro- tation der Koordinationsfunktion ohne Leitungsbefugnisse als Vorausset- zung ermöglicht wird. Die Arbeitseinheiten sollen weitgehende Entschei- dungsautonomie nach außen haben (Dezentralisierung der Entscheidung). Das bürokratische Argument, daß letztlich einer entscheiden müsse, stimmt nicht. Selbst die KGSt (Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungs- vereinfachung, ein Verein, in dem über 700 Städte und Kreise zusammenge- schlossen sind) sieht durchaus die rechtliche Möglichkeit, Gruppen Entschei- dungskompetenz incl. “Haftung” zuzubilligen.

2. Kompetenz der Basis (sachliche Zuständigkeit/Zugang zum “Klientel”)

Wird durch Zusammenfassung und Neuzuschreibung von Aufgaben die Par- zellierung der Arbeitsfelder und der Zugang zum Klientel positiv verändert?

® Einschätzung:

Eine Zusammenfassung der bisherigen Arbeitsfelder aus den Bereichen Ju- gendhilfe und Soziale Dienste findet nicht statt. Der Gedanke an eine Neu- zuschreibung (z.B. aus dem Bereich der Stadtplanung) scheint geradezu uto- pisch vermessen. Die Parzellierung der Arbeitsfelder bleibt bestehen bzw. wird verstärkt, u.a. durch die jetzt auch formal vollzogene Trennung der Be- reiche Soziale Dienste, Jugendhilfe auf der einen, Bildung, Schule auf der anderen Seite. Der Zugang zum Klientel (gerade auch im Arbeitsbereich

der RAG) findet somit im wesentlichen weiterhin über Verwaltungsakte in. individuellen, defizitären Lebensbereichen statt.

Forderung:

Die sachliche Zuständigkeit der zu schaffenden dezentralen Arbeitseinhei- ten darf nicht auf die traditionellen Arbeitsfelder der Sozialen Dienste, die sich hauptsächlich mit individuellen Defiziten beschäftigen, eingeschränkt bleiben. Die Neuzuschreibung von Aufgaben aus dem Bildungs-, städteplane- rischen und sozialmedizinischen Bereich und die Integration der bisher par- zellierten Arbeitsfelder soll eine Einzelfall- und Arbeitsfeld-übergreifende

e Schwerpunkte aus kollektiven (stadtteilorientierte Sozial-

Handlungsperspektive ermöglichen, die ihr S Problemlagen der Stadtteilbevölkerung herleitet arbeit).

3. Strukturprinzip: Wird durch die Wahl eines ortsbezogenen Strukturprinzips ein überschau- barer Bezugsrahmen für die betroffenen Sozialarbeiter und Bewohner ge- schaffen?

® Einschätzung:

Die stärkere Anbindung der Sozialen Diens tralisierungsmaßnahme unter dem Postulat erna F schritt anzusehen (z.B. Bezirksversammlung als zuständige Vertretungskör- perschaft, Einrichtung von Bezirksjugendwohlfahrtsausschüssen). Dennoch sind die Bezirke immer noch zu große Einheiten, um in ihrem Rahmen tat- sächlich Bürgernähe realisieren zu können. Dazu setzt sich auch im Rahmen der Bezirke die ressortbezogene Struktur gegenüber der ortsbezogenen als

Untergliederungsprinzip durch.

te an die Bezirke ist als Dezen- der Bürgernähe zunächst als Fort-

Forderung:

Die zu schaffenden Arbeitseinheiten müssen ortsbezogen eingerichtet werden mit Sitz im Einzugsbereich. Dabei ist nicht von bestehenden Verwaltungs- grenzen auszugehen, sondern von der sozio-ökonomischen Struktur, den hi- storischen und geographischen Gegebenheiten eines Stadtteils insgesamt also von den Lebenszusammenhängen der Bevölkerung.

Schlußbemerkung:

Die hier formulierten Anforderungen an eine Neustrukturierung der Sozia- len Dienste stimmen in vielen Punkten mit den Aussagen der ÖTV in ihren Thesen zur Neustrukturierung vom April 74 (!) überein. Es handelt sich keinesfalls um Maximalvorstellungen, sondern um Reformvorschläge. Den- noch lassen sich derartige Vorstellungen nicht bei Kostenneutralität (unter deren Vorzeichen die jetzigen Pläne stehen) realisieren, sondern erfordern einen erheblichen Mehraufwand, insbesondere durch Neuschaffung von Stellen, Freistellungen für Fort- und Weiterbildung, wissenschaftliche Beglei- tung u.ä. Langfristig sind derartige Investitionen kostengünstiger als die Ver- waltung des derzeitigen Mangels. Allerdings darf es nicht bei derartigen For- derungen bleiben. Nur wenn die Sozialarbeiter an der Basis politische und fachliche Vorstellungen für die eigene Arbeit entwickeln, werden sich fort- schrittliche Aspekte der Neuorganisation durchsetzen lassen und negative Folgen wie Rationalisierung und bürokratische Effektivierung abwenden lassen.

Wer dieses Papier bis hierher gelesen, wird sich vielleicht sagen: “Was soll’s, die Sache ist sowieso gelaufen. Wir haben jahrelang diskutiert und es ist nichts dabei herausgekommen. Und jetzt ist es sowieso zu spät. Alles ist ja längst festgelegt”. Sicherlich ist es ein zwar nie formuliertes, aber dennoch wirksames Ziel in der Diskussion um die Neuorganisation Sozialer Dienst gewesen, fortschrittlichen Sozialarbeitern eine Spielwiese zu geben und sie so in die Resignation zu treiben. Wir sollten dieses Spiel nicht mehr mitma- chen, denn eine neue Organisation wird keine “neue” Sozialarbeit bringen. Aber ob wir in unserer täglichen Arbeit uns weiterhin auf Einzelfälle be- schränken lassen oder ob wir uns die Möglichkeit zu arbeitsfeld- und einzel- fallübergreifender Arbeit erkämpfen, hängt zunächst auch von uns ab.

PODIUMSDISKUSSION

@ Christian Marzahn (Uni Bremen):

Ich habe vier Punkte, und zu denen möchte ich etwas ausführen. Er- stens finde ich die Thesen des AKS Hamburg zur Neuorganisation Sozia- ler Dienste außerordentlich eindrucksvoll. Ich wünsche mir sehr, daß diese Thesen über die Hamburger Situation hinaus Verbreitung finden, weil sie Probleme betreffen, die die Sozialarbeit in der Bundesrepu- blik insgesamt beschäftigen, wenn auch mit unterschiedlicher Intensi- tät. Nicht zuletzt wegen der Verunsicherung zahlreicher Kolleginnen und Kollegen wünsche ich mir, daß diese Thesen etwas Licht in die Fin- sternis der zahlreichen Organisationsversuche hineinbringen.

Zweitens finde ich diese Thesen deshalb gut, weil sie in Erinnerung bringen, daß die Neuorganisation Sozialer Dienste kein Produkt der allerletzten Jahre ist, sondern das historische Resultat einer schon lang andauernden Diskussion, die sich aus ganz unterschiedlichen Strängen speist. Mit der vor allem auch politischen Neubestimmung und Kritik der Sozialpädagogik Ende der sechziger Jahre war die Kri- tik an der gegenwärtigen Situation der Sozialarbeit verbunden, ins- besondere eben an den Problemen, die sie sich selber schafft durch ihre institutionelle Entferntheit von den sozialen Problemen, auf die sie sich doch angeblich bezieht - eben Problemen, die sie durch die Aufteilung zusammenhängender Situationen und Problemlagen in unterschiedliche Kompetenzen und Institutionen selbst mit verursacht. Deutlich wird das insbesondere daran, daß für die Sozialarbeit tra- ditioneller Prägung eine soziale Problemlage erst dann handhabbar wird, wenn sie in einen Fall umdefiniert werden kann. Welche ent- scheidende Uminterpretation damit verbunden ist, das wissen die da- mit sich täglich beschäftigenden Kolleginnen und Kollegen am besten.

Drittens finde ich diese Thesen deshalb besonders gut, weil sie im Unterschied zu bestimmten Positionen, wie sie bisher eingenommen wor- den sind, kein Entweder-Oder zur Neuorganisation Sozialer Dienste zum Ausdruck bringen, sondern einen Versuch darstellen, die Neuor- ganisation selber zu verstehen, die aus Widersprüchen innerhalb der Organisation sozialer Dienste entsteht und selbst wiederum neue Wi- dersprüche produziert. Die Widersprüche, aus denen sie resultiert, habe ich kurz angesprochen. Die Probleme der Sozialarbeit als pro- fessioneller Zugriff innerhalb besonderer Institutionalisierungsfor- men sind Probleme, die heute in der Sozialarbeit insgesamt auch als solche erkannt sind. Die Neuorganisation: ist aber selbst in ihrer neuen Planung uneindeutig. Man braucht sich nur die Gliederungsplä- ne anzusehen, um festzustellen, daß unterschiedliche Gruppen mit einer derartigen Organisation unterschiedliche Interessen verbinden ‘oder zumindest verbinden können. Insofern, denke ich, muß man die Neuorganisation als ein Zusammenlaufen unterschiedlicher Interessen an der Veränderung der institutionellen Struktur der Sozialen Dien- ste verstehen. Hierbei haben z.B. die Vertreter dieser institutio- nellen Sozialarbeit andere Interessen als diejenigen Sozialarbeiter, die mit ihrer Arbeit einen bestimmten inhaltlichen Anspruch verbinden. Wiederum noch andere Interessen haben die von den Sozialen Diensten Betroffenen selbst. Vor diesem Hintergrund scheint es mir eher er-

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klärbar, wer welche Interessen in der Neuorganisation Sozialer Dien-

ste realisieren will.

Weiter läßt sich dann auch di was von der Neuorganisation Soziale schiedlichen Orientierungen gekoppe arbeit als unterschiedliche professionelle Vorst sind.

e Frage beantworten, wer hat eigentlich r Dienste, wenn sie mit den unter- lt sind, die heute in der Sozial- ellungen zu finden

Der vierte Punkt betrifft eher ein spezielles Problem in der Neuor- ganisation Sozialer Dienste. Wenn man mit den Institutionen der so- zialen Versorgung stärker in den Stadtteil vordringt und wenn man mit diesem Vordringen verbinden will, daß auch die Schwellenproble- me des Betroffenen, die Zugangsprobleme zu den Instituionen vermin- dert werden sollen-und das ist ja ein erklärtes Ziel-, dann kommt man in eine organisatorische und inhaltliche Schwierigkeit, nämlich: wie kann die notwendige Funktion, im Stadtteil allgemeines Auffang- becken für alle Probleme zu sein (nur dann sind Schwellen wirklich heruntergesetzt), verbunden werden mit dem Angebot spezialisierter Hilfen, die im Hinblick auf spezielle Problemlagen unabdingbar sind. Dieses Problem ist meiner Ansicht nach bei den bisherigen Überlegun- gen zur Neuorganisation Sozialer Dienste kaum angepackt. Es besteht deshalb die Gefahr, daß die herkömmlichen Kompetenzstrukturen ein- fach nur eine Ebene heruntergesetzt werden, also in den Stadtteil hinein, diese aber im Stadtteil als nebeneinanderstehende, speziali- sierte Säulen weiter bestehen. Trifft das zu, ist meiner Ansicht nach nicht sehr viel durch die Neuorganisation erreicht. P

Im Zusammenhang mit diesem Problem erscheint mir ein Blick nach Hol- land außerordentlich nützlich. Bei den Holländern hat die Diskussion um die Dezentralisierung Sozialer Dienste schon erheblich früher angefangen als bei uns. Die haben dieses Problem von allgemeiner Anlaufstelle im Stadtteil und spezialisierten Hilfsangeboten so zu lösen versucht, daß sie die Organisation der Sozialen Dienste gewis- sermaßen staffeln. Sie haben eine erste Staffel von Institutionen, die nahezu unspezialisiert alle Probleme, die ihnen angetragen wer- den, auch tatsächlich aufgreifen. Sie sind also offene Anlaufstel- len für Leute mit allen Arten von Problemen. Eine ganze Menge, wahr- scheinlich die Mehrheit der Probleme, kann auf dieser Ebene schon angepackt und eventuell durch Beratung gelöst werden. Ein entspre- chend zusammengesetztes Team kann auf dieser Ebene schon sehr viel bewirken. Andere Probleme aber sind dort nicht zu lösen, Deshalb kann dann nach gemeinsamer Feststellung des weiteren Vorgehens -

und eben nur dann, wenn der Betroffene auch zustimmt, d.h. also

nicht mit einer Zugriffstruktur - , das Problem weiterverfolgt wer-

den, z.B. dadurch, daß der Betroffene eine Information, einen Zugang um dort eine speziel-

erhält zu einer nächsten Linie der Sozialarbeit, lere Problemlösung zu finden. Mir scheint sich in diesem Modell einer gestaffelten Sozialarbeit viel von dem wirklich realisieren zu las- sen, was wir hier zunächst nur unter den Stichworten Bürgernähe, Stadtteilbezogenheit u.s.w. diskutiert haben, ohne dafür aber eine wirkliche organisatorische Umsetzung gefunden zu haben. Insbeson- dere erscheint mir diese Organisationsform deshalb wichtig, weil

sie dem Sozialarbeiter in seiner argen Zerrissenheit zwischen seiner Kontrollfunktion, die ihm institutionell zugeschrieben und zugemu- tet ist, und seinem professionellen Anspruch, Leuten, die es brau- chen und die es wollen - und nur solchen - Hilfestellungen zu geben.

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© Siegfried Müller (Uni Bielefeld/Redaktion Neue Praxis)

Ich stimme den Ausführungen von Christian Marzahn zu den Thesen des AKS-Hamburg zu. Hier werden in komprimierter Form die m.E. wesent- lichen und unabdingbaren Forderungen für die Neuorganisation der Sozialen Dienste zusammengefaßt. Die Forderungen sind nicht neu, aber dennoch hochaktuell. Vor mehr als zehn Jahren wurden sie als Minimalforderungen von kritischen Sozialarbeitern formuliert und

als realisierbar angesehen. Heute befinden wir uns in einer beruf- lichen und politischen Situation, in der der Blick in die Vergan- genheit die Vorstellungen auf eine bessere Zukunft vermittelt. Was vor zehn Jahren als minimalforderung noch konsensfähig und prakti- kabel schien, erweist sich heute mehr denn je als kaum noch durch- setzbar. Anstelle einer inhaltlichen und problembezogenen Neustruk- turierung der sozialen Arbeit werden heute vorwiegend technokrati- sche Organisationsmodelle gehandelt. Dies als Vorbemerkung. Wenn ich mir die komplizierten Organisationsstrukturen der in Hamburg geplan- ten Neuorganisation vor Augen halte, dann frage ich mich, wie der sogenannte Klient da noch durchblicken soll und welchen Gewinn die- ses Organisationsmodell für ihn hat. Klient ist - das als Randbemer- kung - als Kennzeichnung der Adressaten der Sozialarbeit ein ideo- logisierender Begriff: Er suggeriert - in Analogie zu den freien Be- rufen - eine Wahlfreiheit, die faktisch nicht besteht. Die von der Sozialarbeit Betroffenen werden nahezu ausschließlich zwangsrekru- tiert,

Wodurch unterscheidet sich nun das hier vorgestellte Modell der Neu- organisation von der gegenwärtigen und von allen als revisionsbe- dürftig angesehenen Organisation der sozialen Arbeit? Gibt es über- haupt qualitative Veränderungen oder sind dies nicht nur effiziente- re und inhaltsabstrakte Variationen des Bestehenden? Ich will mei- ne Skepsis gegenüber der technokratischen Kopflastigkeit dieses Organisationsvorschlags anhand von zwei - im Zusammenhang mit der Neuorganisations-Diskussion immer wieder beschworenen - Begriffen verdeutlichen: Dies sind die Begriffe Bürgernähe und Klientennähe. Mit beiden Begriffen werden heute mehr Probleme verdeckt als thema- tisiert. Bürgernähe als Zielbegriff der Neuorganisation setzt die Bürgerferne, d.h. die Distanz der staatlichen Institutionen gegenüber den Bürgern voraus. Bürgernähe läßt sich nur bedingt organisatorisch herstellen. Was heißt eigentlich Klientenähe? Der "Klient", der Adressat sozialarbeiterischen Handelns, ist nach wie vor damit kon- frontiert, daß auf seine lebensweltbezogenen Problemzusammenhänge weiterhin eine Vielzahl von Institutionen "reagieren". Diese Insti- tutionen, die in ein enges Geflecht sozialer Kontrollagenturen und Dienstleistungsbehörden eingebunden und durch spezifische Zuständig- keiten und organisatorisch verankerte Problemsichtweisen gekennzeich- net sind, bleiben den Betroffenen weiterhin fremd. Die Probleme der Adressaten werden weiterhin auseinanderdividiert und in verwaltungs- rechtlich handhabbare Formate umformuliert und innerhalb bürokra- tisch verfestigter Hierarchien bearbeitet. Dies ist der Zustand,

der vor mehr als zehn Jahren Ausgangspunkt und Anlaß einer inhalt- lich orientierten Neuorganisation der Sozialen Dienste war. Mit sei- nen Thesen setzt der AKS-Hamburg genau an diesem Punkt der quali- tativen Veränderung der Organisationsstruktur der sozialen Arbeit an. Es sind wie gesagt Mindestforderungen, die gewährleisten sol-

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len, daß anstelle der probleminadäquaten Interventionsformen Handlungsmuster sich etablieren können, die von den Lebenszusammen- hängen und den gesellschaftlichen Leiden der Adressaten ausgehen. Eine stadtteilbezogene Organisation der Sozialen Dienste, die die problemparzellierenden Handlungsmuster nicht auflöst, bleibt - mit Bezug auf die Lebenszusammenhänge und Probleme der Adressaten - wei- terhin bürger- und klientenfern. Eine qualitative Neustrukturie- rung der Sozialen Dienste setzt die Auflösung der defizitorientier- ten Rekrutierungsmechanismen voraus. Diese Dimensionen sind aber

in den mir bekannten Neuorganisationsmodellen von "oben" total aus-

gespart.

Ich will nun zu einem letzten Punkt Stellung nehmen: zu den Reali- sierungschancen und Durchsetzungsstrategien der Essentials des AKS-Hamburg. Unter dem Gesichtspunkt der Finanzkrise des Staates werden Neuorganisationen heute in mindestens zweifacher Hinsicht nach dem Muster von Nullsummenspielen veranstaltet, bei denen der Gewinn des einen identisch ist mit dem Verlust des anderen. Das erste Nullsummenspiel bezieht sich auf die Kostenneutralität von Neuorganisationen. Dies bedeutet, daß weder neue Stellen noch zu- sätzliche Finanzmittel zur Verfügung stehen. So kommt es zu Ver- teilungskämpfen innerhalb eines konstant gehaltenen Gesamtetats.

Das zweite Nullsummenspiel bezieht sich auf Umstrukturierung der Entscheidungskompetenzen innerhalb der hierarchisch strukturierten Bürokratien. Mit der Egalisierung hierarchisch abgestufter Entschei- dungskompetenz ist zugleich immer auch eine Vorentscheidung über

den Handlungsspielraum der einzelnen Positionen innerhalb eines bürokratischen Apparates verbunden. Dies führt oft zu einer Bela- stung der Solidarität der Sozialarbeiter untereinander. Die entschei- dende Frage ist für mich dabei: Wem nützt diese Neuverteilung und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für eine Verbesserung der

sozialen Arbeit?

Eine letzte Bemerkung: Es wird häufig von einer Interessenidenti-

tät zwischen Sozialarbeitern und Betroffenen gesprochen. Sozialar- beiter und Betroffene sind gleichermaßen Lohnabhängige und in die- sem abstrakten Status von gleichen Interessen geprägt. Darüberhin- aus haben Sozialarbeiter aber ganz spezifische Interessen, die durch- aus im Konflikt oder Widerspruch zu denen der Betroffenen stehen können. Das Interesse der Sozialarbeiter als Lohnabhängige des Staa- tes ist nicht ohne weiteres identisch mit den Interessen der Betrof- fenen. Ich denke hierbei vor allem an die Interessen der Sozialar- beiter bezüglich ihrer Arbeitsbedingungen im Rahmen der Neuorgani-

sation. © Verena Fesel (FH Hamburg)

Meine Vorredner haben schon eine ganze Reihe von Punkten, die ich auch einbringen wollte, vorweggenommen. Ich werde mich daher auf drei Punkte beschränken und speziell auf die Probleme der Neuorga- nisation Sozialer Dienste in Hamburg eingehen.

Erstens: Hamburg hat ebenso wie Berlin als Stadtstaat eine relativ

einmalige Chance, die staatlichen und die kommunalen Instanzen gleichzeitig neu zu regeln. Die bisher vorliegenden Modelle - außer

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Berlin - sind lediglich im kommunalen Bereich in den Flächenstaaten erprobt worden, z.B. Trier, Köln, Frankfurt.

Das Hamburger Bezirksverwaltungsgesetz von 1978 sollte ein Wahlver- sprechen der SPD einlösen: Bezirksverwaltungsreform war als großes Reformprojekt der neuen Legislaturperiode angekündigt. Durch das

nun vorliegende Gesetz wird den Bezirken zwar mehr Selbständigkeit eingeräumt, der Senat behält sich jedoch vor, selbst zu definieren, welche Aufgaben zentral und welche in den Bezirken, d.h. kommunal, durchgeführt werden. Es wird also auch in Zukunft weiterhin so sein, daß der Senat jeweils festlegen kann, welche Dienste in den Bezirken organisatorisch und personell angesiedelt werden. Ein typisches Bei- spiel dafür ist die zentrale Leitstelle. Diese hat auf der einen Sei- te die Konzeption der Sozialarbeit - auch fortschrittliche Konzep- te - zu entwickeln, konkret also die Gestaltung und Erprobung von Modellen und Schwerpunkten, andererseits soll sie aber zugleich auch die bezirkliche Sozialarbeit koordinieren. Das scheint mir ein Wider- spruch zu sein. Hier ist wieder der typische Fehler gemacht worden: Modellerprobung von oben und nicht Modellerprobung dort, wo es not- wendig wäre, nämlich an der Basis.

Zweitens wollte ich noch einmal daran erinnern, was eigentlich in der ganzen Diskussion um das Jugendhilferecht erreicht worden ist. In den letzten zehn Jahren ist immer wieder gefordert worden, bei allem Hin und Her die Einheit der Jugendhilfe entweder herzustellen oder zu bewahren - je nach Blickpunkt. Eine einheitliche Jugendhilfe kann nur in einer einheitlichen Struktur verwirklicht werden. Diese Interdependenz von Strukturreform und Jugendhilfereform ist auch nie bestritten worden. Allerdings ist sie wohl auch von den Politi- kern nie so ernst genommen worden, wie auch dieser Reformversuch deut- lich macht. Es zeigt sich nämlich hier in Hamburg, daß bestimmte Bereiche wiederum ausgegliedert worden sind, die ganz eindeutig zum Bereich der Jugendhilfe gehören. Ich denke hier z.B. speziell an Teile des Gesundheitswesens. Man könnte auch an den Bereich Fami- lienförderung denken. Wenn man sich dann einmal die Grundlagen an- sieht, die die Legislative geschaffen hat, z.B. in $ 8 und $ 9 des Sozialgesetzbuches, dann fragt man sich, warum der Gesetzgeber die Politiker nicht verpflichtet, gerade hier entsprechende Einheiten

zu schaffen, so daß eine einheitliche Jugendhilfe wenigstens in einem Bezirk erfolgen kann. Eindeutig ist, daß Jugendhilfeleistungen wie- derum in dem Maße eingeschränkt werden, wo die Kontrolle durch Mehr- fachzuständigkeiten gegeben ist. Das ist ja auch die Tendenz bisher gewesen, und diese Tendenz wird hier wieder aufgenommen.

Drittens will ich noch kurz eingehen auf das Problem der Regionalen Arbeitsgruppen. Diese Regionalen Arbeitsgruppen sind die letzten Reformruinen, die aus der einstmals doch sehr umfangreicheren Dis- kussion - ich denke z.B. an die ÖTV-Thesen von 1974 - übriggeblie- ben sind. Die jetzt geplante Form von regionalen Arbeitsgruppen ver- dient diesen Namen an sich nicht, da zu viele Merkmale fehlen. Zum einen setzt der Begriff "Team" so etwas wie Gesamtverantwortung voraus. Bei solcher Gesamtverantwortung hätten sich Rechtsprobleme ergeben. Ich denke z.B. daran, daß Zeugnisverweigerungsrecht und Schweigepflicht dann problematisch werden. Aber diese Fragen wurden erst gar nicht gestellt, sondern es bleibt weiterhin die Einzelzu- ständigkeit des einzelnen Sozialarbeiters erhalten. Diese sollen

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zwar in Teams zusammenarbeiten, aber das bleibt ein frommer Wunsch, ch vorgegeben ist. Zum anderen

wenn keine Gesamtverantwortung zuglei ; ; sind Fragen einer einheitlichen Besoldung weiterhin nicht geregelt. Es ist zwar erfreulich, daß jetzt alle Fachhochschulabsolventen nach einer gewissen Probezeit nach A 10 eingestuft werden, das schließt aber nicht aus, daß es in diesen Regionalen Arbeitsgruppen in Zukunft ird Beförderungs-

unterschiedlich bewertete Stellen geben wird. Es w1 1 stellen geben, es wird Leitungsstellen geben, es wird Funktionszula-

gen geben, je nach der bürokratisch zugeschriebenen Spezialisierung und dem Arbeitsaufwand. Es wird nicht von einer einheitlichen Bewer- tung ausgegangen und das scheint mir besonders deutlich zu machen, daß hier an sich nur die Worthülse für einen ganz anderen Inhalt mißbraucht wird. Als Fazit möchte ich feststellen, daß durch diese

Neuorganisation die Widersprüchlichkeit staatlicher Sozialarbeit nicht aufgehoben wird, sondern ich glaube eher im Gegenteil ver- h strukturelle Neuorganisatio-

stärkt worden ist. Wenn überhaupt noc 2 nen stattfinden können , dann nur durch die Sozialarbeiter selbst. Ein weiteres ist noch - und das muß ich selbstkritisch an die Adres- se meiner eigenen Institution richten = , daß wir Ausbildungsformen finden müssen, in denen Teamarbeit gelernt werden kann während der Ausbildung.

© Jens P. Burmester (GEW Hamburg)

Die GEW hat sich schon seit langem mit der Problematik der Neuorga- nisation beschäftigt. Ich kann hier auf eine lange Reihe von Stel-

lungnahmen und Ausarbeitungen verweisen, praktisch seit 1970. Wir haben auch am Anhörverfahren im Jahr 1978 zum Problem Neuorganisa- tion Sozialer Dienste teilgenommen. Allerdings halten wir als GEW

an den gesetzlichen Vorgaben für die Jugendhilfe fest, und die sind nicht so weit gestreckt, wie z.B. Herr Marzahn vorhin dargestellt hat. Ähnlich wie die ÖTV haben wir zur Neuorganisation sehr präzise und umfangreiche Vorstellungen entwickelt. Kernforderung dabei ist, daß die Sozialarbeiter der verschiedenen Bereiche zu Regionalen Arbeitsgruppen zusammengefaßt werden, nicht zuletzt wir haben ja den Begriff der Regionalen Arbeitsgruppe geprägt.

Wir fordern diese Regionalen Arbeitsgruppen a! hebung der sogenannten Vorgesetztenfunktion. Ähnlich wie im Bereich

der Schule sollte ein Sprecher der jeweiligen Gruppe gewählt werden. Weiterhin sind wir der Meinung, daß eine Regionale Arbeitsgruppe

nicht weniger als sechs, aber auch nicht mehr als zehn Mitglieder haben sollte. Diese Gruppen sollen regional auf den Stadtteil bezo- gen sein, und wir sind der Meinung, daß für zwei bis drei Gruppen

ein Praxisberater bzw. Supervisor vorgesehen werden muß. Wir haben

uns sehr für dieses Modell eingesetzt, allerdings wird die jetzige Vorstellung nicht mit unserem Modell übereinstimmen. Es ist zwar

noch nicht endgültig heraus, wie das nun alles aussehen wird, aber

es treten bei der Neuorganisation doch eine ganze Menge Probleme

auf, da nicht unseren Vorstellungen gefolgt wurde. Z. Zt. kann an

sich nur von einer Verwaltungsreform gesprochen werden und nicht von einer Neuorganisation Sozialer Dienste. Eine derartige, wirkliche Neu- organisation kann nur von denjenigen mit vorangetrieben werden,

die davon direkt betroffen sind. Das sind nach unserer Auffassung

auch die Träger der freien Jugendhilfe, die entsprechenden Wohlfahrts- verbände und natürlich auch die Initiativen, die als freie Träger der

llerdings mit der Auf-

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Jugendhilfe anerkannt sind. All diese müssen genauso wie die betrof- fenen Mitarbeiter an der Neuorganisation nicht nur teilhaben, son- dern auch wesentlichen Einfluß haben können.

© Lisel Werninger (Hamburg)

Ich möchte kurz auf die historische Entstehung der Neuorganisation Sozialer Dienste in Hamburg eingehen. Als ich 1950 anfing, war Ham- burg noch ziemlich kaputt und ich arbeitete in einem Bezirk, in dem viele Nissenhütten standen, und ich bin davon ausgegangen, was kann ich denn hier an möglicher Arbeit für die Leute machen und habe mich einen Scheiß darum gekümmert, was "die da oben" von mir hiel- ten. Ich hatte einen gewissen Freiraum, die Victor-Gollancz-Stiftung, und mit deren Hilfe konnte doch eine ganze Reihe von Dingen entwik- kelt werden. Das ging alles noch unkonventionell durch. Wir konnten ohne große bürokratische Aufwendungen für die Jugendlichen in dem Stadtteil etwas machen. Wir bekamen z.B. eine Nissenhütte zur Verfü- gung gestellt und arbeiteten dort mit den Jugendlichen. An der Basis waren damals ziemlich einheitliche Vorstellungen entwickelt worden, z.B. insbesondere über soziale Gruppenarbeit.

Wir hatten versucht, diese Vorstellungen in die Institutionen hinein- zutragen. Dort wurden sie zunächst stark abgeblockt. Da verstand

ich erst, was es heißt, im institutionellen Bereich zu arbeiten und die Systeme dort und deren Blockierungen zu erkennen. Es hat immer- hin 15 Jahre gebraucht, um eine Jugendhilfe zu entwickeln, die über den traditionellen Rahmen hinausging, und diese in Form von sozialer Gruppenarbeit auch institutionell abzusichern. Zwei Erkenntnisse hat- te ich bereits, zum einen: Das kannst du nie alleine machen, du brauchst eine Gruppe von Mitarbeitern, und zum anderen: Institutio- nen müssen dahin verändert werden, daß Hierarchien abgebaut werden. Das habe ich versucht, in all den Grenzen und Blockierungen dieses Systems, und was dabei herausgekommen ist, das kennen ja viele von Ihnen, die hier sind. Vielleicht war es doch nicht mehr als ein

Stück einer Insel.

Ich möchte das ganze aber noch weiter konkretisieren. 1970 kam der Rechnungshof und hat festgestellt, wie unrationell Sozialarbeiter

in der Familien- und Jugendfürsorge arbeiten. Der Rechnungshof sag- te: Das ist unmöglich, was Ihr hier macht, Ihr seid bei fünf ver- schiedenen Behörden angestellt, die Entscheidungen laufen kreuz

und quer, es gibt verschiedene Zuständigkeiten, die rational über- haupt nicht einsehbar sind. Männliche Jugenfürsorger für männliche Jugendliche, Familienfürsorgerinnen für Familie usw. Dieser Rech- nungshofbericht ist aber nicht uns, der Basis, zugegangen, sondern er wurde praktisch als "Geheimsache" behandelt, Wir haben ihn uns dann gekauft für DM 1.-- bei der Fachhochschule, die diesen Bericht einfach veröffentlicht hatte,

Damals war das "die Sternstunde" der Hamburger Sozialarbeit. Da ha- ben wir innerhalb einer Woche 740 Unterschriften gesammelt und haben sie in die Bürgerschaft getragen und gefordert

a) Wir wollen informiert sein und

b) wenn geändert wird, wollen wir das mitmachen.

Und dann haben wir dagesessen, Organisierte und Nichtorganisierte, und haben über Neuorganisation Sozialer Dienste disku-

tiert und ein Modell entwickelt. Wir forderten eine Behörde für

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Soziale Dienste und haben gesagt, die Arbeit muß aber stadtteilbe- zogen sein. Damals kam auch der Begriff Regionale Arbeitsgruppe auf. Auch hatten wir die Vorstellung von einem breiten sozialpädagogi- schen mittleren Management, in dem durchaus auch Sozialwissenschaft- ler und Psychologen miteinbezogen werden sollten. Im Zusammenhang mit diesen Auseinandersetzungen gab es unglaubliche Diskussionen. Z.B. schien es ein sehr schwerwiegendes Problem zu sein - 1970! -, ob Männer und Frauen zusammenarbeiten können. Trotzdem haben wir ein einheitliches Papier zustandegebracht. Es ist in die Fraktionen gekommen, es ist in die Fachbehörden gegangen - und ist in Schreib- tischen versunken. Allerdings haben die drei Parteien 1974 und 1978 jeweils vor den Wahlen es unter ihren Wahlpapieren gehabt, ohne daß

daraus mehr wurde, als das, was wir jetzt haben.

Aus dieser Aktion "Moderne Sozialarbeit" hat sich die Arbeitsgemein- schaft der Sozialarbeiter (AGS) gebildet. Mit großem Elan haben wir angefangen. Und da habe ich viel von Euch Studenten gelernt, nach 1968, nach dem großen Durchbruch, daß wir uns viel mehr zusammen- schließen müssen und solidarisch Forderungen stellen und durchsetzen müssen, d.h., also heraus aus dem Fafü- „Jufü- und sonstigem Käst- chendenken. Wir wären hier in Hamburg eine Macht: Wir sind ein

paar Hundert Sozialarbeiter in einem Stadtstaat, aber wir sind der zerstrittendste Haufen, den es gibt. Das hat sicher Gründe.

Wir hatten dann die AGS im Laufe der Zeit so einigermaßen hochgehal-

ten, vielleicht noch bis in dieses Jahr. Sie ist sogar jetzt noch

beim Anhörverfahren zum Ausführungsgesetz des Jugendwohlfahrtsge-

setzes geladen worden. Aber, wenn wir es genau unter die Lupe neh- men, sind wir vielleicht noch 30 Leute von 300. Noch 1973 haben wir eine weitere Aktion gemacht mit den alten Forderungen, daß wir also Regionale Arbeitsgruppen ohne formelle Leitung haben wollen und daß diese Regionalen Arbeitsgruppen ihr Arbeitsmaß und auch ihren Ar- beitsinhalt weitgehend selbst bestimmen.

Zum jetzigen Stand möchte ich an sich nur sagen, daß dies keine Neu- organisation ist, sondern eine reine Verwaltungszuordnungsänderung. Zwar hat mir der neue Senator gesagt: "Wir schaffen die Strukturen und Ihr müßt sie dann inhaltlich füllen", aber durch die Strukturen (siehe Leitenden Sozialarbeiter) ist ja schon sehr viel an Inhalt festgelegt. Ich möchte jetzt aber noch Stellung nehmen zu dem AKS- Papier und dem dort vertretenen stadtteilorientierten Ansatz. Ich habe die Einbeziehung der Betroffenen in einem Gemeinwesenprojekt

in einer Wohnunterkunft erlebt und habe exemplarisch erlebt, wie erfolgreich das sein kann, wenn Sozialarbeit nicht entmündigt, son- dern Selbsthilfeprozesse unterstützt. Bezeichnend ist allerdings, daß dieses vor allen Dingen von außerinstitutionellen Gruppen getra-

gen wird.

© Siegfried Müller

Ich möchte kurz auf die Strukturierungsprinzipien einer stadtteil- bezogenen Sozialarbeit eingehen. Ausgangs- und Bezugspunkt der Neu- organisation der Sozialen Dienste müssen m.E. die historisch beding- ten und geografisch-regional überformten Reproduktionsbedingungen

in den gewachsenen Stadtteilen sein. Erst die differenzierte Kennt- nis der Lebensbedingungen und Problemstrukturen dieser sozialökolo- gischen Einheiten ermöglicht die qualitative und quantitative Be-

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stimmung des Bedarfs an personenbezogenen Dienstleistungen. Ich wen- de mich damit gegen ein Verständnis von Neuorganisation, das von einer ressortspezifischen Borniertheit und einem kompetenzsichernden status-quo-Denken gekennzeichnet ist. Formale Verwaltungsneugliede- rungen lassen sich von "oben" durchführen, inhaltliche Neubestimmun- gen sind dagegen nur von und mit der Basis realisierbar.

© Timm (AKS Hamburg )

Es scheinen hier also zwei Zugangsmöglichkeiten zum Problem Neuorga- nisation zu geben: die eine, die stärker von den Institutionen her denkt, und die andere, die von den sozialen Problemen in einem Stadtteil her denkt. Ich möchte noch einen weiteren Punkt hinzufü- gen, und zwar den, daß institutionelle Sozialarbeit im tradi- tionellen Sinne immer einzelfallorientiert und eingriffsorientiert war, und zwar per Definition von vornherein und daß bei der Neu- organisation bzw. der Planung der Erfolg wesentlich doch davon ab- hängen wird, die Aufgaben so zu formulieren, daß einzelfallübergrei- fende, z.B. an den kollektiven Bedürfnissen ansetzende, Arbeit über-

haupt möglich ist.

© Horst (Berlin)

Es ist hier sehr viel vom Lob für das Papier des AKS gesprochen wor- den. Ich möchte eine Kritik anfügen. Es ist sehr löblich, was hier gefordert wird, allerdings fehlt dem die reale Basis. Eine Neuorga- nisation ohne die Forderung nach mehr Stellen ist illusorisch, weil eine Neuorganisation einfach mehr Einsatz erfordert, was allen be- kannt ist. Eine Neuorganisation mit altem Stellenplan ist wirklich nur eine Verwaltungsreform. Wir haben die entsprechende Erfahrung

in Berlin gemacht.

© Sozialarbeiter aus Hamburg

Es wurde darauf hingewiesen, daß die aufgestellten Forderungen alt sind. Dabei wurde immer auf die Reformphase Ende der sechziger, An- fang der siebziger Jahre Bezug genommen. Ich kenne es aber aus eige- ner Erfahrung schon sehr viel länger. Von Mitte der fünfziger Jahre, als ich anfing, wurden diese gleichen Forderungen aufgestellt, und wir müssen uns als Sozialarbeiter in diesem Gemeinwesen doch mal ir- gendwann darüber klar werden, was wir wirklich wollen. Wollen wir weiterhin verwalten oder wollen wir den Menschen in all seinen Be- zügen im Stadtteil zum Mittelpunkt unserer Arbeit und zum Ausgangs punkt machen. Das, was hier gemacht wird, ist ja nicht mal eine Verwaltungsreform. Was passiert denn tatsächlich? Es werden neue Hierarchieebenen geschaffen, leitende Sozialarbeiter, Amtmänner usw., und diese blockieren doch eine inhaltliche Reform von Sozial-

arbeit.

© Verena Fesel

Der gesetzliche Auftrag der Sozialarbeiter’ ist in staatlichen Insti- tutionen festgeschrieben; das Gesetz hat aber nicht die Methoden,

mit denen Sozialarbeiter arbeiten, festgelegt. Man kann daher an die- sen gesetzlichen Auftrag in unterschiedlicher Weise herangehen und

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es spricht m.E. nichts dagegen, daß man dies anders tut als früher. Es ist nicht bewiesen, daß die Methode der Ennzelfallhilfe eine effizientere Arbeit für den Klienten bewirkt als andere Herange- hensweisen.

Ich meine, daß eine prophylaktische Sozialarbeit nur in Form von Stadtteilarbeit, in kleinen, überschaubaren Einheiten, erfolgen kann. In diesem Rahmen wird man die notwendige Einzelfallhilfe miterledi- gen können, als eine Interventionsform unter anderen, aber nicht als die dominante.

In der bevorstehenden Übergangsphase muß man natürlich zunächst weiter in den alten Strukturen und mit den bisherigen Methoden ar- beiten; aber mit den anderen Formen muß ebenfalls jetzt schon begon- nen werden. Das setzt jedoch ein Umdenken voraus. Unsere alte Denk- weise geht immer von oben nach unten und nie von unten nach oben; und darüber müssen wir hinwegkommen!

In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal auf das Modell der gestaffelten Sozialarbeit von Holland zurückkommen, daß ich von Amsterdam gut kenne. Amsterdam scheint mir eine Hamburg vergleichba- re Stadt zu sein,und es scheint mir durchaus überlegenswert zu sein, wie Sozialarbeiter dort in den Bezirken spezialisiert arbeiten - auch ohne Stellenplanausbau. Wir sollten von unserem starren Denken wegkommen und andere Möglichkeiten - außerhalb des Hamburger Raumes - kennenlernen und am besten ausprobieren. Denn auch bei der Hambur- ger Neustrukturierung werden Kompetenzen aufgegeben und müssen

neu verteilt werden.

© Christian Marzahn

Ich möchte daran anschließen und mal die Überlegung anstellen, wie denn die ganze Sache von Seiten der Betroffenen aussieht. Ich möch- te dabei nicht an die Tradition der Sozialarbeit anknüpfen, an ihre Tradition aus der Polizeigeschichte. Ich meine damit, daß sie Pro- bleme aufspürt und dann gewaltsam eingreift. Sondern ich gehe mal den anderen Weg und überlege mir, wie sieht es denn eigentlich aus, wenn jemand Probleme hat, was macht er damit. Ich möchte dabei das Wort Klient einmal abschaffen und diese Menschen einfach Menschen nennen. Was macht also ein Mensch, wenn er Probleme hat? Auf keinen Fall geht er gleich zum Sozialarbeiter, sondern er geht erst mal ein Bier trinken. Dann wird er vielleicht mit seiner Frau oder sie mit ihrem Mann darüber sprechen - wird vielleicht auch noch einen Kollegen oder Kumpel fragen oder irgendjemanden, zu dem er Vertrauen hat. (Gelächter) Das ist zwar komisch, aber schon, daß wir als So- zialarbeiter das als komisch empfinden, zeigt, wie starr wir doch ın unseren Bahnen denken.

Dieser Mensch wird also in seinem Alltag mit den Leuten, mit denen er täglich umgeht, versuchen, erst einmal sein Problem zu lösen. Er wird sich in seiner Alltagssprache mit ihnen unterhalten und - wenn's gut geht - kriegt er von ihnen einen Tip "Mensch, versuch' das mal so, oder laß das doch mal sein" und - wie gesagt -, wenn's gut geht, dann klappt das auch.

Nun kann es aber sein, daß diese Überlegungen, Kontakte und Gesprä- che nicht ausreichen, er z.B. Geld braucht, weil irgendetwas mit der Arbeit nicht so läuft, wie er sich das vorgestellt hatte. Er überlegt weiter und kommt dann auf die Idee: "Mensch,da gibt es doch

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was, sozialer Rechtsstaat, Ansprüche usw., da muß es doch irgendje- manden geben, der mir da Bescheid sagen kann. Dafür muß doch ein Amt zuständig sein, nur welches?" Wenn er soweit gekommen ist, setzt ein Riesenproblem für die Sozialarbeit an: er weiß gar nicht "wohin mit seinem Problem,und ich kann das gut nachvollziehen. Ich kann mich selbst in diesem Ungetüm von sozialem Apparat kaut zurechtfin- den, in dem alle Probleme nach Zuständigkeit geregelt und parzelliert sind, obwohl ich mich ja nun lange schon mit dem Thema befasse und sogar beanspruche, in diesem Gebiet zu lehren. Aber ich beanspruche nicht, daß ich mich da auskenne,

Hier wäre es doch sinnvoll, wenn es in seinem Stadtteil. in seinem täglichen Lebensbereich, eine Anlaufstelle gäbe, die keinen bösen Namen hat, unter dem er sich nichts vorstellen kann, und die eigent- lich für alles zuständig ist. f

Ich weiß nicht, ob das geht, aber man sollte sich doch mal überlegen ob so etwas möglich wäre, wo alles zunächst beredet werden kann in ; Bezug auf Familie, Arbeitsplatz, Erziehung, Wohnen usw. Hier müßte er jetzt jemanden treffen, dem er freundlich "Guten Tag" sagt und mit dem er zusammen überlegen kann, wie das Problem denn eigentlich aussieht, welche Lösungswege da sind. Hier wird also alles das von Sozialarbeitern gemacht, was an und für sich auch im Freundeskreis passiert, nur nennen wir das jetzt professionell: Beratung. Die Fä- higkeiten, die ein Sozialarbeiter auf dieser Ebene haben müßte,

sind elementare Fähigkeiten. Vor allem müßte er in erster Linie zu- hören können, er müßte sich in die Situation des Betroffenen hinein- versetzen, nicht immer gleich denken, wo kriege ich das Problem un- ter, also administrativ. Er muß also mit ihm verschiedene Problemlö- sungsstrategien diskutieren, und erst im letzten Schritt muß er fähig sein, entscheiden zu können, ob er dieses Problem weiter selbst lösen kann oder ob er den Menschen an eine andere Stelle, die ihm dann weiterhilft, verweisen kann oder muß. Diese Fähigkeit muß er haben. Denn ich sehe es als ein Problem der stadtteilorientierten Sozialarbeit an, daß sie auf der einen Seite allzuständig ist und damit Schwellenangst senken kann, auf der anderen Seite eben doch nicht auf den spezialisierten, problemlösenden Apparat ganz verzich- ten kann. Dazwischen muß der Sozialarbeiter in der ersten Linie ver- mitteln.

Das, was ich bis jetzt erzählt habe, mag vielleicht etwas naiv sein, aber ich finde es wichtig, sich die Probleme wieder einmal von die- ser Seite zu vergegenwärtigen, statt immer nur von Organisations- strukturen her zu denken und immer weiter die Zuständigkeiten auszu- differenzieren, ein immer feineres Netz zu spannen, das dann alle denkbaren Probleme umfaßt, in dem aber die Sicht der Betroffenen nicht mehr vorkommt.

© Sozialarbeiterin aus Hamburg

Ein Punkt ist mir bis jetzt entschieden zu kurz gekommen. Wir ste- hen einen Monat vor der Neuorganisation Sozialer Dienste und die ganze Diskussion, der ganze Entscheidungsablauf ist bisher ohne jeg- liche Einbeziehung der Basis gelaufen, obwohl wir doch alle davon betroffen sind. Von den Betroffenen selbst wurde erst gar nicht geredet. Im übrigen ist das, was wir hier diskutieren, keine Neuor-

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ganisation Sozialer Dienste, sondern eine Bezirksverwaltungsreform. Deshalb ist es für mich eine ganz klare Linie, daß die Sozialarbeit nach dem Oberkriterium der Verwaltung gemacht wird.

Für mich ist es weiter ein Anzeichen für eine weitere Verrechtlichung der Sozialarbeit, d.h., ich sehe überhaupt keine Möglichkeit, hier neue Methoden in der Sozialarbeit zu entfalten. Im Gegenteil, es sieht eher so aus, daß die paar schüchternen Ansätze, wie Gruppenar- beit und Ähnliches, noch kaputtgemacht werden. Das ist für mich die Situation, und es geht für mich darum, wie können wir ein Minimum

von dem retten, was an positiven Ansätzen da ist. Wie können wir ein Minimum an Zusammenarbeit zwischen den Sozialarbeitern erreichen. Die ganze Neuorganisation basiert darauf, daß keine zusätzlichen Stellen geschaffen werden. Bei wachsender Fallzahl bedeutet es na- türlich immer mehr Arbeit. Konkret sieht es so aus, daß die Jugend- fürsorger 60-80 Fälle pro Monat zu bearbeiten haben. Sie können also nur die gröbsten Sachen,meist rechtlich, abklopfen. Die Familienfür- sorger, die Gruppenarbeiter haben etwas weniger Fälle. Die können teilweise über die Einzelfallhilfe hinaus noch etwas tun. Aber darum geht es jetzt gar nicht mehr. Jetzt scheint es nur darum zu gehen, wie wird die Arbeit umverteilt. Darüberhinaus wird geschickt ver- sucht, die Konkurrenz, die zwischen Jugend- und Familienfürsorgern und Sozialer Gruppenarbeit besteht, zu verstärken und die ganze Sa- che auf dem Rücken der Sozialarbeiter auszutragen. Die andere Seite ist allerdings die, daß wir uns das auch gefallen lassen.

© Michael (AKS Hamburg)

Wenn man mit Sozialarbeitern spricht, die von der Neuorganisation betroffen sind, gibt es an sich zwei Reaktionen. Zum einen: "Das

ist keine Neuorganisation, das ist nur Neuzuordnung." Zum anderen - und diese Position ist hier noch nicht öffentlich vertreten worden -: ",..warum das Ganze, sollen sie es doch so lassen, wie es ist. Bis jetzt war das doch alles ganz gut." Also eine Angst vor jeder Verän- derung. Sicherlich gibt es noch mehr Positionen, aber erstaunlich

ist es doch, daß von keiner ein irgendwie gearteter, breiterer Wider- stand gegen diese Neuorganisation in Gang gekommen ist. Ein Grund mag sicherlich sein, daß seit zig Jahren darüber diskutiert wird

und daß die Energien in Bezug auf Neuorganisation einfach verschlis- sen sind.

Trotzdem stellt sich aber für uns die Frage, wie gewinnen wir die Initiative wieder, damit wir nicht nur Objekte, sondern auch Subjek- te unseres Handelns werden. Dabei stellt sich natürlich die Frage, was ist denn bis jetzt von den Gruppen getan worden, die die Interes- senvertretung der Sozialarbeiter sind. Ich denke hier vor allem an die Personalräte und an die vertretenden Gewerkschaften. Und deshalb meine Frage an die hier vertretenen Funktionäre und Personal-

räte, was habt Ihr denn getan in Bezug auf die Neuorganisation So- zialer Dienste, welche Positionen habt Ihr vertreten?

© Jens P. Burmester (GEW)

Zum einen möchte ich darauf hinweisen, daß der Organisationsgrad

der Sozialarbeiter relativ niedrig ist, daß viele nicht das Gefühl haben, sie seien lohnabhängig, sondern eben eine besondere Profes- sion. Darüberhinaus sind die organisierten Sozialarbeiter sehr unter-

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schiedlich organisiert: In der GEW, in der ÖTV, in der DAG und Be-

amtenbund und noch in den verschiedenen Berufsverbänden. Wir haben

im letzten Jahr versucht, als die ersten Pläne bekannt wurden, mit

allen beteiligten Gruppierungen und Organisationen eine gemei naine

Linie zu verfolgen. Aber es haben sich erstens nicht alle daran be- teiligt, und zweitens ist dabei nur eine Presseerklärung herausge-

kommen, in der gefordert wird, daß die betroffenen Kollegen an der

Neuorganisation beteiligt werden.

© Christian Mahrzahn

Wie wir nun schon öfter festgestellt haben, scheint diese Struktur, wie sie geplant ist, schon weitgehend festgelegt zu sein: Wir soll- ten aber doch versuchen zu diskutieren, an welchen Punkten wir den- noch ansetzen können, um die Initiative in einigen Bereichen wieder- zugewinnen. Da scheint mir der Punkt der Regionalen Arbeitsgruppe doch der entscheidende zu sein. Gerade wenn wir davon ausgehen, daß Sozialarbeiter an den tatsächlichen Lebenszusammenhängen der Men- schen ansetzen sollen, müssen wir bei der gegebenen Verflochtenheit in der Institution prüfen, welche Möglichkeiten in dieser Organisa- tionsform drinstecken.

Denn hier scheint mir ein Ansatzpunkt zu liegen, von dem rein admi- nistrativen Denken wegzukommen und zumindestens bei den Sozialarbei- tern der Basis ein anderes Denken und Handeln zu ermöglichen. Vor allen Dingen würden wir Sozialarbeiter dann etwas in den Blickpunkt bekommen, was jetzt schon real abläuft, nämlich daß sich in vielen Bereichen Selbsthilfeeinrichtungen bilden, z.B. in Form von Bürger- initiativen, Mieterinitiativen usw. Diese könnten wir als Sozialar- beiter unterstützen und brauchten dann nicht immer nur punktuell, reaktiv und administrativ im Einzelfall eingreifen.

Und vielleicht noch ein Punkt, bei dem ich nicht weiß, wie er hier

in Hamburg gelöst werden wird: Der Jugendwohlfahrtsausschuß. In ihm repräsentiert sich so etwas wie ein nicht mehr zu erkennender Rest einer politischen Tradition von Anfang der 20-er Jahre in der Wei- marer Republik. In ihm sollten die beteiligten sozialen Gruppen und Klassen unmittelbar Einfluß auf die Lösung sozialer Probleme bekom- men, vor allem im Jugendbereich. Diese Intention ist natürlich nur in ganz kümmerlichen Spuren in die Gesetzgebung eingegangen, aber immerhin haben wir hier eine Einzigartigkeit im ganzen deutschen Ver- waltungsrecht. Und die Frage wäre auch hier, wie nutzen wir diese i.S. einer an allen Lebenszusammenhängen der Betroffenen orientierten Sozialarbeit. Könnte z.B. ein derartiger JWA so eine Art Bündnispart- ner für regionale Arbeitsgruppen werden?

Im Verlauf der weiteren Diskussion betonten verschiedene Redner,

daß der einzige Ansatzpunkt für eine inhaltliche Reform zur Zeit

in den Regionalen Arbeitsgruppen gesehen wird. Dabei bleiben aller-

dings noch viele Fragen offen:

© 2.B. das Verhältnis Jugendfürsorge/Familienfürsorge, das bislang auch durch sehr irrationale Männlichkeits- bzw. Weiblichkeitsvor- stellungen geprägt ist.

© Z.B. das Verhältnis zu den Sozialämtern, das auch neu bestimmt werden müßte.

0 Und nicht zuletzt das Verhältnis in einer solchen Regionalen Ar- beitsgruppe selbst, in der neue Arbeitsformen möglich sein müßten. Dazu allerdings gehören wiederum entsprechende Arbeitsplatzbe- schreibungen und Arbeitsvorstellungen. 6

RESOLUTION ZU PROBLEMEN DER NEUORGANISATION SOZIALER DIENSTE

Am 16.11.1979 veranstaltete der Arbeitskreis Kritische Sozialarbeit Ham- burg eine Podiumsdiskussion zu Problemen der Neuorganisation Sozialer

Dienste.

Auf dem Podium waren vertreten: Jens Peter Burmester, GEW Verena Fesel, Dozentin an der FH Hamburg Christian Marzahn, Professor an der Uni Bremen Siegfried Müller, Neue Praxis

Lisel Werninger, Hamburg

Nach einer lebhaften Diskussion, in der das Plenum einbezogen war, verab- schiedeten die ca. 120 Teilnehmer einmütig folgende Erklärung:

“Angesichts des derzeitig bekannten Standes der offiziellen Planung zur Um- organisation im Bereich der Sozialen Dienste scheint es zur Gewissheit zu werden, daß hier nach einer langjährigen Anlaufphase eine Möglichkeit zur wirklichen Neugestaltung zugunsten einer oberflächlichen Neuzuordnung vertan wird. Das bürokratische Hin- und Herschieben von Dienststellen und Leitungsfunktionen kann nicht die phantasievolle, inhaltliche Auseinander- setzung mit neuen Formen Sozialer Dienste ersetzen. Die Planung hinter den verschlossenen Türen der Leitungsetagen verhindert die organisierte, breite Diskussion der betroffenen Fachbasis. Wieder einmal zeigt sich, daß unter dem Vorzeichen von Kostenneutralität und bürokratischem Effekti- vitätsdenken nur Notlösungen möglich sind, nicht aber eine sinnvolle Bil- dungs-, Jugend- und Sozialpolitik.

Folgende Voraussetzungen für eine wirkliche Neugestaltung der Sozialen Dienste halten wir für unverzichtbar:

Abbau von Hierarchien/Realisierung neuer Arbeitsformen

Es sollen überschaubare Arbeitseinheiten geschaffen werden, in denen Team- arbeit durch ausreichende Zeit für Mitarbeiterbesprechungen und durch Rotation der Koordination ohne Leitungsbefugnisse ermöglicht wird. Die Arbeitseinheiten sollen weitgehende Entscheidungsautonomie nach außen haben.

Erweiterung der Kompetenz der Fachbasis/Abbau der Arbeits- feldparzellierung

Die sachliche Zuständigkeit der zu schaffenden dezentralen Arbeitseinhei- ten darf nicht auf die traditionellen Arbeitsfelder der Sozialen Dienste, die sich hauptsächlich mit individuellen Defiziten beschäftigen, eingeschränkt bleiben. Die Neuzuschreibung von Aufgaben aus dem Bildungs-, stadtplaneri- schen und sozialmedizinischen Bereich und die Integration der bisher par- zellierten Arbeitsfelder soll eine einzelfall- und arbeitsfeldübergreifende Handlungsperspektive ermöglichen, die ihre Schwerpunkte aus kollektiven Problemlagen der Stadtteilbevölkerung herleitet.

Ortsbezogenes Strukturprinzip

Die zu schaffenden Arbeitseinheiten müssen ortsbezogen eingerichtet wer- den mit Sitz im Einzugsbereich. Dabei ist nicht von bestehenden Verwal- tungsstrukturen auszugehen, sondern von der sozio-ökonomischen Gliede- rung, den historischen und geographischen Gegebenheiten eines Wohnquar- tiers insgesamt also von den Lebenszusammenhängen der Bevölkerung.

Wir fordern die betroffenen Kolleginnen und Kollegen auf, sich nicht zum Objekt einer an ihnen vorbeigeplanten Verwaltungsveränderung machen zu lassen, sondern über ihre Personalvertretungen und Gewerkschaften Einfluß auf die Entwicklung zu nehmen, bzw. sich in Arbeitsgruppen zusammenzu- schließen und inhaltliche Alternativen zu entwickeln.

Wir fordern den Senat und die Bürgerschaft auf, in mindestens zwei Stadttei- len Modellversuche zu finanzieren, die von der betroffenen Fachbasis unter wissenschaftlicher Begleitung entwickelt werden. Um zu verhindern, daß derartige Modellversuche als Alibi für nicht durchgeführte Reformen miß- braucht werden, muß gewährleistet sein, daß ihre Ergebnisse von den Kol- leginnen und Kollegen im Bereich der Sozialen Dienste diskutiert, ausgewer- tet und umgesetzt werden können.”

Jakate Zentrale hier...

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Neue Praxis Sonderheft 5

Siegfried Müller/Hans-Uwe Otto (Hrsg.) Sozialarbeit als Sozialbürokratie?

Zur Neuorganisation sozialer Dienste

250 Seiten, DM 18,— (Abo-Vorzugspreis) Art.-Nr. 50983

DM 25,— (Normalpreis) Art.-Nr. 50982

Die erste umfassende Veröffentlichung zu diesem zentralen Problembereich der

Sozialarbeit/Sozialpädagogik. Sie bringt fundierte Aussagen über exemplarische

Erfahrungen der Neuorganisation, über wichtige Ansätze in der theoretischen

Begründung der sozialen Dienste und belegt die Notwendigkeit eines kritischen,

politischen Gesellschaftsbewußtseins, um das Problem nicht in einem Prozeß

zunehmender Bürokratisierung und Rationalisierung verkommen zu lassen.

Mit der Neuorganisation sozialer Dienste sind politische Steuerungsmechanismen

verbunden, die einen entscheidenden Einfluß auf die weitere Entwicklung der

Sozialarbeit/Sozialpädagogik als Beruf ausüben.

Behandelt werden u.a. folgende Problemaspekte:

® Technokratische Reform/administrative Selbstbegrenzung/Neue Fachlichkeit

® Geschichte der Neuorganisation/Modellbewegung l

® Bürgernähe/Klientennähe/Dezentralisierung/Selbsthilfe

® Modellvergleich/Organisationsanalysen/Strukturprinzipien

® Eigenständigkeit des Jugendamtes/Einheit der Jugendhilfe

® Ambulante Sozial- und Gesundheitsdienste/Sozialstationen

® Verwaltungshandeln/Rationalisierung/Disziplinierung

© Personalstruktur/Dienstpostenbewertung/Hierarchisierung

® Sozialökologie/Soziale Probleme/Sozialplanung e

® Mitwirkungsmöglichkeiten/Realisierungschancen/Perspektiven öffentlicher Sozialarbeit

Ob und wie sich mit der Neuorganisation sozialer Dienste auch das Spannungs-

verhältnis zwischen Administration (soziale Kontrolle), Fachlichkeit (sozial-

pädagogische Kompetenz) und basisorientierte Initiative (Selbsthilfe) grund-

legend verschiebt, versuchen im NP-Sonderheft ausgewiesene Fachleute erst-

mals umfassend zu beantworten.

SOZIALARBEITER BRAUCHEN ZWEI ARBEITGEBER

Interview mit Lisel Werninger über die Tradition fortschrittlicher Sozialarbeit und die Neuorganisation Sozialer Dienste in Hamburg Das Interview wurde von der AKS-Untergruppe "Neuorganisation Sozia- ler Dienste" geführt.

AKS: Liebe Frau Werninger, zu zwei Bereichen möchten wir Sie gerne befragen bzw. mit Ihnen diskutieren. Der erste Bereich ist die Neu- organisation Sozialer Dienste. Sie waren ja von Anfang an dabei, und wir hätten gerne etwas über die Geschichte und die Hintergründe der nun seit Jahrzehnten dauernden Diskussion in Hamburg gehört.

Der 2. Punkt betrifft Sie als Repräsentantin einer Generation, zu der wir ansonsten keine oder recht gespannte Beziehungen haben. Für uns sind Sie eine Repräsentantin der fortschrittlichen Sozialar-

beiter. Wir wollen versuchen, mit diesem Interview so etwas wie eine eigene Tradition fortschrittlicher Sozialarbeit zu entdecken, da wir sehr häufig das Gefühl haben, selbst die ersten zu sein und ohne Tra- diton in der Sozialarbeit zu arbeiten.

Lisel W.: Ja, das ist sehr schwer kurz und allgemein zu sagen, und es ist auch sehr schwer, da irgendwo anzufangen. Ich bin ja jetzt

65 Jahre alt und gehöre zu denen, die Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre noch die demokratische und Frauenbewegung miterlebt haben, speziell an meinem Gymnasium, und die auch den Bruch 1933 sehr deutlich auch als lebensgeschichtlichen Bruch erlebt haben. Durch meine Lehrerinnen habe ich doch ein sehr starkes demokratisches und kritisches Bewußtsein mitbekommen. Mir ist der Bruch 1933 deshalb so bewußt, weil ich da Abiturientin war und 1934 das erste "NS-Abitur" machte.

Aber das führt eigentlich alles etwas zu weit. Ich bin dann erst sehr spät zum Studieren gekommen, weil wir Frauen zunächst im Faschismus nicht studieren durften. Erst im Krieg konnte ich in Jena anfangen, Pädagogik zu studieren und war dann in Pommern in der Lehrtätigkeit. Durch Flucht und alles, was mit dem zusammenhing, ist mir deutlich geworden, daß ich im Lehrberuf nicht bleiben, sondern andere soziale Tätigkeiten machen wollte.

Diesen Entschluß konnte ich dann 1948 - 50 realisieren. Da habe ich Glück gehabt, daß ich in dieser Aufbruchsituation in eine ganz neue evangelische Fachschule nach Kassel kam(gegründet 1946, späterer Na- me: Evangelisches Seminar für soziale Berufsarbeit; heute Teil der Gesamthochschule). Diese Phase 1948/50, die für uns die Stunde Null war, die können wir Euch kaum vermitteln - äußerlich wie innerlich. Es war ja alles kaputt und die finanziellen Bedingungen waren so gut wie überhaupt nicht gegeben, und wir haben dann auch in meinem Ver- ständnis eine Sozialarbeit gemacht, die sehr fortschrittlich ist,

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auch wenn man heutige Maßstäbe anlegt.

Mit Fides von Gonthardt, der Leiterin der Schule, bin ich auch zum ersten Mal zur Tagung der "Gilde Soziale Arbeit" gefahren. Diese "Gilde Soziale Arbeit" ist für mich von ungeheurer Bedeutung. Sie

war für mich zugleich so etwas wie eine Avantgarde in der Sozialar- beit und eine Bezugsgruppe, die es mir ermöglichte, viele Konflikte und Widerstände später auch durchzuhalten und immer wieder zu reflek- tieren,was ich denn eigentlich wollte. Es hat mal jemand gesagt, in der "Gilde" sind Leute, die laut denken, die heiße Eisen anfassen, die gegen den Strom schwimmen, und das Spektrum war auch breiter als das sonstiger Sozialarbeitergruppen. Es waren Ärzte, Juristen, Hoch- schullehrer und Studenten dabei. In der Gilde gab es die Richtung von Bondi und Hermann, die mehr Social Action wollten, wie sie das nann- ten, d.h., daß sie die "Gilde" auch als Podium betrachteten, von dem aus Zu- und Eingriffe in öffentliche Diskussionen geschehen sollten. Sie hat das auch mehrmals versucht, z.B. beim JWG, und Stellungnah- men zur Ausbildung von Sozialarbeitern.

Ich war ja damals schon fast Mitte 30 (Jahrgang 1914) und hatte mei- ne Familie und meine Freunde im Krieg verloren, oder wir waren ausein- andergerissen. Ich hatte meinen Partner verloren, ich hatte schon

ein Studium beendet. Aber das war nichts Untypisches. In unserer Gruppe von 17 Leuten waren wir alle so um die 30 herum, 16 Frauen

und ein Mann.

Mein erstes Praktikum 1948 hatte ich in einer Frauenstrafanstalt in Ziegenheim bei Martha Kluncker (der Tochter des alten Klunckers), die damals schon einen fortschrittlichen, z.B. einen Stufenstrafvollzug eingerichtet hatte. Dieses Ziegenheim ist später aufgelöst worden, weil es dem Justizministerium viel zu fortschrittlich war. Erst als Frau Dr. Einsele in Frankfurt die Frauenstrafanstalt übernahm, hat sich wieder etas Fortschrittliches getan.

Mein zweites Praktikum 1949 hat mich dann nach Hamburg zu Frau Sülau gebracht. Das war für mich entscheidend. Ich habe die Arbeit des "Hansischen Jugendbundes" kennengelernt, der von Elisabeth Sülau aufgebaut wurde. Ich machte dann auch mein Berufpraktikum hier in Hamburg, und von da an stand praktisch fest, daß ich mit Jugendlichen mit sogenannten Randständigen oder Problem-Jugendlichen mit Schwie- rigkeiten in Zukunft arbeiten wollte. Die Form, in der Frau Sülau (1903-1977) das machte, sprach mich an, und ich war fest entschlos- sen, das in ähnlicher Form weiterzuführen.

Noch einige Worte zum Hansischen Jugendbund (HJB bestand 1947-67). Das ist sehr wichtig. Elisabeth Sülau war damals als Gefährdetenfür- sorgerin eingesetzt und sah, daß viele Jugendliche zwischen 16 und 2o Jahren auf der "Straße lagen". Es war nichts da, was ihnen hätte Per- spektive aufzeigen können. Frau Sülau war sehr stark durch die Ju- gendbewegung und später durch die "Gilde" geprägt. Sie hatte z.B. die ersten 7 Mädchen in ihrer eigenen Wohnung und hat später noch Jun- gens hinzugenommen. Daraus hat sich dann der Hansische Jugendbund entwickelt. Sie wählte bewußt dieses Element des Bundes, wobei sie Anschluß an die Tradition des bündischen Lebens suchte. Der "Hansi- sche Jugendbund" hatte nachher ungefähr 500 Mitglieder, und er hat sich entwickelt (vergleichbar einem Nachbarschaftsheim). Die Schwer- punktgruppen sind immer die 15- bis 17-jährigen gewesen, die sie dann in kleine Gruppen unterteilt hatte. Diese Gruppen wählten aus ihrer Mitte eine eigenen Leiter und einen Berater (Praktikant/Student).

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Es herrschte damals ja auch Numerus Clausus, und durch Professor Sieverts (Jura-Professor in Hamburg/Jugendstrafrechtler - gest. Mai 80) konnten sehr viele Abiturienten, die noch keinen Studienplatz be- kommen hatten, dafür gewonnen werden, eine derartige Gruppe mit zu beraten. Sie wurden "Schutzaufsichtshelfer" genannt und kamen so in die Clubarbeit herein. Frau Sülau hat dann auch Planstellen bekommen. Und dieser Hansische Jugendbund hat dann 20 Jahre bestanden. (siehe zur Geschichte des Hansischen Jugendbundes : Kalcher, "Ambrosius war kein Dinosaurier - dem Hansischen Jugendbund nachträglich zum Geburts- tag." - Versuch einer Deutung, in Praxis der Kinderpsychologie, Heft 6/79. u. Paul Lorenz in seiner Dissertation zum Thema: "Soziale Grup- penarbeit als Fingliederungshilfe für gefährdete Jugendliche - Analy- se eines sozialpädagogischen Modells.", Kiel 1966). Außerdem gab es in dem Hansischen Jugendbund die Einrichtung des Parlaments, d.h., alle 4 Wochen traten die Jugendlichen zusammen, die sich dann mit den Hauptamtlichen, Berufspraktikanten und Studenten zusammensetzten und diskutierten, aber auch aus den Bereichen Kinderarbeit, Jugendarbeit und Altenarbeit waren immer Vertreter da. In diesem Parlament fielen Entscheidungen, z.B. über die weiteren Schwerpunkte der Arbeit.

Aber nochmal zurück zum Jahre 1949. Da hieß der Hansische Jugendbund noch BH Z 304 - Bieberhaus Zimmer 304. Da traf sich der Club, und er traf sich auch bei Elisabeth Sülau Zuhause. Das war an der Großen Bleiche Nr.7 im 7.Stock, und vor der letzten Treppe stand: "Steil

ist der Weg, der zur Vollendung führt.". Da haben wir zuerst die Clubabende gemacht. Es waren vielleicht 30 - 40 Leute. Dann wurde

das zu klein, und wir zogen um in den großen Clubraum in Schwanenwik: Da war jeden Donnerstag Tanz. Darüber hinaus gab es Gruppen. Ich war z.B. Gruppenleiterin der "Alstergeusen", Wir haben uns alle geduzt, und wir hatten alle Spitznamen. Frau Sülau hieß z.B. Ambrosius. Ihre Arbeit stand unter dem Spruch, den ich ja auch mit übernommen habe: "wir wollen einander helfen, das Leben zu bestehen."

1967 löste sich der Hansische Jugendbund auf. Das hatte wesentlich drei Gründe. Zunächst einen formalen Grund: das Gebäude wurde abge- rissen, wegsaniert. Außerdem war Frau Sülau zwei Jahre vorher aus dem Dienst ausgeschieden. Sie hatte damals die Idee, den Hansischen Ju- gendbund ganz von der Behörde wegzuziehen und dem Verein Jugendhilfe e.V. anzugliedern. Das aber wollten die Mitarbeiter nicht.

Man stellte fest, daß sehr viele ältere Leute im Club mitmachten. Ei- nige waren vom Kindesalter bis hin ins reife Mannesalter und Frauen- alter dort geblieben, zum Teil bis zu 10 Jahren, und betrachteten den hansischen Jugendbund als so etwas wir ihr Zuhause. Das paßte nicht ins Konzept eine ausschließlich auf Jugend orientierten sozialthera- peutischen Gruppenarbeit, die damals im Entstehen war.

1967 ging der Hansische Jugendbund mit seinen 5 Stellen in der Sozia- len Gruppenarbeit auf, die konzentriert in den Stadtteilen arbeiten sollte. Das hat mich damals emotional sehr stark getroffen. Ich woll- te den Hansischen Jugendbund unbedingt erhalten. Aber selbst Elisabeth

Sülau hat mir zugesprochen und gesagt, nach 20 Jahren müssen sich auch neue Formen entwickeln.

AKS: Aber nochmal zurück zur sogenannten Stunde Null. Da müssen doch alle unheimlich hohe Erwartungen gehabt haben.

Lisel W.: Das kann ich Euch sagen. Für uns war das wirklich sowas wie

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eine "Stunde Null". Ich war stark geprägt durch freidenkerische und auch christliche Traditionen, so daß ich irgendwo wieder anknüpfen konnte. Viele meiner Generation dachten: "So, jetzt machen wir etwas ganz Neues." Das ist Euch kaum irgendwie darzustellen. Vielleicht da- zu ganz kurz eine Episode aus der Schule in Kassel: Wir waren wie ge- sagt 17 Leute. Sechs von ihnen wohnten in der Schule, und wir verpfleg- ten uns auch in der Schule mit Missions-Sojabohnen und Missions-Käse. Wenn mal einer krank war, fiel deshalb nicht der Unterricht aus, son- dern wir machten den Unterricht an seinem Bett. Das hat natürlich zu sehr personalen und auch sozialpolitischen Prozessen geführt.

AKS: Waren das denn tatsächlich alles neue Leute, mit denen damals die Sozialarbeit in den Behörden anfing?

Lisel W.: Ja doch, jedenfalls die ich kannte, waren fast alles Leute, die nicht unter den Nazis in den Positionen waren, sondern in der Re- gel Sozialdemokraten, Liberale oder Christen. Dann kamen auch noch die zurückkehrenden Emigranten. Die hatten es zum Teil aber auch sehr schwer. Ich erinnere mich besonders an Professor Bondy, der in Ham- burg einen Lehrstuhl für Psychologie bekam und nun diese pragmatische, "amerikanische", aber auch sehr engagierte Ausrichtung der Sozialar- beit hier verbreiten wollte, z.B. an der Universtität eine Erziehungs- beratungsstelle eingerichtet hat. Er hatte ja schon früher nach dem ersten Weltkrieg in Hanhöfersand die Jugendstrafanstalt gegründet als Reformeinrichtung und war nach dem 2. Weltkrieg bemüht, sozialpädago- gisches Wissen auch in andere Berufe einzubringen. Er ist einer der Mitbegründer des sozialpädagogischen Zusatzstudiums (SPZ), wo Juri” sten, Medizinern, Theologen, Pädagogen usw. nicht nur sozialpädagogi- sches Wissen, sondern auch entsprechende Handlungskompetenz vermit- telt werden sollte. Aber leider war es so, daß solche Leute wie Bon- dy sich im gesamten Wissenschaftsbetrieb doch nicht so durchsetzen konnten. Kennt Ihr noch Professor Bondy und das, was er getan hat? Und es gab da wohl auch Probleme zwischen denen, die hiergeblieben waren und denen, die zurückgekommen waren. So genau kann ich das nicht sagen, aber ich weiß, daß er z.B. sehr unglücklich war, daß ge- rade Hofstätter (Wehrmachtspsychologe der Nazis) sein Nachfolger auf seinem Lehrstuhl wurde, vielleicht ein symbolischer Akt für die dama- lige Zeit in den fünfziger Jahren.

AKS: Ja, Hofstätter ist uns eher ein Begriff. Das war der Leib- und Magen-Sozialpsychologe, den wir in Sozialpsychologie von hinten bis vorne pauken mußten. Aber Bondy ist uns kein Begriff.

Wir wissen nicht, wie das Amt für Jugend oder ähnliche Einrichtungen wie die Jugendbehörde bei den Nazis strukturiert waren. Können wir diese strukturellen Aspekte jetzt auch mal mit reinnehmen. Ich kann mir vorstellen, daß sich hier einiges nach dem Krieg geändert hat.

Lisel W.: Dazu kann ich leider nichts sagen. Es gibt jetzt einen Be- richt über die Geschichte des Amtes für Jugend, da müßten wir mal nachsehen, denn ich bin erst 1950 hierher gekommen. Was ich weiß, und das ist sehr wichtig, daß man 1945 Dr. Hermine Albers zur Leiterin der Jugendbehörde gemacht hat. Großen Einfluß hatte in dieser Zeit auch die Viktor-Gollancz-Stiftung. Ich kann mich auch gar nicht mehr so genau daran erinnern, wie das organisatorisch war. Mich interes-

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sierten die fachlichen Aspekte von neuer Sozialarbeit; sationsapekte, die sind mir erst sehr viel später als ausschlaggebende ins Visir gekommen.

die Organi- wichtige und

Ich weiß noch, wie ich 1950 anfing, da wollte ich das Berufsprakti- kum bei Frau Sülau machen. Das ging nicht, aus irgendwelchen Gründen. Ich bin dann zur Geschäftsstelle der Familienfürsorge gekommen und

da sagte mir die damalige Leiterin: "Sie können ruhig kommen, bei uns wird demnächst sowieso alles neu organisiert." Das war also meine er- ste Berührung mit der Neuorganisation sozialer Dienste 1950. Nachdem ich mit "viel Glück" eine Jugendfürsorgerinnenstelle bekommen hatte, fing ich schon 1953 in der Gruppenarbeit an. Starke Impulse bekam ich auch von der Viktor-Gollancz-Stiftung, die das Niveau der Sozialar- beit aus den angelsächsischen Ländern und aus Holland in Deutschland zu verbreiten versuchte und da an fortschrittlichen Ansätzen aus den zwanziger Jahren anschloß, z.B. an die von Bondy und Stern.

AKS: Wie es scheint, hatte damals die Viktor-Gollancz-Stiftung und auch andere Verbände einen wesentlich stärkeren Einfluß auf die Ver-

waltung - oder andersrum - beide Teile kooperierten stärker mitein- ander,

Lisel W.: Ja, das ist richtig. Damals war allerdings auch der Apparat kleiner, und es ist natürlich zum Teil auch personenabhängig gewesen. Wie gesagt, war Dr. Hermine Albers eine sehr fortschrittliche Frau, die befreundet war mit der Leiterin der Viktor-Gollancz-Stiftung, Frau Dr. Lina Kuhlenkampff. Hinzu kam, daß Frau Albers auch starke Kontakte nach Bonn hatte. Wir hatten regelmäßig, meiner Meinung nach alle 4 - 8 Wochen, Besprechungen im Bieberhaus, wo alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des damaligen Jugendamtes zusammenkamen und in- haltlich über Perspektiven diskutierten. Da kam z.B. Bondy und auch wir stellten unsere Vorstellungen zur Diskussion.Alles wurde stärker inhaltlich diskutiert, und ich kann gar nicht beschreiben, was ich an- schließend jahrelang gelitten habe in den Ressortbesprechungen, wo es nur um organisatorische Dinge ging.

AKS: Habt ihr damals denn auch in diesem Zusammenhang über gesell- schaftspolitische Dinge diskutiert.

Lisel W.: Im heutigen Sinne wohl kaum. Dazu waren die Probleme, die auf den Nägeln brannten, einfach zu dringend. Wir haben z.B. sehr in- tensiv über Wohnungsprobleme diskutiert, da mein Bezirk z.B. fast aus- schließlich aus Nissenhütten bestand. Unter diesen Aspekten haben wir schon gesellschaftspolitisch oder sozialpolitisch diskutiert. Eine große Rolle spielte natürlich auch die Diskussion um das neue JWG. Mehr im Vordergrund stand allerdings, daß die Sozialarbeit, besonders die Jugendarbeit in Hamburg, Anschluß fand an das Niveau von außerhalb. So kamen z.B. die Frau Kampuis aus Holland, weitere aus den USA und aus Wien. Und das wurde auch entsprechend von der Behörde bezahlt.

Einen wichtigen Impuls bekam ich durch "Gisela Konopka", die auch zu dieser Generation gehörte, die auswandern mußte und dann in den USA die eigentliche Begründerin der Social Groupwork war. Gisela Konopka kam also 1955 nach Hamburg (sie ist selbst Hamburgerin gewesen) und. wir trafen uns alle bei Frau Sülau und waren ungefähr 25 Sozialarbei- terinnen und Sozialarbeiter, die etwas mit Gruppenarbeit zu tun hatten.

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Das war für mich eine sehr interessante und wichtige Phase, in der ich auch zum erstenmal das Gefühl hatte, mich mit den Organisations- strukturen auseinandersetzen zu müssen. Vorher war mir die Organisa- tionsform einer Behörde oder eines Anstellungsträgers ziemlich egal. Hauptsache, sie gewährleistete mir, daß ich meine Arbeit machen konn- te.

1955 kam ich aus der bezirklichen Jugendarbeit in die Zentrale ins Bieberhaus, und da empfand ich die Organisation chaotisch und zunächst verwirrend. Keiner wußte genau, wo er mich nun zuordnen konnte, zur Familienfürsorge, zur Jugendarbeit? Keiner wußte, wo ich zuständig war und wer für mich zuständig war. Meine Aufgabe war es, in der Zen- trale die bezirkliche Gruppenarbeit zu koordinieren, die natürlich dezentral in den Stadtteilen lief. Ich sah damals in meiner Aufgabe zwei Schwerpunkte: zum einen die methodisch-didaktisch inhaltliche Weiterentwicklung und Vermittlung von Sozialer Gruppenarbeit und zum anderen die institutionelle Zuordnung der Sozialen Gruppenarbeit. Und da schälte sich doch heraus, daß es wichtig war, die soziale Gruppen- arbeit als selbständige Einrichtung in den Bezirken zu installieren. Denn zum einen erfordert soziale Gruppenarbeit bestimmte Kenntnisse und zum anderen ist es unmöglich für jemanden, der Soziale Gruppen- arbeit macht, nebenbei noch Einzelfallhilfe zu betreiben im tradi-

tionellen Sinn.

AKS: Was jetzt passiert, ist ja im Grunde genommen die genaue Umkeh-

rung dieses Prinzips.

Lisel W.: Ja, mit der Zuordnung der Sozialen Gruppenarbeit in die re- gionalen Arbeitsgruppen sind wir praktisch wieder da, wo wir 1955 an gefangen haben, obwohl man das auch etwas differenzierter sehen muß. Ich hoffe, daß mittlerweile die Soziale Gruppenarbeit personell und fachlich in sich so sehr stabil ist, daß sie sich auch weiterhin als besondere Institution in dieser Regionalen Arbeitsgruppe halten kann. So gesehen liegt in dieser Dezentralisierung ja durchaus auch eine

Chance. Aber nochmal zurück zu den Anfängen.

In der Zeit nach 1955, als ich freigestellt war zur Koordination, sah ich meine Aufgabe auch darin, eine Art Praxisanleitung und Praxisbe- ratung zu geben. Ich war nur unter der Bedingung in das Bieberhaus ge- gangen, daß ich dort etwas tun könnte, was ich anderswo nicht tun konnte. (Ausbau der Gruppenarbeit in der Jugendarbeit). Deshalb bekam ich in Wuppertal(auch wieder über die Viktor-Gollancz-Stiftung) in

dem dortigen Nachbarschaftsheim meine erste Ausbildung als Praxisbera- terin. Im Vergleich zu dieser inhaltlich didaktischen Arbeit war der institutionelle Weg sehr viel schwerer. Es hat lange gedauert, bis ich überhaupt "meinen eigenen Schreibtisch" wirklich dort hatte, wo ich ihn haben wollte, daß die Soziale Gruppenarbeit im "Haushalt" einzeln veranschlagt wurde (mit einem Haushaltstitel) und diese institutio- nellen Zwänge und Hindernisse, die jeder selbst kennt.

1955 war aber auch in einer anderen Hinsicht ein ganz entscheidendes Datum, denn Frau Hermine Albers starb in diesem Jahr. Das könnt Ihr Euch gar nicht vorstellen. Das war ein regelrechter Stop, sowohl in- haltlich, als auch organisatotisch, als auch in den Perspektiven ei- ner lebendigen Jugendhilfe. Bis dahin hatten wir kontinuierlich lau- fende Diskussionen über Weiterentwicklung, und es tat sich eine ganze

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Menge auch in der fachlichen Weiterbildung und der Kooperation mit anderen. Das war jetzt mit einem Schlag praktisch zu Ende. Sie hatte Ja schon vorher Schwierigkeiten mit dem Apparat, mit den Regierungs- leuten und den Verwaltungsleuten gehabt, die nach ihrem Tod praktisch die Sache in die Hand nahmen. Von da an wurde im wesentlichen verwal- tet. Was die Neuorganisation Sozialer Dienste anbetrifft, ist mir noch 1n Erinnerung, daß dabei die Integration derFamilienfürsorge in das Amt für Jugend mit großer Vehemenz betrieben wurde, allerdings auch

Ohne Erfolg. Es war damals schon eine Behörde für Soziale Dienste im Gespräch.

AKS: Wie es scheint, ist dann ja die Organisationsstruktur, wie sie bis heute, bis zur Einrichtung der Regionalen Arbeitsgruppen war, Praktisch seit den zwanziger Jahren gleich geblieben, d.h. daß Ju- gend- und Familienfürsorge getrennt waren und ebenfalls diese Tren- nung von Innendienst und Außendienst.

Lisel W.: Alle Modellvorstellungen, die wir zusammen mit Hermine Al- bers geplant hatten,waren 1955 zum großen Teil beendet. Es kam dann Herr Dr. Becker (Bundesbecker), der sich sehr stark auf den Jugend- schutz stürzte und diesen ausbaute. Politisch kam in dieser Zeit auch der sogenannte Bürgerblock, d.h. eine Zeit, in der die SPD 4 Jahre lang nicht an der Regierung war. Aus dieser Zeit kann ich eigentlich nur sagen, daß es da keine Impulse gab und im wesentlichen nur das Bestehende verwaltet wurde.

1955 war also der Zeitpunkt, wo ich auch merkte, daß die dominanten Interessen einer in sich beharrenden Verwaltung sich durchsetzten ge- genüber sozialpädagogischen Interessen, die an Veränderung orientiert waren. Leute wie Hermine Albers, haben diese Tendenz vielleicht

schon früher gemerkt, haben aber dagegen angekämpft. So auch z.B. Frau Sülau, die von der Verwaltung mit unheimlichem Mißtrauen beäugt wurde. Stellt Euch nur mal vor, eine Sozialarbeiterin, "die ihre Kli- enten nach Hause einlädt". Nein, so etwas war damals in der Verwal- tung undenkbar. Das war auch die Zeit, wo wieder Dienstvorschriften verstärkt eingeführt wurden, z.B., was die Aktenführung anbelangt. Insgesamt hatte ich den Eindruck, daß damals die Schwerfälligkeit

und das Desinteresse der Verwaltung an Veränderungen doch überhand nahm. Und wenn Ihr Euch vorstellt, daß es fast zehn Jahre lang ge- dauert hat, bis endlich die Soziale Gruppenarbeit als eigenständige Abteilung anerkannt wurde, so könnt Ihr Euch eine Vorstellung von

der Schwerfälligkeit dieses Apparates machen. Jedes Jahr war ich praktisch dabei, mindestens zweimal "lange Listen" zu schreiben über- die Notwendigkeit von Sozialer Gruppenarbeit. Insgesamt scheint es mir so gewesen zu sein, daß, sobald die Leute der ersten Stunde, die fortschrittlichen, an der Spitze weg waren und nur noch die fort- schrittlichen Leute an der Basis da waren, daß das zu wenig war. Es dominierte dann einfach der doch in sich konservative Mittelbau,

vor allem Verwaltungsleute und Juristen..

Ab Mitte der fünfziger Jahre kam auch noch ein anderer Trend hinzu, der von den Sozialarbeitern selbst ausging. Nach der ersten Welle der unmittelbaren Notbewältigung kam die Tendenz zu einer ganz im psycho- logisch-methodischen Sinne verstandenen Einzelfallhilfe, methodisch- qualifizierter Sozialarbeit. Die war vor allen Dingen in der Familien- fürsorge sehr stark ausgeprägt, und das ist im Grunde genommen auch jetzt noch so. Das waren Leute, die sich eben nur um ihren Einzel-

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fall kümmerten und nicht um Zusammenhänge. À i Ihr müßt Euch vorstellen, daß das ja auch etwas Fortschrittliches Vorherigen. Aber diese methodische Einzelfall-

war, im Verhältnis zum b Een orientierung und das Beharrvermögen in der traditionellen Verwaltung,

die ja ebenfalls auf Einzelfallentscheidungen und Einzelfallaktenfüh- rung ausgerichtet ist, haben mich insofern, was die Organisationefor- men angeht, gegenseitig bestätigt. À Bis 1968/69 geschah praktisch überhaupt nichts Neues mehr. Erst mit der Studentenbewegung kam wieder Leben in den Apparat und auch in die Ideen der Sozialarbeiter. Die gesellschaftspolitischen Zusammenhänge und die Aktivitäten der Bürger selbst wurden stärker gesehen (Aspekt

der Gemeinwesenarbeit),

Ich glaube, man muß als Sozialarbeiter sowieso immer zwei Arbeitgeber haben, der eine, von dem Du "die Brötchen kriegst" und den anderen, mit dem Du im sozialpädagogischen Konzept übereinstimmst und das deckt sich sehr selten. Es ist eben unterschiedlich, wie jeder Sozialarbei- ter mit diesem Konflikt fertig wird und wie er auf der Handlungsebene damit umgeht. Wenn er merkt, daß er nichts allein machen kann, wird

er selbst ein solidarisches Bewußtsein entwickeln und inhaltliche Kon- zepte zusammen mit anderen erarbeiten und durchsetzen. Diesen Aspekt, den habe ich bis 1968/69 und zum großen Teil auch später nur sehr we- nig erlebt, 1970 sind wir dann ja zur Schulbehörde gekommen, was ich zunächst sehr skeptisch betrachtet habe und wo ich auch heute noch ganz zwiespältig bin. Denn auch der einen Seite ist damit natürlich der Bildungsauftrag der Sozialarbeit und Sozialpädagogik betont worden, auf der anderen Seite aber ist es imgrunde genommen nur eine große organisatorische Zusammenführung ohne inhaltliche Konsequenzen ge- wesen, und jetzt mit der Neuorganisation ist diese Zuordnung auch wie-

der rückgängig gemacht worden.

AKS: Aber was änderte sich dann inhaltlich im Laufe der Studentenbe- wegung bzw. der damit zusammenhängenden Sozialarbeiterbewegung? Wie

konkretisierte sich das in Hamburg?

Lisel W.: An sich war es eine ganze Reihe von Punkten. Z.B. die ver+ änderten Ausbildungsinhalte: Mehr Soziologie, Seminararbeit, Schaf- fung von Projekten in sozialen Brennpunkten, z.B. Sonnenland, Aben- teuerspielplätze etc. Aber Auslöser für die "Aktion moderne Sozial- arbeit", wie wir sie nannten, war 1969 der Bericht des Landesrech- nungshofes, in dem festgestellt wurde, daß die hier betriebene Sozial- arbeit selbst im verwaltungsrationellen Sinne unökonomisch sei , daß viele Doppelwege da seien, daß es also nicht einzusehen sei, weshalb Familien- und Jugendfürsorge getrennte Klienten hätten und weshalb

es eine Trennung in Innen- und Außendienst gebe. Der Bericht vom 26. 3. 1969 befaßt sich mit der Organisations- und Wirtschaftsprüfung der behördlichen Sozialarbeit. Dieser Bericht, der sich in erster Linie mit dem Außendienst beschäftigt, ist natürlich nicht, wie es bei der Behörde üblich ist, an die Basis gegangen, die untersucht wurde, son- dern ist irgendwo in den oberen Etagen der Behörde hängengeblieben. Erst durch eine Pressenotiz Anfang 1970 haben wir davon Kenntnis be- kommen, daß es so etwas gibt, und da hat uns der Fachbereich Sozial- pädagogik geholfen.Die haben dann das kopiert und für DM l,- verkauft, Die Fachhochschule hat sehr viel Material aufbereitet und sich sehr bemüht, mit uns Praktikern ins Gespräch zu kommen.

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Dieser Bericht war "Wasser auf unsere Mühlen" und wir haben eine Un- terschriftenaktion gestartet mit der Forderung, daß wir informiert werden, daß wir auch beteiligt werden an weiteren Entscheidungspro- zessen. Und wir haben dann auch einen eigenen Entwurf zur Neuorgani- sation erstellt. 748 Unterschriften konnten wir damals innerhalb einer Woche sammeln. Mit dieser Unterschriftensammlung und einer Do- kumentation unserer Forderungen sind wir in die Bürgerschaft gegan- gen, zu den Parteien und in die Fachbehörden.

Da kamen noch zwei Umstände für uns glücklicherweise dazu. Zum einen organisierte die Gilde Soziale Arbeit in diesem Jahr eine Tagung zur Neuorganisation Sozialer Dienste. Zum anderen war damals ein ÖTV-Se- kretär hier für die Sozialarbeit zuständig, der ein ganz hervorra- gender Mann war und sich unheimlich eingesetzt hat.

In der Folgezeit haben wir dann in der Fachhochschule Montag für Mon- tag getagt und ein Konzept ausgearbeitet mit Unterstützung der ÖTV und der Fachhochschule. Darüber hinaus nahmen auch die GEW, der Berufs- verband und kirchlich gebundene Verbände teil. Nur die Federführung lag bei dem Kollegen der ÖTV. Zu den Veranstaltungen kamen immer so bis zu 40 Kolleginnen und Kollegen - und das regelmäßig einmal pro Woche,

Wir haben sehr lange diskutiert. Nur ein Beispiel für die Schwierig- keiten in der Diskussion: Es war ein sehr zentraler Punkt, ob es ver- tretbar sei, daß Männer und Frauen in einer Abteilung zusammenarbei- ten. Das wurde in einer Gruppe sowohl von den Jugendfürsorgern als von den Familienfürsorgerinnen stark abgelehnt.

Im Frühherbst haben wir dann nochmal eine gemeinsame Wochenendtagung gehabt, den dann existierenden Entwurf verabschiedet und ihn allen Behörden, Parteien und sonstigen Gremien zugeleitet. Zentral war un- sere Forderung: eine Behörde für Soziale Dienste, die losgelöst sein sollte von den bisherigen Strukturen in der Arbeits- und Sozialbehör- de und dem Amt für Jugend. Sie sollte zwar zentrale Fachbehörde sein, aber ihre allgemeinen Arbeitsgruppen sollten natürlich dezentral ar- beiten.

Diese Aktion hat zumindest den Erfolg gehabt, daß alle drei staats- tragenden Parteien die Neuorganisation 1974 in ihr Wahlprogramm auf- nahmen. Aus der "Aktion Moderne Sozialarbeit" hat sich dann die "Ar- beitsgemeinschaft Sozialarbeiter/Sozialpädagogen (AGS)" gebildet. Die AGS besteht immer noch, obwohl sie meines Wissens jetzt so eine Art Schattendasein führt. Zunächst aber nahmen an den Versammlungen der AGS loo, manchmal sogar 300 Mitarbeiter teil, und ich glaube, sie hat- te in ihrer Blütezeit 300 Mitglieder. , Parallel dazu bestand ja noch immer die AGF, die 'Arbeitsgemeinschaft der Fürsorger, eigentlich muß man sagen der männlichen Jugendfürsor- ger im Außendienst, die genau die Gruppe war, die Probleme hatte, mit weiblichen Sozialarbeitern zusammenzuarbeiten und die auch nach der Gründung der AGS ihren eigenen Verein weiter behielten und die auf- grund ihrer längeren Tradition einen ziemlichen Einfluß in der Behör- de hatten und haben.

Die AGS hat lange an ihrer Satzung gearbeitet. Wir haben lange auch regelmäßig getagt, haben dann zu bestimmten Problemen gearbeitet. Später schlief das dann etwas ein. Aber immerhin hat die Arbeits- und Sozialbehörde uns soweit anerkannt, daß sie uns sogar noch zu dem An- hörungsverfahren im letzten Jahr eingeladen haben. Allerdings haben viele Mitglieder der AGS "kalte Füße" bekommen, weil das Amt für Ju- gend diese Arbeitsgemeinschaft nicht anerkannt hat und es von daher

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für viele sinnlos erschien, daran weiter mitzuarbeiten. - Die AGF ist weiter anerkannt, obwohl sie viel kleiner ist. Wir haben da z.B. ei- nen Brief von der Amtsleitung des Amtes für Jugend, in dem steht,

daß die AGS schon formal nicht Verhandlungspartner des Amtes für Ju- gend sein könne, da in ihr auch Sozialarbeiter organisiert seien, die nicht zum Amt für Jugend gehörten. Mit diesem formalistischen Argu- ment hat man uns praktisch den Boden unter den Füßen weggezogen. Trotzdem waren wir immerhin vor zwei Jahren, also 1978, noch 105 Leute, Zurückblickend kann man sagen, daß die AGS aber nur bis 1975 sehr ak-

tiv war, dann wurde es immer weniger.

AKS: Wie waren denn die inhaltlichen Vorstellungen aus derAGS zur Neu- organisation?

Lisel W.: Im Mittelpunkt standen Überlegungen zur Regionalen Arbeits- gruppe, die allerdings weitgehend auch schon inhaltlich gefüllt wa- ren. So sollte z.B. der Leiter aus der Gruppe gewählt werden. Es soll- te eine interne Gruppendifferenzierung stattfinden. In der Zentrale hatten wir so ein mittleres Management und dann ein Topmanagement, so ganz grob dargestellt. Beide sollten nach unseren Vorstellungen Ser- vice- bzw. Weiterbildungsfunktionen haben. Wir haben auch einige Mo- delle sehr ins einzelne gehend uns vorgestellt, z.B. orientiert an einem holländischen Beratungsmodell, ein Beratungszentrum, das rund um die Uhr auf hat, in dem alle Probleme angenommen werden in einem sogenannten "Intake" und dann an Spezialisten, soweit notwendig, ver-

teilt werden.

AKS: Vielleicht mal weg von der Geschichte und zur Zukunft. Wie be- kannt ist, haben wir versucht, durch unsere Aktion einen größeren Kreis von Sozialarbeitern anzusprechen in Hamburg und es ist uns nicht gelungen. Wir haben so den Eindruck, daß bei diesem Thema ein- fach die Scheuklappen herunterfallen, daß keiner mehr sich da richtig engagiert und zum Teil auch eine große Resignation und eine Angst

vor Veränderungen herrscht.

Lisel W.: Ja, das ist ein großes Problem. Ich habe auch gehofft, daß die jetzt anberaumte Neuorganisation so etwas wie die "Sternstunde

der Sozialarbeit" wird oder zumindest, daß die AGS sich wieder akti- viert, aber da ist nichts mehr gekommen. Solche Aktionen wie 1970 sind einfach nicht mehr vorstellbar. Wir hatten ja im letzten Jahr noch zwei Veranstaltungen. Da waren auch einige vom AKS dabei, bei der er- sten waren noch etwas über 30 bei der zweiten waren nur noch 15 Kolle- ginnen und Kollegen da. Ich persönlich bin sehr unruhig, weil ich die Sorge habe, daß wir etwas "verschlafen". Denn es wäre jetzt eine

große Chance da, nämlich alle Dienstanweisungen, die bisher bestan- den, sind ja zunächst mal null und nichtig, und hier wäre die Möglich- keit, Gedanken, konzeptionelle Vorstellungen auch mal von unten nach oben durchzusetzen, gerade, was die Inhalte und die Organisationswei- se einer Regionalen Arbeitsgruppe angeht. Es ist aber auch sehr schwer, sich einen Überblick zu verschaffen. Ich glaube, es läuft sehr unterschiedlich. In einigen Bezirken und Stadtteilen da tut sich schon etwas in den regionalen Arbeitsgruppen, aber ein Problem ist, daß kaum ein Austausch zwischen den Regionalen Arbeitsgruppen auf horizontaler Ebene stattfindet. Z.Zt. scheint es in weiten Bereichen so zu sein, daß die Regionale Arbeitsgruppe nur eine neue Hülse ist, aber inhalt-

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lich sich nichts ändert und viele auch Angst davor haben, daß sie einen "neuen Schreibtisch" und andere Arbeitsbedingungen bekommen. Gemessen an unseren Vorstellungen ist außer diesem Begriff "regiona- le Arbeitsgruppe" kaum etwas durchgekommen. So wird z.B. die Oberfür- sorgerin in den Leitenden Sozialarbeiter umbenannt, aber auf jeden Fall von oben eingesetzt und entsprechend hierarchisch und besoldungs- mäßig gehoben und soll eine besondere Position darstellen.

Insgesamt bin ich aber der Auffassung, schlechter als es jetzt ist, kann es gar nicht mehr werden, nur noch besser.

Slankt hier samand, daß es bei nen Kontiikt amischen ie: eg una kdlegial Neo Pi y

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NEUORGANISATION SOZIALER DIENSTE = NEUE STRATEGIE SOZIALER BEFRIEDUNG?

Bei Gott, Bürger Machiavell ist ein kluger Mann. Wir ernennen ihn zur Exellenz Jugend- und Sozial- minister und beauftragen ihn, dies teuflische Kunst- stück der Neuorganisation Sozialer Dienste durch- zuführen. Er schlau wie er ist studiert keines- wegs als Vorbereitung die Methodik der Einzel- fallhilfe, belegt kein einziges Kolleg von Bäuerle, hat eine diabolische Art, Watzlawicks Kommuni- kationstheorie und Hofstätter zu loben, ohne

sie zu lesen, aber er hat die Psychoanalyse profund kapiert und hält den Sozialoberräten und Leiten- den Sozialarbeitern seines Ministeriums ungefähr folgende Programmrede (gekürztes Stenogramm): “,..Dieses, unser Ziel, zu erreichen, schlage ich Ihnen folgende organisatorische Maßnahmen vor. Sie müs- sen nämlich verstehen, daß die Organisation der Sozialen Dienste das entscheidende Problem ist, das wir konsequent und unerbittlich unserem Einfluß restlos vorbehalten müssen, während wir die Methoden der Sozialarbeit, den Einsatz von Medien, selbst Supervision beruhigt den Sozial- pädagogen, den Ideologen der ‘hilflosen Helfer’ ,

ja selbst dem Sozialistischen Büro überlassen kön- nen. Doch werde ich auch hier taktisch vorgehen. Fordern sie z.B. mehr Weiterbildung, wir lassen lange um sie kämpfen und gewähren sie in Form von Konzessionen immer dann, wenn wir eine Ablenkung der Aufmerksamkeit von Wichtigerem für nötig erachten. ...'

(Textvariante nach Sigfried Bernfeld (1) s

1. DIE VERSTAATLICHUNG DER SOZIALARBEIT IN BÜROKRATIEN

Im Blickpunkt sozialpädagogischer Diskussion stehen meistens Themen über das, was Sozialarbeiter denken bzw. über das, was sie glauben zu tun - so zuletzt z.B.: Helga Marburger, Entwicklung und Konzepte der Sozialpädagogik (1979). Hier wird - in kritischer Absicht, ver- steht sich - der ganze Ideenhimmel einmal mehr vorgeführt und in lockere Beziehung zu gesellschaftlichen Vorgängen gesetzt. Machiavelli hätte seine Freude daran gehabt. Eine Analyse der realen Wirkungen der Sozialarbeit und ihrer Geschichte hingegen wäre zu- gleich die ihrer Institutionen und internen Organisation. Natürlich kann das hier nicht geleistet werden. (2) Um aber die Probleme der Neuorganisation Sozialer Dienste heute zu verstehen, ist ein kurzer Blick in die Geschichte ganz nützlich.

Mit der Entfaltung der kapitalistischen Produktionsweise war eine charakteristische Umdefinition von Armut und Elend verbunden. Wa- ren vordem die Armen ein Quasi-Stand in der Feudalgesellschaft (mit z.T. positiven, ideologischen Bedeutungen: z.B. Bettelorden), so galt (und gilt) "Armut" in der "freien" Lohnarbeitergesellschaft un- ter dem Befehl des Kapitals als individuelles Defizit - immer gemes- sen an der mangelnden Verwertbarkeit der Ware Arbeitskraft.

So lange die Staatsapparate auch ihrem Selbstverständnis nach als Besitz der herrschenden Klasse galten, waren diese bemüht, Risiken, die mit dem Verlust der Verweigerung oder der Minderung der Arbeits- kraft zusammenhingen, entweder privaten bzw. kirchlichen Einrichtungen zu übertragen oder durch Gesetzgebung (Strafgesetze) so weit zu kompensieren, daß eine Systemgefährdung möglichst verhindert wurde (Armenpflege/Wohlfahrtspflege waren entsprechend vor allem privat organisiert.). So gab es z.B. vor dem 1. Weltkrieg allein in Frank- furt/M. über 300 bürgerliche Wohlfahrtsvereine (3), die nicht nur materielle Aufgaben hatten, sondern auch ideologische und soziali- satorische: z.B. Festigung einer "Demutshaltung", Stabilisierung des schlechten Gewissens bei "Selbstverschuldeter Armut" und auch damals schon: Individualisierung und Personalisierung der Probleme und Hilfen.

Als mit der Weimarer Verfassung auch der "Arme" Mitglied des neuen Souverains - des Volkes - geworden war und erste Ansätze eines bür- gerlichen Rechts- und Sozialstaates realisiert wurden, gab es bald eine ganze Reihe von Bürokratien, die Rechtsansprüche auf Leistun- gen verarbeiteten, was die Lage vor allem der Arbeiterschaft ganz unbestreitbar verbesserte: Renten- und Krankenversicherungen, Ar- beitslosenversicherung und -vermittlung reduzierten einen sehr großen Teil bürgerlicher Willkür. Auch gab es ein RJWG und - nach Ländern allerdings unterschiedlich - eine gesetzliche Schutzgarantie vorm Verhungern.

Durch diese Verstaatlichung gesellschaftlicher Vor- und Fürsorge sahen sich die freien und kirchlichen Träger in ihrer Existenz ge- fährdet - und schlossen sich zusammen. Geschützt durch das Subsidi- aritätsprinzip ging die Unzahl kleiner Vereine in "freien" Großver- bänden auf: Diakonisches Werk, Caritas und Arbeiterwohlfahrt u.a.... Im halbstaatlichen Raum entstanden die Großorganisationen der So- zial- und Krankenversicherungen.

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Im staatlichen Bereich schließlich wurden eine ganze Reihe neuer Ämter gebildet bzw. umgestaltet: Gesundheitsamt, Jugendamt, Sozial-

und Wohnungsänmter.

Hatte die überwiegend privat betriebene Armenpflege eine Vielfalt von Organisationsformen hervorgebracht (vor allem Vereine, die über- wiegend mit Ehrenamtlichen arbeiteten), so verband alle neu entstan- denen Großorganisationen ein gemeinsames Prinzip: die bürokratische Organisation mit hauptamtlichen Beamten und Angestellten.

Denn nur die Bürokratie ist die "rationale" Form der Herrschaftsaus-

übung, die zweierlei gewährleistet: effektive Leistung und effektive

Kontrolle zugleich. Effektivität mißt sich dabei an drei Kriterien:

l. an den Inhalten: gesellschaftlich notwendige Arbeit - Leistungen zur Erhaltung der Reproduktionsfähigkeit (z.B. Krankenversiche- rungen), Vergabe von finanziellen Mitteln, Einwirkungen im Be- reich Qualifikation und Sozialisation (Heime, Jugend- und Fami- lienfürsorge);

2. an den Formen, in denen diese Leistungen erbracht werden: system- konforme Selektion (gestuftes Gesundheits- und Therapiesystem, Heime, Knast), Parzellierung der Probleme und Hilfeleistungen (Sozialamt, Jugendamt);

3, an Form und Inhalt zusammen: beides hat in einer Art zu gesche- hen, daß das jeweilige , historisch bestimmende Legitimationsmu- ster gestützt wird: Rechtsstaat, Volksgemeinschaft, Sozialstaat, bzw. daraus ableitbare Normen: heute z.B. Chancengleichheit -

im Faschismus z.B. Rassereinheit.

Ist damit die bürokratische Organisationsform auch das Stabile in

den unterschiedlichen Systemen bürgerlich-kapitalistischer Staats-

formen (z.B. im Bereich der kechtspflege z.T. sogar in personeller

Identität), so ist sie dennoch nicht starr und unbeweglich.

Weil die Effizienzkriterien dieser Bürokratien wesentlich auf ihrer

Außenwirkung beruhen, sind es gerade auch diese, die die Anpassung

interner Organisationsstrukturen bewirken.

2. INTENSIVIERUNG DER ARBEIT UND EFFEKTIVIERUNG DER KONTROLLE

Ein derartiger Prozeß läßt sich in der Sozialarbeit in den letzten

drei Jahrzehnten wie folgt darstellen (4):

Generell vergibt die Sozialarbeit Sozialisationshilfe entweder in

ambulanter Form (Jugend-, Familienfürsorge; Jugendpflege) oder in

stationärer (Heime usw.). Egal, ob diese Sozialisationshilfen eher restitutiven oder eher repressiven Charakter haben, dem Inhalt nach ist Sozialarbeit gesellschaftlich notwendige Arbeit, der Form nach ist sie institutionalisierte Gewalt zum gesellschaftlichen Erhalt der Akkumulationsbedingungen.

Schlaglichtartig beleuchtet sieht sich die Sozialarbeit seit Ende

der Rekonstruktionsperiode des Kapitals folgenden Problemen gegen-

über:

e Die immer deutlicher werdenden Folgen der Ökonomisierung der Fa- milienverhältnisse (Ausbau der Kindergärten, der Beratungsstel- len u.ä. als Übernahme familiärer Sozialisationsleistungen)

e die Folgen des erhöhten Bedarfs an qualifizierter Arbeitskraft

62

(Vorschule, Ganztags- und Gesamtschulen), e die gleichzeitig auftretenden Folgen von Dequalifikation von Ar-

beitskraft (Jugendarbeitslosigkeit, Jugendkriminalität, Obdach- losigkeit usw.).

Diese Tendenzen, verbunden mit dem Ausbau der sozialen Sicherung, haben eine zunehmende "Pädagogisierung" und "Therapieorientierung der Sozialarbeit zur Folge, die sich insgesamt als Funktionsver- schiebung beschreiben läßt, nimmt man die überwiegend an materiellen Reproduktionshilfen orientierte Fürsorge und Wohlfahrtspflege zum Vergleich. Ebenfalls im Vergleich zu früher ist der Status der So- zialarbeiter/-pädagogen angehoben worden: Er ist mittlerweile im gehobenen Dienst angesiedelt. Nicht wenige glauben, daß mit der Ge- haltsstufe A 13 (höherer Dienst) auch das Problem der Professiona- lisierung endgültig gelöst sein wird. Hinter derartigen Vorstellun- gen steht die Vermutung, daß ein höherer Status auch höhere Handlungs- kompetenz beinhaltet bzw. umgekehrt: daß eine " höhere" Hand- lungskompetenz 'nur ab einem gewissen Status möglich ist (verglei-

che mit Ärzten und Anwälten).

[i

Gehen wir aber davon aus, daR dem Aspekt der gesellschaftlich not- wendigen Arbeit die Handlungskompetenz des Sozialarbeitsers ent- spricht und die Kontrolle dem Status des Sozialarbeiters in der Or- ganisation, so läßt sich folgende Entwicklung konstatieren:

Die "Funktionsverschiebung' verlangt neue Qualifikationen der Hand- lungskompetenz, ohne aber prinzipiell die Individualisierung und Personalisierung sowohl der Ursachen für die Hilfebedürftigkeit als auch der Maßnahmen infrage zu stellen. Genau dies leistet die "kli- nische" Handlungskompetenz, deren Kennzeichen es ist, nicht unspezi- fisch zu personalisieren,wie das die alte Handlungskompetenz der bildungsbürgerlichen Hilfeideologen tat, sondern spezifisch.

D.h. durch Bezug auf wissenschaftliches Wissen und erlernbare wis- senschaftlich begründete Methoden soll ein besonderes, von normalen Beziehungen unterschiedenes Verhältnis zum Klienten hergestellt wer- den, zu dessen Behandlung eben dieses Wissen Voraussetzung ist. Um es zu erwerben, sind in der Hierarchie des Ausbildungswesens die Fachhochschulen und Universitäten nötig, damit sowohl das nötige sozialtechnische Können als auch die damit verbundene, allgemein anerkannte Legitimation durch Wissenschaft vermittelt werden. Diese klinische Handlungskompetenz bedeutet also insgesamt eine Effektivie- rung der Arbeit der Sozialarbeiter. Damit ist insbesondere die psy- cho-soziale Behandlung als die vorherrschende und wichtigste Form der Intensivierung der Arbeit zu betrachten.

Damit gerät diese Arbeit aber in Konflikt mit der anderen Funktion bürokratischer Organisation: der Kontrolle. Wissenschaftlich sich verstehendes Wissen und Handeln kann nicht durch ein hierarchisches Befehl-Gehorsamsystem kontrolliert werden und ist nicht mit Verwal- tungsvorschriften kontrollierbar. Im Gegenteil: es ist in seinem idealtypischen Selbstverständnis auf horizontale und gleichberech- tigte Kommunikation und Kooperation angewiesen. Die Lösungstenden- zen dieses Konflikts lassen sich auf zwei Ebenen verfolgen:

© Zum einen auf der innerorganisatorischen Ebene, indem zunächst der Status des Sozialarbeiters von dem eines Verwaltungsbeamten ab- gehoben wird (z.B. Zeichnungsrecht) und indem nach verschiedenen Mo-

63

dellen die Neuorganisation sozialer Dienste betrieben wird, deren ie Kennzeichen es u.a. ist, daß Teamarbeit eingeführt wird. enges Differenzierung des Teams oder zwischen den Teams wird in der Regel eine Spezialisierung angestrebt: Unter Berufung auf ematik des jeweiligen Klientels gibt es dann In-

ie besondere Probl i i $ n e a aa solche, die für Kinder oder Jugendliche, für Drogenabhängige, Alte, psychisch Kranke usw. zuständig sind.

© Zum anderen besteht die Tendenz, die Kontrollfunktionen teilweise auszulagern, d.h. Berufsverbände zu gründen, die über das Berufs- ethos wachen und auch Disziplinargewalt haben (vorbild: Ärzte- und Anwaltskammern). Das Äquivalent zu dieser Auslagerung ist die Ver- innerlichung dieses Ethos durch den einzelnen Sozialarbeiter: statt Kontrolle von oben also Kontrolle von innen - was als intrinsische Motivation generell als besser d.h. als stabiler angesehen wird.

Durch beide Entwicklungen ist zugleich die bürokratiekritische Ten-

denz von Sozialpädagogen quasi systemkonform sublimiert -= anders

ausgedrückt: dadurch wird die Kontrolle effektiviert - was zugleich

eine der wirksamsten Formen der Disziplinierung ist (Vergl. Ab-

schnitt 4.1.). A :

Oberflächlich gesehen entschärft sich durch die neuen Formen der so-

genannte zentrale Rollenkonflikt zwischen Verwaltung und pädagogisch-

therapeutischem Selbstverständnis, tatsächlich bedeuten sie aber

beides: eine Intensivierung der Arbeit und der Kontrolle zugleich.

Damit aber sind folgende Konsequenzen verbunden:

© Neue Formen von Kooperation modifizieren zwar die bürokratische Organisation, machen sie insgesamt in allen ihren Funktionen aber auch effektiver (z.B. höhere Reichweite der sozialarbeiterischen Interventionsformen und damit eine höhere und differenziertere Form sozialer Kontrolle);

© Verwissenschaftlichung, die sich in den Grenzen des vorwissenschaft- lichen Handlungswissens bewegt (hier: Psychologisierung, Pathologi- sierung, individuell klinisches Wissen) und die die Hierarchisie- rung vom Wissen im Ausbildungssystem konsolidiert, bleibt Herr- schaftswissen, das die Handlungsvollzüge zwar besser qualifizieren kann, zugleich aber auch systemimmanent und legitimierend bleibt - zumal wenn die damit verbundene Ideologie einer besonderen Profes- sion das Entstehen eines Lohnarbeiterbewußtseins verhindert und Gewerkschaftspolitik als Standespolitik verstanden wird;

® die damit verbundenen Formen gesellschaftlicher Planung; finden nicht nur ihre Grenzen im partikularen Interesse des Kapitals, sondern dienen diesem in Form von Intervention und Planungen des kapitalistischen Staatsapparates (Doppelcharakter z.B. der Jugend- und Sozialpläne);

© das nicht hinterfragte Festhalten an der Einheit von Status und Handlungskompetenz führt zu immer neuen Hierarchieschichten bzw. Spezialisierungen: So wird in allen Modellen die Leitung neu organisiert: neben bzw. über die leitenden Sozialarbeiter/Koordinatoren treten Amtsleiter und Supervisoren, in und zwischen den Regionalen Arbeitsgruppen (oder wie immer sie genannt werden) und zwischen den anderen Dien- sten werden Formen extrem arbeitsteiliger Organisation erprobt.

Diese Modelle produzieren in sich aber wieder soviel Organisations-

probleme, daß selbst bei gutem Willen aller Beteiligten fast unüber-

windliche Kooperations- und Kommunikationsprobleme entstehen, die

64

auch dann nicht mehr durch i isi älti ea spezielle Supervision bewältigt werden Daß damit zugleich womöglich eine Spielwiese für kritische Sozial- ee. eröffnet wird, darauf verweisen die Erfahrungen Berliner Sozialarbeiter unter der kritischen Fra ü i

: gestellung: Wem t e t= lich) die Modellbewegung? (5) x a

3, VIER MODELLE DER NEUORGANISATION SOZIALER DIENSTE

Aus diesen vier Konsequenzen lassen sich vier Fragen an die Neuor-

ganisation Sozialer Dienste ableiten. Diese sollen im Folgenden die

Leitlinie in der Darstellung und Analyse von vier Modellen der Neu-

organisation sein, wobei jedes Modell im Schwerpunkt einer Frage-

stellung zugeordnet wird:

l. Welche neuen Formen der Kooperation werden erprobt? (Modell Duis- burg/Dortmund)

2. Welches sind die wissenschaftlich begründeten oder zu begründen- den Leitvorstellungen (z.B. Auftrag der Sozialarbeit, Bürgernähe u.ä.)? (Trierer Modell) E

3. Welche neuen Formen der Planung, der Definition von Zielgruppen und der Methoden sollen erarbeitet werden? (Bremer Modell)

4. In welchem Verhältnis stehen Handlungskompetenz und Status? (Neu- köllner Modell, Berlin)

3.1. Duisburg/Dortmund: Neue Formen der Kooperation nn Darstellung der Konzeption

Der Duisburger Modellversuch wurde - nach einer Vorlaufphase seit 1970 - in den Jahren 1975-77 durchgeführt. Über ihn berichten in sehr anschaulicher Weise Karl Pronke und Gerd Wenzel (Universität Bremen) in ihrem Artikel im Jahrbuch der Sozialarbeit 1978 (6). Von dem Dortmunder Modellversuch liegt z.Zt. nur ein Planungspapier vor (7). Er sollte im Dezember 1979 beginnen, steckt z.Zt. also in der Anfangsphase. Beide Modelle gehen von der gleichen Grundüberlegung aus: l. Regionalisierung der Verwaltungssachbearbeiter und der Sozialar- beiter. Das hat vor allem zur Folge, daß ein Sozialarbeiter nicht mit al- len Verwaltungssachbearbeitern des Sozialamtes zu tun hat, son“ dern nur mit einem, der für alle Bereiche des BSHG, des Wohngel- des usw. zuständig ist. 2. Gemeinsame Fallverantwortung. Sozialarbeiter und Verwaltungssachbearbeiter müssen nicht mehr je- weils eigene Akten und Anamnesen führen, sondern führen diese ge- ee und haben in bestimmten Fällen auch gemeinsam zu entschei- en. 3. Jeweils ein Sozialarbeiter und ein Verwaltungssachbearbeiter bil- sa > "Basisgruppe" (Duisburg), bzw. ein "Bezirksteam" (Dort- mund).

65

SCHAUBILD 1

Bildung der Bezirksteams und der Bereichsteams

SCHAUBILD 2

DIN

||

al

II

Nr. 1-17 = Bezirksteams = je ein Sozialarbeiter und eine Verwaltungskraft

wird v. d. 4 Gruppenleitern gemeinsam bearbeitet

3V

#

Arbeitsgruppe 1

S = Sozialarbeiter V = Verwaltungsmann AGL = Arbeitsgruppenleiter

Amtsvormundschaft

IN oma av N Hr

A\ - \ A \ | pecherbeiienee. v |

Arbeitsgruppe 2 Arbeit mit Verbänden 18 Sozialversicherung 1v

Beide Modellversuche beziehen sich jeweils auf einzelne Stadtbezir- ke und sollen bei Erfolg auf andere übertragen werden (wieweit das in Duisburg geschehen ist, konnte ich nicht feststellen). In Duis- burg fand der Modellversuch in dem traditionellen Arbeiterviertel Hamborn statt, in Dortmund in dem Stadtteil Brackel, einem "durch- schnittlichen" Viertel. Vor den Modellversuchen waren die Sozialar- beiter und die Verwaltungssachbearbeiter in unterschiedlichen Äm- tern organisiert. Es gab die bekannten Mehrfachzuständigkeiten und -betreuungen, Ziel beider Modellversuche war es deshalb, Hilfearten zusammenzufassen, Innen- und Außendienst abzubauen, persönliche Hil- fen zu entbürokratisieren und für einen fachgerechten Personaleinsatz zu sorgen (8). Ebenso in Dortmund-Brackel: "größere Bürgernähe, ein besseres Leistungsangebot und einen höheren Wirkungsgrad unserer Leistungen" soll erreicht werden (9). Als das wirkungsvollste Mittel zur Erreichung dieser Ziele wird in beiden Fällen die Dekonzentra- tion - vor allem der Aufgaben und damit der Zeichnungsbefugnis - ge- sehen.

In Dortmund-Brackel ist die Teilnahme an dem Modellversuch freiwil- lig. In besonderen Weiterbildungsveranstaltungen werden die Teilneh- menden auf den Modellversuch vorbereitet. Brackel ist ein Bezirk von ca. 58 000 Einwohnern. Er wird in 17 Bezirke mit durchschnittlich 3 400 Einwohnern eingeteilt. "In den 17 Bezirken werden 18 Sozial- arbeiter und 18 Verwaltungsfachkräfte tätig sein. ... Die Verwaltungs- fachkraft und der Sozialarbeiter bilden das Bezirksteam. Sie arbei- ten auf der Grundlage der Kooperation gleichwertig und ranggleich zu- sammen. Sie sind in ihrem Bezirk - bezogen auf die im Sozialdienst dekonzentriert wahrzunehmenden Aufgaben - allzuständig. Eine fach- spezifische Aufgabenverteilung - wie bisher nach Sachgebieten - zwi- schen Mitarbeitern gleicher Fachrichtung gibt es nicht." (10) Je vier Bezirksteams werden zu einem Bereichsteam zusammengefaßt

(s. Schaubild 1). Jedes Bereichsteam hat einen Leiter, wobei zwei Leiter Sozialarbeiter sind und die anderen beiden Verwaltungsfach- kräfte. Diese 4 teilen sich den Bezirk 9, d.h., sie sind jeweils mit der Hälfte ihrer Arbeitskraft als Sachbearbeiter zuständig, mit der anderen Hälfte für die Leitung der Gruppe. Alle werden gleich be- zahlt, auch die Leiter haben in diesem Sinne keine herausgehobene Position.

Zu den Aufgaben des Bereichsteams heißt es:

"Bei den Bereichsteams handelt es sich um eine ständige Einrichtung. In festen Zeitabständen sollen Gruppengespräche stattfinden. Alle Teammitglieder sind gleichberechtigt. Grundsätzlich muß eine umfas- sende gegenseitige Information der Gruppenmitglieder über alle we- sentlichen Vorgänge, welche die Sozial-, Jugend- und Gesundheitshilfe berühren, gewährleistet sein. Diese Forderung zu verwirklichen, ist u.a, Aufgabe des Gruppenleiters. Jeder Mitarbeiter hat das Recht, einen "Fall" in das Gruppengespräch einzubringen. Unter Fall sind nicht nur Einzelvorgänge, sondern auch Probleme von Gruppen zu ver- stehen. Die Mitarbeiter sollen von dieser Möglichkeit bei Fällen von besonderer Problematik Gebrauch machen, wenn das Wissen und

die Erfahrung anderer Gruppenmitglieder hilfreich sein können oder der eigene Arbeitsbereich in räumlicher oder sachlicher Hinsicht überschritten wird. Folgende Angelegenheiten sind i.d.R. im Team zu behandeln:

e Einzelfälle mit neuartiger Problematik

67

i ä ü inzelne und Familien (...) FA. E r le Team besprochenen Fälle, falls die im Hilfe- plan festgelegten Maßnahmen zu scheitern drohen oder der Hilfeplan wegen einer wesentlichen Änderung der Familiensituatiıon neu zu fassen ist. f Planung von sozialer Gruppenarbeit Behandlung von Widersprüchen Anträge auf Strafverfolgung Vorbereitung der Entscheidung Ü

einer Forderung i pr e Entscheidung darüber, ob eine Hilfe als Darlehen oder als Beihilfe

gewährt wird P Veränderungen in der Ausübung der elterlichen Gewalt

e Anträge auf Volljährigkeitserklärung j f . Das Team hat beratende Funktion. Die Teammitglieder sollen sich be-

mühen, zu einem gemeinsamen Lösungsvorschlag zu kommen." (11) Verbindlich festgelegt werden sollen im Brackeler Modellversuch auch die Vertiefungsgebiete der fachlichen und methodischen Weiterbildung. Damit soll erreicht werden, daß in jedem Team das nötige Fach- und

methodische Wissen vorhanden ist.

ber Niederschlagung oder Erlaß

Zumindest in der Planung ist bei der Kalkulation der Bezirkseintei- lung und bei der Ermittlung des Mitarbeiterbedarfs ein Arbeitszu- schlag von 20 % einbezogen worden. 10 Z gelten dabei für die fachli- che Erschwernis, je 5 % für Teamarbeit und Erprobungserschwernis. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, so wäre dies der einzige mir bekannte Modellversuch, der eine derartige Planung vorsieht. Inter- essant vielleicht noch der Raumbedarf: Je ein Raum für ein Bezirks- team, ein zusätzlicher Besprechungsraum für je ein Bereichsteam und ein Raum für einen Auszubildenden bzw. Praktikanten (!).

Besonders in der Vorbereitung (Weiterbildungsseminare) als auch in der Durchführung scheinen die Dortmunder einiges von dem Duisburg- Hamborner Modell gelernt zu haben, da dieses dort in dem Maße nicht berücksichtigt wurde. Der entscheidende Unterschied liegt im Lei- tungssystem: In Duisburg-Hamborn bleibt praktisch die Zweigliedrig- keit von Sozialamt und Sozialarbeiterabteilung erhalten, da die bei- den Mitglieder der Basisgruppe jeweils unterschiedliche Vorgesetzte

haben (vgl. Schaubild 2 - Seite 66).

Grundlegendes Element in beiden Versuchen ist die 1:1 Zuordnung von Sozialarbeitern und Verwaltungssachbearbeitern (im folgenden S und V). Dazu und zur Gesamteinschätzung zitiere ich die o.g. Autoren: "Die enge Kooperation von S und V bietet die Chance, daß beide be- teiligten Professionen über die jeweils anderen Arbeitsbereiche bes- ser informiert sind. Für den S heißt das konkret, daß er die Mecha- nismen und Praktiken bei der Gewährung materieller Hilfen besser durchschaut und diese Kenntnisse im Interesse der Klienten einsetzen kann. V hat die Möglichkeit, Sozialarbeit kennenzulernen; damit kann bei ihm ein anderes Verhältnis zu den Klienten entstehen. Dabei ist aber zu beachten, daß innerhalb kleinerer Gruppen gerade im Tagesge- schäft leichter Konflikte auftreten. Um diese lösen oder relativie- ren zu können, sind einerseits regelmäßige Gruppenkonferenzen ohne Vorgesetzte und andererseits Fortbildungsveranstaltungen mit unab- hängigen Dritten notwendig. Die Zusammenarbeit stößt aber auch dann noch an die Grenzen der unterschiedlichen Professionalisierung und

die vorgegebenen verschiedenen Rollen.

68

Problematisch für S ist die Integration in die Kleingruppe, da er emotional an V gebunden wird und auf seine Erwartungshaltung Rücksicht nehmen muß. Das führt zur teilweisen Übernahme des Sparsamkeitsden- kens von V - "der Sozialarbeiter kann auch einmal nein sagen" - »

Der Sozialarbeiter kann sich - selbst wenn er es will - nicht mehr

so intensiv als Vertreter der Klienten empfinden, die Integration

in den Verwaltungsapparat wird verstärkt. Durch die genauere Kennt- nis des Verwaltungssachbearbeiters von der Arbeit des Sozialarbei-

ters erhöht sich zudem der Legitimationsdruck auf den Sozialarbeiter." (12)

"Gerade im Bereich der "Bescheidproduktion'" und "Aktenerledigung" kann der Sozialarbeiter nicht mit dem Verwaltungsmann konkurrieren; da aber gerade das der Erfolgsmaßstab einer bürokratischen Verwal- tung ist, die Arbeit des Sozialarbeiters aber mit diesen Maßstäben nicht gemessen werden kann, erscheint Sozialarbeit als "erfolgslos" und unterliegt in einer Zeit der Haushaltsrestriktionen ständig der Gefahr, den staatlichen Sparmaßnahmen und Stellenstreichungen zum Opfer zu fallen.

Diese Erfolglosigkeit erzeugt auf seiten des Sozialarbeiters entspre- chende Anpassungsmechanismen und Integration in die Behörde. So über- nehmen viele Sozialarbeiter das im Interesse des öffentlichen Arbeit- gebers liegende Sparsamkeitsdenken des Verwaltungsmannes. Damit ver- liert er einen weiteren Teil seiner durch die tägliche Verwaltungs- praxis schon immer eingeschränkten Möglichkeiten, als Interessenver- treter des Klienten zu handeln - gerade auch gegenüber dem mate- rielle Hilfen gewährenden (oder nicht gewährenden) Verwaltungsmann.

Durch die im Modell vorgesehene enge Kooperation Sozialarbeiter/Ver- waltungsmann tendiert der Sozialarbeiter dazu, nur noch Einzelfall- hilfe zu leisten, da nur diese den individualisierten Hilfen auf seiten des Verwaltungsmannes entspricht. Entgegen dem Konzeptziel "Erprobung neuer Arbeitsformen" fand eine totale Beschränkung auf die Einzelfallhilfe statt. Diejenige Sozialarbeiter-Gruppe, die die- sen Problemkreis durch - zum Teil allerdings persönliche - Kritik aufgriff, wurde von der "funktionierenden" Verwaltungshierarchie zerrieben. Die bürokratischen Imperative haben sich damit voll durch- gesetzt. Auf seiten der Sozialarbeit herrscht eine entsprechende Er- nüchterung, wenn nicht Resignation." (13)

Bewertung

Die beiden Modelle waren unter der Fragestellung ausgewählt worden, welche neuen Kooperationsformen sich ergeben können. Sicherlich ist mit der Dekonzentration der Aufgaben und der dazugehörigen 1:1 Zuordnung ein verwaltungstechnisch sinnvolles Verfahren gefunden worden, überflüssige Arbeit und zu lange Wege abzubauen. Aber auch nicht mehr. Jeder Ansatz einer bürokratiekritischen oder emanzipa- torischen Vorstellung fehlt praktisch - ein Punkt, den andere Mo- delle zumindest noch verbal vertreten. Durch die Einbindung sowohl der Sozialarbeiter als auch der Verwaltungsbeamten in eine "Zweier- beziehung" und die damit gegebene zusätzliche starke Kontrolle ist das eigentlich Neue dieser Kooperationsform-die Intensivierung der Kontrolle. Da die Verwaltungssachbearbeiter bis zu 90 % mit BSHG- Aufgaben beansprucht werden, die Sozialarbeiter mit 70-90 % mit Aufgaben, die sich aus dem JWG ableiten (Duisburg-Hamborner Erfah-

69

rungen), bleiben nur sehr wenige Bereiche (zwischen 10 und 30 % aller Arbeitsaufgaben) in denen beide tätig werden müssen. Ob dieser jeder eigenen fachlichen Orien-

Überschneidungsbereich die Aufgabe j e e tierung der Sozialarbeiter rechtfertigt, ist selbst nach den Krite- rien methodisch konzipierter Sozialarbeit zweifelhaft. Was für die-

se Kooperationsformen spricht, ist die Zuständigkeit von zwei quali- fizierten Leuten für einen überschaubaren Bezirk von ca. 3 400 Ein- wohnern (!). Vorausgesetzt, ein solches Team könnte sich über in- haltliche Kriterien der Arbeit verständigen, wäre durchaus eine pro- duktive Arbeit möglich, die an den Bedürfnissen der Bevölkerung an- setzt und nicht an denen der Bürokratie. Auf der anderen Seite spricht gerade diese 1:1 Zuordnung allein aus Arbeitszeitgründen gegen jede Arbeit, die über die traditionelle Einzelfallhilfe hinausgeht. Ob da- zu in Brackel die Bereichsteams in der Lage sind, wird sich zeigen. Solange diese selbst keine Entscheidungskompetenz haben, sondern mehr oder weniger Beratungsgremium, d.h. eine Art Dienstbesprechung sind,

scheint mir das nicht wahrscheinlich.

3.2. Trier: Sozialarbeit als Dienstleistung

Darstellung der Konzeption

In der Darstellung des Trierer Modells beziehe ich mich vor allem auf einen Aufsatz, der 1975 im "Nachrichtendienst' erschienen ist und der verfaßt worden ist von Paul Kreutzer (Sozialdezernent) und Elisabeth Kretzer (Leiterin des Sozial- u. Jugendamtes) (14).

Als die Diskussion 1962 begann, waren (meines Wissens nach) noch beide Sozialarbeiter in Trier. Schon damals waren dort Innen- und Außendienst zusammengefaßt (was bis 1980 in Hamburg noch umstrit- ten ist). Ein wesentlicher Aspekt des Trierer Modells ist deshalb die personelle Kontinuität und die Langfristigkeit, in der dieses Modell durchgeführt wird. Zunächst diskutierte man sehr lange und ausführlich und arbeitete stark mit Weiterbildungsmaßnahmen "man sprach miteinander - mehr und mehr auch von "unten! nach 'oben', auch auf der gleichen Stufe, auch zwischen Sozialarbeitern und Ver- waltungskräften, auch über die Schwierigkeiten der eigenen Arbeit, vor allem über die Differenzen zwischen dem, was man tun müßte - und dem, was man tun kann. Dieses offene Sprechen führte dazu, daß ver- steckte Konflikte zu Tage gefördert wurden und bearbeitet werden konnten und das die von einer Regelung Betroffenen an einer Gestal-

tung mitwirkten:..." (15)

Neu organisiert wurde zunächst das Jugend- und Sozialamt, d.h. bei- de Ämter wurden zusammengefaßt. Das führte zu folgenden Ergebnissen:

1. "Sozialarbeiter erfüllen fachspezifische Aufgaben. Hierzu gehört die Sozialplanung, und hierzu gehört weitgehend die Anwendung der Sozialgesetze - auch soweit es sich um die Verfügung von Geld- und Sachleistungen, um die Einleitung von Gerichtsverfahren, um die Heran- ziehung zur Unterhaltspflicht, etc. handelt, sofern immer nur diese Entscheidungen den Hilfe- und Verselbständigungsprozeß beeinflussen. Die Sozialarbeiter eignen sich in ihrer Aus- und Fortbildung theore- tisch und praktisch sowohl fachwissenschaftliche wie (sozial)-recht- liche und verwaltungsmäßige Kenntnisse an. Der verstärkte Einbau

70

von Sozialarbeitern in die kommunale Sozialapparatur ist die - personelle - Basis dafür, daß das vom Recht der Sozial- und Jugend- hilfe eingeräumte Ermessen entsprechend den gesetzlich definierten Zielen angewendet wird; Sache des Sozialarbeiters ist es, die An- wendung des Rechts und die Gewährung von Leistungen in den Hilfepro-

zeß zu integrieren und seinen - auf Autonomie und Eingliederung gehen- den - Zielen dienstbar zu machen."

2. "Die Sozial- und Jugendhilfe im Einzelfall und zur Gruppenförde- rung sind im Sozial- und Jugendamt, die sozialplanerischen Aktivi- täten sind in einem Amt Soziale Gemeinschaftsaufgaben zusammenge- faßt."

3. "Wo in leitenden Positionen sozialpädagogische und administrative Funktionen zusammentreffen, probieren Sozialarbeiter und Verwaltungs- kräfte Formen kooperativer Führung."

4. "Je ein Sozialarbeiter leistet verantwortlich die "offene" Sozial- und Jugendhilfe in Innen- und Außendienst in 17 räumlich geglie- derten Bezirken (Abteilung sozialer Dienste); diese Zusammenlegung der Sozial- und Jugendhilfe ermöglicht ein umfassenderes Arbeiten bei verminderter Zahl der Anamnesen. Im gleichen Zuge wurde der Innen- und Außendienst - für beide Bereiche - in der Hand des Sozialarbei- ters zusammengefaßt. Dies vermeidet Reibungsverluste und unnötige Stationen der Bearbeitungskette, Der Sozialarbeiter hat bei seiner Einzelhilfe ganz wesentlich die Funktionen einer "Schaltstelle", die eine Vielzahl von Personen und Institutionen aktiviert, seine hel- fende Beziehung zum Klienten zu unterstützen oder ’abzuläösen."

5. "In der Abteilung Sozialer Dienst führen Verwaltungskräfte (zur Zeit BAT V c und VII) dem Sozialarbeiter zugeordnet die verwaltungs- spezifischen Funktionen der Sozialhilfe aus, entsprechend der Be- treuung mit weiteren Entscheidungsbefugnissen sollen auch höherqua- lifizierte Stellen eingerichtet werden. Für die Jugendhilfe wird le- diglich das Rechnungswesen in der allgemeinen Verwaltungsabteilung erledigt."

6. "Spezielle Ergänzungsdienste vertiefen in Schwerpunkten die fami- lienzentrierte Arbeit der Bezirke, ohne sie auszuhöhlen; der perso- nale Bezug zwischen Sozialarbeiter und Klient wurde durch eine - unübersichtliche - Vielzahl von Zuständigkeiten aufgelöst. Über die seit einigen Jahren bestehenden Ergänzungsdienste - Erziehungsbei- standschaft, soziale Gruppenarbeit und Gebrechlichenhilfe - hinaus sind neue Stellen für die Probleme der Heim- und Pflegekinder und für die Arbeit mit psychisch Kranken eingerichtet."

7. "Vor allem in den sozialpädagogischen Funktionen wurden weitge- hend anordnende durch beratende und koordinierende Elemente ersetzt. Befugnisse (Unterschriften) wurden möglichst nach "unten" delegiert. Vor der Besetzung leitender Positionen wurden die Mitarbeiter der betroffenen Abteilungen und Ämter gehört, die ihrerseits Ziel-, Funktions- und Personalvorschläge erarbeiteten."

8. "Die bezirksleitenden Sozialarbeiter suchen ihre mit großer Ent- scheidungsbefugnis ausgestattete Tätigkeit weiterhin dadurch zu

71

qualifizieren, daß sie besonders schwierige Probleme in ein Team einbringen, das insoweit Mitverantwortung übernimmt. Intensive Fort- bildungen (einschließlich Training) stützen sie zusätzlich ab“

9, Die Arbeit des Jugendwohlfahrtsausschusses sowie des Sozial- und Gesundheitsausschusses wurde aktiviert . Mitarbeiter der sozialen Dienststellen beteiligen sich - mit Fachwissenschaftlern und Studen- ten, Eltern und Jugendlichen - an der Arbeit von Projektgruppen sowie an Arbeitskreisen der kommunalen Ausschüsse, die sich z.B. mit Proble- men der Erziehungshilfe, der Randgruppen und der außerschulischen Jugendbildung befassen. In segregierten Randgruppensiedlungen ar-

beiten Sprecher der Bevölkerung mit."

10. "Die Kontakte mit den freigemeinnützigen Verbänden und Einrich- tungen - insbesondere der Jugendhilfe - wurden intensiviert; ihre Mitarbeiter beteiligen sich zunehmend an allen ihre Arbeit berühren- den behördlichen und kommunalpolitischen Aktivitäten. Die Zusammen- arbeit u.a. mit der Wohnungsabteilung und dem Gesundheitsamt, mit den Schulen und Altenheimen wurde persönlich und sachlich enger."

1l. "Das Amt Soziale Gemeinschaftsaufgaben ist mit der Arbeit an einer integrierten Sozialplanung (einschließlich Sportstättenleit- plan) für die Gesamtstadt und die einzelnen Stadtteile befaßt." (16)

Diese Ergebnisse sind im wesentlichen Resultat eines jahrelangen Lernprozesses, in den sich Sozialarbeiter und Verwaltungsbeamte

und -angestellte begeben haben. Durch interne und externe Weiterbil- dung, durch Beteiligung möglichst aller an der Zielfindung und der Konzeptionserstellung war es möglich, auch Gruppen, die unter- schiedliche Zielauffassungen und damit wohl auch unterschiedliche politische Auffassungen vertreten, einzubinden und daß keine Ent- scheidung über das Knie gebrochen wurde. Zum Zeitfaktor führen die Autoren aus: "Von der Konzeption bis zur Verwirklichung des ersten großen Abschnitts der Umorganisation vergingen also gut fünf Jahre. Ohne diese relativ lange Dauer hätte das "Gegenstromverfahren" zwischen "unten" und "oben", zwischen Sozialarbeit und Verwaltung, zwischen Fachbehörde und Ratsausschüssen, zwischen unseren Trierer Bestrebungen und den Reaktionen anderenorts nicht so auspendeln können, daß es zu einer allseits akzeptierten oder auch doch tolerier- ten Lösung führte. An seinem Ende war der Wunsch der Mitarbeiter be- greiflich, nun eine Zeitlang ohne weitere Anstöße in der neuen Gleichgewichtslage arbeiten zu können." (17)

Gemessen an seinem eigenen Anspruch, steht das Trierer Modell noch immer am Anfang. So wird z.B. angeführt, daß in Trier mit seinen

100 000 Einwohnern 1 300 Schulpädagogen 45 Sozialarbeiter gegenüber stehen-"gewiß, die Schulpädagogik hat einige Jahrtausende Vorsprung vor der Sozialpädagogik, aber wo wäre die Entwicklung unseres Bil- dungswesens in der Nachkriegszeit geblieben, wäre sie Sache der Kom- munen gewesen!" Gefordert wird eine Art Fachlichkeit, die die Gleich- wertigkeit der Sozialpädagogik mit der Schulpädagogik zumindestens im Ansatz realisiert. Es werden aber auch dagegenstehende Schwierig- keiten ausführlich behandelt - sowohl lokale als auch bundespoliti- sche. Aber auch die Realität selbst hat diese Vorstellung von Sozial- arbeit zumindest auf der bisherigen Konzeptionsbasis eingeholt:

72

"Die Umorganisation 1968 wurde mit einer Erwartung und einer Befürch- tung vorgenommen. Wir erwarteten, der seinerzeitige Rückgang der Fallzahlen in der Sozialhilfe - die Empfänger von Hilfe zum Lebens- unterhalt waren von 1 525 im Jahre 1963 auf 1 031 im Jahre 1967 zurückgegangen - werde anhalten. Die Vordringlichkeit der Bearbei- tung der Sozialhilfe werde also nicht länger dazu führen, daß die - jeweils von demselben Sozialarbeiter zu leistende - Jugendhilfe zu kurz komme.

Nach der Umorganisation bewahrheitete sich dann aber gerade umge- kehrt die Befürchtung, daß die - wider Erwarten rapide steigenden - Fallzahlen der Sozialhilfe nicht mehr genügend Raum für ein intensi- ves Eingehen auf erzieherische Notstände ließen; die Zahl der Em- pfänger etwa von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt nahm von 1968 (944) bis zum 30.6.1974 (2 305) um 166 Z zu und die Zahlen langfri- stiger Bearbeitungen stiegen im Schnitt der Bezirke in der offenen Sozialhilfe von 1968 bis Mitte 1974 von 90 auf 211. Die Flut zu- sätzlicher Bedienungen von Rechtsansprüchen nach dem Sozialhilfege- setz schnürte gute Ansätze methodischer Arbeit wieder ein, insbeson- dere die intensivierten Einzelhilfen sowie die Aufnahme von Supervi- sion, Projekt- und Gemeinwesenarbeit." (18)

Bewertung

Das Trierer Modell war unter dem Aspekt der wirtschaftlich begrün- deten bzw. zu begründenden Leitvorstellungen ausgewählt worden. Es ist das einzige mir bekannte Projekt, in dem Leitvorstellungen, die von Sozialarbeitern ausgearbeitet wurden, über einen so langen Zeit- raum durchgehalten wurden und in dem ein explizit formuliertes Selbst- verständnis von Sozialarbeit zugrundegelegt wurde, den sich die in- haltliche und organisatorische Ausrichtung unterordnete. Sozialar- beit wird als eine Einheit von Dienstleistung angesehen, in deren Zentrum das persönliche Gespräch steht: die eigentliche Substanz

der Sozialarbeit ist "das problemerhellende Gespräch, ... die Ak- tivierung eigener Initiative des Hilfeempfängers und das Eröffnen von Verhaltensalternativen", (19)

Was bei diesem Ansatz allerdings völlig unter den Tisch fällt, ist, daß die bürokratische Organisation eben nicht nur für effiziente Leistung sorgt, sondern zugleich auch für effektive Kontrolle. Der Aspekt der Herrschaft und der Machtausübung kommt nicht vor, weder bei der Diskussion organisationsinterner Probleme - hier werden durch Weiterbildung und interne Überschreitung der Rollenkompetenz die auch von den Modellautoren gesehenen Schranken der Organisation auf- geweicht -, noch bei der Erwähnung der Betroffenen: sie sind schlicht Hilfebedürftige und der Sozialarbeiter weiß schon, welcher Hilfe sie bedürfen.

Diese Schwäche des Modells ist zugleich auf der pragmatischen Ebene seine Stärke. Zwischen den Zeilen läßt sich gut herauslesen, wie ge- schickt die Autoren mit der lokalen Macht- und Autoritätsstruktur umgehen können, um ihre Interessen durchzusetzen. Gerade von der langfristig angelegten Arbeit sollten auch wir Linke lernen, die häufig in sehr kurzfristigen Zeitzyklen denken.

Im Unterschied zum Dortmunder und Duisburger Modell ist hier die

Stellung des Sozialarbeiters eindeutig dominant, die der Sachbear- beiter z.B. für BSHG-Fälle ihm eindeutig untergeordnet. Genau wie in

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dem vorigen Modell aber sind es die als Sachzwänge verkleideten bürokratischen Organisationsmechanismen, die den Hauptteil der So- zialarbeit auf Sachbearbeitung in der Einzelfallhilfe reduzieren und - bei allem anderen Anspruch - keine darüberhinausgehende Arbeit möglich werden lassen. Die Trierer haben dieses Dilemma auch ganz or- ganisationslogisch gelöst: sie haben ein eigenes Amt für Soziale Ge- meinschaftsaufgaben aufgebaut, das für die Sozialplanung und über- greifende Aufgaben zuständig ist.

In beiden Modellen kam also der Anstoß zur Änderung der Organisation aus den Irrationalismen gegebener Organisationsformen. Während das Dortmund/Duisburger Modell diesen Konflikt auch nur ausschließlich auf der Organisationsebene angeht, ist im Trierer Modell immerhin noch ein Anspruch von umfassender Sozialarbeit zu sprüren.

3.3. Bremen: Das Zielgruppenkonzept

Darstellung des Konzepts

Da im Teil 2 Bremer Kolleginnen über die jetzige Situation der Ju- gend- und Familienfürsorge und deren Erfahrungen mit der Neuorgani- sation selbst berichten, will ich mich hier auf die wesentlichen Grundzüge des Konzepts beschränken.

1974 wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die aus Mitgliedern der Senatskommission für das Personalwesen und aus zwei wissenschaftli- chen Mitarbeitern des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (Frankfurt/M.) bestand. Diese Gruppe erstellte zunächst eine Ist- Analyse der Bremer Sozialen Dienste und unterbreitete dann einen Sollvorschlag für die Neuorganisation. Das besondere an dem Untersu- chungsauftrag bestand darin, daß die Aufgaben der Sozialarbeit grund- sätzlich neu bestimmt werden sollten. So heißt es in der Zielbestim- mung, die in einem über 100 Seiten starken "Roten Buch" enthalten ist: (20) "Die behördlichen Sozialen Dienste müssen, wenn sie tat- sächlich vom Bedarf der Bevölkerung ausgehen und eine verbesserte Wirksamkeit der Sozialarbeit im Interesse der Bevölkerung erzielen wollen, einzelfallbezogene Dienste und einzelfallübergreifende För- derungsangebote umfassen, reaktive und aktiv-initiative Leistungen erbringen. Eine solche Integration der Aufgaben entsprechend dem Be- darf überwinden die Trennung von 'Fürsorge' hier - in der Regel für die '"Benachteiligten' - und 'Förderung' dort - in der Regel mehr

für die 'Bevorzugten'." (20). Da von dem Bedarf der Gesamtbevölke- rung ausgegangen wird und nicht von den schon vordefinierten Aufga- ben traditioneller Sozialarbeit, die sich eher an defizitären Grup- pen orientiert, wird ein Zielgruppenkonzept ausgearbeitet, das alle Bevölkerungsgruppen umfassen soll.

Diese Gruppen sind:

e Kinder und deren Familien

Jugendliche und deren Familien

Erwachsene ohne minderjährige Kinder

ältere Menschen

seelisch Behinderte

Empfänger wirtschaftlicher Sozial- und Jugendhilfe

e Amtsmündel und Amtspfleglinge.

Wo immer möglich, sollen die Leistungen für diese Gruppen möglichst dekonzentriert erbracht werden können, es soll also stadtteilbezogen

74

Räumliche Einheiten

SCHAUBILD 3

Zielgruppen

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Kinder

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SCHAUBILD 4

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gearbeitet werden. Ist das aufgrund der Größe oder der Besonderheit der Einrichtung nicht möglich, sollen entsprechende Organisations- einheiten auf Bezirksebene bzw. auf der Ebene des Gesamtstadtstaa- tes errichtet werden (siehe Schaubild 3). Mit diesen Zielgruppen sind in der Tat alle Bevölkerungsgruppen lückenlos erfaßt. Ihnen zu- geordnet werden jetzt jeweils besondere Bezirkssozialdienstgruppen von Sozialarbeitern bzw. Verwaltungsbeamten. Diese sind nach Ziel- gruppen auf Bezirksebene untergliedert, wobei die größeren bezirk- lichen Sozialdienste wiederum in den verschiedenen Stadtteilen Ar- beitsgruppen bilden (vergeliche die Organisationsmatrix Schaubild 4). (Anmerkung: In der Hansestadt Bremen gibt. es z.Zt. 5 Bezirke mit ca. 75 000 bis 100 000 Einwohnern). Durch das Zielgruppenprinzip

und durch die Stadtteileinteilung haben wir praktisch eine doppelte Struktur, die einen hohen Aufwand an Kooperation und Kommunikation erfordert. So gibt es eine ganze Reihe von institutionalisierten Be- ratungsformen, die z.T. verpflichtenden Charakter haben. Grundsätz- lich wird dabei vom Arbeitsgruppenprinzip ausgegangen, wobei diese Arbeitsgruppen nicht nur beratenden Charakter haben - wie in den bisher vorgestellten Modellen -, sondern auch Entscheidungs befug- nisse. So bilden z.B. alle Sozialarbeiter und sonstigen Bediensteten der Stadtteilgruppe mit der Zielgruppe Kinder und deren Familien eine Gruppenkonferenz im Stadtteil, die bei festgelegten einzelfallbezo- genen und bei allen einzelfallübergreifenden Aufgaben entscheidungs-

befugt ist.

Auf der nächsthöheren Ebene gibt es eine zielgruppenbezogene Grup- penkonferenz im Stadtbezirk, in der jetzt alle Stadtteilgruppen zu- sammenarbeiten."Diese hat die Funktion der Integration der stadtteil- bezogenen Arbeitsgruppen durch Informationsaustausch, Abstimmung von Aktivitäten, Planungsüberlegungen, Mittelberatung u.ä.". "Damit aber nicht nur die zielgruppenorientierten Arbeitsgruppen zusammenarbei- ten, sondern auch alle Sozialarbeiter, die in einem Stadtteil sind, kooperieren können, wird zusätzlich eine Konferenz der zielgruppen- übergreifenden Stadtteilgruppe eingerichtet". "Diese Konferenz ist jeweils institutionalisiert. Sie hat die Funktion der Information, Koordination und Kooperation insbesondere auch hinsichtlich der ziel- gruppenorientierten Stadtteilaktivitäten." (21)

Darüberhinaus soll es möglich sein, stadtteilübergreifende Projekt- gruppen zu bilden. Erwähnt sei noch die "Leitungskonferenz im Stadt- bezirk". Diese ebenfalls obligatorische Einrichtung konstitutiert sich aus den Leitern der zielgruppenbezogenen Sozialdienste, einem Mitarbeiter der jeweiligen Sozialdienste, einem Vertreter der Erzie- hungsberatungsstelle, der Leitung des Bezirkssozialzentrums und der Supervisoren. Ein Überblick über die Kommunikations-, Kontroll- und Entscheidungsstruktur gibt die nachfolgende Matrix,. (Schaubild 5) Wichtig ist noch, daß für die "Basisgruppen im Stadtteil" - der Gruppenkonferenz im Stadtteil - keine Leitungsposition vorgesehen ist. "Aufgaben von Koordination und Organisation werden von einem Koordinator wahrgenommen, der durch Wahl oder im Rotationsverfahren

bestimmt wird." (22)

76

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DOKUMENT

Auszug aus dem Bericht über die interne Fortbildung zum Thema “Welche neue Kooperationsformen erfordern eine Neustrukturie-

rung der sozialen Dienste?

Die Fortbildung ist entsprechend dem vorgelegten Programm durchgeführt

worden. Wir haben festgestellt, daß es wichtig war, drei Tage lang mit Kollegen aus reichen inklusive Schreib- und Verwaltungskräf-

verschiedenen Aufgabenbe ausch hinsichtlich

ten eines Stadtbezirks, einen intensiven, fachlichen Aust der Neuorganisation führen zu können.

Bedauert haben wir, daß nicht alle der eingeladenen Kollegen teilnehmen konnten.

Anfangs stellte der Referent verschiedene, bereits erprobte Modelle der so- zialen Dienste (Trier, Dortmund-Brackel, Duisburg-Hamborn und Berlin) vor, deren Vor- und Nachteile anschließend diskutiert wurden.

Darauf aufbauend fanden Diskussionen in Kleingruppen über jetzige Arbeits- formen und daraus entstehende Konflikte in der Zusammenarbeit statt. Anhand des vom Referenten vorbereiteten Planspieles konnten wir am zwei- ten Tage die Formen der Zusammenarbeit auf der Basis der ‘“Neuorganisa- tion der sozialen Dienste” in Bremen erproben.

Aufgrund unserer gemeinsamen Diskussionen und der Auswertung des Plan- spiels kamen wir zu folgenden Ergebnissen:

© Das in der “Neuorganisation der sozialen Dienste” beschriebene Zielgrup- penprinzip stellt keine Verbesserungen und wesentliche Veränderungen der jetzigen Arbeitsformen dar. Dadurch, daß der Sachbearbeiter in einem regionalen Stadtbezirk weiterhin vorrangig einer Zielgruppe und der damit verbundenen eigenen Hierarchie zugeordnet ist, bleibt das Stadtteilprinzip (Ortsteilprinzip) weiterhin nachrangig. Bürgernähe und Überschaubarkeit werden nicht erreicht, weil die bisherige Zuständigkeit verschiedener Ämter und Abteilungen durch die Zielgruppen ersetzt wird. Bei der Vielseitigkeit der Probleme unserer Klienten wird diesen auch weiterhin ein häufiger Zu- ständigkeitswechsel zugemutet.

© Die bisherige Konkurrenz der verschiedenen Abteilungen und Ämter und die damit verbundenen unterschiedlichen Normen und Bewertungen werden durch das ähnlich angelegte Zielgruppenprinzip nicht abgebaut.

@ Nach dem Stadtteil-Ortsteilprinzip wäre es dagegen möglich, eine regiona- le Arbeitsgruppe zu bilden, die grundsätzlich für alle sozialen Belange in ih- rem Gebiet zuständig ist. Von der Arbeitsgruppe werden durch fortlaufende Bedarfsfestlegungen Schwerpunkte gesetzt (Vertiefungsgebiete durch einzel- ne Sachbearbeiter). Pflichtaufgaben und Schwerpunkte werden von der Ar- beitsgruppe entschieden und nach Notwendigkeit und Neigung auf einzelne Sachbearbeiter übertragen.

Zu einer solchen Arbeitsgruppe, die auch im jeweiligen Stadtteil in gemein- samen Räumlichkeiten angesiedelt werden muß, gehören selbstverständlich auch Kostensachbearbeiter, Verwaltungs- und Schreibkräfte. Die gleiche Bezahlung aller sozialpädagogischen Mitarbeiter in einer Arbeitsgruppe ist erforderlich.

Nach dem Stadtteilprinzip würden hierarchische Strukturen in die nächsthö- here regionale Einheit einmünden und somit auch in vertikaler Linie eine stärkere Stadtteilorientierung ergeben.

Die gemeinsame Aufgabe der Arbeitsgruppe für einen Stadtteil spaltet den Klienten nicht nach Symptomen auf, führt zu einer ganzheitlichen Problem- wahrnehmung und ermöglicht daher 'wesentlich stärker als bisher prophy- laktische Hilfen.

So ist auch möglich, daß von der Gruppe einzelfallübergreifende Aktivitäten

im Rahmen der Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit wahrgenommen werden können.

@ Ein “Probelauf”, der sich an den hier angeführten Aussagen orientiert, ist anzustreben. Voraussetzung dafür wäre u.a. die Bereitstellung der notwen- digen Mittel für entsprechende Fortbildungen.

%*

Bewertung

Die Darstellung dieses technokratischen Konzepts von Neustrukturie- rung ist noch längst nicht vollständig, wird aber durch die konpri- mierte Darstellung schon verwirrend genug.

Gerade unter dem Aspekt der neuen Formen der Planungen und der Ziel- gruppendefinition macht es dieses Modell sehr deutlich , daß bei einer Intensivierung und Effektivisierung der Arbeit, die sich an fortschrittlichen sozialpädagogischen Kriterien orientiert (vor allem einzelfallübergreifende Arbeit), die Kontrollstruktur ebenfalls effek- tiviert werden muß, was hier durch ein extrem arbeitsteiliges und kompliziertes Konferenzmuster geschehen soll. Daß sich bei einer derart komplizierten technokratischen Vorstellung in der Praxis dann doch wieder die einzelfallorientierte Realität durchsetzt, das stel- len die Bremer Kolleginnen in ihrem Erfahrungsbericht selbst dar. Deshalb soll auf diesen Teil der Kritik hier verzichtet werden. Wichtiger scheint mir der Aspekt zu sein, daß hier versucht wurde, eine inhaltliche Neubestimmung von Sozialarbeit zu geben: Sozialar- beit orientiert sich nicht mehr an den defizitären Gruppen, sondern am Bedarf, der von der Gesamtbevölkerung artikuliert wird. Dieses Modell geht damit weit über das Trierer Modell hinaus, das wesent- lich von den gesetzlichen Vorgaben des JWG und des BSHG ausging. Wie allerdings dieser, nicht gesetzlich definierte Bedarf ermittelt und festgelegt wird, darüber gibt der Bericht nur ganz global Auskunft: an einigen Stellen werden Beispiele genannt wie jugendliche Arbeits- lose als Problemgruppen oder Massierung von Ausländern als Stadtteil- problem oder die Festlegung von Kinderspielplätzen und Häusern der Jugend u.ä.. Ebenso wie in allen vorangegangenen Modellen, wird der Herrschafts- und Machtaspekt von Sozialarbeit nicht einmal themati- siert geschweige denn mit in die Überlegung einbezogen. Es wird un- gefragt von der Nützlichkeit bzw. dem "Gebrauchswert" der Sozialar- beit ausgegangen. Daß mit der Realisierung eines derartigen Konzepts eine starke Intensivierung sozialer Kontrolle verbunden wäre, unter- schlägt das Modell ebenso wie die Möglichkeit von Konflikten zwi- schen den sozialen Diensten bzw. zwischen den einzelnen Bevölkerungs- gruppen.

Unter dem neuen Jugendsenator, dem linken Sozialdemokraten Scherf, soll in einem Stadtbezirk dieses Modell mit Abstrichen erprobt wer- den. Man darf auf das Ergebnis gespannt sein.

3.4. Berlin-Neukölln: Ein Versuch, Handlungskompetenz und Status zu entkoppeln

Darstellung des Konzepts

Das letzte Modell, von dem hier die Rede sein soll, hat nur drei Mo- nate existiert. Es war zu konfliktträchtig, als daß es eine Chance

zu überleben gehabt hätte. In der Darstellung beziehe ich mich im wesentlichen auf die unveröffentlichte Diplomarbeit von Georg Zinner/ Berlin, (vgl. ebenso Info Sozialarbeit Nr. 5) (23). Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre bildeten sich in Berlin eine ganze Reihe von Modellen in der bezirklichen Sozialarbeit, die alle den Anspruch hat- ten, ihre eigene Arbeit zu verbessern. Hier soll von dem Neuköllner Modell die Rede sein:

80

"In einer Situation,

die in der Neuköllner Familienfürsorge von er- heblichem Personalman

gel gekennzeichnet war und in der diese Fami- lienfürsorge innerhalb Berlins allgemein als rückständig angesehen wurde (die Modellbewegung hatte dort noch zu keinen Ergebnissen ge- führt) versuchte eine Gruppe von Sozialarbeitern der Amtsleitung Zugeständnisse abzuringen, gegen das Versprechen, längere Zeit in Neukölln zu arbeiten. Die von der Gruppe geforderten Zugeständnisse wurden nahezu vollständig erfüllt. Im einzelnen hatten sie folgenden Inhalt:

© Die Gruppe konnte traditionelle Einzelzuständigkeiten zugunsten einer Gesamtzuständigkeit aufheben;

die hierarchische Funktion des Gruppenleiters wurde für diese Grup-

pe abgeschafft, zu den Gruppenleiterkonferenzen konnte ein von der

Gruppe selbstgewählter Vertreter geschickt werden;

die Unterschriftsbefugnis wurde der Gruppe generell in allen Ange-

legenheiten zugestanden (mit einigen Ausnahmen);

@ die Gruppe bekam eine eigene Verwaltungskraft;

® die Gruppe hatte das Recht, Schwerpunktarbeit je nach selbster- kannten Erfordernissen zu leisten.

Diese Befugnisse wurden von der Gruppe genutzt, um ein Konzept

stadtteilbezogener Sozialarbeit zu entwickeln, deren Ausgangspunkt

die spezifische Situation der im Großbezirk wohnenden Bevölkerung

darstellen sollte. Die Gruppe formulierte: y

"Unsere Auffassung ist, daß die primäre Funktion unserer Arbeit sein

muß, die Lebensverhältnisse der arbeitenden Bevölkerung, soweit es in unseren Möglichkeiten liegt, zu verbessern."

Vier Arbeitsschwerpunkte sollten diesen Anspruch einlösen:

© das Angehen gegen die Schulprobleme der Kinder und Jugendlichen der Unterschicht mit dem Ziel, ihnen erkennbar zu machen, daß es sich bei ihren Problemen nicht um solche individueller Art handelt einerseits und andererseits mit dem Ziel, herkömmliche Sanktions- mechanismen (etwa Schulversäumnisanzeigen) der Apparate zurückzu- drängen zugunsten sinnvoller pädagogischer Reaktion; y

© das Aufgreifen von Arbeitsproblemen von Lehrlingen und Jungarbei- tern, wobei Sozialarbeiter mit den Jugendlichen häufig erst dann in Berührung kommen, wenn diese aus dem Produktionsprozess heraus- gefallen sind. Es sollte darum gehen, diesen Jugendlichen die Auf- nahme bzw. Fortsetzung einer qualifizierten Berufsausbildung zu ermöglichen, sie über arbeitsrechtliche Fragen aufzuklären und ihnen bei arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen Hilfestellungen zu geben und schließlich, schon um Zugang zu ihnen zu finden, sollte mit ihnen Freizeitarbeit geleistet werden.

© Das Aufgreifen der Wohnsituation vieler Familien, die von der Fa- milienfürsorge betreut wurden in dem Bestreben, ihnen Wohnraum zur Verfügung zu stellen, der menschengerecht, ausreichend groß und preiswert sein sollte. Dieser Schwerpunkt sollte vor allem auch Bedeutung haben, um Konfliktsituationen zwischen Eltern und Jugend- lichen abzumildern und zu verhindern, daß schon wegen zu beengter Wohnverhältnisse Heimunterbringungen notwendig werden. Für Jugend- liche sollten Wohnkollektive eingerichtet werden.

© Die Durchsetzung aller gesetzlichen Hilfeansprüche nach dem Bun- dessozialhilfegesetz mit geringerem Arbeitsaufwand, indem Gespräche mit den dafür zuständigen Sachbearbeitern des Sozial- und Jugend- amtes geführt werden, an deren Ende stehen sollte, daß die Sozial-

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arbeiter nur noch in schwierigen Fällen konsultiert werden sollten und nicht mehr grundsätzlich, wenn es um die Gewährung wirtschaft- licher Hilfen geht. Auch mit dem Ziel, den Arbeitsaufwand zu ver- ringern zugunsten sinnvollerer Aktivitäten.

Diese Arbeitsschwerpunkte wurden von der Amtsleitung akzeptiert und gutgeheißen. Eine Gruppe von Sozialarbeitern hatte damit erstmals

ein Konzept durchgesetzt, daß sich in seinen Intentionen offen gegen die bisher herrschende Amtspraxis stellte und das der Gruppe Frei- räume in der Arbeit zugestand, die zumindest durch formelle Kontrol- le kaum noch eingeschränkt wurden (natürlich mußte die Gruppe die bestehenden gesetzlichen Vorschriften beachten). Relativ genau waren im Konzept die Lebensumstände der betreuten Familien beschrieben wor- und relativ genau wurden daraus entsprechende Arbeitsvorstellun- entwickelt. Dies unterschied sich von bisher bekannten Konzep- und auch von später entwickelten (siehe die folgenden Abschnitte), die nur relativ ungenau und mit sehr allgemeinen Aussagen beschrieben, was sie erreichen wollten, bzw. sich auf die neue soziologische Termi- nologie bei alten Inhalten beschränkten.

Die Gruppe fühlte sich stark genug, die gestellten Ansprüche in die Praxis umzusetzen: Sie forderte eine andere Vergabepraxis senatseige- ner Wohnungen von den Mitarbeitern des Wohnungsamtes (per Flugblatt im Amt (!)). Sie griff in Schulkonflikte ein und ging zu Elternver- sammlungen, um Forderungen der Eltern nach einer besseren Schulaus- stattung (in einem konkreten Falle) unterstützen und trat damit öffentlich gegen eine andere Abteilung des Bezirksamtes auf. Sie suchte informelle Kontakte zu arbeitenden Stadtteilgruppen aufzubauen und mit diesen zusammenzuarbeiten.

Dies führte sehr rasch zum Konflikt mit der politischen Leitung des Bezirksamtes, die die Gruppe nach nur zweimonatiger Arbeit auflöste und einzelne Mitarbeiter kündigte bzw. disziplinierte.

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Die Konzeption der Gruppe mit einer eindeutig politischen Zielsetzung ihrer Arbeit, die sie auch auf den Binnenbereich des Amtes ausdehnte (Flugblätter verteilen im Amt), und die darauf abzielte, die übrigen Sozialarbeiterkollegen im Amt durch Diskussionen, Arbeitsbesprechun- gen, Forderung nach sinnvollen Strukturen, vor allem Abschaffung hierarchischer Positionen zu politisieren, war getragen von der Il- lusion, im Amt fortschrittliche Sozialarbeit machen zu können und restriktive Strukturen in ihrem Sinne verändern zu können. Die Illu- sionen kamen u.a. in folgender Vorstellung zum Ausdruck:

Unter den Kollegen sollte eine breite Basis geschaffen werden, die dazu bereit ist, für die Interessen der Arbeiter auch gegen den Wi- derstand der Sozialbürokratie zu kämpfen." (24)

Bewertung

Zur Analyse führt Zinner aus: "Grundlegender Fehler der Gruppe war, anzunehmen, sie könnten ihre Arbeit im Amt verbinden mit der politischen Arbeit im Stadtteil, wie sie von sogenannten Basisgruppen betrieben wurde. Weiter, daß sie meinte, ihre Funktion als Vertreter der Sozialbürokratie, als Funk- tionsträger des Staatsapparates umkehren zu können zugunsten einer Interessenvertretung der von Sozialarbeit Betroffenen. Sie mußten folglich sehr rasch erkennen, daß jeder Sozialarbeiter, der den po-

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litischen Anspruch hat, ger stark zu machen, gerät zu seiner objek

sich für die Interessen der betroffenen Bür- ihre Initiativen zu unterstützen, in Widerspruch tiven gesellschaftlichen Funktion." (25)

Diese generelle Kritik ist wohl nicht falsch doch die Brisanz dieses Versuches: petenz zu entkoppeln. Wir hatten oben den Status als den Aspekt der herrschaftlichen Kontrolle in einer Institution definiert und die Handlungskompetenz als die gesellschaftlich notwendige Arbeit. Folgt man dieser Differenzierung, so hat diese Gruppe versucht, den As- pekt der gesellschaftlich notwendigen Arbeit in den Vordergrund zu stellen, und das heißt in einer kapitalistischen Gesellschaft, sich auf die Seite der Betroffenen zu stellen und in den vorhandenen Kon- flikten Stellung zu beziehen. Ihr Dilemma war sicherlich, ihre ob- jektive Funktion der Kontrolle, die dem Status eines Sozialarbeiters in einer Institution entspricht, einfach zu negieren, anstatt die daraus resultierenden Konflikte langfristig und damit produktiv anzu- gehen. Dieser Vorwurf kann allerdings erst dann gemacht werden, wenn ein derartiger Konflikt einmal gewagt worden ist. Im Gegensatz zu allen anderen Modellen ist hier dieser Konflikt sowohl auf der Hand- lungsebene ausgetragen als auch auf der Ebene der schriftlichen Aus- sagen überhaupt formuliert worden.

Nicht zuletzt deshalb haben wir die Forderungen, die diese Gruppe aufgestellt hat, versucht zu verallgemeinern und sie zum Ausgangs- punkt unserer Kritik an der Neuorganisation der sozialen Dienste in Hamburg gemacht. (Vgl. Thesen zur Neuorganisation in Hamburg)

, aber sie unterschlägt nämlich Status und Handlungskom-

4. EINIGE SCHLUSSFOLGERUNGEN

Zum Abschluß soll versucht werden,

machten Darstellungen und Analysen zu ziehen. Auf eine Gefahr soll hingewiesen werden, die mit der Neuorganisation immer zusammenhängt: Der Rationalisierung und der Disziplinierung. Danach sollen aber

auch die fortschrittlichen Möglichkeiten betont werden, die generell in einer Neuorganisation liegen.

einige Konsequenzen aus den ge-

4.1. Neuorganisation als Rationalisierungsstrategie

Klaus Dammann hat im "Jahrbuch der Sozialarbeit 1978" verschiedene Strategien der Rationalisierung im Bereich des öffentlichen Dien- stes - und hier besonders im Bereich der Sozialarbeit - untersucht und kommt dabei zum Ergebnis, daß die vorherrschende Form der Ratio- nalisierung im Bereich der sozialpädagogischen Arbeitsplätze vor allem die Intensivierung der Arbeit ist. (26) Zwar finden wir auf bestimmten Sektoren der Sozialarbeit/Sozialpädagogik einen absoluten Abbau von Arbeitsplätzen (z.B, Heime, Kindertagesstätten), auf der anderen Seite aber auch Bereiche mit Zuwachsraten (Rehabilitation, Resozialisation). Betrachtet man die Entwicklung seit Anfang der i 60er Jahre, so kann man eine rapide Steigerung der Arbeitsplätze bis Mitte der 70er Jahre feststellen. Da hier genaueres Zahlenmaterial noch nicht vorliegt, kann man nur von Schätzungen ausgehen: Die Anzahl der Arbeitsplätze dürfte sich verdreifacht bis vervierfacht

haben. Erst seit Mitte der 70er Jahre wird diese Kurve deutlich flacher.

83

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Neu:

Das Buch im Verlag 2000

Der Verlag 2000 des Sozialistischen Büros er- gänzt seine Produktion durch ein breites Buch- programm. Die ersten Bände erscheinen im

Herbst 1980:

© ZUR KONKRETEN UTOPIE GESELLSCHAFTLICHER ARBEIT. Materialien, Ergebnisse und Beiträ- ge zur Arbeitstagung im Anschluß an die 1. Ernst-Bloch-Tage in Tübingen 1979

SOZIALISTEN BEARBEITEN IHRE POLITISCHE SOZIALISATION. Versuche, sich der eigenen Geschichte zu nähern - als Schritte zu einer veränderten politischen Praxis.

Ellen Diederich: "UND EINES TAGES MERKTE ICH, ICH WAR NICHT MEHR ICH SELBER, ICH WAR MEIN MANN." Eine politische Autobiographie.

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Verlag 2000, Postfach 591, 605 Offenbach 4

Wir hatten oben in der allgemeinen Bestimmung der Bürokratie fest- gestellt, daß bürokratische Organisationen immer zweierlei zugleich

leisten müssen: Effektivierung der Arbeit und Effektivierung der Kontrolle.

Ein allgemeines Kennzeichen der Rationalisierung ist nun, daß die vorfindbare Arbeitsleistung nicht mehr den herrschenden Anforderun- gen genügt. Dabei geht es in erster Linie nicht um individuelle Ar- beitsleistungen, sondern um die Leistungsfähigkeit einer Organisa- tion, wobei die Kriterien, was diese herrschenden Anforderungen in- haltlich bedeuten, in der Regel von außen herangetragen werden. Wir hatten oben einen derartigen Wandel in den herrschenden Leistungs- anforderungen als eine Funktionsverschiebung in der Sozialpädagogik/ Sozialarbeit beschrieben - Funktionsverschiebung von mehr materiel-

len Reproduktionshilfen zu pädagogisch/therapeutischen Reproduktions- hilfen.

Geht es bei der Rationalisierung also vor allem um die Effektivierung

der Arbeit, so geht es bei der Effektivierung der Kontrolle vor al- lem um eine subtilere Art der Disziplinierung.

Diszipliniert werden muß immer dann, wenn alte Verhaltensnormen frag- würdig geworden sind und die Gefahr besteht, daß neue, im Verhältnis zu den alten Normen dysfunktionale Tendenzen sich durchsetzen. Eine derartige Disziplinierung ist nur im Ausnahmefall erkennbare Gewalt (z.B. Berufsverbote). In der Regel setzt sich eine derartige Diszi- plinierung über die Umbiegung dieser neuen Normen in die Funktionali- tät der alten durch, indem Aspekte des Neuen integriert werden: Wir hatten den Vorgang oben als systemkonforme Sublimierung der büro- kratie-kritischen Tendenzen der klinisch orientierten Sozialarbeit gekennzeichnet, indem sowohl durch innerorganisatorische als auch durch verbandspolitische Veränderungen systemkonforme Kontrollme- chanismen aufgebaut werden.

Die von Klaus Dammann beschriebene Intensivierung der Arbeit können wir jetzt also genauer bestimmen:

In der Neuorganisation sozialer Dienste liegt die Tendenz, eine ver- feinerte Disziplinierungsstrategie zu sein: Das faktische Produkt sozialer Arbeit, die Verwaltung von als defizitär stigmatisierter Gruppen bleibt, die Kontrolle darüber wird nur wesentlich erwei- tert und effektiviert.

Als Beispiel für derartige Tendenzen sei hier auf die Frankfurter Kollegen und Kolleginnen hingewiesen, die schon lange unter den Be- dingungen der "Neuorganisation" arbeiten, und die von wissenschaft- lich bzw. therapeutisch verbrämten Versuchen berichten, durch Check- listen, Fragebogen, spezielle Weiterbildungsveranstaltungen den nor- malen Arbeitsalltag derart in den Griff zu bekommen, daß alle Poren des Arbeitstages geschlossen werden, d.h. daß jeder Arbeitsvollzug der Sozialarbeiter kontrollierbar wird (vgl. den Diskussionsbeitrag der Frankfurter, S.6 und Info Sozialarbeit, Heft 21). Ein weiteres Beispiel für die faktische Intensivierung liegt darin, daß bei allen Modellversuchen von den Initiatoren verlangt wird, daß mehr Arbeits- plätze zur Verfügung gestellt würden, damit dieses Modell überhaupt durchführbar ist. Da das aber in der Regel nicht geschieht, wird die Neuorganisation mit dem vorhandenen Personal durchgeführt, was auto- matisch dazu führt, daß die vorhandenen Arbeitsstrukturen sich durch- setzen und die viel propagierten neuen Ziele in der Neuorganisation - z.B. soziale Gruppenarbeit oder Gemeinwesen-orientierte Ansätze -

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t erst ins Blickfeld der Sozialarbeiter kommen: t eben auch unter den Bedingungen der Neuorgani- (Vgl. den Bericht der Bremer Kollegin-

überhaupt gar nich Einzelfallhilfe 18 sation das zentrale Merkmal

nen.).

4.2. Neuorganisation als Ansatz fortschrittlicher Sozialarbeit

Gehen wir davon aus, daß die bisher gemachten Ausführungen einiger-

maßen stimmen, kann es keine Lösung im Sinne einer widerspruchsfreien i i eben.

ee eh die vorhandenen Konflikte und Widersprüche nicht

ausschließlich auf dem Rücken der Betroffenen austragen, sollten

drei Forderungen berücksichtigt werden. Dabei beziehe ich mich be-

wußt auf das gesamte Feld sozialer Arbeit, da die genannten Proble-

me keine speziellen der Jugend- und Familienfürsorge sind:

l. Entkopplung von Handlungskompetenz und Status. I

2. Kollektive Handlungskompetenz einer Organisation/Einrichtung.

3. Einbeziehung der Betroffenen ("Klienten") in die Organisation,

© Entkopplung von Handlungskompetenz und Status | Das Dogma der Einheit von Handlungskompetenz und Status macht es unmöglich, die Probleme von Effizienz und Kontrolle anders zu lösen als durch Hierarchisierung und Spezialisierung. Sieht man jedoch in der Handlungskompetenz den Aspekt der gesellschaftlich notwendi- gen Arbeit und im Status den der herrschaftlich notwendigen Kontrol- le, so liegt es nahe, beide Aspekte zumindest analytisch zu trennen. Anzusetzen wäre dann an den fortschrittlichen Inhalten der Hand- lungskompetenz:

- mehr horizontale Kooperation und gleichberechtigte Kommunikation; - Verwissenschaftlichung des Handlungswissen, bessere Ausbildung mit Tendenzen der Egalisierung im Ausbildungsbereich selbst (Gesamt-

hochschulen); - stärkere gesellschaftliche Planung. Diese Elemente einer - wie ich sie nennen möchte: kollektiven Pro- fession - machen es möglich, alle Entwicklungen in einer Organisa- tion zu unterstützen, die auf egalitäre und offene Organisations- strukturen hin angelegt sind. Warum soll es nicht möglich sein, daß ein Sozialarbeiter Aufgaben von Erziehern mit übernimmt - und umge- kehrt? Das gleiche gilt für den Arzt und den Pfleger, den Sozialar- beiter und Gefängniswärter, für das pädagogische Personal wie für das technische Verwaltungs- und hauswirtschaftliche Personal. Das würde zwar eine Reihe von Statusverunsicherungen mit sich bringen, ist aber nicht nur denkbar, sondern schon in einer ganzen Reihe von Modellen verwirklicht: Zu denken wäre hier vor allen Dingen an die demokratische Psychiatrie in Italien und an die Schule von Barbiana, an die Twind-Schulen in Dänemark - und bei uns (allerdings beschei- dener) an bestimmte Formen der Drogentherapie, der Frauenhäuser, der selbstverwalteten Jugendzentren, einige Ansätze reformierter Heimpädagogik und stadtteilorientierter Sozialarbeit. Darunter ver- stehen wir eine Sozialarbeit, die von den sozialen Problemen und der bestehenden Selbsthilfeinfrastruktur eines Stadtteils ausgeht und die alle - nicht nur die defizitären - Lebensbereiche umfaßt. D.h. eine Sozialarbeit, die auch einen anderen Zugang zu den Betrof- fenen hat als durch die Meldung von Defiziten, die von anderen Stellen definiert werden (vor allen Dingen Polizei und Schule).

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© Kollektive Handlungskompetenz einer Organisation/Einrichtung

Es liegt auf der Hand, daß so verstandene Handlungskompetenz nicht die Kompetenz einzelner sein kann, sondern nur das Ergebnis koordi- nierten Zusammenwirkens und Zusammenhandelns. Organisationssoziolo- gisch gesprochen wird damit die Handlungskompetenz zum vorrangigen Organisationsziel selbst. Aus allen Untersuchungen sozialpädagogi- scher Einrichtungen/Organisationen wissen wir - zumal wenn es sich um totale Institutionen oder um tendenziell totale Handlungssitua- tionen (wie in der Jugend- und Familienfürsorge) handelt -, daß ihre Wirkung auf die Betroffenen in erster Linie nicht von der Kompetenz oder Inkompetenz des einzelnen abhängt, sondern von ihren tatsäch- lichen Wirkungszusammenhängen: den "heimlichen" Methoden dieser Einrichtungen. Ebenfalls wissen wir von allen erfolgreichen Gegen- modellen, von der therapeutischen Gemeinschaft bis hin zu Ansätzen stadtteilorientierter Sozialarbeit, daß neben der weitgehenden Auf- gabe der Hierarchie und weitgehender horizontaler Arbeitsteilung es unabdingbar ist, alle Aspekte des pädagogischen Handelns bzw. thera- peutische Einwirkung mit zu berücksichtigen: Von der Lage einer Einrichtung über die architektonische Gestaltung bis hin zu dem tagtäglichen Ablauf der Versorgung, Reinigung usw.. Natürlich erge- ben sich damit auch neue Probleme der Kontrolle: diese liegt wesent- lich im kollektiven Entscheidungsprozeß selbst und ist damit ein Stück Abbau von Herrschaft. Daß gerade dieser Punkt bei den Verbän-

den, Finanziers und sonstigen Trägern auf schärfsten Widerstand stößt, ist erklärlich.

© Einbeziehung der Betroffenen in die Organisation

Die Beispiele der demokratischen Psychiatrie, der Twind-Schulen,

der Frauenhäuser, der stadtteilorientierten Sozialarbeit u.ä. ver- deutlichen auch, wie die Betroffenen in ein derartiges Konzept kol- lektiver Profession einbezogen sind: nicht als herzurichtende Objek- te, sondern als tätige Subjekte. Dabei ist die Selbsttätigkeit der Subjekte im ganz elementaren Sinne gemeint: sowohl was die tagtäg- liche Lebensumwelt angeht als auch was die Verfügung über ihre eige- ne Emotionalität und z.B. Sexualität angeht. Gerade was diesen As- pekt sozialpädagogischer Handlungskompetenz angeht müssen wir fest- stellen, daß er kaum systematisch selbst bei fortschrittlichen und linken Sozialarbeitern entwickelt ist. Zu wenig wird die Selbsthil- fekompetenz der Betroffenen wahrgenommen, zu wenig auch Verbindung gesucht zu Bürgerinitiativen, Stadtteilinitiativen, Mieterräten usw., in denen in der Regel nicht individuelle, sondern kollektive Defi- zite angegangen werden. Hierzu eine These von Christian Marzahn (vgl. auch seine Ausführungen in der Diskussion):

"Selbstorganisation zum Zweck der Selbsthilfe bietet für die gegen- wärtige Sozialpädagogik aber auch eine Chance,

erst teilweise gesehen und die noch kaum prakti bietet ihr nämlich die Möglichkeit einer kritis sowohl hinsichtlich der Angemessenheit ihrer Ei Leistungsfähigkeit ihrer Institutionen und der Perspektive ihrer

gesellschaftlichen Orientierung. Diese kritische Bestandsaufnahme hat in der BRD zu Ende der sechziger Jahre kräftig zugenommen. In den Erfahrungen der fragenden Sozialarbeiter vor Ort und zahlrei- chen wissenschaftlichen Untersuchungen wurden die vorherrschenden Problemdefinitionen, Maßnahmen und Institutionen der Sozialpädago-

deren Bedeutung m.E. sch genützt ist. Sie chen Selbstüberprüfung nzelmaßnahmen, der

87

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gik selbst zum Problem und als B

estandteil des Apparats zur Sicherung des gesellschaftlichen Status qu

o erkannt. Und ebenso ist es kaum eine Übertreibung, daß alle wesentlichen Impulse und Neuerungen auf

dem Gebiet der Sozialpädagogik innerhalb der letzten zehn Jahre nicht von den Professionellen, sondern von den Betroffenen selbst ausgingen und den Institutionen vielfach abgerungen werden mußten. In den Bemühungen um eine "neue Fachlichkeit" in der Sozialpädago- gik kommt die Bereitschaft vieler Kollegen zum Ausdruck, soziale Probleme und soziale Arbeit gleichermaßen in ihren alltäglichen Er- scheinungsformen als auch aus ihren historischen und gesellschaftli- chen Voraussetzungen zu verstehen, die eigene Arbeit also im Rahmen einer Gesellschaftstheorie neu zu bestimmen. Diese qualitative Neu- orientierung führt auch zu einer neuen sozialen Beziehung zwischen Sozialpädagogen und jenen Menschen, mit denen sie beruflich zu tun haben. Aus der komplementären, latenten oder offenen Herrschaftsbe- ziehung soll eine gleichberechtigte und dialogische werden, in der die Ermittlung vorliegender Probleme und Lösungsmöglichkeiten als gemeinsame Aufgabe gelten und die Sozialpädagogik offener wird für die Unterstützung von Problemlösungen, die die Betroffenen nicht als verordnete und verhängte, sondern als ihre eigenen erleben kön- nen. In dieser Orientierung und im Widerstand gegen restriktive Be- hinderungen kann die Sozialpädagogik die Kinder und Jugendlichen, die Bedrohten und Unterdrückten darin unterstützen, ihre Probleme zunehmend selbst zu lösen und zum Subjekt ihres Lebenszusammenhanges zu werden. Abnehmen kann sie ihnen diesen Prozeß nicht." (27) "Gegenüber dieser Selbsthilfe-Tradition, in der die Kompetenz der Problemdeutung und -lösung immer eine kollektive Kompetenz der Be- troffenen war, kann die Professionalisierung der Sozialpädagogik als Prozeß der Enteignung sozialer Problemlösungskompetenz verstanden werden. Diese geht von den Betroffenen auf die Sozialpädagogen - nebst anderen professionellen Problemlösern - über und wird hier mo- nopolisiert. Dem entsprechen das besondere Wissen, die besondere Sprache, die besondere Methode und schließlich die besondere gesell- schaftliche Macht, die den Professionellen ausmachen." (28)

Daß mit derartigen Vorstellungen das grundsätzliche Problem von Ef- fizienz und Kontrolle unter kapitalistischen Verhältnissen nicht ge- löst werden kann (es ist damit faktisch sogar eine Ausweitung der Kontrolle verbunden; z.B. gemeindenahe Psychiatrie), ist sicherlich richtig. Richtig ist aber auch, daß damit die Widersprüche nicht aus- schließlich auf dem Rücken der Betroffenen vorangetrieben werden. Abschließend sei noch vermerkt, daß dieses Konzept von dem einzelnen Sozialarbeiter nicht weniger, sondern vor allem über das klinische Handlungskonzept hinausgehende Fähigkeiten verlangt: Ich würde es 7 als solidarische Handlungskompetenz bezeichnen, die ein Sozialarbei- ter wie folgt beschrieben hat: "In den strukturellen Zusammenhängen dieser Gesellschaft zu denken und das eigene existentielle Bedürfnis nach ihrer Veränderung in die Beziehung zum Gegenüber hineinzuneh- men, verlangt von uns gerade nicht permanent polit-ökonomische (oder psycho-soziologische - T.K.) Rundschläge und objektivistische Beleh- rung, sondern zunächst ein hohes Maß an Sensibilität für die jeweils

ganz konkrete Verknüpfung von Klassen- und Lebensgeschichte im ge- genüber." (29)

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LITERATURÜBERSICHT

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(10) (11) (12) (13) (14)

(15) (16) (17) (18) (19) (20)

(21) (22) (23)

(24) (25) (26)

(27)

(28) (29)

Sigfried Bernfeld, PT A ~ die Grenzen der Erziehung, 1925), S. Frankfurt/M 1967 priae e Geschichte werden z.Zt. von Wissen- BoP er á in Kassel, Bremen und Berlin gemacht. genant es von Nidda, Festschrift zum 75jährigen Bestehen des yergi; reins für öffentliche und private Fürsorge, 1955 BT und im letzten Abschnitt habe ich Teile aus meinem ee Sonderheft der Neuen Praxis 1980 verarbeitet: "Rstionalisierung als Disziplinierungsstrategie?" (s. 148-153) Autorenkollektiv SPK, Wem nützt die Modellbewegung, in: , H.-U. Otto, S. Schneider (Hrsg. ), Gesellschaftliche Perspekti- ven der Sozialarbeit, Bd 2, Neuwied/Berlin 1973, S. 73 ff. und Sozialarbeit zwischen Bürokratie und Klient, Verlag 2000 Offen- tasr Bracke, Gerd Wenzel, Sozialarbeiterische Verwaltung oder larbeit? Neuorganisation der sozialen Dienste

verwaltete Sozia i in Duisburg-Hamborn, ın: F. Barabas u.a. (Hrsg.), Jahrbuch der

Sozialarbeit 1978, S. 309 ff. Ks l Stadt Dortmund, Sozialdezernat (Hrsg.), Städtischer Sozialdienst,

Modellversuch Dortmund-Brackel, 0.0., o.J. (1978)

Bracke/Wenzel, a.a.0., S. 319 Stadt Dortmund, a.a.0., Ss 2

a.a.0. S. 14

80 Se 21

Bracke/Wenzel a.a.0., S. 339

a.a.0. S. 341 f Paul Kreutzer, Elisabeth Kretzer, Das Trierer Modell - Eine

Bestandsaufnahme, in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Nr. 3, 1975, S. 66 ff.

dss Oey Se 66 a.a.0., S. 66/67 a.4.0:, S 68 asai iy S 70

asar Osy Se 69 Freie Hansestadt Bremen (Hrsg.), Neuorganisation sozialer Dien-

ste, Bremen 1978, S. 10, H rvorkehrungen im Original 2.8.0. 8. 81

a.8.0. S. 83 Georg Zinner, Sozialarbeit zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Analyse eines strukturellen Konflikts und seine Widerspiegelung in Theorie und Praxis staatlich organisierter Sozialarbeit, Berlin 1978 (Maschr.)

a.a.0., S. 147-150, ohne die dort gemachten Anmerkungen

840: g S 150

Dammann, Rationalisierung der Sozialarbeit. Tendenzen, Formen, Widerstand, in: Jahrbuch der Sozialarbeit 1978, F. Barabas. u.a. (Hrsg.), Reinbek bei Hamburg 1977

Christian Marzahn, Wer soll eigentlich die Probleme lösen?

Sechs Thesen zum Verhältnis von Sozialpädagogik und Selbsthilfe in: A.D. Brockmann u.a. (Hrsg.), Jahrbuch der Sozialarbeit 3, i Reinbek bei Hamburg 1979, S. 84/85

S. 82

E. Wedekind, Gewerkschaftsarbeit und politische Organisaierung von Sozialarbeitern, in: Informationsdienst Sozialarbeit, Nr. 16 1977, S. 53 ff (hier: S. 58) i

Josef Bura

SOZIALPÄDAGOGIK FÜR WEN? Der Konflikt um das Sozialpädagogische Zusatzstudium

Seit Jahren schwelt an der Universität Hamburg ein Konflikt, der in vielfacher Hinsicht typisch ist für Entwicklungen im Bereich der So- zialpädagogik in den letzten Jahren. Es geht darum, ob die meines Wissens älteste sozialpädagogische Ausbildungseinrichtung einer bun- desdeutschen Universität, das Sozialpädagogische Zusatzstudium (SPZ), aufgelöst oder doch wenigstens so umstrukturiert werden soll, das es den

vorherrschenden Vorstellungen von einer unkritischen, behördlichen affirmativen Sozialarbeit entspricht.

Seit 1977/78 versucht eine erklärtermaßen konservative Gruppe von Professoren an der Hamburger Universität mit zunehmender Vehemenz, das SPZ ersatzlos aufzulösen. Das Sommersemester 1980 brachte die Es- kalation des Konfliktes: Die Universität Hamburg beschloß die Liqui-

dierung des Institutes, Was waren die Hintergründe und wie geht es weiter?

DIE GRÜNDUNG DES SPZ: REAKTION AUF DIE WERKELEI IM SOZIALEN BEREICH

In der ersten Hälfte der 60er Jahre wurde an der Universität Hamburg eine Einrichtung gegründet, die einmalig in der Bundesrepublik ist. Zu einem Zeitpunkt als hierzulande der Sozialarbeiter noch Fürsorger oder Erzieher hieß, als deren Ausbildung auf Fachschulebene begrenzt blieb und als gerade die ersten höheren Fachschulen für Sozialarbeit gegründet wurden, richtete man in Hamburg ein Institut ein, das sich in wissenschaftlicher und forschender Auseinandersetzung Problemen derSozialarbeit und Sozialpädagogik zuwenden sollte.

Der liberale Kern des Gründerkreises um den damaligen Leiter des Psychologischen Instituts der Universität Hamburg, C.Bondy, der die Entwicklung der sozialen Probleme in den 5oer Jahren kritisch ver- j folgte, sah es als notendig an, im Bereich der sozialen Dienste nac neuen Wegen zu suchen, Wer konnte sich noch sehenden Auges darüber hinwegtäuschen, daß gegen Ende der 5oer Jahre die Erziehungsheime und Jugendstrafanstalten wieder voller wurden, obwohl ER und typische '"Nachkriegstäter' zunehmend weniger Plätze beanspruch- ten, wer konnte noch übersehen, daß trotz hektischer Wiederaufbau- À programme der Wohnungsmarkt weiterhin Obdachlose - und sogar mehr als zuvor - produzierte und schließlich: Wer sah nicht im Phänomen der sogenannten 'Halbstarken' auch Momente des Widerstandes gegen eine k vordergründig, aber umso nachhaltiger, von Konsum- und Wirtschaftswun derideologie beherrschten Gesellschaft.

Hinter der Fassade des Wirtschaftswunders entstanden neue sozialdesin-

tegrative Entwicklungen, aber Fürsorger und Erzieher schienen a Auf- gaben, die sich in dieser Situation stellten, nicht gewachsen. Das

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offenkundige Versagen der traditionellen Fürsorge vor Augen, formulieı ten die Gründer des SPZ: "In der deutschen behördlichen und freien Sozialarbeit sind eine ganze Reihe von Mängeln aufgetreten, die sich nur dadurch abstellen lassen, daß ... ein theoretisches und prakti- sches Studium der Sozialarbeit ermöglicht wird."(Hrshbg. J.B.).

Als "große Lösung' wurde zunächst von dem 1959 gegründeten "Arbeits- kreis für Sozialpädagogik e.V.' eine Art Sozialpädagogische Akademie anvisiert, in der Wissenschaftler zusammen mit Praktikern die Werke- lei an den sozialen Problemen beenden und wissenschaftlich abgesicher- te Strategien sozialpädagogischer Interventionen entwickeln sollten.

Es kam jedoch anders: Für eine Sozialpädagogische Akademie ließen sich weder von Bundes- noch von Länderseite Träger finden und so wurde das '"Sozialpädagogische Zusatzstudium' 1963 der Universität Hamburg zuge- ordnet, als eine dem Akademischen Senat, dem höchsten Selbstverwal- tungsgremium der Universität unterstellte Einrichtung. Dies hatte Konsequenzen: Alle Praktiker ohne Hochschulzugangsqualifikation wa- ren vom Studium am SPZ ausgeschlossen und das SPZ erhielt keine in- haltliche Selbstverwaltung. In zentralen Fragen der Lehre und For- schung wurde dem Institut ein Ausschuß des Akademischen Senats vorge- setzt, der in der Mehrheit aus instituts- und fachfremden Hochschul- lehrern bestand. Damit war ein Instrument geschaffen, mit dem das

SPZ in den Würgegriff genommen wurde.

Am SPZ sollten jedoch keine akademischen Sozialpädagogen ausgebildet werden. Vielmehr wurde für alle Studenten der Hamburger Universität die Möglichkeit geschaffen, während ihres Hauptstudiums oder im An- schluß daran sozialpädagogische Problemstellungen kennenzulernen, um die Kenntnisse in ihre spätere Berufstätigkeit als Lehrer, Juristen, Theologen, Mediziner usw. einbringen zu können. Auch Absolventen an- derer bundesdeutscher Hochschulen mit akademischem Abschluß können am SPZ studieren,

DIE ENTWICKLUNG DES SPZ: VON PESTALOZZI ZUR RANDGRUPPENSTRATEGIE

Das SPZ stand in den ersten Jahren nach seiner Grüngung auf wackeli- gen Beinen. Woher sollte auch Mitte der 6oer Jahre ein wissenschaft- lich begründeter Begriff von Sozialpädagogik kommen, steht man doch heute vielerorts noch ziemlich hilflos vor diesem Problem. Mangels inhaltlicher Gesichtspunkte bezog man sich im Curriculum auf das,

was man unter dem Gesamtbegriff der Sozialarbeit vorzufinden glaubte: Sozialarbeit mit Kindern und Jugendlichen in offenen Einrichtungen, Sozialarbeit mit Kindern und Jugendlichen in geschlossenen Einrichtun- gen, Sozialarbeit mit Behinderten und Alten und Sozialarbeit mit rand- ständigen Gruppen waren die turnusmäßig abgehandelten Semesterschwer- punkte.

Die Studenten wurde so mit einer Übersicht über Tätigkeitsfelder der Sozialarbeit abgefüttert und - um den Realitätsbezug herzustellen - mal in geschlossene Heime, mal in Gefängnisse oder in offene Häuser der Jugend geschleppt, wo sie von Heim-, Jugendamts- und Anstaltslei- tern mit den Problemen der jeweiligen Einrichtung "vertraut! gemacht wurden. Auf diese Weise erhielten die damaligen Studenten des SPZ im- merhin einen Einblick in die Funktionsweise sozialer Dienste und so-

92

zialer Kontrolle.

Kon l Viele von ihnen wurden hier erstmalig konkret mit Unterprivilegieru

ng und gesellschaftlicher Armut konfrontiert.

Die Randgruppenbewegung brachte schließlich gegen Ende der 6oer Jah- re auch Bewegung ins SPZ. Anstatt 4-bis 6-wöchige Praktika in Behör- den oder bei freien Trägern abzuleisten, wie es die Prüfungsordnung vorsah, gingen die Studenten in Projekte oder gründeten selbst solche. Studenten aus den Fachbereichen Pädagogik, Theologie, Jura, Medizin und Soziologie arbeiteten über Jahre zusammen mit Fachhochschulstu- denten bei "Realease Hamburg", im Verein "Jugend hilft Jugend", mit aggressiven Jugendlichen in der sogenannten Rockerarbeit oder machten Arbeit mit Kindern in einer Hamburger Trabantensiedlung. In diesen Projekten waren sie nicht selten 15 bis 2o Stunden pro Woche tätig, organisierten z.B. Bewohnerversammlungen in Hamburger Obdachlosenla- gern, schrieben mit Bewohnern eine Obdachlosenzeitung, veranstalte- ten mit ihnen Informationsstände und Pressekonferenzen und versuch- ten so in kontinuierlicher Arbeit dazu beizutragen, die Interessen der Betroffenen in die Öffentlichkeit zu tragen und durchzusetzen.

Aus den Impulsen der Studentenbewegung und besonders aus den Projek- ten entwickelten sich neue Anforderungen an das Lehrangebot und an die Inhalte des SPZ. An die Stelle des unbeholfenen Streifens über Tätigkeitsbereiche von Sozialarbeit trat ein problem- und praxisbe- zogenes Lehrangebot. Gesellschaftskritische Positionen zur Rolle und Funktion von Sozialarbeit setzten sich am SPZ zunehmend durch. Gemeinsam war dabei den meisten Studenten, Lehrbeauftragten und Do- zenten eine engagierte Parteinahme für gesellschaftlich benachteilig- te und deklassierte Teile der Bevölkerung. Dies fand seinen Ausdruck in Inhalten und Formen der Auseinandersetzung mit Problemen der So- zialarbeit.

So wurden jetzt nicht mehr die Mitarbeiter des Jugendschutzes, die Leiter von Gefängnissen und Ämtern zu ihren Problemen befragt, son- dern am SPZ wurden die eigenen Erfahrungen mit von Sozialarbeit Be- troffenen aufgearbeitet: Studenten verschafften sich einen Einblick in die Lebensverhältnisse in Obdachlosenlagern, Gefängnissen, Hei- men und Trabantensiedlungen, Sie trafen sich mit Kommilitonen, die in Frankfurt, Köln, Berlin und München 'Randgruppenarbeit' machten, diskutierten über antiautoritäre Erziehung, und Kinderladenbewegung, über Theorie und Praxis antikapitalistischer Jugendarbeit, zerstrit- ten sich über Psychoanalyse, Wilhelm Reich und Sexfront, sensibili-

sierten sich in 'Selbsterfahrungsgruppen' oder organisierten sich in Basisgruppen.

Innerhalb des SPZ setzten sich Anfang der Joer Jahre demokratische Strukturen durch. Von den Studenten wurde es dabei als wohltuend em- pfunden, daß es am SPZ nicht jene enorme Distanz zwischen Lehrenden und Lernenden gab, die anderswo an der Universität üblich ist und

daß sich die Lehrenden in den Veranstaltungen und Projekten auch als Lernende verstanden. Das Veranstaltungsangebot wurde nicht ins Belie- ben der jeweiligen Dozenten und Lehrbeauftragten gestellt, sondern mit den Studenten entwickelt und abgestimmt. Dabei machten viele Stu- denten neue Lernerfahrungen: In den meisten Veranstaltungen wurden Antworten auf Probleme gesucht, deren Bedeutung und Notwendigkeit sich aus den Projekterfahrungen herleiteten. Charakteristisch für das Studieren am SPZ blieb, daß sich die Studenten aus den Lehrveranstal-

93

Bereiche auswählen konnten, die ihnen zusagten:

rammen die E . DRF ern des Studiums war von jeher ein Prinzip des SPZ.

Selbstorganisation r Zeit der Studentenbewegung nahm das SPZ einen enormen Auf- schwung. Hatten bis 1967 durchschnittlich 6o Studenten die Lehrver- anstaltungen besucht, so stieg ihre Zahl in der ersten Hälfte der 7oer Jahre auf über 270 an; ein erheblicher Zuwachs, vor allem wenn man berücksichtigt, daß die Zahl der hauptamtlichen Hochschullehrer konstant blieb. Mit nur drei Dozenten ausgestattet, wurde bald wie- der der weitaus größte Teil der Lehre am SPZ von Lehrbeauftragten ge-

In de

tragen. DER KONFLIKT UMS SPZ: DIE GEGENREFORM MARSCHIERT

Um die Mitte der 7oer Jahre geriet das SPZ in eine Krise: Die Stu- dentenzahlen fielen deutlich ab. Die Gründe hierfür lagen außerhalb des Instituts. An vielen Orten der BRD, im Norden u. a. in Bremen, wurden Diplomstudiengänge für Sozialpädagogik aufgebaut und viele Sudenten, die bislang im SPZ die einzige Möglichkeit gesehen hatten, sich auf universitärer Ebene mit Fragen der Sozialpädagogik ausein- anderzusetzen, wechselten an die neu gegründeten Institute oder be- gannen erst gar nicht ihr Studium am SPZ.

Strukturell bedeutsamer, weil dadurch die Gesamtsituation im univer- sitären Bereich nachhaltiger beeinflußt wurde, waren die Verunsiche- rungen, die durch gesellschaftliche- und hochschulpolitische Entwick- lungen in der 2. Hälfte der 7oer Jahre heraufbeschworen wurden. Ver- schulung des Studiums, Verschärfung bornierter Leistungsanforderun- gen, die Bedrohung durch Regelstudienzeit und Akademikerarbeitslosig- keit bescherten den Studenten der Hamburger Universität wie auch an- derswo ein Studienklima, das sie davon abhielt, eine Zusatzausbil-

dung zu machen.

Im Zwang dieser Entwicklungen hielt auch die Personalstruktur der 5oer Jahre wieder Einzug in den Universitätsalltag: Die alte Ordinarien- herrschaft, in Hamburg trotz Studentenbewegung nie ganz beseitigt, wurde mit gesetzlicher Rückendeckung wieder errichtet. Und es dauerte nicht lange, bis die hochschulrelevanten Kreise, für die universitäre Demokratie immer noch ein Fremdwort ist, versuchten, dem SPZ ihre Vorstellungen von einem "geordneten! Studienbetrieb aufzuzwängen.

Dabei trafen sie auf ein Institut, das versäumt hatte, noch in Zeiten relativer Reformoffenheit die Gunst der Stunde zu nutzen und sich in- stitutionell und konzeptuell abzusichern. Dem SPZ hafteten noch 15 Jahre nach seiner Gründung die strukturellen Mängel eines Proyisori- ums an: Obwohl mittlerweile ca. 400 bis 500 Studenten die Veranstal- tungen besuchten, blieb der Lehrkörper mit seinen 3 hauptamtlichen Dozenten und 15 bis 20 Lehrbeauftragten hinter den Erfordernissen des Studienbetriebes zurück. Ohne einen Professor im Lehrkörper war das Institut in der Außenrepräsentation innerhalb der Universität ohnehin benachteiligt; dies umso mehr, als nach jenem berüchtigten Urteil des BGH die Entscheidung über Lehre und Forschung wieder zum Standespri- vileg der Professoren wurde. An diesem Punkt setzte dann die reform- feindliche Gruppe der Professoren den Hebel an das SPZ unter ihre Kontrolle zu bringen. Dabei machten sie sich die Tatsache zunutze, daß das SPZ von einem institutsfremden Gremium verwaltet wird. In ei- nem Handstreich besetzten die Speerspitzen des Konservatismus der

94

Hamburger Universität 1977 die Lehrbeauftragten, die mit seinen demokratischen

/78 dieses Gremium und versuchten zunächst, wesentlich daran beteiligt waren, das SPZ

Strukturen und gesellschaftskritischen An- sätzen zu erhalten, in ihrer Lehrtätigkeit zu behindern. Als dies am

entschlossenen und beharrlichen Widerstand von vielen Studenten des SPZ,und weil sich das gesamte Institut gegen inhaltliche Eingriffe in sein Lehrangebot verwahrte, im Sande verlief, bastelten sie an einem Konzept für die Neugestaltung des SPZ-Studium. Facit ihrer Überlegungen: Der Lehrkörper des Instituts soll aufgelöst und ande-

ren Fachbereichen zugeschlagen werden und ein Teil der Studenten soll vom Studium am SPZ ausgeschlossen werden.

In einer sich über Wochen

hinziehenden Kampagne unter der Losung 'Hände weg vom SPZ' hatten

daraufhin Studenten und Fachschaftsrat im

zu bringen. Auf der entsche auf der die Liquidierung de ren dann 150 bis 200 Studen

Ein "ordnungsgemäßer Beschluß" ndiger Diskussion wurde der ven Schaffens umfunktioniert.

Ungeachtet des breiten Widerstandes ging die Demontage des Instituts

weiter; jetzt getragen von den "liberalen Reformhochschullehrern' um den Unipräsidenten, Zum Sommersemester sollte ursprünglich ein Veran- staltungsangebot, das im Gegensatz zur früheren Praxis dem SPZ auf- oktroiert war, offen ausgeschrieben werden. Das damit verbunde Ziel war offensichtlich: Vor allem Vertreter aus den Hamburger Behörden sollten die bisherigen Lehrbeauftragten des SPZ ersetzen. Am SPZ soll- te der kritische Ansatz von Sozialarbeit unterbunden und den. Studen- ten konformistische Sozialarbeit nahegebracht werden.

Aber es kam noch schlimmer: Als im März 1980 ein Lehrbeauftragter vor dem Arbeitsgericht seine Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbei- ter erzwang, lief das Universitätspräsidium Amok. Es setzte alle übri- gen 15 Lehrbeauftragte vor die Tür, Mit dieser Entscheidung wurde das Lehrveranstaltungsangebot von 37 auf lo Veranstaltungen gekürzt. Kaum war das Semester begonnen, da beschloß der Akademische Senat die voll- ständige Liquidierung des Instituts: Neuzugänge zum Studium am SPZ i wurden nicht mehr zugelassen, die Lehrauftragsmittel wurden weiterhin gesperrt und die hauptamtlichen Mitarbeiter sollten in andere Fachbe- reiche übernommen werden. Das Institut schien vor dem Ende und das

Kalkül derer, die ausgezogen waren, dem SPZ das Füfchten zu lehren, schien aufzugehen.

DAS SPZ MACHT WEITER ABER UNTERSTÜTZUNG TUT NOT

Ausgerechnet eine Institution,

mit der Professoren zwar wenig Umgang haben, von der sie aber dennoc

h keine Schwierigkeiten erwartet hatten, machte vorerst alle Wunschträume von einem nahen Ende des SPZ zunichte. Die ausgesperrten Lehrbeauftragten hatten sich geschlossen an das Ar- beitsgericht gewandt. Tenor der Entscheidung: Die Universität muß al-

95

le seit längerem am SPZ tätigen Lehrbeauftragten weiter beschäftigen. Und was die Universitätsleitung noch mehr schockte: Ein weiterer ehe- maliger Lehrbeauftragter erstritt seine Anstellung als hauptamtlicher Angestellter.

Wenn nun in nächster Zeit der Konflikt um die Erhaltung des SPZ auch weiterhin vor Arbeitsgerichten ausgetragen wird - die Universität hat angekündigt, bis vor da Bundesarbeitsgericht zu gehen - so darf dies nicht die einzige Ebene des Widerstandes gegen die Liquidierung des Institutes bleiben. Es geht einmal darum, weitere Angriffe gegen ei- ne fortschrittliche Sozialarbeit abzuwehren und zum anderen darum, ei- ne der wenigen Einrichtungen in der Bundesrepublik zu erhalten, die Nichtsozialpädagogen für Probleme der Sozialarbeit sensibilisiert.

Für weitere Informationen über die Entwickling des Konflikts um das SPZ und als Adresse für Solidaritätsbekundungen an den Fachschaftsrat des SPZ, Sedanstr. 19, 2000 Hamburg 13 wenden.

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INFORMATIONEN AUS DEM GEWERKSCHAFTSBEREICH

ÖTV Informationen zu befristeten Arbeitsverträgen

Die schwierige wirtschaftliche Entwicklung ist in den letzten Jahren auch zum Abbau des sozialen Besitzstandes der Arbeitnehmer benutzt worden. Arbeitslosigkeit, Rationalisierungmaßnahmen, Arbeitsintensi- vierung, Einführung neuer Technologien ohne Rücksicht auf die Beschäf- tigten, Produktionsverlagerungen u.s.w. und ihre Folgen sind bekannt. Auch der öffentliche Dienst ist von dieser Entwicklung betroffen. Bei- spiele sind Sparhaushalte und Nullstellenpläne, stungen (Krankenhausbedarfsplan, Sozialarbeit), Arbeitsbedingungen (Reinigungsanweisung) gen und vieles mehr.

In dieser Situation machen die öffentlichen Arbeitgeber mehr und mehr von der Möglichkeit Gebrauch, Arbeiter und Angestellte nur noch zeit- lich befristet zu beschäftigen bzw. durch billigere Arbeitskräfte zu ersetzen. Nach Recherchen des Arbeitskreises "ZEITVERTRÄGE" der ÖTV- Berlin wurden 1979 im Berliner öffentlichen Dienst 22 500 Kollegin- nen und Kollegen zeitlich befristet beschäftigt. Darunter fielen

7511 Zeitverträge (meist nach BAT SR 2y), 3912 ABM-Stellen (6521 Be- schäftigungsverhältnisse), 11 000 Honorarverträge und eine unbekannte Anzahl von Werkverträgen. Nahezu alle Berufs- und Vergütungsgruppen sind davon betroffen. Mit befristeten Arbeitsverhältnissen werden häufig Festeinstellungen umgangen, Schutzrechte außer Kraft gesetzt (z.B. Kündigungsschutz, Mitbestimmungsrechte), Sozialleistungen ge- kürzt sowie Druck auf alle Beschäftigten ausgeübt. Dies geht sowohl zu Lasten der Beschäftigten als auch zu Lasten der Bürger, für den die öffentlichen Leistungen erbracht werden.

Abbau sozialer Lei- Verschlechterung der » Privatisierungsbestrebun-

© Zeitverträge

Mit der Ausnahmebestimmung zum BAT (SR 2y) wird "flexible" Personal- politik auf dem Rücken der Beschäftigten betrieben. 5% der vollbe- schäftigten und 11% der teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer im öffent- lichen Dienst Berlin hatten 1979 einen Zeitvertrag. Besonders in den Bereichen Zentrale Verwaltung, Schulen, Hochschulen, Hochschulklini- ken, Gesundheit/Erholung/Sport und Soziale Sicherung gibt es außer- ordentlich viele Zeitverträge. Spitzenreiter mit Zeitverträgen sind die Teilzeitbeschäftigten der Schulen und Hochschulen (46%) und die Vollbeschäftigten in der hochschulfreien Forschung (22%) und in den Bundesverwaltungen (10%). Das heißt im Durchschnitt gelten ungefähr für jeden 10. Arbeitsplatz eine Reihe von gesetzlichen und tarifver- traglichen Schutzrechten nicht. Im einzelnen werden Teile des Kündi- gungsschutzgesetzes, des Mutterschutzgesetzes, des Schwerbehinderten- gesetzes, der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, des BAT ($$ 53,23a

u.a.) und des Betriebsverfassungs- bzw. Personalvertretungsgesetzes außer Kraft gesetzt.

97

© Honorarverträge

Laut Senatsbericht (Drucksache 7/1445) gibt es im Berliner öffentli- chen Dienst rund 11 000 freie Mitarbeiter. Genaue Angaben über deren Einsatzbereiche, Beschäftigungsdauer, wirtschaftliche Abhängigkeit etc. sind nicht zu erhalten. Honorarkräfte werden vor allem im Be- reich Familie, Jugend, Sport und in der Abteilung Volksbildung be- schäftigt. Als Familienhelfer, in der Behindertenfürsorge, in der Ju- gendpflege, bei der Seniorenbetreuung u.s.w. leisten Honorarkräfte einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung staatlicher Sozial- aufgaben. P R

In ihrer praktischen Tätigkeit und ihrem Verhältnis zur Dienststelle unterscheiden sich Honorarverträgler nicht wesentlich von Festange- stellten, Ab e r, für die Kollegin/en mit Honorarvertrag gibt es kei- nen Kündigungsschutz und keine Möglichkeit der Arbeitslosenversiche- rung. Die Netto-Bezahlung ist wesentlich geringer, da Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung selbst gezahlt werden müssen. Es gibt kein 13.Gehalt, kein 624,--DM-Gesetz, kein Urlaubsgeld, keine Lohn- fortzahlung im Krankheitsfall etc.. Die aktive und passive Personal- vertretung ist ausgeschlossen und die Entlohnung wird einseitig per "Honoraranordnung" durch den Berliner Senat festgelegt - zuletzt 1979 für die Dauer von 10 Jahren (!).

© Werkverträge

Gleiches gilt im wesentlichen auch für Werkverträge.In unzähligen Bei- spielen konnte gezeigt werden, daß es bei Werk- und Honorarverträgen nicht nur um Nebentätigkeiten von Professoren u.a. geht, sondern um versteckte Dienstverhältnisse für die verschiedensten Berufsgruppen. Seit Jahren werden zunehmend Verträge abgeschlossen, die von der Sa- che her faktische Arbeitsverhältnisse begründen, die aber als soge- nannte "Werkverträge" bezeichnet werden. Die Arbeitsinhalte der Werk- verträgler sind eigentlich Planstellentätigkeiten. Der Beschäftigteist weisungsgebunden, in den Dienstverkehr eingebunden etc.. Typische Arbeiten sind planende und forschende Tätigkeiten in Bezirks-, Senats- und Bundesdienststellen, aber auch immer häufiger z.B. Typistinnen-

und Sachbearbeitertätigkeiten. Von den scheinbar hohen Brutto-Vergü- tungen bleibt unter dem Strich erheblich weniger als bei vergleich- baren Angestellten nach BAT übrig.

Die Vorteile liegen einzig beim Arbeitgeber. Die Honorarkräfte und Werkverträgler haben weniger Rechte, kosten weniger Geld - die Mittel sind häufig im Posten "Sachmittel' und "Öffentlichkeitsarbeit' ver- steckt und lassen sich daher finanzpolitisch leichter durchsetzen.

© Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM)

Nach $ 91 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) dürfen nur sogenannte zusätz- liche Arbeiten als ABM gefördert werden, die "sonst nicht oder erst

zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt würden".

Vor dem Hintergrund anhaltender Arbeitslosigkeit sollen Arbeitsbe- schaffungsmaßnahmen die Beschäftigungschancen von Arbeitslosen ver- bessern. Beides trifft nach den bisherigen Erfahrungen nicht oder nur bedingt zu.

Die ABM-Beschäftigten leisten Planstellenarbeit, ob sie nun als Arbei- ter oder Jugendliche im Gartenbau/Forsten oder als Angestellte in der

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Verwaltung oder als Sozialarbeiter im Programm Soziale Dienste einge- setzt sind. Und zuverlässige Angaben darüber, wieviele ABM-Beschäf- tigte in festen Arbeitsverhältnisse übernommen wurden, gibt es nicht. Nach unseren Erfahrungen sind es recht wenig»

Diese Entwicklung läßt sich auch in Zahlen darstellen. Seit 1974 ist die Zahl der ABM-Beschäftigten von durchschnittlich 740 auf ca. 3900 (1979) angewachsen, während die Zahl der Planstellen im öffentlichen Dienst fast stagnierte.

Die Nachteile für ABM-Beschäftigte sind u.a.: Bei gleicher Arbeit er- halten die ABM-Kräfte 10 - 40% weniger Lohn als Festangestellte (nach BAT); davon erhält der Arbeitgeber 80% und mehr aus der Kasse der Bundesanstalt für Arbeit - billige Arbeitskräfte; die Personalvertre- tungsmöglichkeiten sind unzureichend (Vertrauensräte)u.s.w..

Die ÖTV fordert daher die Gleichstellung der ABM-Beschäftigten mit Festangestellten, also volle Gültigkeit der Tarifverträge und des Personalvertretungsgesetzes. Langfristig müssen für Planstellenarbei- ten feste Arbeitsverhältnisse eingerichtet werden und das ABM-Pro- gramm eingestellt werden.

Das gleiche gilt für Arbeitsverhältnisse auf Zeit. Dort wo Dauerauf- gaben erledigt werden müsen, sind auch entsprechende Stellen einzu- richten und zu besetzen.

Die Gewerkschaft ÖTV unterstützt alle Bemühungen, die dazu beitragen, die Schaffung von Arbeitern und Angestellten II. Klasse zu verhindern

und den Mißbrauch zeitlich befristeter Arbeitsverhältnisse abzuschaf- fen.

® Weitere Informationen in

ARBEIT AUF ABRUF - Zur Situation der Beschäftigten mit Zeit-, Werk“, Honorar- und ABM-Verträgen - herausgegeben von der ÖTV-Berlin Sept. '80; Bezug ÖTV, Bezirk Berlin, Joachimstaler Straße 20, 1000 Berlin 15.

%* BEWÄHRUNGSHELFER IN DER JUSTIZ

Die Gewerkschaft ÖTV nimmt die aktuelle Diskussion um den "Sozial-

dienst in der Justiz" zum Anlaß, mit dieser Stellungnahme gewerk- schaftliche Forderungen der Öffentlichkeit vorzustellen.

ds

Die Planung eines "Sozialdienstes der Justiz" haben unter den Bewäh- rungshelfern Unruhe und Unsicherheit hervorgerufen und zu fachwissen- schaftlichen Auseinandersetzungen geführt. Diese von einigen Landes- justizministern und den Standesverbänden vorgeschlagenen "Reformen werden von der Mehrheit der Bewährungshelfer mit Recht abgelehnt. Die bisher unterbreiteten Vorschläge zeichnen sich nicht durch Übersicht- lichkeit und Klarheit aus. d

Es ist nicht zu verkennen, daß die gegenwärtige Aufgabenbestimmung für die Bewährungshelfer unbefriedigend erscheint und die äußeren

Arbeitsbedingungen zu einem allgemeinen Unbehagen unter den Bewährungs- helfern geführt haben.

Dieses äußert sich - in der Erkenntnis geringer Wirksamkeit, - dem Empfinden, nur eine Alibifunktion auszuüben,

99

- in der Befürchtung, auftragsentfremdet tätig werden zu müssen.

Die Tendenz in Teilen der Gesellschaft, den Täter im Sinne von Sühne und Vergeltung hart zu bestrafen, ist inhuman und zudem wenig erfolg- reich. Sie ist nur schwer mit rechtstaatlichen Grundsätzen vereinbar. Bewährungshilfe in ihrer derzeitigen Form trägt auch nicht entschei- dend dazu bei, bessere Ergebnisse bei der Sozialisation der Verurteil- ten zu erzielen. Dies gilt umso mehr, wenn den Bewährungshelfern und den in anderen sozialen Diensten Tätigen immer mehr die Gefahr der Bürokratisierung und Hierarchisierung droht.

Erfolgreich können nur solche Regelungen sein, die dem Auftrag der Bewährungshelfer mehr als bisher entsprechen und eine bestmögliche Wirksamkeit gewährleisten.

Der Verurteilte muß im Mittelpunkt der Arbeit stehen. Ihm unter Wah- rung seiner Personenwürde zu helfen, in Selbstverantwortung als Mit- glied der Gesellschaft zu leben, steht im Vordergrund aller Bemühun- gen der Bewährungshelfer. Der Mensch darf dabei nicht bloßes Objekt von Therapien sein. Deshalb ist der Bewährungshelfer u.U. verpflich- tet, die Interessen seines Probanden notfalls auch gegenübrt den Or- ganen der Justiz wahrzunehmen. Die Zusammenarbeit mit diesen ist al- lerdings Voraussetzung der wirksamen Tätigkeit des Bewährungshelfers, denn nur so lassen sich gegenseitige Vorurteile abbauen.

Aus diesen Darlegungen folgt für das Selbstverständnis des Bewährungs-

helfers:

è Er sieht seine Aufgaben nicht in moralischen Bewertungen, sondern

in dem Bemühen, die persönlichen und sozialen Ursachen des Verhaltens, das zu der Straftat geführt hat, zu ergründen und danach zu handeln.

e Er informiert den Probanden über vorhandene Hilfseinrichtungen und befähigt ihn, diese Angebote wahrzunehmen.

e Bei persönlichen Konflikten versucht er mit ihm, Lösungsmöglichkei- ten als Entscheidungshilfen zu erarbeiten.

e Er hilft dem Probanden, wenn sich seine Kräfte zur Bewältigung kon- kreter Schwierigkeiten noch nicht als ausreichend erweisen.

e Er vermittelt ihm die Einsicht, daß er zur Selbstbehauptung Lei- stungen erbringen muß, sich andererseits vorgegebenen gesellschaft- lichen Regeln nicht vorbehaltlos anpassen darf, weil dies zur Selbst- aufgabe führt.

e Er ist sich ständig bewußt, daß er, gerade als Vereinzelter handelnd, nicht irrtumsfrei ist und ein Irrtum zu schwerwiegenden Folgen für den Probanden führen kann.

SR BR

Nach diesem Selbstverständnis muß der Bewährungshelfer in seinem Amt in eigener Verantwortung tätig werden können. Die Einbindung in einem "Sozialen Dienst der Justiz" mit der hiermit verbundenen Bürokrati- sierung und Hierarchisierung steht der eigenverantwortlichen Tätig- keit im Wege und stellt einen entscheidenden Rückschritt dar. Jeder behördliche oder behördenähnliche Aufbau der Bewährungshilfe ist da- her abzulehnen. Die Eigenverantwortlichkeit des Bewährungshelfers nimmt Schaden, wenn er einem "Leitenden" Bewährungshelfer dienstlich untersteht und seinen Weisungen unterliegt. Deshalb ist auch eine be- sondere Besoldung eines zur Koordinierung des Büros eingesetzten Be- währungshelfers abzulehnen. Alle Bewährungshelfer sind dem gesell-

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schaftlichen Wert ihrer Tätigkeit entsprechend zu besolden. Notwendig erscheint auch die räumliche Trennung von anderen Organen der Justiz. Beim Probanden darf nicht der Eindruck entstehen, der Be- währungshelfer sei nur der verlängerte Arm der Justizorgane. Alles, was zur Bildung von Schwellenangst beitragen könnte, ist zu vermei- den, wenn Bewährungshilfe erfolgreich sein soll. Dieser Gesichtspunkt ist besonders wichtig, da der Arbeit des Bewährungshelfers im Rahmen

des Verfassungsauftrages der Resozialisierung entscheidende Bedeu- tung beizumessen ist.

LEL

Die Gewerkschaft ÖTV erhebt für das verantwortungsvolle Amt des Be- währungshelfers folgende Forderungen:

Sie verlangt den eigenverantwortlichen Bewährun shelfer, der nicht

durch Bürokratisierung und Hierarchisierung gehemmt werden darf. Sei- ne Tätgikeit muß bestimmt sein von fachlicher Weisungsfreiheit. Er darf auch nicht eingeengt werden durch einen zentralisierten "Sozia- len Dienst der Justiz", in welchem die Gerichtshelfer, Bewährungshel- fer und die Fürsorgeaufsicht zusammengefaßt sind. Diese Dienste ver- folgen teilweise so verschiedene Ziele, daß eine Zusammenlegung - selbst die nur räumliche - nicht förderlich wäre und dadurch mögliche Kompetenzüberschneidungen zu befürchten sind. Der Proband muß sicher sein können, daß außer der Resozialisierung keine anderen Erwägungen das Verhältnis des Bewährungshelfers zu ihm bestimmen.

Aus dieser Grundbestimmung des Amtes des Bewährungshelfers sind fol- gende Einzelforderungen zu erheben:

e Der Bewährungshelfer darf keinem "Leitenden" Bewährungshelfer mit besonderer Besoldung und fachlicher Weisungsbefugnis unterstellt wer- den. Die Bewährungshelfer arbeiten gleichberechtigt zusammen.

e Die Bewährungshilfe ist konkret von anderen sozialen Diensten der Justiz abzugrenzen.

e Die räumliche Trennung von anderen Institutionen der Justiz ist zu gewährleisten. i e Bewährungshilfe darf nicht vorwiegend im Büro geleistet werden. Sie erfordert eine weitgehende Mobilität des Bewährungshelfers. Die Grup- penarbeit ist zu ermöglichen bzw. weiter auszubauen. Die Justiz muß die dafür erforderlichen Mittel zur Verfügung stellen.

e Der Bewährungshelfer muß berechtigt sein, für den Probanden Verhand- lungen mit Behörden und anderen Stellen zu führen. Dies ist notwen- dig, um z.B. Schuldenregulierungen durchzuführen. Insbesondere Behör- den und andere Öffentlich-rechtliche Stellen sind anzuhalten, die Arbeit der Bewährungshelfer zu unterstützen.

e Der Bewährungshelfer muß ein Anhörungsrecht in Strafverfahren er- halten, die während des Laufes der Bewährungsfrist durchgeführt wer- den, weil die Entwicklung des Probanden für Entscheidungen ausschla- gebend sein kann.

e Ohne ein Zeugnisverweigerungsrecht ist die vertrauensvolle Zusam-

menarbeit gefährdet.

e Ohne die Erweiterung und Verbesserung des Fortbildungsangebotes für Bewährungshelfer können diese ihre Aufgaben nicht optimal erfüllen. Die Justiz muß hierfür die finanziellen Voraussetzungen schaffen.

e Die persönliche Bestellung des Bewährungshelfers durch das Gericht ist Grundvoraussetzung seiner eigenverantwortlichen Tätigkeit.

101

pie Arbeitsbedingungen bestimmen weitgehend den Erfolg der Arbeit

des Bewährungshelfers. Sie müssen verbessert werden:

e Mehr als 30 Probanden dürfen dem Bewährungshelfer nicht zugewiesen werden; andernfalls wird er überfordert und kann sich nicht mit dem notwendigen Engagement dem einzelnen Probanden widmen. Die Justiz

muß mehr als bisher weitere Stellen für die Bewährungshelfer im Haus- halt vorsehen.

e Um die Arbeitskraft des Bewährungshelfers auf seine eigentlichen Aufgaben zu konzentrieren, sind ihm die erforderlichen Mitarbeiter und technischen Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen.

Die Vergütung für die Tätigkeit des Bewährungshelfers muß seiner quali- fizierten Ausbildung und dem gesellschaftlichen Wert seiner Arbeit entsprechen. Seine Eigenverantwortlichkeit muß ferner bei der Betei- ligung an Erörterungen und Planungen, die sein Amt betreffen, zum Ausdruck kommen. Die Gewerkschaft ÖTV fordert daher,

e die Besoldung (Vergütung) muß mit dem Eingangsamt in Besoldungs- gruppe A 11 (BAT IV a) beginnen,

e daß sich die Bezahlung der Tätigkeit des Bewährungshelfers aus- schließlich am Wert seiner Arbeit, nicht jedoch an haushaltsrechtli- chen Erwägungen auszurichten hat und

e die rechtzeitige Anhörung sowie eine wirksame Mitsprache bei allen das Amt des Bewährungshelfers und die Organisation betreffenden Pla- nungen sind zu gewährleisten

Die Gewerkschaft ÖTV fordert die ständige Überprüfung der bestehen- den Verhältnisse und eine begleitende Forschung, um das Amt des Be- währungshelfers den neuesten Erkenntnissen anzupassen. Alle an die- ser Aufgabe interessierten Kreise sind zur sachbezogenen öffentlichen

* TARIFRUNDENINFO “ÖFFENTLICHER DIENST”

Diskussion aufgerufen.

Auch für die kommende Tarifrunde im Öffentlichen Dienst gibt es wie- der ein Tarifrundeninfo 1981

Da das Interesse am Tarifrundeninfo bei den letzten Tarifverhandlun- gen nach wie vor groß war, gibts auch für 1981 wieder ein Info. Es er- scheint, wie üblich ab Beginn der Tarifrunde, in der letzten Phase wöchentlich. Je mehr Materialien und Diskussionsergebnisse der Re-

daktion eingehen, desto aktueller ist das Info. Schickt deshalb alle Eure Inforamtionen zur Tarifrunde 1981 und na- türlich Eure Bestellung (5,50 DM in Briefmarken, nicht über 0,40 DM-

Werte) an folgende Adresse Redaktion Tarifrundeninfo, Pecher Hauptstraße 48, 5307 Wachtberg-Pech

Tel. mo-fr 18.00 - 19.00 Uhr 0228/325967

*

102

HINWEISE, MATERIALIEN, TERMINE

© Im Jugendhof Steinkimmen wird vom 16. - 20. Februar 1981 in Zusam- menarbeit mit dem Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten ein Erfah- rungsaustausch zwischen Bildungsstätten, die Seminare für arbeitslo- se Jugendliche durchführen, und Arbeitslosenprojekten "yor Ort" or- ganisiert. Kontakt: Jürgen Fiege, c/o Jugendhof Steinkimmen, 2875 Ganderkesse |, Tel. 04222/8248.

© WAS IST DIE THING? WAS WILL SIE?

Die Thing hat ihren Namen von dem alten germa lungsplatz. Wie bei allen unkultivierten, bar fand auch bei den germanischen Stämmen - wie Livius, e Geschichtsschreiber, berichtet - regelmäßig eine Versal ganzen Volkes statt. Diese Zusammenkünfte wurden Thing gesprochen Ting, aber auch das englische 'thing'= das Ding, die Sa- che kommt daher) genannt. Auf ihnen wurden die Stammeshäuptlinge und Heerführer (=Herzog, nämlich einer, der vor dem Heer zog) gewählt, wurde gemeinsam recht gesprochen und alle anstehenden Dinge beredet und entschieden. Nach dieser großen Volksversammlung wurde diese Zei- tung THING getauft.

nischen Stammesversamm- barischen Naturvölkern in römischer mmlung des

(im deutschen

Die THING ist eine sozialistische Zeitung. Sie nimmt gegen Ausbeu- tung und Unterdrückung - egal an welchem Ort - klar Stellung. Das heißt auch: Sie ist nicht auf einem Auge blind.Die THING bekämpft ebenso die Miseren und die Ausbeutung durch die kapitalistische Ge- sellschaft wie auch die politische Unterdrückung in der DDR, UdSSR, VR China, Kuba, Albanien, Jugoslawien usw. Sie berichtet über das, was gerade so läuft an Aktionen, Repression etc. und sie versucht, Vor- schläge zu machen, wie es in den Kämpfen weitergehen könnte. Damit endlich der uralte Traum der Menschen, das Paradies auf Erden, der Sozialismus wahr wird. Dazu will die THING einen Beitrag leisten. Sie ist offen für Diskussionen der Linken um die weitere Perspektive. cht die einzige für "unmündig", Durch diese Be~

Die THING ist eine Jugendzeitung. Die Jugend ist 7 ni unterdrückte Gruppe in dieser Gesellschaft. Sie wird "nalbwüchsig", "unreif" und "heranwachsend" erklärt. vormundung soll sie gedrillt werden, sich den vorgegebenen kapitali- stischen Wertvorstellungen und Strukturen anzupassen. Dazu wird ihr Tornister und Schultüte in die Hand gedrückt, dazu wird sie in Ar- meeuniformen gesteckt. Sie muß als Lehrling malochen oder wird ar- beitslos auf der Straße liegengelassen.

Auch wenn die Jugend keine einheitliche Gruppe ist, so hat sie doch - mal abgesehen von den wenigen Söhnchen und Töchterchen schwerreicher Eltern - gemeinsame Interessen: gegen Arbeitslosigkeit, gegen Schul- terror, gegen Imperialismus und Faschismus. Die THING berichtet daher

103

über Betrieb und Gewerkschaft, über Jugendzentren, über Schule, über Repression, Einschränkung demokratischer Rechte und Schülerzeitungs- verbote, über Sexualität, über Kultur wie Filme, Bücher, Musik etc. Frauen, Anti-AKW-Bewegung, Faschismus, über die Situation in anderen Ländern und über die Lust am Leben (weiteres s. Register).

Die THING als SOZIALISTISCHE JUGENDZEITSCHRIFT ergreift Partei für Jugendliche, jedoch auch für die unterdrückten Frauen, die ausländi- schen Arbeitskräfte und für die Arbeiterbewegung. Weil die THING weiß, daß die Jugend alleine wenig verändern kann, steht sie Seite an Sei- te mit den Kolleginnen und Kollegen, die die Macht haben, den Unter- nehmern ganz schön Feuer unterm Arsch zu machen. Um wirksam kämpfen

zu können, brauchen wir alle eine Menge an Informationen und Tips, brauchen wir die gemeinsame Diskussion um das "Wohin" und "Wie".

Die THING - SOZIALISTISCHE JUGENDZEITSCHRIFT steht eindeutig links von Sozialdemokratie und Stalinismus (Stalinismus verstanden als DKP, KPD, KPD/ML, KBW und den anderen maoistischen Sekten). Sie versucht, die Arbeitserfahrungen und inhaltlichen Vorstellungen verschiedener sozialistischer Jugendinitiativen in Betrieb, Schule und Jugendzen- tren etc. vorzustellen, zu diskutieren und zu koodinieren. Also Ju- gendgruppen aus dem Umfeld z.B. der Unorganisiertenbewegung, des So- zialistischen Büros (SB) und der Gruppe Internationaler Marxisten (GIM)/IV.Internationale. Ziel ist es, eine revolutionär-marxistische Strömung in der Jugendbewegung aufzubauen. Dabei spielen auch die Ju- gendlichen in den gewerkschaftlichen Jugendgruppen und den Jugendver- bänden wie SJD- die Falken, Naturfreunde-Jugend, BDP/BDJ, Schreber- jugend etc. eine wichtige Rolle.

Die THING - SOZIALISTISCHE JUGENDZEITSCHRIFT wird getragen von der Redaktion, vielen einzelnen Unterstützer/innen und den schon bestehen- den THING-Initiativen in einigen Städten Westdeutschlands. Weitere THING-Initiativen können und sollen gegründet werden. Und zwar über- all dort, wo ein Kreis von interessierten sozialistischen Jugendli- chen existiert. Die Diskussion um den weiteren organisatorischen und inhaltlichen Aufbau der THING ist noch nicht abgeschlossen. Zur Zeit wird über ein umfassenderes Jugend-Aktionsprogramm diskutiert. Dazu wird die Mitarbeit möglichst vieler benötigt.

Leben und Lieben - Kämpfen und Siegen!

© SOZIALARBEIT IN LATEINAMERIKA - Eine Dokumentation zur Geschichte - Theorie - Praxis, 237 Seiten mit Abbildungen.

Vorläufige Auflage (solange vorrätig) Schutzgebühr (einschl. Porto/ Verpackung) 7,-DM. Erhältlich gegen Vorkasse auf Postscheckkonto München Nr. 20547-808 AG SPAK, München

In dieser Dokumentation (die das Thema "Sozialarbeit" sehr weit faßt) wird eine Fülle von Originalmaterial z.T. erstmals in deutscher Spra- che veröffentlicht.

Im einführenden Teil werden verschiedene Ansätze zur Sozialarbeit vor- gestellt. In weiteren Kapiteln wird beschrieben, welchen Einfluß aus- ländische Organisationen/Institutionen, Parteien, Stiftungen etc. etc. auf die soziale Arbeit in Lateinamerika, und somit auf die sog. "Randgruppen" nehmen will und nimmt. Deutlich wird, daß es sich hier- bei um eine gewollte und gezielte Einmischung handelt.

104

Beschrieben wird: "Die Allianz für den Fortschritt", "Sozialforschung/

Sozialspionage", "Teufelskreis der Armut","Funktion von Selbsthilfe-

gruppen". Anhand wichtiger "Hilfsprogramme" wird dargestellt, welche

Interessen und politische Vorstellungen hinter solch angeblich

"menschenfreundlichen' Programmen stehen - wie:

- den Programmen der Geburtenkontrolle

- dem Institut für Internationale Solidarität (ISI) der Konrad-Ade- nauer-Stiftung (CDU)

- der Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD)

und viele mehr .....

Praxisbeispiele zeigen auf, (Elendsviertelarbeit, Bauernarbeit, India-

nerarbeit)wie solche Arbeit angelegt ist, wie die Bevölkerung manipu-

liert werden soll. Nach Kenntnis dieser Praxis wird verständlicher,

warum das gängige Motto "Hilfe zur Selbsthilfe" oftmals eine sehr ge-

fährliche Worthülse ist, die die manipulierende Arbeit "weißwaschen"

soll.

Weiter wird es für uns hier sicherlich interessant sein zu erfahren,

wie die Betroffenen diese ganze Arbeit sehen, welche Vorstellungen

engagierte Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Basisarbeiter, Mit-

arbeiter von Erwachsenenbildungsgruppen in Lateinamerika entwickelt

haben.

Es wird deutlich dargestellt, was es in Theorie und Praxis heißt, wenn

man sagt "solidarisieren - nicht integrieren!",

Wichtige Beispiele für Ansätze einer solidarischen Arbeit mit den Un-

terdrückten (u.a. im Sinne der bewußtseinsbildenden Arbeit von Paulo

Freire) beenden diese Dokumentation.

Das Buch ist eine wertvolle Hilfe für Sozialrbeiter, Pädagogen, Mit-

arbeiter der Erwachsenenbildung, Mitarbeiter von 3.-Welt-Gruppen, po

litisch Interessiserte an Fragen von Bürgerinitiativarbeit, Selbst-

hilfegruppen, Basisarbeit, Kulturarbeit, engagierte Sozialwissen-

schaftler, Mitarbeiter in Projekten der alternativen Bildung und Er-

ziehung, etc.

© STELLUNGNAHME DES ARBEITSKREISES "JUGENDBERATUNG DÜSSELDORF" ZU DEM VOM BUNDESTAG VERABSCHIEDETEN JUGENDHILFERECHT

Der Arbeitskreis Jugendberatung hat sich gebildet, um die Zusammen- arbeit der verschiedenen Beratungsdienste in Düsseldorf die mit Ju- gendlichen arbeiten, zu verbessern und spezielle Probleme der Jugend- beratung zu besprechen.

Der Arbeitskreis setzt sich zusammen aus einzelnen Mitarbeitern ver- schiedener Düsseldorfer Beratungsstellen und zwar der folgenden: Beratungsstelle für alkoholgefährdete und -abhängige Jugendliche, ECD; Beratungsstelle für Jugendliche, SKF; Drogenberatungsstelle; Erzie- hungsberatungsstelle Eller, AWO; Erziehungsberatungsstelle Listerstr., AWO; Institut für Lebens- und Sexualberatung, Jugendberatung, AWO; Kinder- und Jugendpsychiatrischer Dienst; Schwangerschaftskonflikt- beratungsstelle, AWO; Sozialmedizinische Beratungsstelle.

In dem Arbeitskreis haben wir uns mit den Auswirkungen der Jugend- hilferecht-Reform auf die Beratungstätigkeit beschäftigt und zu ei- nigen Aspekten des am 23.5.1980 vom Bundestag verabschiedeten Jugend- hilferechts eine Stellungnahme erarbeitet:

1) zu $ 24 Jugendberatung

105

Wir begrüßen, daß in der verabschiedeten Fassung des $ 24 den Erfor- dernissen der Praxis endlich Rechnung getragen wird, indem gesetzlich geregelt wird:

"Der Ratsuchende ist befugt, seine Identität geheimzuhalten.'"

In unserer Beratungsarbeit mit Jugendlichen zeigt sich tagtäglich, daß ohne die Möglichkeit dem Jugendlichen das Recht auf Anonymität, seinen Namen nicht zu nennen, zusichern zu können, in vielen Fällen ein für die Beratung unerläßliches Vertrauensverhältnis nicht zustan- de kommen würde. Eine noch größere Zahl von Jugendlichen, die der Be- ratung und Hilfe oft dringend bedürfen, würde ohne dieses Recht ihre Identität geheimzuhalten, den Weg in die Beratungsstelle erst gar- nicht finden.

2) zu $7: Freiwilligkeit, Antragsrecht

In den verabschiedeten Jugendhilferecht heißt es:

"Die Inanspruchnahme von Leistungen der Jugendhilfe ist grundsätzlich freiwillig. Hilfen zur Erziehung ... sowie die Beratung nach den $$ 24, 30, 40 dürfen einem Minderjährigen nur mit vorheriger Zustimmung des Personensorgeberechtigten erbracht werden; ... Wenn und so lange der mit der Beratung bezweckte Erfolg gefährdet würde und dadurch ein schwerwiegender Nachteil für das Wohl des Minderjährigen zu besorgen wäre, kann ausnahmsweise auf die Einholung der Zustimmung verzichtet werden."

Wir sehen in der vorliegenden Formulierung zur Zustimmungspflicht der Personensorgeberechtigten zwar insofern eine Verbesserung gegenüber dem bisherigen Regierungsentwurf als ein größerer Ermessungsspiel- raum erhalten bleibt, in dem das Wohl des Minderjährigen und der be- zweckte Erfolg der Beratung Berücksichtung finden soll. Unsere Er- fahrungen und unserer Meinung nach reicht diese Verbesserung aber nicht aus.

Vielfach kommen Jugendliche mit ganz persönlich eigenen Problemen, von denen die Eltern nichts wissen, über die sie gerade mit ihren El- tern nicht reden können und sie wollen nicht, daß ihre Eltern "aus allen Wolken fallen". Die Zustimmung der Eltern ist dann nicht pro- blematisch, wenn sie um die Probleme ihrer Kinder wissen, Problema- tisch wird sie, wenn die Beziehung zwischen Eltern und Jugendlichen so ist, daß die Jugendlichen sich ihren Eltern nicht anvertrauen mögen.

In diesen Fällen können die Jugendlichen nicht damit einverstanden sein, daß ihre Eltern vorab informiert und um "grünes Licht" für die Beratung gebeten werden sollen.Als Folge werden sie dann eine Bera- tung nicht in Anspruch nehmen können.

Was in $ 7 JHG als Ausnahme formuliert wird, wird so in unserer Bera- tungstätigkeit zur Regel, daß nämlich die Zustimmung der Personensor- geberechtigten nicht eingeholt werden kann. Bei den Problematiken,

wo es erforderlich ist, wird von uns selbstverständlich eine Zusam- menarbeit mit Jugendlich und Eltern angestrebt und schließlich viel- fach geleistet, auch wenn dies dem Jugendlichen anfangs unmöglich er- scheint. Nur dem Aufbau eines tragfähigen Vertrauensverhältnisses, das Voraussetzung für eine erfolgreiche Beratung ist, zwischen dem Jugend- lichen, der Hilfe braucht und dem Berater sollte Vorrang eingeräumt werden.

Aufgrund unserer Erfahrungen ist dafür erforderlich, dem Jugendlichen das Recht einzuräumen, selbst zu entscheiden, ob die Eltern infor-

106

miert oder gefragt werden sollen und zu welchem Zeitpunkt er dies für möglich hält.

Unserer Meinung nach wird durch den vorliegenden $ 7 erneut eine Rechtsunsicherheit aufgebaut für die Jugendlichen, die der Hilfe und Unterstützung bedürfen, daß man zwar anonym bleiben darf und ausnahms- weise auch auf die Zustimmung der Eltern verzichtet werden kann, daß in der Regel jedoch die Eltern vorab einer Beratung zustimmen müssen und sie ansonsten wieder heimgeschickt werden können/müssen.

Da sich so etwas herumspricht unter den Jugendlichen, werden neue Schwellenängste aufgebaut und letztlich die Möglichkeit beratend frühzeitig zu helfen, verringert und eingeschränkt.

Es entsteht aber auch Rechtsunsicherheit für den Berater, in jedem Einzelfall, praktisch von Gespräch zu Gespräch immer wieder zu ent- scheiden, ob das Wohl des Minderjährigen so schwerwiegend gefährdet ist, daß er seiner Pflicht die Zustimmung der Eltern einzuholen, nicht nachkommen kann. Und wieweit darf der Berater, dürfen die Beratungs- stellen Jugendlichen Anonymität und Vertraulichkeit in der Behand- lung ihrer Probleme zusichern oder muß in Zukunft gesagt werden: "Mit Problemen könnt ihr jederzeit zu uns kommen, aber vergeßt die Einverständniserklärung eurer Eltern nicht?"

Die Zustimmungspflicht der Personenberechtigten darf u.E. nicht zur allgemeinen Voraussetzung für die Beratung von Jugendlichen gemacht werden. Wir fordern deshalb die Verantwortlichen auf, in den noch laufenden Vermittlungsausschuß den $ 7 entsprechend zu ändern.

© SPIELZEUGLADEN UND KINDERZENTRUM

Seit Ende 79 gibt es"Die Druckerei‘! Im Wesentlichen machen wir 'Kin- derarbeit', bieten aber auch vereinzelt Erwachsenenkurse an. Die Druckerei besteht aus drei Teilen:

- Erstens ein Kinderbuchladen,in dem ausgesuchte Bücher, Zeitschrif- ten, Schallplatten und dergleichen vorgestellt und verkauft werden. Kinder, die Lust haben, können auch kommen und die Bücher im Laden lesen. Der Buchladen wird hauptberuflich von Peter und Ilona gemacht. - Zweitens ein Spielzeugladen. Dieser Laden ist von 7 Leuten aufge- baut worden . Keiner von ihnen lebt durch den Laden, sondern arbei- tet (bzw. studiert) in seinem Beruf weiter.

Die Besonderheit des Spielzeugladens liegt darin, daß sowohl Kinder- gruppen nach vorheriger Anmeldung, wie auch die Kinder der Umgebung - von der Straße zu uns kommen können (und das auch vielfach tun), um das Spielzeug auszuprobieren: für viele Kinder sind wir das all- tägliche Kinder- und Spielzimmer.

- Drittens das "Freie Kinder- und Stadtteilzentrum e.V."

Der Verein verfügt über eine Töpferei und eine kleine Tischlerwerk- statt. Im Ausbau bzw. in der Planung befinden sich eine Kinderdrucke- rei und ein Fotolabor.

Beide Läden (Buch und Spielzeug) sind Fördermitglieder des Vereins, der darüber hinaus von einzelnen Personen getragen wird. Die Vereins- arbeit basiert auf ehrenamtlicher Mitarbeit.

Unser Arbeitsansatz ergibt sich wesentlich aus den Bedingungen des Stadtteils. D.h. viele sog. randständige Kinder und Jugendliche, Kin- der ausländischer Arbeiterfamilien, schlechteste Wohnbedingungen, un- genügend und unzureichende Einrichtungen für die über 1000 Kinder des

107

Stadtteils. Erster Grundsatz für uns alle ist selbstorganisierte Kultur- und Frei- zeitarbeit zu fördern bzw. zu organisieren. Wesentlicher Punkt ist in diesem Zusammenhang eben der Spielzeugladen. Es ist sozusagen unsere Kontakt- und Motivationsstelle, über die wir den Zugang zu den Kin- dern finden.

Neben diesem Freispielangebot als Alternative zum steinummauerten Großstadtverkehr ist das Arbeiten an stadtteil- und lebensform - bedingten Problemen ein weiteres Aktivitätsfeld für uns. Probleme als solche überhaupt erst einmal sicht- und erfahrbar zu machen - um

dann in weiteren Tätigkeiten die Probleme auch vermittelbar - und als längerfristiges Ziel - auch veränderbar zu machen.

Aus diesem Anliegen heraus haben wir die Kursangebote und Veranstal- tungsreihe aufgebaut (bzw. sind in Planung). Z.B.: Fotokurs mit dem Ziel der Erstellung einer Stadtteilwanderausstellung in der zum ei- nen eine Kindergruppe ihren Stadtteil aus ihrer Sicht darstellt sowie eine Frauengruppe die ihre Probleme öffentlich machen kann. Außerdem planen wir eine Kinderzeitung die von Kindern für Kinder gemacht wer- den soll; hier greifen wir auf den Freinet Ansatz zurück. Ebenfalls stehen unsere Mal- und Fotokurse im direkten Zusammenhang mit der

Zeitungsarbeit.

Eine weitere Arbeit sind Veranstaltungen, die zum einen einfach Spaß machen sollen (Stadtteilfest, Theater, etc.) die aber auch Probleme aktualisieren sollen (Ausstellung gegen Kriegsspielzeug, gegen Um

weltzerstörung, etc.). Aus diesen Veranstaltungen heraus können dann wiederum Kurse abgelei-

tet werden; so z.B. eine Theatergruppe nach den Ansätzen der opera- tiven Medienarbeit (Prolet-Kult, Tretjakow).

Bisher wird unsere Arbeit wesentlich aus privaten Geldspenden sowie

aus Sachspenden unserer Läden und z.T. aus behördlichen Einzelzuwen- dungen gedeckt. Unsere bitte an Euch: wir sind an Anregungen, Erfah- rungsberichten uns ständigem Austausch von Informationen interessiert

Schreibt uns also, oder kommt einfach vorbei.

Im übrigen wollen wir noch mal die Lehrer, Erzieher und Sozialarbei- ter auf unseren Spielzeugladen (in dem wir auch Bastelmaterialien führen) und unseren Buchladen hinweisen: damit habt ihr die Möglich- keit (über Einkauf) unsere Arbeit zu unterstützen. Außerhalb Hamburgs arbeitenden Initiativen können wir auch unsere Angebote zuschicken. Adresse: Die Druckerei, Schanzenstraße 59, 2000 Hamburg 6,

Tel.: 4396832.

© FRAUENSELBSTVERLAG "Ein Mädchen ist fast so gut wie ein Junge", Dagmar Schultz, (Hrsg.)

Sexismus in der Erziehung, Band 1: Interviews - Berichte - Analysen, 436 Seiten, DM 19,50

Band 2: Schülerinnen und Pädagoginnen berichten, 334 Seiten, illu- striert, DM 14,80.

Das Buch belegt, daß die Koedukation, eine äußere Veränderung der letzten Jahre im Schulbereich, bisher keine innere Veränderung mit sich gebracht hat. Mädchen werden durch die Kultur, ihre Riten und -

108

in unserer Gesellschaft insbesondere - mittels der Massenmedien auf psychische und sexuelle Unterwerfung hin erzogen. Zu dieser Soziali- sation trägt die Schule entscheidend bei, indem sie nichts tut, um diese Situation zu verändern. Mädchen und Jungen werden in der Schu- le weiterhin auf unterschiedliche Eigenschaften und Tätigkeiten hin trainiert. Besonders wichtig ist die Darstellung des in anderen Un- tersuchyngen ausgesparten Bereiche der Sexualität zwischen Lehrer- (inne)n und Schüler(inne)n, sowie die Analyse der Arbeitssituation

von Lehrerinnen.

Für den zweiten Band zum Thema "Sexismus in der Erziehung" hat Dag- mar Schultz Gedanken und Erfahrungen von Schülerinnen und Lehrerin- nen zu diesem Thema zusammengestellt.

"Schülerinnen über sich" - hier schreiben Schülerinnen zwischen 13 und 19, wie sie ihre Situation in der Schule, im Freizeitbereich und zu Hause erleben. Das Erleben geht von sprachlicher Verweigerung über Isolation und Selbstreflektion bis zur Umsetzung des Bewußt-Seins in Aktivitäten. Dabei kann "Aktivität" bedeuten: einen eigenen, oft unbe- quemen Weg gehen, sich mit anderen zusammenschließen, um sich gemein- sam gegen die Diskriminierung von Mädchen zu wehren, bis hin zur mas- siven Kritik an Erwachsenen. Die Beiträge kommen aus ländlichen Ge- genden und Großstädten, sind Träume, phantastische Geschichten und Aktionsberichte und werden von Kerstin Köhntopp (15) illustriert. Schließlich beschreibt ein Junge, was es für ihn bedeutet hat, sexi- stisch erzogen aufzuwachsen.

"Berichte von Lehrerinnen, Dozentinnen und Erzieherinnen" - Lehrerin- nen geben ihre Erfahrungen mit Themen über Frauen und Frauenbefrei- ung im Unterricht verschiedener Schulen und Schulstufen wieder. Hil- de Schramm, Dozentin an der Freien Universität Berlin, analysiert die Widerstände von Mädchen und Jungen bei der Behandlung solcher Themen und Ulrike Edschmid, Grundschullehrerin und Autorin des Mädchenbu- ches Ich bin ein faules Lenchen - Du auch? schreibt über ihre Gedan- ken zu der Frage "Was heißt Feminismus in der Schule?". In Spielen und Filmprojekten versucht Ulrike Pohl, Filmemacherin und Mitarbei- terin in einem Modellversuch von Künstlern und Schülern, Hauptschü- lerinnen zu ermutigen, sich positiv wahrzunehmen und durchzusetzen. Erzieherinnen vermitteln die Schwierigkeiten und Erfolge ihrer Arbeit mit Mädchen in Jugendfreizeitheimen und Dozentinnen und Lehrerinnen berichten über women's studies in der Lehrerausbildung und -fortbil- dung. Im Anhang sind Unterrichtsvorschläge und Hinweise auf Unter- richtsmaterialien und Filme. Die Analyse der Situation von Mädchen

in der Schule aus Band 1 wird in diesem 2. Band durch die lebendigen Berichte aus dem persönlichen Alltag von Schülerinnen und dem beruf- lichen von Lehrerinnen vervollständigt.

Band 1 und Band 2 sind zu bestellen bei: Frauenbuchvertrieb,Mehring- damm 34, 1000 Berlin 61

© TERMINE DER AG SPAK

2612.80 = 641.81 Musik im Jugendzentrum, Instrumentenbau in Melle bei Bielefeld, An-

meldung: T. Heilmann, Uelzenerstr. 10, 3111 Suhlendorf, Tel. 05820/ 638

Neue Adresse der AG SPAK: Reifenstuelstr. 8, 8 München 5, Tel. 089/

7754 20 109

© JUGENDHOF IM BESSUNGER FORST e.V.

Die Auseinandersetzungen um die Aberkennung des Jugendhofes als Zivil- dienststelle sind abgeschlossen. Am 4.6.80 besuchte der Bundesbeauf- tragte für den Zivildienst, Hans Iven, u.a. zusammen mit der Bundes- tagsabgeordneten Helga Timm, der Landtagsabgeordneten Christel Traut- mann, Kirchenrat Eitel und Stadtrat Benz den Jugendhof um "Friedens- verhandlungen'" mit uns zu führen.

Wie erinnerlich war aufgrund von Vorwürfen eines Mitarbeitbers des Bundesamtes für den Zivildienst (BAZ) gegenüber dem Jugendhof beab- sichtigt,die Zivildienstleistenden zu versetzen und den Jugendhof als Zivildienststelle abzuerkennen. Nachdem dies öffentlich bekannt wur- de, führte dies zu einer massiven Solidarisierung von Gästen, Jugend- verbänden und an einem demokratischen Zivildienst interessierten: 4500 Unterschriften gegen das Vorgehen des BAZ wurden gesam- melt. Unter anderen setzten sich der Hessische Jugendring, der Stadt- jugendring Darmstadt und viele Jugendverbände und Gruppen für den Erhalt dieser Zivildienststelle durch Briefe an den Bundesbeauftrag- ten für den Zivildienst ein. Die Darmstädter Tagespresse berichtete sehr ausführlich und solidarisch.

Diese Solidaritätsbewegung veranlaßte die Darmstädter Bundestagsab- geordnete Helga Timm, sich mit Nachdruck für den Jugendhof einzu- setzen.

In dem Gespräch mit dem Bundesbeauftragten wurde deutlich, daß von ihm auch eine selbstorganisierte Einrichtung, wie der Jugendhof, die sich durch starke Mitwirkungsmöglichkeiten der Zivildienstleistenden auszeichnet, im Prinzip akzeptiert wird.

So können nun in absehbarer Zeit wieder Zivildienstleistende im Ju- gendhof ihren Dienst ableisten.

Wir danken hiermit allen, die mit ihrem Engagement diesen Erfolg möglich gemacht haben.

© ERFOLG UND FORDERUNGEN

Vom Juli 1978 bis März 1980 haben 33 "Honorarkräfte" aus 5 Kinder- und Jugendeinrichtungen der Stadt Offenbach gegen ihren freien Mit- arbeiterstatus auf ein Arbeitsverhältnis geklagt.

Am 6.11.79 wurde vor dem Landesarbeitsgericht in Frankfurt das ent- scheidende positive Urteil gefällt. Im Mai 80 bekamen die klagenden Mitarbeiter erste Nachzahlungen, vor kurzen legte die Stadt die er- sten Verträge vor, die jedoch wegen der unzulässigen BAT-Einstufung nach BAT VIIL/VII bzw. IX/VIII nicht unterschrieben wurden.

Wir fordern BAT Vb für alle im Gruppendienst tätigen Mitarbeiter ab sofort! - Wir werden dies notfalls gerichtlich einklagen!

Ein weiterer Erfolg ist für uns die Bezahlung der Ferienfreizeiten. Pro Tag: 8 Stunden BAT-Vergütung und 35 DM Überstundenpauschale. Neben den Honorarkräften griffen auch immer mehr die hauptamtlichen Kräfte, die Eltern, Kinder und Jugendlichen mit in die Diskussion ein.

Am 27.3.80 demonstrierten 400 Kinder, Jugendliche, Eltern und Betreuer auf den Straßen Offenbachs und im Parlament für mindestens 20 Plan- stellen zur Aufrechterhaltung der Kinder- und Jugendarbeit.

Unter dem Druck der Straße gelang es, den von der CDU-Mehrheitsfrak- tion gestellten Antrag auf nur 1,5 Stellen abzuwimmmeln und den

Punkt zu vertagen. Doch am 26.Juni 80 setzte die Stadt ihre Verzöge- rungstaktik fort und vertagte erneut; und zwar auf den 31.3.81. Nach den Berechnungen der Arbeitsgruppe Alten- und Jugenplan des Jugend-

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amtes sind 32 Planstellen notwendig, um die bisher von "Honorarkräf- ten" geleistete Arbeit zu bewerkstelligen. Der Jugendwohlfahrtsaus- schuß der Stadt Offenbach hatte dem bereits zugestimmt.

Zur Aufrechterhaltung des Club 32 werden zwei zusätzliche Stellen für Sozialarbeiter benötigt, aus diesem Grunde lautet unsere Forde-

rung jetzt: 34 Planstellen zur Aufrechterhaltung der offenen Kinder- und Jugendarbeit in Offenbach.

Eine Dokumentation über Sen "Offenbacher Honorarkräfteprozeß" ist für 5,- DM erhältlich bei

Stadtjugendring Offenbach Bismarckstr. 135 6050 Offenbach, Tel. 0611/8065-2958

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NEUERSCHEINUNG:

Freiheit + Gleichheit

Streitschrift für Demokratie und Menschenrecht

Mit dieser Streitschrift sollen Geschichte und Gegenwart der Bundesrepublik im Spiegel der Menschenrechte als unmittelbar geltende Normen gezeigt werden. Die gewordene Wirklichkeit der Menschenrechte aufzuspüren heißt aber, sie in den ver- schiedenen gesellschaftlichen Gruppen aufzusuchen, sprich: bei den Majoritäten und Minoritäten der Bundesrepublik. Die Gefährdung der Grund- und Menschen- rechte hat viele Dimensionen, vom Betrieb bis zur Polizei, vom 'Atomstaat’ bis zur Friedensfrage, von der Meinungsfreiheit bis zu den Berufsverboten, von den zahl- reichen 'Minderheiten’ (Alte, Kinder, Strafgefangene, Obdachlose, Homosexuelle, Ausländer, Zigeuner ...) bis zur längst nicht verwirklichten Gleichberechtigung der Frau.

Das Heft 2 der Streitschrift "Freiheit + Gleichheit” (Oktober 1980) bringt u.a. folgen- de Beiträge @ Roland Narr: Kinder und ihre halberwachsenen Rechte @ Christine Morgenroth: Arbeitslosigkeit ist grundgesetzwidrig ® Hannelore Narr: Altsein im gesellschaftlichen Abseits @ Peter Schlotter: Politik der Angst Rüstung und Ab- rüstung ® Joachim Hirsch: Der neue Leviathan oder der Kampf um demokratische Rechte ®© Roland Roth: Bürgerinitiativen und Sicherheitsstaat @ Dorothee Sölle: Menschenrechte in Lateinamerika @ Bernhard Blanke: Schutz der Verfassung durch Spaltung der Demokratie? @ Arbeitsgruppe: Berufsverbote 1979/80 @ Wolf-Dieter Narr: Verfassungsschutz Ein Lauschangriff und die Folgen @ Christoph Nix: Straf- vollzug in hessischen Haftanstalten.

Im Heft 1 (Dezember 1979, aber noch immer aktuell) sind u.a. folgende Beiträge enthalten @ Wolf-Dieter Narr/Klaus Vack: Menschenrechte, Bürgerrechte, aller Rechte ®@ D. Helmut Gollwitzer: Der Kampf für Menschenrechte heute noch zeit- gemäß? @ Ute Gerhard/Eva Senghaas-Knobloch: Was heißt Gleichberechtigung ? @ Wolfgang Däubler: Menschenrechte im Betrieb @ Rüdiger Lautmann: Homo- sexuelle als Indiz @ Klaus Horn: Medizinische Versorgung und Menschenrechte ® Helmut Ortner: Wer bestraft wird, verliert sein Bürgerrecht ®@ Hans Heinz Heldmann: Unsere ausländischen 'Mitbürger’ @ Ingeborg Drewitz: Die Vergangenheit liegt nicht hinter uns @ Thomas Blanke: Der 'innere Feind’ in der Geschichte der BRD @ Al- brecht Funk: Welche Sicherheit schützt die Polizei? @ Ulrich Albrecht: Soldaten und Demokraten eine bleibende Differenz? @ Mechthild Düsing/Uwe Wesel: Die Feste der freien Advokatur wird gestürmt.

Je Heft 130 Seiten, Magazinformat, fester Umschlag, DM 10,--.

Herausgeber und Bezugsadresse: Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., An der Gasse 1, 6121 Sensbachtal (gegen Vorauszahlung; Scheck, Briefmarken, Bargeld o.ä. beilegen).

Seit über einem Jahrzehnt erscheinen im Verlag 2000 des Sozialistischen Büros Bro- schüren, insbesondere für die verschiede - nen Arbeitsfelder. Dieses Programm wird jetzt durch eine breit konzipierte Taschen-

buchreihe ergänzt. IF >

[ur konkreten Utopie

‘der geselsie Verlag 2000 Ar beit

Band 1: Zur konkreten Utopie gesellschaftlicher Arbeit

Beiträge zur Arbeitstagung im An- schluß an die ersten Ernst-Bloch-Tage 1979 160 Seiten, DM 10,-- Läßt sich eine konkrete Utopie der gesell- schaftlichen, und das heißt auch der indu- striellen Arbeit entwickeln? Mit dieser The- matik wurde an die Bloch-Tage '78 zum

Thema “Marxismus und Naturbeherrschung”’

angeknüpft, deren Ergebnisse ebenfalls im Verlag 2000 veröffentlicht wurden und in

der 3. Aufl. für DM 10,-- vorliegen.

Sozialisten bearbeiten ihre politische Sozialisation 1 A E %

Band 2:Erfahrungen Sozialisten bearbeiten ihre politische Sozialisation Hrsg. von G.Koch, und V.Brandes

Mit Beiträgen von H. Stubenrauch, H. Obenland, S. Tesch, H. Mühleisen u.a. Das Wort von der Krise der Linken macht die Runde. Zeit also, eine Bestandsaufnah- me zu versuchen und sich mit den eigenen Erfahrungen auseinanderzusetzen.

Demnächst erscheinen:

Band 3: Ellen Diederich

“Und eines Tages merkte ich, ich war nicht mehr ich selber, ich war mein Mann”

Eine politische Autobiographie

Band 4:Teufel, Teufel! Trau keiner Stunde über 35!

Ein Stück der Mobilen Rhein-Main-Theater GmbH zum Kampf um die 35-Stunden-Wo- che. Theater, Lieder, Film und Video im Ar- beitskampf. 152 Seiten, DM 9,--

Bitte Verlagsverzeichnis anfordern! Alle Ti- tel sind im linken Buchhandel erhältlich, können jedoch auch gegen Vorauszahlung direkt bezogen werden bei: Verlag 2000, Postfach 591, 6050 Offenbach 4

links

Sozialistische Zeitung

bringt monatlich auf etwa 32 Seiten Informationen und Anregun- gen für die politische Arbeit, Beiträge zur sozialistischen Theo- rie und Strategie, Berichte aus der Linken international. „links“ ist illusionslos, undogmatisch eine Zeitung für Theorie der Praxis und für Praxis der Theorie.

Einzelpreis DM 2,—. Bezugspreis, jährlich, DM 23,— + DM 7,— Versandkosten

CXDICS

Zeitung für BET, etriebs- und ! Gewerkschaftsarbeit

Sprachrohr der Kollegen und Genossen, die sozialistische Be- triebs- und Gewerkschaftsarbeit machen. Informationen über die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit. Beiträge, die man nicht in den Gewerkschaftszeitungen findet.

Einzelpreis DM 1,50 Bezugspreis, jährlich, DM 18,— + DM 7,— Versandkosten

Probeexemplare anfordern bzw. Abonnementsbestellung bei Verlag 2000 GmbH, Postfach 591, 605 Offenbach 4.

Der Tütengesang (nach: Freude schöner Götterfunken)

Es ist seltsam mit dem Alter: Wenn man 15 und noch Kind,

weiß man glasklar, daß das Alter so um 20 rum beginnt. Ist man selber 20 Jahre, denkt man nicht mehr ganz so steif, glaubt jedoch so um die 30 sei man für den Sperrmüll reif.

30iger schon etwas reifer und vom Lebenskampf geprägt

haben den Beginn des Alters auf Punkt 40 festgelegt. 40er mit Hang zum Grübeln sagen dumpf wie ein Fagott 50 sei die Altersgrenze und von da an sei man Schrott.

Doch die 50iger, die Klugen, denken überhaupt nicht dran, jung sind alle, die noch lachen, Alter fängt mit 60 an. 60 Jahre klug und weise, auf die 70 hofft man still, und bei 80 spricht man leise: „Ich werd 90, so Gott will.“

Unser Herrgott hat der Lisel noch 10 weitre Jahr geschenkt,

hat mit seinem reichen Segen ihrer Füße Schritt gelenkt, daß die 100 sie erreichte hier auf unserm Erdenball. Freudig wir ihr gratulieren mit ‘nem lauten Tütenknall.