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Dieser Informationsdienst Sozialarbeit wird im Sozialistischen Biiro von Gruppen, die im Sozialisationsbereich arbeiten, herausgegeben. Der Info dient der Kommů- nikation und Kooperation von Genossen, die mit sozialistischem Anspruch im Feld der sozialen Arbeit tätig sind.

Der Informationsdienst Sozialarbeit, Heft 26, erscheint gleichzeitig als Informa- tionsdienst Gesundheitswesen, Heft 18. Damit erscheint erstmals der Informations- dienst cines Arbeitsfeldes gleichzeitig als Informationsdienst eines anderen Arbeits- feldes. Die vom Arbeitsfeld Gesundheitswesen behandelte Thematik der psycho- sozialen Versorgung ist für im Sozialbereich Tätige ebenso von Bedeutung wie für die im Gesundheitswesen Tätigen, so daß eine derartige Erscheinungsweise nicht nur jetzt sinnvoll und gerechtfertigt erscheint, sondern zukünftig auch zu einer engeren Zusammenarbeit der verschiedenen Arbeitsfelder führen kann.

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Sozialistisches Büro Postfach 591, Ludwigstr.33, 605 Offenbach 4

Verlag 2000 GmbH, Offenbach November 1980, 3000 Exemplare Alle Rechte bei dem Herausgeber

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Koordinationsrat des Arbeitsfeldes Gesundheitswesen/ Redaktion Info Sozialarbeit

Giinter Pabst, Offenbach hbo-druck, Einhausen

0170 - 2688 3-88534-017-8

“Aufbruch”, aus Johannes Grützke, Misch Du Dich nicht auch noch ein, Verlag Zweitausendundeins

Prospekt Juventa Verlag e Flugblatt Russell-Tribunal iiber die Rechte der Indianer e Flugblatt des SSK ө Prospekt “Neu im Verlag 2000” e Bestelliste “Broschüren des SB - Winter 1980/81” e Material der Sozialhilfe-Aktion ө Prospekt “Zwischenténe”

Fur unsere

Genossin Kathe Barwald,

die seit Jahren die Informationsdienste der Arbeitsfelder geschrieben hat und unerwartet am 21.10.1980 im Alter von 59 Jahren gestorben ist.

Kathe hatte in den letzten Jahren ein schweres Asthmaleiden, aber sie hat mit starkem Willen gegen die Krankheit ge- kämpft und war auch an schwierigen Tagen eine gute und engagierte Kollegin.

INFO GESUNDHEITSWESEN, HEFT 18/19

KRITIK DER PSYCHOSOZIALEN VERSORGUNG

INFO SOZIALARBEIT, HEFT 26

NEUERSCHEINUNG:

Freiheit + Gleichheit

Streitschrift für Demokratie und Menschenrecht

Mit dieser Streitschrift sollen Geschichte und Gegenwart der Bundesrepublik im Spiegel der Menschenrechte als unmittelbar geltende Normen gezeigt werden. Die gewordene Wirklichkeit der Menschenrechte aufzuspüren heißt aber, sie in den ver- schiedenen gesellschaftlichen Gruppen aufzusuchen, sprich: bei den Majoritäten und Minoritäten der Bundesrepublik. Die Gefährdung der Grund- und Menschen- rechte hat viele Dimensionen, vom Betrieb bis zur Polizei, vom 'Atomstaat’ bis zur Friedensfrage, von der Meinungsfreiheit bis zu den Berufsverboten, von den zahl- reichen 'Minderheiten’ (Alte, Kinder, Strafgefangene, Obdachlose, Homosexuelle, Ausländer, Zigeuner ...) bis zur längst nicht verwirklichten Gleichberechtigung der Frau.

Das Heft 2 der Streitschrift "Freiheit + Gleichheit” (Oktober 1980) bringt u.a. folgen- de Beiträge @ Roland Narr: Kinder und ihre halberwachsenen Rechte ® Christine Morgenroth: Arbeitslosigkeit ist grundgesetzwidrig @ Hannelore Narr: Altsein im gesellschaftlichen Abseits @ Peter Schlotter: Politik der Angst Rüstung und Ab- rüstung @ Joachim Hirsch: Der neue Leviathan oder der Kampf um demokratische Rechte @ Roland Roth: Bürgerinitiativen und Sicherheitsstaat © Dorothee Sölle: Menschenrechte in Lateinamerika @ Bernhard Blanke: Schutz der Verfassung durch Spaltung der Demokratie? @ Arbeitsgruppe: Berufsverbote 1979/80 @ Wolf-Dieter Narr: Verfassungsschutz Ein Lauschangriff und die Folgen @ Christoph Nix: Straf- vollzug in hessischen Haftanstalten.

Im Heft 1 (Dezember 1979, aber noch immer aktuell) sind u.a. folgende Beiträge enthalten @ Wolf-Dieter Narr/Klaus Vack: Menschenrechte, Bürgerrechte, aller Rechte @ D. Helmut Gollwitzer: Der Kampf für Menschenrechte heute noch zeit- gemäß? @ Ute Gerhard/Eva Senghaas-Knobloch: Was heißt Gleichberechtigung ? @ Wolfgang Däubler: Menschenrechte im Betrieb @ Rüdiger Lautmann: Homo- sexuelle als Indiz @ Klaus Horn: Medizinische Versorgung und Menschenrechte @ Helmut Ortner: Wer bestraft wird, verliert sein Bürgerrecht ® Hans Heinz Heldmann: Unsere ausländischen Mitbürger @ Ingeborg Drewitz: Die Vergangenheit liegt nicht hinter uns @ Thomas Blanke: Der 'innere Feind’ in der Geschichte der BRD @ Al- brecht Funk: Welche Sicherheit schützt die Polizei? @ Ulrich Albrecht: Soldaten und Demokraten eine bleibende Differenz ? @ Mechthild Düsing/Uwe Wesel: Die Feste der freien Advokatur wird gestürmt.

Je Heft 130 Seiten, Magazinformat, fester Umschlag, DM 10,--.

Herausgeber und Bezugsadresse: Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V., An der Gasse 1, 6121 Sensbachtal (gegen Vorauszahlung; Scheck, Briefmarken, Bargeld o.ä. beilegen).

& git йу, ole bringen dok nichts аб...

@ Pennerleben

© Jugend & Bundeswehr

® Lernen in Situationen

@ Ein Deutscher Verein

Ф Alkohol im Freizeitheim

@ Hierarcholie - das Erzieherspiel für versierte Professionelle

ө Mädchenfreundschaften

das ist eine Auswahl von Themen und Beiträgen, die dieses Jahr in päd.extra sozialarbeit erschienen.

Dazu hat jedes Heft einen aktuellen Zeitungsteil, ausführliche Besprechungen von neuen Büchern, Filmen, Dia-Serien und anderes mehr.

Zum Kennenlernen gibt es das Probierpaket: 4 fortlaufende Hefte päd.extra sozialarbeit und dazu

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bin ich unterrichtet.

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Prokla

пен б рона Zoe 39 Okologie, Technologie und Arbeiterbewegung

Editorial, Ökologiebewegung

und Arbeiterbewegung - ein

Widerspruch? / Harald Gla-

ser, Die ‘friedliche’ Nutzung

der Atomenergie als Beispiel

kapitalistischer Technologie-

entwicklung / Lutz Hieber, Ist

der naturwissenschaftlich-

technische Fortschritt noch

demokratisch kontrollier-

bar? / Christel Neusüß, Der

“freie Burger gegen den

Sozialstaat - Sozialstaats-

kritik von rechts und der

Alternativbewegung /

Roundtable-Gesprach, ‘Die

Arbeiter sind nicht bereit, sich

einem wahnwitzigen Arbeits- H

tempo zu unterwerfen, um oo

Autos zu produzieren, die von ~~

vornherein reif für den Müll

sind!’ / Thomas Hahn, Alter- E

nativen des ADGB in der Krise im Abo

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Geschichte der Gewerk-

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Sie befaßt sich mit den folgenden Themen:

© Editorial @ Solidaritätsfonds des SB Ө David Wittenberg: Ent- spannungspolitik e Dan Diner: Krise im Mittleren Osten Welt- krise @ Josef Esser u.a.: Entwicklungsperspektiven des "Modell Deutschland” ® Eva Matzanke u.a.: Datenschutz @ Klaus Horn: Strauß und die Emotionalisierung der Politik @ Joachim Hirsch: Proletariat adieu? @ Lothar Hack/Eckart Teschner Technische Intelligenz Meßdiener des Fortschritts @ Roland Roth: Bürger- initiativen @ Helmut Burgwinkel: Bei wem stimmt’s denn hier nicht? Anmerkungen zum Arbeitsfeld Schule @ Suso Lederle/ Reinhard Laux: Politische Arbeit im Gesundheitswesen @ Er- hard Wedekind/Renate Blum-Maurice: Beziehungsarbeit als Lohnarbeit @ Heide Erd-Küchler/lris Bergmiller: Frauen und Friede © Volkhard Brandes: SB-Sommerschule 1980 e Wolf- Dieter Narr/Klaus Vack: Form und Inhalt der Politik @ Andreas Buro: Verschlungene Pfade Lernprozesse und Emanzipation @ Volkhard Brandes: Für ein neues Politikverständnis

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INFORMATIONSDIENST SOZIALARBEIT

Schwerpunktthema

PSYCHO ` METHODEN IN DER SOZIALARBEIT

INHALT

Vorbemerkung

Die Anstalt: Gespräch mit Helmut Riiddenklau

Reinald Weiß Bemerkungen zum Doppelcharakter sogenannter Modellein-

richtungen in psychiatrischen Großkliniken

Rose Ostermann Erfahrungen und Erlebnisse in einem Übergangsheim

Interview mit K., der in einer Behindertenwerkstatt arbeitet

Roswitha Gebauer Werkstatt für Behinderte - Gefangenschaft anders

Friederike Rauschenberger Wohngruppenmodell in Marburg

A.Letz/U.Blanke/U.Tubbesing Erfahrungen aus einer, zur Psychiatrie alternativen Wohngemeinschaft in London Ein Interview

Christiane Heider Über ein Buch: La peste gagne la grand psy

Wilma Neuenhagen Psychosoziale Arbeitsgemeinschaften

Dietmar Roeschke Ist ein Suizident ein Dissident?

Rolf Schwendter 35 Thesen

Beschwerdezentren

Michelangelo Notarianni Zum Tode von Basaglia

A.Hofmann/G.Pabst/U.Stascheit Sozialhilfe-Aktion: 2.Runde

Termine und Materialien

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VORBEMERKUNG

In diesem Heft wird ein bestimmtes abweichendes Verhalten behandelt, das heute psychische Krankheit genannt wird. Die darunter gefaßten Abweichungen sind ganz unbestimmt und nirgends in Gesetzen oder Vorschriften festgelegt, wie etwa Raub oder Unzucht mit Kindern - 8 solche Abweichungen heißen kriminell. Dennoch werden von Ärzten gon kette wie schizophren, manisch-depressiv oder neurotisch mit den be kannten schwerwiegenden Folgen verhängt. Hingestellt wird das als Hilfe für einen Kranken. ;

Ein einfacher historischer Riickblick zeigt, daß der Umgang mit der Abweichung von sozial gefordertem Verhalten sich stark gewandelt hat. Noch vor wenigen Jahrhunderten hätte man vielleicht einen im А heutigen Sprachgebrauch psychotischen Menschen als Zauberer mit ho hen sozialen Ehrungen anerkannt.

Was im sozialen Verhalten Abweichung bedeutet, hängt von dem ab,

was als normal gilt. Dazu ist das Buch von N. Elias Der Prozess der Zivilisation lesenswert. Den besonderen Gesichtspunkt der TE. im Umgang mit denen, die heute psychisch krank heißen, hat M. Foucau in dem Buch Wahnsinn und Gesellschaft dargestellt. Zu der Vereinnah- mung von Gesundheit - auch psychischer - in die Kompetenz der pro- fessionellen Medizin I. Illich Die Enteignung der Gesundheit.

Wir dürfen nicht vergessen, daß die Ausgrenzung des Wahnsinns aus dem gesellschaftlichen Leben den Tod im KZ zur Folge hatte. Auch heu- te werden mit Psychopharmaka, mit hirnchirurgischen Eingriffen und den besonderen Haftbedingungen der Irrenhäuser Menschen zu Grunde gerichtet. Auch die sanfte Keule Psychotherapie will nur mit ihren Mitteln die Anpassung an herrschende Gewalt erzwingen.

DIE ANSTALT: GESPRACH MIT HELMUT RUDDENKLAU

Du warst in einer psychiatrischen Abteilung in der Bundesrepublik. Soweit ich weiß, ein oder zwei Monate? Drei.

: Wie kam das, daß du da rein kamst? Also warst du früher schon

einmal in so einer Anstalt, wie bist du da rein gekommen?

: Die Einweisung erfolgte auf Grund von Krankheitsgeschichten aus

der DDR, wo eine Einweisung war.

Wieviele Jahre liegen dazwischen, zwischen der Einweisung hier und der in der DDR?

Das sind neun Jahre.

Und was ging der Einweisung hier direkt voraus?

Die Einweisung erfolgte auf Grund meiner Eltern, nach denen an- geblich eine psychische Krankheit vorlag. Ich sollte laut Be- schluß an einer jahrelangen Geisteskrankheit leiden, einer endo- genen Psychose (Schizophrenie) und würde zunehmend angriffslustig gegen Eltern und Ärzte und würde wüste Drohungen ausstoßen.

Warst du bei dem Arzt vorher in Behandlung, oder hat er sich aus- schließlich auf die Angaben deiner Eltern gestützt?

Ich glaube, wie aus dem Beschluß hervorging, nur auf Angaben meiner Eltern, das ist meine persönliche Meinung.

Und die stützten sich wieder auf die Angaben der Ärzte in der DDR?

Ja, in Bezug auf die Krankheit. Wie war das dann, als du da hin kamst, ins Krankenhaus? Da kamst

du wahrscheinlich auf die Aufnahmestation, was ist da passiert? Aufnahmestation? Da war ein Arzt, der nicht lange Formalitäten machte, nur nach Namen usw. fragte; und ich fragte ihn dann, ob denn gleich Medikamente verordnet würden. Das verneinte er, was aber trotzdem kurz darauf gemacht wurde.

Hat er dich körperlich untersucht oder was?

Nein.

Ja, was hat er gesagt: Guten Tag?

Er hat nur den Namen aufgeschrieben, und damit war die Sache ge- tan.

Und was passierte dann? Ja dann war das übliche. Dann wurde mir ein Zimmer zugewiesen,

und dann war Abendbrot und dann Medikamentenverteilung, bei mir Haloperidol (im Westen Haldol).

Gab es irgendwelche Untersuchungen vorher?

Nein.

: Überhaupt keine? Und wurde dann eine Diagnose gestellt oder auch

noch nicht? Ich kann mich nicht mehr so genau erinnern, ich glaube ja, aber

davon weiß ich nichts. Und am nächsten Tag, wie war das so, also war es dann jeden Tag

dasselbe?

HUMANISIERUNG ОЕ

DES

Berichte * Konzepte * Alternativen

Arbeitsfeldmaterialien zum Sozial- und Gesundheitsbereich, Heft 9

: Waren die lange da oder so lange wie Du? : Nein, die waren sehr lang da.

Nein, die erste Nacht konnte ich iiberhaupt nicht schlafen; ja, und ich hatte mich sozusagen auf das Ganze schon eingestellt,

ich weiß nicht wie, aber ich war es und die nächsten Tage lief dann das Normale, was in einer Psychiatrischen Anstalt so läuft. Was ist normal? Viele Leute wissen ja nicht, was in einer solchen Anstalt normal ist und was nicht.

Das ist also Wecken.

Wann?

Sieben, sechs und dann Frühstück, Beschäftigungstherapie.

Was ist das? Was habt ihr da gemacht?

Das ist vor allen Dingen Handwerkliches, sie machen dann so hand- werkliche Sachen, Nadelarbeit.

Hast du denn auch so etwas gemacht?

Nach vierzehn Tagen dann ja, vierzehn Tage muß man drin bleiben. Drin, das heißt, man muß innerhalb der Station bleiben. Man kann schon einmal in die Beschäftigungstherapie gehen, ich selber war es aber nicht, und die ersten acht Tage war ich auf einer geschlos- senen Station.

Die du nicht verlassen darfst?

Nein.

Aber mit einem Pfleger?

Doch, nur mit auf den Spaziergang, sonst nicht. Und dann kam ich

auf eine offene Station.

: Wie sah das aus? : Wecken, Beschäftigungstherapie und dann Mittagessen. Ja, und nach-

mittags auch wieder Beschäftigungstherapie, abends wieder essen und dann gleich schlafen. Ja, und dann noch Beschäftigungen.

Was ist denn nun Beschäftigung?

: Auf der Station zum Beispiel Fernsehen sehen oder daß es das Üb-

liche, zum Beispiel Spielen gab, wie zum Beispiel im Altersheim, bestimmte Spiele.

Wieviel Leute wart ihr im Zimmer?

Drei.

Und was bekamen die anderen, auch dieselben Medikamente oder an- dere?

Nein, ich weiß nicht mehr so genau, aber zum Teil bekamen sie ähnliche Medikamente, das überschnitt sich mit mir.

Vor dem zweiten Tag, wie sah das mit Kontakt zu Ärzten aus, wur- den Medikamente geändert, oder wurde dann noch einmal eine Unter- suchung gemacht?

Ja, das habe ich vergessen und zwar war es nach drei, vier Tagen, ich weiß das auch nicht mehr so genau, da hatte ich schon eine ganz hohe Dosis Haloperidol eingenommen; das hat sich auf eine Gesichtsversteifung ausgewirkt, aufgrund derer ich nicht mehr richtig denken konnte. Da gingen mir Fähigkeiten, die ich irgend- wo einmal erworben hatte, abhanden, und ich konnte auch dem Arzt nicht mehr richtig darstellen, was gewesen war. Also, ich konnte es schon noch, ich habe es so gut wie möglich versucht. Dieser

setzte, weil er es irgendwie sah, die Dosis Haloperidol herab. Hat er also nur reduziert?

Ja, und dann sagte er sofort, daß nach 8 Wochen eine Verlängerung der Zwangseinweisung auf ein Jahr geschehen könne, das gehe dann automatisch. Ich fragte ihn vorsichtshalber, wie lange meine Be-

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handlung dauern würde. Da sagte er 6 - 8 Wochen. Dann haben wir uns unterhalten, wie das eben ist. Ja, dann hat er sich nicht mehr mit mir beschäftigt, mit dem Fall. Ach so, das wollte ich noch sagen, es gab natürlich bestimmte Tagesabläufe: Da war Gruppe. Gruppendynamische Prozesse wurden dort analysiert; meiner Ansicht nach wurden bestimmte Probleme der Station, das Leben innerhalb dieser betreffend, besprochen. Ich fand die Gruppengespräche im Ansatz sehr gut, aber es hätte viel Effektiveres da rausgeholt werden können, um eventuell daraus eine richtige therapie-unter- stützende Maßnahme zu machen. So war es eben nur ziemlich lang- weilig, weil banale Probleme aus der Station, meinetwegen das Stehlen von Löffeln, oder was weiß ich , besprochen wurden; durch die erzeugte Langeweile wurde die Chance genommen, irgend was effektiv zu machen,

: Was denkst du, was das Ziel der Behandlung war, deiner Meinung

nach?

: Speziell meiner Behandlung?

Ja.

Da bei mir die Annahme war "endogene Psychose", ich aber selbst auch nicht genau wußte, wie sie sich die Behandlung vorstellten, kann ich nur sagen, was ich gehört habe. Durch die Medikamente sollte ein "aufgeschlossenes Verhalten" des Patienten erreicht werden, wodurch man aber nicht alleine etwas herstellen konnte; also eine Behandlung, um dann psychotherapeutische Maßnahmen ein- zuleiten. Also, bei mir speziell, "endogene Psychose" ist ja nach ihrer Darstellung eine von innen herkommende, ererbbare Krankheit, die medikamentös körperlich nur bedingt heilbar ist.

Und was sollte jetzt erreicht werden?

Wahrscheinlich erst einmal eine Beruhigung, eine Eindämmung des Krankheitsherdes, so wie sie es darstellten. Das Problem war na- türlich, wie auch in der DDR schon, daß angeblich keine gruppen- dynamischen Gespräche notwendig waren, wie auch damals immer. Die Behandlung war praktisch nur die körperliche "Wiederherstellung" durch Medikamente.

: Du hast aber genau das Gegenteil beschrieben , daß es dir zu-

nächst durch die Medikamente, körperlich gesehen, gar nicht bes- ser ging.

Das hatte ich; das, was ich jetzt brachte, ist die Darstellung

der offiziellen Psychiatrie. Die Medikamente hatten einen Einfluß,

der lähmend war, ermüdend und quälerisch und solche körperlichen Schmerzen machte.

: Du bist doch dann nicht ein Jahr geblieben, sondern drei Monate.

Warum wurdest du denn entlassen? Hatte sich irgend etwas geändert? Vor allen Dingen war es mir von vornherein klar, daß man gegen diese Art von Psychiatrie, diese Art der Nichtbeachtung, des Übergehens von Aussagen nur etwas erreichen konnte durch eine Art Anpassung und teilweises Zugeben; daß man bei ihnen den Eindruck erweckte, man wäre krankheitseinsichtig. Diese Strategie habe ich auch verfolgt, indem ich, als der Richter kam, einen Kompromiß gemacht habe und sagte, ich wüßte nicht genau,was da gewesen wäre und es könnte wahrscheinlich so sein, wie sie sagten. Hinterher habe ich dann versucht, die Ärzte unsicher zu machen. Ich glaube, das macht jeder Patient.

Ich glaube, ich habe dich verstanden, damit du wieder rauskommst? Ja, nein, ich wollte eine höchste Effektivität erreichen. Einer-

seits raus und andererseits nachher nicht in Schwierigkeiten kommen. In dieser Situation ist es eben, wie gesagt, schwer. Z.B. gab ich einem Psychologen friiher von mir Geschriebenes zum Lesen, was ihn und die gesamten Arzte so verunsicherte, daß dann die Oberärztin mir zugestand, daß ich eine Schreibmaschine haben könn- te. Andererseits wurde ich zu einer sogenannten Maltherapie ge- schickt, wo man mit mir nicht so viel anzufangen wußte. Mir wur- de also der Status eines Intellektuellen zugestanden. Von meiner sozialen Herkunft hatte ich als Pfarrerssohn natürlich gewisse Vorteile. Ich weiß es nicht genau, aber in irgendeiner Weise ha- ben sie es bestimmt beachtet.

: Als du entlassen wurdest, wurdest du dann als geheilt entlassen

oder als gebessert? Ging es dir dann besser oder schlechter oder anders? Hatte sich etwas geändert?

Ja, insofern hatte sich etwas geändert, als ich durch die Medika- mente gegenüber vorher nicht reaktionsfähig war, daß ich also

erst in einer Behindertenwerkstatt arbeiten mußte, um wieder reak- tionsfähig zu werden.

Meinst du, daß der Aufenthalt insgesamt für das weitere Leben

hier in der Bundesrepublik mehr negative oder positive Aspekte hatte für dich?

Also von meiner persönlichen subjektiven Darstellung glaube ich, daß es natürlich negative Folgen hat, weilmeiner Ansicht nach aus dem, was ich bisher gedacht habe, dieser Aufenthalt nichts ge- bracht hat. Also, das Gesundheitsamt hat ja Kenntnis bekommen,

das Arbeitsamt hat Kenntnis bekommen, daß man in der Psychiatrie war, das wird ja den Behörden bekannt. Wir gehen mal von den nach- folgenden Problemen aus und da ist eben das, daß man in jedem

Fall mit dem Arbeitsamt Schwierigkeiten hat, weil der Arbeitgeber irgendwann einmal herauskriegen kann, daß man in einer psychia- trischen Anstalt war. Mir hatte ein Mann, der eine gute Stellung gehabt hatte und wegen eines bestimmten Armnervenleidens in der psychiatrischen Klinik lag, gesagt, was bezeichnend dafür ist,

daß er nur noch Rente beantragen wollte; daß er dann nur noch ab und zu, bei Vermittlung eines Arbeitsamtvorschlages durch das Ar- beitsamt, daß er dann eben sagt, er wäre in Merxhausen gewesen und dann, sagteer mir, dann wäre für ihn die Sache gelaufen, dann braucht er nicht mehr zu kommen; insofern ist dies bezeichnend

für die Lage der ganzen Patienten, daß man keine Arbeitsstelle mehr bekommt. Mir selber ist es nicht passiert, aber ich weiß ganz genau, daß es so ist.

Wie kam es dazu, daß das Arbeitsamt etwas erfährt?

Das Arbeitsamt wußte insofern etwas, als man in der Behinderten- werkstatt war und dann bestimmte Gutachten vorliegen, die eine gesundheitliche Einschränkung bestätigt haben. Zum zweiten ist natürlich dann die Frage mit der Wohnung, das habe ich auch gemerkt; als ich suchte, hatte ich natürlich Vorteile insofern, als ich eine Adresse nachweisen konnte, aber ich weiß, daß auf jeden Fall Sozialhilfeempfänger, Patienten aus psychiatrischen Anstalten einen eingeschränkten Status haben im augenblicklichen Wohnungsengpaß

in der Bundesrepublik, was wiederum auf die soziale Krisener- scheinung usw. zurückzuführen ist.

Würdest du noch einmal freiwillig in ein Psychiatrisches Kranken- haus gehen, wenn du in Schwierigkeiten kommst, oder meinst du,

es ist für dich sinnlos?

Da die Zwangseinweisung sowieso eine Zwangseinweisung war, und ich niemals freiwillig in so etwas hineingegangen wäre, kann man sich leicht vorstellen, daß ich so etwas freiwillig niemals ma- chen würde. Daß schon eine Zwangseinweisung vorliegen muß, es sei denn, man macht sogenannten indirekten Druck, wie ich das gelesen und auch gehört habe, von anderen Patienten, daß man sagt, man schreibt eine Zwangseinweisung, oder sie weisen sich selber frei- willig ein, eben durch freiwilligen Zwang. Das Problem ist natür- lich, es braucht jetzt nicht von mir abzuhängen, das weiß ich, daß Patienten, wenn sie einmal draußen sind, eben schnell von der Polizei aufgegriffen werden können, wenn sie nur in irgendeine Schlägerei verwickelt sind und sie noch nicht einmal daran Schuld waren, aber dann eben, weil sie einmal in einer psychiatrischen Anstalt gewesen sind, entsprechend als schuldig behandelt werden. Zum anderen auch, was ich auch negativ sehe, daß eine Vereinfa- chung des Problems der Behinderten, des Problems der psychisch Kranken gemacht wird, indem z.B. Intelligenzschwäche, Legastenie

und Geistesschwäche so zusammengezogen werden, zu Assozialität usf., in ein anderes Kriterium

z.B., assozialem Verhalten usw.

für den Status des Kranken. Noch einmal zurück zur Klinik, welches Verhältnis hattest du zu

den Ärzten? Und was wollten die Ärzte in der Visite von dir im

wesentlichen wissen?

Also, es schien mir so, als wenn die Visite mehr dazu da war, indem nämlich z.B. der Arzt

daß der Patient etwas vom Arzt wollte, entschied, ob Urlaub gewährt wurde oder nicht oder Ausgang. Das

ist wiederum Erziehungswesen, ich weiß nicht, in welcher Form das sein sollte; es war aufgebaut auf ein bestimmtes Punktesystem und an bestimmte Sachen gekoppelt. Wer an Beschäftigungstherapien usw. teilnahm und das wiederum wurde wahrscheinlich als sogenann- te gesundheitsunterstützende Maßnahmen angewandt, indem der Pa- tient aktiviert werden sollte. Und dann je nach der Erteilung von Urlaub Anreiz sein sollte; dieses Anreizsystem war insofern er- schwert, als die Medikamente natürlich dämpfend wirkten und in- sofern ein eingeschränkter Aktivitätsradius war. Die Visite war

ein Gespräch im wesentlichen über die Maßnahmen. Sie fand mittags statt, und wenn man etwas besprechen wollte, montags; sie dauer- te drei bis vier Minuten. Nun muß noch dazu gesagt werden, das

Psychiatrische Krankenhaus, in dem ich war, war ein äußerst fort- schrittliches, also moderne Ausstattung und eine gegenüber anders- wo in der Bundesrepublik relativ fortschrittliche Behandlung

Und welche Rolle haben die Psychologen gespielt und das andere Pflegepersonal überhaupt. Hast du mit diesen etwas zu tun gehabt? Ja ich weiß, daß das Pflegepersonal indirekt ein Meldeorgan der Psychiatrischen Anstalt selber war und nicht unbedingt im Inter- esse der Patienten handelte. Aber auch der Arzt war nicht in der Lage, ein bißchen mehr Aktivität, ein bißchen mehr Courage zu entwickeln und sich im Interesse der Patienten einzusetzen, um diese ganze Behandlung insgesamt zu verbessern. Das wäre ein

guter Ansatzpunkt. Hattest du etwas mit Psychologen zu tun? Ja, ein Psychologe war da. Das war im wesentlichen die Krank-

heit zu analysieren, das war eben der Mann, der mehr das Psycho- logische macht, während der Arzt mehr für die Medikamente zustän- dig war. Der Pschologe war bei den Gesprächsgruppen dabei und hat

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psychologische Tests gemacht und psychologische Gespräche, wäh- rend der Arzt mehr Untersuchungen machte.

Weißt du, was daraus wurde? Ich selber habe sie nicht gemacht, ich weiß allerdings auch nicht,

ja insofern allerdings auch für die Einschätzung von bestimmten Krankheiten usw. hat man das verwendet.

Daß die Ärzte nur Medikamente verordnen können, die gestaffelte Ausgangsstellung nach Punktesystemen vorsehen und daß der Psycho- loge dann irgendwelche Tests macht und bei Gesprächen dabei ist und ohne daß das irgendwelche Folgen hat?

Ja, also das war ja nur Skelett, was ich erläutert habe. Konntest du denn da ausdrücken, was in dir vorging, denn auf der einen Seite hast du ja versucht, dich in einer Scheinweise anzu- passen? Konntest du denn etwa in der Maltherapie, das, was dich wirklich anging, deutlich werden lassen?

Ja, wenn ich von meinem persönlichen Fall ausgehe, war natürlich die Maltherapie nicht geeignet für mich, weil ich weitaus inten- sivere oder komplizierte Ausdrucksmöglichkeiten suchte; es lag aber letztenendes nicht an der Maltherapie oder an anderem, son- dern vielmehr an einschränkenden Medikamenteneinnahmen, daß ich im Augenblick nicht in der Lage war, irgend etwas zu machen.

Hat sich das Krankenhaus vor deiner Entlassung irgendwie um dei-

ne Zukunft gekümmert, sozial usw.? Ja, das hing natürlich von Patient zu Patient ab. Bei mir wurden

die Behindertenwerkstätten empfohlen. Hat man Gespräche mit deiner Familie geführt, Resozialisierungs-

maßnahmen? Um die Wohnung hat sich speziell eine Sozialtherapie gekümmert, aber bei den anderen Patienten habe ich oft gehört, daß sowas

nicht der Fall ist. Wie war es mit deinen Eltern, wurde das irgendwie nachgeprüft,

was die erzählt hatten?

: Ich hatte nur ein Gespräch. Wenn mein Vater immer ausdrückte, mein politisches Interesse wäre nicht normal, hingegen der Arzt

sagte, daß dieses nicht annormal wäre. Ja, und ich habe mit dem

Arzt darüber gesprochen, weiß aber nicht konkret, was aus den Ge-

sprächen mit meinen Eltern tatsächlich heraus kam.

Führte der Psychiater die Gespräche oder der Psychologe?

Die Psychiaterin und der Psychologe.

Ja, wieviel Gespräche waren das?

Ich weiß es nicht, es waren eine ganze Anzahl mit meinem Vater.

: Deine Mutter war nie da? Nein, nur mein Vater; was da genau gesprochen wurde, weiß ich

nicht.

Wie fühlst du dich nach der Entlassung, im Gegensatz zu vor der Entlassung?

Im Gegensatz zu vor der Entlassung kann man ganz konkret feststel- len, daß ich durch die Medikamenteneinnahmen in einen starren

Gang versetzt war, daß ich weder richtig sitzen noch stehen konnte, und daß ich ständig in Unruhe war, Robotergang, wie man so schön

sagt. Hattest du mehr Hassgefühle? Es war mir damals sowieso nicht klar, was dieser ganze Vorgang

bedeutete, einerseits hatte ich den Eindruck, was sie erzählt hatten und andererseits war die Frage, ob man krank oder nicht

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krank war, man hatte erst einmal mit seinen eigenen Problemen

zu tun, man mußte erst wieder einmal reaktionsfähig werden man mußte Kräfte sammeln, man konnte da eben nicht verschiedenes ma- chen, dazu war man überhaupt nicht in der Lage.

Wie lange warst du in der DDR in der Anstalt?

Das war ein 3/4 Jahr, in der geschlossenen Abteilung.

Da warst du noch ein Kind?

Vierzehn Jahre, fünfzehn.

Waren da die Verhältnisse vergleichbar gegenüber hier?

Ich weiß nicht mehr was damals genau war, aber das fing an, nach- dem man ganz bestimmte Sachen erzählte, ich zu einem Arzt ging. Die machten dann allerlei Untersuchungen, verschrieben auch eini- ge Medikamente, die nicht sehr stark waren und angeblich -- ich kann das von damals nicht mehr zurückspiegeln -- kam es im Herbst 1970 zu einer Einweisung, wieso weiß ich nicht. Ich konnte mich auch nicht wehren, weil ich keine Kenntnisse von den Gesetzen hatte. Ich wußte zwar, was ablaufen würde, aber konkret die Gesetze

das mußte ich erst erfragen; insofern war man hier in der Weise wehrlos.

Reinald Weiß

BEMERKUNGEN ZUM DOPPELCHARAKTER SOGENANNTER MODELLEINRICHTUNGEN IN PSYCHIATRISCHEN GROSSKLINIKEN

Über den Abdruck des folgenden Artikels haben wir in der Redaktion Lange gesprochen. In erster Linie hat uns gestört, daß wir viele Teile davon nicht verstanden haben - oder erst, nachdem wir Lange gemeinsam überlegt haben, was gemeint sein könnte. Den ersten Ent- wurf hat der Verfasser noch einmal überarbeitet - es war abzusehen, daß wir nach wie vor Verständnisschwierigkeiten haben würden.

Es kann niemandem vorgehalten werden, daß seine Ausbildung und der Wunsch, sich genau auszudrücken, zu Formulierungen führt, die nicht Jeder versteht. War unsere mangelnde theoretische Vorbildung der Grund dafür, daß wir keine Diskussion mit dem Verfasser über die In- halte führten konnten? Einige Mitglieder der Redaktion hegen Zwei- fel, ob nicht einige Bemerkungen bloßer Bluff sind.

Der Artikel ist auf unsere Bitte an den Verfasser, etwas für das Info zu schreiben, angefertigt worden. Wir wußten, daß R. Weiß

sich schon früher sehr theoretisch mit Fragen der psychosozialen Ver- sorgung befaßt hat. Insofern wäre es schon mindestens grob, eine Veröffentlichung nun abzulehnen. Den Ausschlag für den Abdruck des Artikels hat schließlich die Überlegung gegeben, daß sich in dem Kontrast zu anderen Aufsätzen vielleicht die Schwierigkeit zeigt, welche Sprache wir untereinander sprechen und mit welcher Sprache wir hoffen können, verstanden zu werden. Und diese Schwierigkeit ist kein Problem von R. Weiß mit der Redaktion; nachdenken müssen wir alle darüber.

"Die Grundursache der Entwicklung eines Dinges liegt nicht außerhalb, sondern innerhalb desselben, sie liegt in seiner inneren Widersprüchlichkeit." Mao Tse-tung

Im folgenden sollen einige Widersprüche anhand einer Modellstation aufgezeigt werden, welche ihrerseits als Sozialtherapeutische Sta- tion definiert worden ist und irgendwo im Norden des Niemandlandes (BRD) liegt.

Die Merkmale der Sozialtherapeutischen Station sind schnell datge- legt. Es handelt sich um ein selbständiges Gebäude im Kliniksgelän- de und zeichnet sich vorwiegend dadurch aus, daß

a) hier nicht nach "Krankheitsbildern", sondern nach der Motivation und dem Kommunikationswillen der Patienten gearbeitet wird

b) und hier eine Bezugstherapeutendichte und eine Konstellation an fachspezifischen Mitarbeitern gegeben ist, die in dieser Form wahr- scheinlich in der BRD einmalig ist. Durchschnittlich befinden sich 28 Patienten auf der Station, wobei der einzelne Bezugstherapeut mit seinem jeweiligen Patienten relativ selbständig die Therapie - selbstverständlich immer auf dem Hintergrund des Teams - bestimmen

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und durchführen kann. Es ist also durchaus die Möglichkeit gegeben, modernere Therapieformen wie z.B. "Neo-Reichianische" Therapien zur Anwendung zu bringen, was sicherlich in der klassischen Psychiatrie noch vielerorts belächelt oder bekämpft wird. Im Laufe der Geschichte bekam das Team sehr schnell zu spiiren, in- wieweit es dazu diente, als Aushängeschild der Klinik herzuhalten. Es wird zwischendurch immer mal wieder unerträglich zu erfahren, daß man selbst fortschrittliche Therapien macht, während 50 Meter weiter in einem Langzeithaus Patienten total medizinisch und thera- peutisch unterversorgt sind - und auch bleiben. Der Student oder die Personengruppe, welche sich auf den "psychotourismus" (Besichtigun- gen) begibt, bekommt diese Seite des Geschehens nicht zu sehen. Zur Station selbst ist noch zu erwähnen, daß sie sich von einer mehr so- zialtherapeutisch orientierten Station, welche ursprünglich durch- aus auch Langzeitpatienten rehabilitieren wollte, immer mehr hin zu einer psychotherapeutischen Einrichtung entwickelt hat. Diese Ent- wicklung wird von der Kliniksleitung gern gesehen, aber von der sonstigen Mitarbeiterschaft eher feindlich betrachtet. In diesem Zusammenhang muß das Wort "Edelpsychiatrie" mal wieder genannt wer- den. Die liberalistische Kliniksleitung ist durchaus mit dem Nowhere-man der Beatles zu vergleichen - und hier sind wir beim nächsten Para- doxon: Der Nowhere-man erstellt alle seine Nicht-Pläne für - nieman- den - oder doch? Die Nicht-Pläne, genau: das Stete-offen-lassen, die Verhinderung der Festschreibung von einmal erreichten Modellen, wer- den durchaus für jemanden gemacht - bzw. eben nicht gemacht: Für die ökonomische Selbsterhaltung der Klinik (des In-put) und den Status quo (Legitimation der Klinik) also letztendlich für das Psycho- Establishment. Trends werden zunächst gerne erst einmal zugelassen, sei es auch nur, um an ihnen den angeblich utopischen Charakter auf- zuzeigen. Engagierte Mitarbeiter, welche eben neuere, mehr therapeu- tische und weniger medikamentöse Therapien in die klassische Klinik- situation bringen wollten, sahen sich merkwürdigerweise oft genug dem Ausspruch gegenüber gestellt: Das haben wir schon immer so gemacht (Einspruch so frech er auch ist: bei der konsequenten Analyse die- ses Ausspruchs tritt leider ein materieller Kern hervor, was aber nur auf die Unmöglichkeit des wirklich Neuen verweist). Es ging also bei der neuen Einrichtung lediglich darum, psycho- und sozial- therapeutische Momente miteinander zu koordinieren und diese, ein- gebettet ins System der therapeutischen Gemeinschaft, zur praxis- bezogenen Handlungsstrategie werden zu lassen. Die Grenzen, in einer bürgerlichen Institution (d.h. idealistisch, Individuums-orientiert und Mehr-Wert erheischend) zu arbeiten, sind sehr schnell erreicht. Der gewährte Freiraum gilt nur solange, wie er den üblichen Kliniksbetrieb nicht stört (der gängige Spruch der Leitung lautet: "Wir müssen einen Flächenbrand vermeiden"). Daß eine progressive Einrichtung innerhalb einer klassischen Klinik immer ein Borderline-Syndrom (Grenzfall) sein wird mit allen pro- gressiven Tendenzen (z.B. Teamarbeit) und regressiven Tendenzen (z. B. Spezialisierung, Fachidiotentum), dafür sorgen zwei blockierende Momente: A) das ökonomische System (Krankenkasse), B) die Tabus des bürgerlichen Bewußtseins und das hierarchische Sy- stem im Subsystem (Team) dürfen nicht abgeschafft werden.

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Zu A): Eine Einrichtung wie die beschriebene, ist auch als liberal kapitalistisches Subsystem innerhalb eines organisierten spätkapita- listischen Systems (Gesamtgesellschaft) anzusehen, wobei in diesem Zusammenhang die Klinik als ganze fast mit dem gesamtgesellschaft- lichen System als gleichgeschaltet betrachtet werden kann. Dies hier weiter auszudifferenzieren, würde nach Habermas der Entpolitisie- rung dienen, ein Moment zur Erhaltung des Spätkapitalismus. (Jürgen Habermas , Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt a.M. 1973). Die ökonomisch definierte Zweckrationalität richtet sich am Input-Outputkriterium aus, das heißt konkret 1) die Bettenzahl und damit gekoppelt 2) die Auflagen der Krankenkassen und deren Pflege- sätze. Die rechtliche Grundlage der Langzeitpatienten ist noch anders definiert. Sie bedarf sicherlich einer genaueren Analyse, doch ist das Problem mit den überörtlichen Trägern der Sozialhilfe keines- wegs geringer. Diese, dem BRD-Gesundheitssystem entspringende Formbestimmung ist zunächst sicher nicht personenspezifisch einer Kliniksleitung anzu- lasten, dient aber immer wieder dem berühmten Sachzwang zur Eindäm- mung auch kleinerer Reformvorhaben. Dabei geht es gar nicht unbe- dingt um die Ökonomie, womit wir schon direkt in den Bereich B her- einragen. Die Definition des Subsystems (einzelnes klinisches Gebäu- de, Abteilung, Station, Langzeitbereich, ambulante Behandlung, Team usw.) durch die Totalität (dialektische Ganzheit) (Christel Baier, Zum Verhältnis von Gesellschafts- und Erkenntnistheorie - Untersuchungen zum Totalitätsbegriff in der Kritischen Theorie Adornos, Frankfurt a.M. 1977) des Systems führt zur permanenten Be- schneidung des Bereichs B. Man könnte vorweg schon einmal sagen: ein vermeintlich dynamisches, offen wirkendes System sorgt aufgrund dieser Formbestimmung für eine Struktur im Subsystem. Struktur be- zeichnet dabei etwas Undynamisches. (Renate Mayntz, Soziologie der Organisation, Reinbek bei Hamburg 1963). Am Beispiel der Sozialtherapeutischen Station hieß dies, daß zunächst der Kampf gegen beide Bereiche A und B geführt werden mußte. Heute, fünf Jahre danach, kommen noch immer Vorwürfe, wenn Betten nicht be- legt sind, und indirekt wird verlangt (selbst von "progressiv-dyna- mischen" Kollegen), Personen aufzunehmen, die auf der Modellstation nicht therapierbar sind. 50 % der Arbeit ist Auseinandersetzung ums Konzept, immer wieder erklären, warum, wieso und wieso nicht. Der zermürbende Kampf, allein den Status Quo zu erhalten, führt in einer wellenförmig sich darstellenden periodischen Abfolge immer wieder zu Resignation und systemimmanenter, wie auch physischer Erschöpfung, welche dem System (vor allem B) dient. Das therapeutische Team ver- einzelt sich, jeder muß Kräfte für sich sammeln und zieht sich hin- ter seine Tür zum Therapiezimmer zurück, womit die Totalität doppelt bestätigt wird. Die Mitarbeiter individualisieren sich, eine Ver- einzelung die sich in der therapeutischen Haltung, d.h. der Therapie, niederschlägt. Es vergeht jeweils einige Zeit, nach der das Team aufwacht und bemerkt, wir machen nur noch Einzeltherapie, wir haben kaum noch eine therapeutische Gemeinschaft, wie es einst - nach Jones - die Ausgangsdefinition der Station war. So wird die Therapie viel- leicht zur Verlängerung von Krankheit, denn die Betroffenen leiden nicht an irgend einem Abstraktum, sondern an der bürgerlichen Ge- sellschaft, welche sich eben über das vereinzelte Individuum her- stellt, womit es dem System über Subsysteme gelungen wäre, den In- put zu erhalten. (Etwas liberal oberflächliche Psychiater nennen das Ergebnis "Drehtiirpsychiatrie".)

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Zu fragen war nach den Grenzen einer solchen Modellstation und

nach den Wahrnehmungslücken, die der einzelne Bezugstherapeut im ganzen System haben muß oder die auch das ganze Team aufbringen muß, um politisch oder auch nur ethisch das Tun und Lassen noch vor sich selbst verantworten zu können. So oder so, es muß eine enorme Energie zur "Subjektverleugnung" aufgebraucht werden - wie sie sonst nur

die ernsthaft narzistisch gestörten Patienten aufweisen, um ihren tiefen Depressionen zu entgehen. D.h. die Mitarbeiter müssen die atherapeutischen Widersprüche verdrängen, um sich und ihre Arbeit legitimieren zu können. Der Doppelcharakter und damit die Grenzen der Arbeit bedeutet, daß viel zu häufig auf der Station aufgrund

der Bedingungen eine Therapie nicht zu Ende geführt werden kann, wobei merkwürdige Widersprüche zwischen zwei Momenten zu finden sind. Auf der einen Ebene - und der Leser wird schnell bemerken, daß hier ein institutioneller "double-bind" (Beziehungsfalle) auf den Plan kommt - heißt der Vorwurf "Ihr macht Edelpsychiatrie, wo bleiben die Langzeitpatienten, kann ich euch einen hospitalisierten Psychotiker überlassen?"

(Aber gerne!)

Nur kommt da das zweite Moment - das bürgerliche Bewußtsein - in

die Quere durch die Pfleger und teilweise durch Mitpatienten, die ihre Definition und ihr Selbstverständnis ja auch vom übergeordne- ten System Klinik verinnerlicht haben: "Das geht nicht, die können sich nicht einordnen, wir müssen hier auf Sauberkeit achten". Wel- chem Moment soll aber nun der Therapeut folgen? Gleichwie, er wird keinem gerecht, am wenigsten sich selbst.

Nehmen wir das Beispiel zweier völlig verschiedener Betroffener.

Der eine ist seit acht Jahren in psychiatrischer Behandlung und so- mit dem "Segen" des deutschen Gesundheitssystems ausgesetzt; der an- dere ist erst seit einigen Wochen auf der Station und wird vermut- lich, je nachdem welches System sich durchsetzt, mehr oder weniger neurotisch in das Alltagsleben zurück entlassen. Beide Patienten haben etwas gemein: beide sind voll in ihrem Widerstand. Der Trotz, ein notwendig zu bearbeitendes Mittel in der Therapie, ohne das jeg- liche Form von Therapie - sei es Sozial- oder Psychotherapie -

nicht denkbar ist, das zudem auf Momente des Widerstandes gegen das Alltagsleben verweist, darf nicht zutage treten; es müssen Regeln erlassen werden, Regeln welche vom übergeordneten System und von

der Ebene B definiert sind, um das, was eigentlich Therapie bedeu- ten würde, nicht zu erreichen. Denken wir aber daran, daß Therapie ohne Widerstand nicht möglich ist - wir brauchen nur die Überlegun- gen zur Übertragung dazu betrachten - so heißt dies, daß therapiert werden kann nur im Sinne von Verlängerung der Anpassung, d.h. des falschen Selbst innerhalb des Alltagsgeschehens, was gleichzeitig meint, Depressionen z.B. sind gut akzeptabel auf der Station (wie auch hoffähig in der Gesamtgesellschaft). Ein Psychotiker hingegen, der das echte Selbst - und dies ist eine Notwendigkeit für ihn -

im Sinne von Widerstand gegen das Alltagsleben trägt, fällt eigentlich schon aus dem Rahmen der therapeutischen Möglichkeit.

Bei dem ersten Patienten heißt dies, er ist oft geistesabwesend, steht nur in der Ecke (er produziert nicht), er achtet nicht gemäß den bundesrepublikanischen Sitten auf Sauberkeit, und das Personal sieht eigentlich nur die Momente der Verweigerung, während der Be- zugstherapeut stets bemüht ist, innerhalb der jahrelang dauernden Therapie die Fortschritte zu sehen, daran zu arbeiten und sie immer

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wieder dem Subsystem der Ebene В deutlich zu machen. Der Bezugsthe- rapeut gerät somit permanent in eine Verteidigungshaltung, es pas- siert paradoxer Weise etwas, was in der Sozialarbeit die Parteinah- me genannt wird, die Auflösung des doppelten Mandats, zumindest für Momente innerhalb der Teamsitzung (was als materieller Kern nicht ganz uninteressant erscheint).

Der zweite Patient ist mit seiner Trotzhaltung eigentlich schon in die Klinik gekommen. Er hat ein merkwürdiges Mittel entwickelt, seine Rechte durchzusetzen und trotzdem noch einigermaßen auf dem zwischenmenschlichen Markt zu bestehen, was einige Konfusionen in- nerhalb des Teams auslöste. Mal war das Subsystem dafür, daß er bleibt, mal sollte ihm die therapeutische Zuwendung der Station ent- zogen werden, die Pfleger und Schwestern, welche sich über das Sy- stem definieren und auch ihre Identität und damit ihren Selbstwert aus dem System beziehen, fühlten sich durch die permanenten Angrif- fe und das in Fragestellen des Patienten selbst in Frage gestellt. Man könnte sagen, der Patient hat eine enorme therapeutische Wirkung auf die Mitarbeiter, doch soll hier keine Idealisierung oder Mysti- fizierung stattfinden, es soll nur darauf hingewiesen werden, wie mit Widerständen umgegangen wird. Der Patient hatte mit dieser Art Konfliktverarbeitung oder auch Vermeidung im Alltagsleben durchaus seine Probleme und die sollten auch angegangen werden. Oft wird dann innerhalb der Therapie auf einen - der Psychoanalytiker würde es fein Parameter nennen - zurückgegriffen, wobei dies als therapeuti- sche Intervention verkauft wird. Schaut man auf die unbewußten Wün- sche, so darf man es durchaus als Bestrafung bezeichnen, wieder ein Moment von Subjektverleugnung,dem sich die Therapeuten bei noch so ausgeprägter Reflexion nicht entziehen können.

Die Übertragung ist innerhalb einer therapeutischen Beziehung immer Widerstand, aber auch gleichzeitig erkenntnisträchtig. Sie erhellt, wo das Problem des Betroffenen liegt. Eine Patientin lebte ihre ero- tischen Wünsche dem Vater gegenüber in alkoholisiertem Zustand aus. Sie versuchte gleichzeitig, den Vater dadurch eifersüchtig zu machen, indem sie betrunken mit jungen Männern sexuell verkehrte - eine Situation, die sie mehrmals auf der Station wiederholte. Dabei hat- te ich mittlerweile für sie die Rolle des "geliebten Vaters" zu über- nehmen, den es galt, eifersüchtig zu machen. Eine Stationsregel lau- tet: absolutes Alkoholverbot, auch während des Therapieurlaubs. Im therapeutischen Verlauf wurde deutlich, daß die Regelverstöße keine Verstöße im üblichen Sinne (Therapieabbruch) sind, sondern sich als Widerstand in der Übertragungssituation darstellen. (Es muß gesehen werden, daß Regelverstöße oft zu schnell als Therapieabbruch von

der Station definiert werden - um das System zu schützen. Streng- genommen handelt es sich immer um Widerstände, die ihren Ort in

der Biographie des Patienten haben.)

Dieses für die weitere therapeutische Arbeit auszunutzen, hieße, an diesem Widerstand arbeiten, ihn zuzulassen. (Unter Einbeziehung von Träumen, Assoziationen usw.) Der Station gegenüber ist ein solches Vorgehen nicht oder nur in kleinen Dosen zu verantworten. Um die Therapie aus diesem Dilemma herauszuführen, bedürfte es einer para- dozen Intervention. Sie müßte lauten: "Sie werden 'trotz' Regelver- stößen nicht entlassen." Die Folge wäre totale Verunsicherung der Mitpatienten. In diesem Fall bleibt abzuwarten, wann ich gezwungen werde, die Therapie abzubrechen, oder ob sich das System doch als so flexibel erweist, um damit umzugehen. 15

Solcher Art Beispiele verweisen darauf, wo die Grenzen liegen in- nerhalb einer bürgerlichen Institution und diese sind annähernd nicht vollständig angesprochen, sondern nur beispielhaft.Therapie und psychosoziale Versorgung im progressiven Sinne oder gar alternativ durchzuführen, erweist sich als (un)möglich.

Die Reise durch den Wahnsinn? Dafür gibt es nicht einmal ein Reise- büro, geschweige denn einen Reiseleiter. Die innere Dialektik solch fortschrittlicher Institutionen, d.h. das gegenseitige Ausspielen von progressiven und reaktionären Momenten, wie auch der Ebenen A und B, verweist auf weitere Grenzen institutioneller psychosozialer Arbeit. Eine dieser Grenzen ist dadurch gezeichnet, daß sie nicht zulassen kann, notwendig im Alltagsleben entstandene Trennungen in der Arbeit aufzuheben. So wäre Bildungsarbeit neben der Therapie - und bürgerliche Therapeuten höre ich schon aufschreien an dieser Stelle - sicherlich notwendig, um auch dem betroffenen Patienten

die Situation sowohl des Therapeuten, wie seine eigene, deutlich

zu machen, die aufgestellten Fallen transparent werden zu lassen und sie so ihrer Gefährlichkeit zumindest teilweise zu berauben. Am schwerwiegendsten dürfte sich allerdings das Subjekt-Objekt-Pro- blem, d.h. der Dialog zwischen Patient und Therapeut erweisen. Wäre dem Therapeuten eine wirkliche Hineinversetzung erlaubt in den Be- troffenen, gleichzeitig damit eine Solidarität mit dem Patienten auch emotional angesprochen, so müßte dies automatisch sich gegen die Institution wenden. Dies ist zugleich eine für die Institution wichtige Tatsache: Es besteht eine tiefsitzende Angst, jenes altbe- klagte Moment des doppelten Mandats aufzuheben, was die therapeuti- sche Situation innerhalb der Institution schlichtweg ad absurdum führen würde. Man kann soweit gehen und fragen, für wen sind eigent- lich die Regeln da, für den Patienten oder für die Therapeuten. In diesem Falle für die Klinik, die Modelleinrichtung innerhalb des Systems? - Die Nichtaufgabe solcher Regelnormen und institutionali- sierter Riten sind das Angebot der jeweiligen Modelleinrichtungen, der Kompromiß an das System, um überhaupt überleben zu dürfen und

zu können. Gleichzeitig sind die Mitarbeiter des Subsystems gezwun- gen, sich zu prostituieren; man wird verkauft nach außen, wobei sich das Klinikestablishment als psychosozialer Zuhälter erweist. Fin sich ernsthaft therapeutisch verstehender Mitarbeiter müßte konse- quenter Weise sagen: Therapie hat derartig große Einengungen inner- halb einer psychiatrischen Großeinrichtung zu erfahren, daß sie im Sinne des Anspruchs so nicht machbar ist. Der Wunsch nach einer Villa 21 (Vgl. Villa 21. Ein anti-psychiatrisches Experiment, in: ders., Psychiatrie und Anti-Psychiatrie, Frankfurt/M. 1971)

muß notgedrungen auf den Plan kommen, da der Therapeut sonst immer gezwungen ist, in der indirekten Gegenübertragung zu reagieren auf ein gesetzes Institutionsimago, d.h. der Therapeut arbeitet mit Patienten im Sinne verinnerlichter Institutionsnormen. Es geht um eine menschliche Gemeinschaft, die Widersprüche zuläßt und an ihnen arbeitet bis hin zur Selbstaufhebung. Man kann dem gesetzten Imago der Institution nie entrinnen. Fazit: wirkliche therapeutische Ar- beit mit psychisch Kranken kann eigentlich nur - und hier sollte wieder und gerade eine ethische Prämisse gesetzt werden - unter antiinstitutionellen Bedingungen geschehen. Das Setting einer Modell- einrichtung bietet sicherlich einiges mehr im Vergleich zur klassi- schen kustodialen Psychiatrie (verwahrende Psychiatrie), doch hat sie eben da ihre Grenzen, wo sie sich ständig selbst erneuern und erzeugen muß.

Rose Ostermann

ERFAHRUNGEN UND ERLEBNISSE IN EINEM UBERGANGSHEIM FUR PSYCHISCH KRANKE

",..daß unser 'normaler', "angepaßter' Zustand zu oft der Verzicht auf Ekstase ist, Verrat an unseren wahren Méglich- keiten, daß viele von uns nur zu erfolg- reich darin sind, sich ein falsches Selbst anzuschaffen, um sich an falsche Realitäten anzupassen."

Ronald D. Laing, Das geteilte Selbst, 5... 12

Das Übergangsheim "Haus Roseneck" ist eine von mehreren Einrichtun- gen der Diakonie Wohnstätten e.V. in Kassel. Der Verein ist ein freier Trägerverein, der aber seine Zugehörigkeit zum Diakonischen Werk in seiner Satzung regelt: "Der Verein ist eine diakonische Einrichtung gemäß Diankoniegesetz der Evangelischen Kirche von Kur- hessen-Waldeck vom 14.5.1975 und gehört durch seine Mitgliedschaft bei dem Diakonischen Werk in Kurhessen-Waldeck e.V. dem Diakoni- schen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland an."

Aufnahmebedingung ist in erster Linie eine Arbeitsfähigkeit bzw. Arbeitswilligkeit des zukünftigen Hausbewohners. D.h., wenn der Hausbewohner keinen Arbeitsplatz in der freien Wirtschaft findet, muß er sich dazu verpflichten, kontinuierlich in einer der "Be- schützenden Werkstätten" in Kassel zu arbeiten.

Der hohe Wert, der der "Arbeit" beigemessen wird, zeigte sich für mich beim täglichen Umgang mit den Hausbewohnern, daß gerade hier in starkem Maße darauf geachtet wurde, daß der Hausbewohner regelmäßig zur Arbeit ging. Die beiden im "Gruppendienst" arbeitenden Mitar- beiter (Schichtdienst) hatten dafür Sorge zu tragen, daß der Haus- bewohner pünktlich aufstand; er wurde von dem dort arbeitenden Per- sonal geweckt, was je nach Einstellung und Verhalten des sogenannten "Betreuers" relativ sanft oder feldwebelhaft ausgeübt wurde. Nicht selten kam es vor, daß ein "Betreuer" sich befugt fühlte, nicht nur an die Tür des jeweiligen Hausbewohners zu klopfen, sondern, wenn diese Tür abgeschlossen war, diese mit "seinem" Schlüssel zu öff- nen, was nicht selten als Eingriff in die "Privatsphäre" wahrgenom- men wurde.

In einem Brief des Vorsitzenden an den Landeswohlfahrtsverband wird unter Punkt 4 der Tagesablauf im "Haus Roseneck" folgendermaßen be- schrieben: "Der Tagesablauf des Hauses Roseneck wird vom Rhythmus der normalen Arbeitswelt bestimmt. Am Morgen sollen nach der Kon- zeption unserer Übergangseinrichtung die Klienten pünktlich das

Haus zum Arbeitsantritt verlassen. Die Rückkehr erfolgt in der Re- gel gegen 17 Uhr. Der Abend und das Wochenende stehen mit Einschrän- kungen - so wie das bei jedem anderen Bürger auch der Fall ist - der Freizeit zur Verfügung. Unser Heim ist darum durchgehend geöffnet."

Tatsache ist oder war aber, daß = mit wenigen Ausnahmen - fast je- der Hausbewohner in einer "Beschützenden Werkstatt" seinen Arbeits- platz hatte, was nicht gleichbedeutend mit normaler Arbeitswelt" sein kann. Zwar ist die Arbeitstätigkeit eine ähnliche insofern,

daß fast nur monotone Fabrikarbeit geleistet werden kann, die Ent- lohnung jedoch in einem krassen Mißverhältnis zu dem Lohneinkommen des in der "normalen Arbeitswelt" Arbeitenden steht. So ist ein Stunden- lohn von 0,80 DM keine Seltenheit. Es ist für den Betroffenen (und nicht nur für ihn) oft eine Erfahrung, die ihn Arbeit nicht unbe- dingt als sinnvoll erscheinen läßt, er aber 7 -8 Stunden des Tages dort verbringen muß. Hier wäre es sicher notwendig, auf die "Be- schützenden Werkstätten" näher einzugehen. (Siehe dazu den Artikel von Roswitha Gebauer in diesem Heft.) Allerdings hat dieser Bereich starke Auswirkungen auf das Leben im "Haus Roseneck",

Zu bemerken sei hier noch, daß der Leiter einer Werkstatt an den einmal in der Woche stattfindenden Dienstgesprächen im Haus Rosen- eck teilnimmt, so daß die Arbeitssituation der Hausbewohner die Nor- men im Hause mitbestimmt. Daß, wie bereits erwähnt, das Personal

die Verantwortung für die Pünktlichkeit des Hausbewohners mit über- nommen hat, wenn nicht gar diesem diese abnimmt, Geleitet ist das Interesse an der Verantwortungsübernahme wohl aber auch von den eigenen Werten und dem angeblich normalen Verhalten. Es zeigte sich teilweise eine Empörung bzw. ein Unverständnis, wenn jemand nicht arbeiten wollte. Nicht arbeiten wollen, hieß faul sein wollen; es wurde wenig gefragt, für welche Arbeit sich jemand interessieren könnte; Arbeit galt als etwas unbedingt Notwendiges, Arbeit auch als Pflicht.

Ein Beispiel: |

Ein junger Mann, der so gut wie keine Motivation hatte, in die Be- schiitzende Werkstatt zu gehen, seinen Tagesrhythmus in keinster Weise darauf abstellte, wurde ständig und wiederholt am Morgen ge- weckt. Dieser Ritus wiederholte sich ständig (großzügig gesagt: mindestens seit einem Jahr). Zwischen 9.00 und 11.00 war er so weit zu gehen, d.h. mit dem Druck der Autorität des Heimleiters. Es war allgemein bekannt, und er verleugnete dies auch nicht, daß er nicht geradewegs auf das von ihm erwartete Ziel, nämlich die Arbeitsstel- le, zusteuerte, sondern in der Stadt herumlief und in verschiede- nen Imbißstuben Einkehr hielt. Gegen 14.00 Uhr erschien er evtl.

in der Werkstatt, wo er entweder schlafend, rauchend oder wenig tuend seine Zeit verbrachte.

Trotzdem fanden die Versuche, ihn an die Pünktlichkeit anzupassen, immer wieder statt. In den Dienstgesprächen wurde immer wieder über ihn gesprochen, nicht die Art und Weise des Umgangs mit ihm wurde kritisiert und in Frage gestellt, sondern die Argumentation für den Umgang mit ihm fand man in der Begründung, er sei "antriebsschwach" und müßte insofern auch gezwungen werden. Dieser Mensch konnte sich aber stundenlang mit elektronischen Dingen beschäftigen; so hatte

er einen Elektronik-Baukasten, mit dem er verschiedene Schaltsyste- me ausprobierte. Diese Form von Arbeit oder Beschäftigung war jedoch in der Werkstatt nicht erwünscht unter dem Motto: "Wir können keine Ausnahmen machen."

Aus dem Geschilderten wird sichtbar, wie hoch der Stellenwert der Arbeit im Hause ist. Eine sehr wichtige Norm, vorrangig vor allen anderen. Dazu sei noch gesagt, daß in den Diskussionen Arbeit als etwas Selbstverständliches, Pflichtgemäßes aufgenommen wurde. Die

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Arbeit selbst, auch die miserable Entlohnung war weniger Gegenstand der Diskussion. Ich hätte manchmal gern in die Köpfe hineingeguckt, wie die Mitarbeiter sich denn bei ihrer Arbeit fiihlen. Auf diese Weise hätte man vielleicht einen anderen Umgang mit dem Thema Ar- beit finden können, wie auch vielleicht die Weigerung nicht als "antriebsschwach" abgetan worden wäre.

Alltag

In dem bereits erwähnten Brief des Vorsitzenden ist unter Punkt 5 folgendes bemerkt:

"Entscheidend und bestimmend für das Wohl des Klienten eines Über- gangswohnheimes ist der 'Getst des Hauses'. Es soll die bergende Atmosphäre einer Großfamilie bieten, ohne dabei ängstliche 'over- protectton' zu vermitteln. Darum bemühen sich unsere Mitarbeiter. Alles, was dem Mündigwerden dient, ist von Nutzen. Einzelne Klienten sollen nicht bevorzugte Zuwendung erfahren. Die Mitarbeiter sind für alle Heimbewohner 'da' und nicht für einen allein. ..."

Im Haus Roseneck wohnen zwischen 25 und 30 Hausbewohner, Männer und Frauen; die Altersstruktur bewegt sich zwischen 20 und 50 Jahren. Das tägliche Miteinander ist ständig spannungsgeladen, was nicht

nur an den aus der Vergangenheit resultierenden und noch nicht bear- beiteten bzw. bewältigten Konflikten liegt. Es gibt auch genügend aktuelle Anlässe für Konfliktsituationen. Die einen sind bedingt durch Bedingungen und Forderungen der Institution, die anderen durch die dort lebenden Menschen, die in ihrer Unterschiedlichkeit begrün- det sind. Hier war die Methode des Verdeckens, Vermeidens im Spiel, wobei man sagen muß, daß hier keine Methode bewußt vertreten wur- de. Es war eher der Umgang mit dem "gesunden Menschenverstand",

der überall und irgendwo stattfand, wohl auch deshalb, um sich Kon- flikte "vom Halse" zu halten, aber auch, weil Konfliktsituationen angstbesetzt sein können und manchmal keine Lösungsmöglichkeiten zu sehen sind. Öfters hatte ich den Eindruck, daß man meint, man müsse mit sogenannten psychisch Kranken wie mit Kindern umgehen, bzw.

wie man meint, mit Kindern umgehen zu müssen. Dies passiert in Fa- milien, in Schulen: wenn ein Streit ausbricht, versucht man, diesen einzudämmen: "Seid friedlich und streitet nicht miteinander." Sicher ein verständliches Harmoniebedürfnis, doch bleibt die Frage, wem dies in solchen Situationen nützt.

"Die bergende Atmosphäre einer Großfamilie" zeigte sich für mich der- gestalt, daß der Heimleiter (Sozialarbeiter grad.) den autoritären Vater im Hintergrund verkörperte, die Wirtschaftsleiterin die über- all anwesende Mutter, kontrollierend, versorgend, dominierend in

der Weise, daß sie versuchte, überall ihre Hände im Spiel zu haben. Wenn in dem erwähnten Brief von Vermeidung von "overprotection" gesprochen ist, so glaube ich, daß das damit bedingte Verhalten unbe- kannt ist. Kontrollierendes, versorgendes usw. Verhalten engt den davon Betroffenen ein, unterstützt seine evtl. sowieso vorhandenen Autoritätsängste. Es gab zwar einen Küchen- und Wäschedienst, um die Hausbewohner in ihrer Selbständigkeit zu fördern; die jeweili- gen Gruppen wurden jedoch von "oben" zusammengestellt, die Wünsche der Hausbewohner wurden zwar manchmal, doch selten berücksichtigt. Eine Begründung wurde ihnen ebenso nicht gegeben. Die wäre ja viel-

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leicht einsichtig gewesen, wenn es darum ging, daß eine Gruppe zu- standekommen sollte, die starke und schwache Mitglieder hat, Gerade wenn es um die Frage des Kochens geht, hat jeder unterschiedliche Erfahrungen damit. Nun muß man aber auch erwähnen, daß Männer wie Frauen diesen Dienst übernehmen mußten, wobei den Frauen, soweit sie bereits Hausfrauen gewesen waren, die Hauptverantwortung zugescho- ben wurde. Ebenso geschah es, daß, wenn ein Kuchen gebacken werden sollte, was schon auf freiwilliger Ebene passierte, immer eine Frau gefragt wurde, nie ein Mann.

Für die Erstellung des Speiseplans war die Wirtschaftsleiterin ver- antwortlich, was die "versorgende Mutter" unterstreicht. Mein Vor- schlag, den Speiseplan gemeinsam zu erstellen, wurde ohne genaue Begründung abgelehnt, für unreal gehalten. Die Hausbewohner wurden hier - ebenso wie an ihrem Arbeitsplatz in den "Beschützenden Werk- stätten" - auf eine ausführende Rolle reduziert. Auch wurde nicht gern gesehen, wenn außerhalb der festgelegten Essenszeiten die Küche benutzt wurde. Teilweise wurde diese abgeschlossen, was wiederum von der Einstellung der zwei im Schichtdienst arbeitenden Mitarbeiter abhing, auch von ihrem Mut gegen die Entscheidung von "oben" zu handeln und sich damit angreifbar zu machen.

Die von mir erlebte zudeckende Haltung bei Konflikten zeigte sich ebenso, wenn es um individuelle Probleme der einzelnen Hausbewohner ging. Obwohl es verständlich ist, daß eine Frau, die aufgrund ihrer "Krankheit" geschieden wurde, unter der Trennung von ihren Kindern leidet, für die das Sorgerecht dem Ehemann zugesprochen wurde, ten- dierte man zu dem Vorschlag, den der Psychiater in seinem Krankenbe- richt erwähnte, man sollte auf Themen wie Scheidung, Kinder, Religion usw. nicht eingehen. Als diese Frau mit einem Rechtsanwalt Kontakt aufnehmen wollte, um sich von diesem wegen ihres Besuchsrechts be- raten zu lassen,und ich ihr einen mir bekannten Rechtsanwalt vor- schlug, zu dem sie auch hinging, stieß meine Haltung auf Kritik bei den Mitarbeitern. Man meinte, ihre "Krankheit" würde sich dadurch verschlimmern. Was denn Krankheit sei, was diese für den Betroffenen bedeute, auch für das dort arbeitende Personal, war selten Gegenstand der Diskus- sion. Nochmals ein Zitat aus dem erwähnten Brief: "Dennoch sind wir der Meinung,daß bei Psychosen "biologische Abläufe! eine nicht unerhebliche Rolle spielen, die medizinischer Behandlung bedürfen. Die Wirkungsmöglichkeiten von Gesprächstherapien sind bei Psychosen im Unterschied zu Neurosen begrenzt." Hier denke ich, es gibt ver- schiedene Theorien, Therapieformen, die ganz anderer Meinung sind; selbst in dem Diagnoseschlüssel und Glossar psychiatrischer Kran- ken (WHO) vermeidet man eine Festlegung. Es wird dort erwähnt, daß "in der Psychiatrie jedoch die Ursache der meisten psychischen Er- krankungen unbekannt ist." Jervis sagt: "Geistesstörung ist meistens das Resultat von Schwie- rigkeiten und Erfahrungen des Lebens, die bestimmte Interpretations- weisen für diese Erfahrungen und besondere Reaktionsweisen für fol- gende Erfahrungim geschaffen haben." (S. 87) In diesem Zusammenhang möchte ich aus einem vom Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche Deutschland herausgegebenen Heft "Psychisch krank - Psychisch Kranke brauchen Verständnis, Förderung, Annahme und Begleitung" zum Thema Zielvorstellungen in Übergangsheimen zi- tieren: "Der Aufenthalt in einem Überaangsheim sollte zeitlich auf

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ein bis zwei Jahre begrenzt werden. In dieser Zeit durchläuft der Bewohner ein abgestuftes Rehabilitationsangebot, bestehend aus sozial- therapeutischen, psycho-therapeutischen, körper-therapeutischen, werkstofforientierten und verhaltenstrainierenden, z.B. stabilisie- renden Aktivitäten. Im Vordergrund sollte das situationsbedingte und problembewußte Umgehen mit innerpsychischen und gesellschaft- lich zwangsläufigen Konfliktsituationen stehen." (5, 119) (Hervor- hebungen von mir.)

Dieser genannte Anspruch wird in der von mir beschriebenen Einrich- tung kaum eingelöst . Aus den erwähnten Beispielen wird der Umgang mit Konflikten, dem Begriff "Krankheit" und den damit Etikettierten, der Umgang mit verschiedenen Norm- und Wertvorstellungen usw. deut- lich. Widersprüche werden eher verleugnet und ignoriert, wobei ge- sellschaftliche Widersprüche besonders negiert werden; dies wird deutlich in den Zeilen des Vorstandes: "Hier denken wir gewiß anders als die Vertreter der sogenannten demokratischen Psychiatrie, die Psychosen weitgehend durch gesellschaftliche Zwänge erklären wollen." (5%. 2)

Was die Frage des Personals betrifft, so besteht ein Defizit quali- fizierter Ausbildung und Fortbildung. Der größte Teil der dort Tä- tigen kommt aus Krankenpflegeberufen, teilweise nur mit Kurzausbil- dung; zu meiner Zeit arbeitete hier eine Erzieherin. Im großen und ganzen kann man sagen, daß eine angemessene Aus- und Fortbildung fehlt. Hinzu kommt, daß keine Kooperation und entsprechender Infor- mationsfluß innerhalb des Personals vorhanden ist, was in der hierar- chischen Struktur begründet ist.

Die Hausversammlung als Möglichkeit

Als ich im September 1976 mein Praktikum im Haus Roseneck anfing, existierte bereits eine einmal wöchentlich stattfindende Hausversamm- lung. Sie war für alle Hausbewohner verpflichtend und wurde auch von diesen als lästige Pflichtübung gesehen. Es war weniger eine Ver- sammlung nach dem demokratischen Prinzip, sondern hier wurden eher von "oben", d.h. der Heimleitung, Mahnungen, Anweisungen, Beschlüs- se weitergegeben. Sofern einige mutigere Hausbewohner es wagten, etwas aus ihrer Sicht darzustellen, Konflikte im Zusammenleben zu benennen oder gar Anordnungen der Heimleitung zu hinterfragen, rea- gierte diese meist dergestalt darauf, daß sie die Angelegenheit der öffentlichen Diskussion entzog oder Auseinandersetzungen durch die Berufung auf bestimmte anerkannte Normen aus dem Wege ging. Der Heim- leiter oder seine Vertreterin waren bei dieser Versammlung die zen- tralen Personen. Alles wirkte recht einschüchternd, und die mei- sten waren froh, wenn die Veranstaltung beendet war. Sie konnten

sie nicht als ihre eigene Sache betrachten,

Obwohl nach dem Heimgesetz ein Heimbeirat gewählt wird, hat diese Möglichkeit keine praktischen Konsequenzen für die Hausversammlung gehabt. Es war eher ein resignatives Moment zu erkennen, daß man ja sowieso nichts verändern könne.

"Das Verhältnis des Sozialarbeiters (oder sonstigen Mitarbeiters,

Anm. v. mtr) zum "Klientel! ist institutionell genau geregelt: es

ist ein Objektverhältnis - ein gleichgültiges, desinteressiertes Verhältnis. Diese Regeln stehen nirgendwo geschrieben, sind versteckt. Man merkt sie erst, wenn sie durchbrochen werden. Dann werden sie wirksam: als Drohung, Verbot, Rausschmiß.'" (Sozialmagazin 5, 1978, 5:22)

INTERVIEW MIT К. DER IN EINER WERKSTATT FUR BEHINDERTE ARBEITET

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Kannst du mir mal sagen, wie lange du schon in der Werkstatt fiir Behinderte - früher die Beschützende Werkstätten genannt - ar-

beitest?

Ich arbeite dort seit 1974. |

Das heißt Werkstatt für Behinderte. Wie kommt das? Bist du be- hindert? A

So haben sie mich eingestuft. Weil der Sozialarbeiter nicht mehr weiter wußte. Und irgendetwas mußte ja geschehen, und ich hab auch keine andere Möglichkeit mehr gesehen. Alleine bin ich nicht zurechtgekommen, da bin ich dann ins Übergangswohnheim. Durchs Wohnheim mußte ich dann in die Werkstatt wegen der Arbeit.

Was hast du denn vorher gearbeitet?

Vorher hab ich an der Drehbank gearbeitet.

Ja. Und was ist dein erlernter Beruf?

Maschinenschlosser.

Kannst du jetzt in der Werkstatt in deinem erlernten Beruf ar- beiten?

Nicht direkt, aber ich bin an der Drehbank.

Kannst du mal erklären, was du da machst?

Was so'ne Drehbank alles macht. Ich hab jetzt grad wieder so was, so bißchen kompliziert, ich komm aber nicht auf den Namen, wie das heißt. Muß also ein bißchen aufpassen. Ist auch besser, kann man sich noch ein bißchen konzentrieren. Vergeht die Zeit auch wenigstens, wenn man so keinen langweiligen Kram da hat.

Das ist nicht dein erlernter Beruf, aber es hat was damit zu tun. Hab ich ja früher schon mal gemacht.

Macht dir die Arbeit Spaß?

Ja, die Arbeit schon

Und ansonsten?

Nur eben mit dem Geld.

Ja, kannst du mal sagen, wieviel Stunden du arbeitest und wie- viel Geld du bekommst?

Ich arbeite im Monat 140 Stunden. Da bekomm ich jetzt 448 Mark und ein paar Pfennige.

Und wieviel hast du früher verdient?

An die 1.000.

Wie komt es daß ihr da so wenig bezahlt bekommt? Weißt du das? Eben keine Möglichkeit, das finanziell da, irgendwer muß da we- niger verdienen.

Bist du damit zufrieden oder nicht?

Ja im Moment, was es jetzt gibt, das geht ja schon mal. War früher noch weniger.

Wie denn?

Jo, was gab's denn früher im Wohnheim, so an die 300, und da wurde ja noch mal was abgezogen.

. Also, als du im Ubergangswohnheim warst, wurde noch was abgezogen

von dem, was du da in der Werkstatt hattest? Kannst du mal sagen, ob diese Arbeit in der Werkstatt fiir den Ubergang geplant ist oder ob es auf Dauer ist? Und was sich die Werkstatt oder die Leitung da irgendwie denkt, wie du da wieder rauskommen sollst? Ja, es lief vom Ubergangswohnheim aus. Wie war denn das jetzt noch mal? Eine Umschulung war da, alle Hebel in Bewegung gesetzt wegen der Umschulung, und ich war kaum ausgezogen, da kriegte ich ein Schreiben, wir lehnen das ab, ich hatte dann noch Wider- spruch eingelegt, weil sie das abgelehnt hatten, dann kam gleich anschließend ein Schreiben, daß eben das alles abgelehnt ist. Warum ist es abgelehnt worden?

Jo, weils um Geld ging.

Zu was solltest du denn umgeschult werden?

Das weiß ich auch nicht.

Du bist nicht weiter dazu gefragt worden? - Wie sieht das denn jetzt aus. Jetzt bist du seit drei Jahren da, und was planen die in der Werkstatt jetzt weiter?

Von der Werkstatt aus hör ich gar nichts. Wenn man nicht selber irgendwas macht, dann tut sich auch nichts.

Es ist also nicht geplant, daß du da übergangsweise arbeitest und dann in einen anderen Betrieb irgendwie wieder kommst?

Nee. Bis jetzt hab ich davon noch nichts gehört, daß das so ge- plant ist.

Wie ist das denn mit den anderen, haben die auch so einen ähnli- chen Beruf, die die Arbeit verrichten?

Nee, die haben ganz andere Berufe. Werden da eben angelernt.

So leichte Sachen am Anfang, die man darauf machen kann auf der Drehbank.

Was hatten die denn für Berufe?

Die meisten haben gar keinen Beruf.

Kannst du mir mal sagen, ein bißchen näher beschreiben, wieso

du in der Werkstatt gelandet bist? Das war nicht ganz so deut- lich.

Ich war im Blauen Kreuz, ach nee, ich muß im PKH anfangen. Ich bin im PKH gewesen, acht Monate, da hatte ich so mit dem Psycho- logen, ich hatte so Angst wieder vor draußen, weil ich schon ein paarmal im Blauen Kreuz war. Ich hatte mich auch nicht getraut, mich noch mal dahinzuwenden. Es war immerhin das drittemal. Ich nehme an, daß das dann nachher durch den Psychologen geklappt hatte. Weil ich schon acht Monate da war, und die Krankenkasse war am Drängen, daß ich raus sollte, und dann hat es noch mal geklappt. Dann hab ich drei Monate im Blauen Kreuz gelebt, mit Alkohol war nichts in der Zeit, aber als immer die komische ... vor dem Ausziehen. Dann eines Tages, nach drei Monaten, sagte Herr A., ich müßte ausziehen, weil ich keine Arbeit hätte. Ich hab mich auch so stark gefühlt, schaffte ich auch jetzt. Dann hab ich auch eine Bleibe gefunden, ich kannte da jemanden, der trank nichts und da bin ich dann hingezogen. Es hat nur 1 - 2 Tage gedauert, dann hab ich wieder angefangen zu trinken, weil mir die Decke auf den Kopf gefallen ist, und dann war's schon unten im Keller. Ich hab's mir so schön vorgestellt, aber es ging einfach nicht. Dann hab ich wieder angefangen zu tringen, regelmäßig, dann bin ich wieder ins Blaue Kreuz gegangen. Da hatte der rich- tige Mann gerade Dienst gehabt. Der hat mich aufgerichtet und

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Sege: ich sollte doch noch mal kommen und nicht aufgeben. Der Can daan alles Mögliche in die Wege geleitet. Ins PKH wollte er mich nicht schicken, dann haben sie mich noch 14 Tage behalten bis die Kostenfrage geregelt war und dann bin ich ins Übergangs- | heim gekommen, und seit der Zeit trink ich keinen Alkohol Das ist ein Pluspunkt, aber sonst ... das hört sich alles keinen Alkohol mehr trinken. Aber das andere ... man will ja mehr, als keinen Alkohol mehr trinken. Man will sich ja was leisten können, wenn man schon keinen Alkohol trinkt.

st das mit dem Leisten-können in der Werkstatt?

wohn mehr. so gut an,

R. Wie i e

K. Das geht doch eigentlich. Я |

R. Was meinst du sonst noch mit Leisten-kénnen?

K. Mal in Urlaub fahren so richtig. Vor allen Dingen, wo sich die Situation jetzt geändert hat, ich bin nicht mehr alleine. Aus dem Grunde schon.

R. Das geht aber schlecht, weil du so wenig verdienst. Ich wollte noch mal nachfragen, wie es eigentlich kommt, daß du soviel ar- beitest, fast tarifliche Arbeitszeit hast und nicht tariflich bezahlt wirst? Was wird denn dazu gesagt? Du leistest ja an der Drehbank eine ganz normale Arbeit. Oder hast du irgendwelche Vor- züge gegenüber anderen Arbeitsplätzen?

K. Wir verdienen noch am meisten mit.

R. Im Vergleich zu anderen Werkstätten?

K. Bei uns so in der Werkstatt.

R. Für den Arbeitsplatz bekommt ihr am meisten?

K. Wenn man natürlich so mindere Arbeit macht an der Drehbank, dann

bekommt man auch nicht so viel.

R. Aber du machst jetzt eine ziemlich hoch qualifizierte Arbeit kriegst aber trotzdem nur 448 Mark. А

К. Јо, die Betreuer sagen uns immer, wir können euch nicht mehr aus- bezahlen. Mehr gibts nicht.

R. Wie kommt das zustande mit dem Verdienst? Wißt ihr das?

K. Ja, für die Teile, die wir machen, bekommen wir von der Firma soundsoviel, angenommen 1.50 für das Teil, wenn das dann fertig ist, daraus setzt sich der Verdienst zusammen. Dann noch irgend- welche Zuschüsse vom Arbeitsamt.

R. Also, die individuellen Teile, die du machst und dann noch den Zuschuß. Kannst du mal sagen, wie du es sonst noch so findest, in der Werkstatt zu arbeiten? Für dich persönlich?

K. Am meisten ärgert mich das immer mit dem Geld. Aber sonst, so die Arbeit, kann ich eigentlich nichts gegen sagen.

R. Was ist, wenn jemand krank ist?

K. Man kann nie genau sagen, wieviel Geld man kriegt. Angeblich 2,50 für den Tag, wo man krank ist. Aber als ich mal 14 Tage krank war, habe ich nichts davon gemerkt.

R. Von was hängt das ab?

K. Wie die Betreuer einen einstufen. Die schätzen das über den Daumen.

R. Wie ist es, wenn du irgendwohin gehst und man dich nach deinem Arbeitgeber fragt?

K. Das sag ich lieber nicht.

R. Kannst du mir sagen wieso?

K. Das ist irgendwie eine komische Situation. Weil ich schon mal beim Unfallarzt war, da hab ich mich bei der Arbeit verletzt und da hat der mich gefragt, wie kommen Sie denn ... Sie sehen doch

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gar nicht so aus. Wieso sind Sie in der Werkstatt? Das sind dann immer so Situationen, da fragt man sich selber, ja, wie ist man denn dahin gekommen. Warum ist das denn alles so?

Gibt es noch mehr Situationen, wo es unangenehm ist?

Ja, so allgemein, wenn man das sagen muß, ich kann das nicht so richtig aussprechen.

Mir fällt da die Situation ein, wo ihr ein Auto gemietet habt.

Es war so deprimierend, so richtig peinlich. Ja, Moment, ich muß erst mal wissen, wo Sie arbeiten, die Bankverbindung. Ich war in der Annahme, das wär schon alles geregelt und alles gesagt und dann hat er so komisch gemacht: Sind Sie denn fest angestellt oder arbeiten Sie da? Und da wollte er unbedingt auch die Telefon- nummer wissen und da anrufen und da wars mir schon ein bißchen komisch und flau im Magen. Jetzt kriegst du das Auto womöglich noch nicht mal. Dann hat er dann da oben angerufen ... den Werk- stattleiter. ... Er wollte es uns eigentlich nicht geben, dann ist mir noch eingefallen, ach, du hast ja noch eine alte Rechnung und daraufhin haben wir ihn dann gekriegt.

Wie ist das mit deinen Arbeitskollegen jetzt, die unterscheiden sich doch von denen, die du früher hattest? Es ist doch eine an- dere Atmosphäre in der Werkstatt?

Das ist eigentlich keine schlechte Truppe. Einer ist manchmal

so drunter, der macht den wilden Max, ist dann so nervös und hopst dann rum ... aber zur Zeit sind wir alle zu ruhige Vertre- ter, die ihre Arbeit machen, da geht das eigentlich zur Zeit, kann man sich ein bißchen konzentrieren auf die Arbeit. Ist schnell was kaputt.

Sind da welche, die kränker sind, kannst du sie mal beschreiben? Viele sind eigentlich geistig ... die kommen nicht so richtig mit. Das sind dann auch viel so von der Trinkerei, hab ich heute wieder gemerkt beim Einrichten. Mir ist nichts eingefallen... (stöhnt). Und dann Körperliche, die können schlecht laufen, der eine hats mit dem Kreislauf und mit dem Herz.

Also verschiedene Krankheiten, die die Leute haben. Ja, fällt

dir noch irgendetwas ein?

Nee.

Dann machen wir Schluß.

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Roswitha Gebauer

WERKSTATT FUR BEHINDERTE GEFANGENSCHAFT ANDERS

Laut Psychiatrie-Enquete (S. 229) gehören die Werkstätten für Be- hinderte zu den speziellen rehabilativen Diensten und haben den Auf- trag, als ein Teil eines gestuften Angebotes möglichst die volle Re- habilitation der Betroffenen am Arbeitsmarkt zu erzielen.

Diese Aufgabe erfüllen sie bislang nicht, denn es scheint so zu sein, daß die Werkstätten auch ein Glied in der oft erwähnten thera- peutischen Kette sind, der keiner so leicht entrinnen kann und soll. Dieselben Patienten kreisen häufig zwischen PKH - Übergangswohnheim - Werkstatt für Behinderte - PKH.

So ist in einem Mitteilungsblatt einer Werkstatt zu lesen:

"Durch diese Initiativen des Vereins für Volkswohl wurde erreicht, daß 190 behinderte Mitbürger ihren Fähigkeiten entsprechende Be- schäftigungsmöglichkeiten fanden, die ohne Vorhandensein einer sol- chen sozialen Einrichtung im allgemeinen Arbeitsleben chancenlos

als Außenseiter am Rande der Gesellschaft hätten leben müssen."

Die Aussonderung, die vermieden werden soll, wird also mit der Werk- statt sichtbar betrieben, die dort Arbeitenden bleiben Außenseiter.

Unterschiedliche Gruppen von Außenseitern werden zusammengefaßt. So arbeiten beispielsweise in einer Werkstatt:

60 % sogenannte geistig Behinderte

15 % sogenannte psychisch Behinderte

15 % sogenannte körperlich Behinderte

10 % sogenannte Sinnes- und Organ-Behinderte

Der einzig plausible Grund scheint dafür in rationellen Überlegungen zu liegen. Die Werkstattleitung jedoch bezeichnet die Zusammenar- beit dieser verschiedenen Menschen als positiv und eine gegenseiti- ge Bereicherung.

Die Rehabilitations- und Arbeitsangebote richten sich nicht nach den individuellen Bedürfnissen der Einzelnen, sondern sind in der Regel von den Angeboten der jeweiligen Industrie abhängig.

Die Manifestation der Ausgrenzung wird auch durch das Konzept der Werkstatt deutlich. So ist bezeichnend, daß eine Werkstatt drei Hauptbereiche benennt: Eingangsbereich, Trainingsstufe, Dauerar- beitsplätze. Die Vermittlung auf dem freien Arbeitsmarkt gehört zur Ausnahme. "Mit den so erlernten Fähigkeiten soll das Ziel im Rah- men der Trainingsstufe vereinzelt die Vermittlung an einen Arbeits- platz der Industrie sein oder im Regelfall in der Eingliederung an einem qualifizierten Dauerarbeitsplatz innerhalb der Werkstatt enden." (Selbstdarstellung der Kasseler Werkstatt) Dieser zweifel- los soziale Abstieg, der für den psychisch Kranken mit dem Arbeits- platz in der Werkstatt verbunden ist, wird auch durch die symboli- sche Bezahlung dokumentiert.

Was sind diese "behinderten Mitbürger" eigentlich? Sind sie Arbeit- nehmer oder Patienten? Von der Werkstattleitung werden sie oft als Belegschaft bezeichnet, jedoch gibt es für diese Belegschaft keinen Betriebsrat (die Mitarbeitervertretung ist unbedeutend) und auch keine gewerkschaftliche Organisation.

So bleiben sie Patienten.

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Friederike Rauschenberger

WOHNGRUPPENMODELL IN MARBURG

"Ab morgen will ich selber leben" - so hieß ein ZDF-Film vom Sep- tember letzten Jahres, in dem die Biirgerinitiative Sozialpsychiatrie e.V. aus Marburg vorgestellt wurde. Der Titel sollte den programma- tischen Anspruch dieser Einrichtung andeuten, psychisch Kranken eine Möglichkeit zu geben, sich nach teilweise langen Klinikaufenthalten im Rahmen eines Übergangsheims auf ein selbständiges Leben vorzube- reiten.

Wir haben, als Zivildienstleistender und als Jahrespraktikantin der Sozialarbeit die Entwicklung der Bürgerinitiative kennengelernt und waren als Mitarbeiter sozusagen beteiligt an der praktischen Um- setzung der theoretischen Ansprüche, bzw. an ihrem Scheitern. Zunächst einmal existierten nur diese Ansprüche, ausgearbeitet vor etwa sieben Jahren von einer Gruppe von Laien und "psychiatrischen Profis", die Kontakt zu Patienten der Klinik in Marburg aufgenommen hatten. Diese Kontakte beschränkten sich anfangs auf Besuche in der Klinik, man traf sich wöchentlich zum Kaffeetrinken und zu Spazier- gängen in der Stadt. Diese Art der Betreuung reichte aber nicht aus, denn obwohl die Patienten so weniger isoliert waren, änderte sich doch nichts Grundlegendes an ihrer Situation. Die Patienten dräng- ten schließlich selbst darauf, Wohn- und Arbeitsplätze außerhalb

der Klinik zu bekommen und so wieder Zugang zu einem normalen, selbstverantwortlichen Leben zu finden.

Die BI wurde gegründet und kaufte mit der finanziellen Unterstützung des Landeswohlfahrtverbandes und der Stadt ein großes Haus in Mar- burg. Ein professionelles Team wurde für die zwölf Patienten einge- stellt, das sie während ihres Aufenthaltes im Übergangsheim und in den daran anschließenden Wohngruppen betreuen sollte.

Die Therapie der BI besteht einerseits aus psychotherapeutischen Angeboten; die Patienten haben in Einzel- und Gruppengesprächen die Möglichkeit, sich in ihrer Entwicklung, wie auch in den aktuellen Schwierigkeiten im Haus zu reflektieren. Den Alltag der Therapie macht allerdings das Hausprogramm aus, ein genau ausgearbeiteter Wochenplan, der alle Bewohner zu gemeinsamen Aktivitäten schon bei ihrem Einzug verpflichtet. Im Grunde ist es als Ziel der Zeit im Übergangsheim zu definieren, sich während der neun Monate diesem Plan anzupassen, ihm Folge leistend einkaufen zu gehen, zu putzen, Essen zu kochen und die Freizeit zu verbringen. Darin besteht das, was im Munde der Therapeuten "Soziotraining" heißt.

In der letzten Behandlungsphase im Übergangsheim, nach etwa einem halben Jahr, werden die Bewohner der BI auf die Ablösung vom Haus und der intensiven Betreuung dieser ersten Zeit vorbereitet. Die Patienten werden in kleineren Gruppen alleine wohnen, eine Ausbil- dung machen oder arbeiten gehen.In Gesprächen mit Angestellten des Arbeitsamtes, in Eignungstests und schließlich durch Praktika sollen

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die Hausbewohner ihre beruflichen Wünsche und Fähigkeiten kennen- lernen.

Zu Zeiten der Vollbeschäftigung, als das BI-Konzept entstand, schien die Frage der beruflichen Wiedereingliederung keine Schwierigkeit. Bei der heutigen Arbeitsmarktlage, bei steigender Arbeitslosigkeit in besonderem Maße bei Randgruppen wie psychisch Kranken, erweist sich die Vermittlung von BI-Patienten als nahezu größtes Problem.

Angesichts der dauernd scheiternden Versuche und der Resignation und Unlust, die daraufhin bei den Patienten entstand, entschlossen sich die Mitarbeiter, ihnen voran die Vorsitzende des Vereins, zur Ein- richtung einer Beschützenden Werkstatt.

Fast jeder Patient, mit Ausnahme derer, die ohne Schwierigkeit einen Arbeitsplatz finden, wird noch während seines Aufenthaltes im Haus verpflichtet, in diese Werkstatt zu gehen. Die Werkstatt, getragen von der Lebenshilfe, die ursprünglich nur als Träger in Erscheinung treten sollte, ihre Interessen im Laufe der Zeit aber immer vehemen- ter durchsetzt, ist auf lukrative Aufträge der Industrie angewiesen, um existieren zu können. Vom eigentlichen Konzept dieses Unterneh- mens, die Patienten auf dem Wege kreativitätsfördernder Arbeiten in einen späteren Beruf einzugewöhnen, konnte daher nicht viel übrig- bleiben: fast ständig werden die Patienten damit beschäftigt, pri- mitivste und stumpfsinnigste Arbeiten auszuführen, die eben sonst kein Mensch tun würde, jedenfalls nicht bei dermaßen schlechter Be- zahlung. Seelisch Behinderte werden dort als ebenso zu behandeln eingestuft wie die körperlich und geistig Behinderten, mit denen

es die Lebenshilfe sonst zu tun hat.

Nach vollendeter Zeit im Übergangsheim, d.h., wenn die Betreuer eine Patientengruppe zusammengestellt haben, die sie für reif und fähig befinden, sich unter loseren Bedingungen zurecht zu finden, voll- zieht sich der Übergang in die Wohngruppen. Dort sollte nun bereits jeder Patient imstande sein, mit seinen Mitbewohnern - relativ lok- ker betreut - zusammenzuleben. Die Besuche des Sozialarbeiters wer- den immer mehr eingeschränkt,und die Patienten sollen nun die auf- tretenden Schwierigkeiten miteinander alleine lösen können.

Dies geschieht allerdings sehr selten. Es ist uns kaum ein Fall einer so funktionierenden Wohngruppe bekannt. Vielmehr scheint die Bürgerinitiative hier eine eigene Spielart der Drehtürpsychiatrie entwickelt zu haben; von nahezu jeder Krise sieht sich das Team so überfordert, daß es keine anderen Möglichkeiten findet, als die Be- troffenen wieder in die Klinik einzuweisen. Es gibt eine ganze Rei- he von Patienten, die schon jahrelang ständig zwischen Klinik und kurzen BI-Aufenthalten pendeln und kaum einen Monat in ihren Woh- nungen verbracht haben. =

Solche "Rückfälle" sind natürlich nicht auszuschließen, und man wird sich im Umgang mit psychisch Kranken daran gewöhnen müssen, daß es Krisen gibt, die zur Einweisung in die Psychiatrie zwingen. Doch scheint uns ein Zusammenhang zwischen der überbehüteten Situation der Patienten während ihres Aufenthaltes im Übergangsheim und der Verlorenheit, in die sie demgegenüber geraten, wenn sie auf sich selbst gestellt sind, zu bestehen.

Bei denjenigen, die sich um eine Therapie in der BI bemühen, ist es in den meisten Fällen so, daß sie über den behandelnden Arzt mit

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der BI in Berührung kommen; sind sie aufgrund der von diesem vermit- telten Informationen bereit, sich näher mit der Einrichtung zu be- fassen, wird ihnen ein Gespräch mit der Psychologin im Übergangs- heim vermittelt, welches vor allem dazu dient, dieser eine Vorstel- lung vom Krankheitsbild der potentiellen Bewerber zu vermitteln, ihr bei der Entscheidung zu helfen, ob diese zu den übrigen Patienten passen könnten. Die Besucher selbst können sich durch ein- oder mehr- malige Teilnahme am Hausprogramm eines bestimmten Tages einen ober- flächlichen Eindruck über den Alltag im Haus, die Mitglieder des Teams und die Mitbewohner,die zu erwartenden Anforderungen und Be- lastungen verschaffen.

Kommen sie zu dem Entschluß, sich auf eine Therapie einzulassen, к müssen sie oft längere Zeit, manchmal еіп halbes Jahr, auf das Frei- werden eines Therapieplatzes warten. Der Einzug ist für die meisten zugleich ein Verlassen der Heimatstadt, in jedem Fall aber der Zwang, sich nun mit zuhächst Fremden auf engstem Raum arrangieren

zu müssen.

Zwischen 8.30 und 18.30 Uhr sind die Betreuer im Haus und erwarten, daß in dieser Zeit an den therapeutischen Gruppen teilgenommen und dort die Gelegenheit wahrgenommen wird, Probleme und Konflikte zu bearbeiten. Verweigerung in den Gruppen, Nichterfüllung übernomme- ner Dienste, das Verhalten gegenüber den Mitbewohnern und Betreuern, all das und vieles mehr wirft Fragen auf, auf die Antworten in den Gruppen verlangt werden; es wird Verantwortlichkeit und Bewußtheit sich selbst gegenüber erwartet.

Von Beginn an gilt es, einen Beitrag zur Gestaltung des alltäglichen Zusammenlebens zu leisten (Putzen, Kochen, Einkaufen usw.). Nach Möglichkeit sollen die menschlichen Beziehungen nicht auf das Haus beschränkt bleiben. Es wird soziale Aktivität erwartet, und nach einigen Monaten setzen intensive Bemühungen um eine geeignete Berufs- perspektive ein.

Wer vorher nur das Leben bei den Eltern kannte, wo die Krankheit zwar meist auf Unverständnis stieß, aber auch die Entbindung von vielen Pflichten bedeutete, über den müssen die geschilderten Anforderungen wie ein Trommelfeuer hereinbrechen. Wer ihnen zu entfliehen ver- sucht, wird mit größter Geduld und Regelmäßigkeit wieder hineingeführt - und nur, wer diesem Härtetest standhält und sich den Erwartungen anpaßt, kann mit baldiger Erfolgsmeldung rechnen. Ausweichen im ge- setzten Rahmen wird nur in Maßen geduldet. Wer sich den Normen des Übergangsheims konsequent verweigert, dem wird in aller.Regel die Tür gewiesen - für den hält man sich nicht für zuständig. Spektakuläre Aktionen sind für Bewohner und Betreuer eine zu große Belastung. Es wird kaum eine andere Konsequenz geben, als die Inter- nierung in der Nervenklinik. Dann, nach wenigen Wochen, kann das Wagnis Therapie wieder eingegangen werden, eingedenk der Mahnungen, welch nahezu einmalige und vor allem letzte Chance hier gegeben sei, den Absprung von der Psychiatrie der Drehtür zu schaffen.

Lohnt sich dafür nicht die Unterwerfung unter die Zwänge der Alter- native zur herkömmlichen Psychiatrie? Ähnlich verbitterte Fragen sind sicherlich auch aus Kreisen der Mitarbeiter zu hören. Man fragt sich dort angesichts eines ständig steigenden Legitimationsdruckes und eher sinkender Bereitschaft zur Unterstützung von Modellversu- chen, ob es sinnvoll ist, auf diesem Wege weiter ein Höchstmaß von persönlicher Kraft zu investieren; Erfolge in der Arbeit mit psy- chisch Kranken sind nicht so kurzfristig zu erreichen, wie man in

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der BI gezwungen ist, sie sich, gedrängt durch eigene Ansprüche

und Erwartungen der Geldgeber, vorzumachen.

Nach siebenjähriger Praxis eines Versuchs, alternative, freiere Psychiatrie zu machen, läßt sich noch keine Erfolgsstatistik auf- stellen, die diesen Weg gegenüber dem der traditionellen Psychiatrie rechtfertigt. Die Zahl derer, die trotz BI-Betreuung noch in der Klinik landen und als hoffnungslos angesehen werden, ist hoch.

Wir stehen der Arbeit der BI gespalten gegenüber : Einerseits mei- nen wir, daß die Entwicklung, die die BI nimmt, diese immer weiter von der ursprünglichen Idee der Bürgerinitiative entfernt. Die Insti- tutionalisierung nimmt zu, und mit ihr schwindet die Möglichkeit,

von außen her Einblick zu erhalten und Einfluß zu nehmen.

Doch gibt es noch viel zu wenig vergleichbare Ansätze, und man muß sagen, daß trotz aller Kritik und Enttäuschung das Engagement für einen Versuch wie den der BI vertretbarer ist als der gängige re- signierte Karrierismus in unseren psychiatrischen Kliniken.

Weltweit sind die Lebensgrundla- gen der Mensch-

MARXISMUS UND

TURN STE Aert durch die ka- - pitalistische Art

der Naturbeherr- schung bedroht. Die Alternative lautet heute nicht mehr nur: Sozialismus oder Barbarei. Sondern ne Sozialismus oder Braten, a eh gal Mondwerdung der Erde. Erst spat beginnt die Lyi Sa | Linke sich dieses Problems bewußt zu werden. ‘Marxismus und Naturbeherrschung’’ ist ein Dok- ument dieses Umdenkens. Mit Beiträgen von: O.Negt, B.Schmidt, P.Dudek, B.v.Greiff, G.Armanski, N. Diemer,O. Ullrich, H. Zeltwanger, V. Brandes, H. Sackstettter, W. Hoss u.a. 184 Seiten, DM 1o,--

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7 РА

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Albrecht Letz/Ulrich Blanke/Ulrike Tubbesing

ERFAHRUNGEN AUS EINER,

ZUR PSYCHIATRIE ALTERNATIVEN WOHNGEMEINSCHAFT IN LONDON EIN INTERVIEW

Ulrike Tubbesing hat ein halbes Jahr in einer therapeutischen Wohn- gemetnschaft der Arbours Association in England gelebt. Sie schil- dert in einem Gespräch ihre Erfahrungen, den geschichtlieh-konzep- tionellen Hintergrund und einige therapeutische Arbeitshypothesen der Gruppe.

Ulrich: Ulrike, du hast eine Zeitlang in England in einer therapeu- tischen Wohngemeinschaft gearbeitet und gelebt. Kannst du mal sagen, was das für eine Einrichtung war, wie du da hingekommen bist und als was du da tätig warst?

Ulrike: Formaler Grund war, daß ich innerhalb meines Projektstudi- ums an der Gesamthochschule Kassel, Fachbereich Sozialwesen, ein halbes Jahr Praktikum machen mußte. Da ich vorher in der Sozialthe- rapie in Kassel engagiert war, und wir damals in unserer Wohngemein- schaft privat öfters Leute aus der Psychiatrie vorrübergehend auf- genommen hatten und länger Beziehungen zu ihnen eingegangen sind, war es für mich ein logischer Schritt, mich in der "Antipsychiatrie", oder besser gesagt, in den bekannten Alternativen zur Psychiatrie

in Italien und England umzusehen. Bei der Arbours Association in London habe ich dann einen Praktikumsplatz in einer therapeutischen Wohngemeinschaft bekommen.

Ulrich: Wie ist die Stellung dieser therapeutischen Wohngemeinschaf- ten im Rahmen der "Antipsychiatrie" Englands, und wie ist diese Idee entstanden?

Ulrike: In den sechziger Jahren, im Zuge der Studentenbewegung haben sich Psychiater, Ärzte, Sozialarbeiter, Künstler und Studenten zu- sammengetan - die waren auch beeinflußt von der psychedelischen Be- wegung (Timothy Leary u.a.) - und wollten ganz einfach die traditio- nelle Psychiatrie, die als repressiv und krankmachend galt, verän- dern. Sie haben damals in Kingsley Hall eine Wohngemeinschaft ge- bildet und haben dort mit Leuten, die aus der Anstalt kamen, oder als wahnsinnig etikettiert worden waren, zusammengelebt. Das waren, um bekannte Namen zu nennen, Laing, Schatzman, Berke, Esterson, Cooper und Mary Barnes. Eine ihrer Grundideen war, das herkömmliche Machtverhältnis Arzt - Patient oder die Trennung zwischen "gesund" und "krank" aufzuheben und eine gemeinsame Betroffenheit des Lei- dens unter bestimmten gemeinsamen Bedingungen in der Gesellschaft herauszuarbeiten und sich gegenseitig zu helfen und zu unterstützen. Die Gruppe hat sich bald aus verschiedenen Gründen gespalten, und daraus sind die Philadelphia Association und die Arbours Association gebildet worden. Neben diesen Vereinen gibt es in London noch eini- ge Selbsthilfegruppen, wie zum Beispiel "cope". - Berke und Schatz- man sind gewissermaßen "die ideologischen Leiter" der Arbours Asso-

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ciation. Abours hat drei therapeutische Wohngemeinschaften, Phila- delphia ca.acht, die sich alle in London befinden, und die bis zu zwölf Bewohner aufnehmen können. Leider sind nicht einmal die Wohn- gemeinschaften untereinander vernetzt.

Ulrich: Wer kommt als "psychisch Kranker" in eine solche therapeu- tische Wohngemeinschaft?

Ulrike: Alle, die sich in irgendeiner Weise dafür interessieren.

Das kann durch Eigeninitiative, durch Vermittlung eines Sozialar- beiters oder im Anschluß an eine Krisenintervention oder Intensiv- therapie geschehen. Es gibt also nur echte Freiwillige, keine Zwangs- einweisung aus einer psychiatrischen Anstalt in eine therapeutische Wohngemeinschaft. Die Freiwilligkeit des Aufenthalts ist eines der obersten therapeutischen Grundprinzipien von Arbours.

Ulrich: Gibt es Aufnahmekriterien?

Ulrike: Bei Sucht würde wohl jemand nur nach einer Entziehungskur aufgenommen. Ansonsten gibt es keine Einschränkungen, weder in Be- zug auf die Art der Problematik (Psychose, Neurose, Verhaltensauf- fälligkeiten) noch in Bezug auf die persönliche Geschichte. Die Wohngemeinschaftsmitglieder suchen sich unter den Bewerbern selbst ihre zukünftigen Mitbewohner aus. Bei Arbours sah man die Probleme der Leute nicht als Krankheiten, sondern vielmehr als überwindbare psychosoziale Krisen. Jemanden als "psychisch krank" oder ähnlich

zu bezeichnen, gilt als schwere Stigmatisierung, die insofern athe- rapeutisch ist, als Leute solche Bezeichnungen verinnerlichen kön- nen.

Ulrich: Wie sieht so ein Tagesablauf in der Wohngemeinschaft aus? Ulrike: Der Tagesablauf war in keiner Weise vorgeplant. Jeder konn- te tun und lassen, was er wollte. Als feste Termine gab es lediglich zweimal in der Woche Gruppentreffen unter der Leitung eines nicht

in der Wohngemeinschaft lebenden Therapeuten. Einige WG-Mitglieder gingen arbeiten, einige waren arbeitslos und lebten von der Sozial- hilfe und waren überwiegend zuhause. (Sich abweichend Verhaltende sind bekanntlich besonders stark von der hohen Arbeitslosigkeit be- troffen.) Was eine unverbindliche Norm war, häufig aber nicht einge- halten wurde, war die Einnahme einer gemeinsamen Mahlzeit am Abend. Albrecht: Wovon hast du gelebt?

Ulrike: Aus eigenen Mitteln und Mitteln der Hochschule in Kassel. Ich wurde als Praktikantin nicht bezahlt und mußte für die allgemei- nen Kosten wie Miete und Nebenabgaben anteilig genauso aufkommen, wie jeder andere auch. Wir hatten eine gemeinsame Haushaltskasse. Ulrich: Woher kamen die Leute in deiner Wohngemeinschaft, wie lange blieben sie erfahrungsgemäß im Durchschnitt, und wohin gingen sie anschließend?

Ulrike: Fast alle, bis auf einen oder zwei, hatten einen Psychia- trieaufenthalt hinter sich. Sie kamen aus allen gesellschaftlichen Klassen und Schichten. Überwiegend kamen sie aber aus kleinbrüger- lichen bis proletarischen Verhältnissen. Einige waren schon in staat- lichen Rehabilitationseinrichtungen gewesen. Fast niemand hatte

eine Berufsausbildung. Das Alter der WG-Mitglieder lag in unserer WG zwischen achtzehn und vierunddreißig Jahren. Es lebten Männer

und Frauen zusammen. Ich halte ein annäherndes Gleichgewicht im Ge- schlechterverhältnis für günstig.

Ulrich: Wie sehen Bewohner die therapeutische Wohngemeinschaft, mehr als Übergangseinrichtung oder als dauerhafte Lebensgemeinschaft? Ulrike: Es wurde mehrfach diskutiert, ob man eine Mindest- oder Höchst-

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In dieser Frage waren sich die WG-Leute und die Mitarbeiter von Arbours untereinander nicht einig, Ich kam zu der Überzeugung, daß es individuell sehr verschieden ist und von persönlichen Entwicklungsgeschichten abhäng1g gs WER gader Bin- zelne die Wohngemeinschaften für sich nutzt und wieviel Zeit er da- zu braucht: Der eine mag zwei Monate brauchen, um sich in eine Grup- pe zu integrieren, der andere ein Jahr; einer mag die WG als Schutz- raum länger brauchen - etwa zum Selbstständigwerden - als noch ein anderer. Einerseits halte ich eine Wohndauer von mindestens einem

Jahr sowohl für den einzelnen als auch für den Gruppenprozeß für iben der Gruppe in derselben Zu-

llenfixierungen und Stagnation

wohndauer festlegen sollte.

günstig; ein zu langes Zusammenble

sammensetzung kann andererseits Ro А Pane p ч fördern, da keine frischen Impulse und Beziehungsmöglichkeiten in

die Gruppe hineingetragen werden. Deshalb halte ich festgelegte Auf- enthaltsdauerbestimmungen für zu starre, unflexible Regelungen. { Es gibt WG-Mitglieder, die meinen, die Wohngemeinschaft sollte eine Lebensperspektive sein, andere sehen 51е als Ubergangseinrichtung. Die Gefahr von Hospitalisierungstendenzen sehe ich bei den Arbours Wohngemeinschaften kaum, obwohl man schon mehr auf Selbstverwaltung der Häuser und der Gelder hinarbeiten sollte. б h

Ulrich: Wie sieht das therapeutische Angebot für die Wohngemein- schafts-Leute aus? R

Ulrike: Arbours Association hat neben den drei therapeutischen Wohn- gemeinschaften noch ein Kriseninterventionszentrum und ist gleichzei- tig Ausbildungsinstitut. Sie haben auch noch einen ambulanten The- rapiebereich, wo alle losen und festen Mitglieder und Therapeuten der Arbours Association Hilfen anbieten. Es ist eigentlich eine Re- gel, daß jeder aus einer therapeutischen Wohngemeinschaft sich in Einzeltherapie befindet, analytischer Gesprächstherapie. Ein Angebot ist ferner, daß zweimal in der Woche die Gruppentreffen stattfinden, wo neben organisatorischen Problemen auch interpersonelle Schwierig- keiten der Wohngemeinschafts-Bewohner besprochen werden. An diesen nimmt ein externer Haustherapeut teil.

In diesen Gruppen schien sich die Beeinflussung von Laing - dessen therapeutischer Ansatz existentialistisch (Sartre u.a.) ist, vor- teilhaft auszuwirken. Ganz praktisch kam dieser Ansatz in den the- rapeutischen Gruppensitzungen darin zur Geltung, daß die Therapeuten doch immer wieder darauf hinweisen, daß man eine Wahl hat, in die- se oder jene Situation zu geraten, diese oder jene Rolle anzuneh- men oder zu verweigern. Es wurde auch klar, daß niemand jemanden А anderen zu irgendetwas zwingen kann und da& man auch eine Wahl trifft, wenn man keine trifft. Diese Argumente riicken dem Betroffenen die Verantwortung fiir sein Leben, sein Handeln, seine Zukunft ins Be- wußtsein.

Ferner gibt es in einer der anderen therapeutischen Wohngemeinschaft eine Kunstgruppe, an der jeder freiwillig teilnehmen kann. In der Freiwilligkeit der Teilnahme sehe ich eine Alternative zur unfrei- willigen Beschäftigungs- und Arbeitstherapie der Psychiatrie.

Dann gibt es eben diese Praktikanten/innen, wie ich eine war, die mehr als Beziehungspersonen definiert sind. Sie bieten Beziehungen an, und ihre Rolle ist nicht vorgegeben. Ich denke, viele Arbour- Therapeuten würden es begrüßen, wenn das therapeutische Angebot dahingehend erweitert werden könnte, daß nicht nur zwei, sondern mehrere wöchentliche Gruppentreffen stattfinden könnten - nur das ist momentan nicht zu leisten.

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Ulrich: Gibt es andere Unternehmungen, werden andere Angebote ge- macht, die nichts mit Therapie zu tun haben, wie z.B. in den Zoo gehen, gemeinsam zu angeln, gemeinsam eine Blockhiitte zu bauen oder eine Fabrik zu besichtigen?

Ulrike: Nein. Das wiirden Arbours und auch die Gruppenteilnehmer in gewisser Weise ablehnen. Das wäre ihnen zu psychiatriemäßig. Wie gesagt, Beschäftigungs-"therapie' war alles andere als beliebt. Ulrich: Ich meine nichts Psychiatriemäßiges, sondern: Was habt ihr zusammengemacht, was ist auf deine Anregung hin unternommen worden? Ulrike: Z.B. Tagesausflüge, gemeinsam Filme und Stadtteilfeste besu- chen; einigen habe ich versucht, deutsch beizubringen. Wir haben zusammen gekocht und gewerkelt.

Albrecht: Mich interessiert: Was haben die Leute selbst zusammen

in Angriff genommen?

Ulrike: Bei Netzwerktreffen aller Mitglieder der Arbours Associa- tion, die einmal im Monat in den therapeutischen Wohngemeinschaften im Wechsel stattfinden, kocht die betreffende WG für alle. Im übri- gen unternahm jeder etwas mit dem, mit dem er sich verstand. Für eine der wichtigsten therapeutischen Grundeinstellungen von Arbours halte ich in diesem Zusammenhang die Freiheit der Wahl der Beziehun- gen. Das ist der entscheidende Unterschied zur Psychiatrie: Dort können sich bekanntlich weder die Insassen noch das Personal aus- suchen, ob, mit wem und wie lange sie miteinander leben oder arbei- ten möchten; es handelt sich also dort in der Psychiatrie eher um eine Zwangsgemeinschaft.

Albrecht: Was waren die Hauptprobleme in eurer Wohngemeinschaft? Ulrike: Tendenziell die gleichen wie in jeder anderen Wohngemeinschaft auch: Nichterfüllte Beziehungswünsche, Eifersucht und Neid, starke Ambivalenzen in den Beziehungen, Doppelbotschaften und indirekte Kommunikation, informelle Hierarchien, damit verbunden Kontrolle

und Macht und nicht zuletzt das Nichtumgehenkönnen mit starken Ag- gressionen.

Albrecht: Sind über Außenkontakte Verbindungen entstanden, die die Kontakte innerhalb der Gruppe ergänzt haben?

Ulrike: Tendenziell nicht. Das liegt an den Vorurteilen der Umwelt, daß die meisten Wohngemeinschaftsmitglieder nicht so akzeptiert wur- den, wie man sich das wünscht. Deshalb waren die intensivsten und meist auch einzigen persönlichen Kontakte die innerhalb der Gruppe. Mehr Außenkontakte wären natürlich wünschenswert.

Albrecht: Gab es aus dieser Konstallation heraus nicht gerade für dich besondere Schwierigkeiten? Denn du warst einerseits in diesen intensiven Kontakt mit einbezogen, andererseits stand aber fest, daß du nach einem halben Jahr wieder weggehen würdest.

Ulrike: Ja. Ich denke, daß sich auf die Praktikanten besonders viele Bedürfnisse konzentrieren, besonders Beziehungs- und Gesprächsbedürf- nisse, weil man quasi dafür da ist, eben so viel wie möglich anwe- send zu sein. Man läßt sich gerade als Praktikant sehr stark ein, weil man weiß, man geht wieder, man ist auf diese Form des Wohnens weniger angewiesen. Andererseits ist das Problem, daß sich kaum je- mand findet, der dort rund um die Uhr wohnen will und sich stärker auf solche Beziehungen einlassen will. Trotzdem kann ich es jedem empfehlen, sich auf diese Erfahrung einzulassen, ich habe für mich selbst und über mich selbst viel daraus gelernt.

Albrecht: Liegt es auch daran, daß die anderen in ihrer Kommunikations- fähigkeit stärker eingeschränkt sind?

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Ulrike: In unserer Wohngemeinschaft hatten fast alle konfuse Kommunikationserfahrungen in ihren Familien erlebt, denen sie nicht entrinnen konnten, so daß sie Kommunikation oft lieber vorsichtshal- ber verweigerten oder vermieden. Gerade deshalb wird vom Konzept her so großer Wert auf die Freiwilligkeit der Beziehungen gelegt. Ich bot von daher gewissermaßen eine alternative Beziehungs- und Kommu- nikationserfahrung an, die weniger verwirrend und eben freiwillig sein sollte.

Das Verhältnis der Mitglieder der Wohngemeinschaft untereinander, aber auch zu mir, war sehr ambivalent. Auf mich bezog sich ein großer Neid als eine sogenannte "Normale", als eine, die jederzeit ohne Schwierigkeiten wieder abhauen kann, als eine, die bessere Le- bens- und Arbeitsmöglichkeiten hat. Es war den Mitbewohnern ja klar, daß ich eine ganz andere Lebensgeschichte hatte, keinen Psychiatrie- aufenthalt hinter mir hatte, nicht ihre schlimmen Erfahrungen hatte. Ich hatte andere Chancen bekommen und eine Berufsperspektive und

so einige enge Freunde. Ich war eben im Vergleich privilegiert, re- präsentierte für sie eine andere Klasse. Es wäre auch von diesem As- pekt her gut, wenn mehr Helfer aus dem Proletariat und dem Kleinbür- gertum kämen.

Ulrich: Meinst du nicht, daß diese hier von dir konkret dargestellte Ambivalenz die sogenannte Resozialisation gerade verhindert?

Ulrike: Medizin und Sozialarbeit - und aus diesen Widersprüchen kommen sie nicht heraus, festigen letztlich immer gesellschaftliche Normen und Herrschaft. Aber an diesen Widersprüchen arbeiten wir ja. Meines Erachtens sind Hilfeleistungen jetzt noch notwendig und kön- nen auch positiv sein bei genügender Aufdeckung und Reflexion der Widersprüche und der Normensysteme des gesellschaftlichen Gesamtzu- sammenhangs; bei veränderten Formen von Hilfe, ohne aus den Augen

zu verlieren, was anzustreben ist.

Ulrich: Wäre nicht schon alles anders, wenn das Zahlenverhältnis anders wäre, wenn also z.B. eine Wohngemeinschaft ein oder zwei Leu- te, die schlecht zurecht kommen, zu sich nähmen?

Ulrike: Das halte ich für ein gutes Konzept.

Albrecht: Kannst du einmal sagen, worin sich dein Einlassen von den herkömmlichen therapeutischen Strukturen unterscheidet?

Ulrike: Der wesentliche Unterschied war, daß meine Rolle in keiner Weise festgelegt war, und daß ich Hilfe nur leistete, wenn ich dazu Lust hatte, Ich konnte Beziehungen eingehen oder es auch lassen und so viel Zeit mit den Leuten in der Wohngemeinschaft verbringen, wie mir möglich war, was bei therapeutischen Verhältnissen traditionel- ler Art nicht der Fall ist. Arbours Association geht davon aus, daß jede Zuwendung oder Hilfe, die nicht authentisch und freiwillig ge- leistet wird, genau jene "double-bind"-Strukturen für die meisten Leute in der Wohngemeinschaft wiederholt, denen sie in ihrer zer- störten Familienkommunikation unterworfen waren.

Ulrich: Gibt es Hinderungsgründe, diese Praxis in der BRD anzufangen? Ulrike: Wahrscheinlich sind die geringere Toleranz und die starreren Strukturen in Deutschland im Unterschied zu den Engländern ein Pro- blem. Von den Betroffenen mit Psychiatrieerfahrung wird oft das

Wort "Therapie" mit Psychopharmaka, Anpassungsdruck und Zwang ver- bunden oder auch mit Versorgtwerden. So wird eine "therapeutische WG" oft als "kleineres Übel" oder "Notlösung" gegenüber der Insti- tution angesehen werden, da keine bessere Alternative da ist. Man- che werden es auch frustrierend erleben, daß sie in einer therapeuti-

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schen Wohngemeinschaft mehr Verantwortung fiir sich selbst und das Gruppenleben übernehmen müssen, als es in der Psychiatrie der Fall war. - Wichtig wäre es, daraufhin zu arbeiten, daß sich die WG's

r Weile selbstverwalten ohne Hilfe und Auflagen von außen.

nach eine 1e Wohngemeinschaft sollte eine freiwillige Sache sein, die

Eine sole die Sache der Betroffenen ist, in die man geht, weil man dort für

sich eine Erfahrung machen will, die einen weiterbringt. Eine Person dürfte durch den Aufenthalt in einer solchen Wohngemeinschaft aller- ı in keiner Weise stigmatisiert oder diskriminiert werden.

dings auc Bei der Errichtung einer therapeutischen Wohngemeinschaft stellt

sich immer wieder die Frage nach der Finanzierung durch die öffentliche Hand. Finanziert man so, ergibt sich die Gefahr der amtlichen Kon- trolle, des Anpassungsdrucks an Ämternormen, die Gefahr der Insti- tutionalisierung und Hospitalisierung, was atherapeutisch ist. - Trotzdem sollte alles getan werden, um den Abbau von den Großkran- kenhäusern, einschließlich der Psychiatrien zu fördern.

INFORMATIONSDIENST ARBEITSFELD SCHULE

CARRTOFEL VRESSER. / 0, O

„Gastarbeiterkinder sind doot, die konnen nicht mal richtig Kartoffel schreiben!

Schwerpunktthema:

AUSLÄNDER IM DEUTSCHEN SCHUL (UN) WESEN

Ausserdem: Frauen und Gewerkschaftsarbeit

Offenbach, im Juni 1980 Doppelnummer, Preis DM 8,-

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Christiane Heider

UBER EIN BUCH: LA PESTE GAGNE LE GRAND PSY DIE PEST ERREICHT DIE GROSSE PSYCHOSCENE

Die Leute, die ihre Selbstdarstellung unter diesem Titel veröffent- licht haben, verstehen ihre Organisation mehr als Alternative zur Institution denn als Alternative zur Psychiatrie. So haben sie ih- ren Namen - ursprünglich CRAP - (collectif réseau alternative

a la psychiatrie) incollectif reseau alternative (im folgenden)

CRA umgewandelt.

"Es gibt tagtäglich neue Institutionen für Deviante jeder Art, weil die öffentlichen Mächte Schwierigkeiten haben, besonders mit den Drogen. Wenn man für sie ein paar andere Formeln findet, etwas wei- cher, nachgiebiger, wird man schon Unterstützung finden."

Hier liegt deutlich eine Gefahr der Vereinnahmung durch den Staat. Das CRA will also kein Ersatz für eine Institution sein - somit be- stände die Gefahr, selbst eine zu werden. Es möchte vielmehr Risse schaffen an institutionellen Einrichtungen dadurch, daß es diese

in direktem Kontakt ständig in Frage stellt. Dafür scheint es ihm am wichtigsten,offen zu bleiben, offen, einmal in dem Sinn, als das CRA sich als Zugang für das ver-rückte Kind zur sozialen Welt ver- steht, zum anderen in dem Sinn, als sich seine Praxis ständig wan- deln können soll, entsprechend den betroffenen Personen, Einrichtung- gen usw.

Die Leute, die sich später zum CRA zusammenschlossen, lernten sich zufällig - wenn es Zufall gibt - kennen und beschlossen, "anders" zu leben, "anders" als in dieser Gesellschaft, in der alles vorbe- stimmt und geregelt, starr und fest sein soll. Bis dahin hatten sie unterschiedliche Lebenswege. Einige von ihnen waren vorher in Insti- tutionen für psychisch geschädigte Kinder beschäftigt. So wie sie sich nun begegnet waren, zogen sie zu zweit oder zu mehreren nach Südfrankreich aufs Land. Sie bauten eine Landwirtschaft auf, von der sie sich, wenn auch dürftig, ernähren konnten und begannen

mit der Aufnahme psychisch geschädigter Kinder. Diese ursprünglich vereinzelten Gruppen/Häuser traten untereinander in Kontakt und gründeten das CRA(P), ein Netz von Einrichtungen, die sie "Orte des Lebens" (lieux de vie) nennen.

(Anm.: Im Adressenteil des Buches sind sechzehn verschiedene "Orte des Lebens" genannt. Diejenigen, die am meisten über sich geschrie- ben haben, sind: "Le Choral", "Chateau Gombert".

Die Kinder, manchmal Jugendliche, die dort aufgenommen werden, kom- men wohl zumeist aus verschiedenen Einrichtungen für psychisch Be- hinderte. Sie bleiben für eine begrenzte Zeit in den "Orten des Lebens", ein paar Wochen, Monate, während der Ferien oder an den Wochenenden. Daueraufenthalte sind bisher die Ausnahme geblieben.

Die Leute von dem CRA sind oft von den Institutionen als Lücken- büßer benutzt worden, wenn diese mit einem Kind nicht weiter wußten, bei Personalmangel usw. Für die Aufnahme eines Kindes wird ein Ta-

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gessatz gezahlt, der aber meist nicht der Нбһе des Satzes entspricht, den die Krankenkasse an die Institution zahlt, von der das Kind ver- mittelt worden ist.

Die meisten Kontakte des CRA mit den Institutionen laufen iiber Claude Sigala, den Secretaire, Er organisiert die Verteilung der Kinder innerhalb des CRA, wenngleich die Entscheidung für die Auf- nahme eines Kindes immer innerhalb des in Frage kommenden Hauses gefällt wird. C. Sigala ist in seiner Funktion in dem CRA heftiger Kritik ausgesetzt. Dies geht aus einem Interview mit Felix Guattari und Jean Marc Dou hervor.

Die Leute des CRA wehren sich gegen jede Art von Organisation und Zentralisierung. Diese gegen Organisation gerichtete Haltung wird auch an der Aufmachung des Buches deutlich. Es gibt kaum ein logi- sches Prinzip in der Reihenfolge der Artikel, kein Inhaltsverzeich- nis (fast ganz hinten fand ich unvermutet einen '"Kompaß", der eini- ge Hinweise auf Seitenzahlen gibt). Das Wichtigste ist, es kommt jeder zu Wort, die Kinder, die Erwachsenen, Personen, die mit dem CRA in Verbindung stehen, wie Eltern oder die Psychoanalytiker (?) Roger Gentis, Fernand Deligny, Felix Guattari. Es gibt Fotos von Ziegen, Hunden, Kindern, Erwachsenen, Briefe, Gedichte, Kinderbil- der, Erlebnisberichte und wenig theoretische Diskussion. Korrekte Orthographie ist keine Bedingung, jedem wird die Möglichkeit gege- ben, sich mitzuteilen, so wie auch in den "Orten des Lebens" niemand als schizophren, depressiv oder psychotisch etikettiert wird.

Dort heißt sie Sophie und lebt ihre Nacht, in der sie schreit oder lacht nach einem langen Tag, oder Martial, der überall herum läuft, mit dem Glauben, woanders zu sein, ganz nah oder ganz fern, von einer Minute auf die andere.

Die ver-rückten Kinder teilen das Leben der Menschen, die dort woh- nen, d.h., sie beteiligen sich, soweit sie können und möchten, an den Arbeiten des ländlichen Lebens. Sie kümmern sich um Ziegen, Schafe, Enten, Salat und um die täglichen Pflichten wie Kochen, Auf- waschen, Putzen. Niemand erledigt etwas ihm Zugewiesenes, es geht alle an. Niemand will "Erziehen'. Erwachsene und Kinder sind nicht aufgeteilt in Erzieher und zu Erziehende, es gibt keine Arbeit- und Freizeitteilung. Sie alle möchten ganz miteinander leben, mit ihren Wünschen, mit ihren ureigensten Bedürfnissen und Lebensäußerungen.

"Wir sagen: "Keine Medikamente’, und wir tun, was wir können. Wenn man wirklich Zahnschmerzen hat, wird man wohl schnellstens eine Tablette nehmen. Aber was viel interessanter ist, ist, daß wir ver- suchen zu teilen, der Angst zuzuhören, ohne Droge. Durch Beschöni- gen wird das Leben nicht möglich. Einige Beispiele: Olivier komt hier an, mit einer endlos langen Liste von Medikamenten gegen Epi- lepste, wir sind mißtrauisch, den Medikamenten aber auch der genann- ten Krankheit gegenüber. Nach ein paar Tagen schon hören wir auf mit den Neuroleptika und dann vergessen wir sogar DEPAQUINE und GARDENAL!

Ich sage: 'Vergessen.' Unser Leben ist nicht starr, wir wollen keine Routine. Es kann in einem Moment wichtiger sein, Sophie, die in einer Ecke weint und schreit, die Hand zu halten, als Olivier, der gerade Musik hört oder im Garten arbeitet, seine Medikamente zu ho- len. Nun, als Olivier wieder anfängt zu lachen, zu tanzen, zu sprin- gen, als er wieder anfängt schlafen zu können, sagen wir uns, es ist richtig zu vergessen. ap

dër Ae P TEE

Das Vergessen zeigt deutlich, daß unsere Sorge, vielmehr unsere eigene Angst, woanders ist. Und dann passiert etwas Unglaubliches, es ist mehr als eine Anekdote.

Es kommen Leute zu uns in den 'Choral', und was für Leute: z.B. Psychiater, drei mal in vier Monaten. Ich weiß nicht, was wir unter uns darüber gesagt haben, jedesmal, wenn sie kamen, war Olivier krank, so krank, daß sogar wir Angst bekamen, so sehr, daß die Psychiater sagten: 'Ste sehen doch, sie müssen thm GARDENAL geben. !

Die Medikamente, die in der Psychiatrie gegeben werden, sind auch da, ит die Pfleger (die Helfenden) zu beruhigen. Bei uns türmen sich die Medikamente in einer Schublade. Finer der Besucher, neugierig wie alle, öffnete die Schublade und schimpfte: 'Was denken sie sich, all diese Tabletten in Reichweite der Kinder. Wenn sie die für Bon- bons halten! '

So dumm kann man sein, wenn man Angst vor seiner eigenen Angst hat."

"Wir haben schnell erkannt, daß es unzureichend ist, sich nur mit den Problemen des Kindes zu beschäftigen, daß man vielmehr parallel dazu thre natürliche Umgebung einbeziehen muß.

Nach Absprache mit den Kindern haben wir angefangen, uns einmal mo- natlich mit den Eltern zu treffen. Die Eltern werden so mit ihren eigenen Schwierigkeiten konfrontiert und bekommen Unterstützung, daran zu arbeiten. Jahrelang haben sie die Angst ihrer Kinder erlebt und stellen nun fest, daß sie selber solche Ängste haben und begrei- fen, daß, wenn sie sich auch entwickeln, es von beiden Seiten eine Möglichkeit gibt, sich wiederzufinden."

Die Leute von dem CRA wollen dem Kind einen Weg aus der abgeschlos- senen Situation der Institutionen in das soziale Leben ermöglichen. So haben die Kinder auch die Möglichkeit, Kontakte zu den Nachbarn

im Dorf aufzunehmen. Ein Versuch, einige Kinder mit in eine Sonder- schule gehen zu lassen, mißglückte. Viele Eltern versuchen nun ihrer- seits, etwas zur Arbeit des CRA beizutragen und haben einen Verein zur Unterstützung des CRA gegründet. Sie bemühen sich um finanzielle Unterstützung und um Öffentlichkeitsarbeit, die auch von fortschritt- lichen Zeitungen, z.B. der "Liberation", geleistet wird.

Das CRA unterhält viele Kontakte zu anderen "alternativen" Bewegun- gen in Frankreich, wobei es von Maud Mannoni, die die experimen- telle Schule Bonneuil gegründet hat, abgelehnt wird. In einem Schrei- ben von ihr heißt es, es seien unverantwortliche Vorfälle in solchen Häusern (wie die des CRA) bekannt geworden. i Hierüber ist in diesem Buch nichts Näheres herauszufinden. Es gibt nur ein Beispiel von einem Kind, welches in einem Haus als allzu große Belastung empfunden wurde und sehr bald in die Institution zurückgeschickt werden mußte. Insgesamt frage ich mich, ob die Selbst- darstellung des CRA mit aller Lebensfreude, die es ausstrahlt,

nicht zu enthusiastisch ist. Andererseits ist es ganz wichtig zu sehen, daß diese Leute dabei sind, etwas Neues zu schaffen, etwas, das sich ständig weiter entwickelt und daher lebt. So etwas kostet viel Mut und Kraft, und dafür brauchen sie auch ihre Begeisterung.

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Wilma Neuenhagen

PSYCHO-SOZIALE ARBEITSGEMEINSCHAFTEN

Die Psychiatrie-Enquéte von 1975 Bericht über die Lage der Psychia- trie in der BRD sagt aus, daß die gegenwärtige Situation der Behin- derten und psychisch Kranken teilweise menschenunwürdig und unmensch- lich ist. Besonders deutlich wurden folgende Mißstände:

@ Benachteiligung der psychisch Kranken gegenüber körperlich Kranken.

@ Fehlende gemeindenahe ambulante und stationäre Einrichtungen und Dienste,

© Unzureichende Weiterbildungsmöglichkeiten der im psychosozialen Bereich Tätigen.

© Mangelnde Kooperation und Koordination der in einem Psycho-sozia- len Einzugsgebiet Tätigen.

Der Arzt Dr. Wedler beschreibt sehr bildhaft die Situation derer, die in unterschiedlichen Einrichtungen und Diensten in einem "Ver- sorgungsgebiet" arbeiten:

"Tst es schon seltsam, daß so etwas wie Zusammenarbeit gefordert werden muß, daß man nicht ganz einfach eben zusammenarbeitet, so wird es geradezu gruselig, wenn man einmal die Versorgungsrealität

in deutschen Stadtlandschaften betrachtet. Da sitzen sie wie die Einstedler auf ihren Bäumen und versorgen psychosozial, dicht ge- drängt, man möchte sagen: Baum an Baum und fühlen sich wie in der Wüste:

sie sehen einander nicht,

sie hören einander nicht,

sie bemerken einander nicht

und wollen voneinander nichts wissen. | Zusammenführen kann sie höchstens noch der Drang nach Wahrung детети- samer Besitzstände in berufsständischen Zirkeln, wo an den Ziffern der Gebührenordnung ebenso eifrig gefeilt wird wie am Wortlaut eines Protestes gegen drohende Regierungsbeschlüsse, die vielleicht irgend- etwas an der derzeitigen Situation ändern könnten." (Wedler, 1978)

Dieser Mangel an Koordination und Kooperation hat Überschneidungen, Doppelbetreuungen und Lücken im Versorgungsgebiet zur Folge. Die Spezialisierung der einzelnen Einrichtungen auf bestimmte Problembe- reiche geht einher mit einer gegenseitigen Abgrenzung, und eine ganzheitliche Sichtweise des Menschen und seiner Probleme ist nicht mehr möglich.

Um diesen Mißstand ein wenig aufzuheben, ist es wichtig, ein Forum, wie die Psycho-soziale Arbeitsgemeinschaft (PSAG) zu schaffen, um einer gemeinde- und menschennahen "Versorgung" einen Schritt näher zu kommen. Die Psycho-sozialen Arbeitsgemeinschaften sollten folgen- de Aufgaben haben:

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© Kennenlernen und Erfahrungsaustausch der im psycho-sozialen Bereich Tätigen; Mitarbeiter können sich dadurch eher auf gemein- same Schwerpunkte hin entwickeln, anstatt zu rivalisieren.

@ Unterstützung; eine emotionale, fachliche und auch institutionel- le Unterstützung zur gemeinsamen Bewältigung der schwierigen Auf- gaben ist gegeben.

@ Planung; durch die Zusammenarbeit können Versorgungslücken aufge- zeigt und bestehende Einrichtungen hinterfragt werden, um dann ein gemeinsames Konzept zu entwickeln.

Darstellung der Psycho-sozialen Arbeitsgemeinschaft in Kassel

Durch die Initiative des Gesundheitsamtes fand am 31.5.1977 die

1. Arbeitssitzung einer Psycho-sozialen Arbeitsgemeinschaft statt. Alle im psycho-sozialen Bereich bekannt Tätigen waren eingeladen. Erschienen waren ca. 60 Kollegen und Kolleginnen.

Die gegenseitigen Erwartungen und die einzelnen Interessen wurden in Kleingruppenarbeit abgeklärt, und ein gemeinsamer Konsens konnte gefunden werden:

@ Gegenseitiges persönliches Kennenlernen, sowie das Kennenlernen der unterschiedlichen Institutionen und Einrichtungen.

@ Gemeinsame Fort- und Weiterbildung.

© Vervollständigung des "Grünen Wegweisers für soziale Dienste",

Des weiteren wurde beschlossen, die Arbeitssitzungen einmal monatlich

stattfinden zu lassen. In den folgenden elf Arbeitssitzungen tagte

die Arbeitsgemeinschaft reihum in den verschiedenen Institutionen

und Einrichtungen, um an Ort und Stelle näher zu erfahren, wie die

einzelnen Stellen arbeiten und welche Probleme sie haben.

Folgender Problemkatalog wurde zusammengestellt:

"-Was ist Sozialtherapie?

- Probleme bet Pfleg- und Vormundschaften.

- Schwierigkeiten bei der Gehörlosenbetreuung.

- Wie kann eine Arbeit mit Angehörigen von z.B. psychisch Kranken aussehen?

- Krisenintervention an Wochenenden und nach Dienstschluß.

- Wohngruppen, insbesondere für Alkoholiker und Frauen.

- Arbettsvermittlung für Randgruppen.

- Fort- und Weiterbildung für die im psycho-soztalen Bereich Tätigen."

Die Arbeitsgemeinschaft einigte sich darauf, daß die Vorstellung

der einzelnen Einrichtungen im Vordergrund stehen solle und daß

anschließend entweder aktuelle oder bereits gesammelte Problemstel-

lungen diskutiert werden sollten.

Aufgrund der Tatsache, daß wesentliche Probleme nur angeschnitten

und nicht ausdiskutiert werden konnten, wurden Kleingruppen gebil-

det, die sich intensiver mit den einzelnen Problemen beschäftigen

sollten. Es entstanden Gruppen zu folgenden Themen:

- Therapeutische Wohngemeinschaften

- Erarbeitung von Weiterbildungswiinschen und deren Realisierung.

- Errichtung und Finanzierungsmöglichkeiten eines in Kassel notwen- digen Frauenhauses.

- $ 218;

- Versorgung der Suizidenten in Kassel.

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Beratungstätigkeit. = Rechtliche Voraussetzungen einer zwangsweisen Unterbringung von

psychisch Kranken.

Der Informationsfluß dieser Untergruppen zurück ins Plenum verlief teilweise recht schlecht und die Arbeit in diesen Kleingruppen ver- lor sich im Sande.

Hauptthema der Arbeitssitzungen im letzten Jahr war die von der Bun- desregierung geplante Modellförderung für komplementäre ambulante Einrichtungen im psycho-sozialen Bereich. Die Errichtung einer Tages- klinik und der Aufbau einer Kinder- und Jugendpsychiatrie in Kassel standen im Vordergrund. In Kleingruppen wurden Konzeptionen und Fi- nanzierungsmöglichkeiten entwickelt.

Zum dreijährigen Bestehen der PSAG in Kassel wurde im Juni 1980 eine Öffentlichkeitsveranstaltung initiiert, auf der über den Stand der Planung einer Tagesklinik, Aufbau der Kinder- und Jugendpsychiatrie und Ausbau der Geriatrie informiert und diskutiert wurde. Die PSAG ist zur Bewältigung ihrer Aufgaben auf eine gute Beziehung zur Öf- fentlichkeit angewiesen, sie muß ihre Ziele und ihre Funktion den verschiedenen Zielgruppen, d.h. politischen Entscheidungsträgern, Trägerverbänden und Bürgern klarlegen.

Es wurden Presseberichte, z.B. über die mangelhafte Versorgung der Suizidenten, veröffentlicht. Des weiteren wurden Resolutionen zu be- stimmten Themen verabschiedet und konkrete Forderungen an den Magi- strat der Stadt Kassel gestellt.

Gedanken zur Psycho-sozialen Arbeitsgemeinschaft

In der PSAG dienten die freiwilligen Zusammenkünfte zunächst dazu, sich gegenseitig näher kennenzulernen. Dadurch, daß die PSAG reihum in unterschiedlichen Institutionen und Einrichtungen tagte, konn-

te man jeweils an Ort und Stelle genauer erfahren, wo und wie die einzelnen arbeiten und welche Probleme sie haben. Durch dieses Kennen- lernen untereinander war die Möglichkeit gegeben, ein wachsendes ge- genseitiges Vertrauen entstehen zu lassen. Die naheliegende Hoffnung, nicht allein und machtlos unveränderlichen Grenzen gegenüberzustehen, läßt jeden positiver an seine Arbeit rangehen. Als positiv anzusehen ist des weiteren, daß durch die Mitarbeit aller ein umfangreicher Wegweiser der psycho-sozialen Angebote in Kassel erstellt werden konnte.

Innerhalb der PSAG war mit der Zeit festzustellen, daß es nur einen kleinen Kreis von Mitarbeitern/innen gab, die regelmäßig kamen und verbindlich Aufgaben übernahmen. Die meisten Teilnehmer verhielten sich eher passiv und kamen nur sporadisch. Ein Grund dafür könnte sein, daß sicherlich gerade der Austausch über Probleme und Schwie- rigkeiten der einzelnen Mitarbeiter starke Widerstände auslöste;

man hatte Angst, die anderen könnten Fehler und Schwächen entdecken oder aber auch geheime Privilegien anprangern.

Durch diese große Fluktuation war eine kontinuierliche Arbeit und

ein gleicher Informationsstand nicht gewährleistet. Viele Aufgaben wurden einem Teilnehmer der PSAG übertragen, womit sein Informations- stand und seine Problemkenntnis anstiegen, während die Aktivitäten und Kompetenzen anderer Teilnehmer infolge mangelnder Anforderungen zu verkümmern begannen. Inhaltliche Äußerungen konnten nicht mehr von allen Teilnehmern der PSAG gleichmäßig nachvollzogen werden, was

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wiederum die Struktur der wenigen Aktiven und der vielen Passiven verstärkte. Als ein weiterer Mangel ist ebenfalls die Tatsache an- zusehen, daß bis auf einige wenige Ausnahmen ausschließlich Profes- sionelle und keine Betroffenen und Laien in der PSAG vertreten waren.

Die nette, freundliche Atmosphäre in den Arbeitssitzungen der PSAG überspielte Differenzen, und eine echte Austragung von Konflikten war so kaum möglich. Es entstand eine Scheindynamik, was sich an einer großen Quantität qualitativ niedriger Arbeitsergebnisse zeigte. Es wurde so getan, als gäbe es nur punktuell Mängel und Defizite

in der psycho-sozialen Versorgung, ansonsten sei alles in Ordnung. Gesundheitspolitische Themen wie z.B. Abschaffung der Großkranken- häuser wurden vermieden.

Die Status- und Prestigedifferenzen der unterschiedlichen Berufs- gruppen und die hierarchischen Strukturen der Institutionen stellten ein großes Rivalitätspotential dar. Was ein gemeinsames Handeln ver- hinderte.

Wichtig ist darauf zu achten, sich nicht persönlich für vorhandene und z.T. unbefriedigende Strukturen und berufspolitische Regelungen verantwortlich zu machen, sondern diese im gesamtgesellschaftlichen Rahmen zu sehen.

Die PSAGs sind einerseits wichtig für die Offenlegung der unter- schiedlichen Versorgungsangebote und andererseits auch für die Of- fenlegung ihrer Unzulänglichkeiten. Die bisherige Arbeit war eng auf den eigenen Arbeitsbereich ausgerichtet. Die PSAGs geben die Mög- lichkeit, größere Zusammenhänge im Versorgungsangebot zu erblicken.

Es geht nicht darum, die Versorgung zu perfektionieren, sondern die Chance unserer Arbeit liegt darin, uns tendenziell überflüssig zu machen, d.h. das Selbsthilfepotential der Menschen sollte in dem Maße aktiviert und begleitet werden, bis sie sich selbst mit ihrer sozialen Umgebung auseinandersetzen können und ihre eigenen Interessen wahrnehmen können. Das Gesundheitswesen, einschließlich der psycho- sozialen Versorgung, wird insgesamt als eine Versorgung von Krankheit angesehen. Die Versorgungsangebote bedeuten immer Wiederanpassung

an den jeweiligen individuellen oder gruppenspezifischen Rahmen des bestehenden und gleichgebliebenen Systems, welches letztendlich mit Ursache für die Krankheit ist. Krankheit muß also auch als Protest gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse gesehen werden.

Die Gesundheit im Sinne der WHO-Definition, nämlich "körperliches, geistiges und soziales Wohlbefinden", wird für uns zur Utopie, von der wir weit entfernt sind. Das Einsetzen für die Gesundheit aller ist nicht damit erreicht, daß wir eine optimale Versorgung von Krankheit schaffen, sondern ist Voraussetzung für den Kampf um eine Gesundheit ermöglichende Gesellschaft.

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Dietmar Roeschke

IST EIN SUIZIDENT EIN DISSIDENT?

"Es ist an der Zeit, daß wir unser Bemühen verstärken, mit Hilfe neuer sozialer Mikroskope, die wir selbst erfinden werden, unsere konkrete Beziehung zu dem zu begreifen, das andernfalls schiere Abstraktion bliebe: die Unterdrückung (oppression) der Arbeiter

und der nationalen Minderheiten, die Beseitigung (suppression) der Information (durch subtile Zensur und Mystifikation in den Massen- medien und im Erziehungsprozeß), die Repression der Frauen, der Kin- der, der "sexuellen Minderheiten’, der arbeitslosen und proletari- sierten Studenten sowie der Opfer der Psychiatrie und des Strafvoll- zugs. Damit wir schließlich auch unsere eigene Drepression begrei- fen, jene aus der Erfahrung geborene Verzweiflung darüber, daß un- sere Kraft von Ohnmächtigen, welche die Macht innehaben, untergra- ben wird. Aus dem klaren Bewußtsein unserer Depression heraus kön- nen wir Haß, eine Analyse, Aktivitäten entwickeln, statt wie heute üblich den Geist aufzugeben." (1)

Wer sich anschickt, über Suizidalität zu handeln, begibt sich auf einen Weg, der - trotz einer ständig zunehmenden Zahl von Veröffent- lichungen aus den verschiedensten wissenschaftlichen Fachgebieten - noch immer stark tabuisiert ist.

Wer sich anschickt, über Dissidenz zu handeln, begibt sich eben- falls - so er Dissidenz nicht nur in Osteuropa und besonders in

der UdSSR ansiedelt - auf einen tabuisierten Weg. Wer tabuisierte Wege beschreitet, autonom sich sei nen Weg sucht, ist Dissi- dent, ein Dissident, weil er sich der herrschenden Definition der Normalität entgegenstellt.

Suizidalität wird hier begriffen als das Ergebnis andauernder, ex- tremer Isolationserfahrung inmitten (scheinbar) kommunizierender Umwelt. Die Erfahrung des "Anders-Seins" führt, verhinderte oder gestörte Identitätsbildung vorausgesetzt, ins "Ab-gesondert-sein", schließlich zu abweichendem Verhalten und u.U. zum Suizid/Suizid- versuch.

Dissidenz meint: Anders Denken. Allgemein für "anders denken als ` die Staatskirche" gebraucht, wird der Begriff hier wörtlich, dissi- dens = abgesondert, angewendet werden. Grob vereinfachend wäre Dis- sidenz demnach von der Norm abweichendes Denken und Voraussetzung für reflektiertes, von der Norm abweichendes Verhalten. Voraussetzung dafür, daß aus abweichendem Denken - daraus folgend abweichendes Verhalten - Dissidenz wird, ist ds gegen die herrschenden Verhältnisse gerichtete Denken. So erfahren z.B. die Mitglieder des Jet-set, denen man von der Norm abweichendes Denken und Verhalten wohl durchaus bescheinigen kann, in den Medien eine andere Beurteilung und Aufmerksamkeit als z.B. Hartmut Gründler, der sich in Hamburg aus Protest gegen die Kernkraftpolitik der Bun- desregierung verbrannte.

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Um den Zusammenhang zwischen Suizidalität und Dissidenz mehr zu verdeutlichen, bin ich versucht, einen Aufsatz von H.L. WEDLER (Suicidprophylaxe.Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Selbst- mordverhütung, 3. Jg- 1976, Nr. 3 $. 183) in ganzer Lange wiederzu- geben, muß mich hier aber auf eınen Ausschnitt beschränken. Wedler setzt sich in seinem Aufsatz mit der Frage auseinander, ob denn Selbstmord eine Krankheit sei. Wedler stellt dabei fest, daß es von den Bedürfnissen des Beobachters oder Beurteilers abhängt, ob suizi- dales Verhalten als krankhaft oder nicht krankhaft beschrieben wird.

Er schreibt:

exemplarisch im Fall des DDR-Pfarrers Kirche in Zeitz sich selbst verbrannte, um auf die ihm unhaltbar erscheinende Situation der Religionsausübung in der DDR aufmerksam zu machen (er vollzog seine Verbrennung öffent- lich und hatte vorher Spruchbänder entrollt). Von offizieller Seite der DDR wurde sogleich erklärt, es handele sich hier um die Tat eines abnormen Menschen, eines Kranken und schon deshalb nicht voll Zurech- nungsfähigen. In der Bundesrepublik - sonst nieht so kleinlich in der Wertung nonkonformer Verhaltenswersen als abnorm und psychisch krankhaft - ertönte gegen solches Abwiegeln des selbstmörderischen Fanals gehöriger und hämischer Protest. Im ghetohen Maße, wie Ulri- ke Meinhoff, die Selbstmord beging, etn eigentlich zutiefst kran- ker Mensch' zu sein hatte (was die ihr Nahestehenden energisch be- streiten), hat Pfarrer Brüsewitz, der Selbstmord beging, nicht krank zu sein (was dessen Angehörige auch bestreiten). Er hat als leuchtende Fackel Beweis für die Unmensehlichkeiten in der DDR zu sein, wie Ulrike Meinhoffs Tod für manch andere als Beweis für ver- mutete bösartige Haftbedingungen tn der BRD dienen sollte. 'Krank' dürfen sie beide nicht sein, damit das von ihnen gesetzte Zeichen Cem zum Symptom individual pathologischen Versagens degeneriert." 2)

"Solches geschah letzthin Brüsewitz, der vor seiner

Aus diesen Ausführungen über die Manipulation mit dem Krankheitsbe- griff hat sich zwischen H.L. Wedler und E. Ringel, auf letzteren werden wir noch einige Male zurückkommen, ein Briefwechsel entwik- kelt (3).

Es besteht nicht der geringste Zweifel daran, daß es immer auch Ge- sundheitsarbeiter (Pflegepersonal, Wissenschaftler der entsprechen- den Fachgebiete, Psychologen, Ärzte, Sozialarbeiter) gab - heute in zunehmender Zahl gibt - die mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln und im Rahmen ihrer Möglichkeiten gegen die Manipulation mit dem Krankheitsbegriff, d.h. gegen die ihnen zugewiesene Funk- tion, unterdrückerische und ausbeuterische gesellschaftliche Syste- me zu stützen, angekämpft haben. Nicht zufällig gehören sie deswe- gen nicht - wie z.B. E. RINGEL - zu den hervorragenden Vertretern ihrer Disziplin. Warum dies so ist, braucht hier nicht ausgeführt zu werden, die Protektion und Publikation gewünschter Forschungs- ergebnisse sollte hinlänglich bekannt sein.

So wird denn auch die im Titel gestellte Frage, besonders seit der zunehmenden Abgrenzung der Psychiatrie zu einer eigenständischen Disziplin - beginnend im 18. Jahrhundert! -, von den hervorragen- den Vertretern dieser Disziplin, mit einem eiligen und hartnäckigen

N ein beantwortet. Aus der Geschichte der Suizidforschung - wie aus der Geschichte der

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gesamten Psychiatrie - läßt sich nachweisen, daß die Forschungs- richtung ihren Schwerpunkt in der Verhinderung des Suizids und weni- ger in der Suche nach den primären Ursachen für die einer Suizidhand- lung zugrundeliegenden Verzweiflung hatte.

"Im 18. Jahrhundert begann der Glaube an die Vernunft die Tradi- tion und die religiöse Überzeugung in vielen Aspekten der Gesell- schaft zu ersetzen. Die Psychiatrie hatte sich von der Vorstellung gelöst, daß innere geistige Störungen durch äußere Dämonen verur- sacht wurden und wandte sich unter dem Einfluß von Morgagni der ‚Hypothese zu, daß die Begründung für geistiges Übel in physiologi- schen Störungen liegt." (4) (Hervorhebung von mir, D.R.)

Im gleichen Maß, in dem die Kirche ihre, durch die Mystifizierung psychischen Leidens, die jeweilige herrschende Gesellschaft stützen- de Funktion verloren hat und verliert, trat und tritt die Medizin - besonders die Psychiatrie - an ihre Stelle.

Der Dissident Jesus von Nazareth hatte die "äußeren Dämonen" iden- tifiziert, in dem er die Händler und Wechseler aus dem Tempel jagte. Er hat seine Dissidenz letztlich mit dem Leben bezahlt durch die Weigerung, sich der drohenden Hinrichtung durch die Flucht zu ent- ziehen. Nach heutiger psychiatrischer Definition: pathologisches, selbstzerstörerisches Verhalten.

Es ist in keiner Weise richtig, daß die Bibel den Suizid verboten hat. Hätte sie dies getan, dann stünden die Kirchen heute ohne Mär- tyrer da. So nahm die Christenverfolgung erst dann ein Ende, als die Verfolger einerseits die Mengen der ins "Himmelreich" strebenden Christen nicht mehr geordnet hinrichten konnten, und andererseits die Bischöfe die Reduzierung ihrer Gemeinden nicht mehr hinnehmen konnten. So hat erst Augustinus (353-430) den Suizid prinzipiell verworfen. Diese Haltung ist von der Kirche aufrecht erhalten wor- den, sie löst sich langsam seit der Aufklärung auf. Es läßt sich nachweisen, daß in Zeiten großer Not (sprich: besonders harter Aus- beutung des Volkes), die kirchlichen Sanktionen gegen Suizidanten am rigorosesten waren.

Nach diesem kirchengeschichtlichen Ausflug zurück zu den neuen Meistern der Mystifikation psychischen Leidens, zurück zu den Psy- chiatern,

K. DÖRNER (5) nennt den schon in Zitat (4) erwähnten Morgagni den "größten Anatom seiner Zeit", er weist aber auch darauf hin, daß das Werk Morgagnis auch klar macht, "daß man sich bei Annahme über die körperliche Fundierung der Krankheiten des Gehirns und der Ner- ven kritisch zurückzuhalten habe". (Hervorhebung von mir D.R.) Diese geforderte Zurückhaltung fand statt; allerdings wenig kri- tisch und nur in der von den Herrschenden unerwünschten Forschungs- richtung, nämlich bei der Identifizierung der "äußeren Dämonen". Die neuen Meister der Mystifizierung psychischen Leidens, zudem - ausgestattet mit der "traditionellen" Autorität der Mediziner, lies- sen sich nur allzu bereitwillig, auf den Glauben an ihre Omnipotenz gestützt, soziale Realität nicht wahrnehmend, als Normierer für geistige und seelische Gesundheit von den Herrschenden einsetzen.

Es ist unbestritten, daß es Suizide und Suizidversuche schon immer gegeben hat. Geschichte und Geschichten aus allen Epochen und Kul- turen berichten davon. Es wird auch in Zukunft immer Menschen ge-

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ben, die - im Wissen um die Endlichkeit allen Lebens - von dieser menschlichen Fähigkeit Gebrauch machen werden. Daß es sich dabei nicht in allen Fällen um Proteste gegen die herrschenden gesell- schaftlichen Verhältnisse handelt, ist einsichtig. Es kann auch keinesfalls darum gehen, jeden Suizid oder Suizidversuch - wobei hier Unterscheidungen zutreffend wären - um jeden Preis zu verhin- dern. Wer jedoch - und die hervorragenden Vertreter der Psychiatrie tun es -, einer Suizidhandlung pauschal einen inneren Zwang unter- stellt, der tritt einen Freiheitsbegriff, wie er z.B. in Sartre's Humanismusbrief, mit allen Einschränkungen, dargestellt wird, mit Füßen. Wer einen inneren Zwang lediglich behauptet ohne in allen Richtungen nach der Genese dieses inneren Zwanges zu suchen, die Er- gebnisse anderer wissenschaftlicher Forschung außer acht läßt, dem darf mehr unterstellt werden als bloße Fahrlässigkeit. Wer so han- delt, beteiligt sich zumindest an der Konservierung gesellschaftli- cher Verhältnisse, denen das Erzeugen psychischen und physischen Leidens immanent ist. K. WEIS (6) schreibt:

"Die Selbstmordrate ist wie die Kriminalitätsziffer eine Rate ge- sellschaftlicher Pathologie. Auch wenn es sich dabei um das persön- liche Verhalten zahlreicher Individuen handelt, so ist die Summe dieser Verhaltensweisen doch gesellschaftlich bedingt, wie ihre weitgehende Konstanz und ihre Abhängigkeit von gesellschaftlichen Entwicklungen andeutet."

Im folgenden werde ich zwei (von vielen) Beispiele anführen dafür, daß die im Titel gestellte Frage weiterhin - wunschgemäß für die ohnmächtigen Machthaber - von prominenten Psychiatern, mit einem hartnäckigen N e i n beantwortet wird und daß diese weiterhin an ihrem Krankheitskonzept ("Яав die Begründung für geistiges Übel in physiologischen Störungen liegt") festhalten.

Erstes Beispiel: Der Dichter und Arzt Gottfried BENN hatte sich im Jahre 1940 in einem Gutachten zu der Frage zu äußern, ob ein An- spruch auf Versorgung der Hinterbliebenen bestünde, wenn ein Soldat durch Suizid die Wehrkraft vermindert habe. BENN bejahte diesen Versorgungsanspruch für den Fall einer vorliegenden geistigen Er- krankung, er konnte sich aber - ohne etwa dazu aufgefordert zu sein - der folgenden allgemeinen Stellungnahme zur Suizidalität nicht enthalten:

"... Es kann kein Zweifel sein, daß die meisten Selbstmörder zu den gefährdeten und labilen Typen gehören, deren Fortpflanzung nicht unbedingt wünschenswert nach dem Ideal der heutigen Staatsbiologie ist. Die Selbstmörder werden nicht in allen, aber in den meisten Fällen zu der Bilanz des Bionegativen gehören, also in der Richtung der Entartung und der Substanzauflösung Liegen. Man könnte daher

im Selbstmord sehr wohl einen rassischen Eliminationsprozeß erblik- ken, und insofern wird man den Selbstmord keineswegs von vornherein als ummoralisch, weder im individuellen noch im volkhaften Sinne bezeichnen können. ..." (7)

Eines Kommentars enthalte ich mich, will aber anmerken, daß ich

den Lyriker BENN bewundere. Zweites Beispiel: Erwin RINGEL. Ringel steht hier stellvertretend für viele seiner Berufskollegen deshalb, weil er die Suizidforschung

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in den vergangenen 30 Jahren richtungweisend beeinflußt hat. Zwar anerkennt er neuerdings, wenn auch zögernd und zurückhaltend, den Einfluß der sozialen Lebensbedingungen bei der Entstehung eines suizidalen Klimas, er wird sich dennoch den Vorwurf gefallen lassen müssen, daß er sich in den Dienst herrschender Ideen gestellt hat. Er veröffentlichte 1953 seine aus dem Jahre 1949 stammende Untersu- chung von 745 Menschen, die einen Suizidversuch unternommen hatten. Gründend auf dieser Untersuchung fühlte RINGEL sich berechtigt fest- zustellen:

"... bei allen individuellen Unterschieden war also ein gemeinsa- mer Nenner zu finden." (8)

RINGEL hatte eine vor der Suizidhandlung liegende "charakteristi- sche seelische Verfassung" festgestellt und nannte sie daher, das "präsuizidale Syndrom",

Es kann in diesem Rahmen freilich nicht ausführlich auf die einzel- nen "Bausteine" (so nennt RINCEL selbst die verschiedenen Teile des präsuizidalen Syndroms) eingegangen werden; es ist für unsere Frage- stellung jedoch von Bedeutung, daß RINGEL die Schlußfolgerung seiner Untersuchung (aus 1949) auch heute noch grundsätzlich verteidigt. Suizidalität sei in jedem Falle ein psychopathologischer Tatbestand, so meint RINGEL. Im Schlußwort seiner Monographie mit dem Titel: Der Selbstmord - Abschluß einer krankhaften psychischen Entwicklung, schreibt er:

"... ein Wort an die Öffentlichkeit und alle diejenigen, die mithel- fen, die öffentliche Meinung zu gestalten: Es ist von entscheidender Bedeutung, daß der Selbstmord als das angesehen wird, was er wirk- lich ist: als eine Krankheit und nicht als eine Lösung oder gar als ein Ideal. Die Ansicht, man solle jedem Menschen seinen Willen las- sen, man solle ihn also auch durch eigene Hand sterben lassen, wenn es sein Wille sei, ist medizinisch und ethisch gleich irrig." (9)

Nicht erstaunlich ist (siehe oben über Forschungsförderung und Pu- blikation "wünschenswerter" Ergebnisse), daß das Buch des Schülers von Alfred Adler richtungsweisend für die Suizidforschung der auf die Veröffentlichung folgenden zwei Jahrzehnte wurde. Eines zum Thema Suizid treffenden Ausspruchs seines Lehrers erinnerte sich RINGEL erst im Jahre 1978. Adler hatte gesagt:

"Der Selbstmord ist ein individuelles Problem, welches aber soziale Ursachen und Folgen hat." (10)

Um die dem Krankheitskonzept immanente Absicht zu verstehen müssen wir uns ein weiteres Zitat aus RINGELs zahlreichen Veröffentlichun- gen ansehen:

"... Die Selbstmordforsehung hat zwei große Väter, der eine ist Freud, der die individuelle Psychopathologie zu ergründen begonnen hat, und der andere ist Durkheim, der die gesellschaftspolitische Situation der Selbstmordgefährdeten ins nähere Blickfeld rückte."(11)

Hier muß angemerkt werden, daß RINGEL bei der Niederschrift und Ab- fassung seiner Selbstmordmonographie weder DURKHEIM (12)

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noch HALBWACHS (13), auf die wir später noch zu sprechen kommen werden, erwähnt hat. Anschließend an das vorher zitierte fährt RINGEL fort:

"Was wir tun müssen ist, eine Synthese zwischen diesen beiden Richtungen zu finden: jede Einseitigkeit ist hier ganz besonders falsch. Einige Beispiele: Ich habe 1961 die Internationale Vereini- gung für Selbstmordverhütung (IASP) gegründet, die heute eine welt- weite Organisation ist; wir haben am Anfang große Schwierigkeiten mit den Ostblockstaaten gehabt, weil dort ein Selbstmörder als ein Mensch galt, der gegen das bestehende soziale System protestiert. Dementsprechend war jeder Selbstmord eine Schande für das System und wurde nach Möglichkeit verheimlicht." (14)

Hier wird der Bezug zur Dissidenz deutlich. Zwar ist, wie schon er- wähnt wurde, nicht jeder Suizid ein Protest gegen das "soziale Sy- stem", dennoch ist er, wie auch WEIS (6) aufgezeigt hat, eine Rate gesellschaftlicher Pathologie und von daher ist die Höhe der Zahl suizidaler Handlungen durchaus eine Schande für das gesellschaftli- che System.

RINGEL fährt fort:

"Hier führten die modernen Erkenntnisse eine entscheidende Wende herbei: man konnte jetzt darauf hinweisen - und die Psychiater die- ser Länder haben es getan -, daß der Selbstmord z.B. in einer Melan- cholie, also einer endogenen Krankheit erfolgen kann, die mit der Gesellschaftsstruktur in dem betreffenden Land nichts zu tun hat, und daß es daneben viele andere Selbstmorde gibt, die individuelle, psychopathologische Ursachen haben." (14)

RINGEL nennt dann ein weiteres Beispiel für die "entscheidende Wen- de", die durch die "modernen Erkenntnisse" herbeigeführt worden ist, indem er die zu Suizidenten geänderte Einstellung der Katholischen Kirche anführt. Seinen gesellschaftspolitischen Standort macht er deutlich, indem er schreibt:

"Ein zweites Beispiel, und man verzeihe mir, daß es gleich nach dem Kommunismus kommt, betrifft die Katholische Kirche." (14)

Die in keiner Weise bewiesene Behauptung, es handele sich bei der "Melancholie" um eine endogene Krankheit, deren Ursachen nichts mit der Gesellschaftsstruktur, also z.B. auch nichts mit der jeweiligen Sozialisation zu tun habe, unterstreicht nachdrücklich seinen ge- sellschaftspolitischen Standort und das ihm eigene gesellschaftliche Interesse.

Daß es sich dabei nicht nur um die übliche Ignoranz anderer wissen- schaftlicher Fachgebiete handeln kann, soll verdeutlicht werden. RINGEL weiß sehr gut, daß ein nicht-suizidaler Mensch eine Selbst- mordhandlung nicht deswegen unternehmen wird, weil er von einer sol- chen gehört oder gelesen hat; dennoch versucht er den Eindruck zu erwecken - im Zusammenhang mit dem Buch von Jean AMERY (15) Hand-an- stch-legen -, daß ein solches Buch ein suizidales Klima erzeugen kön- ne. Wohlgemerkt, es sind nicht die Verhältnisse, sondern das Be- wußtmachen der Verhältnisse erzeugt, nach RINGEL, ein suizidales Klima!

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Das erste, nun schon klassische Werk aus soziologischer Feder über den Selbstmord erschien 1897 (12). DURKHEIMs statistisch-soziologi- sche Arbeit stellt - obwohl nicht in allen Punkten unumstritten - die Grundlage moderner Soziologie dar. Die Soziopathogenese der Suizidalität wurde in diesem Werk bewiesen. Wie schon erwähnt, fehlt dieses Buch genauso wie die Arbeit des Soziologen HALBWACHS (13), der die Probleme erzwungener Anpassung 1930 vom Standort der Sozial- psychologie betrachtet hat, in der großen Selbstmordmonographie von RINGEL (9) aus dem Jahre 1953. Es mag ein Zufall sein, daß es sich in beiden Fällen um französische Soziologen handelt und diese sich mit der Veröffentlichung "unerwünschter" Forschungsergebnisse we- niger schwer tun, als dies im deutschprachigen Raum, mit dem per- manenten Blick auf das Wohlwollen der Herrschenden, üblich ist.

Bei der Durchsicht des bisher Geschriebenen wurde mir der Umfang, das Ausmaß der Mystifizierung erst recht erkennbar. Wir werden dem nur begegnen können, indem wir die wahren "äußeren Dämonen" entlarven. An dieser Stelle wäre es notwendig, über Tabuisierung ausführlicher zu handeln; in diesem Rahmen aber muß es ausreichen zu erinnern, daß die Funktion eines Tabu ebenfalls der Entmystifizierung bedarf. Die zu stellende Frage lautet in jedem Fall: Wem dient was?

Wir werden uns bei der permanent zu wiederholenden Frage nicht auf die "Verantwortlichkeit der Intellektuellen" verlassen können, wie CHOMSKY (16) gezeigt hat. Wir werden unsere Fähigkeit zur Dissidenz wieder entwickeln, indem wir die Frage: "Wem dient was?" zum Zwecke der notwendigen Entmystifizierung und Enttabuisierung bis zu ihrer gültigen Beantwortung immer wieder stellen.

Wir werden uns allerdings nicht allein auf das Fragen beschränken dürfen. Bei der Begegnung mit suizidalen Menschen, dies gilt nicht nur für die Begegnung am Arbeitsplatz des Gesundheitsarbeiters, wer- den wir unsere Dissidenz durch Mitmenschlichkeit beweisen müssen.

Die in aller Welt - nicht nur in den kapitalistischen Ländern - an- steigende Zahl der Suizidhandlungen ist Beweis für die durch Mysti- fizierung und Tabuisierung verhinderte Identifizierung der "äußeren Dämonen". Es ist unsere Aufgabe, diese"äußeren Dämonen"sichtbar und greifbar zu machen, so daß sich die Aggression gegen sie und nicht gegen die eigene Person richten kann.

Es gilt Bewußtsein, Selbstbewußtsein zu entwickeln. Denn:

"... Aus dem klaren Bewußtsein unserer Depression heraus können wir Haß, eine Analyse, Aktivitäten entwickeln, statt wie heute üblich den Geist aufzugeben." (1)

Anmerkungen:

(1) Cooper, D., Wer ist Dissident, Berlin 1978: Rotbuch Verlag

(2) Wedler, H.L., Selbstmord in Zeitz, in: Suicidprophylaxe - The- orie und Praxis, Mitteilungen in der Deutschen Gesellschaft für Selbstmordverhütung, 3. Jg., 1976, Nr. 3

(3) Wedler, H.L. u. E. Ringel, Für und wider den Krankheitsbegriff in der Selbstmordverhütung, in: Suicidprophylaxe - Theorie und Praxis, Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Selbstmord- verhütung, 4. Jg., 1977, Nr. 2

51

(4)

(5) (6) (7) (8) (9) (10) (11) (12) (13) (14) (15)

(16)

52

Kulessa, Ch. u. K. Böhme, Suizidprophylaxe in der Tradition

der Deutschen Psychiatrie, in: Suicidprophylaxe - Theorie und Praxis, Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Selbstmord- verhiitung, 6. Jg., 1979, Nr. 19

Dörner, K., Bürger und Irre, Ffm. 1969

Weis, K., Der Eigennutz des Sisyphos: Zur Soziologie der Selbstmordverhütung, in: Eser, A. (Hrsg.) Suizid und Euthana- sie - als sozialwissenschaftliches Problem, Stuttgart. 1976 Zitiert in Pohlmeier, H., Selbstmord und Selbstmordverhütung, München-Wien-Baltimore 1978

Ringel, E., Selbstmordverhütung: Eine allgemeine verpflichten- de Aufgabe, in: Ringel u.a., Sucht und Suizid, Freiburg 1976 ders. Der Selbstmord: Abschluß einer krankhaften psychischen Entwicklung, Wien/Düsseldorf 1953

Zitiert aus:ders. Das Leben wegwerfen? Reflexionen über Selbst- mord, Wien 1978

ders. Selbstmordverhütung: Eine allgemeine Verpflichtung, in: Ringel u.a., Sucht und Suizid, Freiburg 1976 4 Durkheim, E. Der Selbstmord, Neuwied/Berlin 1973

Halbwachs, M. Les causes du suicide, Paris 1930

Ringel, E., Selbstmordverhiitung: Eine allgemeine Verpflichtung, in: Ringel u.a., Sucht und Suizid, Freiburg 1976

Amery, J., Hand an sich legen: Diskurs über den Freitod, Stutt- gart 1976

Chomsky, N., Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen, Frank- furt a.M. 1969

Rolf Schwendter

35 THESEN

1. Wenn Foucaults Auffassung zutrifft, daß Wahnsinn die Ausgrenzung alles nicht unter den bürgerlichen Begriff von Vernunft Subsumierba- ren bedeutete, also auch jede nicht als anders abgetrennte und da- durch legitimierte Emotion (z.B. Liebe oder Kunst), muß sich das Konzept des Wahnsinns und seiner Bewältigung in dem Moment wiederum wandeln, in dem der bürgerliche Begriff von Vernunft selbst infrage gestellt wird, nachdem er Tendenzen gezeigt hat, sich in sein Gegen- teil zu verkehren.

2. Die Formbestimmung der Ausgrenzung des Wahnsinns geht Hand in Hand mit der Akkumulation des Kapitals vom frühen Kaufmannskapital bis zum multinationalen Conglomerat. Stichworte wie Verinnerlichung von Gewaltstrukturen (Foucault), zunehmende Affektkontrolle (Elias), Verräumlichung des Körpers (zur Lippe), Geist des Calvinismus (Max Weber) säumen diesen Weg. Die AG könnte feststellen, ob die Frage, inwiefern die Entwicklung des Kapitalverwertungsprozesses diese Erscheinungen in letzter Instanz verursacht oder erst durch diese hervorgetrieben wird, nur von akademischem Interesse ist - oder praktische Bedeutung aufweist.

3. Die zyklische Bewegung des akkumulierenden Kapitals und die von dieser produzierten Entäußerungen (etwa in Form des monumentalen Staatsapparats) haben die Vereinzelung des Individuums (das auch schon nicht mehr als "Ungeteiltes" betrachtbar geworden ist) bis

auf seine vorletzte logisch denkbare Stufe vorangetrieben. (Die letzte, noch ausstehende Stufe wäre die reelle Subsumtion der gesam- ten Biomasse des Indiviuums unter das Kapital. Ein Aspekt, der in der Kritik psychosozialer Versorgung noch eine Rolle spielen könnte.)

4. Die vorangetriebene Vereinzelung setzt sich in Form der Konkur- renz aller gegeneinander durch ("Konkurrenznormen"/Ottomeyer):

die tendenzielle Verallgemeinerung des Lohnabhängigenstatus bedeutet zugleich die Verallgemeinerung der Konkurrenz unter den Lohnabhängi- gen. Sinnfällige Beispiele dafür sind die Vereinzelung in der indu- striellen Produktion (z.B. Meßwarte, Automatenkontrolle; Tayloris- mus/REFA/MIM), die Appartmentparzellierung im Wohnbau; der "Tod

der Familie" (Cooper) und ihr Aufbrechen in einzelne; der Privat- verkehr; die peep-show.

5. Gleichzeitig erfordert die reelle Subsumtion unter das Kapital die Zunahme teamförmiger Kooperation dieser einander zumeist äußer- lich gegeneinander gesetzten Individuen ("Kooperationsnormen"/Otto- meyer). (Stichworte: Teamarbeit; Großraumbüro; teilautonome Arbeits- gruppen; Projektstudium; Wohngemeinschaft; Intimnetzwerk.)

53

6. Für die beiden genannten Grundstrukturen wie für alle noch zu nennenden gilt, daß sie in einer Vielzahl von höchst disparaten, lebensgeschichtlich nebeneinander einherlaufenden Erscheinungsformen ungleichzeitig verlaufen, und das noch in einer zum Teil äußerst rasanten Entwicklung. Für die Betroffenen psychosozialer Versorgung, damit auch für letztere selbst, zeitigt dies unmittelbare Folgen: Bald muß psychosoziale Versorgung Vereinzelungen mildern, indem sie Vergesellschaftungsformen überhaupt erst schafft bzw. antizipiert (Patientenclubs, therapeutische Wohngemeinschaften). Bald muß sie

in destruktiv verlaufende Vergesellschaftungsprozesse eingreifen, um Vereinzelungen überhaupt erst herzustellen (Familientherapie). Bald hält sie noch die Fiktion von Gleichzeitigkeit aufrecht, um den gewünschten Vergesellschaftungsprozeß durch gemeinsame Rituale, Einübungen zu gewährleisten (Großkrankenhäuser). Bald setzt sie je- doch an der wirklich bestehenden Ungleichzeitigkeit an, ebenso dis- parat, wie sie diese vorfindet: die therapeutische Kette ist das implizite Eingeständnis dieser Ungleichzeitigkeit.

7. Folge dieser Vereinzelung auf der subjektiven Ebene ist die Ab- wesenheit einer verbindlichen Vernunft, die mit einer verbindlichen Struktur von Normen in eins fiele. Die Klinifizierung von Dissiden- ten in Ost und West ist zwar eine Ausdrucksform des Wunsches, eine solche Verbindlichkeit von Vernunft wiederherzustellen, doch kann sie sich nicht mehr auf einen grundlegenden Konsens beziehen: der Vernünftige des einen wird immer mehr zum Wahnsinnigen des anderen, und umgekehrt.

8. So kann denn Michael Lukas Moeller (Kursbuch 55) die Gesamtgesell- schaft in eine Milchstraße affirmativer wie abweichender Sekten auf- lösen; die In-dividuum-Sekte, die Mutter-Kind-Sekte usw. Zum Aus- druck kommt hierin die Vergeblichkeit der Wiederherstellung einer einheitlichen bürgerlichen Vernunft, es sei denn, um den Preis um- fassenden Wahnsinns (vgl. dazu Paul Feyerabend ebenso wie "Holo- caust"-Diskussion; das Wiederanknüpfen von Foucault oder Deleuze- Guattari - implizit auch von Schmidbauer - an Nietzsche ebenso wie die gegenseitige diskursive - noch nicht reale! - Klinifizierung

von Atomgegnern und Atombetreibern).

9. Die Psychiatrie der letzten Jahrhunderte ist, von einigen wei- teren (zu erarbeitenden) Momenten abgesehen, primär im Spannungsver- hältnis zwischen medizinischen und moralischen Konzepten gestanden (wovon diese ökonomisch, politisch, ideologisch in seinen jeweiligen Ausprägungen abhängig war, wäre zu erarbeiten). Nachdem das medizi- nische Konzept als Versuch, die Verbindlichkeit bürgerlicher Ver- nunft durch eine ebenso enge wie immer differenziertere Anknüpfung an die Natur wiederherzustellen, an die Grenzen der Barbarei gelangt ist (nämlich als Vorwegnahme der reellen Subsumtion der gesamten Biomasse des In-dividuums unter das Kapital: Lobotomie, Schockthe- rapien, Psychopharmaka),beginnt das Pendel, wiederum zu den morali- schen Konzepten auszuschwingen. Nicht umsonst hat Marcuse die Idee von der Moral als Produktivkraft restituiert, nicht umsonst sind fast alle an der Diskussion neuerdings Beteiligten (Foucault, Illich, Szasz, Laing, Goffman) große Moralisten.

10. In zwei Momenten unterscheidet sich allerdings die zeitgenö.si-

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sche moralische Konzeption von allen ihren Vorgängern: sie analy- siert (je nach den subkulturellen Normen, welchen die einzelnen Moralisten nahestehen) die Moral selbst; und sie setzt die Auflösung der nicht wiederbringlich mit der Verbindlichkeit bürgerlicher Ver- nunft verknüpften Moral in einzelne Normensysteme voraus.

11. Dementsprechend gilt es für Gesamtgesellschaft wie für Subkul- turen nicht mehr, den Wahnsinn zu bekämpfen, zu heilen etc., sondern nur noch, je gesamtgesellschaftlich oder subkulturell legitimierte Ausdrucksformen für ihn zu schaffen. Dies scheint mir der gemeinsame Nenner aller gemeindenahen Psychiatrien, von Laing bis zur Ambulanz in Mönchengladbach, vom SPK bis zum psychiatrischen Kontaktbereichs- beamten bei allen sonstigen gewaltigen Unterschieden, zu sein.

12. Für eine AG, die ihren Gegenstand in der Kritik psychosozialer Versorgung hat oder, wenn sie es nicht schafft, für ihre Nachfolge- gruppe in zwei Jahren, wäre es lohnend, die erfolgte Synthese von Wahnsinn und Vernunft als kleinsten gemeinsamen Nenner aller Re- formkräfte im einzelnen strukturell und geschichtlich nachzuvollzie- hen.

Im einzelnen könnte das heißen:

- Die Entwicklung des Konzepts bürgerlicher Vernunft im Laufe der letzten beiden Jahrhunderte. Stichworte: Kant und sein inneres Sittengesetz; Fichte: Der erste Narzißmus-Theoretiker?; Hegels Vernunft der Wirklichkeit und Wirklichkeit der Vernunft; Vernunft und Emotion bei Marx; Nietzsche: Vereinzelung und Lob des Wahn- sinns; Freud: Wo Wahnsinn ist, soll Vernunft werden; von Wittgen- stein bis Popper: Die Parzellierung der Vernunft; Lukäcs: Feier und Zerstörung der bürgerlichen Vernunft (zu Gabel, zu Seve, zu Rexilius: die Zerstörung der bürgerlichen Vernunft aus dem Geiste entfremdeter Arbeit); Reich: Die Homöopathie des Wahnsinns zur Rettung der Vernunft; Perls: Wo Vernunft ist, soll Wahnsinn wer- den; Feyerabend: Von der Parzellierung zur Selbstaufhebung der Vernunft; Lacan: Der Wahnsinn ist die Vernunft/ der Wahnsinn des anderen. f

- Dazu analog: welche ökonomischen, politischen etc. Bedingungen treiben obige Entwicklungen hervor? Folgen daraus? І

- Dazu analog: der Krankheitsbegriff als Suche nach dem Mischungs~ ` R verhältnis von Wahnsinn und Vernunft (wann, wie, wo wird "Krankheit zum "Begriff"?). Vergesellschaftung von Neurose und Neurotisierung von Gesellschaft. Die "gesunden und kranken Anteile". Der "double- bind", der Verfremdungseffekt als Abtrennung und Verbindung von Wahnsinn und Vernunft. РУ.

- Die (Lohn-)arbeit am Wahnsinn als gesellschaftlich legitimierte Bewältigungsform von Wahnsinn (Schmidbauer. Dörner/Plog: Repres- sionen gegen Ausgegrenzte ist legitim, "weil wir mit ihnen (es) nicht besser aushalten, zurechtkommen" etc. Wer aber Pharmaka, "Elektro-Krampf-Therapie" bekommt, bleibt klar!).

- Historische Erfahrungen, durch die das Wahnsinnigwerden der Ver- nunft anschaulich werden konnte: Destruktion der Gebrauchswerte; Produktivkräfte als Destruktivkräfte; Weltkriege; Ostermarsch; Ökologiebewegung; Völkermord. К

- Die Rehabilitation des Wahnsinns als Ausdruck einer geschichtlich authentischen Dezentrierungstendenz (Stichworte zu Parallelen: "small is beautiful". Frauenbewegung - "Der ver-rückte Diskurs der Frauen"/Irigaray; Hexen! - ....). =

- Systemgrenzen der Rehabilitation des Wahnsinns ("Chaoten").

13. Soweit die Abstraktion. Im einzelnen sind die folgenden Folgen für die psychosoziale Versorgung und ihre Kritik zumindest anzudeu- ten:

14. Vereinzelung/zunehmende reelle Subsumtion unter das Kapital ent- eignen das In-dividuum Zug um Zug seiner "forces propres" ("eigenen Kräfte"). Die psychosoziale Versorgung bestimmt sich durch den Dop- pelcharakter, zum einen die "forces propres" zumindest soweit wie- derherstellen zu müssen, daß der gesamtgesellschaftliche Reproduk- tionsprozeß nicht darunter leidet (Beschäftigungs-/Arbeitstherapie

- siehe dazu unten -, daily living learning, Alltagstraining etc.), zum anderen hilft sie durch eine weitere Entmündigung ("Ver-sorg- ung") bei der Enteignung der "forces propres" mit (Illichs Zentral- thema).

15. Vereinzelung/zunehmende reelle Subsumtion unter das Kapital tren- nen im Verlaufe der Geschichte einen eigenen Sektor der '"Beziehungs- arbeit" von der materiellen Produktion (human relations) wie von

den übrigen Sektoren der Kopfarbeit (Sozialarbeiter, Gesundheitsbe- rufe) ab. Die "Interaktion" (deren Begriff im Verlaufe dieses Pro- zesses erst entsteht) wird zur abgetrennten Arbeit. Sie wird hier- durch quantifizierbar (Gruppendynamik, Verhaltenstherapie, aber auch methods-time-measurement), sie wird hierdurch zur Mehrwertproduktion geeignet. Sämtliche aus der materiellen Produktion bereits bekannten Begleiterscheinungen (Konkurrenz zwischen Therapieformen, Lohnab- hängigengleichgültigkeit etc.) setzen sich unmittelbar (Altenheime, Therapieschulen) oder mittelbar (Konkurrenz um knappe Revenuen)

im Bereich der psychosozialen Versorgung durch.

16. Stand dieses Prozesses und sozioökonomische Interessen bestim- men denn auch die aus der Vergleichzeitigkeit des Prozesses entste- henden Widersprüche. Profitable Vereinzelung (niedergelassene Nerven- ärzte) steht gegen die ersten Erscheinungsformen reeller Subsumtion (Gruppenpraxen, multiprofessionelle Teams). Die akutellen Diskussio- nen um enquéte und Therapeutengesetz markieren den jeweils aktuel- len Stand der Kräfteverhältnisse.

17. Die dargestellte Normenvielfalt (gelegentlich, wie von Ernst

von Weizsäcker, wohl stilisiert) konstituiert also im Verbund mit sozioökonomischer Ungleichzeitigkeit gemeindenahe Psychiatrie. Da, wie dargelegt, der Vernünftige des einen zum Wahnsinnigen des ande- ren wird, kommt es nun zuvörderst darauf an, daß jede(r) jene ihm gemäße Teilkultur oder Subkultur findet, in dem sein (ihr) spezielles Mischungsverhältnis von Vernunft und Wahnsinn am sanktionsfreiesten legitimiert werden kann. "Sanktionsfrei' deshalb, weil die Klinifi- zierung aller Abweichungen (siehe die Sozialtherapie-Debatte im Strafvollzug, den Aufschwung der Gerontologie, den Versuch, Frauen- häuser unter das besondere Anstaltsrecht zu fassen etc.) im Fort- schritt begriffen ist.

18. So erweist sich die psychosoziale Arbeitsgemeinschaft als nichts anderes als der Versuch, die entstandenen Einrichtungen der dispa- ratesten Teil- und Subkulturen äußerlich zusammenzufügen.

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19. So zeigt sich das Dilemma der Selbsthilfegruppen darin, daß mit Notwendigkeit von ihnen eine Gemeinsamkeit abweichender Normen er- heischt ist, die in der Realität selten vorliegt. (Daß Selbsthilfe- gruppen mit Notwendigkeit Sekten sind, hat Michael Lukas Moeller brillant nachgewiesen, vielleicht ohne dies zu wollen.)

20. So bestimmen sich eine Reihe von Gliedern der therapeutischen Kette als schon wieder verschieden ritualisierte Ausdrucksformen von Ungleichzeitigkeit (auffällig bei Tagesklinik und Nachtklinik, die sich denn auch wie Tag und Nacht zueinander verhalten: die reell unter das Kapital subsumierten, die ihre Vereinzelung im Reproduk- tionsbereich nicht ertragen - Nachtklinik -, werden jenen entgegen- gesetzt, die hinsichtlich ihrer Wohnformen, auf welche Weise immer (und hier gibt es subkulturellen Spielraum, vergesellschaftet sind, aber hinsichtlich des Arbeitsbereichs vereinzelt).

21. So schafft die medizinische Therapie gleich zwei Doppelcharak- tere ins Haus: so lebenswert die Kapitalseite die für sie ebenso rentable wie staatserhaltende Vorwegnahme der bereits erwähnten reellen Subsumtion der gesamten Biomasse des In-dividuums unter das Kapital findet, (wobei Einigkeit darüber herrscht, daß Pharmaka, LObotomie und Schocks leider äußerst grob sind und sich Zukunfts- forscher in Visionen darüber ergehen, wie solche Methoden im 21. Jahrhundert verfeinert werden könnten), so sehr schreckt sie die Aussicht auf die völlige Destruktion des Gebrauchswerts, der an die- sem In-dividuum hängenden Arbeitskraft. So lobenswert die Seite der Gesundheitsarbeit die Unterstützung ihrer Lohnabhängigengleichgültig- keit durch die medizinische Therapie findet, so sehr bedauert sie letztere als Hindernis zur Wiederherstellung von "forces propres". Dieser Doppelcharakter erscheint in der Praxis als Rede von den "Nebenwirkungen". Er erklärt den Eiertanz, den alle "Techniker",

von Basaglia bis Dörner/Plog um die Psychopharmaka aufführen.

22. Allerdings tritt der "Nebenwirkungs"-Widerspruch auch bei sub- kulturellen Konzepten gemeindenaher Psychiatrie auf. Zu untersuchen z.B. die "Nebenwirkung" der "Produktivkraft Krankheit" beim SPK.

23. Es liegt auf der Hand, dap die Arbeit eine ebenso große Rolle bei der Entstehung der Emotionen in ihrer Erscheinungsform als Wahn- sinn spielt, wie bei dem Versuch, mit letzterer zurechtzukommen. Da die Arbeit nicht nur als "force propre" bereits weitgehend enteig- net ist (auf die entgegenwirkenden Tendenzen kann ich hier nicht eingehen), sondern noch vielfältig modifiziert wird, so u.a. durch Technisierung und ihre Widersprüche, immer neue Arbeitsteilungen und -zusammenfassungen, Rationalisierungen bzw. öffentliche Mittelknapp- heiten und daraus folgende Arbeitslosigkeit, den Doppelcharakter der Hausfrau als Reproduktionssicherung und Reservearmee, durch den Kreis- lauf jeweils marginaler kleinbürgerlicher und lohnabhängiger Tätig- keiten, wird die Verwirrung dabei ziemlich groß. Zumal der Anteil der elterlichen Arbeit an der Menschwerdung des jeweiligen Kindes noch mitreflektiert zu werden hätte.

24. Hierbei tauchen gleich mehrere Bruchstellen auf einmal auf. Ab- gesehen von den bereits erwähnten Fragen von Normen (ob es nun eine Einrichtung ist, deren Mitarbeiter von der "Abschaffung der Arbeit"

57

träumen, oder eine, die den Calvinismus mit der Muttermilch einge-

sogen hat) und von Ungleichzeitigkeiten, treten nun hinzu:

- der Versuch, an einen Arbeitsmarkt anzupassen, den es, nach er- folgter Anpassung, so nicht mehr gibt;

- (im günstigsten Fall) die Umschulung auf Tätigkeiten, die nach erfolgter Umschulung zumeist ebenfalls nicht mehr gefragt sind;

- (im zweitgünstigsten Fall) die Erkenntnis der "kranken Anteile" der Arbeit am Wahnsinn, die nach Entlassung zumeist wenig nützt;

- (im ungünstigsten Fall) die Anpassung an die dequalifiziertesten, krankmachendsten Arbeiten, die gerade am Arbeitsmarkt zu haben sind, zumeist verbunden mit einem eigenen ökonomischen Interesse der arbeitsanleitenden Institution einschließlich der je dahinter- stehenden Konzerne.

25. Dies wäre im Detail zu untersuchen, einschließlich symbiosen wie Bethel-Oetker, beschützende Werkstätten (die fast immer den "ungünstigsten Fall" repräsentieren) und der pikanten Frage des no- torischen Desinteresses des DGB an Tariflöhnen in diesem Bereich.

26. Ausgehend von jener unmittelbar oder vermittelt Wahnsinn mit- produzierenden höchstentfremdeten form von Arbeit, an die gleich- wohl zwecks Bewältigung des Wahnsinns angepaßt wird, wird auch die spezifische Vertauschung sinnfällig, die fast alle psychosozialen Einrichtungen kennzeichnet:

Jene Therapie, die dazu geeignet sein soll, durch gebrauchswertorien- tierte Arbeit (Hannah Arendt würde sie als "Herstellung" bezeichnen) die "forces propres" des Patienten sich wieder anzueignen, gilt

als "Beschäftigungstherapie'" (dementsprechend unbezahlt). Jene De- qualifikation, die die "forces propres" noch weiter dezimiert und oben dargestellt ist, gilt als "Arbeitstherapie' (und wird "bezahlt", wenn dies so genannt werden darf).

27. Der sanktionsfreien Legitimation des Mischungsverhältnisses von Vernunft und Wahnsinn verdankt die italienische demokratische Psy- chiatrie ihre vergleichsweise Beliebtheit. Sie zeigt gleichzeitig, wie berechtigt der erwähnte Satz ist, der von der Notwendigkeit der Existenz entsprechender Teil- und/oder Subkulturen redet.

Somit erschlösse sich uns auch die Bedeutung der Abschaffung der Großkrankenhäuser und von "Freiheit heilt" (Sil Schmid). Sie besteht darin, daß die Wahnsinnigen/Vernünftigen nicht länger daran gehin- dert werden sollen, sich den entsprechenden Teil- oder Subkulturen anzuordnen, in welchen sie sanktionsfrei leben können. Bis dann die "Krise" kommt.

28. Die "Krise" (sodann als Grundlage der'Krisenintervention") be-

zeichnet in diesem Kontext jenen Moment, in dem sich gemäß den Nor-

men der jeweiligen Teil- bzw. Subkultur Vernunft und Wahnsinn je

entsprechend entmischen. Dies impliziert ein jeweils zumindest vier-

faches Verständnis von "Krise":

- des(der)jenigen, der (die) selbst in der "Krise" ist;

- derjenigen Teil- bzw. Subkultur, in der sich der (die) Betroffene befindet;

- derjenigen Teil- bzw. Subkultur, in der sich der(die)selbe nicht befindet;

- derjenigen, die in der Krise intervenieren.

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Der Rest ist eine Frage des "Kräfteparallelogramms" (Engels), das auch im berühmten "Rollenspiel" eingeübt werden kann. Ersteres ent- scheidet wohl auch darüber, welche Ungleichzeitigkeiten konstituiert werden, folglich, wo in der therapeutischen Kette der (die) Betroffe- ne landet, folglich, wie (und wie lange) mit seiner (ihrer) Krise dort umgegangen wird.

29. Die Rolle der Normen in den verschiedenen Teil- und Subkultu- ren, hier bereits abstrahiert von ihrem Produktionszusammenhang im gesamtgesellschaftlichen/subkulturellen Alltag, verweist uns auf

die, siehe oben, konkurrierenden therapeutischen Schulen.

Ausdruck der jeweils herrschenden Norm ist die Etikettierung. Daß sich, wie Dörner/Plog stolz verweisen, in (und dann mittels) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Reihe von Etiketten durchge- setzt hat, sagt nichts über deren Wissenschaftlichkeit aus, sondern etwas darüber, wer derzeit in diesem Bereich die herrschenden Normen zusammenfaßt und setzt. (Wie die WHO mit diesem ihrem Widerspruch zurechtkommt, gleichzeitig normbestimmende Etiketten zu setzen, und einen Begriff von Gesundheit zu bestimmen, der alle vorherigen Krank- heitsbegriffe zu destruieren geeignet ist, wäre auch eine interessante Untersuchung.)

30. Dörner/Plog relativieren die Etiketten immerhin bereits so weit, daß sie sich bemühen, vom "traurigen", vom "gespaltenen" etc. Men- schen zu sprechen, der ein(e) jede(r) sein kann (woran, siehe oben, etwas Wahres ist). Noch weiter werden die Etiketten relativiert, wenn die einzelnen Schulen zu betrachten wären, die miteinander

um die Wette neue Etiketten produzieren.

31. Die oben erwähnten Ег scheinungsformen der Vereinzelung und der reellen Subsumtion bilden die gemeinsame Grundlage der Schulen;

die Konkurrenz zwischen Gesundheitskleinunternehmern bzw. zwischen Gesundheit sarbeitern die gemeinsame Grundlage der Aufrechterhaltung ihrer Trennung (siehe die Papiere des Therapeutischen Clubs und die Arbeit von Reinald Weiss zur Skizzierung dieses Themas).

32. Die Vereinzelung führt zum einen über die "Ideologie der Anonymi- tät" (Hans С. Helms) zu narzißtischen Erscheinungsformen (Entgren- zungen, Omnipotenzphantasien etc.), zum anderen hat sie Etikettie- rungen wie "Ich-Schwäche" (Psychoanalyse), "Kommunikationsunfähig- keit" (Kommunikationstheorie) ebenso zur Folge wie "Selbstverstär- kungstraining" (Verhaltenstherapie). Heimliches Curriculum aller mir bekannten Schulen ist, über die Wiederherstellung abgetrennter gleichsam portionierter "forces propre s" die Konkurrenzfähigkeit der In-dividuen zu verbessern.

In Verbindung mit dem oben angefiihrten Skonomischen Dilemma (Thesen 23.-26.) kommt es zu dem folgenden Teufelskreis: з Soziodkonomi sch ausgelést entmischen sich Wahnsinn und Vernunft in einem In-dividuum. Dieses wird einer Therapie unterzogen, in welchem es sich fragmentierte "forces propres" wiederaneignet. Es verbessert seine Konkurrenzfähigkeit bis hin zum vorläufigen Sieg über andere in der Konkurrenzsituation. Woraufhin sich bei anderen In-dividuen Wahnsinn und Vernunft entmischen, diese einer Therapie unterzogen werden etc., bis hin zur tendenziellen Durchtherapierung der gesam- ten Gesellschaft.

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33. Da jedoch die oben (Thesen 5. und 6.) angefiihrten Notwendigkeiten zunehmen, da Kooperation und ungleichzeitige Vergesellschaftung gleichzeitig auftreten, haben sich die Schulen auch daran zunehmend zu orientieren. Erkennbar wird dies an den offenkundigen Schwierig- keiten, die eine Reihe von Schulen (z.B. die Psychoanalyse und die Gestalttherapie) hatten bzw. haben, eine fiir den Gebrauch des In- dividuums konzipierte Therapieform zum Gebrauch von Gruppen umzude- finieren. Ebenfalls ist auffällig, daß, in einer Milchstraße von Formbestimmungen, die Durchsetzung der Gruppenkooperation durch Konkurrenz zum Dauergegenstand der Gruppenarbeit zu werden neigt.

34. Da die verschiedenen Schulen in sich, vermittelt durch ihr Per- sonal, ebenfalls das erwähnte Mischungsverhältnis von Wahnsinn und Vernunft beinhalten, setzt sich dieses in Arbeitsform und Konkur- renzform der Schulen auch durch. Auffällig bei Dörner/Plog ist etwa, daß diese vom Standpunkt ihrer Vernunft her den Momenten des Wahn- sinns in der Gestalttherapie eine überaus vernichtende Abfuhr ertei- len (eine saftige Replik der Gestalttherapeuten in der DGSP wäre ihnen zu gönnen), jedoch die Momente des Wahnsinns, z.B. der Ver-

haltenstherapie, nahezu freundschaftlich kommentieren, wo nicht aus- blenden.

35. Daß die genannte Vereinzelung (bei den selbständigen Schulthera- peuten) als narzißtische Omnipotenzphantasie erscheint, welcher der Patient und auch der therapeutische Ausbildungskandidat unterworfen werden, hat H.E. Richter in einer nahezu aufsehenerregenden Rede

in Kassel deutlich dokumentiert. Entsprechend zeigt sie sich beim therapeutischen Lohnabhängigen in einem eigentümlichen Schwanken zwischen Omnipotenzphantasie und Lohnabhängigengleichgültigkeit.

Nachdruck aus: AG SPAK-Forum, Nr. 5

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BESCHWERDE-ZENTREN

Es ist wichtig, daß immer mehr Menschen gegen den Aussonderungsappa- rat kämpfen und dadurch mithelfen, dieses menschenverachtende Sy- stem zu beseitigen.

Nach 30 Jahren Grundgesetz werden immer noch Menschenrechte mit Fü- ßen getreten. Immer noch können Menschen wie Vieh gehalten werden, mit Dämpfungsmitteln vollgestopft, ihrer Freiheit und Würde beraubt werden, ohne daß die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wer- den. Unter dem Deckmantel von medizinischer Wissenschaft geschehen Dinge, die an die Greueltaten des Faschismus erinnern. Diese Zeit ist nie wirklich aufgearbeitet worden; einen wirklichen Neuanfang hat es nicht gegeben. So hat sich mancher Psychiater und manche schlimme Tradition durch die Zeiten gerettet. Die Psychiatrie er- füllt weiterhin ihre alte Funktion: Die Aussonderung der Entarteten, Unproduktiven, Schwierigen und Listigen.

Seit 3 Jahren versuchen die Beschwerdezentren sowohl einzelnen In- sassen zu ihrem Recht zu verhelfen, als auch die für das Elend Ver- antwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Vielen konnte geholfen werden und einiges wurde erreicht: Skandalöse Zustände in Brauweiler, Düren, Bonn wurden von uns auf- gedeckt. Brauweiler mußte geschlossen werden, schuldige Ärzte und Pfleger kamen vor Gericht. Im Rheinland kann sich die Psychiatrie kaum noch der öffentlichen Diskussion entziehen.

Deshalb rufen wir alle auf, unsere Arbeit zu unterstützen, in den Beschwerdezentren mitzuarbeiten oder neue zu gründen!

Jeder, ob Patient oder Angestellter des LVR sowie alle anderen kön- nen bei uns mitarbeiten, oder sich mit Beschwerden und Informatio- nen an uns wenden. Eine weitere Hilfe sind Geldspenden bzw. Abonne- ments dieser Zeitung (pro Jahr ab 10 Mark bis ...) Zahlungen auf das Konto:

Kristin Bauer - Postscheck Köln Nr. 28 88 76 - 507 - Stichwort: Unbequeme Nachrichten.

@ Beschwerdezentrum des SSK e.V. (Sozialistische Selbsthilfe Köln) 5 Köln 30, Liebigstr. 25 Tel. 0221 55 61 89

@ Beschwerdezentrum Psychiatrie Bonn, Bornheimerstr. 92

53 Bonn Tel. 0228 65 54 09

@ Beschwerdezentrum der SHD e.V. (Selbsthilfe Düsseldorf)

4 Düsseldorf, Kopernikusstr. 53 Tel. 0211 34 37 27

© Beschwerdezentrum Bielefeld Tel. 0521 17 71 37

@ Beschwerdezentrum Münster Tel. 0251 27 78 30

© Beschwerdezentrum Dortmund Tel. 0231 17 30 45

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Seit über einem Jahrzehnt erscheinen im Verlag 2000 des Sozialistischen Büros Broschüren, insbesondere für die verschiedenen Arbeitsfelder. Dieses Programm wird jetzt durch eine breit konzipierte Taschenbuchreihe im Format 12 x 19 cm ergänzt. Zur Buchmesse "BI erscheinen die ersten Titel:

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Der Engel Lucifer (bekannt als Teu fel) ruht sich їп der behaglichen Wär me seines Hochofens aus, nachdem er ein paar Jahrtausende versucht hat, Aufklärungsarbeit für die Forderung nach Mitbestimmung und kürzerer Ar beitszeit im Paradies zu leisten. Plötz lich = Ende 1978 ~ wird es kälter in seiner Behausung. "Was ist? Stille gung. Pleite, oder wird gestreikt?" Vorsichtig verläßt der Teufel seine Hochofenhölle, um zu schen, was vor geht. Dabei begegnet er Beteiligten (Arbeiter, Unternehmer, Reporter, Pfarrer und Nonne) an der Auseinan dersetzung um die 35-Stunden-Wo- che. Für den Teufel als Unwissenden gibt es zunächst viele Verwechselun- gen

Erarbeitet wurde dieses Stück mit Un terstützung des Betriebsrates Hoesch-Dortmund. Die Gespräche, Interviews und Materialsammlungen von Gewerkschaftern und Arbeitern

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beiten ihre alisation Ro

über Streik bildeten die Arbeitsgrund- lage. Das Ergebnis des Streiks wird später als Niederlage begriffen, doch der Kampf der Arbeiter war kein End punkt, cher wohl ein Anfang. Erfah- rungen sind gemacht worden. Dies dokumentieren die selbstgemachten Lieder, die Lieder sich solidarisieren der Liedermacher, der Beitrag über Kultur im Streik. Weitere Beiträge über den Einsatz von Film und Video im Arbeitskampf sowie Adressenma- terial geben diesem Buch einen Ge brauchswert, so daß es nach dem Le sen nicht im Bücherregal verstauben muß,

Im Dezember 1980 erscheint Band 3

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"Und eines Tages merkte ich, ich war nicht mehr ich selber, ich war mein Mann”

Eine politische Autobiographie

In Vorbereitung

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Zur aktuellen Krisenentwicklung und den politischen Konsequenzen. Bei- träge von Massarrat, Hirsch, Diner, Brandes, Huhn, Emenlauer u.a

Michelangelo Notarianni

DIE ABWEICHENDE MEHRHEIT ZUM TODE VON FRANCO BASAGLIA

Am 29. August starb Franco Basaglia in Venedig im Alter von 56 Jah- ren. Seit er in den sechziger Jahren die psychiatrische Klinik in Gotizia geleitet und grundlegend verändert hatte, qing von thm eine große Ausstrahlung auf die gesamte demokratische oder alternative Psychiatrie aus. Ausgehend von der Erkenntnis, daß die traditionel- len Institutionen zur Verwahrung von Geisteskranken vorab dem psy- chischen Schutzbedürfnis der "Normalen" dient, arbeitete Basaglia zeitlebens an ihrer radikalen Reform. Abbau des hterarchischen Ge- fälles zwischen Arzt, Pflegepersonal und Patienten sowie die Öffnung der Kliniken sollten einer wiklichen Resozialisierung der Patien- ten ebenso dienen, wie sie das Verhältnis der Gesellschaft zu ge- sellschaftlich verursachtem abweichendem Verhalten grundlegend wn- wälzen sollten.1978 erließ das italienische Parlament ein Gesetz, das - maßgeblich von den Ideen Basaglias und seiner Schule beein- flußt - bis Ende dieses Jahres die vollständige Aufhebung der psy- chiatrischen Kliniken vorsieht. Wenn seine Umsetzung in die Praxis auch noch lange auf sich warten lassen wird - von Basaglias Engage- ment gingen entscheidende Anstöße aus zur Aufklärung über die ge- sellschaftlichen Wurzeln psychischer Erkrankungen und über das Elend hinter den Mauern der Irrenhäuser. Den folgenden Nachruf haben wir aus "ТЇ manifesto" (30. Aug. 1980) übersetzt.

Heute möchte man vom Menschen Franco Basaglia sprechen: für einmal alle Etiketten und Klassifikationen, Theorien und politische Aus- einandersetzungen, all jene großen und kleinen Dinge beiseite las- sen, mittels derer wir ihm in diesen Jahren begegnet sind und die ihn versteckt haben, während sie ihn bloßstellten. Man kann nicht, wenigstens heute nicht.

Der Tod kehrt die Distanzen hervor, macht die Scham zur Pflicht. Dieser extrovertierte und aggressive Mann war nicht einfach kennen- zulernen, er überließ sich nicht seinen Gefühlen, seine Verfügbar- keit koinzidierte mit seiner Zerstreutheit. "Es ist für das psychia- trische Establishment zu einfach", schrieb er vor Jahren in der Ein- leitung zu dem Buch, das seine Erfahrung in Gorizia widergab, "unse- rer Arbeit jede Ernsthaftigkeit und jeden wissenschaftlichen Respekt abzusprechen. Das Urteil kann uns nur schmeicheln, da es uns letzt- lich verbindet mit dem fehlenden Ernst und der fehlenden Achtung, die man seit je dem Geisteskranken und allen Ausgschlossenen entgoe" gengebracht hat."

Es steckte viel Gewalt in jener schlagfertigen Antwort, viel Distanz in jenem Sarkasmus. Die Einsamkeit des Menschen der Masse, der Basaglia war, war indessen in der Tat das Motiv, das ihn mit den Ausgeschlossenen verband; sie blieb etwas Hartes und tief Erlitte- nes, vielleicht allen und auch ihm selbst unbekannt. Die Sanftheit Basaglias lag ganz in der Ironie seines venezianischen Dialekts,

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wie eine Anspielung auf ein mögliches Einverständnis, sofort gebro- chen vom Ungestüm eines Zieles, das keinen Aufschub duldete. Es gab keine Sentimentalitäten beim Populisten Basaglia, nichts, was Em- pörung und das Gefühl für Verletzung abschwächen konnte. Das antike und vornehme Moment jener Einsamkeit und der Gelassenheit, mit der er sie zu leben schien, war dasselbe, das seinen Protest ohne allzu menschliches Tremolo schwingen ließ.

Franco Basaglia, dieser Mann des Widerspruchs und der Widersprüche, wurde nicht von vielen geliebt. Seine Stärke war die Hartnäckigkeit, mit der er, unnachgiebig gegen einfache Wahrheiten, die ihm seine Zeit entgegenhielt, seinen Weg ging und sich alle Ekklektizismen

der Praxis leistete und sich jeder Versöhnung der Kultur verweiger- te. Wer ihn nicht mochte, sprach von Extremismus und Reformismus, sah in Basaglias Praxis nichts substantiell Verschiedenes von den Reformexperimenten, wie sie inzwischen in allen fortgeschrittenen Ländern durchgeführt werden, wo die langsame Tilgung des Irrenhauses Hand in Hand geht mit der Verallgemeinerung der Kontrolle und der Medizinisierung des Leidens. Basaglia, der Maxwell Jones und seine therapeutische Gemeinschaft, einen der Höhepunkte des britischen Reformismus der vierziger Jahre, sehr geliebt hat und von ihm aus- ging, als er in den frühen sechziger Jahren in Gorizia begann, hatte zugleich jene Erfahrung recht häufig kritisiert. Und ebenfalls frü- he Kritik hatte er gegenüber dem französischen Sektor geäußert, einer anderen Speerspitze der Reformerfahrung.

Seit Gorizia ist der Hauptgegner mit großer Klarheit identifiziert worden. Es war sicher nicht die "italienische Rückständigkeit", die der Kultur des Wohlfahrts- und Fürsorgestaates der fortgeschritte- nen Demokratien entgegenstehende Barbarei der Gewalt im Irrenhaus. Im Gegenteil, gerade aus der Aufmerksamkeit für den Fortschritt

und für die fortgeschrittenen Situationen war der Impuls gekommen zum Kampf für die Zerstörung des Irrenhauses - nicht für seine Huma- nisierung und Verwandlung in eine beschützte, noch abgeschiedene Gemeinschaft. Basaglia erkannte sich nicht wieder in Thomas Szasz und dessen Negation der Geisteskrankheit aus einem behavoiuristi- schen Szientismus heraus, der mit der Warengesellschaft harmonieren- den Ideologie. Vielmehr hatte er Asylums von Erving Goffman über- setzt und herausgegeben, wo die Realität des Irrenhauses nicht als archaische Barbarei gesehen wird, sondern als paradigmatisches und wesentliches Moment einer Gesellschaft, in der die Norm sich von der affektiven Verbindung mit den Dingen entfernt und sich Vorstellun- gen macht, ein Rollenspiel, in dem die einzige mögliche Heilung die Möglichkeit zu einer nicht allen erlaubten Distanz wird. Basaglia bestritt den Wert des Widerspruchs von Modernität und Rückständig- keit ebenso wie desjenigen von Rationalem und Irrationalem, Vernunft und Verrücktheit. Er mahnte gestern noch, das Irrenhaus nicht zu vergessen - und zwar anders als jemand, der Arbeitern die Holzschuhe des Großvaters in Erinnerung ruft, um die bereits vollbrachten Fort- schritte zu zeigen. Eher schon wie jemand, dem sich in einem Moment der historischen Erfahrung die Realität der Unterdrückung in ihrer reinen Form entschleiert - das Bild, das die Bedeutung jener ganzen komplexen Phänomenologie erhellt, die in der zerstreuten Familiari- tät der Erscheinungen schwer zu begreifen ist. Das Irrenhaus kann entweder zerstört werden oder aber sich aufs ganze Terrain ausbrei- ten, eins werden mit einer Gesellschaft der - unterdrückten und ge-

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hegten - abweichenden Mehrheit, von der Basaglia sprach, als er uns einen aufklärenden Artikel von Jürgen Ruesch vorlegte.

Die Wette war sowohl eine Wette auf Zeit, als auch eine lange Wette auf Messers Schneide, wobei die Ambiguität und der Widerspruch sich nicht auf das einfach Identische reduzieren lassen.

Basaglia hatte 1968 erkannt, und 1968 hatte Basaglia erkannt. Er sah in der Bewegung und der Gewerkschaft der Räte das Zeichen einer Kontinuität, die in jenen beiden Momenten ihre Höhepunkte hatte.

Das war kein zufälliger Zusammenklang, auch wenn es der stärkste Widerspruch war, der Kampf, Organisation, Arbeit, Erfahrung und pro- letarische Werte in die Nähe von Ausschluß, Einzelheit, lächelndem und bis zur Aggressivität entleertem Elend, den Zeichen der Verrückt- heit, brachte. Die Erfahrung Basaglias und seine italienische Spe- zifik lagen in diesem Widerspruch. Die Wette galt der Möglichkeit, ob die Gestalt des Marxismus, die sich im 19. Jahrhundert herausge- bildet hat und die in der Geschichte der sozialistischen und kommu- nistischen Internationalen noch lebt, die Fähigkeit habe, sich selbst zu überwinden und in der Kritik des Spätkapitalismus wieder zur Radikalität eines - noch nicht ausgeschöpften - Marx zurückzu- finden.

Gewiß gibt es ein Paradoxon in jenem Marsch in den Institutionen, den Basaglia mehr als andere wirklich zu durchlaufen wußte, einer nicht theoretisch bestimmten und quasi-spontanen Anweisung von

1968 folgend. Die traditonelle Arbeiterbewegung, wie reformistisch oder revolutionär auch immer, hatte geglaubt, die eigene Andersar- tigkeit allein darin zu finden, daß sie sich auf dem eigenen Gebiet, in den eigenen, abgetrennten Institutionen bewegte, sich eine eige- ne Ideologie verschaffte, unabhängig von der Kultur der gegneri- schen Klasse und von deren getrenntem Wissen. Die neue Bewegung besaß diese Möglichkeit nicht. Ihre Radikalität drückte sich viel- mehr aus in der Kritik der Rollen, der Institutionen, der abge- trennten Wissenschaften. Was man jetzt als Formen einer gesellschaft- lichen Totalität erkannte, sollte sich einzelner Niederlagen zum Trotz neu erzeugen und nicht mehr einfach aufteilbar sein in die ständig entgegengesetzten Lager - in Erwartung des letzten Gefechts. Mao Tse tung hatte eine frühe Erfahrung auf dieser neuen Ebene ge- macht, indem er die Widersprüche im Volk theoretisch faßte und dann zur Kulturrevolution trieb, die das Zeichen des Widerspruchs auf jeder gesellschaftlichen Ebene ausmachte und bestimmte.

Basaglia war ein Mensch dieser Zeit und dieser Widersprüche. Zuerst in Gorizia, dann in Parma und schließlich in Triest, wo seine Erfah- rung die größte Ausbreitung erfuhr, während die Diaspora von Gorizia sich von Arezzo nach Ferrara, von Genua nach Neapel und Turin ver- breitete, hat er Politik gemacht, indem er die Kraft der Meinung und die vielfachen Widersprüche des gegnerischen Lagers ausnutzte. Er hat sich praktisch der Kommunistischen Partei angenähert, obwohl er deren allgemeine Politik bekämpfte; stets war er zerrissen zwi- schen dem Erfordernis, auf die Besonderheit seines Kampfes nicht

zu verzichten, und dem Risiko, dessen Bedeutung ständig mißachtet

zu sehen. Er hat es schließlich vor kurzem angenommen, nach Rom zu kommen, um die Arbeit der Region Latium im Bereich der mentalen Ge- sundheitspflege zu koordinieren: damit hat er erstmals eine explizit politische Aufgabe übernommen. Ein neues Risiko, eine neue Gelegen-

heit ‚sich wieder auf etwas einzulassen. 65

Manche wollten in seiner beharrlichen Weigerung, die eigene Erfah- rung zu theoretisieren, in seiner Aversion gegen jede Kultur, die sich wie ein Schirm über das Leiden der Ausgeschlossenen legen könn- te, die Offenbarung eines tiefen Irrationalismus sehen, eines Prag- matismus, der die scheinbaren Unsicherheiten seines politischen Ver- haltens erklären sollte. Paradoxerweise vermochte niemand in einer praktischen Haltung, die das Urteil suspendierte und den Wert von Kultur und Wissenschaft nicht negierte, sofern diese das Gericht der präkategorialen Lebenswelt nicht außer Kraft setzen, die philosophi- sche Erfahrung zu erkennen, die Basaglia geprägt hat, nämlich die Phänomenologie Edmund Husserls (nicht nur vermittelt durch die Be- ziehung zum Denken Sartres). In Zeiten, in denen neue Formen von popularisiertem Heideggerismus Aufwind haben, war es nicht leicht

zu erkennen, daß Franco Basaglia auf dem Boden des radikalsten phi- losophischen Bewußtseins unserer Zeit stand, und daß jenes philoso- phische Bewußtsein ihre volle historische Aktualität erst im letzten Jahrzehnt erreicht hat.

Basaglia konnte seine Erfahrung nicht vollenden. Auf dem Gebiet von Geschichte, Politik und Kultur bleiben die Widersprüche, die seine Erfahrung offengelegt hat und die sich in ihr öffneten, schneiden- der denn je. Nicht nur, weil sein Tod die Restaurationsgelüste all derer verstärkt, welche die offenen Widersprüche eines Gesetzes sa- nieren wollen, das seinem Namen verhaftet bleibt und das bestimmt, daß die Verrücktheit nicht mehr von der Gesellschaft getrennt wer- den soll. Es wird von nun an nicht einfach sein zu unterscheiden zwi- schen denen, die das Irrenhaus wiederherstellen wollen und denen, die es auf die abweichende Mehrheit ausdehnen wollen.

Der Feind wird zwieschlächtig bleiben und wir werden scharfe und kritische Augen benötigen, um ihn zu identifizieren. Aber nicht nur für ihn bleiben die Widersprüche offen. Glücklicherweise sind sie es auch für uns, die wir mit Basaglia gekämpft und uns in seinen Käm- pfen wiedererkannt haben.

Viel ist jetzt auf dem Gebiet der alternativen Psychiatrie die Rede vom Problem der Kultur, der Theorie und der Wissenschaft, wobei un- ter verschämten Formulierungen das Problem der Techniken versteckt wird.

Basaglias Ablehnung überwindet man gewiß nicht, indem man teilwei- se wieder auf sie zurückgreift, noch, indem man sich empiristisch von Fall zu Fall entscheidet, noch durch die Forderung, in den psy- chiatrischen Erfahrungen sei der Weizen von der Spreu zu trennen. Basaglia wußte besser als jeder, daß die Geschichte sich kraft ihrer schlechten Seiten bewegt, seine Ablehnung der Theorie war nur ein Moment - das schärfste und spezifischste - einer Spannung, die das Problem nicht löst.

Es ist kein Zufall, daß man heute auch in den schärfsten Selbstkri- tiken des Freudismus davon spricht, die Theorie als Schutz und Ge- wißheit eines Wissens abzulehnen, das ausschließt. Die Negation

der Theorie ist die radikalste Anerkennung der Theorie, die Ableh- nung der Wissenschaft ist das höchste Bewußtsein von der Wissenschaft und von ihrem Gewicht in der Welt des heutigen Menschen. Auch der Marxismus war Theorie der Ablehnung der theoretischen Entfremdung, Kritik und revolutionäre Praxis. Der Widerspruch ist über den Marxis- mus und das von ihm gewählte Terrain hinausgegangen. Er ist kein

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theoretischer Widerspruch- dies hat Franco Basaglia verstanden, in- dem er ihn gelebt hat und sich weigerte, sich innerhalb einfacher Ab- grenzungen zu täuschen. Es wird nicht leicht sein, ohne ihn weiter- zumachen.

"links - гергїпї”

SOZIALISTEN UND DEMOKRATIE `

Verlag 2000

Albert Hofmann/Giinter Pabst/Ulrich Stascheit

SOZIALHILFE-AKTION: 2. Runde

Runde 1 “Gelbe Karte” fiir den Deutschen Verein

Mit einer Kundgebung am 23. April 1980 auf dem Liebfrauenberg in Frankfurt a.M., fanden die vielfältigen Aktionen und Initiativen der SOZIALHILFE-AKTION, anläßlich des loojährigen Bestehens des Deut- schen Vereins für öffentliche und private Fürsorge und dem 69. Deut- schen Fürsorgetag, ihren vorläufigen Höhepunkt. (1)

Rund dreißig Sozialhilfegruppen und 500 Teilnehmer aus der gesamten BRD waren nach Frankfurt gekommen, um bei dem "Jubiläum ohne Grund zum Jubeln" (Frankfurter Rundschau vom 24. April 1980), das offiziel- le Bild, das der Deutsche Verein zu zeichnen bemüht war, etwas ge- radezuriicken" (die Tageszeitung vom 25. April 1980) und den "Reden der Offiziellen zum Anspruch" (Frankfurter Rundschau vom 24. April 1980) entgegenzusetzen. (2) s 2% Bereits vor dem 23. April war der Deutsche Verein durch die Aktivi- täten und Initiativen der SOZIALHILFE-AKTION spürbar in die Defen- sive gedrängt worden.

"Auf nach Frankfurt zur Sozialhilfedemo - Sozialhilfeempfänger aus dem gesamten Bundesgebiet machen mit", forderten die örtlichen So- zialhilfegruppen. Flankiert wurden die örtlichen Aktivitäten der Sozialhilfegruppen, durch die überregional veröffentlichte Untersu” chungen sowie Rundfunk- und Fernsehberichte. (3) 4 А Angesichts solcher Offensive war der Deutsche Verein sichtlich in Bedrängnis geraten. Und nur aus dieser Defensive kann die Ankiindi- gung des Deutschen Vereins noch während des Deutschen Fiirsorgetages verstanden werden, bereits in diesem Jahr "eine Studientagung ein- (zu)berufen und dort auch die Kritiker der bisherigen Bemessungs~ grundlage (d.h. des Warenkorbs, d.Verf.)(zu) bitten, mit ihm und seinen Fachleuten zu dikutieren." (4)

Zwischenspiel

Im Juli 1980 verschickte der Deutsche Verein die Einladungen zu der angekündigten "Studientagung 'Regelsätze der Sozialhilfe am 20. und 21. November 1980 in Frankfurt. Eingladen wurden neben "den Fachleuten des Deutschen Vereins":Albert Hofmann (Frankfurt), Utz Krahmer (Fachhochschule Düsseldorf), Stephan Leibfried (Universität Bremen), Annegret Rückriem (Vorsitzende der Interessengruppe Sozial- hilfe e.V. Köln), Uli Stascheit (Fachhochschule Frankfurt), Günter Stahlmann (Fachhochschule Fulda), Florian Tennstedt (Gesamthochschu- le Kassel) und Mitarbeiter des Instituts für Sozialforschung in Köln.

Schon die Auswahl der Kritiker durch den Deutschen Verein verdeut- licht die Arroganz und Ignoranz des Deutschen Vereins. Mit Ausnahme

69

von Annegret Riickriem (Interessengruppe Köln) zielt die Gesprächsbe- reitschaft des Deutschen Vereins ausschließlich auf die "wissenschaft- lichen Kritiker" aus dem Hochschulbereich.

Ein Verhalten mit Tradition. Im Juni 1978 veranstaltete der Verband Alleinstehender Mütter und Väter (VAMV), Ortsverband Frankfurt, eine Podiumsdiskussion über Sozialhilfe-Regelsätze-Warenkorb. Obwohl ein- geladen fand es der Deutsche Verein nicht für notwendig, einen Ver- treter zur Diskussion zu entsenden. Man siehe ferner das zähe und er- folglose Ringen um Hintergrundinformationen über die Zusammenstellung des Warenkorbes. (5) Und jüngstes Beispiel: Am 25. Sept. 1980 veran- staltete die Interessengruppe Sozialhilfe Duisburg eine Podiumsdis- kussion über Regelsätze-Warenkorb-Kindergeld und Lage der Sozialhil- feempfänger in Duisburg. Otto Fichtner, der in seiner Eigenschaft

als Vorsitzender des Deutschen Vereins ankündigte: "Der Deutsche Verein ist an einem vertieften Dialog mit seinen Kritikern interes- siert und wird Chancen für diesen Dialog geben und nutzen", (6) blieb der Einladung der Sozialhilfegruppe Duisburg mit der Begründung fern: "An der Podiumsdiskussion am 25.9.1980 wird ein Vertreter der Verwal- tung nicht teilnehmen. Nach der Gemeindeordnung ist es nicht Sache der Verwaltung, an politischen Veranstaltungen wie z.B. einer Po- diumsdiskussion mit Vertretern der politischen Parteien sich zu be- teiligen. Ich bitte daher um ihr Verständnis." (7)

/

25%. ; GEN

"Die Hohe ali WareuKorbes- beshmme ieh!"

70

Runde 2 - “Rote Karte” für den Deutschen Verein?

Im Juli 1980 trafen sich die eingeladenen Kritiker aus dem Frankfur- ter Raum, um über die Teilnahme oder Nichtteilnahme an der Studien- tagung zu diskutieren. Die Überlegungen wurden in Form eines Briefes an die Hochschullehrer-Kollegen und Sozialhilfe-Initiativen versandt (siehe nachfolgenden Brief). Gegenwärtig ist bekannt, daß mindestens 2/3 der eingeladenen Kritiker (unter ihnen die einzig eingeladene Sozialhilfeempfängerin Annegret Rückriem), nicht an der Studienta- gung teilnehmen werden. Wie sich der Rest, angesichts dieser Situa- tion verhält, bleibt abzuwarten.

Mit Sicherheit läßt sich aber ausmachen, daß noch in diesem Jahr ein "Sozialhilfe-Tribunal" oder eine Tagung stattfinden wird. Diesbezüg- liche Aktivitäten sind gegenwärtig schon von verschiedenen Initiati- ven angeregt (siehe Brief der Landesarbeitsgemeinschaft Soziale Brennpunkte Hessen und den Brief der Interessengruppe Sozialhilfe Duisburg). Diese Tagung oder dieses Tribunal bietet die Möglichkeit zur Klärung der weiteren gemeinsamen inhaltlichen und praktischen Arbeit.

Noch gilt, was wir schon im Juni im Anschluß an die Kundgebung in Frankfurt geschrieben haben:

"Die Sozialhilfe-Aktion wendet sich dagegen, daß der Deutsche Verein das Monopol hat, über den Warenkorb das Los von mehr als 2 Millionen Sozialhilfeempfängern festzuschreiben. Ziel der Sozialhilfe-Aktion ist es nicht, durch Teilnahme an unverbindlichen Diskussionen mit dem Deutschen Verein dieses Monopol zu befestigen, sondern es viel- mehr zu brechen." (8)

Anmerkungen

(1) Über den Hintergrund und die Forderungen der Sozialhilfe-Aktion siehe: Materialien zur Sozialhilfe-Aktion, Informationsdienst Sozial- arbeit Nr. 25, Offenbach, März 1980

(2) Die Sozialhilfe-Aktion konnte eine durchwegs positive Berichter- stattung in der Presse verzeichnen. Aus der Vielzahl der Berichte vgl. vor allem: Während der Carstens-Rede demonstrierten Fürsorgeem- pfänger, in: Frankfurter Rundschau vom 24.9.1980, 5.1 und 69. Deut- scher Fürsorgetag: Reden der Offiziellen zum Anspruch - Kritik der Betroffenen an der Wirklichkeit. Jubiläum ohne Grund zum Jubeln, in: Frankfurter Rundschau vom 24.April 1980, 5.5. Einfaches Leben, in: Der Spiegel vom 28.April 1980 (Jg. 34. Heft 18) s. 257-260.

(3) Albert Hofmann, Florian Tennstedt, Im Warenkorb der Sozialhilfe ist Menschenwürde nicht enthalten, in: Franfurter Rundschau vom 22. April 1980, S. lo (Dokumentation). Albert Hofmann, Stephan Leibfried, Historische Regelmäßigkeiten bei Regelsätzen - loo Jahre Tradition des Deutschen Vereins?, Vorabdruck aus Neue Praxis, Kritische Zeit- schrift für Sozialarbeit und Sozialpädagogik, Nr. 3, 1980

(4) Otto Fichtner in seiner Abschlußansprache. Siehe Nachrichten- dienst des’ Deutschen Vereins, (60 Jg., Heft 7) Juli 1980, S. 205

(5) Fußnote 1, S. 34 Р (6) Otto Fichtner, loo Jahre Deutscher Verein - 69. Deutscher Fürsor-

getag: Rückschau und Nachlese, Nachrichtendienst des Deutschen Ver-

eins, (60 Jg., Heft 7) Juli 1980, 5. 205 (7) ders. in einem Brief (9.Sept. 1980) an die Interessengruppe So-

71

zialhilfe Duisburg

(8) Albert Hofmann, Günter Pabst, Ulrich Stascheit, Schuß mit dem Ge- schwätz, erhöht die Regelsätze. Sozialhilfe-Aktion zur Jubelfeier

des Deutschen Vereins, in:päd.extra sozialarbeit, (4.Jg., Heft 6),

5. 46-50, hier S. 50. Dieser Bericht stellt einen Abschlußbericht

der Sozialhilfe-Aktion dar.

INFORMATIONSDIENST SOZIALARBEIT

MATERIALIEN ZUR SOZIALHILFE AKTION

Zum loo-jährigen Bestehen des Deutschen Vereins und zum 69. Deutschen Fürsorgetag in Frankfurt

Offenbach im März 1980 Einfachnummer - Preis DM 6,--

ANHANG: BRIEFWECHSEL ZUR STUDIENTAGUNG DES DEUTSCHEN VEREINS

I. Brief von All ert Hofmann, Utz Kramer, Uli Stascheit und Günter Stahlmann an die Hochschullehrer-Kollegen und alle Sozialhilfe-Initiativen v. 6.8.1980

Liebe Freunde, liebe Kollegen,

der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge (DV) will am 20./21.11.80 eine Stu- dientagung über “Regelsätze in der Sozialhilfe” veranstalten. Diese Veranstaltung ist eine Ant- wort des DV auf die von der Sozialhilfe-Aktion im April in Frankfurt recht erfolgreich vorge- brachten Kritik am Warenkorb. Das Presseecho hatten wir ja allen zugeschickt! Zu der Studien- tagung sind neben den Mitgliedern des DV-Arbeitskreises “Aufbau der Regelsätze’’ auch die Kollegen Hofmann, Krahmer, Leibfried, Stahlmann, Stascheit und Tennstedt (wer sonst noch bitte melden!) eingeladen worden.

Wir vier im Briefkopf genannten Kollegen haben am 24.7.80 in Ffm. die Frage diskutiert, ob eine Teilnahme an der Tagung sinnvoll ist, und haben dabei folgende Möglichkeiten erwogen:

1. Teilnahme an der Tagung des DV?

Grundsätzlich könnten wir uns eine Teilnahme überhaupt nur dann vorstellen, wenn folgende Minimalbedingungen erfüllt wären:

© Offenlegung aller uns bisher vorenthaltenen Materialien zu den Regelsätzen (z.B. Protokolle der Beratungen über den Warenkorb, entsprechende Gutachten etc.) noch vor der Tagung sowie entsprechende Zusage für die Zukunft;

@ gleichberechtigter Einfluß auf Programm und Ablauf der Studientagung sowie auf die Ver- wertung der Ergebnisse (Votum/Abschlußbericht)

@ Einbeziehung der Sozialhilfe-Initiativen und Öffentlichkeit (Presse etc.)

Aber selbst wenn diese Voraussetzungen erfüllt wären, spräche folgendes weiterhin gegen ei-

ne Beteiligung:

© Der DV versucht offensichtlich durch die Vereinnahmung seiner Kritiker sein seit der Sozial- hilfe-Aktion angekratztes Image in der Öffentlichkeit wiederherzustellen, ohne den Kritikern wirklich Einfluß auf die Verbesserung des Warenkorbs zu geben. Denn welche Empfehlungen der DV zum Warenkorb gibt, wird nicht auf der Studientagung entschieden;

@ die Schlüsselstellung des DV bei der Festlegung des Existenzminimums von über zwei Millio- nen Menschen würde durch eine Teilnahme an der Tagung bestätigt. Das widerspräche unserer ständigen Kritik an der fehlenden demokratischen Legitimation der Gremien des DV für solch fundamentale sozialpolitische Entscheidungen.

@ Selbst wenn einzelne Sozialhilfeempfänger (wer sucht da wen aus? ) teilnehmen könnten, wür- den sie (genauso wie die Hochschullehrer) voraussichtlich den Versuchen des DV ausgesetzt sein, sie für dessen Zwecke (sozusagen als “Feigenblatt-Sozialhilfeempfanger”’) zu vereinnahmen. © Dem Einwand, man müsse jede Möglichkeit der Einflußnahme ausprobieren, sind die bisheri- gen Erfahrungen der Sozialhilfebewegung entgegenzuhalten: Sie zeigen (s. Kindergeld), daß die überhaupt erreichbaren Verbesserungen des Warenkorbs auch und gerade durch Kritik und Ak- tion außerhalb von Tagungen erreicht werden können.

Wichtig erscheint uns schließlich, daß sich die eingeladenen Hochschullehrer einheitlich für oder gegen eine Teilnahme entscheiden, weil dem DV schon ein oder zwei Kritiker zur “Befriedung” reichen werden. Deshalb an die anderen Kollegen noch zwei Fragen: a) Glaubt wirklich jemand daran, daß der DV tatsächlich “kostendeckende Regelsätze’”’ und zwar “‘schleunigst” errei- chen möchte (Fichtner in FAZ у. 26.4.80) und daß der DV unter “Kostendeckung” dasselbe ver-

stehen wird wie wir oder die Betroffenen? b) Und woraus soll sich die Annahme begriinden las- sen, der DV sei neuerdings in seiner Struktur so offen, daß man ihn als “reformpolitisches Instru- mantarium nutzen” könne (Vorwort: Neue Praxis)?

2. Bildung eines Arbeitskreises “Alternativen zur Sozialhilfe”?

Nicht nur die Beschäftigung des DV mit Fragen der Sozialhilfe sondern auch ein Teil unserer Kri- tik daran kranken an mangelndem Bewußtsein von den Alternativen zur Sozialhilfe. Die Entwick; lung von Alternativen setzt die intensive Ausarbeitung und kritische Gesamtanalyse der bundes- republikanischen Sozialpolitik voraus und müßte insbesondere die alternativen ausländischen Мо- delle einbeziehen. Diese Arbeit verlangt von vorneherein einen anderen Rahmen als die Studien- tagung des DV; in einem entsprechenden Arbeitskreis müßten auch Sozial-, Steuer-, Gewerk- schaftspolitiker ect. mitarbeiten, und die Zeitperspektive wäre eine ganz andere.

Sollte ein solcher Arbeitskreis in der nächsten Zeit zustandekommen, stellte sich angesichts der dort zu behandelnden Probleme die Schwierigkeit in verstärktem Maße, wie die Betroffenen an einem zu entwerfenden Arbeitsprogramm beteiligt werden könnten.

3. Veranstaltung eines “‘Sozialhilfe-Tribunals’’?

Die beste Reaktion auf die Umarmungsstrategie des DV wäre nach unserer Meinung die Veran- staltung eines “Sozialhilfe-Tribunals’’ (u.a. Darstellung der sozialen Lage durch die Betroffe- nen, Beiträge der Selbsthilfe-Initiativen über die Gegenwehr, Diskussionen mit Politikern etc.). Das könnte aber nur von den Betroffenen selbst vorbereitet und durchgeführt werden denn wer könnte den Warenkorb besser und lebensnaher kritisieren als diejenigen, die von ihm leben müssen. Durch ein solches Tribunal unter Beteiligung möglichst vieler Sozialhilfeempfänger würde die mit Kindergeld- bzw. Sozialhilfe-Aktion begonnene Mobilisierung der Betroffenen fortgesetzt.

Da dieses Tribunal eine Menge Geld kosten würde (Fahrt, Verpflegung, Unterkunft, Material- kosten, etc.), müßten die Betroffenen erst die entsprechenden Finanzierungsquellen auftun (wie z.B. den DPWV für die Tagung “Gewerkschaft der Armen”). Der DV wird sich hüten da- für Geld herzugeben, sollte als “Verursacher” aber gleichwohl dazu aufgefordert werden. Den Versuch, ein solches Tribunal anzukurbeln, sollte u.E. die neue Kölner Info-Zentrale der Selbsthilfe-Gruppen übernehmen.

Wir sind natürlich auch weiterhin an allen anderen möglichen Vorschlägen interessiert, wie man angemessen auf die Taktik des DV reagieren kann. Diskutiert bitte die angestellten Über-

legungen und schreibt uns sehr schnell an die im Briefkopf genannte Anschrift, damit wir Eure Meinung bei unserer Entscheidung berücksichtigen können! Es eilt!

П. Brief der Interessengruppe Sozialhilfe Duisburg у. 16.9.1980

An die Sozialhilfegruppen und Utz Kramer u.s.w. Liebe Freunde!

Zur Frage der Teilnahme an der Tagung des Deutschen Vereins, vergl. Schreiben vom 6.8.80 und zu dem Schreiben der LAG vom 19.8.80 meinen wir folgendes:

1.) Wir befürworten eine Veranstaltung in Form einer Tagung oder eines Tribunals der Sozialhil- feempfänger, bei der die Lage der Sozialhilfeempfänger und die wichtigsten Mißstände und we- sentlichen Forderungen vorgetragen werden: wie Regelsätze, Nichtanrechnung des Kindergeldes. Nur auf solch einem Tribunal können die Sozialhilfeempfänger zu Wort kommen und haben die Chance, gehört zu werden.

2.) Nur wenn in unmittelbar zeitlicher Nähe (am besten kurz danach), dieses Tribunal stattfindet, ist es zu verantworten, daß kritische Fachleute, die auf Seiten der Sozialhilfeempfänger stehen, an der Tagung des Deutschen Vereins teilnehmen.

Ihre Aufgabe wäre:

Informationen sammeln

dem Verein die Berechtigung abzusprechen, über die Regelsätze mitzuentscheiden

zeigen, daß keine Bereitschaft besteht, ein Feigenblatt zu sein.

Daher sollten:

keine konstruktiven Vorschläge zu den Regelsätzen gemacht werden,

ausdrücklich erklärt werden, daß nicht für die Sozialhilfeempfänger gesprochen wird.

3.) Um dies zu erreichen sollten nur etwa 2 oder 3 Fachleute teilnehmen, vor allem keine “Vor- zeige-Sozialhilfeempfänger”. Es müßte auf die eigene nachfolgende Veranstaltung hingewiesen werden. Damit es klar ist: Wir meinen, daß auf keinen Fall derzeit ein oder wenige Sozialhilfe- empfänger an der Tagung des DV teilnehmen sollten, da derzeit hierfür keine Grundlage vorhan- den ist. Voraussetzung wäre:

@ eine rechtzeitige Information seitens des DV, damit die Sozialhilfegruppen darüber diskutie- ren können.

© der Organisationsgrad der Sozialhilfegruppen untereinander ist noch nicht soweit entwickelt, daß jemand die offizielle Vertreterrolle für alle Gruppen übernehmen könnte.

Hierdurch ließen sich die im Brief am 6.8.80 aufgezeigten Gefahren vermeiden, gleichzeitig wird eine Öffentlichkeitsarbeit der Sozialhilfeempfänger unterstützt und schließlich kann keiner sagen, wir drücken uns.

@ Wir schlagen vor:

etwa Anfang Dezember 80 ein Tribunal (Wochenende)

Vorbereitungstreffen für ein Tribunal im Oktober, auf dem auch genau besprochen wird, wie die Fachleute auftreten sollen und ebenfalls die Finanzen des Tribunals.

Mit freundlichen Grüßen Interessengruppe Sozialhilfe Duisburg

ПІ. Brief der Landesarbeitsgemeinschaft Soziale Brennpunkte Hessen e.V. an alle Sozial- und Selbsthilfegruppen v. 19.8.1980

Geschäftsstelle: Moselstr. 25, 6000 Frankfurt 1, Tel. 0611/2343391 Arbeitsgruppe Sozialhilfe Frankfurt, den 19.08.1980

An alle Sozial- und Selbsthiflegruppen Mitgliedsprojekte der LAG

Liebe Freunde,

Mit unserer Sozialhilfeaktion im Frühjahr in Frankfurt haben wir die öffentliche Diskussion um den Warenkorb des Deutschen Vereins und die Regelsätze der Sozialhilfe eingeleitet und kosten- deckende Regelsätze und Beihilfeleistungen gefordert.

Der Deutsche Verein mußte gezwungenermaßen zugeben, daß bei den Regelsätzen etwas verän- dert werden und der Warenkorb von 1970 überarbeitet werden muß. Otto Fichtner, 1. Vors. des Deutschen Vereins hat damals lauthals verkündet, daß im Herbst mit der Überarbeitung des Wa- renkorbs begonnen wird und dabei die Kritiker am bestehenden Warenkorb also wir alle da- zu eingeladen werden. Inzwischen steht der Termin der Tagung fest und die Einladungen sind raus. Wir sind natürlich nicht eingeladen, sondern nur ein paar kritische Fachleute! Damit setzt dieser gute Verein seine Tradition fort und will wohl auch weiterhin unter sich bleiben. Er will nicht erfahren wie wir leben müssen, will nicht unsere Meinung hören, sondern mit Fachleuten diskutieren, ob wir mit 16 oder etwa besser 18 oder gar 20 Kilowattstunden oder mit 2 mal

oder 2,345678901 mal baden im Monat auskommen.

Wir meinen, daß wir uns jetzt nicht diese Sachen aus der Hand nehmen lassen dürfen, indem wir den Deutschen Verein unter sich oder mit ein paar kritischen “Fachleuten” und Sozialarbeitern einen neuen Warenkorb festlegen lassen. Wir müssen selbst auf einer Tagung darüber diskutieren, wie nach unserer Meinung die Sozialhilfe und die Leistungen auszusehen haben.

Wir meinen, daß wir zusammen für Ende Oktober oder Anfang November eine eigene Ta- gung zu der Frage der Regelsätze und auch des Kindergeldes organisieren und durchführen sollten. Auf dieser Tagung sollten alle Interessierten ihre Kritik an der Sozialhilfe vortragen

und ihre Froderungen und Interessen diskutieren.

Eine solche Tagung, die nicht von uns alleine organisiert werden kann und für die wir eine Finanzierung beim Bundesfamilienministerium fordern sollten, könnte auch klären wie wir gemeinsam weiter vorgehen wollen. Unabhängig davon sollten wir aber trotzdem vom Deut- schen Verein die Einlösung seines Versprechens nach Beteiligung von Betroffenen fordern.

Wir fordern Euch ınit diesem Brief auf, zu unseren Vorschlägen Stellung zu nehmen bzw. uns eigene Vorschläge zu machen, wie wir zusammen weiterarbeiten wollen. Wir fordern Euch also also auf, bis zum 15. September mitzuteilen ob ihr eine solche Tagung für richtig haltet und vor allem, ob ihr an der Vorbereitung mitarbeitet. Ein solches Projekt kann nur erfolgreich durchgeführt werden wenn sich alle Gruppen tatkräftig beteiligen an der Vorbereitung.

Wir warten auf Eure Antwort.

Mit freundlichen und solidarischen Grüßen LANDESARBEITSGEMEINSCHAFT SOZIALE BRENNPUNKTE HESSEN e.V. AG Sozialhilfe

i.A. Dieter Mihm

HINWEISE, MATERIALIEN, TERMINE

@ Die Bundesarbeitsgemeinschaft "Hilfe für Behinderte" hat nunmehr die 8. Auflage der Broschiire "Die Rechte der Behinderten und ihrer Angehörigen" herausgegeben.

Die Broschüre ermöglicht behinderten Menschen einen guten Überblick über ihre rechtlichen Ansprüche und erleichtert ihnen dadurch die Inanspruchnahme von Hilfen und Vergünstigungen.

Die Broschüre kann kostenlos über die Bundesarbeitsgemeinschaft "Hilfe für Behinderte" e.V., Kirchfeldstraße 149, 4000 Düsseldorf 1,

bezogen werden.

@ Mitteilung des AJZ-Druck + Verlag: Neu aufgelegt haben wir das seit einiger Zeit vergriffene Fischer-Buch:

- SOZIALARBEIT UNTER KAPITALISTISCHEN PRODUKTIONSBEDINGUNGEN herausgegeben von Walter Hollstein und Marianne Meinhold,

die nach wie vor aktuelle Einführung in die Geschichte und Funktion der Sozialarbeit.

Neu erschienen ist sodann das grundlegende Lehrbuch für den Bereich der Gemeinwesenarbeit:

- GEMEINWESENARBEIT - Eine Grundlegung

von Jaak Boulet/Jürgen Krauss/Dieter Oelschlägel.

Ebenfalls neu in unser Programm haben wir die von Ulla Bock und Barbara Witych erstellte Bibliographie der deutschsprachigen Lite- ratur zur Frauenfrage 1949 - 1979 über 4 000 systematisierten Ti-

teln genommen. AJZ-Druck + Verlag, Heeperstr. 132, 48 Bielefeld 1

@ "Eine fortschrittliche Bildungsarbeit, die bisher in der Jugend- bildungsstätte Emlichheim geleistet wurde, ist in Zukunft in dieser Einrichtung nicht mehr zu erwarten." Mit dieser Schlußfolgerung kündigten die freien Mitarbeiter der in West-Niedersachsen gelegenen Jugendbildungsstätte Emlichheim - einer Einrichtung der Außerschuli- schen Jugendbildung - nach einem halbjährigen massiven Konflikt ihre Mitarbeit auf.

Neben Konflikten um den finanziellen Status der Mitarbeiter und Praktikanten ging es vor allem um die Abwehr der Versuche des neuen Leiters und des Vorstandes, eine christlich-mythologische Bildungs- arbeit einzuführen. Als schließlich die angedrohte Kündigung der drei erfahrensten freien Mitarbeiter vollzogen wurde, zogen die übri- gen 16 die Konsequenz und kündigten von sich aus.

Nähere Informationen in einer 70-seitigen Dokumentation, für die

ein Unkostenbeitrag von mind. 5.- DM erbeten wird, bei:

Martin Beyersdorf, Rühmkorffstr. 7, 3 Hannover 1, Tel. 0511/661170

77

@ Broschüre zum Thema "Faschismus"

In dieser Broschiire wird in kurzer Form auf die Ursachen und die

Politik des deutschen Faschismus eingegangen sowie ausfiihrlicher

auf den antifaschistischen Widerstand. Ziel der Broschiire ist es,

über den Faschismus in einfacher und verständlicher Form aufzuklä-

ren, sowie faschistischen Tendenzen der Gegenwart wirksam und recht-

zeitig zu begegnen.

Die beiden Teile der Broschüre: 1. Ursachen und Politik des deut-

schen Faschismus und 2. der deutsche antifaschistische Widerstand

gibt es auch in Form von zwei Kassetten.

Preis der Broschüre: DM 5.-- als Einzelstück; bei Abnahme von fünf

und mehr DM 4.-- pro Broschüre.

Preis der Kassetten: DM 20.-- für beide Teile.

Zu bestellen über: Brigitte Dottke, Eimsbütteler Str. 45 a, 2 Hamburg 50

@ Im Verlag Jugend & Politik ist erschienen:

Bernhard Altert/Hermann Müller, Verhaltensstörungen oder gestörte Verhältnisse

"Beiträge zur Praxis der Arbeiterwohlfahrt" Band 4, 116 Seiten,

DM 8.--

Die Autoren machen deutlich, daß theoretische und praktische Sozial- arbeit die immanente Struktur von Verelendung in der hochindustria- lisierten Gesellschaft noch nicht einmal ansatzweise aufgelöst hat. Das will sagen, daß auch Arbeit mit Kindern "aus sozialen Brenn- punkten", wie sie hier von den Autoren beschrieben wird, zuerst ein- mal - was die Betroffenen selbst angeht - wenig an der Situation verändert. Und daß das Ziel der Arbeit "Resignation zu durchbrechen und gemeinsam solidarische Formen zu entwickeln, die in einer poli- tisch, sozialen Perpsektive das eigene Leben begreift und darin

eine langfristige Verbesserung der eigenen Lage sieht" (so die Auto- ren), durch kurzfristige Aktionen innerhalb "sozialer Brennpunkte" nicht zu erreichen ist.

© Deklassierte Arbeiterfamilien - Handlungsansätze zur Veränderung ihrer Lebensverhältnisse (SPAK-M 43), 240 Seiten, erhältlich gegen Vorkasse: 18.50 DM (einschl. Porto) auf Postscheckkonto: 205 47-808 - AG SPAK.

Dokumentation: Neofaschismus - Die Rechten im Aufwind - wichtiges Material zur neuen Entwicklung, 313 Seiten, erhältlich gegen Vorkas- se: 14,- DM einschl. Porto, Postscheckkonto: 205-47-808 AG SPAK, München.

@ Widerstand aus der Hinterwelt - zum Verhältnis von Randgruppenexi- stenz und vorindustrieller Kultur - konkrete Erfahrungen aus der Obdachlosenarbeit. Eine Kritik an einer geschichtslosen Begriffsbil- dung namens "Капаргирре". Bezug: 12.50 DM per Vorkasse: Postscheck- amt München: 205 47 - 808 AG SPAK, Belfortstr. 8, 8 München 80.

@ Reader zur Psychiatrie und Antipsychiatrie, Band 2 41), (u.a. zu "Gefühlstherapien u. Therapieboom", "Sozialpsychiatrie u. Anti- psychiatrie", "Marxismus, Psychoanalyse und franz. Diskurs",

207 Seiten. Bezug: 17.- DM (einschl. Porto) gegen Vorkasse: Post-

scheckamt München 205 47-808 AG SPAK Belfortstr. 8, 8 München 80.

78

@ Die Bedeutung offener Lernorte für die Jugendhilfe-Praxis, exem- plarisch dargestellt am Haus der Jugend Hamburg-Niendorf und ent- wickelt als Arbeitskonzeption, 113 S., Bezug über:

Henner Peinert, Schinkelstr. 3, 2000 Hamburg 60

@ Hilfe nur auf Krankenschein?

Stand der Diskussion um die Neuordnung der ambulanten Versorgung - Psychotherapeutengesetz

- Ersatzkassenvertrag

- Alternative Modelle

Bezug gegen Voreinsendung von DM 2.50 bei DGSP, Postfach 1253, 3050 Wunstorf

Ф Ich erstelle meine Diplomarbeit über das Thema

Staatlicher Zivildienst als friedlicher Kriegsdienst, aufgezeigt am Beispiel des Einsatzbereiches Behindertenbetreuung.

Ich suche daher Erfahrungsberichte von Zivildienstleistenden über ihren Dienst, insbesondere von ZDLern, die in diesen Einsatzberei- chen tätig waren oder sind!

Erfahrungsberichte an: Wolfgang Ortner, Paderbornerstr. 101,

46000 Dortmund 1, Tel.: 0231 - 594035

@ Literaturliste zur Heimerziehung d

Das Heilpädagogische Institut der Universität Freiburg/Schweiz (Place du Collège 21) hat eine 12seitige Literaturliste herausge- geben, die in Ergänzung zu den periodisch erscheinenden Zusammen- stellungen von Zeitschriftenbeiträgen aus dem Bereich der Heimer- ziehung Monographien, Sammelwerke, Tagungsberichte und Dokumentat1o- nen erfaßt. Titel: "Literatur zur stationären Jugendhilfe (Heimer- ziehung) - Monographien, Sammelwerke, Tagungsberichte, Dokumenta- tionen".

© Sozialtherapie Kassel, Verein zur Rehabilitation psychosozial Geschädigter, 3500 Kassel, Motzstr. 3 - Wir bieten ап:

- Erfahrungsberichte aus der Arbeit in zwei therapeutischen Wohn- gemeinschaften der "arbours association", London, ca. 50 Seiten Din A 4, Preis: 6,-- DM plus 2.-- DM Porto

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Überweisungen bitte auf unser Konto Nr. 024232 bei der Stadtsparkas- se Kassel

@ Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V. Postfach 1149, 5300 Bonn Zentrale Fortbildung der Arbeiterwohlfahrt - Fortbildungsprogramm 2. Halbjahr 1980 anfordern.

© Tagung "Sozialpsychiatrie und Sozialrecht"

Diese Tagung wird voraussichtlich von

Montag, den 5.1.1981 11.00 Uhr bis Mittwoch, den 7.1.1981 16.00 Uhr in der Evangelischen Akademie Rheinland-Westfalen, Haus Ortlohn, Berliner Platz 12, 5860 Iserlohn stattfinden.

Anmeldungen bitte an die DGSP - Bundesgeschäftsstelle, Postfach 1253, 305 Wunstorf.

79

@ Lernen geht auch anders, Reader zu Alternativ-Schulen und Alter- nativ-Päd. 39) - Inhalt u.a.: Antipädagogik, Waldorf-Päd. Makarenko, Montessori-Päd., Freinet-Päd. Bemposta, Italienische Alternativmodelle, Summerhill, Tvind-Schulen, Alternativschulen in den USA, Kollektiverziehung in China, Erziehungskonzept у. Paulo Freire, Auroville, Indien, Deutsche Alternativmodelle - 210 Seiten, Bezug: 17.- DM (einschl. Porto) gegen Vorkasse:

Postscheckamt München: 205 47-808 AG SPAK, Belfortstr. 8, 8 München 80.

Auswertungen des "Musikfestes der Zigeuner" der Medien-Cooperative wurden zwei Dokumenta- eranstaltung zusammengestellt, die bei Adressen erhältlich sind:

@ Dokumentationen und In Zusammenarbeit mit tionen und Auswertungen der V

den im folgenden angegebenen - Die Network-Medien-Cooperative, Hallgartenstraße 69, 6000 Frank-

furt hat in Zusammenarbeit mit uns einen Kassetten-Set "Das Musik- fest der Zigeuner" mit 2 1/2 Stunden Musik, Original-Interviews und Statements im Mitschnitt, dazu ein Büchlein von 56 Seiten mit Bildern und Texten produziert. Der Preis: DM 22.80 plus Porto (Bestellzettel liegt bei). - Das Heft "Musikfest der Zigeuner", das im Rahmen unserer Reihe 'Organisationsmodelle kirchlicher Erwachsenenbildung (abgekiirzt OKE) erschienen ist, legen wir kostenlos (samt Original-Programm-

heft) bei. Weitere Bestellungen (gegen eine Schutzgebiihr von DM 8.--) sind

an unsere Adresse zu richten.

ө "Soziale Infrastruktur" - iiberregionale Treffen fiir Stadtteil-

gruppen ~ 14. - 16.11.80 Katlenburg b. Kassel, Auskunft: Hardy Valier, Anmeldung: Geschäftsstelle München, Teilnehmerbeitrag ca. 25.- DM.

entrum-Zusammenschlüsse -

ө 8. Bundestreffen der regionalen Jugendz Stand und Entwick-

Überregionale Zusammenarbeit der Jugendzentren, lung - 14.-16.11.80 Roßdorf b. Darmstadt, Auskunft und Anmeldung: Tiedeke Heilmann, TN- (25.- DM).

Beitrag: 30.- DM

in Wohngemeinschaften - Gedanken zur täglichen Praxis in der WG-Arbeit, Verhältnis von Finanzierung und pädagogischer Arbeit, Beurteilung der WG-Tendenz Außenwohngruppen von Heimen - 21.-24.11.80 Ulmbach/FFM, Auskunft und Anmeldung: Koordinierungs- stelle (KoSt) Teilnehmerbeitrag 30.- DM.

@ Fortbildungstagung für Berater jberprüfung der konzeptionellen

n nach der Bundestagswahl

@ Perspektiven der Umweltinitiative Auskunft und Anmeldung:

28.-30.11.80 gepl. Nähe Frankfurt/M., Geschäftsstelle AG SPAK München.

@ Seminar: Bewußtseinsbildung in Bürgerinitiativen " 14.-16.11.80. Nähere Informationen: AG SPAK (AK Freire) Belfortstr.

80

8, 8 Miinchen 80.

INFORMATIONSDIENST INFORMATIONSDIENST SOZIALARBEIT SOZIALARBEIT

MATERIALIEN ZUR SOZIALHILFE AKTION

Zum loo-jährigen Bestehen des Deutschen Vereins z Schwerpunktthema:

und zum 69. Deutschen Fürsorgetag in Frankfurt FRAUEN UND SOZIALARBEIT

Arbeitsfeldmaterialien HUMANISIERUNG

Sozialbereich oT zum Sozialbereic GESUNDHEITSWESENS

SOZIALARBEIT ZWISCHEN BÜROKRATIE UND KLIENT

olf

ce

Dokumente der Sozialarbeiterbewegung Sozialpadagogische Korrespondenz 1969 - 1973

(reprint)

Verlag 2000 Offenbach Preis sehn Mark

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