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Wo ^?ah^beitsk^ secure h5«S ^^strategie betreibtun d * n,^hrtsverband> 56 Sf'hrt- Anschrift: Deutscher Paritatisc uPPertal , Chlodwigstr. Der Verein s

^bn'l6rSMina"eefUrU9se^Lr?eiJ- B^hum, fuhrt regelmaRig efntW«f. sfcatt ^n?STanstalturg IniT**} im Ruhrgebiet lurch, die aj ^ Verein3^,1'. ?e^ber 1972 ?hkann* sind- Das nachste Seminar ''Krftf 0232l/70a| Ile J^endarbeit n7a >hnen 1ffl Capital ismus". ^ 2576 °der 701465 der BUro «r Sozialplanung, Te1ef°"

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telle. 3 Miinchen"? ^'""senten w^S St eine Ta9un9 zum Thema S* ncne" 2. KobelUtr ^rd$n sich an die SPAK-Bundesgesc"

i£. Telefon 0811/586119.

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INFO SOZIALARBEIT Heft 2

Sozialarbeit in Institutionen

Einige Gewalttaten sind leicht zu erkennen. Wenn Menschen wegen der Form ihrer Nase Oder der Farbe ihrer Haare mit FU0en getreten werden, dann ist die Gewalttat den meisten offenbar. Auch wenn Menschen in stickiqe Kerker eingesperrt werden, sieht man Gewalt am Werk.

Wi> sehen aber allenthalben Menschen, die nicht weniger yerunstal- tet aussehen, als wenn sie mit Stahlruten geschlagen worden waren. Menschen, die im Alter von 30 Jahren wie Greise aussehen, und docn 1st keine Gewalt sichtbar. Menschen wohnen in Lbchern jahraus, jahrein, die nicht freundlicher sind als die Kerker, und es gibt jui* sie nicht mehr Moglichkeit, aus ihnen herauszukommen als aus Kerkern. Freilich stehen keine Kerkermeister vor diesen Tdren. Derjenlgen. denen diese Gewalt angetan wird, sind unendlich mehr als derer, die an einem bestimmten Tag geprUgelt oder in bestimmte Ker- ker geworfen werden " (Bertolt Brecht, Me - tl)

12

Einzelpreis drei Mark.

°er Info d"ent dAS"1allsat1onsbere1ch arbeiten, herausgegeben- ™it sozlal stisrhl ?lmKin1katl'on und ^operation von Senossen. « d Der Info erldelnt ^nSp^ch 1m Feld der sozlalen Arbeit thtig s sche1nt vie™al jShrlich und kostet 1m Abonnement W

'•enlo^^bJ"3'--] Sruppen bei Abnahme von tnindestens 10 Exejjpj*- R»batt; zuzUglich 5eSSstfer (Buch1aden> Buchhandlungen) 40

605 Offenbach 4. Postfach 591 eHe9er: Ve"1a9 2000 GmbH Offenbach *"* A,f,age> m„ l9?4i 50Qo _ 8ooQ ^

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Ck- hb0-^uck, Bensheim

INFO SOZIALARBEIT Heft 2

I N H A L T

Vorbemerkungen zu dieser Ausgabe

Geschichte des AKS Frankfurt

Probleme der Sozialarfcsit bei freien Trh'gem am Bei spi el der evangelischen Familien- bei*atung Frankfurt/M.

Kollektivpraktikun im Heim

Bericht liber die Institut.innalisierung der Gemeinwesenarbeit nit Obdachlosen in Frankfurt - Lehrbeispiel und seine Konsequenzen -

Diskussionsergebnis der 4. Redaktionssitzung zum Info 2

Leserzuschriften

Materialien zum Thema "Jugendkollektive"

Hinweise zu Materialien aus der Sozialarbeit

Solidarita'tserklarung

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DAS SOZIALISTISCHE BORO - WORIM GEHT ES?

Sozial isten arbeiten heute in den Betrieben, in lokalen Gruppen, in Clubs, in Basisgruppen an den Hochschulen und Schulen, innerhalb der Jugendverbande und als kritische Gruppierungen innerhalb der ' off i- ziellen1 Organisationen (Gewerkschaften, Kirchen, Parteien). In dieser weit verzweigten Praxis liegt die Chance einer neuen sozialistischen Bewegung. Aber: Ergebnisse der theoretischen Diskussion, praktische Erfahrungen, Modelle spezifischer und lokaler Gruppen bleiben ohne Auswertung fur die sozial istische Linke insgesamt, weil sie informa- torisch nur unzureichend vermittelt werden. Und: noch immer fehlt es an Kooperation, die Liber die eigene Basisarbeit hinausgeht und wenn es darauf ankomnt, in kollektiver und sol idarischer Aktion uber den spezifischen Gruppen- Oder Arbeitsbereich hinausgehende Forderungen und Selbstorganisation durchzusetzen, dann ist die Koordination meist unzureichend. Das Sozialistische BUro will helfen, eine bessere Komnunikation und Kooperation unter der sozialistischen Linken und ihren verschiedenen Gruppierungen zu entwickeln und damit zur grbSeren Effektivitat und zur Organisierung sozial istischer Arbeit beitragen.

Deshalb machen wir "links", eine unabhangige, auf politische Praxis gerichtete sozialistische Zeitung. Deshalb haben das Sozialistische Buro und der Sozialistische Lehrerbund gemeinsam einen Informations- dienst fiir progressive Lehrer aufgebaut, gibt das Sozialistische Buro rait der GFP "express - Zeitung fiir sozialistische Betriebs- und Ge- werkschaftsarbeit" heraus. Weitere Infos fiir sozialistische Berufs- prayis sind in ihren ersten Ausgaben erschienen, so der Informations- dienst ARBEITERBILDUNG und der Informationsdienst SOZIALARBEIT. Er- ganzend fordert das Sozialistische BLiro mittels eines Biicher- & Paper- vertriebs die Herstellung und Verbreitung ausgewahlter Schriften fur die theoretische Arbeit, fiir Schulung, fiir Praxis in strategisch wichtigen Feldern, Liber lokale und projektbezogene Aktivitaten usw. Weiterer wichtiger Arbeitsbereich des Sozialistischen BLiros ist die Unterstutzung von Auslandergruppen in der BRD und der antiimperial i- stischen Dritte-Welt-Gruppen sowie die Koordination von punktuellen Aktionen im Bundnis mit anderen linken Organisationen.

In letzter Zei't kann das Sozialistische Buro eine erhebliche Auswei- tung seiner Aktivitaten und seines Wirkungsfeldes verzeichnen. Das Buro und seine Projekte konnten seit dem Start vor gut zwei Jahren im- merhin soweit gebracht werden, da(3 sie "technisch" konsolidiert sind und die zugedachte politische Funktion inner mehr erfullen kbnnen. Urn das Sozialistische Buro und seine Projekte tragen und erweitern zu konnen, haben wir den "Fdrdererkreis Sozial istisches Biiro" gegrundet. Wir bitten alle, die sich liber ein Abonnement hinaus fiir das Soziali- stische Biiro engagieren mbchten und die es sich finanziell leisten konnen, dem Fbrdererkreis beizutreten. Die Fbrderer bestimmen die Hdhe ihres Beitrages selbst (mindestens jedoch monatlich DM 5.--) und er- halten regelmaBig "links" kostenlos zugesandt. Urn das Sozialistische Buro als einziges standig besetztes Biirozentrum der sozialistischen Linken auszubauen, brauchen wir neue Fbrderer! Sozialistisches Buro, 6o5 Offenbach 4, Postfach 591

Vorbemerkungen zu dieser Ausgabe

Im Mittelpunkt der 2. Ausgabe des Informationsdienstes Sozialarbeit steht das Thema: "Berufsspezifische Probleme von Sozialarbei tern in Institutionen".

Zusammengestellt wurden die Beitrage vom Arbeitskreis Kritische So- zialarbeit, Frankfurt. Damit sollte einmal der Gruppe Gelegenheit ge- geben werden, sich und ihre bisherige Arbeit darzustellen und zum an- deren an Hand der Konflikte in 3 Bereichen der Sozialarbeit

- Mbgl ichkeiten der Demokratisierung von Sozialarbeit, der Verande- rung von inhaltlichen Konzepten

- Konfl iktstrategien

- und eine Analyse der Gegenstrategien und Funktionen von Institutio- nen

dargestellt und diskutiert werden. Dazu werden 4 Berichte vorgelegt:

Der Bericht Liber die Geschichte des AKS wurde von einem langjahrigen Mitglied zusammengestellt und behandelt die Entstehung und bisheri- ge Entwicklung der Sozialarbeiterorganisation in Frankfurt, ihre Pro- bleme und eine selbstkritische Einschatzung.

Probleme der Sozialarbeit bei freien Tragern am Beispiel der Evange- lischen Familien- und Erziehungsberatungsstelle Frankfurt beinhaltet die Schilderung und kritische Einschatzung des Konfl iktverl auf s, die Politik des Tragers und der Versuch einer Kritik der sogenannten "kl inisch-therapeutischen" Arbeit.

Der Erfahrungsbericht liber ein Kollektivpraktikum in einem stadtischen Kinderheim schildert die Schwierigkeiten von Berufspraktikanten, die sich insbesondere mit der Heimleitung und der Sozialblirokratie erge- ben haben. Beide Artikel wurden von den betroffenen Sozialarbeitern/ Psychol ogen geschrieben.

Von Mitgliedern des AKS wurde der Bericht liber die Entwicklung der Gemeinwesenarbeit mit Obdachlosen in Frankfurt auf Grund von vorlie- genden Materialien zusammengestellt. Dieser Bericht wurde deshalb ausgewahlt, da an ihm sowohl die Strategien der Stadtverwaltung im Hinblick auf die Losung der Obdachlosenf rage deutlich wird, als auch aus den Fehlern der Gemei nwesenarbeiter Konfl iktstrategien disku- tiert werden kbnnen.

Alle Berichte sind im AKS eingehend diskutiert worden. Im Diskussions- prozeB und insbesondere nach der Redaktionssitzung am 5.5.73 war der Gruppe klar, da|3 Darstellung und Analyse eine Reihe von Kritikpunkten enthalten. Trotzdem wurde beschlossen, diese Berichte so zu verbffent-^

lichen. Sie sind unter erheblichem Zeitaufwand und einer Reihe von Schwierigkeiten, denen sich Praktiker gegen'u'bersehen, die diese Ar- beit neben ihrer Berufsarbeit leisten miissen, entstanden. Folgende Oberlegungen spielten dabei eine Rolle:

1. Es handelt sich urn Erfahrungsberichte. Die Brliche, Halbheiten, Unge- nauigkeiten in der Analyse geben aber auch Auskunft liber die Schwie-_ rigkeiten von Sozialarbeitern, sich mit den Widersprlichen ihrer Praxis auseinanderzusetzen und die richtigen SchluSfolgerungen zu Ziehen.

2. Die Berichte spiegeln den BewuStseinsstand der Autoren und der Gesamtgruppe (AKS). Die insbesondere nach der Redaktionssitzung sich ergebende kritische Diskussion im AKS problematisierte vor all em den politischen Stellenwert der Auseinandersetzungen. Diese Diskussion konnte nicht mehr in die Artikel verarbeitet werden.

3. Die Art der Darstellung spiegelt den Diskussionsstand der Gruppe zu einem bestiirmten Zeitpunkt und macht es daher anderen Gruppen und Einzelnen mbglich, die Arbeit des AKS bzw. der betroffenen Sozial- arbeiter auf einer konkreten Ebene zu kritisieren, aus den Fehlern zu lernen und politische Konsequenzen zu Ziehen.

Eine Zusammenfassung der Diskussionsergebnisse der offenen Redaktions- konferenz am 5.5.73 verweist auf die notwendige weiterfuhrende Diskus- sion unter den Gruppen im Sozialbereich. Aufterdem enthalt dieser In- formationsdienst eine Leserkritik an der Konzeption des Vereins Sozia- le Jugendarbeit e.v. Bochum (Info 1), Informationen liber Erfahrungs- berichte mit Jugendkollektiven und Nachrichten.

Materialien des AKS Ffm.

1 Geschichte und Funktion der Sozialarbeit 65 Seiten DM 3.—

2 Mittwoch-Kreis-Papier

Kritik an der Umstrukturierung der Famil ienfursorge 10 Seiten DM -.50

zu beziehen bei : GUnter Pabst, 6 Frankfurt/M. , Hamburger Allee 47

Geschichte des AKS Frankfurt

Seit Jahren wird unter Sozialarbeitern und Studenten der FHS die Dis- kussion liber eine starkere Organisierung im Sozialbereich gefuhrt. Die Vorschla'ge reichen von berufssta'ndischen Organisationen (Berufs- verbande) .Gewerkschaften (OTV und GEW), partei-pol itischen Organisa- tionen (Reformparteien, KPD-Aufbauorganisationen) bis hi n zu sozialisti- schen Interessengruppen, denen eine Kommunikation und Zusammenarbeit mit Gruppen in und au|3erhalb des Sozialbereichs wichtig erscheinen, die sich aber absetzen von traditionel 1-blirokratischen Organisationsvor- stellungen. Ausgehend von der Darstellung der Entwicklung und der Ar- beitsweise des AKS Ffm. Uber einen Zeitraum von 3 Jahren (Herbst 1969- Ende 1972) soil die konkrete Arbeit beschrieben werden, die es ande- ren Gruppen moglich macht, diese Arbeit nachzuvollziehen, zu kriti- sieren und SchluSfolgerungen abzuleiten.

I Zur Entstehung des AKS

Wesentlich beeinfluBt durch die Heim-Aktionen der APO im Frlihjahr und Sommer 1969 und die Flucht der Jugendlichen aus den unertragl ich ge- wordenen Zustanden in den Heimen Staffelberg, Beiserhaus Rengshausen etc.im'tiierten einige Frankfurter Sozialarbeiter im Herbst 1969 eine "Arbeitsgemeinschaft interessierter Sozialarbeiter" zur Analyse und Kritik der bestehenden Sozialarbeit. Ziel dieser Gruppe (ca. 30 Sozial- arbeiterinnen und Sozialarbeiter aus stadtischen Sozialeinrichtungen) war es, Informationen auszutauschen, dienstliche Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen zur Diskussion zu stellen und GegenmaBnahmen zu entwickeln, uber neue Entwicklungen in der Sozialarbeit zu diskutie- ren, um so zu einer effektiveren Arbeit im Sinne der Unterstlitzung des Klientels beizutragen. Bis zum Fruhjahr 1970 befasste sich diese Arbeitsgemeinschaft insbesondere mit Arbeitsfeldanalysen und dem The- ma: Verwahrlosung und Fursorgeerziehung. Sozialarbeiter standen ange- sichts der Situation in den Heimen Heimeinweisungen zunehmend skepti- scher gegenliber und suchten andere Ldsungen. Der Wirkungsgrad der Arbeitsgemeinschaft war jedoch sehr beschrankt, es gelang lediglich, die Zahl der Heimeinweisungen zu reduzieren. Bei der Arbeitsgemein- schaft handelte es sich demnach "um eine berufsstandische Reformbe- wegung mit gesell schaftskritischen Impulsen ,aber systemimmanenten Forderungen". "Es wurde das Unbehagen liber die MiUstande in den ver- schiedenen Praxisfeldern artikul iert.und die moralische Entrlistung einer an humanistischen Helferprinzipien orientierten Berufsqruppe war Motor aller Aktivitaten." (P. Paulsen, E. & K, Nr. 4 Seite 5) Schlag- artig anderte sich die Szene im Sozialbereich, als Anfang 1970 deutlich wurde, daB bei den bevorstehenden Tarifauseinandersetzungen die Ge- werkschaften, insbesondere OTV.eine sehr zurlickhaltende Rolle spielen §

und notwendige Strukturveranderungen in eine einheitliche Tarifsitua- tion im sozial padagogischen Bereich nicht in den Forderungskatalog aufnehmen wollten.Trotz der "bestehenden Friedenspfl icht" und der Ab- wiegelunqstaktik der Gewerkschaftsfunktionare n'ef ein Organisations- ausschuB fur die Fachkrafte Sozial- und Erziehungsdienst im Frankfur- ter Bereich zu KampfmaBnahmen auf. Dem AusschuB gehdrten aktive Ge- werkschaftler, Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft und Vertreter der Kindergartnerinnen an.

Dokument Nr. 1

Die Frankfurter Rundschau schreibt dazu im April 1970: "Mit Gewerkschaft unzufrieden Sozialarbeiter denken an selbst organisierten Streik

Frankfurts sozial padagogische Fachkrafte denken an Streik. Notfalls sollen die Kindertagesstatten kurzfristig geschlossen werden, damit die Behbrden endlich etwas gegen die chronische Unterbezahlung unter- nehmen. Die Gewerkschaft OTV gilt vielen im Sozialwesen T'a'tigen in Besoldungsfragen als zu lahm."

Der Personaldezernent der Stadt Frankfurt versuchte durch Versprechun- gen finanzieller Art die Protestkundgebung zu verhindern. Wahrend Ge- werkschaftsvertreter versuchten abzuwiegeln, drohte der Sozialdezer- nent und direkte Vorgesetzte mit dienstlichen Repressionen. Dies hielt jedoch die Kindergartnerinnen und Sozialarbeiter nicht davon ab, fur ihre Interessen selbst einzutreten.

Am 5.5.1970 traten nahezu alle 2200 Frankfurter Kindergartnerinnen, Kinderpflegerinnen, Sozial padagogen und Sozialarbeiter in einen Warn- streik. Im Gewerkschaftshaus versammelten sich liber 1000 Teilnehmer aus Frankfurt und Umgebung und forderten:

- starke Gehaltsanhebung fur alle im Sozialbereich Tatigen.

- die ersatzlose Streichung aller Bewahrungszeiten

- vierwbchigen Fortbildungsurlaub

- verbesserte Arbeitsbedingungen

- generelle Strukturveranderungen in alien Bereichen der Sozialarbeit. Wie groB die Unzufriedenheit mit den Arbeitsverha'ltnissen war, ze19

te die immer wieder von starkem Beifall unterbrochene Rede von Annelie Keil (damals Dozentin an der PH Gdttingen). Hier einige Auszuge aus ihrer Rede:

"...es gent nicht urn irgendeine Hbherstufung der Gehaltsklassen.es geht unmittelbar um die Definition ihrer eigenen Rolle im gegenwarfi- gen Gesellschaftssystem: sie miissen sich gegen ihre eigene Praxis ein kritisches Verhaltnis erarbeiten. das Gerede von den inneren Werten als Ta'uschungsmanbver durchschauen, indem sie die tatsachliche mate- riel le Lage der padagogischen Institutionen dagegenstellen. Sie durten nicht beruhigen und verdecken, wo es aufzudecken gilt, nicht Feu.er" wehr an den Symptomen spielen, wo die Erkennung der Ursachen und ihre Verbffentli chung einer gesamtgesellschaftlichen Sozial lsierung dien-

licher ware. Zu den materiellen Zielen eines Lohnkampfes der Lohnab- hangigen im Erziehungsbereich gehbrt die Veranderung der Arbeitsplatz- bedingungen unmittelbar dazu; erst die Einbeziehung des Arbeitsplatzes und seiner Struktur macht die Unterprivilegierung und Ausbeutung die- ser Berufe deutlich und gibt dem Lohnkampf verandernde Kraft

...die stabilisierende Harmonie gefahrdet man nicht nur durch die Dis- kussion Liber die padagogische Unzulanglichkeit der erzieherischen Praxis - und sie kann noch so viele Folgen flir die Kinder haben -, sondern durch die MaBnaht.ie der Arbeitsniederlegung, weil dann z.B. Mut- ter nicht mehr arbeiten konnen und erst ihr Unmut Wahlerstimmen ko- stet

...Wie eh und je sind Lohnkampfe politische Kampfe, auch dann, wenn es die Betroffenen nicht wahrhaben wollen: wenn Macht und Herrschaft in unserer Gesellschaft nicht Verfligung uber Kapital waren, das privat angeeignet wurde, dann ware die Durchsetzung kollektiver Bedurfnisse auch nicht so schwierig bzw. unmbglich. Erzieher, die fur hohera Ge- halter streiken wollen, sind keine Egoisten ohne Ideale, sondern Pa- dagogen, die auf dem besten Wege sind, mit der Demokratisierung in die- sem Lande ernst zu machen: namlich der Bekampfung des Profitinter- esses. Lohnkampfe miissen eingebettet sein in den '.'ersuch, aus der eige- nen Lage und Situation zu lernen, d.h. zu erkennen, daB Sozial pa'dago- gik die Pannenhilfe einer Gesellschaft ist, die weit davon entfernt ist, auch die Ursachen fur diese Pannen zu beseitigen.

Kritik, die sich ihre Bedingungen iminer schon vo>-geben la'Bt - sich z.B. auf die unmittelbare Lohnfrage beschra'nken la'Bt - ist nur ein anderer Weg der Resignation. Sozialarbeit, die ernst macht mit ihrem padagogischen-politischen Auftrag, die Emanzipation der Kinder und Ju- gendlichen voranzutreiben, muS den politischen und juristischen Rah- men ihrer Arbeit ins Auge fasser. und inn dort verandern, wo er ent- steht, d.h. den Kampf selbst in die Hand nehmen

...Die Starke ihrer kollektiven Organisation wird von der Solidari- sierung abhangen, mit der mbglichst viele Kollegen sich gemeinsam den etablierten Interessen gegenuberstellen, - d.h. u.a. die Gewerkschaf- ten wieder zu Kampf instrumenter der Lohnabhangigen zu machen!" (entnommen: Anyang in Geschichte u. Funktion der Sozialarbeit, Ffm.1971)

In der anschlieBenden Diskussion unterst'utzte die Mehrzahl der Teil- nehmer die politische Zielrichtung der Reae. Unter der Parole "SOZIALARBEITER ORGANISIERT EJCH, NEHMT EURE INTERESSEM WAHR, DENN ES GIBT NIEMAND.DER SIE FDR EUCH WAHRNIMHT!"

wurde zur Eildung des "Arbeitskreises Kritische Sozialarbeit" (AKS) aufgerufen, dem sich spontan ca. 150 Kindergartnerinnen, Sozialpada- gogen, Sozialarbeiter und Studenten anschlossen.

II Struktur und Aktionen des AKS

Auf der 1. Sitzung des AKS am 14.5.1970 trafen sich ca. 100 Kollegin- ren und Kollegen aus dem Sozialbereich zusammen mit Studenten des ~7

Padagogischen Seminars und der Fachhochschule, die folgendes Arbeits- programm verabschiedeten:

Dokument Nr. 2

"In den vergangenen Monaten haben sich in mehreren Stadten der BRD Gruppen und Arbeitskreise gebildet Oder sind im Entstehen, die sich als Beginn und Ansatz einer Selbstorganisation verstehen. In Frankfurt hat sich nach den Streikaktivitaten im Zusammenhang mit den Tarifverhandlungen ein "Arbeitskreis Kritische Sozialarbeit" aus Kindergartnerinnen, Sozialarbei tern und Studenten zusammengeschlossen, der ebenfalls versuchen wird, eine Aktivierung und Organisierung der sozialpadagogischen Fachkrafte in Frankfurt zu erreichen. Am Anfang der Arbeit dieses Arbeitskreises mu[3 die BewuBtseinsbi ldung der Betroffenen stehen, und zwar in der Form einer theoretisch-histo- rischen Bestimmung der Funktion von Sozialarbeit in Verbindung mit einer Erarbeitung der derzeitigen praktischen Realitat von Sozialar- beit. MUnden muB diese Arbeit in einer neuen Bestimmung der Funktion von Sozialarbeit.

Die Themen der vom "AKS" eingerichteten Arbeitsgruppen entsprechen diesem Ansatz:

Arbeitsgruppe 1 Arbeitsgruppe 2 Arbeitsgruppe 3

"Funktion der Sozialarbeit in unserer Gesellschaft" "Analyse der Arbeitsplatzsituation" "Erziehungsfakten, -ziele, -stile und Vorschulerzie- hung

8

Parallel zur Arbeit in den Arbeitsgruppen beschaftigt sich das Ple- num des "AKS" mit aktuellen und allgemeinen Fragen, sowie dem Infor- mationsaustausch Liber die Arbeit in den Arbeitsgruppen.

(Jber die BewuBtseinsbi ldung der Betroffenen hinaus ist es Aufgabe des Arbeitskreises:

a) grundsatzliche Stellungnahmen zur Situation der Sozialarbeit zu erarbeiten und zu formulieren,

b) durch Hffentlichkeitsarbeit die Situation der Sozialarbeit zu einem gesellschaftlichen Skandal zu machen,

c) kurz- und langfristige Forderungen zu stellen und

d) durch Aktivierung (Aktionen) der in der Sozialarbeit Tatigen als auch der von der Sozialarbeit Betroffenen Veranderungen zu erreichen, die Liber eine verbesserte "Pannenhilfe" hinausgehen.

Bei dem Versuch, die Interessen der Betroffenen selbst zu vertreten,

kbnnen wir jedoch die Gewerkschaft als unseren eigentlichen Interessen-

vertreter nicht einfach ignorieren.

Wir mussen uns mit der Gewerkschaft auseinandersetzen, d.h. versuchen,

sie wieder zu Kampfinstrumenten der Lohnabhangigen, also auch von uns,

zu machen.

Nach alien Erfahrungen ist dies jedoch nur dann aussichtsreich, wenn

sich die Betroffenen selbst ihrer Situation bewuBt sind und aktiv

werden, d.h. auch unabhangig von der Gewerkschaftsorganisation ihre

Forderungen erarbeiten, mbglichst alle an der Basis mobilisieren und

u.a. die Forderungen in die Gewerkschaft hineintragen."

Hauptschwerpunkt der Arbeit bildete allerdings in der 1. Phase die Auseinandersetzung mit der Gewerkschaftsbiirokratie. Tatsachlich blieb das vorla'ufige Tarif-Verhandlungsergebnis weit hinter den Streik- forderungen zuriick. In dem folgenden Flugblatt stellt der AKS die Politik der Gewerkschaften dar:

Dokument Nr. 3

"Zum Verhalten der UTV und GEW in den Eingruppierungsverhandlungen fur

Sozialarbeiter und Sozialpadagoginnen

Der Bundesangestelltentarif (BAT) wurde von der OTV zum 31.12.69 geku'n-

digt.

Mai 69 Die GEW stimmt sich mit der 0TV ab und verzichtet auf ihre ur-

sprunglichen Forderungen, die eine im Durchschnitt urn zwei Stufen hohe-

re Eingruppierung vorsahen (z.B. Eingangsstufe Vb fUr Kindergartnerin).

Die OTV vertritt dagegen eine Hbhereingruppierung urn durchschnittlich

nur eine Stufe (VIb fur Kindergartnerin).

Juni 69 Die DTV tritt mit diesen Forderungen in Verhandlungen mit den

Arbeitgeberverbanden ein; sie la'Bt sich von diesen mit lappischen,

unannehmbaren Gegenangeboten bis Mai 1970 hinhalten.

Ein von den Berliner Kindergartnerinnen fiir den 10.6.69 beschlossener

Warnstreik wird von den dortigen Gewerkschaften abgeblasen - wegen

Verhandlungen mit dem Senat.

22.9.69 Streik der Kindergartnerinnen in Berlin-Kreuzberg; sie fordern u.a. Eingangsstufe Vb und 15 % Gehaltszulage ab 1.1.70.

27.11 .69 Warnstreik der Sozialarbeiter und Kindergartnerinnen in Kas- sel; sie fordern u.a, ebenfalls Eingangsstufe Vb fur Kindergartnerin- nen und IVa fiir Sozialarbeiter und Jugendleiterinnen.

20.4.70 Versammlung der Sozialarbeiter und Kindergartnerinnen in Frank- "furt auf Einladung der 0TV und GEW; die angekundigten Redner der Ge- werkschaften erscheinen nicht; die Versammelten beschlieBen einen Warnstreik fur den 4.5.70, urn ihre Streikbereitschaft fiir den Fall des Scheiterns der bevorstehenden Verhandlungsrunde am 12./13.5.70 zu de- monstrieren; sie bilden einen OrganisationsausschuB zur Vorbereitung des Warnstreiks,

29.4.70 Der HTV-Kreissekretar Guenon, Frankfurt, versucht eigenmach-

tig, in einem Rundschreiben an alle sozialpadagogischen Fachkrafte

aufgrund unverbindl icher Zusagen des Stadtrats Kiskalt den Warnstreik

abzublasen.

Auf wiederholte massive Proteste und auf GegenmaBnahmen des Organisa-

tionsausschusses hi n halt Guenon den Rundbrief teilweise zuriick.

4.5.70 Warnstreik und Streikkundgebung von etwa 1000 Frankfurter So-

"zTaTar bei tern und Sozialpadagoginnen.

Die Streikenden fordern Hbhergruppierung um je zwei Stufen, grundle-

gende Veranderungen der Arbeitsbedingungen und Verbesserung der Aus-

bildung und der Fortbildungsmdglichkeiten,

Sie erklaren die gewerkschaf tlichen Verhandlungsvorschlage zu Minimal-

forderungen und verlangen von der 0"TV, die Verhandlungen fiir geschei-

tert zu erklaren, wenn die Arbeitgeber diese Forderungen nicht ohne

Abstriche annehmen.

13.5.70 AbschluB der Eingruppierungsverhandlungen. Die 0TV gibt sich

mit einem Ergebnis zufrieden, das hinter ihren minimalen Forderungen

zuruckbleibt; z.B. fur Kindergartnerinnen Eingangsstufe VII, nach

sechsmonatiger Berufstatigkeit VIb; fiir Kinderpf legerinnen erst nach Q

10

mehrjahriger Berufstatigkeit VI; flir Sozialarbeiter langere Bewa'h-

rungszeiten.

Die Verhandlungspartner behalten sich die endgUl tige Zustimmung zu dem

AbschluB bis zum 15.7.70 vor; dann soil er ruckwirkend vom 1.4.70

an inkraft treten.

Inzwischen haben die Vorstande der Gewerkschaften OTV und GEW dem Ver- handlungsergebnis zugestimmt."

Der AKS versuchte daher, einmal eine groBe Anzahl von Sozialarbeitern und Sozialpadagogen anzusprechen und flir eine politische Arbeit zu gewinnen und zum anderen Druck auf die Gewerkschaft auszuliben, das vorliegende Verhandlungsergebnis zu revidieren. Zum 2,7.1970 wurde zu einer Versammlung im Gewerkschaftshaus aufgerufen. In dieser Ver- sammlung kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Gewerkschafts- funktionaren und den Betroffenen, die anschlieBend folgende Resolu- tion verabschiedeten:

"Die am 2. Jul i 1970 im Gewerkschaftshaus in Frankfurt versammelten Sozialarbeiter und Erzieherinnen richten folgende EntschlieBung an die verantwortlichen Gremien der Gewerkschaften OTV und GEW im Kreis Frankfurt und im Bezirk Hessen:

1. Die Ergebnisse der Einstufungsverhandlungen vom 12./13.5.70 miB- achten unsere von der Streikversainnlung der Frankfurter Sozialarbei- ter und Erzieherinnen bekraftigten Minimalforderungen und genligen in keiner weise unseren Interessen.

Wir fordern daher die Kreis- und Bezirksvorstande der OTV und der GEW auf, sich von diesen Verhandlungsergebnissen zu distan- zieren und die sofortige Aufnahme von Verhandlungen flir Frankfurt und Hessen anzustreben,

2. Solange die Tarifpolitik der Gewerkschaften im sozialpadagogischen Bereich so blirokratisch bleibt wie bisher, d.h. solange sie sich nicht starker an den Forderungen der Betroffenen orientiert, kbnnen uns al- le Appelle zum Eintritt in die Gewerkschaften nicht liberzeugen.

Wir f o r d e r n , daB die Gewerkschaften vor alien Verhandlungen und verbindlichen Stellungnahmen gegeniiber den Arbeitgebern klinftig ihre Vorschlage mit den Mitgliedern und Betroffenen in bffentlichen Versammlungen diskutieren.

3. Das kaum mehr Uberschaubare Stufensystem der Gehaltsgruppen im Bun- desangestelltentarif (BAT) la'Bt sich mit dem Argument leistungs- gerechter Bezahlung nicht rechtfertigen; vielmehr dient es dazu, kUnst- liche Gruppenunterschiede und Unterstel lungsverhaltnisse zu unserem Nachteil und zum Vorteil der Arbeitgeber zu schaffen.

Wir fordern daher die schrittweise Angleichung der Bezah- lung aller im sozialpadagogischen Bereich Beschaftigten, die Durch- setzung eines Nettoeinkommens von mindestens DM 1000 und die Abschaf- fung der Probezeiten.

4. Die Gewerkschaften haben es bisher versaumt, sich energisch fur die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, der Ausbildung und der Fort- bildungsmoglichkeiten einzusetzen.

Wir fordern sie auf, unsere folgenden Forderungen zu uber- nehmen und zu vertreten:

a) flir Sozialarbeiter:

-Arbeit in Gruppen unter standiger Supervision;

- Senkung der MeBzahlen entsprechend der jeweiligen Einwohnerstruktur;

- Freistellung von Sozialarbeitern flir Gruppenarbeit und Gemeinwe- senarbeit an sozialen Brennpunkten;

- bessere technische Ausstattung und Einstellung von Zuarbeitern und Stenotypistinnen;

- jahrlichen Bildungsurlaub von vier Wochen und mehr finanzielle Mit- tel zur privaten Weiterbildung;

- wissensciiaftliche Hilfestellung.

b) fiir Erzieherinnen:

- ein Verhaltnis von 8-12 Kindern auf eine Erzieherin;

- Sanierung der oestehenden Kindertagesstatten;

- wesentlich mehr finanzielle Mittel flir Spiel- und Lehrmaterial ;

- den sechsstiindigen Arbeitstag flir alle Erzieherinnen in Kindergarten und Hort einschlieBlich der Vorbereitungszei t;

- mehr padagogische Teamarbeit und weniger Verwaltung;

- wissenschaftliche Ausbildung an der Universitat flir alle im sozial- padagogischen Bereich Tatigen, urn die Isolierung zwischen den Berufs- gruppen aufzuheben;

vierwbchigen verpflichtenden Bildungsurlaub im Jahr;

- Zusammenarbeit mit Psychologen, Heilpadagogen und Soziologen;

- langeren Erholungsurlaub von mindestens 6 Wochen;

- einheitliche Berufsbezeichnung als Erzieher.

In diesem Zusammenhang fordern wir die OTV-Kreisorganisation Frankfurt auf, das Schreiben des Kreissekretars Guenon an Stadtrat Rhein vom 23.6.70 zuruckzuziehen, da es die anla'Rlich des Warnstreiks formulier- ten Forderungen der Kindergartnerinnen nur teilweise beriicksichtigt und in sei nen Einzelforderungen vbllig unzureichend ist. 5. Einen der Grlinde fUr die bisherige Unfahigkeit der Gewerkschaften, die Forderungen von Sozialarbeitern und Erzieherinnen aufzunehmen, sehen wir darin, daB die Gewerkschaften es versaumt haben, unsere Be- rufssituation und die Bedeutung unserer Arbeit flir die Gesellschaft zusammen mit Sozialwissenschaftlern zu analysieren. Wir fordern daher die Gewerkschaften auf, den ARBEITSKREIS KRITISCHE SOZIALARBEIT, der sich in seinen Arbeitsgruppen diese Auf- gabe gestellt hat, finanziell zu unterstlitzen.

Wir erwarten die Stellungnahme der Gewerkschaften bis Ende Jul i 1970".

11

Dokument Nr. 4

Frankfurter Rundschau vom 4.7.70

"Sozialarbeiter fordern sofortiges Verhandeln 'Arbeitskreis Kritische Sozialarbeit ' verabschiedete Resolution/ Lange Diskussion

Dreieinhalb Stunden diskutierten Sozialarbeiter und Erzieherinnen auf Einladung des Arbeitskreises Kritische Sozialarbeit (AKS) am Donners- tagabend im Frankfurter Gewerkschaftshaus u'ber die Ergebnisse der Ein- stufungsverhandlungen vom 12. und 13. Mai, ihre Unzufriedenheit u'ber die hierbei von den Gewerkschaften tfffentliche Dienste, Transport und Verkehr (OTV) und Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) erreich- ten Ergebnisse. Die eigentlich auch vorgesehene Diskussion liber klinf- tige Aktionen fiel wegen der vorgerlickten Zeit ins Wasser.

Zu Beginn verlas Diskussionsleiter Rudolf Kraus ein Schreiben, in dem Helmut Klapprot, Gescha'ftsflihrer der OTV-Kreisverwal tung Frankfurt, und Willi Guenon, Arbeitersekreta'r der OTV-Kreisverwal tung, schrift- lich ihre Zusage, zu erscheinen, wieder zurLicknahmen , weil sie sich 'diffamiert' fUhlten (wir berichteten am 30. Juni unter der uber- schrift 'Vertrauen in die Gewerkschaften verloren' liber AKS-Kritik), weil sie kein Buhmann sein wollen. Fur sie kommt eine Diskussion mit dem AKS nicht mehr in Frage. Auch sind sie kiinftig nicht mehr bereit, Raumlichkeiten zur Verfligung zu stellen.

Immerhin stellten sich Dieter Diacont, OTV-Bezirkssekretar, und Frau Elisabeth Simon, Leiterin der Fachgruppe 'Sozialpadagogische Berufe' bei der GEW Hessen flir die Diskussion zur Verfligung. Selbstkritik des AKS wurde laut: 'Unsere globalen Forderungen waren zu ungenau. Wir miissen darllber diskutieren, wie man praziser gefaBte^ Forderungen verwirklichen kann.' Donnernder Beifall. Diacont verwies auf die Wichtigkeit, 'die Masse zu mobi lisieren1 . Und darauf, da(3 von den 140 000 im Sozialbereich Ta'tigen nur 8000 organisiert seien. Im librigen ha'tte die OTV Hessen und Berlin gegen den AbschluS des letzten Bundestarifvertrags gestimmt.

Elisabeth Simon forderte: 'Nackter Sachverstand muB Platz greifen! ' Im librigen sei die Basis durch die Annahme unglinstigerer Vorwegrege- lungen ausgeho'hlt worden. Worauf sofort gekonte'-t wurde: 'Wenn so etwas in Berlin und Hamburg moglich wsr, so 1st das doch nur ein Be- weis, dei6 die Gewerkschaften c-'e Leute nicht genligend aufgeklart hc.ben, '"

Jedoch schon bei der Veranstaltung zeigte sich, daB die Forderungen in der CTV nicht durchgesetzt werden konnten, weil der Kampf um mate- rielle und strukturelle Verbesserungen im Sozialbereich nicht auf das gesamte Bundesgebiet ausgedehnt wurde. Der Konflikt zwischen Basis und Gewerkschaftsapparat wurde allein in Frankfurt ausgefochten.

Auch der Mobilisierungsgrad in Ffm. selbst war erschbpft - d.h. ausge- lost und beeinfluBt durch das Verhalten der Gewerkschaftsfunktiona're gegenliber der Bewegung der Basis, ergab sich bei einem die damalige Arbeit bestimmenden Teil der AKS-Mitgl ieder eine gewerkschaftsableh- nende, teilweise gewerkschaftsfeindliche Haltung. Dies trifft wiederum auf eine unter Sozialarbei tern und Sozialpa'dago- gen weit verbreitetes "Anti-gewerkschaftliches" BewuBtsein. Aufgrund ihrer Klassenlage - Mittelschichtsangehdrige, Aufsteiger - verstehen viele Sozialarbeiter sich noch nicht als Lohnabha'ngige. Die Ideologie des Dienens verbietet das Eintreten flir materielle Forderungen und er- schwert eine politische Einschatzung von Sozialarbeit.

Dieses falsche BewuBtsein der eigenen Lage erschwerte das Bemlihen des AKS, sich innerhalb der Sozialarbeiter/Sozialpadagogen breiter zu ver- ankern. Die spontane Zustimmung wich einer distanzierten, abwartenden Haltung bei vielen Kollegen, als sich der AKS in den folgenden Mona- ten reaktiv mit aktuellen Problenien, MiBstanden und Widersprlichen der Sozialarbeit in Frankfurt politisch ausei nandersetzte. Im Vordergrund der Auseinandersetzungen standen:

1. Ausei nandersetzung mit dem Stadtschulamt liber den Kindertagesstat- tenentwicklungsplan

2. Solidarische Unterstiitzung der Jugendlichen flir einen Jugendclub

3. Stellungnahme zu aktuellen politischen Ereignissen (z.B. Protest gegen die Absetzung des Fernsehfilms "Bambule" von U. Meinhof etc.)

4. Unterstiitzung der streikenden Kindergartnerinnen und Kinderpflege- rinnen im Betriebskindergarten des Stadtkrankenhauses

Dieser Streik richtete sich gegen die miserablen und ungenligenden per- sonellen, raumlichen und finanziellen Zustande im Betriebskindergar- ten des Stadtkrankenhauses F.-Hochst. Die Kindergartnerinnen forderten:

- kollektive Leitung,

- mehr und besser ausgebildetes Personal ,

- Anpassung der Arbeitszeit der Mutter (Krankenschwestern etc.) an die Bedlirfnisse der Kinder.

Arbeitgeber Sozialdezernent Gerhardt reagierte mit fristloser Entlas- sung von 4 Mitarbeiterinnen.

Der AKS klarte in Presseveroffentlichungen und Flugbla'ttern liber die- se rechtswidrige Repression der Stadt auf und versuchte durch ein Go- in am 30.9.1970 die Rucknahme der Klindigungen zu erreichen.

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Dokument Nr. 5

Frankfurter Rundschau vom 1.10.70

"Es bleibt bei vier Kiindigungen 'Go in1 bei Stadtrat Gerhardt ohne Ergebnis/ 'Kein Gesprachsstoff '

Ein 'Go in1 beim Sozialdezernenten Gerhardt machten am Mi ttwochnach- mittag rund 40 Mitglieder des Arbeitskreises Kritische Sozialarbeit (AKS). Sie wollten die sofortige Riicknahme der am Dienstag gegen vier Erzieherinnen des Betriebskrankenhauses im Stadtkrankenhaus Hb'chst ausgesprochenen fristlosen Kiindigungen erreichen. Nach einem einsttin- digen Gesprach mit Gerhardt schieden sie ohne Ergebnis. Der Stadtrat beanstandete hinterher das 'gro&e Durcheinander ' und betonte, er habe in der vergangenen Woche in fiinfstiindigen Gesprachen seinen Stand- punkt dargelegt und unter anderem eine Mitarbeiterkonferenz fur den Kindergarten vorgeschlagen. ' Im Moment', so erlauterte Gerhardt, 'gab es aber eigentlich keinen Gesprachsstoff.'

Die Unergiebigkeit des Gesprachs machten auch die AKS-Vertreter deut- lich. Sie wollen gegen Stadtrat Gerhardt 'Strafantrag wegen Verlet- zung der Aufsichtspflicht ' stellen. Im librigen fordern sie den Magi- strat auf, 'die ungerechtfertigten Kiindigungen' zurlickzunehmen und 'sich selber iiber die unhaltbaren Zustande zu informieren' . Sie werfen Gerhardt vor, er habe ein ernsthaftes Gesprach gar m'cht fllhren und statt dessen wiederholt die Polizei rufen wollen, urn den Besuch ab- zukiirzen. Der AKS forderte nach diesem Gesprach Gerhardts Rucktritt.

Gerhard beharrte darauf, die fristlose Klindigung sei zu recht erfolgt. Die Verwaltung hatte die KUndigung wegen 'erheblicher Stbrung des Be- triebsf riedens und fortgesetzter Arbeitsverweigerung' ausgesprochen, Verwaltungsleiter Goina erklarte, man sei bereit gewesen, die Frage einer kollektiven Leitung des Kindergartens zu Uberprllfen. Dabei aber hatte es juristische Probleme gegeben. Nur die Kindergartnerin, nicht aber die vier Schwestern sei laut Gesetz zu dieser Leitung befugt. AuBer einer Mitarbeiterkonferenz seien auch Mlitterbei rate angeboten worden. All dies aber hatte das Kindergarten-Kollektiv abgelehnt.

Ulrich Stascheit, der Rechtsanwalt der Gekiindigten, erklarte demgeger- Uber: 'Die vom Magistrat ausgesprochene Kiindigung' beruht auf einer falschen Information des Magistrats sowohl durch den Dezernenten Ger- hardt als der Verwaltung des Krankenhauses Hbchst. Unwahr ist, daB die entlassenen Kindergartnerinnen die Arbeit verweigert haben.' Sie seien vielmehr am Montag von der Verwaltung des Krankenhauses an der Arbeit gehindert worden - was der Anwalt als eine nach der Hessischen Ver- fassung verbotene Aussperrung bezeichnete - und hatten sich am Diens- tag zu einer von der Verwaltung auf 11 Uhr angesetzten Besprechung eingefunden. Hierzu sei auch der von der Verwaltung eingesetzte Miitter- bei rat geladen gewesen. Wie der Rechtsanwalt betont, wurden aber weder das Kinderpflegepersonal noch der Mlitterbeirat von der Verwaltung und von der Vertreterin des Landesjugendamtes, die die gerugten MiGstande uberpriifen wollte, angehbrt. Statt dessen sei dem Kinderpflegeperso- nal nach vierstundigem Warten die fristlose Kiindigung iiberreicht war- den, die vom Sozialdezernat auf die angebliche Arbeitsverweigerung gestiitzt wurde.

wahrend Verwaltungsleiter Goina betont, es lagen bereits Bewerbungen vor, so daB sich die personelle Situation des Kindergartens bald bes-

sern wiirde, beharren die AKS-Vertreter nach wie vor au&er auf der Zu- riicknahme der Kiindigungen auch auf 'Einhaltung der Richtlinien des Hes- sischen Sozialministers im Betriebskindergarten Hbchst1 auf kollekti- ver Leitung, vor allem aber auf 'Umwandlung des Betriebskindergartens in einen stadtischen Kindergarten'."

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fc

Ergebnis der Auseinandersetzung:

- Die Kindergartnerinnen wurden im Kindergarten Hb'chst nicht mehr ein- gestellt; vor dem Arbeitsgericht eim'gte man sich auf einen windigen Vergleich.

- Einem AKS-Mitglied, der ein Flugblatt mit unterzeichnete, auf dem scharfe Angriffe gegen Stadtrat Gerhardt formuliert und sein Ruck- tritt gefordert wurde, verweigerte man die fallige beamtenma'Bige Be- fb'rderung und zog diese auf Monate hinaus.

Trotz der Aktionen des AKS wurde der Kreis der Aktiven zunehmend klei- ner. Eine grundlegende Strategie fllr die Arbeit (Mobilisierung und Organisierung der im Sozialbereich Tatigen) fehlte. In den Gruppen tauchten zudem Komniunikationsschwierigkeiten auf und als einziges arbeitsfahiges Organ war nur noch das Plenum vorhanden, in dem Studen- ten eine sehr starke Rolle spielten. Die Sozialarbei ter flihlten sich durch sie 'fremdbestimmt' , die Kindergartnerinnen wiederum durch die Sozialarbeiter, denen sie vorwarfen, nicht auf ihre Interessen einzu- gehen und sie in Diskussionen zu Uberspielen. Folgende Konsequenzen wur- den gezogen:

1. Aufteilung des AKS in Berufsfelder; es entstand ie eine Grunpe von Sozialarbeitern und Kindergartnerinnen

2. Schulung und theoretische Aufarbeitung der Geschichte und Funktion der Sozialarbeit

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III Von spontanen Aktionen zu theoretischer Arbeit (1970/1971)

Im folgenden wird nur die Arbeit der Sozialarbei tergruppe dargestellt. (Zu einem spateren Zeitpunkt soil ein spezieller Info zur Situation und Problematik der Kindergartnerinnen herausgebracht werden.) Der Arbeitskreis der Sozialarbeiter konsol idierte sich. 20-30 Sozialar- beiter und Sozialpadagogikstudenten arbeiteten kontinuierlich an einer Analyse der Geschichte der Sozialarbeit. Ziel dieser theoretischen Arbeit war es, die eigene ideologische Befangenheit aufzubrechen, das diffuse Unbehagen der Berufssituation und die taglich am 'KlienteV der Sozialarbeit erfahrenen Widerspriiche sich rational verstandlich zu machen und dem Gerede von der "Wohl- und Mittelstandsgesel lschaft" und der "sozialen Grundordnung" ein realistisches Gesellschaftsbild, in dem die objektive Funktion der Sozialarbeit und ihr Eingebettet- sein in den Herrschafts- und Ausbeutungszusammenhang deutlich wird, entgegenzusetzen. Die Erarbeitung des AKS-Papiers "Geschichte und Funktion der Sozialarbeit" mul3 als ein LernprozeB verstanden werden. Polit.-dkonomische Kategorien.eine histor.-materialistische Be- trachtungsweise und die blirgerliche Literatur zur Geschichte und Funk- tion der Sozialarbeit wurden kritisch aufgearbei tet und materiali- stisch interpretiert. Es war fur uns klar, daf3 Sozialarbeit nicht mehr als Ergebnis von Ideen verstanden werden konnte, sondern ihre geschichtliche Form und Funktion nur zu verstehen sind, wenn man den Zusammenhang zwischen materieller Produktion und gesellschaftlichen Oberbau analysiert.

Begleitet war diese theoretische Phase, die wesentlich von einigen Studenten des Pa'dagogischen Seminars vorangetrieben wurde, von einer Reihe von Schwierigkeiten: Heterogenitat der Gruppe, unterschiedli- cher Wissensstand, unterschiedliche Fa'higkeiten in der theoretischen

Arbeit, wie aber auch die Tatsache, daS in der bisherigen Ausbildung Informationen liber den Herrschafts- und Ausbeutungszusammenhang, in dem Sozialarbeit steht, vorenthalten, polit-bkonomische Kategorien nicht vermittelt und Ideologiekritik nicht geleistet wurde.

Die Arbeit am AKS-Papier wurde im Friihjahr 1971 fertiggestellt. Bis heute sind fast 4000 Exemplare verkauft worden. Der Anspruch, auf der Grundlage dieser Arbeit und der gewonnenen Erkentnisse ein neues poli- tisch-strategisches Konzept fUr den AKS entwickeln zu kdnnen, konnte in diesem hohen MaBe nicht eingelbst werden. Es gelang uns nicht, den eigenen LernprozeS weiterzuvermitteln, so da|3 wir die weitere Planung unserer Arbeit wieder nur auf die Gruppe der Sozialarbeiter bezogen.

Folgende Schwerpunkte der zuku'nftigen Arbeit sollten gesetzt werden:

1. Auseinandersetzung mit der Sozialblirokratie - aus der konkreten Analyse der Widerspriiche am Arbeitsplatz sollte Material zur Funktions- bestimmung der Sozialarbeit in der BRD - wie im 1. Teil des AKS-Papiers angekundig* - gesammelt werden, sowie vermittelt durch eine Konflikt- strategie die Politisierung und Organisierung der Sozialarbeiter in den Institutioaen vnrangeti-ieben werden.

2. Zusaranenarbeit mit student ischen Gruppen am Pa'dagogischen Seminar cer Uni Frankfurt und der Facnhochschule , wobei die Vorstellung be- stand., dcl3 durch die Organisierung eines Kommunikations- und Erkennt- nisprozesses von Praktikern, denen bestimmte Theoriebildung vorent- halten wurde, und von Studenten, denen es an Praxiserfahrung mangelt, eine Form der Zusammenarbeit gewonnen werden konnte, die sich positiv auf die Entwicklung von Projekten im Reproduktionsbereich in Verbin- dung mit der Betriebsarbeit, sowie auf die Weiterentwicklung einer marxistischen Theorie der Sozialarbeit, der Kla'rung im Hinblick auf die Biindnisfunktion der Sozialarbeiter fur die Reorganisierung des Proletariats und der Strategie fur eine politische Sozialarbeit bezo- gen auf das Klientel und die Sozialarbeiter im Ausbildungssektor, aus- wirken wiirde,

Dieser Versuch, in der konkreten Arbeit eine Verbindung von Theorie und Praxis herzustellen, scheiterte aus zwei Gru'nden:

1. Den Vorstellungen der Sozialarbeiter liber eine solche gemeinsame Arbeit von Studenten und Praktikern wurde eine eindeutige Absage durch die damalige "Rote Zelle Padagogik* am Pa'dagogischen Seminar erteilt; auf eine elitare Art und Weise machte man den Sozialarbeitern den Vor- wurf der ungenligenden Schulung in Poli t.-Okonomie und des Theorie-De- fizits. Der Kontakt wurde abgebrochen.

2. Personelle Veranderungen im AKS, insbes. der Weggang eines Mitglie- des, das die Arbeit wesentlich theoretisch angeleitet und vorangetrie- ben hatte, fiihrten zu einer vbllig neuen Zusammensetzung des AKS (Gruppe Sozialarbeit) und damit auch zu einer anderen Orientierung der politischen Arbeit.

IV Praxisprobleme

Die neue Phase der Arbeit des AKS wurde im folgenden im wesentlichen bestimmt durch die Bedlirfnisse der jungen Sozialarbeiter, die das Vor- haben.einer Analyse der Sozialarbeit in der BRD zu leisten, zugunsten 17

einer mehr praktisch orientierten Arbeit in den Sozialstationen auf-

gaben. Folgende Schwerpunkte wurden im Zeitraum von Sommer 1971 -

Fruhjahr 1972 bearbeitet:

1. Beschaftigung mit Organisationsstrukturen und inhaltl ichen Tenden-

zen in der Familienflirsorge

Die im AKS organisierten Sozialar-beiter waren Liberwiegend in den Sozial

stationen ta'tig und konfrontiert mit miserablen Arbeitsbedingungen.

Seit einem halben Jahr lag ein 'offizibses' Mittwochskreispapier (MKP)

zur "Neuverteilung von Aufgaben im Sachgebiet Familienflirsorge" vor.

Dokument Nr. 6

"Vorschlag f'dr einen Arbeitsplan des AKS

I Arbei tsaufgabe:

Beschaftigung mit Organisationsstrukturen und inhaltlichen Tendenzen in der Familienflirsorge.

Ziel:

Technokratisch reaktiona're Reformvorstellungen und -bestrebungen ent- gegenzutreten und Alternativkonzepte zu entwickeln, die im Rahtnen einer gesamtgesellschaftl ichen Veranderung mit sozialistischer Per- spektive zu sehen sind.

II Arbeitsschritte:

1. Analyse und Kritik des Mittwochs-Kreis-Papier unter folgenden Fra- gestellungen:

- Welches Gesel lschaftsbild bestimmt das MKP und welche politische Funktion soil die im MKP konzipierte Sozialarbeit erfullen?

- Wie sind im MKP wissenschaftliche Erkenntnisse berucksichtigt?

- Welche Veranderungen bringt dieses Konzept fur die Praxis?

2. Oberarbeitung und Vereinheitlichung der Kritik am MKP nach

- politischen und

- praktischen Kategorien.

D.h. Nachvollziehbarkeit der Analyse und der Kritik fur die Kollegen ermbgl ichen, einmal was die politische Argumentation betrifft, wie auch die Informationen liber das MKP selbst, da nicht vorausgesetzt werden kann, daB alle Kollegen das umfangreiche Papier kennen, so daB die Haupttendenzen vermittelt werden miissen.

3. Entwicklung eines Alternativentwurfes

- Zieldetermination (BewuBtmachen von latenten Konflikten am Arbeits- platz als Grundlage einer Agitation)

Bestimmung der genauen Zielgruppe und Ermittlung des BewuBtsein-

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Organisierung schen Informationen)

- gemeinsame Diskussion

- Vereinheitlichung

(Die Entwicklung eines Alternativkonzeptes wurde nach einer kontrovers gefiihrten Diskussion nicht aufgenommen, da die Mehrheit im AKS sich nicht zu Handlangern und Rezeptelieferant fur die Verwaltung verstan- den wissen wollte. )

4. Erstellung eines Gesamtpapiers - d.h. Teil 2 und 3 sollten mitein- ander verbunden werden.

Ill Erarbeitung einer Strategie, in die Dffentlichkeit zu treten:

1. Publikation des Gesamtpapiers

2. Plenumsveranstaltung

3. Zusammenarbeit mit anderen Gruppen, urn den Alternativentwurf umzu- setzen (z.B. DTV)

4. Kaderfragen in den Sozialstationen. "

Die Analyse und Kritik des 'MKP' nahm in dieser Phase einen sehr brei- ten Raum ein,und es zeigte sich, daB zunehmend mehr Sozialarbeiter sich an der Arbeit des AKS beteiligten, weil sie ihre Probleme angespro- chen fiihlten.

In mehreren nichtbffentlichen Zusammenschliissen hatten Sozialarbeiter mittlerweile Vorschlage zur Reform der Arbeitsstruktur der Gefahrde- tenhilfe, JGH und Obdachlosenarbeit entwickelt. Die Stadt Frankfurt duldete bzw. fbrderte diese Initiativen, weil damit das Widerstands- potential in 'konstruktive Kanale' gelenkt und die Organisierung kri- tischer Sozialarbeiter gespalten werden konnte. Zum Jahreswechsel 1971/72 veroffentlichte daher der AKS seine Kritik des MKP und ent- larvte die technokratische, klientenfeindliche Funktion dieses Papiers. Ohne Beteiligung des Klientels und hinter dem R'u'cken der Sozialarbei- ter war ein Konzept entwickelt worden, daB die Kontrolle der Sozial- arbeiter,wie die Mbglichkeiten ihrer Diszipl inierung vergrbBerte. Im Januar 1972 lud der AKS alle Sozialarbeiter zu einer bffentlichen Aus- einandersetzung ein, Ca. 60 Sozialarbeiter aus alien Sozialstationen nahmen an dieser Diskussion teil. In der Diskussion mit den Autoren des 'MKP' machte der AKS deutlich, daB es hier nicht nur um eine fach- lich auf Methoden reduzierte Sozialarbeitskritik ging, sondern, da3 Sozialarbeit Bestandteil der Sozialpol i t i k a a 1 s Befriedungs- und Diszi- pl inierungsinstrument zu verstehen ist, somit nicht isoliert betrach- tet werden darf von den wirtschaftl ichen und politischen Entwicklungen und der sie bestimnenden Interessen. Bei einer Neuorganisation der Strukturen der Sozialarbeit muB daher gefragt werden, welchen Inter- essen Sozialarbeit dienen soil: dem Interesse des Klientels Oder den Interessen der herrschenden und privilegierten Gruppen. Diese Frage- stellung wurde in der Diskussion verdeutlicht und fur jeden Sozialar- beiter als erfahrbar dargestellt an Beispielen aus der Praxis und dem Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Sozialarbeit. Bezogen auf das 'MKP' wurde deutlich gemacht, daB eine Neuverteilung der Aufgaben in der Familienflirsorge nur dann sinnvoll sein kann, wenn sich die Bedingungen fur die Praxis der Sozialarbeiter so verandern, daB sie nicht der Kontrolle der Klienten sondern deren Interessenla- ge gerecht werden. Solche Veranderungen sind denkbar auf dem personel- len Sektor, im Bereich der fachl ich-inethodi schen Arbeit und der Orga- nisationsstruktur der Sozialarbeit. Ein weiterer wichtiger Punkt in der Diskussion war das Aufzeigen des politischen Stellenwertes, der diesemPapier zukam. So ist bezeichnend fur die Situation der Sozial- arbeit in Frankfurt - daran hat sich bis heute nichts geandert -, daB ein kleiner Kreis mit der Ausarbeitung eines Organisationsmodells beauftragt wurde, diese Auswahl nicht zufallig ist, sondern sich be- "1Q

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zieht auf solche Vertreter, deren dort reprasentierten Auffassungen liber 'moderne Sozialarbeit' den Vorstellungen der Sozialbiirokratie am nachsten koinmen.und zudem die Diskussion unter AusschluB der tSffent- lichkeit gefu'hrt wird. Wir machten deutlich, da[3 dieses Papier nicht nur ein Beispiel ist, wie iiber die Kbpfe der Sozialarbeiter hinweg Organisationskonzepte entwickelt werden, sondern die Art der Bevormun- dung vollig entsprechend der absteigenden Hierarchie dffentlicher Ver- waltung ist und Ergebnis der bestehenden Struktur der Sozialarbeit, in der jeder Mitarbeiter mit wachsender Entfernung von der Verwaltungs- spitze hinsichtlich prinzipieller Entscheidungen entmundigt ist. Der Vorschlag der Autoren des 'MKP' wiirde daher die Struktur der Sozial- biirokratie festigen durch verbesserte Kontrolle des Sozialarbeiters bei verstarkter personaler Abhangigkeit,

Auswirkungen, die offen sichtbar wurden, hatte die Veranstaltung auf zwei Ebenen:

- die Autoren des 'MKP', konfrontiert mit der Kritik und der dadurch beeinfluSten Kollegenschaft, in der diese Vorschla'ge zur Meuorganisa- tion wenig Resonanz fanden, zogen ihren Orgam'saticxir.vorschlag zuriick und losten sich wenig spa'ter als Arheitskreis auf

- die Kollegen und Kolleginnen zeigten in den nachsten k'ochen eine Kampfbereitschaft, sich gegen Disziplinierungsversuche durch die So- zialbiirokratie zu wehren, wie die Veranstaltung der SPD-Fraktion zur Obdachlosenarbeit zeigte.

Allerdings mu(3 auch gesagt werden, daS der AKS nach dieser Veranstal- tung zwar einige neue Mitglieder gewinnen konnte, nicht aber eine sta'r- kere Verankerung im Kollegenkreis, die sich in aktiver Mitarbeit be- merkbar macht. Der AKS wird zwar als Gruppe, die bestimntte Probleme aufgreift und die Diskussion und Auseinandersetzung vorantreibt.akzep- tiert, was aber nicht heiBt, daB eine groBere Anzahl Sozialarbeiter Konsequenzen aus dem Widerspruch am Arbeitsplatz zieht und sich im AKS orgam'siert. Welche Griinde dies hat, soil im letzten Abschnitt erlautert werden.

Bescha'ftigung mit dem Problem der Obdachlosenhilfe und Unterstutzung der Initiativgruppe 'Obdachlosenarbeit'

An dieser Stelle soil nur die Initiative des AKS dargestellt werden, eine Darstellung des Konflikts befindet sich an anderer Stelle in diesem Heft.

Schon die Diskussionsveranstaltung liber das MKP machte deutlich, daB sich die Sozialarbeiter nicht mehr ohne weiteres Bevormundungen und Disziplinierungen gefallen lassen wurden, wenn auch nur eine geringe Zahl von Sozialarbeitern als Konsequenz sich im AKS und 0"TV organisier- te. Daher war fur den AKS nach Diskussion der Vorfalle urn die inhalt- liche Arbeit in der Obdachlosenhilfe und den Disziplinierungsversu- chen durch den dantaligen Stadtrat Gerhardt klar, daB hier konkrete Aufkla'rungs- und Unterstutzungsarbeit zu leisten war, sowohl bezogen auf die Masse der Sozialarbeiter in den Institutionen, sowie in der konkreten Auseinandersetzung mit den reaktionaren Vorstellungen der Sozialbiirokratie Liber die Obdachlosenarbeit. Dazu wurde in Flugblat- tern, Briefen und einer Dokumentation die notwendige Information und Aufklarung geleistet.

Dokument 7, Frankfurter Neue Presse vom 27. Januar 1972

Eingeschranktund mundtot gemacht?

Sozialarbeiter klagten / SPD diskurierte Obdachlosen-Frage

nd Masslven VorwOrlen sah sldi dos Sozlalamt der Stadt Frankfurt ausgeselzt, alt Jelzl im RathouE Vertreter dor SPD-Stadiverordnetenfraktion lusammen mil' Sozlalarbeltarn das Thema diskullerten: „Glbt es in Frankfurt ein Konzept fur die Sozialarbeit mit Obdaehlosen?". Audi CDU-Stadtrat Gerhardt, der nach erfolg- relch verfaufener Operation noch im Krankenhaus Megt, wurde dabei nicht ver- schont. Er wurde beschuldigl, die Inttiotlvgruppen der Sozialarbeiter „einge- »difdnkt und mundlot" gemacht zu haben. „Stadtrot Gerhardt hat versucht", so Sozialarbeiter Gunlher Pabst unter dem lauten Beifall seiner Kollegen, ,'die Sozialarbeiter zu verelnzeln in einer Art und Weise, die ith hier nicht schlldern mddite, und so Drudc auf sie auszuuben "

lAsy Alfhart, die Vorsitzende des Sczialausschusses. wies vor vollem Haus auf die groflen Bemuhungen der SPD seit zwei Jahren bin, das Obdach- losenproblem in Frank Turt zu losen. Bereits 1970 habe die SPD mit Erfolg den Antrag eingebracht, Stellen fur acht Sozialarbeiter zu schaffen, die als Team in der Gemelnwesenarbelt einge- setzt werden sollten. (Gemeinwesenar- belt bede-utet etwa: begleitende Hilfc (fir Obdachlose, die in Normalwohnun- gen eingewiesen wurden und die sich nun in der neuen Umgebung zurecht- fintfen mQssen.)

Bis heute aber warte man auf dieses Team, weil der Magistral behnupte, er ttnde keine Leute. SPD-Stadtverordne- ter Schoppner stellte die Frage, woran es wohl liege, daB sich bislang nur eine Dame for diese projektbezogene Arbeit genreldet habe.

Der Leiter des Sozialamt&s, Magi- stratsrat DahlDm. der zusammen mit Amtsrat Humbert den Standpunkt der Verwaltung vertcidtgte, horte in der Folgezeit wenig Erfreuliehes. Von alien Seiten wurden Beschuldigungen und KJagen iiber sein Haupt gesehiittet.

MUNDTOT

Doch zunachst skizzierte er das Ob- dachlosonproblem aus seiner Sicht; Mit der Wohnung allein sei es nicht getan. Obdachlose konne man nicht als homo- gene Gruppe sehen, und schlieOlich fehle es noch an empirischen Untersu- chungen uber die Ursachen des Ob- dachlosonproblems. Mbglichkeiten zur Verbesserung der Situation dieser Leute lagen in einer intensiven Betreu- ung von einzelnen Familien und Zu- BammenfaBSung mehrerer Familien in Gruppen oder in der Weiterfiihrung der bisher in Frankfurt praktizierten Fami- lienfursorge und Akzentverlagerung auf spezifl3Che Probleme der Familien. Er sei der Meinung. die Gemeinwesen- arbeit sei nicht daa Aliheilmittel, der Voraig genicfle die Einzelhilfe. Die Sozialarbeiter hingegen gaben der Ge- meinschaf tsarbeit den Vorrang.

In der nun sehr lebhaft einsetzenden Diskussion forderte Stadtverordneter Schflppner, die Gemeinwesenarbeiler darften keine Erffillungsgehilfen der Verwaltung sein. Sozialarbeiter Pabst klagte den Magistral an, jegliche Ver- suche von Sozialarbeitern, Initiative zu entwickeln, abgewurgt zu haben (star- kes Beifallsklopfen). Genannt wurden die „lnitiativgruppen Obdachlosenar- beit" der „Arbeitskreis kritische Sozia'larbeit" und die Sozialstation Cal-

lus. Durch Einschuchterungen seitens Stadtrat Gerhardts sei die erstgenannte Gruppe mundtot uemacht worden.

Und Sozialarbeiterin Rommcrskir- chen meinte: Bisher sei das Problem der Obdachlosen ganz schlicht und ein- fach verwaitei worden. Es wurden „un- heimliche Mittel" ausgegeben, urn Familien, die bcreits In Siedlungen ein- geordnet worden seien, finanziell zu snnic-ren, damit sie nicht allzusehr auf- fielen. Dies aber sei nichts anderes als das, was Stadtverordneter Schoppner als „Sozialfummelci" bczcichnete.

Die Obdaehlosen, so kritisierte Pabst, wiirden von der Verwaltung als Objekt gesehen, nicht als Subjekt Sic muOten jedoch durch Einbeziehung in die Kon- zepterarbeitung (Hilfe zur Selbsthille) selbst Ideen entwickeln konnen, wobei zu beachten sei, so erganzte eine Kolle- gin, daB ein neues Konzept von den Sozialarbeitern und nicht von der Ver- waltung erarbeitet werden solle.

Uber die Stellung der Sozialarbeiter sagte Schoppner unter starkem Beifall der fast ausschlieBlich jungen Leute: „Die Sozialarbeiter sind Anwa'Ue der Obdaehlosen und nicht Erftillungsgehil- fen der Verwaltung. Sie sollen den gleichen Stellenwert bekommen wie die Lchrer in der Stadt."

Allgemein in Erstaunen versetzte die Anwesenden die Mitteilung von Sozial- arbeiter John, dafl Amtsrat Humbert vom Sozialamt es abgelehnt hatte, ein von der Sozialstation Gallus erarbelte- tes und vorgelegtes Konzept ubei'haupt zu lesen, weil es zu lang sei.

ABGELEHNT

Humbert wies darauf hin, daB es zu- kiinftig keine Notunterkunfte mehr in Frankfurt geben werde, da die von der SPD geforderten 300 Wohnungen fiir diesen Personenkreis gebaut wurden. Der Sozialstation Gallus habe er ein Angebot gemacht, das diese erst nach einer Woche Bedenkzeit abgelehnt hatte.

Eine Kuriositiit: Sozialarbeiterin Beer wies auf die noch giiltige Bestimmung in einer entsprechenden Vorschrift hin, wonach die soziaien Verhiiltnisse derje- nigen Obdaehlosen. die in eine Woh- nung eingewiesen wurden, geordnet sein mtiBten (grofles Gelachter).

In einer Art Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Eesprechung forderte abschlieOend Sozialarbeiter Pabst:

1. Keine Zentralislerung der Bearbei- tung der Obdaehlosen, sondern welter- hin von der zustandigen Sozialstation aus.

2. Einselzen eines Arbeitsteams Ge-

meinwesen, das eine gemeinsame Kon-

zeption entwickelt, und Ausschreibung der noch freien sieben Stellen in Fach- zeiLschriften und Zeitungen, uin das notige Personal zu bekommen.

3. Keine weitere Einweisung von Fami- lien in Nohmterkiinfte Oder Ubergangs- wohnungen und

4. keine Unterdriickung und verfehlte Repressalien gegen Sozialarbeit und In- ula tivgruppen.

Dazu Lisy Alfhart: „Dal3 kein Druck auf diese Gruppen ausgeiibt wird daiiir sollte die Fraktion der SPD Garant sein." Eine weitere Diskussion in dieser Runde soil bald folgen.

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Zur weiteren Vertiefung und Auseinandersetzung rait der Arbeit in Ob- dachlosensiedlungen wurde in Februar 1972 eine Veranstaltung, an der ebenfalls ca. 50 Sozialarbeiter teilnahmen.mit einem Vertreter des 'Kblner Arbeitskreises der Notunterkunfte' im Club Voltaire organi- siert.

Gewerkschaftsarbeit

Aufgrund der praktischen Orientierung der politischen AtCS-Arbeit er- gab sich auch die Notwendigkeit einer Gewerkschaftsarbeit, die nun ver- starkt wieder aufgenommen werden sollte. AKS-Mitglieder verstanden sich als eine gewerkschaftskritische Gruppe, die bestimmte Initiativen in die Gewerkschaft hineintragen wollte. Kritisch ist jedoch anzumerken, daB die Entscheidung fur eine Gewerkschaftsarbeit aus pragmatischen GrLin- den getroffen wurde, eine Analyse der Rolle der Gewerkschaft in der BRD richt vorlag und auch kein daraus resultierendes strategisches Konzept. Erfolge zeigten jedoch:

a) ein vom AKS vorbereitetes und durchgeflihrtes OTV-Seminar zu Fragen der Mitbestimmung der Sozialarbeiter und Sozial padagogen bei der Ver- anderung ihres Arbeitsplatzes und Arbeitsfelder

b) die Mitwirkung an der Herausgabe einer Informationsschrift der Fach- gruppe Sozialarbeit "Soziales und Unsoziales", die viertel jahrlich er- scheint und zu aktuellen Problemen und Widerspriichen in den Sozialstatio- nen und Kindertagesstatten Stellung nimmt.

Offentlichkeitsarbeit/Kontakte mit anderen Gruppen

Die Offentlichkeitsarbeit bezog sich im wesentlichen auf Presseerkla- rungen zu aktuellen Ereignissen, Vortrage und Diskussionen an Volks- hochschulen, Jugendbildungsstatten und Fachhochschulen, insbesondere der Fachhochschule flir Sozialarbeit in Frankfurt.

Erstmals wurde auch im November 1971 Kontakt mit dem 'Sozial istischen BLiro' aufgenommen, da den Vertrieb der AKS-Broschiire ubernahm und mit dem eine weitere Zusammenarbeit vereinbart wurde. Schon zum dama- ligen Zeitpunkt war uns klar, daB der AKS sich in einer berufsbezoge- nen Isolierung befindet, die nur aufgeldst werden kann, indem man mit politischen Gruppen aus anderen Bereichen Kontakt auf nimmt .und nach Mbglichkeiten der Zusammenarbeit sucht. Daher wurde auch dem Vorschlag zugestimmt, am 1. Treffen verse hiedener politischer Gruppen aus dem Raum Frankfurt, die in Kontakt zum Sozialistischen BLiro stehen und fiir Frankfurt ein 'Sozialistisches Zentrum' entwickeln und aufbauen wol- len, teilzunehmen. Ein AKS-Mitglied (Gruppe Sozialarbeit) erarbeitete dazu aus den bisherigen Unterlagen und Diskussionen 'Ansatze prakti- scher politischer Arbeit auf dem Sektor Sozialarbeit', die dort vor- getragen wurden und die Kindergartnerinnen berichteten von ihrer bis- herigen Arbeit. Langfristig bestand die Absicht, mit diesen Gruppen zu kooperieren, im Moment aber die Konsolidierung im AKS selbst vor- anzutreiben.

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Dokument Nr. 8

"Ansatze praktischer politischer Arbeit auf dem Sektor "Sozialarbeit" (Arbeitskreis Kritische Sozialarbeit) 1971

1. Die Funktion von Sozialarbeit mit ihren verschiedenen Bereichen im Reproduktionsbereich ist bisher nur oberflachlich und global bestimmt (sieht AKS-Papier "Zur Geschichte und Funktion der Sozialarbeit"!.

Wir kbnnen aber feststellen, daB es sich bei der Sozialarbeit um'einen vernachlassigten Bereich gesellschaftlicher Reproduktion handelt. KuBer- lich manifestiert sich diese Tatsache in den fehlenden Mitteln, der ungenugenden personellen und materiellen Ausstattung, mangelhafter Aus- bildung etc.

2. Die Institutionen der Sozialarbeit sind gekennzeichnet durch hierach. Strukturen, mangelhaften InformationsfluB, fehlende Kooperation, aus- gepragtes Konkurrenzverhalten und Resignation der in ihr tatigen So- zialarbeiter.

Die Praxis der Sozialarbeit vollzieht sich heute auf den unteren Rangen einer Verwaltungsbiirokratie, die von den oberen Instanzen gesteuert wird. Dieses Verwaltungsmodell entspricht dem der obrigkeitlichen Pol i - zei-, Wehr- und Finanzverwaltung ,in dem der Sozialarbeiter und der Klient als Abhangige total in den Herrschaftszusammenhang eingebettet sind.

3. Der AKS versteht sich als ZusammenschluB sozialistischer und demokra- tischer Sozialarbeiter; seine Aktivitaten richten sich auf

- eine Mobilisierung der im Sozialbereich tatigen MitarEeTter

- das Ziel ,die Aufgaben der Sozialarbeit neu zu bestimmen und auf Grund der Analyse bestehender MiBsta'nde Strategien zur Veranderung der zu- ktinftigen Praxis abzuleiten (langfristig sozialistische Berufspraxis) und gegen

- Versuche .Sozialarbeit in technokratische Verfugung zu nehmen,

- Sozialarbeiter und Klienten zu diszipl inieren.

4. Als Strategie bietet sich die Konfliktaktualisierungsmethode an: MiBsta'nde im sozialen Bereich, Widerspruche und Konflikte innerhalb der Sozial burokratie sollen erkannt und aufgezeigt werden. Publication, Protest und KampfmaBnahmen sollen Einsicht in den Herrschaftscharakter und die Schranken des Systems vermitteln. (z.B. ware aufzuzeigen, wa- rum aus parteipol itischen Gesichtspunkten das Projekt stadtteilbezogene Gemeinwesenarbeit nun schon monatelang verschleppt wird etc.) Konkreter AnlaB ist in den nachsten Wochen die Vorbereitung einer Veranstaltung zu der alle Sozialarbeiter eingeladen werden und in der am Beispiel des reaktionaren Organisationskonzeptes zur Umstrukturie- rung der Faflirsorge gezeigt werden soil, wie iiber die Kopfe der So- zialarbeiter und Klienten neue Organisationskonzepte entwickelt wer- den, die allein an der Effizienz sozialer Kontrolle orientiert sind.

5. Wir sind uns dabei allerdings bewuBt, daB auf der einen Seite So- zialarbeiter auf Grund ihrer Berufsrolle nur bedingte Mbglichkeiten haben, Gesetze und materielle Potenzen zu Gunsten der Klienten umzu- funktionieren,

und auf der anderen Seite, daB Sozialarbeit unter kapitalistischen Be- dingungen immer integrative Funktion hat. no

Auch das, was sich in der aktuellen Bereitschaft zu Veranderungen zeigt, dient dem Ziel sozialer Kontrolle und dem Verwertungsinteresse des Kapitals.

Es gilt aber die Freira'ume weiter auszubauen und die objektiven Reform- tendenzen bis an die Grenze auszunutzen, aber auch zu verhindern, daft es nur bei berufsreformerischen, standespolitischen Aktivitaten bleibt.

6. In der Zusammenarbeit - bei Erhaltung der Eigenstandigkeit des AKS zum jetzigen Zeitpunkt - nit anderen sozialistischen Gruppen sehen wir

- eine realistische Mbglichkeit das o.g. zu verhindern

- langfristig einen Beitrag zum Aufbau einer sozialistischen Bewegung zu leisten."

V Selbstverstandnisdiskussion (Mai 1972 - Herbst 1972)

Unbehagen an der politischen Arbeit, die in den Aktionen sichtbar wer-

dende Tatsache der fehlenden praktischen-politischen Perspektive, man-

gelnde Kontinuitat der Teilnehmer in den AKS-Sitzungen, ein hau-

fig wechselnder Teilnehmerkreis und die damit sich ergebende unverbind-

liche Arbeitsweise waren Anlaft, die seit langem notwendig qewordene

Selbstverstandnisdiskussion endlich aufzunehmen, urn darauf aufbauend die

weitere Organisation und Arbeitsweise verbindlich festzulegen.

Die Diskussion ist bis heute noch nicht abgebrochen, aber auch nur

unsystematisch gefiihrt und oft durch aktuelle Ereignisse unterbrochen

worden.

Wie die zentrale Arbeitstagung im Marz 1973 zeigte, ergibt sich lau-

fend die Notwendigkeit, Auf gabenstel lung und Funktion des AKS immer

wieder neu zu diskutieren und zu bestimmen.

Die damalige Diskussion soil hier an Hand der Protokolle nachgezeich-

net werden. Auf eine systematische Zusammenfassung wurde verzichtet,

da nur so eine Einsicht in den DiskussionsprozeB gewahrleistet ist

und die Schwierigkeiten der Gruppe deutlich werden:

Dokument Nr. 9

Auszug Protokoll 25.5.72

"3. Es lag vor ein Flugblatt der DTV zur Besoldungsregelung der Tech- niker. Da auch die Sozialarbeiter davon betroffen sind, wurde das beiliegende Flugblatt entworfen und in den Sozialstationen verteilt. Bei der Formulierung kam es zu Diskussionen

a) ob das Wort "Kampf" benutzt werden soil, da dies die Kollegen gleich wieder gegen den AKS einnehmen konnte

b) ob nicht in den Text der Hinweis auf das Stufensystem im BAT, der damit verbundenen Hierachisierung in der Sozialarbeit und auf unsere Forderung nach Auflbsung des Stufensystems erfolgen sol He.

Ohne Abstimmung wurde das Wort "Kampf" beibehalten und Punkt 3 b fal- len gelassen.

Zu einer langeren Diskussion kam es Liber die Aufforderung im Text, "sich zur Durchsetzung dieser Forderungen zu organisieren". Die Ansicht, daB dieser allgemeine Appell politisch sinnlos ist, da die konkreten Realisierungsmbglichkeiten nicht angegeben werden, konn- te sich nicht durchsetzen; die Mehrheit war fur die Beibehaltung der ) A Formulierung im Flugblatt."

Dokument Nr. 10

Auszug Protokoll 30.6.72 "1 . Stellungnahme:

Der AKS litt bisher unter den widerspruchl ichen Erwartungen zwischen den dem AKS angehorenden "Theoretikern" und den unmittelbar an der "Front" stehenden Praktikern.Vom AKS wird eine handfeste Hilfe erwar- tet, den eigenen politischen Standpunkt festzumachen und den Kampf mi t der Verwaltung besser durchzustehen. Da man aber mit steigendem poli- tischen BewuBtsein in der Sozialstation mit immer grdBeren Schwierig- keiten zu rechnen hat (man gilt als gefahrlich und wird bloBgestellt) , erwarte man sich auch eine intensive Hilfe vom AKS, die Kollegen durch Informationspapiere zu konkreten sozialen Problemen auf ein hSheres pohtisches Niveau zu heben, nicht zuletzt auch deshalb, urn den eige- nen politischen Standpunkt in den Augen der Kollegen relativieren und zu neutralisieren zu helfen.

2. Stellungnahme:

Der AKS sollte ein Kreis sein, der einem theoretisches Wissen Liber be-

stimmte Strukturen unseres Systems vermittelt und an akutellen Dingen

innerhalb der S.A. diese Theorie verdeutlicht.

Reflexion der S.A. an Hand besserer Theoriekenntnisse.

3. Stellungnahme:

Man schlieBt sich an das vorher Gesagte an mit der zusatzlichen Erwar- tung an den AKS, mehr Hilfen fur die Verbesserung der eigenen Arbeits- platzsituation zu entwickeln und zu erarbeiten. Kritik an der bisheri- gen AKS-PVaxis: durch die Beschaftigung mit verschiedensten, sozialen Aktualitaten habe man sich verzettelt und dabei seien die Probleme der eigenen Praxis zu kurz gekommen. Das schlieBe nicht aus, daB der AKS i n Zukunft - dann aber gezielter - zu sozialen Aktualitaten Stellung nehmen soil.

An dieser Stelle entfachte sich eine Diskussion am Beispiel der Stel- lungnahme zum Georg-von-Rauch-Haus. Vielen sei die im Papier angege- bene Parallelitat des G.v.R.-Hauses und der JLigelstraBe nicht so klar gewesen. Auch sei oft zu wenig dariiber diskutiert worden, warum man zu bestimmten sozialen Aktualitaten Stellung bezog. Die Betroffenheit (politische) des AKS miiBte in solchen Fallen oder generell deutlicher vordiskutiert werden, bevor man Stellungnahmen abgibt. Eine andere Meinung war die, daB die Abgabe von Stellungnahmen zum Selbstverstandnis des AKS gehoren muB.

4. Stellungnahme:

Sozialarbeit hat keinen emanzipatorischen Charakter, da ihre Funktion von der Gesellschaft bestimmt wird und die ist: SA dient zur Ver- schleierung gesellschaftlich bedinqter Ungerechtigkeiten. Ueshalb soll- Te der Schwerpunkt der Arbeit im AKS nicht im Vorantreiben sozialar- beiterischer Reformen liegen, sondern in der Pol itisierung der Kolle- gen. (Man sol Ite eine Bewegung unter den Kollegen in Gang setzen). "ElTwurde die Frage an die anderen im AKS gestellt, welchen Stellen- wert Reformentwicklungen im AKS haben sollen. Der Schwerpunkt solle vielmehr darin liegen, sich Liber die Funktion von SA klarzuwerden auf dem Hintergrund der Analyse der unmitTelbareri Arbeitsbedingungen ( Bezahlung, hohe hallzahl, Handeln der Verwaltung) und Verbindungen herzustellen von politischen HaBnahmen, die die eiqene Arbeitsplatzsi- tuation betreffen (Einstel lungsstop, Etatkiirzungen). Auch hieran schloB sich eine Diskussion an, die diese Schwerpunktverla-2 g

gerung nicht vol 1 akzeptierte, da man sich durch die reine Analyse nicht allein klar wird, welche Funktion SA hat, sondern erst durch Entwicklung und Durchsetzung von Veranderungen, den Apparat und seine Widerstande kennenlernt, d.h. S.A. in ihrer Funktion erst dann richtig durchschaubar wird. Das setze aber voraus, daB eine gewisse BewuSt- machung unter den Kollegen vorausgegangen sein tnuB, damit eine Sol i- darisierung herzustellen 1st. Dies zu leisten, sei auch eine Erwartung an den AKS.

Ein anderer Beitrag war folgender: S.A. sei zwar in ihrer Funktion von der Gesellschaft bestimmt, das dlirfe jedoch nicht dazu fiihren, auBer- halb des Berufslebens die Veranderung der Gesellschaft anzustreben. Man musse taglich und bei jeder Gelegenheit Veranderung anstreben. Dazu wurde eingewendet, da(3 nicht das eigene Wollen ausschlaggebend flir die Funktion der S.A. sei und insofern die auBerberufliche, poli- tische Betatigung nicht zu unterschatzen sei. "

Dokument Nr. 11

Auszug Protokoll 4.7.72

"1. Resonanz zum Papier vom Georg-von-Rauch-Haus aus den Sozialstatio- nen:

Von der Sozialstation Eschersheim wurde dazu berichtet, da[3 den Kolle- gen die in unseren Ausfiihrungen aufgezeigte Parallelitat vom Georg- von-Rauch-Haus zur JugelstraBe nicht verstandlich ist. Die Reaktion der- Kollegen aus den anderen Sozialstationen zum AKS-Papier ist nicht be- kannt. An dieser Stelle meinte ein Teilnehmer , der AKS musse grund- satzlich mehr Informationen liber auswartige Situationen haben, urn sie deutlicher darstellen zu kdnnen und dadurch bessere Vergleiche zur eigenen Praxis herstellen zu kb'nnen, Gegenargument :

IPMIB1HI iH WHIIBBllllll Hill iiilJillliL.i.l i^iiliiMafe^ega^gaaiaag^eafc^BB

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Die Betroffenheit der Kollegen ware grb'Ber, wenn Geschehnisse im Rah men Frankfurts aufgegriffen und dargestellt wilrden, da die Oberpruf- barkeit leichter ist.

2. Es wurde vorgeschlagen, das Protokoll vom 30.6.1972 zu systemati- sieren und die einzelnen Punkte weiterzudiskutieren. Kurze Zusammenfassung:

a) Politischen Standort der Gruppe finden,

b) Unterstutzung bei Kampf mit Verwaltung (von Betroffenheit aus- gehen - Arbeitsplatz) ,

c) Agitationshilfen (Politisierung der Kollegen),

d) Theorie - Wissen, Reflektion,

e) Systemanalyse - Struktur,

f) Verbesserung der Arbeitsplatzsituation,

g) Funktion der Sozialarbeit klaren.

Imweiteren Diskussionsverlauf wurde grundsatzl ich die Standhaftig-

keit des AKS in Frage gestellt im Bezug auf seine politische Durch-

schlagskraft.

Es herrscht bei Teilnehmern die Vorstellung, daB der AKS u'ber sein

eigenes Stadium nicht hinaus kommt (im eigenen Saft braten) und sei-

h-

Fiir eine neue

sozialistische

Linke

evsah&int im Juni 1972, DM 5.8o

Biioher- & Papervertrieb, 60S Offenbach 4, Postfaah 591

ne Resonanz dadurch nicht wirksam genug ist.

Jemand machte den Vorschlag, sich doch zunachst me hi- mit der Reaktion der Kollegen aus den Sozialstationen auf bestimmte Aktivitaten des AKS auseinanderzusetzen. Erneut wurde das vom AKS gewahlte Vokabular an seine Adressaten kritisiert und in Frage gestellt. In diesem Zusammenhang tauchte nochtnals die Frage auf: Warum haben sich Teilnehmer vom AKS distanziert, als das Georg-von- Rauch-Haus-Papier diskutiert wurde?

Zudem wurde wiederholt die Frage gestellt, weshalb im AKS immer be- stimmte Mitglieder im Alleingang Aktivitaten unternehmen. Als Bei - spiel wurde hier wieder die Arbeitsweise bei der Erstellung des Georg- von-Rauch-Papieres angefuhrt. Die Frage, ob die aktiven Teilnehmer in die dominierende Rolle gedrangt werden, konnte nicht abgeklart werden. Von einem Teilnehmer wurde die Auffassung vertreten, der AKS mu'Bte seine Arbeit mehr systematisieren, d.h. bestimmte Aktualitaten besser darstellen im Zusammenhang mit dem gewerkschaftspolitischen Geschehen. Die Diskussion lief erneut darauf hinaus, bevor gesellschaftsvera'ndern- de Arbeit geleistet wird, muB erst der politische Standpunkt der Grup- pe festgesetzt werden.

Wie bestimmt man einen politischen Standort?

Ober die Methode gingen die Meinungen auseinander. Einige meinten, der politische Standort einer Gruppe konnte zum Beispiel dadurch bestimmt werden, daB alle Teilnehmer zu aktuellen politischen Geschehnissen Stellung nehmen. Andere deklarierten diese Stellungnahme als politi- sches Glaubensbekenntnis. Folgende Frage ergab sich:

Ist der AKS sinnvoll strukturiert, wenn er nur Sozialarbeiter als Mit- glieder hat?

Resultierend aus den vorhergehenden Beitragen teilten mehrere Teilneh- mer die Auffassung, daB eine Gruppe nur einen politischen Standort gewinnen kann, indem sie, ausgehend vom Arbeitsplatz (eigene Betrof- fenheit), unter alien Umstanden politische Zusammenhange mit einbe- zieht, wobei der individuelle Standort durchaus abweichen kann. Wie verkauft sich der Sozialarbeiter am Arbeitsplatz? Kann dieses Problem im AKS diskutiert werden, oder ist dies Angelegen- heit der Gewerkschaften?

Hier wurde von einem Teilnehmer der Wunsch geauBert, im AKS nicht die Funktion der Sozialarbeit zu diskutieren, sondern Mdglichkeiten der Praxis aufzuzeigen, Strategien fiir die Praxis zu entwickeln aufgrund der Erfahrungen der einzelnen Teilnehmer. Nur aus vorangegangenen Fehlern kann gelernt werden (Resignation), reflektiert und neue Stra- tegien entwickelt werden. Das methodische Vorangehen wurde nicht aus- diskutiert, da ein Teilnehmer seinen Unmut darliber auBerte, daB nur wieder vom Thema abgewichen wLirde. Er schlug vor, doch jetzt ganz kon- kret zu versuchen, eine Plattform flir den AKS zu erarbeiten. Er war der Meinung, daB dies im Rahmen eines Wochenendseminars geschehen kbnne.

Tagesordnungspunkt fiir die nachste Sitzung am 11.7.1972 ist weiterhin die Selbstverstandnisdiskussion und genaue Betrachtung der zusammen- gefaSten Punkte vom vorangegangenen Protokoll. AuBerdem mu'Bte in der kommenden Sitzung Liber die AKS-Arbeit in den Ferien beraten werden."

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VI Zusammenfassung

Die vorliegende Darstellung der Entwicklung des AKS Ffm. Liber einen Zeitraum von 3 Jahren dient dem Versuch , aus den bisherigen Erfahrun- gen Konsequenzen fur die zukunftige Arbeit des AKS zu Ziehen. Eine all- gemeine Aussage zur Organisationsfrage kann in diesem Heft aus Platz- mangel nicht gemacht werden, sie soil zu einem spateren Zeitpunkt nachgeholt werden.

Der AKS, gegriindet 1970, nachdem die "antiautorita're Studentenbewe- gung" den Bereich der Sozialarbeit verspatet erreicht hatte, war Sam- melbecken fiir eine grb'Bere Zahl von Sozialarbeitern und Sozialpadago- gen , die unzufrieden waren mit den katastrophalen Arbeitsbedingungen, der Abhangigkeit von fachfremden Entscheidungen der Sozialburokra- tie, dem Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit und der Tat- sache, daB sich die Lage des Klientels zunehmend verschlechterte. In dieser Anfangsphase war das Engagement und der Optimismus ungeheuer groB, glaubte man doch durch eine entsprechende Strategie mit breiter sol idarischer Unterstiitzung der Kollegen die Institutionen zu verun- sichern und wesentliche Veranderungen am Arbeitsplatz durchfiJhren zu kbnnen.

So fanden sich Sozialarbeiter und Sozialpadagoger: mit den unterschied- lichsten Motivationen und Erwartungshaltungen zusammen: von Sozialar- beitern , deren caritatives Selbstverstandnis durch die Praxis ange- kr.ackst war und die konkrete Rezepte fur ihre Arbeit erwarteten bis hin zu Sozialarbeitern, denen es darum gi ng , die Widerspruche an ihrem Arbeitsplatz aufzugreifen, zu analysieren und gemeinsam mit anderen auf eine revolutionare Berufspraxis hinzuarbeitensbzw. Sozialarbeit zu begraifen als Interessenvertretung von Randgruppen und Teilen des Proletariats. Damit war die Spannweite zwischen systemimmansnten Re- fcrmen bis hin zu revolut ionarer Gesel Ischaftsveranderung abgesteckt. Die Auffassungen dieses breiten politischen Spektrums schlagt sich dann auch im Arbeitsprogramm und in den Aktivitaten nieder; da alle Aktivitaten in der Anfangsphase nur kurzfristig auf den Moment abge- stimmt waren, eine zielgerichtete politische Perspektive fehlte, war es auch nicht schwer die.unterschiedlichsten diffusen Interessen im AKS zu organisieren.

Ruckblickend la'Bt sich sagen, daB es richtig war, eine breite organi- satorische Basis aufzubauen, jedoch fehlte die Zielgerichtetheit, die politische Perspektive, die den groSten Teil der Sozialarbeiter gezwungen hatte, sich nicht nur mit der Blirokratie auseinanderzuset- zen, sondern auch mit ihrer eigenen Rolle und Funktion als Sozialar- beiter in den Institutionen, urn damit auch die Frustrationen durch die tagliche Praxis abzubauen bzw. die kurzfristige Erwartungshaltung, eine organisierte Sozialarbeiterschaft kbnne Hilfestellung und Anlei- tung fiir die Probleme der taglichen Kleinarbeit leisten, aufzulbsen zugunsten einer langfristigen politischen Perspektive. Hinzu kommt, daB allein die Unzufriedenheit am Arbeitsplatz, der Wider- stand gegen die Biirokratie und das Eintreten flir materielle Interes- sen eine solidarische Ebene gemeinsamer Interessen ergab, die aber doch uberwiegend von einem "berufsstandischen Interesse" geleitet wur- de - eine Situation, die die ganze dreijahrige Geschichte des AKS (ab- gesehen von der Phase 1970/71) durchzieht, so daB politische Ausein- andersetzungen nur noch in taktischen Fragen gefiihrt wurden, nicht aber Liber die Zielsetzung, Aufgaben und Strategie des AKS. OQ

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Das fiihrte dann (Kap.II) dazu, daB die Mitgliederzahl zunehmend zurlick- ging, die unterschiedlichen Interessen nicht befriedigt werden konnten und sich daraus die Konsequenz einer Aufteilung in Berufsgruppen und eine Neuorientierung auf die theoretische Arbeit erfolgte. Eine politisch richtige Entscheidung:

- die Aiifarbeitung der Geschichte und Funktion der Sozialarbeit unter historisch-materialistischer Betrachtungsweise war eine objektive Not- wendigkeit fur die gesamte Sozialarbeiterbewegung, wie die heute noch starke Nachfrage nach der Broschiire beweist

- durch die Ausarbeitung, die als LernprozeS der Gruppe verstanden wer- den muB, gewann man eine politische Grundlage, die es mbglich machte, die Arbeit im AKS zumindest theoretisch auf eine neue Ebene zu heben.

Die erwartete Umsetzung in die Praxis erfolgte aus den in Kap. Ill dar- gelegten Grlinden nicht. Mit dem Ausscheiden eines groSen Teils von AKS-Mitgliedern (teils aus privaten/tei Is aus politischen Griinden, die allerdings nie diskutiert worden sind) und der Erganzung durch Berufspraktikanten und Sozialarbeiter aus den Sozialstationen erfolg- te eine Neuorientierung an praktischen Problemen, allerdings nicht auf der Grundlage einer grundlichen Reflexion der vergangenen AKS- Arbeit, sondern aus dem BedUrfnis heraus, starker wieder Probleme am Arbeitsplatz anzugehen, urn durch das Aufgreifen der Widerspruche am Arbeitsplatz eine starkere organisatorische Basis in der Sozialarbei- terschaft zu erhalten. Es war eine starke Phase kontinuierlicher Ar- beit, die auch ihre Auswirkung auf die Kollegen hatte, wie die grosse Beteiligung an den Diskussions- und Plenumsveranstaltungen zeigte, gemessen jedoch an den hohen Ansprlichen der Ziele des AKS, die Sozial- arbeiter hier zumindest aus den Sozialstationen starker anzusprechen und zum Organi sationsschritt zu bewegen, konnten diese nicht erreicht werden. Im Gegenteil - wohl beeinfluBt und motiviert vom AKS.sich gegen die Verschlechterungen der Arbeitssituation zu wehren, entstanden eine Reihe von Initiativgruppen, Arbeitskreise innerhalb und auBer- halb der Institutionen, die sich mit den verschiedenen Problemen aus der Praxis auseinandersetzten.bzw. aufgrund der Kritik am Verhalten der Sozialburokratie werden sie von dieser dazu aufgefordert zu ver- schiedenen Organisationsvorschlagen ihre Stellungnahme abzuge'ben. Der AKS durchschaute zwar das Tauschungsmanbver der Stadt: denn es war offensichtlich, die institutionell und rechtlich iiberhaupt nicht abgesicherten Gruppen, isoliert voneinander ohne Kommunikationszusam- menhang und ohne, daB sie wirklich EinfluB auf die Entscheidungs- prozesse nehmen konnten, waren zufrieden als Gesprachspartner der Sozialburokratie akzeptiert zu sein.

Sie verkannten die wahre Absicht der Stadt.durch eine solche Beschaf- tigungs- und Beruhigungstherapie die Unruhe unter den Sozialarbeitern aufzufanqen, einmal weil er selbst qualitativ und quantitativ nicht in der Lage war, aus der richtigen Einschatzung strategische und tak- tische Konsequenzen zu Ziehen, zum anderen trifft hier dieselbe Er- fahrung zu , die der AKS Berlin machte, daB namlich in der Auseinan- dersetzung mit den Institutionen das BewuBtsein der Kollegen noch wemg entwickelt ist, Konflikte am Arbeitsplatz als Teil der in der gesamten Gesellschaft existierenden Widerspruche zu sehen, daB die v ul! in der unzulanglichen Arbeitssituation allein in der Unbe- wegiichkeit einzelner in der Verwaltung zu suchen seien und es aus-

reiche zur Veranderung, wenn man seine fachliche Kompetenz miteinbrin-

ge. (siehe SPK 17)

Ein anderer Punkt der Auswirkung der AKS-Arbeit war die Wiederbelebung

der bis dahin seit Jahren stagnierenden UTV-Arbeit. Der Schritt zur

Gewerkschaftsarbeit wurde damals zwar nicht aufgrund einer Analyse der

Gewerkschaften in der BRD allgemein vollzogen, jedoch gingen in die

Oberlegungen.die Gewerkschaftsarbeit zu intensivieren, nicht nur prag-

matische GrLinde mit ein:

So wurde allgemein die Einschatzung geteilt, daB

1. die Gewerkschaft die derzeit einzige Interessenorganisation der Ar- beiterklasse ist, sie die Mbglichkeit des Kontaktes zur arbeitenden Bevolkerung bietet, und damit Sozialarbeiter Bundnisfunktionen anbie- ten kb'nnen

2. Arbeitsrechtsschutz notwendig und

3. die OTV Vertretungsorgan fur berufspolitische, Besoldungs- und Ta- riff ragen ist.

Der AKS verstand sich dabei als eine eigenstandige kritische Gruppe, die entsprechende vorher im AKS besprochene Aktivitaten in die OTV einbringen wollte, was teilweise dazu fiihrte, daB Teile des AKS sich so stark engagierten, daB von den Arbeitsanforderungen her personelle Konsequenzen gezogen werden muBten und die Kollegen sich dann vol 1 auf die Gewerkschaften konzentrierten. Nachdem eine ruhigere Phase eingetreten war und auch beeinfluBt durch Ab- und Neuzugange, sowie der Einsicht in die Beschra'nktheit des rein pragmatischen Ansatzes, der fehlenden weitergehenden Perspektive und der Erkenntnis, daB theore- tische und politische Wissensdef izite aufzuarbeiten sind, entschloB man sich, die Selbstverstandnisdiskussion wieder aufzunehmen, urn da- raus neue Konsequenzen fu'r die weitere Arbeit abzuleiten, wobei die Kontakte zu den anderen politischen Gruppen (Kap. IV, 4), die Betei- ligung an der Vorbereitung liberregionaler Kommunikation schon Ansatze beinhalten, die liber die bisherigen hinausgehen. Die Selbstverstand- nisdiskussion ist noch nicht abgeschlossen, daher sollen die Protokol- le auch nicht weiter kommentiert werden, sondern als Zeugnisse dienen, aus der der DiskussionsprozeB und der BewuBtseinsstand der Gruppe er- sichtlich wird.

Folgende allgemeine Einschatzung laBt sich bisher vornehmen:

1. Der AKS - Gruppe Sozialarbeit - in seinem Teilnehmerkreis auf 10 - 30 Mitglieder beschrankt, zeigt zwar in der 1. Phase noch eine kampfe- rische Radikalitat zu Problemen der Berufspraxis, nimmt aber spa'ter zwar immer wieder Konflikte aus der Praxis auf, versucht liber die Wi- derspruche die Kollegen zu informieren, aufzuklaren und zu mobilisieren, ist aber nicht in der Lage .konkrete Kampf perspektiven aufzuzeigen.

Der AKS verfligt durch seine friiheren spektakularen Aktionen, dem AKS- Papier und den spa'teren Stellungnahmen im BewuBtsein der Kollegen Uber ein progressives, radikales Image, was sich in Wirklichkeit hbchstens auf eine "geistige Radikalitat" beschrankt.

2. Der AKS stellt sich dar als Trager von Veranstaltungen zu Proble- men aus der Praxis, ohne allerdings konsequent darin einen eigenen po- litischen Standpunkt zu vertreten, der die Sozialarbeiter gezwungen hatte, sich damit auseinanderzusetzen.

Zudem schwankte der AKS zwischen theoretischer Arbeit ohne ausreichende Q1

politisch-praktische Verbindung und praktischer Arbeit ohne reflek- tierte theoretisch-politische Perspektive. Die Schwierigkeit.zwi- schen beide eine sinnvolle Verbindung herzustellen, bei gleichzeiti- ger Flexibilitat auch aiif tagespolitische Ereignisse zu reagieren, ohne in einen Aktionismus zu geraten, wurde bisher nicht bewaltigt.

3. Ein weiteres Problem, was zwangslaufig bei der bisherigen Arbeits- weise auftreten muBte, war die Schwiengkeit , die spezifischen Pro- bleme der verschiedenen Berufsfelder der Sozialarbeit zu verbinden bzw. solche Prioritaten zu setzen, die flir alle Beteiligte befriedi- gend gewesen ware.

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112 Seiten, brosohiert, DM 5.

Verlag 2ooo GmbH, 60S Offenbach 4, Postfaoh 591

Probleme der Sozialarbeit bei freien

Tra'gern am Bei spiel der

evangel ischen Familienberatung Ffm.

Vorbemerkung

Die beiden Verfasser waren als Sozialarbeiterin bzw. Psychologe Mitar- beiter der evangel ischen Familienberatung Ffm.-Nordweststadt und wur- den im Sommer 1972 gekiindigt, weil ihr Verhalten mit dem Sinn der Be- ratungsarbeit und der im Team zu erwartenden Kollegialitat nicht zu vereinbaren sei.

In diesem Bericht soil aufgezeigt werden, wie in Ffm. als Trager der Familienberatung und " arbeitende" Psychologen Hand in Hand arbeiten tierte Konzeptionen und deren Vertreter zu el In einem ersten Abschnitt charakterisieren wi ziehungsberatungsstellen (gemaB Richtlinien d zweiten geben wir eine kurze Arbeitsplatzbesc scnen Familienberatung Frankfurt; im dritten des Konflikts, im vierten geben wir eine krit Konfliktverlaufs, im flinften stellen wir den in sechstcn die Politik des Tragers.und im si wir eine Kritik der sogenannten "klinisch-the leisten.

die Evangel ische Kirche klinisch-therapeutisch , um^ am Gemeinwesen orien- iminieren.

r die Aufgaben der Er- es Hess. Min.d.I.) ; im hreibung der Evangel i- schi Idem wir den Verlauf ische tinschatzung des Kern des Konflikts dar, ebten Abscfviitt versuchen rapeutischen" Arbeit zu

I.Aufgabe der Erziehungsberatungsstellen (EB) ist es,

- vorhandene seelische Stdrungen der stizieren und die Ursachen zu klaren,

- El tern liber den Grund der Storungen der in geelgreter Weise aufzuklaren , Schwierigkeiten einsichtig zu machen forderlichenfalls auch sonstige Erzie Ziehen, und

- die jeweils gebotenen Formen der Hi tern und in Zusammenwirkung mit sonst Stellen durchzuflihren Oder zu veranla

- AuBerdem mu3 die Erziehungsberatung in weitere Kreise in Sonderheit der E des Hess. Min.d.I. )

Die Erziehungsberatung soil einen integrierten Bestandteil der gesam- ten Erziehungshilfe bilden.

Sie mufi eine feste Arbeitsgruppe bilden, in der auf jeden Fall - ent- sprechend der biologischen, geistig-seelischen und sozialen Eigenart des Kindes - die a'rztliche, padagogische, psychologische und soziale Disziplin vertreten sein muS.

Kinder und Jugendl ichen zu diagno-

und Schwierigkeiten ihrer Kin- si e flir ihren Anteil an diesen und sie helfand zu berated, er- her in die Beratung einzube-

Ife im Einvernehmen mit den El- igen beteiligten Personen und ssen.

ihre Kenntnisse und Erfahrungen lternschaft tragen. (Richtlinien

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Mm'^A

Erforderlich ist ein regelmaBiger unmittelbarer Erfahrungsaustausch auf der Grundlage der GTeichberechtigung der Mitglieder der Arbeits- gruppe. Jede Erziehungsberatungsstelle muB bemuht sein, liber die hauptamtlich und nebenamtl ich verpf lichteten Fachkrafte hinaus, einen weiteren erziehungskundigen und erziehungsinteressierten Mitarbei- terkreis zu bekommen, insbesondere aus dem Kreis der Eltern, der Leh- rer, der firzte und der Seelsorger sowie von Kindergarten, Hort, Heim, Familienflirsorge, freier und behordlicher Jugendfiirsorge und Jugend- pflege.

Bei der Organisation der EB ist zu beachten, daB ihre Tatigkeit zu al- ien Erziehungsgemeinschaften und alien Stellen flir erzieherische und gesundheitl iche Jugendhilfe einschlieBlich der Schule eine enge Be- ziehung hat. Sie muB unabhangig von den speziellen Bediirfnissen der einen oder anderen Behbrde arbeiten und in der Ausgestaltung ihrer Ar- beit die von ihren Aufgaben her gebotene Freiheit haben.

II Arbeitsplatzbeschreibung

Trager der evangelischen Famil ienberatung in Ffm. ist der evangeli- sche Gemeindeverband; er wird durch den Vorstand nach auBen vertre- ten.

Die Famil ienberatung (FB) des evangelischen Gemeindeverbandes wird von der evangelischen Famil ienberatung westend (Hauptstel le) und der evangelischen Fami 1 ienberatung Nordwest (Nebenstelle) ausgeiibt. Dienststellenleiter beider Stellen ist der Diplom-Psychologe Dr. Wolf- ram Lliders, mit dem Sitz in der Fami 1 ienberatung Westend. Die Fami- lienberatung Westend wurde 1962 gegriindet, die Famil ienberatung Nord- west 1967 als Nebenstelle eingefiihrt.

In der Hauptstelle sind auBer Dr. Lliders flinf Diplom-Psychologen (-innen) und zwei Sekretarinnen beschaftigt. In der Nebenstelle Nord- west waren bis 31.5.1972 zwei Diplom-Psychologen (-innen), eine So- zialarbeiterin und eine Sekretarin beschaftigt. Nebenamtlich sind flir beide Stellen ein Jurist und ein Arzt tatig. Die ZusaRUienarbeit beider Stellen erfolte unter der Leitung des Dienststel lenleiters, Dr. Lliders, in dreist'undigen wbchentlichen Sitzungen, wo Beratungsfal le durchge- sprochen und Fachliteratur diskutiert wurde, Darliberhinaus gab es kei- ne Arbeitskontakte zwischen den beiden Stellen.

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Nach dem Haushaltsplan des evangelischen Gemeindeverbandes wurden an die Famil ienberatung Westend Zuschusse des Landes Hessen, der Stadt Frankfurt und des Landeswohlfahrtsverbandes in Hone von 137 000 DM bezahlt, an Familienberatung Nordwest in Hone von 97 000 DM. Diese Zuschusse sind an Voraussetzungen gebunden, die u.a. gleichbe- rechtigte, unmittelbare Zusammenarbeit im Team und die Mitarbeit von Sozialarbeitern zur Auflage machten. (siehe Richtlinien des Hess. Ministers des Inneren 1956; siehe Absatz I).

Frau Lohmann war seit dem 1.1.1972 als Sozialarbeiterin in der evan- gelischen Familienberatung Nordwest tatig; sie war die erste Sozial- arbeiterin in der evangelischen Familienberatung in Frankfurt seit ihrer Grundung 1962. Fur sie gab es keinerlei Arbeitsanweisung von Seiten des Dienststellenleiters.

Ill Verlauf des Konflikts

Seit Einrichtung der Nebenstelle gab es zwischen ihr und Dr. Lliders , sowie den Mitarbeitern seiner Beratungsstelle Spannungen, die die Ober- legung aufkommen lieBen, die beiden Stellen organisatorisch und perso- nell vb'llig zu trennen. Diese Spannungen entstanden einmal aus den un- terschiedlichen Auffassungen der beiden Stellen, sozial-therapeutische Konzepte zu realisieren; zum andern durch die Art der von Dr. LUders praktizierten Teamarbeit, die immer wieder AnlaB zu heftigen Ausein- andersetzungen gab.

Das Fehlen eines Konzeptes fiir die Sozialarbeiterin im Rahmen der Ne- benstelle machte es notwendig, eine solche Konzeption durch die Mit- arbeiter der Nebenstelle selbst zu entwickeln. Die Art und Weise, wie die Realisierung einer solchen Arbeit theoretisch und praktisch zu begrlinden ist, gab AnlaB zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Dr. Lli- ders auf der einen und den Mitarbeitern der Nebenstelle auf der ande- ren Seite.

Diese Meinungsverschiedenheiten machten die verschiedenen Grundkonzep- tionen der beiden FB-Stellen offenbar.

Bei der Einstellung der Sozialarbeiterin wurde in der Nebenstelle zu- sammen mit der leitenden Dipl .-Psychologin und dem Dipl .-Psychol ogen deren Funktion in der EB besprochen.

Man einigte sich darauf, daB Frau Lohmann gleichberechtigt beratend tatig sein sollte, wobei ihr methodischer Schwerpunkt in der Gruppen- arbeit in Zukunft starker die allgemeine Beratungstatigkeit beein- flussen sollte.

AuBerdem einigte man sich auf die Bildung von Kindergruppen, die die Sozialarbeiterin u'bernehmen sollte. Von beiden Psychologen wurden ziemlich hohe Erwartungen an die Sozialarbeiterin gestellt: 'Neue For- men der Gruppenarbeit zu initieren unter Einbeziehung der therapeu- tischen Methoden, vbllige Obernahme der Kindertherapie, Wiederauf- nahme der Praxisberatung der evangelischen Kindergarten.1 In der Kon- kretisierung dieser Praxis entstand immer mehr eine Arbeitsteilung an- stelle der erwarteten intensiven Zusammenarbeit. Dies lag hauptsach- lich daran, daB die Sozialarbeiterin alle Kindertherapien libernahm - ob Gruppe oder Einzelne -, weil sich die Psychologen (It. eigenen Aus- sagen) auf diesem Gebiet recht unsicher flihlten.

Gleichzeitig faBte man die Mutter dieser Kinder in einer Gruppe zusam- men, die von der Psychologin und der Sozialarbeiterin geleitet wurde; eine andere MLitter-Gruppe wurde zusammen mit dem Psychologen eingerich- tet, deren Kinder den Leistungsanforderungen der Schule und des El- ternhauses nicht entsprachen. Alle Kinder waren im Alter zwischen 9 und 12 Jahren.

In dieser Gruppe wurde - durch den Psychologen Kafitz stark forciert - zum ersten Mai der Versuch gemacht, die Autoritat des Therapeuten ab- zubauen und die helfende Kraft durch die Gruppe selbst entstehen zu lassen. Wir, die Berater, machten Mut, besta'tigten und bescirieben die miBliche Lage von Mlittern in einer Trabantenstadt und halfen somit, die Probleme zu "entindividualisieren". Gleichzeitig stellten wir die qeringe EinfluSmoglichkeit von Beratern dar, da sie an den konkreten Miseren eigentlich uberhaupt nichts andern kbnnen. Durch diese Arbeit kamen wir (Psychologe Kafitz und Soz.Arb. Lohmann) immer starker an den Kern der Unzufriedenheit liber die bisherige Be- ratungsarbeit. 35

Bisher war Beratung nur Reaktion auf individuell vorgetragene Probleme. Niemals konnte man im Rahmen dieser Institution Zielgruppen, die man gern beraten ha'tte, selbst bestimmen, schon gar nicht individuelles Leiden zugleich konsequent als gesellschaftl ich bedingtes und durch eine Gruppe gleichermaBen Betroffener vermittelt erleben. Zudem konnte und kann die FB nur einen Bruchteil potentieller Ratsu- chender erfassen und ist mit diesem Bruchteil bereits liberlastet (lan- ge Wartelisten).

Diese Bedenken Liber die bisherige Beratungsarbeit wurde von uns zuneh- mend in die wbchentlich stattf indenden Teamsitzungen eingebracht. Es wurde immer heftiger die Praxis der Hauptstelle kritisiert, die be- stimmt war vom Arzt-Patient-Verhaltnis, in dem der Therapeut eine neu- trale, auBenstehende Instanz darstellt und sozusagen Liber den Dingen, d.h. liber den Konflikten des Ratsuchenden .steht.

Was die Individualisierung der Ratsuchenden speziell in der Hauptstel- le noch forderte, war die Tatsache, daft sich das Klientel aus Gesamt- Frankfurt rekrutierte und stadtteilbezogene Arbeit (Westend) nicht praktiziert wurde.

36

Aus diesen Einsichten und Kritiken erarbeiteten wir ein neues Konzept, das die besondere Lebenssituation der Bewohner der NWSt als Wohn- und Schlafstadt berlicksichtigte.

In der NWS sind junge Familien und dementsprechend Kinder und Jugend- liche Liberreprasentiert. Entsprechend ihren ma'Bigen Einkommensver- ha'ltnissen (kleinere Angestellte und Arbeiter) steht ihnen nicht aus- reichend Wohnraum zur Verfligung. Die jungen Familien und besonders die Mutter sind stark isoliert. Der sehr groBe Anteil der nichtarbei- tenden Frauen sieht sich den Auswirkungen des Leistungsstresses auf die Kinder in der Schule und auf den Mann am Arbeitsplatz ausgesetzt und lebt zum groBen Teil in dem Geflihl, abgeschoben zu sein. Die Kom- munikation ist stark verkiimmert und wird von den MLittern durch ein hones MaB an Arztbesuchen kompensiert, von den Kindern und Jugendli- chen durch zunehmend aggressive Akte, MiBtrauen und Leistungsverwei - gerung.

Diesen besonderen Bedingungen trugen wir in unserem Beratungskonzept Rechnung:

'Wir sind der Ansicht, daB prophylaktische Arbeit Schwergewicht der Beratungsarbeit sein muB (Hausfrauen, Brautpaare, Konfirmanden, Kon- firmandeneltern, Kindergarteneltern, Schulkindereltern, Jugendgrup- pen),

Weiterhin ist intensive Zusammenarbeit mit Mitarbeitern anderer sozia- ler Institutionen (z.B. Kindergarten, Schule, Sozialamt, Pfarrer usw.) notig, urn voneinander zu lernen und gemeinsam Problemkreise angehen zu konnen. Ziel muB sein, liber die hauptamtlich und nebenamtlich ver- pfnchteten Fachkra'fte hinaus einen weiteren erziehungskundigen und erziehungsinteressierten Mitarbeiterkreis (Laiensystem) zu bekommen, insbesondere aus dem Kreis der Eltern, Srzte, Seelsorger, Kindergar- ten usw. (Hess. Richtl. fur EBs).

Urn diese Arbeit realisieren zu konnen, mu'ssen neue Formen der Zusam- menarbeit aller Beteiligten, ob Laien oder Fachkrafte, auf der Ebene der Gleichberechtigung aller Beteiligten entwickelt werden. Dadurch er- warten wir neue Initiativen fur Erwachsene, Kinder und Jugendliche, ihre Lage in einer Wohnstadt zu verbessern (z.B, mangelnde Nachbar-

schaftshilfe, mangelnde Gemeinschaftsra'ume flir Erwachsene und Jugend- liche flir deren Freizeit, bessere Spiel- und Lernbedingungen flir Kin- der und Jugendliche).

Gleichzeitig mu'ssen wir versuchen, in der Kinder- und Erwachsenenar- beit neue unkonventionelle Methoden der Spiel- und Familientherapie zu entwickeln (z.B. Kinderspieltheater, Rollenspiel, Tanzen, Musizie- ren, Malen, Tonband- und Filmexperimente) in dafu'r geeigneten Raumen.

Weiterhin wollen wir es Ratsuchenden ermb'glichen, sich schon bei la- tentem ProblembewuBtsein unverbindlich an die Berater zu wenden. Die Form konnte eine Art Treffpunkt sein, der in Zusammenarbeit mit Pfar- rer, Vorschule, Kindergarten, Sozialstation und Jugendhaus zu bestimm- ten Zeiten ta'glich (auch abends) gebffnet ist. Dieser Treffpunkt mu'Bte mit einem groBzligigen Spielzimmer gekoppelt sein; hier konnen die Kin- der betreut und beobachtet werden. Wahrend die Kinder spielen, kbnn- ten sich die Eltern an die anwesenden (mindestens drei) Berater wen- den.

Diese Unverbindl ichkeit der Atmospha're konnte dazu flihren, Hemmung zu uberwinden, die sonst Ratsuchende abhalten, die EB aufzusuchen. Gleich- zeitig ware unmittelbare Hilfeleistung mbglich, indem Sofortlosungen aufgezeigt werden kbnnten, Gruppenangebote gemacht oder ein Einzelter- min gegeben wlirde. Man ha'tte hier gleichzeitig eine vorbeugende Bera- tung vollzogenl

Diesen Dberlegungen einer neuen Konzeption ging eine grundsatzliche Kri- tik von Frau Lohmann an den wbchentlich stattf indenden gemeinsamen Teamsitzungen voraus.

Sie beklagte in einer Sitzung im Februar/Ma'rz 72 den ungeheuren Druck in den Teambesprechungen, der dadurch entstehe, daB alle Mitarbeiter darum bemliht seien, vok Dr. Lliders als Vaterfigur und Fachautoritat mbglichst gut abzuschneiden. Dieses Bemu'hen entstehe dadurch, daB sich Dr. Lu'ders als einziger Abqualif izierungen (oder Belobigungen) gegen- liber Mitarbeitern erlaube, die starke Angstgeflihle hervorrufen mu'Bten. Aus dieser Angst wage keiner, dem von Dr. Lliders kritisierten Mitar- beiter zur Seite zu stehen, da er flirchten mlisse, ebenfalls von Dr. Lli- ders angegriffen zu werden. Eine derartige Kommunikationsstruktur ver- hindere Offenheit und Selbstkritik.

Trotz dieser offen gewagten Analyse der Gruppensituation anderte sich in den folgenden Sitzungen nichts. Anfa'ngliche Sympathien der Mitar- beiter mit diesen AuBerungen schlugen urn in Nestbeschmutzer-Vorwlirfe,

Anfang Ma'rz 1972 gab die bisherige Leiterin (Dipl . Psychol ogin) der

Nebenstelle bekannt, daB sie aus privaten Grlinden zum 1.6.72 ausschei-

den wiirde.

Herr Dr. Lliders empfahl dem Vorstand des Evangelischen Gemeindeverban-

des - ohne uns (Nebenstelle) zu hbren - eine langja'hrige Mitarbeiterin,

die seit 1962 als Diplom-Psychologin an der Hauptstelle tatig war, als

zuklinftige Leiterin der Nebenstelle einzusetzen.

Wir protestierten in einem Schreiben vom 17.3.72 an den Vorstand da-

gegen, daB liber unsere Kb'pfe hinweg eine flir die weitere Arbeit in

der Familienberatung Nordwest so wichtige Entscheidung getroffen wurde.

Dieser Protest wurde von dem Vorstand in einem Schreiben vom 10.4.72

u.a. mit der Begrlindung zurlickgewiesen, "daB der Vorstand durchaus nicht

der Meinung ist, daB Mitarbeiter, die die Arbeit der Fb. kaum kennen- n-r

gelernt haben, hier ein entscheidendes Mitspracherecht haben miiSten." Of

38

Auch die anderen Mitarbeiter der Hauptstelle unterstiitzten unseren Protest. Daraufhin nahm Dr. Lu'ders die Empfehlung zuriick. Wir waren sicher, daB unsere Neukonzeption der Beratungsarbeit durch die von Dr. Liiders vorgeschlagene Leiterin blockiert werden wlirde und unsere bisherige Selbstandigkeit verlorengehen wiirde; sie hatte iramer- hin zehn Jahre das in der Hauptstelle praktizierte Konzept mitvertre- ten (individual-psychologische Beratung).

Wir pladierten in Gesprachen mit Dr. Liiders allein und mit Dr. Liiders und der Arbeitsgruppe beider Stellen fiir die Ausschreibung der dritten Stelle, fiir kollegiale Leitung und dem Abteilungsleiter Dr. LLiders als direkten Vorgesetzten. Herr Dr. Liiders entschied sich am 27.4.72 - ohne seine Absicht vorher uns oder der Arbeitsgruppe zu erkennen zu geben - fiir die Empfehlung an den Vorstand, Frau Lohmann zu kilndigen und die von ihm vorgeschlagene Leiterin an der Nebenstelle einzusetzen. Er unterstellte Frau Lohmann "unkol legiales Verhalten" und warf ihr vor, mit "unwissenschaftlichen und subjektiven Methoden arbeiten zu wollen", Auf diese Entscheidung bzw. Vorwiirfe von Dr. Liiders hin machten wir den Vorstand, die Mitarbeitervertretung, den FamilienberatungsausschuB und die Pfarrer der Nordweststadt mit dem Konflikt bekannt, urn von die- sen Gremien Unterstutzung fiir die Realisierung unseres Arbeitskonzepts zu bekommen.

Diese Gremien sind angeblich zusta'ndig fiir die inhaltliche und perso- nelle Gestaltung der Evangel ischen Familienberatungsarbeit in Frankfurt am Main. Der FamilienberatungsausschuS besteht aus gewa'hlten Mitglie- dern der Frankfurter Dekanate und hat die Aufgabe, die Arbeit der Evan- gelischen Familienberatung zu kontrollieren.

Die Pfarrer der Nordweststadt haben 1967 die Grlindung der Nebenstelle initiiert und sind daran interessiert, eine enge Zusammenarbeit mit der FB herzustellen; die Pfarrer der NWS arbeiten in dem "Gruppenamt" eng zusammen.

Die Mitarbeitervertretung (MV) ist die Personalvertretung der Mitar- beiter des Evangelischen Gemeindeverbandes Frankfurt am Main.

Diese Gremien kamen zu folgenden BeschlUssen:

a) Der Vorsitzende der MV sagte uns informell zu, da6 er sich dafur einsetzen wlirde, daB die Selbstandigkeit der Stelle gewahrt bleibe und die von Dr. LLiders vorgeschlagene Leiterin nicht eingesetzt werde. Die MV beschloB nach einer Besprechung mit uns, sich fiir die Rilcknah- me der Kundigung von Frau Lohmann einzusetzen; sie nahm jedoch einige Tage spa'ter ein Schreiben von uns an die o.a. Gremien zum AnlaB, der Kundigung zuzustimmen. In diesem Schreiben forderten wir nochmals kol- legiale Leitung und Mitspracherecht bei der Neubesetzung der freige- wordenen Stelle.

b) Der FB-AusschuB formulierte ein Votum an den Vorstand, wonach Frau Lohmann bleiben und die von Dr. Liiders vorgeschlagene Leiterin nicht an der Nebenstelle eingesetzt werden sollte.

c^ Die Pfarrer der NWS forderten, gehort zu werden, bevor eine end- giiltige personelle Entscheidung getroffen werde.

Es zeigte sich, daB die Gremien, die an der inhaltlichen Arbeit inter- essiert waren (Gruppenamt und FB-AusschuB) , unsere Forderungen mitvor- antrieben. Sie hatten jedoch keinen juristisch abgesicherten EinfluB, ihre Vorstellungen gegen den konservativen Vorstand und die mit dem

Vorstand plb'tzlich paktierende MV durchzusetzen.

DaB diese Gremien nur scheindemokratische Alibifunktion erfiillten und tatsa'chlich ohne EinfluS waren, erkannten wir zu spat, nachdem wir uns zu lange auf sie verlassen hatten.

In einem Schreiben (kurz vor einer FB-AusschuBsitzung den Mitgliedern des Ausschusses als "streng vertraulich" zuganglich gemacht) hatte Dr. Liiders versucht, uns zu diffamieren, urn dort Zustirmiung zu seiner Klin- digungsempfehlung zu finden.

Er unterstellte uns: Sie "wollten ihre Arbeit wie eine rein politische Tatigkeit wahrnehmen, d.h. nicht mehr mit anerkannten, von der Wissen- schaft eingeflihrten Verfahren diagnostisch, beratend und therapeutisch ta'tig sein, sondern mit politischen Mitteln politisch handeln. ...Hier sollen Konflikte nicht mehr bearbeitet, sondern durch aktive Teilnah- me , durch Solidarisierung mit den Ratsuchenden und durch ein distanz- loses Mitmachen gelbst werden. ...Auf diesem Weg konnen sicherlich viele Ratsuchenden stimuliert jnd aktiviert werden, mit Konfliktbear- beitung aber haben diese Methoden nichts zu tun".

Zwischen dem 15.5. und 20.5.72 a'uSerten sich die Mitarbeiter der Haupt- stelle zu dem Konflikt. Sie sol idarisierten sich mit ihrem Chef, Dr. Lu'ders. Sie unterschlugen ihre Kritik an ihrem Chef und machten uns fiir die Klindigungsempfehlung verantwortlich.

In den vorausgegangenen Diskussionen kam es dagegen - besonders in Ab- wesenheit von Dr. Liiders - zur Kritik an dessen autoritarem Verhalten. In einer Gegendarstellung vom 25.5.72 wiesen wir die Vorwiirfe von Dr. LLiders zuriick. Besonders gingen wir auf die Tatsache ein, daB die Mit- arbeiter der Hauptstelle sich nach der Klindigungsempfehlung mit ihrem Chef eindeutig solidarisierten.

Wir versuchten, die Griinde fiir dieses Verhalten aufzuzeigen:

a) Dr. Liiders ist Dienststellenleiter und damit weisungsbefugt gegen- Iiber seinen Untergebenen. Gleichzeitig fiihrt er Supervision fiir seine Untergebenen durch. Damit erzielt er ein ungeheures Informationsmono- pol und hat durch sein Wissen die Einzelnen in der Hand. Dieser Rege- lung konnten sich die Mitarbeiter der Nebenstelle entziehen.

Eine angemessene Supervision durch einen Chef, von dem man abhangig ist, verhindert Selbstandigkeit und Autonomie der Mitarbeiter und be- dingt personale Abhangigkeit.

Sofern Dr. Liiders beide Aufgaben von dem Vorstand aufgetragen waren, hatte er sich gegen diese Zumutung aus fachlichen, wissenschaftl ichen Griinden wehren miissen, wenn sie auf sein Betreiben eingefiJhrt wurden, hatten sich seine Untergebenen dagegen verwahren miissen.

b) Eine geplante Ausbildung zum Psychoanalytiker am Sigmund-Freud- Institut ist von Dr. Liiders zu blockieren mit Hilfe seiner informellen Beziehungen als Lehranalytiker am SFI. Interessenten an dieser Ausbil- dung sind gezwungen.auf die Mdglichkeit seiner Intervention Riicksicht zu nehmen.

Auf dem Hintergrund seiner Intoleranz gegeniiber abweichenden Meinungen ist zu befurchten, daB er diese Mbglichkeit wahrnimmt.

c) Fiir einen Psychologen der Hauptstelle ist klinisch-therapeutische Arbeit Schwerpunkt seiner Tatigkeit. Das Interesse geht dahin, als klinischer Therapeut einem Arzt gegeniiber vergleichbare Anerkennung zu r% r\ erlangen (s. Bemiihen urn Nebentatigkeit: Privatpraxis) . Damit besteht Ov7

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die Mbglichkeit, das Dienstgehalt wesentlich aufzubessern.

Wir dagegen muBten durch unsere Forderungen ihren materiel len und sozia-

len Status als klinftiger Privatunternehmer gefa'hrden.

d) In der Arbeitsgemeinschaft wurde durch das Verhalten von Dr. Lu'ders

Selbstkritik als "Schwa'che" und "mangelnde Qualification" interpretiert

und zu Diffamierungen ausgenutzt. Damit war offene Kommunikation un-

mbglich gemacht.

Obwohl die Mitarbeiter unter dieser Kommunikationsstruktur litten, wa-

ren sie nur unter vier Augen in der Lage, unserer Kritik daran Recht

zu geben. Wurden sie forme! 1 zu Stellungnahmen aufgefordert, war die

Angst vor dem Chef und dem Entzug der Privilegien starker als die Hoff-

nung, durch solidarisches Handeln diesen Zustand zu verandern.

Am 30.5.72 erfolgte die Kundigung von Frau Lohmann zum 30.6.72 ohne Angabe von Griinden. Da die Kiindigung wahrend der Probezeit erfolgte, sahen wir keine Mbglichkeit einer Klage vor dem Arbeitsgericht. Am 12.6.72 pladierte Frau Dr. 0., Mitglied des FB-Ausschusses , fiir eine Trennung der beiden Stellen in einem Schreiben an den Vorstand; sie meinte, Dr. Lu'ders solle aus seiner Verantwortung fiir die Neben- stelle entlassen werden.

Am 30.6.72 auflerten drei Pfarrer der NWS in einem Schreiben an den Vorstand, daB sie der Auffassung seien, daB mit der Kiindigung von Frau Lohmann Unrecht geschehen sei .

Am 30.6.72 wurde die Kiindigung rechtskraftig und Frau Lohmann muBte die Stelle verlassen.

Inzwischen versuchte Dr. Lu'ders, durch weitere Diffamierungen die Ent- lassung des Psychologen (Kafitz) zu betreiben. In einem Schreiben an den Vorstand unterstellte er ihm, er habe in seinem Praktikum im Fru'h- jahr 1970 zusammen mit anderen erklart, daB "sie alles versuchen wur- den, urn die FB umzufunktionieren, die Kirche zu unterwandern und be- tont hatten, daB man den Theologen eigentlich keine effektiven psycho- logischen Methoden zur Verfiigung stellen durfe, weil sie damit ihr Oberleben noch verlangern kbnnteri. " Am 18.7.72 erhielt rfer Psychologe die Kiindigung vom Vorstand, ohne daB er zu den Vorwiirfen in der Kiin- digungsbegrundung vorher von Vorstand oder MV gehort worden war. Ihm wurde vorgeworfen, er "wolle beide Beratungsstellen in seinem Sinne umfunktionieren und der FB Westend die von ihm geiibte Arbeitsweise aufzwingen; er habe Herrn Dr. Lu'ders persbnlich in unsachlicher Wei- se angegriffen und die Mitarbeiter gegen ihn aufgewiegelt; es sei ihm schlechthin um die Zerstbrung des von der FB bisher Aufgebauten gegangen.

Am 7.8.72 erhob Herr Kafitz durch RA Golzem Klage vor dem Arbeitsge- richt Ffm. mit dem Antrag, festzustellen , daB das Arbeitsverha'ltnis zwischen den Parteien durch die Kiindigung vom 18.7.72 nicht aufge- lbst ist.

Am 30.8.72 fand beim Arbeitsgericht Ffm. eine Giiteverhandlung statt. Oberkirchenrat Telschow, Verwaltungsdirektor des Evangel ischen Ge- meindeverbandes, sagte zu, durch die zustandigen Gremien iiberprufen zu lassen, ob eine Weiterbescha'ftigung von Herrn Kafitz in Betracht kame. Diese Zusage wurde in das Protokoll der Giiteverhandlung auf- genommen. Sodann schlossen die Parteien einen Vergleich. Diese Zusa- ge wurde spa'ter von dem Vorstand als gegenstandslos bezeichnet. Eine Untersuchung wurde vom Vorstand unterdruckt, obwohl Mitglieder des FB-Ausschusses und Pfarrer der NWS fur die Einsetzung eines Unter- A*\

-

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suchungsausschusses eintraten und Sozialarbeiter, Eltern und Kindei

ga'rtnerinnen der NWS die Riicknahme der Kundigung forderten.

Auch der Antrag von Herrn Kafitz an die Kirchenleitung der EKHN, eine

Untersuchung einzuleiten, blieb ohne Antwort.

Er erhielt zudem ein formal und inhaltlich unangemessenes Zeugnis, das

erst nach Klageandrohung korrigiert wurde.

Obwohl die Kundigung von Herrn Kafitz erst am 30.11.72 wirksam wurde, wurde ihm flir die Monate Oktober-Novetnber 1972 Hausverbot erteilt, so daB er wahrend dieser Zeit die begonnenen Einzeltherapien in Raumen der Evangel ischen Gesamtgemeinde durchflihren muBte, um den Klienten nicht durch einen abrupten Abbruch Schaden zuzufiigen. Die Ev.FB NW war seit Mai 1972 bis September 72 lediglich rait einer Sekretarin und einem Psychologen besetzt, in Oktober 72 nur durch die Sekretarin vertreten, ab 1.11.72 bis 31.12.72 mit einer halbtags und ab 1.1.73 durch eine ganztags ta'tige Psychologin; eine voile Besetzung wird wahrscheinlich erst ab Mitte Juni realisiert. Damit ist diese EB fur die Dauer eines Jahres nicht funktionsfa'hig gewesen.

4. Kritische Einschatzung des Konfliktverlaufs

Durch die Personal isierung der Probleme verlor der Kern des Konflikts immer mehr an Bedeutung.

Von der Personal isierung auf das sachliche Problem zu kommen , war fur uns aus folgenden Gru'nden kaum moglich:

1. war es nicht moglich, mit dem sehr konservativen Vorstand (vorwie- gend CDU-Anhanger) sachlich-inhaltlich zu argumentieren.

2. war es nicht moglich, das verbale Bekenntnis des Dr. Luders, unser Konzept unterstutzen zu wollen, als Lippenbekenntnis und taktisches Manover zu entlarven.

3. Glaubten wir, so viele Beweise fur die unzumutbaren Verhaltnisse in der FB vorlegen zu kbnnen, daB eine Personaldebatte uns nur nutzen konnte.

Diese Personaldebatte kam nicht zustande. Der Vorstand machte si ch

die Diffamierungen zu eigen und kundigte uns, ohne eine Untersuchung

einzuleiten.

Es war eine Illusion anzunehmen, der Vorstand wurde ohne den Druck

einer breiten Sffentlichen Diskussion eine Oberprlifung vornehmen.

5. Der Kern des Konflikts

Es ist offensichtlich, daS die EBs die in den Richtlinien genannten Aufgaben nicht im entferntesten erfiillen kbnnen. Dies nicht nur wegen fehlender Planstellen, sondern vor allem wegen der falschen Ausrichtung ihrer Arbeit.

Die meisten EBs (vor allem die kommunalen, die von den Jugenda'mtern am meisten in Anspruch genommen werden, d.h. mit der Unterschicht befaBt sind), nehmen vor allem diagnostische Aufgaben wahr. Sie geben Empfehlungen an die Ratsuchenden in Form von Kurzberatung oder veran- lassen eine Oberweisung an andere Institutionen (Heime, Kliniken, Heilpa'dagogen, Therapeuten).

Der frustrierende Charakter dieser FlieBbandarbeit wird von den Psycho- logen der EBs der freien Tra'ger (u.a. der Ev.FB Ffm) dadurch aufgeho- ben, daB therapeutische Arbeit an der EB selbst geleistet wird.

Diese Ausrichtung der Arbeit liegt wesentlich im Interesse der Psy- chologen, die damit den Status eines Dienstleistungsexperten ahnlich einem Privattherapeuten erhalten. Gleichzeitig haben sie die Mbglich- keit einer praktischen Ausbildung unter Anleitung ("training on the job") und die Gelegenheit, mit Nebenta'tigkeit als Privattherapeut das Dienstgehalt wesentlich aufzubessern.

Unsere Konzeption ging davon aus, daB die Aufgaben der EB weder durch FlieBbanddiagnostik, noch durch Therapien flir wenige Auserwahlte, weder durch Abschieben von Unterschicht-Angehbrigen an totale Insti- tutionen, noch durch das Angebot von "Macherziehung" fur wenige Mittel- und Oberschicht-Angehbrige erflillt werden kbnnen. Weder der Ruf nach mehr Planstellen fur Therapeuten zur Abarbeitung der Kartell' sten, noch der nach besserer technischer Ausbildung der Therapeuten ist eine Lbsung. Es muS endlich die Konsequenz aus folgenden Tatsachen gezogen werden:

1. daB individuelle Schwierigkeiten gesel lschaftlich bedingt sind;

2. daB individuelle Schwierigkeiten die Regel , nicht die Ausnahme darstellen.

Damit wird das professionelle Dienstleistungsmodell der "Reparatur ab- weichenden Verhaltens" nicht mehr anwendbar. Es wird notwendig, die Arbeit strukturell zu vera'ndern.

Durch unsere Konzeption wollten wir ganz aktuelle Probleme der Ratsu- chenden in Angriff nehmen, das soziale Klima des Stadtteils zu a'ndern suchen und dadurch den Einzelnen Liberhaupt erst einmal so viel Spiel - raum verschaffen, daB eine Aufarbeitung "infantiler Abwehrmechanismen" sinnvoll in Angriff genommen werden konnte.

Diese Arbeit gefa'hrdet die Interessen der Psychologen, die Privat- therapien honoriert haben wollen, und die Interessen des Vorstandes, der die Aufdeckung der gesel 1 schaftl ichen Bedingungen privaten Lei- dens und die daraus folgende Aktivierung von sogenannten Laien flirch- tet als "zu politische" Arbeit.

6. Die Politik des Tra'gers

Die EBS, die nach den Richtlinien des Hess. Sozialministeriums ar- beiten und von ihm anerkannt sind, erhalten Zuschusse in Hbhe von zwei Drittel ihrer Ausgaben.

Wie auf den anderen Gebieten der Sozialflirsorge und Jugendhilfe kbnnen die sogenannten "freien Tra'ger" mit einem Minimum an finanzieller Eigenleistung Eigenwerbung betreiben und ihre eigenen Vorstellungen von Sozialarbeit verwirkl ichen.

Die Evangelische Kirche in Ffm. fungiert als verantwortl icher Tra'ger der Evangelischen Familienberatungsstel len in Ffm. Seit Griindung die- ser Stelle ist die Arbeit auf Therapie ausgerichtet. Der Leiter ist Diplom-Psychologe, Psychoanalytiker und Lehranalytiker am SFI. Durch radikale Privatisierung aller "neurotischen Erkrankungen" und Erzie- hungsprobleme, d.h. Reduzierung dieser Leiden auf individuelle (oder familiare) Beziehungsstbrungen und deren Behebung durch Sozialtech- m'ken, uberla'Bt er das Feld der gesel 1 schaftl ichen Analyse seinem Auftraggeber. Er wird damit funktional einsetzbar als Reparateur der Ware Arbeitskraft.

Wissenschaftliche Konzepte, die individuelles Verhalten durch gesell- schaftliche Bedingungen vermittelt sehen, werden von ihm als subjek- tiv und unwissenschaftlich abgelehnt. Damit liefert er "als Fachmann" 4-3

der Evangelischen Kirche den Vorwand, die angeblich "unwissenschaft- lich, unsachlich Arbeitenden" zu eliminieren.

Die Evangel ische Kirche gibt a) dem Leiter die Mbglichkeit, neben sei- ner Arbeit als Dienststellenleiter Nebentatigkeit als Therapeut auszu- iiben und damit als "Chefarzt" mit "Privatbettenpraxis" zu fungieren; b) den Psychologen die Mbglichkeit, sich als Therapeuten ausbilden zu lassen unter Anleitung des Chef psychologen und nebenbei Privatthera- pien auszufiihren.

Die Evangelische Kirche bietet der Offentl ichkeit hochqualif izierte, z.T. kostenlose Therapieplatze an, was natlirlich auf Kosten der An- zahl der zu behandelnden Klienten gent.

Die Kirche verdunkelt allerdings den Sachverhalt, daB die EBs offent- liche Einrichtungen sind, die vom Staat finanziert werden, dadurch, daB sie diejenigen, die die Beratungsstelle in Anspruch genommen ha- ben, auffordert, eine Spende zu geben als Anerkennung der erhaltenen Dienstlei stung und UnterstLitzung der kunftigen Arbeit. Dadurch gerat der Ratsuchende in Schuld und Abhangigkeit gegeniiber der Kirche, weil er eine empfangene Leistung nicht angemessen honorieren kann. Durch Spenden und Privathonorare wird verschleiert, daB jeder Burger ein Recht auf Beratung hat. Dariiber hinaus wird der Eindruck erweckt, daB selbstverschuldete oder familiare Ursachen flir die Schwierigkeiten der Ratsuchenden anzunehmen sind und daB diese Leiden nur bei wenigen Ausnahmen vorliegen.

Das Interesse der Kirche an Legitimierung ihrer Existenz und das Pro- fitinteresse der Psychologen gehen eine Allianz ein. Predigt und seelsorgerliches Gesprach werden durch das "therapeuti- sche Gesprach" ersetzt. Der zunehmende Legitimationsverlust der Kir- che soil dadurch kompensiert werden. Der wissenschaftliche Fachmann mit technischer Kompetenz tritt tendenziell an die Stelle des Pfar- rers. Pfarrer werden mit Gesprachstherapietechniken oder als Ehebe- rater geschult und fungieren als Berater. Flir die "Seele" wird die Wissenschaft zustandig.

Da die Kirche als Trager der Ev. FB die wissenschaft unter Kontrolle hat, kann sie durch ihre Personalpolitik die ihr genehme Spielart von Wissenschaft unterstutzen und "zu politische" Auffassungen ausschlies- sen,

Die Kirche hat inzwischen eingesehen, daB gemeinwesenorientierte 3e- ratungsarbeit in der NWS notwendig ist. Auf der anderen Seite fiirch- tet sie die praktischen Konsequenzen dieser Arbeit. Sie lost diesen Widerspruch.indem sie durch Inserate Bewerber sucht, die Interesse haben an "sozialtherapeutischer und prophylaktischer Arbeit, Gruppen- arbeit, Gemeinwesenarbeit" (s.ZEIT vom 18.1 .1973), und Psychologen und Psychagogen einstellt, die flir klinisch-therapeutische Einzel- fallhilfe ausgebildet sind.

Die Orwel lsche Sprache muB - wie bei unserer Entlassung - die Diskre- panz zwischen Anspruch und Wirklichkeit systematisch verschleiern. Theoretische Einsicht und praktische Verwirkl ichung stehen beziehungs- los gegeniiber. Reden und Handeln sind zweierlei: urn einer inhaltlichen Diskussion Liber gemeinwesenorientierte Beratungsarbeit auszuweichen, wird sie verbal zugestanden, praktisch aber ausgeschaltet.

44

7. Kritik des "klinisch-therapeutischen" Dienstleistungsmodells

"Klinisch-therapeutisch" arbeitende Psychologen und Psychagogen ver- treten gemaB ihrem Selbstverstandm's wissenschaftliche, sachlich-neu- trale, den Menschen dienende, unpolitische Interessen. In Wirklichkeit betreiben sie Verleugnung der gesellschaftlichen Realitat zugunsten einer radikalen Privatisierung individuel len Leidens. Sie unterstiitzen damit objektiv gesel Ischaftliche Interessengruppen, die aus Angst urn ihre Privilegien systematisch eine Aufklarung Liber gesellschaftliche Zusammenhange und die Notwendigkeit solidarischen, gleichberechtigten Handelns gegeniiber UnterdrLickung und Zwangen verhindern. FLir viele in der Sozialarbeit Tatige scheint die Reflexion Liber die Funktion der sogenannten "klinisch-therapeutischen Arbeit" unter einem Denkverbot zu stehenj dies liegt wahrscheinlich daran, daB die Berufs- ausbildung als Therapeut/Psychagoge als Aufstieg bzw. Ausstieg aus der gesel lschaftspolitischen Arbeit angestrebt bzw. offengehalten wird.

Zwei Aspekte der klinisch-therapeutischen Arbeit scheinen uns von Be- deutung zu sein:

a) die politisch-ideologische Dimension dieser Arbeit:

Es wird der Eindruck erweckt, nur Experten mit schulischen Zertifika- ten hatten die ndtigen Fahigkeiten; die Dienstleistungen des Experten muSter mit Privilegien und Machtpositionen gekoppelt sein; individuel- les Leiden sei selbstverschuldet oder familiar bedingt und so selten, daB wenige Experten zur Reparatur geniigen; die Experten seien fur al- le gesellschaftlichen Gruppen da: Unterschicht-Angehbrige wiirden nur infolge zufalliger technischer Regeln (IQ-, Verbalisations-Def izite) ausgeschlossen.

Durch all das entsteht der Eindruck, die bestehende Gesellschaft sei in Ordnung, kleinere Korrekturen werden zuverlassig von Experten vor- genommen.

b) die mangelnde Transparenz und die daraus folgende Oberschatzung der technischen Funktion der "klinisch-therapeutischen" Arbeit: E. Goffman gibt in seinem kLirzlich auch in deutsch erschienenen Buch "Asyle" dazu einige Hinweise. Seine Ausfiihrungen beziehen sich auf Patienten von Heilanstalten in den USA. Hier ein Auszug (sinngema'S zitiert):

"(1) Nur bei wenigen Fallen von seelischen Stbrungen (verbunden mit Hirntumoren, progressiver Paralyse, Arteriosklerose, Meningitis usw.) treffen die Voraussetzungen des Dienstleistungsmodells zu: ein in einer seltenen Zufallsverteilung auftretendes Ereignis schadigt die geistige Funktion des Klienten, ohne daS jemand dies beabsichtigt und ohne daB er persbnlich dafur verantwortlich ware. Aber: Das Symptomverhal- ten des Patienten ist Teil seiner zwischenmenschlichen Situation; die interpersonelle llmwelt des Patienten ist von seinen Schwierigkeiten nicht zu trennen.

(2) Die Fakten der Patienten-Rekrutierung muB der Therapeut Libersehen, rationalisieren, hinwegdeuten. Er wehrt die Wiinsche, Klagen und For- derungen des Patienten ab, indem er ihn davon Liberzeugt, daB die Pro- bleme, die er seiner Meinung nach mit ihm (dem Therapeuten), mit der Verwandtschaft, mit der Gesellschaft usw. hat, in Wirklichkeit seine eigenen Probleme sind. - So kann ein Therapeut der Beschwerde eines Negers Liber die Rassenbeziehungen dadurch begegnen, daS er dem Patien- ten vorhalt, er musse sich erst einmal selbst fragen, warum unter al- ien Negern ausgerechnet er diesen besonderen Augenblick wahlte, urn A C

seiner Meinung Ausdruck zu gesehen von den gegenwartig hungen, fiir inn als Person (3) Die therapeutische Lern sung im Verhaltnis zu seine technische Fertigkeit. Ein so befa'higt, einem Patiente ausgebil deter Psychiater, u der EinfluB des Warters for rend dieser nur in groBeren ausgesetzt ist."

geben, und was diese AuBerung, eintnal ab-

in der Klinik herrschenden Rassenbezie- bedeuten wiirde.

erfahrung zu vermitteln, urn eine Fehlanpas- n Mitmenschen zu korrigieren, ist keine Stationswarter ist anscheinend haufig eben- n eine "gute" Beziehung zu bieten, wie ein nd gleichgiiltig, ob gut Oder schlecht, wird twa'hrend auf den Patienten einwirken, wah- Abstanden dem EinfluB des Psychiaters

Aus dieser Einschatzung der ideologischen und der "technischen" Funk- tion des kli nisch-tehrapeutischen Dienstleistungsmodells wird es not- wendig, die sogenannten "kl inisch-therapeutischen F'a'hiqkeiten" zu ver- gesellschaften, damit sie aufhoren, ein "berufliches" Privileg zu sein, das von einigen wenigen auf Kosten aller in Besitz gehalten wird. Das geschieht durch Kampf gegen die esoterische Fachsprache der Spe- zialisten; durch neue Definition der Qualifikationsskala; durch radi- kale Veranderung des Ausbildungsprozesses und der Arbeitsteilung (Andre Gorz) .

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REIHE ROTER PAUKER

MATERIALIEN ZUR UNTERRICHTSPRAXIS

Heft 6, Unterrichtseinheit "Lateinamerika"

Die UE Lateinamerika wurde im Friihjahr 1971 an der Ernst-Reuter-Schule Frankfurt erarbeitet und im Unterricht (7. Klassen Gesellschaftslehre) er- probt. Diese UE setzt sich weder zum Ziel, den Schtilern eine Theorie des Imperialismus zu ver- mitteln, noch kann sie sich auf der abstrakten Ebene imperialistischer Erscheinungsformen die Abhangigkeit von Weltmarktpreisen und Verschlech- terung der 'terms off trade' ,Technologietransfer, Kreditverschuldung usw. bewegen. Sie beschrankt sich vielmehr darauf , am Beispiel der Staaten Brasilien, Peru, Chile und Kuba anhand zweier Froblemkreise (Landverteilung und Rohstoffkon- trolle) wesentliche Ursachen der Unterentwick- lung und die unterschiedlichen politischen Wege zu deren Bewaltigung aufzuzeigen.

6o Seiten, broschiert, DM k.

Verlag 2ooo GmbH, 6o5 Offenbach 1*, Postfach 591

Konektivpraktikum im Heim

Vorwort:

Im folgenden Artikel geht es urn die Darstellung der Konflikte von 4 Berufspraktikanten (BP) mit der Sozialburokratie und der Heimlei- tung bei der EinstelTung der BP und ihrer Weiterbeschaftigung als So- zialarbeiter im Heim. Da der Heimleitung aus Vorerfahrungen mit einzel- nen Berufspraktikanten bekannt war, daB von ihnen Veranderungen hin- sichtlich der padagogischen Arbeit und der gesamten hierarchischen Heimstruktur angestrebt werden, versuchte sie mit Hilfe der Sozialbu- rokratie die Einstellung der BP als Sozialarbeiter in das Heim zu verhindern. Der Artikel beschrankt sich auf die Beschreibung der Aus- einandersetzung der BP mit den Institutionen.

I Kurzdarstel lung des Heimes:

In der zweiten Halfte des Berufspraktikums arbeiteten wir im Kinder- heim EbersheimstraBe, einem stadtischen Heim im Zentrum von Frank- furt/M. Das Heim m'mmt Kinder im schulpflichtigen Alter auf; sie wer- den durch die stadtischen Sozialstationen eingewiesen, zum grbBten Teil als eine MaBnahme der brtlichen Unterbringung oder der Freiwil- ligen Erziehungshilfe (FEH).

Der uberwiegende Teil der Kinder kommt aus Arbeiterfamilien. Zu Be- ginn des Berufspraktikums lag die Belegzahl bei 50 Kindern, am Ende bei ca. 30. Es bestehen 3 Kindergruppen mit je 11 Kindern. Im Heim sind zum grb'Bten Teil Erzieherinnen beschaftigt; es besteht eine hone Fluktuation des Personals. Die Zusammensetzung des padagogischen Per- sonals wahrend des Berufspraktikums war folgende: Heimleiterin (Jugend- leiterin), stellvertretende Leiterin (Kindergartnerin) , 4 Erzieherin- nen, ein Hilfserzieher, ein Vorpraktikant ohne padagogische Vorbildung.

II Chronologische Darstellung des Konflikts:

- Im Friihjahr 71 gab die Heimleitu fur unsere Einstellung. Daraufhin der Hauptfiirsorgerin,

- Im Sommer 71 erhielten wir von i

- Im Oktober 71 Beginn der ersten schiedenen Dienststel len der Sozia vertra'ge, nach denen wir im 2. Hal eingesetzt werden sollten.

- Im Dezember 71 wurden innerhalb daB wir nicht in der Ebersheimstr. bei der Heimleitung ergab, daB im finden sollte.

ng der EbersheimstraBe die Zusage bewarben wir uns schriftlich bei

hr eine feste Zusage. Halfte des Jahrespraktikums in ver- :lverwaltung. Wir erhielten Ausbildungs- bjahr im Kinderheim Ebersheimstr.

der Sozialverwaltung Geru'chte laut,

arbeiten konnten. Eine Riickfrage Januar ein klarendes Gesprach statt-

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- Entgegen der Vereinbarung kam das Gesprach nicht zustande.

- Anfang Februar 72 drangten wir auf ein Gesprach, urn Klarheit liber unsere Einstellung zu erhalten. Die Heimleiterin konnte uns keinen Termin nennen, weil sie wegen der schlechten Personalsituation keine Zeit hatte. Wir erhielten trotzdem von der Leiterin der Abteilung Erziehungshilfe einen Gesprachstermin mit der Heimleitung.

- Einen Tag vor der Besprechung teilte uns die Abteilung Erziehungs- hilfe mit, die Heimleiterin sei krank. Eine Einstellung der 4 Berufs- praktikanten lehne sie ab. Als GrLinde wurden von der Heimleitung ge- nannt:

a) Da zu wenig Fachpersonal im Heim arbeite, kdnne unsere Anleitung nicht gewa'hrleistet werden.

b) Schon bestehende Spannung lieBen weitere potentielle Unruhe durch 4 junge Praktikanten nicht zu.

Tatsachlich hatte sich die Personalsituation seit der Zusage der Heim- leiterin und dem Beginn des Berufspraktikums nicht geandert.

- Urn unsere Situation auch rechtlich zu klaren, kam es zu einem Gesprach mit der Personalabteilung. Die wichtigsten Punkte der Besprechung am 9.2.72 waren:

a) Der Leiter der Personalabteilung konnte nicht begreifen, warum wir Ausbildungsvertrage fiir die Ebersheimstr. besitzen, da sich der Dienst- herr in der Regel vorbeha'lt, wo Angestellte eingesetzt werden.

b) Er teilte uns mit, daB letztlich die Heimleitung bestimmt, wer in ihrem Heim arbeitet.

c) Er bot uns Arbeitsplatze verstreut.in verschiedenen Heimen.an.

d) Er a'uBerte, er kbnne sich gut vorstellen, daB wir nur alles umstur- zen wlirden und dann wieder gehen.

e) Sein Vorwurf, daB keine Sozialarbeiter in den Heimen arbeiten, wie- sen wir mit der Feststellung zurlick, daB es dort keine Sozialarbeiter- stellen mit entsprechender Bezahlung gibt. Darauf versicherte er uns, er werde sich fiir die Schaffung dieser Stellen einsetzen,

f) Ergebnis der Unterredung war die Zusage, daB sic.i der Leiter der Personalabteilung f'Jr unsere Einstellung einsetzen wird.

■■ Mitte Februar 7? erfuhren wir von der Abteilung Erziehungshilfe, da3 die Heimleitung unter der Bedingung mit unserer Einstellung einverstan- den ist, daB sich eine Fachkraft bereitfindet , die entstehenden Kon- flikte im Heim mit der gesamten Heimpersonalgruppe aufzuarbeiten.

- Die Sozialverwaltung schlug einen Sozialarbeiter mit Zusatzausbil - dung vor, der auch selbst in der Heimarbeit tatig war, die Berufsprak- tikanten nannten einen Dozenten der FHS Frankfurt. Laut Vereinbarung sollten das Heimpersonal und die Berufspraktikanten die Entscheidung treffen. Die Berufspraktikanten hatten den ihnen bekannten Dozenten vorgeschlagen, nachdem ein Gesprach mit dem von der Verwaltung vorge- schlagenen Sozialarbeiter padagogisch unterschiedliche Vorstel lungen erkennen lieB.

Die Entscheidung wurde tatsachlich allein von der Heimleitung zugun- sten des Sozialarbeiters getroffen, ohne mit den Mitarbeitern und den Berufspraktikanten zu sprechen.

Anla'Blich der Entscheidung traten innerhalb der Berufspraktikanten- gruppe die ersten Differenzen liber die Strategie der Gruppe auf. Wa'h- rend ein Gruppenmitglied die Meinung vertrat, die einsame Entscheidung der Heimleitung nicht akzeptieren zu du'rfen und das Praktikum fallen zu lassen, meinten die anderen, die Sozialverwaltung konnte in dem Moment die Ansicht verbreiten, Sozialarbeiter wollten in der Heimpraxis

nicht arbeiten, sondern nur liber die MiSstande "motzen". - Die Grup- pe entschied sich fiir das Praktikum.

- Die Einstellung in das Heim erfoTgte letztlich nur, wie uns der Lei- ter der Personalabteilung nochmals versicherte, aufgrund der falsch ausgestellten Ausbildungsvertrage.

- Bevor wir anfingen, im Heim zu arbeiten, erfolgte von Sei ten der So- zialverwaltung der Versuch der Aufsplitterung von Erziehern und Be- rufspraktikanten. Eine Mitarbeiterin, die Kritik am Heim iibte und of- fer! mit den BP sympathisierte, erhielt ein Versetzungsschreiben mit der Begriindung, daB mit der Einstellung der BP zuviel Fachpersonal

im Heim arbeite.

- Das Heim gab keine nahere Erklarung. Die Heimleitung versicherte le- diglich, daB sie fiir ein Verbleiben der Erzieherin gegentiber der So- zialverwaltung eingetreten sei.

- Darauf hi n kam es zu einer erneuten Auseinandersetzung mit dem Leiter der Personalabteilung. Unseren Einsatz fiir die versetzte Erzieherin nahm der Leiter der Personalabteilung als Beweis fiir die zerstbreri- schen Absichten im Heim. Er widersetzte sich unserer Forderunge nach Mitsprache. Er wliBte jetzt schon, was wir wollten und wiirde "kalte Flipe bekommen bei dem Gedanken, daB er ungliicklicherweise unsere Aus- bildungsvertrage fiir die Ebersheimstr. unterschrieben habe". Auf un- sere Beflirchtungen, auch nach kurzer Zeit versetzt zu werden, entgeg- nete er, dies sei aufgrund unserer Ausbildungsvertrage im Gegensatz

zu den librigen Mitarbeitern nicht mdglich.

Wir brachten zum Ausdruck, uns mit der geplanten Versetzung nicht ab- zufinden, und daB die Angelegenheit ein "Nachspiel" hatte. Daraufhin reagierte der Leiter der Personalabteilung mit den Worten, "was Sie wollen, wei'B ich schon, seit ich Sie zum ersten Mai gesehen habe. ...Was soil's, dann schlieBen wir eben noch ein Heim". Nachdem sich auch die FHS mit in den Konflikt eingeschaltet hatte, wurde die Ver- setzung zurlickgenommen.

- 4.4.72 Beginn der Arbeit im Heim. In jeder Kindergruppe wurde ein BP eingesetzt (zu Beginn bestanden 4 Gruppen).

- 4.4.72 Beginn der Dienstbesprechungen und Supervision unter Teilnah- me aller Mitarbeiter (zeitlich bildete beides eine Einheit). Vor der Einstellung der BP fanden keine Dienstbesprechungen statt.

- 19.4.72 Die Heimleitung berichtete in einer Dienstbesprechung, daB eine neue Erzieherin ab 1.5.72 als Halbtagskraft fest eingestellt sei. (Widerspruch: vorher sollte Fachpersonal abgezogen werden, plb'tzlich wird neues eingesetzt). Die neue Erzieherin gibt offen zu, daB sie die BP fiir zerstbrerische Krafte im Heim halt, wahrend von ihr eine gute Personalakte in der Personalabteilung vorliege. Das Heimpersonal wurde vor der Einstellung der Erzieherin nicht gefragt.

- Mai 72, Konflikte der BP-Gruppe mit dem Supervisor, da er seine Funktion in der Unterstiitzung der kranken Heimleiterin sieht. Er meint, selbst Heimleiterfunktionen ubernehmen zu miissen und greift in das Heimleben ein. In alien weiteren Dienstbesprechungen, deren Einrich- tung eigentlich der kommunikativen Orientierung iiber die Probleme und Zielsetzungen der Erziehungsarbeit dienen sollte, geschah nichts wei- teres, als daB organisatorische Dinge besprochen wurden. Kam es zur Diskussion von Erziehungsvorstellungen, war eine sachliche Diskussion nicht mb'glich. Der Supervisor versuchte nicht zu vermitteln, sondern libernahm die Vorwiirfe der Mitarbeiter, wir wollten ohne eigenen Ein- satz nur kritisieren. Die unterschiedlichen Meinungen standen sich so 49

scheinbar uniiberwindlich gegeniiber. Die Diskiissionen endeten in der Regel mit dem Hinweis des Supervisors, daB die Mitarbeiter von Haus aus kein Mitbestimmungsrecht ha'tten und ihre Mitsprache nur aufgrund frei- willigen Entgegenkommens der Heimleiterin mb'glich sei.

- Da die Diskussion liber padagogische Vorstellungen vonseiten der Heim- mitarbeiter imrner wieder mit dem Argument, die BP wiirden nach einem halben Jahr wieder gehen und sie mu'Bten dann die Arbeit im Heim lei- sten, abgewiirgt wurde, bewarben wir uns am 18.6.72 als Sozialarbeiter fur das Heim zum 1.10.72.

- Nach dieser Zeit versuchten wir wiederholt, eine Antwort zu erhal- ten. Wir wurden bis zum 5.9.72 durch Taktieren der Sozialverwaltung vertrbstet. (Urlaub der zustandigen Bearbeiter, Verlegen der Akte, Unklarheiten Liber die Zustandigkeiten).

- 24.8.72 Bewerbung von 3 GM als Erzieher im Heim, da informell die Ablehnung durchgesickert war. Das vierte GM hielt die Bewerbung flir falsch, da hierdurch die Sozialverwaltung kaum noch genb'tigt scheint, Sozialarbeiterstellen flir ihre Heime zu schaffen. Tendenziell kbnnte fur die Verwaltung der Eindruck entstehen, daB man Fachkrafte auch billiger haben kbnnte, wenn man diese bei ihrem "Idealismus" und Ver- antwortungsgeflihl fur die Kinder packe.

- 5.9.72, Ablehnung der Bewerbung als Sozialarbeiter aus tarifrechtlichen Grlinden durch die Personalabteilung.

Dokument :

"Ihren Antrag vom 18.6.72 auf Weiterbescha'ftigung als Sozialarbeiter im Kinderheim Ebersheimstr. haben wir mit Schreiben vom 30.6.72 dem Personalamt zur Entscheidung vorgelegt. Von diesem Amt erhielten wir unter dem 1.9.72 folgenden Bescheid:

Im Hinblick darauf, daB es sich bei den wahrzunehmenden Stellen urn Er- zieherstellen der Verglitungsgruppe Vc BAT handelt, die Sozialarbei- ter jedoch nach Erhalt der staatlichen Anerkennung eine Vergutung nach Verglitungsgruppe Vb bzw. IVb BAT erhalten, sehen wir leider keine Mbg- lichkeit, dem Wunsch der o.g. Mitarbeiter zu entsprechen,"

Dokument :

"Hiermit bewerbe ich mich flir die weitere Tatigkeit im Kinderheim Ebersheimstr. nach Beendigung meines Berufspraktikums ab 1.10.72 .als Erzieher. Folgende Begriindung:

Die bisherigen Verhandlungen haben ergeben, daB im Stellenplan der stadtischen Kinderheime keine Planstellen fur umfassend qualifizier- tes Fachpersonal (Sozialarbeiter und Sozial padagogen) vorgesehen sind. Da ich mich jedoch wahrend meiner Ausbildung auf den Heimbereich spe- zialisiert habe, ich im iibrigen die in der vorausgegangenen Bewerbung als Sozialarbeiter gegebene Begriindung weiterhin anerkenne, bewerbe ich mich gezwungenermaBen nach untertariflichen Bedingungen. - Eine solche Entscheidung darf jedoch lediglich als befristete Notlbsung angesehen werden, da eine Oberprlifung des Stell enplanes flir Kinder- heime der Stadt Frankfurt hinsichtlich einer qualifizierten, dem neu- esten wissenschaftlichen Stand entsprechenden Arbeit an den Kindern durch die Fachaufsicht der Heimabteilung notwendig ist."

- 18.9.72 Erstes Antwortschreiben der Sozialverwaltung:

D o k a m en t :

"Wir haben Ihren Antrag auf Weiterbescha'ftigung als Erzieherin ab 1. 10.72 erhalten. Leider kann der Personalrat des Sozial-, Jugend- und Sozialverwaltungsamtes erst in seiner Sitzung am 26.9.72 liber Ih- ren Antrag entscheiden." - 26.9.72 Zweites Antwortschreiben der Sozialverwaltung:

Dokument

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"lm INachgang zu unserem Schreiben vom 3.9.72 teilen wir Ihnen mit daB sich die Mehrzahl des pa'dagogi sehen Personals des Kinderheimes Ebersheim- strasse gegen Ihre Weiterbescha'ftigung als Erzieherin ausgesprochen hat Wir sehen aufgrund dieser Sachlage keine Mbglichkeit, Ihrem Antrag auf Weiterbescha'ftigung stattzugeben. "

- Als letztes Hittel , urn den BP die Einstellung zu verwehren, bediente sich die Sozialverwaltung einer fiktiven Mitbestlmmung der Heimmitar- beiter, die es vorher nicht. gab und auch heute nicht gibt.

Ill Strategie der Gruppe:

a) Im Heim

In den Voruberiegungen zu dem Kollektivpraktikum wurden folgende Se- sichtspunkte wesentlich berikksichtigt: die bastehende Hierarchie im Heim sollte gemeinsam nit den Mitarbeitern aufgedeckt und vera'ndert werden. Urn diss zu kbnnen, muBte eine regelma'Bige Dienstbesprechung eingefiihrt werden. Gleichzeitig solltan die bestehenden Konfl ikte zwi- schen Heim und Sozialverwaltung verbalisiert und solidan'SCh von den Heimmitarbeitern ausgetragen werden. Erziehungsinhalte sollten hinter- fragt werden. Dabei sallte eine Konfrontation zwischen BP und Heimper- sonal vermieden werden. AuBerdem wollten wir nicht den Erwartungan des Heimpersonals, Sozialverwaltung und unseres Praxisdozenten von einem aggressiven, blind agierenden Auftreten der Berufspraktikanten ent- sprechen. Die Folge war: Die Gruppe paSte sich zunachst passiv an und verhielt sich teilweise opportunistisch gegenuber den Mitarbeitern. Hin- zu kam, daB die geplante Kommunikation zwischen den Praktikanten selbst durch die Aufteilung in 4 Kindergruppen und die verschiedenen Dienst- zeiten eingeschrankt war. Viele Energien wurden fUr Gespra'che nach DienstschluS aufgebracht. Die Mitarbeiter zeigten dann auch teilweise in Einzelgesprachen die Bereitschaft , Konflikte zu artikulieren und auf- brechen zu lassen. Im Beisein der Heimleitung schwand allerdings die- se Bereitschaft wieder.

Als die BP dann mehr und mehr zu einer Konfl iktstrategie ubergingen, waren die Fronten flir eine Auseinandersetzung schon zu verhartet. Die Taktik der Heimleitung konzentrierte sich jetzt auf Einzelgespra'che. In solchen Gesprachen lieB sie einflie&en, daB ihr keine qualifizier- ten Mitarbeiter zur Verfligung stiinden und mit dem vorhandenen "unqua- lifizierten" Heimpersonal kbnne sie nichts gegen die Sozialverwaltung ausrichten. Diese Taktik des Gegeneinanderausspielens , die Verteilung von Lob und Tadel , verhinderte nicht nur eine Solidarisierung der Mit- arbeiter mit den BP, sondern fiihrte auch in der Praktikantengruppe zum Aufbrechen der Sol idaritat. Das Schreiben vom 26.9.72 (vgl. S. ) erhielten nur 2 BP, wahrend der dritte einen befristeten Arbeitsver- 51 trag bis zum 31.11.72, Verglitungsgruppe Vllb BAT bekam. Danach erhielt auch er sein Klindigungsschreiben:

Do k u m e n t :

"Aufgrund Ihrer o.a. Zuschriften haben wir die Moglichkeit Ihrer Wei- terbeschaftigung im Kinderheim Ebersheimstr. einer eingehenden Priifung unterzogen. Nach Abwagung aller Fakten kommen wir zu dem fur Sie leider negativen Ergebnis, daB es wohl fiir alle Beteiligten besser ist, wenn Sie aus dem padagogischen Dienst im Kinderheim Ebersheimstr. mit Ab- lauf des befristeten Arbeitsvertrages, dem 30.11.72, ausscheiden."

Der Kreislauf von der Weigerung.die BP im Heim arbeiten zu lassen, bis zur Verweigerung der Weiterarbeit nach der Praktikumszeit hat sich geschlossen.

b) Nach auSen

In dem halben Oahr nahm die Gruppe Kontakte zu SPD-Abgeordneten im SozialausschuB der Stadt Ffm. auf. Wir wollten mit ihnen die Frage abklaren, inwieweit sie sich fiir die Veranderung der Heimsituation ein- setzen und die Einrichtung von Sozialarbeiterstellen unterstlitzen. Die Gesprache waren von ihrer Seite her durch vorsichtiges Taktieren gegenuber dem Heim und der Sozialverwaltung bestimmt, da die bevor- stehende Kommunalwahl die eigene "Nestbeschmutzung" nicht zulieB. Die Verbindung zu den SPD-Leuten brach ab, als ein von ihnen geplanter Heimbesuch durch das Erkranken eines Abgeordneten ausfiel. Der Personalrat der Stadt Ffm., der wiederholt von uns angeschrieben und angesprochen wurde, reagierte nie.

Die OTV-Fachgruppe Sozialarbeit - hatte zu der Zeit andere Dinge zu tun, die ein Beschaftigen mit der Situation der BP nicht zulieBen. Der AKS schaltete sich nicht ein, wahrscheinlich wurde der Anspruch der BP als zu unpolitisch gesehen.

IV AbschlieSende Einscha'tzung des Konfliktes:

Die Erfahrungen haben uns gelehrt, daB in der Heimarbeit ei gogisch inhaltliche und in ihrem politischen Stellenwert ve Arbeit auch dann nicht ohne weiteres erreicht werden kann, relativ starke (zahlenma'Big) Gruppe von 4 Sozialarbeitern i Institution eintritt. Hierarchische Machtstrukturen im Heim eine Veranderung der padagogischen Arbeit, die vom Willen u nis der Betroffenen (Kinder und Jugendliche) bestimmt werde Eine solche Arbeit wurde Aufgabe von Verfligungs- und Kontro der Burokratie erfordern. Ebenso sperrt sich die in der Hie libergeordnete Sozialverwaltung gegen Anspriiche des Heimes, aus der konsequenten Orientierung auf die Heimbewohner resu sollten.

Beide Machtstrukturen verbinden sich zu einer gewaltsamen E wenn es darum geht, unbequeme Kontroll- und Anpassungsfunkt Frage stellende Berufspraktikanten aus der Arbeit zu entlas

ne pa'da- ra'nderte wenn eine n eine verhindern nd Bediirf- n sollte. llgewalt rarchie die eben ltieren

inheit, ionen in sen.

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Bericht

iiber die Institutional!' si erung

der Gemeinwesenarbeit

mit Obdachlosen in Frankfurt

- Lehrbei spiel und seine Konsequenzen

I Geschichte und Entwicklung

1969 billigte die SPD-Fraktion den Etat zum Bau von 300 Wohnungen fiir die Umsiedlung der Bewohner aus Notunterkiinften. Im Februar 1970 for- derte sie die Einrichtung einer Gruppe von Sozialarbeitern, die im Rahmen der Fachstelle "NichtseBhaftenhilfe und soz. Wohnraumhilfe" die gesamte Arbeit fiir Bewohner in sozialen Brennpunkten erledigen soil. Im November 1970 beschloS der Magistrat:

"Mit Wirkung vom 1.1. 1970 werden bei der Sozialverwaltung, Fachstelle fiir NichtseBhaftenhilfe und soz. Wohnraumhilfe 8 Inspektorenstellen nach Bes.Gr. A 9 neu geschaffen."

Trotz intensiver Bemiihungen konnten die Stellen jedoch nicht besetzt werden, denn die Bewerber wurden von vornherein abgeschreckt durch einen Arbeitsplan, der ihre Aufgaben bis in Einzelheiten festlegte und neuen Methoden keinen Raum lieB. Dies war fiir die Behbrde aber kein Hinderungsgrund, die Auflbsung der Obdachlosensiedlungen trotzdem zu beginnen. Diese unkoordinierte Arbeit loste bei den Betroffenen Unruhe und Unsicherheit aus, die sich auch auf die zustandigen Sozial- arbeiter in den Sozialstationen ausweitete.

Diese betroffenen Sozialarbeiter trafen sich schlieBlich im Mai 1971 zu einem Austauschgesprach; liber die Grlinde der auftauchenden Schwie- rigkeiten beschlossen sie, mit den zustandigen Amtsvertretern zu spre- chen. In einem Brief der Sozialarbeiter an das Sozialamt vom 4.8.1971 heiBt es u.a.: ~ "

"Wir glauben, daB bisher vorrangig administrative und weniger sozial- padagogische Gesichtspunkte bei der Umsetzung von Familien und Einzel- personen maBgebend waren. ...Eine solche Erfahrung miiBte zwangslaufig den betroffenen Personenkreis noch mutloser werden lassen. Hierdurch wurde jede Initiative nach auBen gelahmt und die soziale Isolierung nicht aufgehoben.sondern verstarkt und damit eine Eingl iederung in das neue Gemeinwesen verhindert. . . .Abschl ieSend mochten wir darlegen, daS wir grundsatzl ich in der Abteilung Gefahrdetenhilfe arbeiten wur- den, sehen aber auf Grund der Gesprache mit Herrn D, und des uns vor- liegenden Informationsmaterials keine Moglichkeit, unsere Vorstellun- gen in diese Arbeit einzubringen. ...Wir waren bereit, unseren Stand- punkt zu uberpriifen, wenn wir durch entsprechende Beschllisse der Stadt- verordneten einen politischen Willen zur Gemeinwesenarbeit in den Not- unterkiinften erkennen konnten."

Das auf diesen Brief hin gefuhrte Gespra'ch brachte keine Snderung der Standpunkte. Die inter essierten Sozialarbeiter lehnten die Arbeits- aufnahme ab. In seinem Antwortbrief vom 14.9.1971 schreibt Mag. Rat D. : "Alle Entscheidungen der Vertretungskorperschaften erfolgen aus sozial- padagogischen Griinden. Das Ziel dieser Arbeit ist eindeutig: Besei- _ _ tigung der Obdachlosigkeit." Ov3

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Dber die Methoden, dieses Ziel zu erreichen, gibt es verschiedene Auffassungen. Ob die Gemeinwesenarbeit dazu der einzige Weg sein wird, ist keineswegs erwiesen. Wo sie in Ansatzpunkten durchgefiihrt worden ist, scheint mindestens Skepsis angebracht."

Da die Stellen nun immer noch unbesetzt sind, beschlossen die Leiter der Sozialstationen in ihrem Arbeitskreis im November 1971 einen amts- internen Personalausgleich. Dies bedeutete flir al le Sozialarbeiter in den Sozialstationen die Gefahr der unfreiwill igen Versetzung in die Abt. soz. Wohnraumhilfe. Die dadurch entstehenden Liicken sollten zudem ausgeglichen werden durch eine Neuordnung- und das hiefi in diesem Fall VergrbBerung - der bisherigen Bezirke, was zur verstarkten Belastung der einzelnen Sozialarbeiter fiihren wurde.

Zur Abwehr dieser MaBnahme wurde von ca. 80 Sozialarbeitern ein Schrei- ben an den Stadtrat und die Leiter des Sozialverwaltungsamtes, des Sozialamtes und des Jugendamtes geschickt. In diesem Brief wird noch einmal die bisherige Entwicklung aus ihrer Sicht dargestellt. Abschlies- send hei|5t es darin:

"Da das vorgelegte Konzept bereits am 1.1.1972 verwirklicht werden soil, erwarten wir Ihre Stellungnahme bis zum 10.12.1971 an alle So- zialstationen und das Sachgebiet Soziale Wohnraumhilfe. Wir halten die beabsichtigte Umorganisation flir alle Betroffenen derartig ein- schneidend, daB wir uns vorbehalten, die politischen Gremien zu be- nachrichtigen, falls wir keine befriedigende Antwort erhalten soll- ten."

Dieser letzte Satz wirbelte so viel Staub auf, dal3 sich die Gruppe gezwungen sah, die Lage durch ein weiteres Schreiben vom 16.12.71 zu entscharfen: "Die gewahlte Formulierung war nicht als Ndtigung ge- dacht." Aufgrund des ersten Schreibens an die Amtsleitungen wurden die Unterzeichner von Amtsvorgesetzten mit KuBerungen wie: 'Frau X, das ha'tte ich von ihnen nicht gedacht1 Oder 'Was sagt denn ihr Mcnn dazu1 z.T. so unter Druck gesetzt, daB sie ihre Unterschriften wilder zurlickzogen. Sie konnten den Entzug von Anerkennung, mit dem ihre Vorgesetzten drohten, nicht langer ertragen. Eb nfalls am 16.12.1971 sandte der Stadtrat einen Brief an den Per- so alrat, in dem er auf seine Sicht der Dinge und die Unterstlitzung durch den Kreis der Oberflirsorgerinnen hinwies. Bevor hier der letzte Abschnitt dieses Briefes zitiert wird, soil noch darauf hingewiesen werden, daB Stadtrat G. CDU-Mitglied ist und seinen Posten der groBen Rbmerkoalition zwischen SPD und CDU verdankt:

"SchlieBlich muB ich die Form des Schreibens vom 26.11.1971 beanstan- den. Als Dezernent und hauptamtlicher Beigeordneter der Stadt Frank- furt a.M. bin ich fiir meine Tatigkeit dem Magistrat und der Stadtver- ordnetenversamntlung verantwortlich. Ich trage diese Verantwortung un- abha'ngig von der Auffassung anderer Personen oder Gruppen. Deshalb kann ich es nicht hinnehmen, daB eine Gruppe von Sozialarbeitern nrir vorschreiben will, in welcher Zeit ich verantwortliche Tatigkeit auslibe oder in welcher Zeit ich auf ein Schreiben zu antworten habe und mir fiir den Fall, daB ich die von ihr gesetzte Frist nicht einhalte, sogar die unmittelbare Verhandlung mit politischen Gremien androht. Dies grenzt schon fast an Nbtigung. Ich ware Ihnen deshalb dankbar, wern Sie die Initiatoren dieses Schreibens Liber die von mir dargestellte Sach- und Rechtslage unterrichten und darauf hinwirken wollten, daB derartige Schreiben in Zukunft unterbleiben, die nur geeignet sind, die Zusammenarbeit innerhalb der Sozialverwaltung zu gefahrden und

den Arbeitsfrieden zu stbren."

Nun wurde ein Gesprach zwischen den Leitern der Sozialstationen fiir den 4.1.1972 vereinbart, zu dem die Initiativgruppe Obdachlosenarbeit einen "Vorschlag zur Konzipierung der Obdachlosenarbeit in Ffm." als Diskussionsgrundlage noch Eride Dez. 1971 an die Gesprachsteilnehmer versandte. (siehe nachster Abschnitt)

Wenige Tage danach wurden zwei getrennte Unterredungen mit in der Ob- dachlosenarbeit tatigen Sozialarbeitern gefiihrt, zu denen diese per Dienstanweisung aufgefordert worden waren.nachdem sie sich geweigert hatten, statt als Gruppe einzeln erscheinen zu mlissen. Auch hier stell- te sich wieder heraus, daB der groBte Teil der Sozialarbeiter Gemein- wesenarbeit forderte, wa'hrend die Amtsleitung die Auflbsung der Not- unterkiinfte mit Einzelfallhilfe unterstiitzen wollte und Gemeinwesen- arbeit eventuell billigte fiir Bewohner, denen iiberhaupt nicht zu hel- fen ist und die auch weiterhin in Notunterkiinften leben werden m'u's- sen.

Da durch die verstarkten Spaltungsbemlihungen der Behbrden die Unsi- cherheit unter den Gruppenmitgliedern wuchs, baten einige von ihnen, die auch Mitglieder des AKS waren, diesen Arbeitskreis urn Mithilfe. Gemeinsam erarbeitete man eine Documentation und entschloB sich, den Konflikt in die Offentlichkeit zu tragen. Am 24.1.1972 wird mit der SPD-Fraktion und ca. 100 eingeladenen Sozialarbeitern das Konzept der Obdachlosenarbeit diskutiert. (siehe auch Geschichte des AKS) In einem anschl ieBenden Brief an die SPD-Fraktion forderte der AKS politische Beschllisse zur Sicherung der Diskussionsergebnisse:

- Realisierung der Gemeinwesenarbeit

- Einweisungsstop in Notunterkiinfte usw.

Im Marz 1972 wurden den interessierten Sozialarbeitern auf Wunsch der Initiativgruppe erstmals die Arbeitspapiere zur Vorbereitung einer Magistratsvorlage zum Thema "Raumung der stadtischen Obdachlosensied- lungen" zuganglich gemacht. Die Gruppe erarbeitete dazu eine Stellung- nahme und forderte dringende Snderungen.Nocn i™er standen administra- tive Gesichtspunkte an erster Stelle.

Wenige Monate vor der Bundestagswahl griff der Landesverband Hessen der Deutschen Jungdemokraten dieses Thema auf und lud zu einem Wochenend- seminar mit dem Titel 'Obdachlose in Hessen' ein. Hierdurch wurde die Presse wieder auf die Vorgange in Frankfurt aufmerksam gemacht. In einem groB aufgemachten Artikel der FAZ vom 28.7.1972 hieB es: "Von Gemeinwesenarbeit, also davon, daB die Obdachlosen allmahlich befahigt werden sollen, ihre Interessen selbst zu vertreten gegen- iiber einer hier fast allmachtigen Verwaltung, spricht der Vorbericht des Magistrats erst in einem SchluBabsatzchen, das der "Initiativ- gruppe Obdachlosenarbeit" aufsassiger stadtischer Sozialarbeiter gar nicht gefallt, Gemeinwesenarbeit soil es namlich nur geben in jenen Einfachstwohnungen der AhornstraSe, die kiinftig als Auffanglager fiir Notfalle und Unverbesserliche dienen sollen. Der Einsatz komme dann zu spat, meinen die Sozialarbeiter, die Obdachlose schon heute mehr an der Lbsung ihrer Probleme beteiligt sehen wollen. ... Fiir Frankfurt gibt es jetzt erst einmal einen Vorbericht des Magistrats, der mit seinem kuhnen Fu'nf jahresplan alles in den Schatten stellt, was im Rahmen der Obdachlosenhilfe selten an die Sonne kommt. Ob sich die

- wenigstens in der Planung - so verhaltnismaBig rasch gera'umten Not- quartiere wirklich auf die Dauer freihalten lassen, wo die Sozial- ^^

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arbeiter zu Einlibung ins "normale" Leben fehlen, wird sich zeigen. Einstweiten sorgt wenigstens "Pro Familia" .Deutsche Gesellschaft fiir Sexualberatung und Familienplanung, die in Frankfurt ihren unruhigen Sitz hat, durch immer erfolgreichere Hausbesuche daflir, daB die Fatni- lien in den Notquartieren nicht noch grb'Ser werden..." Zu eben dieser Zeit - im Jul i 1972 - wurde auf Druck der Jusos und gegen den Widerstand des rechten HUgels der Frankfurter SPD die Koa- lition SPD/CDU gelb'st. Von detn neuen sozialdemokratischen Stadtrat Berg erwarteten die Jusos mehr Dynamik und Aufgeschlossenheit. In einer ersten Pressekonferenz zum Thema 'Obdachlosigkeit' stellte sich Berg der Dffentl ichkeit. Die 'Frankfurter Rundschau1 schreibt am 3.8.1972:

"In der Pressekonferenz am Mittwoch sah sich Berg gezwungen, 'Bedenken auszuraumen' : Der ju'ngst erkorene Sozialdezernent distanzierte sich vom Obdachlosenkonzept des Sozialausschusses - "Oberlegungen meines Vorgangers teile ich nicht" - und versprach eine Oberarbeitung: "Wir wissen genau, daB die bisher betriebene Sozialarbeit unzureichend ist", bekannte Berg."

Diese neuen Einsichten ermutigte die Initiativgruppe zu einer erneuten Bewerbung unter den bekannten Voraussetzungen. Der Stadtrat stimmte den Vorschlagen zu. Am 4.12.1972 wurde die Arbeitsaufnahme zum 1 .2.73 beschlossen. Das Protokoll dieses Gespraches gait als gemeinsame Ar- beitsunterlage.

II Vorstellungen der Sozialarbeiter

Alle Mitglieder der Initiativgruppe haben als Sozialarbeiter in der Familienfursorge gearbeitet und hatten somit dauernde Auseinanderset- zungen mit dem Obdachlosenproblem. Sie alle sahen in der Gemeinwesen- arbeit die einzige Mbglichkeit, konstruktive Veranderungen einzulei- ten. Deshalb bewarb sich ein Teil der Gruppe urn die noch nicht besetz- ten sechs Planstellen, Der Widerstand, den sie als Gruppe zwei Jahre erfahren hatten, fbrderte ihren Zusammenhalt. Sie waren stolz darauf, sich gegen alle Vereinzelungsversuche der Sozialadministration durch- gesetzt zu haben und das Ziel, Gemeinwesenarbeit als Fortschritt ge- genuber traditionellen Former der Familienflirsorge betreiben zu durfen, erreicht zu haben. Gleichzeitig wuchs - wenn auch oft verdrangt - die Furcht vor der nun zu bewa'ltigenden Arbeit, von der eigentlich niemand genau wuBte, wie sie aussehen sollte und ob er selbst in der Lage sei, die gestellten Anspruche zu erfu'llen. Pldtzlich wurde man sich ungeheurer Lerndefizite bewuBt und muBte zugestehen, daB ein prazises Arbeitsprogramm erst nach dem Ablauf einiger Fortbi ldungsse- minare und nach mehrmonatiger praktischer Erfahrung aufgestellt wer- den kbnnte. Hinzu kam noch die Schwierigkeit, bei Arbeitsbeginn zwei bereits in der Fachstelle tatige Sozialarbeiter in das Team zu inte- grieren. Dies alles brachte neue Konflikte und dam it Lernhemmungen, Die Frustratior.sangst wuchs und bewirkte, daB man inroer weniger be- reit war (oder auch: sein konnte) z.B. mit dem AKS die Gruppenarbeit zu diskutieren bzw. Kritik anzunehmen. Stattdessen stellte man immer wieder heraus, welche Erfblge man errungen hatte: frei geregelte Ar- beitszeit und -einteilung, keine direkten Kontrollen, hbhere Besol- dung, Supervision, wissenschaftl iche Ausarbeitung der Tatigkeit. Ob- wohl diese Errungenschaften fiir alle Mitglieder der Gruppe sehr be-

deutungsvoll waren, verkannten sie aber, daB all diese Beschlusse nichts liber den inhaltlichen Charakter ihrer kiinftigen Arbeit aussag- ten. Dazu die folgenden Beispiele:

orschlag zur Konzipierung der Obdachlosenar- vom 30.12.71 wurde zunachst das Problem der ert und begrLindet, warum dies nur durch Gemein- i. Man ging dann noch ein wenig naher auf die hre typischen Merkmale ein und sagte schlieS-

aussehen wird, kann erst nach praktischen Er- ppe der Gemeinwesenarbeiter festgelegt werden. imale Leistungen zu erreichen, ist es notwen- Hilfsquellen hinzuzuziehen, die es ermbglichen isch zu ref lektieren. "

S Gemeinwesenarbeit das einzig angestrebte Ziel her definiert zu sein.

1 . In dem "Diskussionsv beit in Frankfurt a.M." Obdachlosigkeit analysi wesenarbeit zu Ibsen se Gemeinwesenarbeit und i lich im letzten Absatz: "Wie die Arbeit konkret fahrungen durch die Gru Urn in dieser Arbeit opt dig, wissenschaftliche helfen, Begonnenes krit Hieraus geht hervor, da war, ohne inhaltlich na

2. Als das Amt des Sozialdezernenten neu besetzt wurde, griff die Gruppe dies als Mbglichkeit auf, sich erneut zu bewerben, womit sie dann ja auch Erfolg hatte. In diesem Bewerbungsschreiben werden zwar prazisere Forderungen gestellt

(z.B. "Alle Vorlagen bezliglich der Obdachlosenhilfe. ..mLissen vom Team'erarbeitet werden"), doch noch im selben Brief werden diese For- derungen schon wieder entkraftigt durch die Feststellung: "Eine detaillierte Konzeption fur die Frankfurter Situation kann erst nach genauer Kenntnis des Arbeitsfeldes und der Arbeitsplatzsitu- ation in Zusammenarbeit mit dem Supervisor und den betroffenen Obdach- losen erstellt werden und bedarf einer dauernden Reflektion und evtl. Oberarbeitung." Obwohl dies eine durchaus sinnvolle Feststellung war, lieB sie den Behbrdenvertretern die Mbglichkeit offen, u.U. darauf hinzuweisen:

'Ihr wiBt ja selber noch nicht einmal genau was ihr wollt, und da wir auf System und Planung angewiesen sind, mliBt ihr euch eben erst ein- mal nach unseren Vorstellungen richten, die sicher besser sind als gar keine. '

Wie schwer es aber ist, sich gegen einmal eingerichtete administrati- ve Vorgange zu wehren bzw. sie abzuschaffen, das weiB jeder Sozial- arbeiter aus eigener Erfahrung.

Die wichtigste Arbeitsgrundlage fur das Team ist nach Aussage einiger Mitglieder das Protokoll des Gesprachs mit dem Stadtrat und der Ab- teilungsleitung vom 4.12.72, das wir aus diesem Grund hier zunachst einmal im genauen Wortlaut abdrucken.

Niederschrift der Besprechung zwischen Stadtrat Berg und Sozialarbei- tern des Arbeitskreises "Obdachlosenhilfe" am 4.12.1972

Folgende Punkte wurden ubereinstimmend verabredet:

1. Die Sozialarbeiter fiir die Gemeinwesenarbeit arbeiten als Gruppe und treten als Gruppe auf. Es gibt keine Sachgebietsleiterin.

2. Die Gruppe akzeptiert Herrn Humbert als Beziehungsperson. Herr Humbert hat die Dienst- und Fachaufsicht. Ist bei inhaltlichen Fra- K^J

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gen zwischen der Gruppe und Herrn Humbert keine Obereinkunft zu er- zielen, wird die Frage in einem Gremium verhandelt, dem zusatzlich Herr Berg und Sachverstandige auSerhalb der Stadtverwaltung angehbren.

3. Die Fortbildung aller Sozialarbeiter zu Gemeinwesenarbeit wird als notwendig angesehen. Die einzige Ausbildungsstatte in Hessen, Gelnhausen, bietet einen Lehrgang Uber 5 Quartale ab September 1973 an. Die Anmeldung mu'Bte im Januar 1973 erfolgen. AuBerdem ware Geln- hausen bereit, die Gruppe beim Anfang der Arbeit zu beraten. Es muB noch geklart werden, ob das zusa'tzliche Kosten verursacht Oder ob das zu den KursgebLihren gerechnet wird. Die Anwesenden halten eine Bera- tung beim Arbeitsanfang flir gunstig.

4. Die Gruppe erhalt die Mbglichkeit, ihre Arbeit von Anfang an wis- senschaftlich uberprufen zu lassen. Durch Frau Neumann sind bereits Kontakte zu Herrn Iben und einem anderen Herrn geschlossen worden, die ihre Arbeit in der MuhlbruchstraBe begleiten. Finanzielle Forde- rungen mu'Bten vorher abgeklart werden. Die Gruppe selber sorgt dafu'r, daB die wissenschaftliche Begleitung nicht im luftleeren Raum schwebt, sondern eng fachbezogen ist.

5. Eine Supervision flir die Gruppe wird gewahrleistet. Die Supervi- sion soil sich hauptsachlich auf die Beziehungen der Gruppenmitglie- der untereinander beziehen, urn Stbrungen bei der Arbeit schneller in den Griff zu bekommen. Herr Richter aus GieBen wurde bereits ange- schrieben. Eine Antwort stent noch aus. Sollte Herr Richter nicht kbn- nen, kame auch ein Supervisor aus dem Sigmund-Freud-Institut Ffm. in Betracht.

6. Herr Berg will sicherstel len, daB die Vorstellungen der Gruppe im JWA zu Angel egenheiten der Betroffenen gehbrt werden.

7. Herr Berg ist bestrebt, daB ein Mitarbeiter des Sozialverwaltungs- amtes standig im PlanungsausschuB des Bauamts miteinbezogen wird. Da- durch soil auch die Gruppe der Gemeinwesenarbeiter Kontakt zum Pla- nungsausschuB erhalten, wenn es urn die Gebiete geht, in denen sie ar- belten.

8. Herr Humbert si chert zu , daB die Gruppe bei der Auf stel lung des Haushaltsplans flir die Fachstelle mitbeteiligt wird.

9. Soweit eine Rechtsberatung mit den Betroffenen nicht mit der An- waltskammer kollidiert, soil versucht werden, Obdachlose bei Rechts- problemen evtl. durch Jurastudenten oder durch die stadtische Rechts- stelle zu beraten. Ein Rechtsbeistand kann nicht gewahrt werden.

10. Alle Mitglieder der Gruppe werden Antrage auf eine Hbhergruppie- rung stellen. Berufsanfanger nach BAT IV b, die anderen nach BAT IV a. Die Antrage werden von Herrn Berg befurwortet. Die Gruppe sieht eine bessere Einstufung als unerla'Blich an und wird sich dafiir mit angemes- senen Mitteln einsetzen.

11. Die Sozialstationen Gallus und Eschersheim haben das Recht, urn die freigewordenen Planstellen mbglichst schnell zu besetzen, eine eige- ne Annonce aufzugeben.

12. Herr Humbert leitet umgehend die Versetzung ein. Sie soil mbg- lichst zum 1.2.1973 erfolgen. Die Gruppe fa'ngt geschlossen an zu arbeiten.

13. Die Anwesenden einigten sich auf folgende Gebiete

a) eine Dreiergruppe NiederbornstraBe 50 - 58 mit Einbeziehung der Hochhauser

b) eine Dreiergruppe AhornstraBe 80-94 und AhornstraBe 101 - 107

c) die Arbeit in der MiihlbruchstraBe wird fortgesetzt. 14 Es wird eine Zeit von zwei Jahren angesetzt, nach der sich her- ausgestellt haben sollte, ob die Gemeinwesenarbeit als Methode der Sozialarbeit erfolgreich war und zusatzlich auf andere wohngebiete ausgedehnt werden soil.

Frankfurt (Main, 21.12.1972

Verteiler:

z.Hdn. Herrn Stadtrat Berg

z.Hdn. Herrn Humbert

z.Hdn. der beteiligten Sozialarbeiter

Folgende Kritikpunkte haben wir erarbeitet:

1 Aus diesem Protokoll sollen alle weiteren Anspruche abgeleitet wer- den kbnnen, obwohl dies in keinem Satz erwahnt wird. Das ganze Pro- tokoll geht von konfliktfreien Arbeitsbedingungen aus, man vertraut auf qute Beziehungen, ein angenehmes Arbeitsklima.

2. Das Protokoll ist nicht von beiden Parteien abgezeichnet, also for- mal qar nicht anerkannt.

3. Die einzelnen Punkte sind so vage formuliert, daB es mehrere Mog- lichkeiten der Auslegung gibt. ,

4. Verfugungsmbglichkeiten uber finanzielle Mittel wurden nicht fest-

T Die hierarchische Struktur wurde nicht angetastet, indem die Dienst- und Fachaufsicht einfach eine Stufe hbher verlegt wurde

6 In dem Protokoll komrnt der Glaube an eine objektive Wissenschaft zjm Ausdruck, die sogar noch in der Lage sein soil, politische Kon- flikte zu Ibsen. _

7 Es werden keinerlei Ziele defimert.

8^ Die Betroffenen bleiben vbllig unerwa'hnt.

Die Unsicherheit, die in den genannten Beispielen zum Ausdruck komrnt, verstarkte schon in der Planungsphase die ohnehin machtige Position der Sozialadministration. Es konnten Beschlusse gefaBt werden, denen die Sozialarbeiter nichts entgegenzusetzen hatten (s. nachster Ab- srhmtt) Das ganze MaB der Abhangigkeit, in die sich die Gruppe selbst hineinmanovriert hatte, koimit besonders im letzten Abschnitt des Pro- tokolls zum Ausdruck. Es bestand wohl kein Zweifel, wer nach den vor- gesehenen zwei Experimentierjahren den MaBs'.ab fur Erfolg Oder MiBer- folg anlegen wiirde.

Ill Vorstellungen der Behbrde

Nach der Darstellung der Plane des Sozialarbeiter-Teams stellte sich nun die Frage nach den Interessen des Sozialamtes, diese Vorschlage anzunehmen und zu fbrdern: Welche Interessen sind deckungsgleich, wo ergeben sich unterschiedliche Zielvorstellungen, gibt es auf be- hbrdlicher Seite irgendwelche Anzeichen fur eine Ausweitung der Ver- antwortung der Sozialarbeiter? _

El-nen Monat nach dem Gesprach am 4.12.72, aus dem das zuvor kriti- J3 y

sierte Protokoll hervorging, hat Stadtrat Berg ohne Konsultation des Teams einen'Plan zur Auflosung der stadtischen Obdachlosenunterkunfte * vorgelegt, der von den Entscheidungsgremien bewilligt wurde. Dies Schriftwerk gibt Anwort auf alle o.g. Fragen und beseitigt schon vor dem Arbeitsbeginn des Teams Liberfllissige illusionen. An der Ausarbei- tung des Planes war das Team nicht beteiligt, und nachdem schon Foto- kopien dieses Planes in Sozialarbeiterkreisen umliefen, hatten einige Team-Mitglieder diesen Plan noch nicht einmal gelesen. Doch nun zum Plan selbst:

Ausgangspunkt ist eine Analyse des Problems der Obdachlosigkeit. Berg weist darauf hin, daB hier "gesellschaftliche und wirtschaftliche Hin- tergriinde" zu untersuchen sind und die Notwendigkeit besteht, nicht mehr - wie bisher - die Symptome, sondern die Ursachen zu bearbeiten. Wie das gemeint ist, wird gleich anschlieBend erlautert: "An die Ursachen heranzugehen bedeutet, von der Verwaltung der Obdach- losigkeit abzurlicken und ihre Aufhebung im Prinzip zu betreiben. (Anm. d.Red. Wie dies am sinnvollsten zu qeschehen hat, machte Berg als Vor- sitzender der "AG fur kleine Wohnungen" deutlich, indem er dort bis zu 50 %-ige Mietpreiserhbhungen vertritt). Die daf'ur notwendigen Mit- tel sind mit Sicherheit weit niedriger als die fiir alle mb'glichen Fol- gekosten, die entstehen, wenn es bei der jetzigen Art der Unterbrin- gung bleiben wlirde."

Liest man daran anschlieBend noch das folgende Zitat aus einem Rund- brief des Stadtrates an alle gemeinnutzigen Wohnungsbaugesellschaften in Ffm. vom 8. 1.73 , so wird schon die Frage nach den Interessen der Sozialverwaltung- und damit der Frankfurter SPD - an diesem Plan be- antwortet: "Das Derzernat Soziales und Freizeit hat ein Programm zur Raumung der

Obdachlosenunterkunfte entwickelt Eine so groB angelegte Lbsung

ist bisher in der Bundesrepubl ik nicht versucht worden." Das bedeutet ganz klar: Mit dieser "groB angelegten Sa'uberungsaktion" des Frankfurter Stadtbildes, die sich auBerdem auch und nicht zuletzt als finanziell ertragreich erweist, hofft die SPD auf eine Image-Auf- wertung nicht nur in Frankfurt .sondern auch auf Bundesebene. Nun ware gegen diese Hoffnung gar nichts einzuwenden, wenn dabei die Interessen der Menschen in den Unterku'nften eindeutig im Vordergrund stunden. In diesem Zusammenhang stellte Berg zwar fest, daB gegenwar- tig keine Frage nach individuel ler Schuld gestellt werden dlirfe und damit jeder Anspruch auf Sozialhilfe besitze. Dies sei jedoch nur not- wendig, urn eine gleiche Ausgangsposition flir alle zu schaffen und spa- tere Abweichungen dann wieder als individuel 1 hinstellen zu kbnnen. Auf die Rolle der Sozialarbeiter ging Berg unter dem Abschnitt "Ziel- vorstellungen" ein:

"Das dort ta'tige Sozialarbeiter-Team soil mit alien Methoden der So- zialarbeit, insbesondere auch mit denjenigen der Gemeinwesenarbeit, an der Integration der Familien arbeiten. Es wird seine Aufgabe sein, modellhaft zu entwickeln, wie ein bedurfnisgerechtes Wohn- und Lebens- gebiet mit gesel Ischaftl icher Aufwertungstendenz geschaffen werden kann. Und:

"Die Sozialarbeiter sollen mit den jetzt in den Obdachlosenunterkiinf- ten lebenden Familien intensiv arbeiten und ihnen helfen, ihre Proble- me zu erkennen und zu . bewaltigen."

Damit waren die Rollen der Beteiligten eindeutig definiert. Die Bewoh- ^j Q ner der Unterkiinfte sollten lernen, mit ihren Problemen allein fertig

zu werden - also der Gesellschaft nicht liinger zur Last fallen -, sie sollten Anpassung u'ben und dadurch gesellschaftliche Aufwertung errei- chen Der Sozialarbeiter durfte sie dabei mit alien Mitteln der Kunst (GWA*. Familientherapie, finanzielle Unterstutzung) unterstutzen und sollte richtungsweisende Anregungen geben.

Bleibt zu fragen, was geschieht, wenn nicht simples BewuBtsein (Lei- stungsbewuBtsein) , sondern politische Aktivitat entwickelt wird, wenn sich die Bewohner'nicht angepaBt .sondern radikal verhalten, wenn sie also lernen, ihre Anspruche und ihr Recht energisch und konsequent zu vertreten. Ob sie dann auch noch so groSzligig finanziell unter- stlitzt werden? Oberhaupt: ha'tte man dieses Projekt jemals in Angriff qenommen, wenn sich keine finanziellen Gewinne ergeben w'urden? Somit stand fest, daB alle Bereiche, die den Interessenraum der Be- horde direkt beruhren, durch Kontrollen abgedeckt waren. Obdachlose wie Sozialarbeiter durften zwar Wunsche a'uBern, aber uber die Durch- fuhrung entschieden sie nicht. Zusammenfassend ist also festzustellen:

Hinter dem Plan zur Auflosung der Obdachlosenunterkunfte standen macht- politische Zielsetzungen, weitgehend verstarkt durch finanzielle Vor- teile Die Emanzipation der Bewohner war drittrangig. Von den Sozialarbeitern wurde erwartet, daB sie sich mit diesen Zie- len (SPD-Image-Aufwertung, gesellschaftliche Anpassung, finanzielle Einsparungen) identif izierten. Nur unter dieser Voraussetzung namlich kdnnen sie das Problemlosungsverhalten der Bewohner den gesel lschaft- lichen Normen anpassen und die gewunschte Aufwertung erreichen. Wurde ihnen diese Anpassung der Obdachlosen jedoch nicht gelingen, so wurde ihre Arbeit als erfolglos beurteilt und nach dem Probezeitraum von zwei Oahren beendet werden.

IV Konfliktstrategien

In diesem Abschnitt 'libernehmen wir einmal einen Auszug aus dem Ar- heitspapier der AG Gemeinwesenarbeit in der Victor-Gollancz-Stiftung zu 'Tendenzen der GWA in der BRD1 und zum anderen versuchen wir, Kon- seauenzen aus der Analyse der bisherigen Auseinandersetzungen zwi- schen Sozialarbeiter und der Verwaltung zu Ziehen. Die Strategien sollen so formuliert werden, daB sie sich auch auf andere Gebiete der Sozialarbeit anwenden lassen.

nie Analyse bisheriger Ansatze von GWA in der BRD, wie auch der Ver- such GWA in Ffm. zu institutionalisieren, zeigt deutlich 2 Entwick- lungstendenzen auf:

iii GWA ist Bestandteil einer Reform der instituionalisierten Sozial- arbeit in kommunalen Biirokratien, Verbanden etc., urn diese zu ratio- nalisieren und damit auch zu "verbi lligen".

2 Sie ist auBerdem Ausdruck und AusfluB einer Reformstrategie von Iconununaler Politik und Planung insgesamt, die unter den Schlagworten "burgernahe Verwaltung", "Partizipation an der und Demokratisierung Aer Planung" einerseits auf den Druck von Burgerinitiativen reagiert und andererseits auf die aufgezwungene Notwendigkeit, im Interesse qesamtstaatl icher Konjunktursteuerung eine flexiblere Investitions-

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MATERIALIEN

ZUR JUGEND- UND SOZIALARBEIT

NR. 1

ZWISCHENAUSWERTUNG DES PROJEKTES

IN DER FAMILIENFORSORGE DER STADT

KOLN

Margot Dolls

Die Projektgruppe ging bei der Hypo-

thesenbildung von folgenden Fragen

aus:

1) 1st die Arbeit del- Familienfursor- ge zu sehr zufallsbedingt?

2) 1st die Arbeit zu sehr passiv-reak- tiv und aktiv-vereinzelt?

3) Fordert die Arbeit der FamilienfUr- sorge subjektivistische Denk- und Handlungsweisen?

4) Provoziert die Arbeit der Familien- fUrsorge privati stische Lbsungen?

5) 1st die Arbeit der Familienfursorge unrationell und damit undkonomisch? (Selbstkostenpreis DM 2.50 je Expl.)

NR. 2

HAIDHAUSER: VERTEIDIGT EURE LEBENSBE- DINGUNGEN! GWA IN MONCHEN-HAIDHAUSEN ARBEITSBERICHT 1970/71 Haidhausen-BLiro

Der Bericht beschreibt die Arbeit des von der Victor Gollancz-Stiftung ge- tragenen Arbeitsfeldmodells "Haidhau- sen-Buro, Stadtteil-Inforrnation" im Stadterneuerungsgebiet Munchen-Haidhau- sen wahrend des Zeitraumes November 1970 bis Oktober 1971 und enthalt erste Einschatzungen der eigenen Arbeit. Der zweite Arbeitsbericht (November 1971 - Oktober 1972) wird im Sommer 1973 er- scheinen. (Selbstkostenpreis DM 6.00 je Expl.)

HERAUSGEGEBEN VON DER VICTOR GOLLANCZ-STIFTUNG E.V.

6 FRANKFURT/MAIN

WILHELM LEUSCHNER-STRASSE 25

NR. 3

KAMPF UM EIN JUGENDHOHNKOLLEKTIV PLANSPIEL UND WIRKLICHKEIT Christian Marzahn und Arbeits- gruppe MODELLE OFFENE JUGEND - HILFE

An einem Planspiel, dessen Spielphasen und Konflikte mit Dokumenten aus der Geschichte der Jugendwohnkollektive konfrontiert werden, wird versucht, das Spannungsfeld aufzuzeigen, in dem sich Jugendwohnkollektive befinden. Hier- durch werden nicht nur die spezifi- schen Probleme der Jugendwohnkollektive deutlich, sondern auch die Funktion von Sozialarbeit im Zusammenspiel von Be- hbrden, Presse und Polizei.

(Selbstkostenpreis DM 6.00 je Expl.)

NR. 4

GEMEINWESENARBEIT IN DER BRD PRAXIS UND AUSBILDUNG 1971/72 Arbeitsgruppe GEMEINWESENARBEIT

Der Bericht enthalt im ersten Teil die Auswertung einer Befragung von 38 GWA- Projekten in der BRD im Jahre 1971. Er untersucht die Konzeption der Projekte und ihre Trager, die praktische Pro- jektarbeit, die kommunalpolitischen Strategien, die institutionel len Pro- bleme der Arbeitsplatze, das Selbstver- sta'ndnis und die Qualif ikation der Ge- meinwesenarbeiter, Der zweite Teil be- richtet Liber den Stand der Ausbildung in GWA an den Fachhochschulen auf der Grundlage einer Fragebogenerhebung im April/Mai 1972. (Selbstkostenpreis DM 4,00 je Expl.)

NR. 5/5 (2 Teile)

READER: JUGENDWOHNKOLLEKTIVE Die Entwicklung der Jugendwohnkollekti- ve wird in ihrem politischen Zusammen- hang dargestellt, neue Tendenzen werden herausgearbeitet. Dabei wird gezeigt, daB eine wirksame Hilfe auch in Jugend- wohnkollektiven nicht mbglich ist, so- lange nicht inhaltlich und methodised an der gesamten Lebenssituation Jugend- licher angesetzt wird. Der Reader ent- halt eine Reihe bisher schwer zugang- licher Texte sowie eine ausfiihrliche Literaturliste, (Selbstkostenpreis DM 8.00 je Expl.)

politik zu betreiben.

Parti zipation bedeutet fur die Interessen der staatlichen und kommuna- len Planungsinstanzen wie der Verbande, egal, wie sie es sonst auch offiziell bezeichnen mbgen, primar "Konfliktvermeidungsstragie ", wie es klirzlich von einem hessischen Ministerialbeamten in Gesprach aus- driicklich so formuliert wurde. Das Risiko dieses Einsatzes von GWA als Reformstrategie von oben liegt darin, daB sie in der Praxis korrespon- dieren kann mit Bewegungen und Initiativen in der Bevolkerung, die sich fur eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen orgam'sieren, ar- beiten und kampfen, und dadurch gerade Konflikte provoziert. Erst in dem Moment allerdings, wo GWA relevante Basisbewegungen in der Bevolkerung effektiv unterstiitzen kann (und nur in bestimmten Si-

tuationen "anflihren", "befahigen", "anleiten" oder was sonst noch

an Illusionen Uber die politischen Mbglichkeiten von GWA existiert), ist es politisch vertretbar, sie als eine Reformstrategie von unten zu bezeichnen.

Wenn es also einerseits notwendig ist, die Funktion der GWA als Inte- grations- und Befriedungstaktik von planenden Institutionen im kommu- nalen Bereich zu erkennen, so muB es andererseits darum gehen, in den konkreten Praxisfeldern Ansatzpunkte ausfindig zu machen, die GWA in den Oienst demokratischer Initiativen in der Bevolkerung stellen. Eben in diesem Widerspruch: Agent der Institutionen - Bundnispartner von Basisbewegungen

ist zunachst grundsa'tzlich die Position des Gemeinwesenarbeiters zu sehen. Es geht darum, aus dieser widerspruchl ichen Rolle sowohl in einer'langfristigen Strategie, als auch in konkreten taktischen Er- wagungen die richtigen Konsequenzen zu Ziehen. Hierzu laSt sich erst einmal ganz allgemein sagen:

Weder der Gemeinwesenarbeiter als Berufsrevolutionar noch als klassen- oder konfliktneutraler Befahiger werden realistische Strategien im Interesse der Verbesserung der Lebensbedingungen entwickeln konnen.

Zur Korkretisierung der Strategie mlissen die Praxisbereiche der bei- den genannten Reformtendenzen noch genauer differenziert werden:

1 Die Modernisierung und Rationalisierung der Sozialarbeit im kommu- nalen Feld wird in zwei entscheidenden Bereichen vorgenommen:

a) Eine effektivere Planung sozialer Einrichtungen und MaSnahmen ist nur mbglich, wenn die Kooperationsformen zwischen kommunaler Biirokra- tie und Verbanden auch intrainstitutionell verbessert werden. Hierfiir sind Experten in Sozialplanung notwendig.

b) Zugleich mu'ssen die Sozialarbeiter an der Basis flir eine solche Pla- nung Bedurfniserforschung betreiben und die Betroffenen durch entspre- chende Methoden in den PlanungsprozeS integrieren. Das gilt auch ganz besonders fur die sogenannten randstandigen Bevolkerungsgruppen.

2 Die Entwicklungsplanung der Gemeinden ist heute als Instrument staatlicher Infrastrukturpolitik einerseits zunehmend notwendig, und andererseits - insbesond&re wegen der prekaren Finanzsituation und der ihr zugrundeliegenden Abhangigkeit von der staatlichen Konjunktur- politik - stark behindert. Um der aufgrund dieses Widerspruchs in der staatlichen Politik wachsenden Unzulanglichkeit der kommunalen Planung QQ

in Bezug auf soziale Investitionen abzuhelfen, soil

a) die Einbeziehung sozialkultureller Gesichtspunkte in die Stadtpla- nung - etwa durch die Teilnahme von leitenden Mitarbeitern der Sozial- verwaltungen an Planungsausschiissen etc. - eine "Sozial-sensibilisier- te Stadtplanung" (diese Bezeichnung stammt aus der Stuttgarter Stadt- verwaltung) zur Folge haben.

Schon diese Begriffsbestimtnung deutet allerdings auf die Grenzen sol- cher Versuche hin, Eine soziale Sensibilisierung bedeutet noch lange nicht eine Stadtplanung nach sozialen Grundsatzen, was sicherlich viele Sozialarbeiter in ihrer Praxis erfahren.

b) Beim Einsatz der GWA im Rahmen von stadtebaulicher Planung geht

es nicht nur , wie eine eingeschrankte Definition des SozialDlans nach den Stadtebaufbrderungsgesetz meint, um die Vermeidung von Ha'rten fur bestimmte Bevb'lkerungsgruppen, die von diesen Umstrukturierungspro- zessen besonders nachteilig betroffen sind, sondern auch um den Ver- such, durch Beteiligungsstrategien eine Identifikation der Betroffe- nen mit den Planungsentscheidungen und den sich daraus ergebenden Kon- sequenzen zu erreichen. Bereits im Sta'dtebaubericht 70 der Bundesre- gierung wird GWA zu diesem Zweck als niitzliche Methode angepriesen.

Die Experten fur Sozialplanung, die mittlere und obere Funktionen in den Institutionen wahrnehmen (1. a) und 2. a) ), werden in den mei- sten Fallen gendtigt sein, sich mit den "Sachzwangen" der Planung mehr Oder weniger zu identifizieren, und befinden sich daher potentiell im Widerspruch zu den Forderungen und Formen der Auseinandersetzung von Gruppen der Bevolkerung. Sie sind in ihrer praktischen Arbeit da- her emem eigenartigen Dilemma ausgesetzt:

Sie miissen die Offentlichkeit , auf die sie eigentlich als ihren Adres- saten angewiesen sind, zugleich von aktiver Partizipation fernhalten.

Auszunutzen fiir eine politische Strategie im Interesse der benachtei- ligten Gruppen von Stadtbewohnern sind daher primar die Praxisfelder 1. b) und 2. b), d.h. die Positionen an der Basis der Institutionen. Wenn keme organisierten Bewegungen in diesen sta'dtischen Bereichen existieren, wird es fur die Gemeinwesenarbeiter, die offiziell die Funktionen 1. b) und 2. b) wahrnehmen miissen, notig sein, sich ge- werkschaftlich zu organisieren, um sich gegen eine Funktional isie- rung im Interesse der Reform von oben abzustiitzen, bzw. sich gegen sie zu wappnen. Auf keinen Fall durfen sie der Illusion erliegen, als konnten sie allein als "Profis" in den Institutionen soziale Bewe- gungen der Bevolkerung langfristig initiieren und organisieren. Ihre Aufgabe kann nur darin bestehen, solche Bewegungen - und seien sie noch so schwach - durch Aufklamng iiber politische Zusammenhange und konkrete Hilfestellung unter Ausnutzung der institutionellen Apparate zu unter stlitzen." Eine so eindeutige Parteinahme kann in bestimmten Konf liktsituationen Repressalien von Seiten des jeweiligen Arbeit- gebers zur Folge haben, was ja auch die Disziplinierungsversuche des Sozialdezernenten in Ffm. zeigen.

Ausgehend von den Erfahrungen der GWA-Gruppe wollen wir versuchen, eimge Punkte einer Konfliktstrategie anzugehen:

C A '' -m /order9rund der Forderungen hat nicht das Eigeninteresse der b4 Sozialarbeiter, das sich uberwiegend als Professionalisierungsinter-

esse darstellt, zu stehen, sondern das Interesse des 'Klientel', das

begriffen wird als ein Teil der Arbeiterklasse.

Im Vordergrund hat zu stehen die Solidaritat mit den Betroffenen, die

sich u.a. darstellt in einer konsequenten Vertretung der materiellen

Interessen und extensiver Ausnutzung der Gesetze.

Auf diesem Hintergrund ist auch das Eigeninteresse der Sozialarbeiter

im Hinblick auf tnaterielle Verbesserung und Veranderung der Arbeits-

platzsituation zu definieren.

Um diese Interessen gegeniiber der Sozialburokratie durchzusetzen, ist

Solidaritat und Organisation (Gruppenbildung) unter den Kollegen not-

wendig.

Zusammen mit interessierten Kollegen ist nach der Verstandigung liber

die gemeinsamen Ziele eine konsequente "Ist-Analyse" auszuarbeiten:

Dazu gehb'ren folgende Punkte:

a) Es ist eine politische Einschatzung der gesellschaftlichen Situa- tion .insbesondere der Funktion des Staates zu leisten, was auch be- deutet, den eigenen politischen Standort abzuklaren und die verschie- denen Zielvorstellungen in Einklang zu bringen.

b) Die Gruppe hat sich ein genaues Bild zu machen von der Zielgruppe ihrer Arbeit, den Auswirkungen burqerl icher Sozialpolitik und der Gesetze auf die Lebensbedingungen der Klienten.

c) Ober die allgemeine politische Einschatzung hinaus muB die speziel- le Situation der Administration in der politischen Auseinandersetzung geklart werden.

Es ist zu fragen, welche Interessen z.B. dieser bestimmte Verwaltungs- zweig an der Durchsetzung bestimmter Ziele hat, wie die Krafteverhalt- nisse bestimmt werden, wo Gegner, Fursprecher sind und welchen Stand- ort die eigene Zielgruppe (hier die Obdachlosen) einnimmt. Nur in der Konfrontation der eigenen Zielvorstellungen mit den Zielvorstellungen der Administration kann die eigene Position vollkommen erkannt und ausgenutzt werden, kann ein Handlungsspielraum erkampft werden.

d) Es ist abzuklaren, welchen Arbeitsbestimmungen die Sozialarbeiter in der Institution unterliegen, welche Funktion diese Bestimmungen ha- ben, welchen Verpflichtungen die Administration und die 'Vorgesetzten' unterliegen und welche Gesetze und Bestimmungen fiir oder gegen die Gruppe bzw. den Einzelnen verwandt werden kdnnen.

e) Es ist die Funktion der Gesetze, Aufgaben, MaBnahmen und Entschei- dungen zu klaren, auf denen das Handeln der Sozialarbeiter beruht; was kann ausgenutzt werden, was ist Kontrolle, Strafe, Sanktion etc.?

In diesem Zusammenhang ist zu untersuchen, wie diese MaBnahmen von den Klienten erlebt werden und welcher Zusamnenhang zwischen ihren Lebensbedingungen und ihrem politischen BewuStsein besteht.

f) Auch die Beziehungen der Gruppenmitgl ieder untereinander miissen geklart sein, ein Konfliktlbsungsverhalten muB entwickelt werden. Wahrend der Auseinandersetzung mit der Institution kbnnen namlich Konflikte in der Innengruppe sehr hemmend und energieschluckend wir- ken.

Bevor es an die Durchsetzung der Ziele geht, sollte noch iiberlegt wer- den:

2 Mit welchen AuBengruppen kann Kontakt aufgenommen werden, bei wem IcSnnte Interesse fiir die eigenen Ziele bestehen oder erweckt werden: gg

bei Kollegen in anderen Institutionen, bei politischen oder gewerk- schaftlichen Gruppen, bei Biirgerinitiativen etc.?

3. Wie kann das 'Klientel' mit einbezogen werden, welche Funktion kann es libernehmen? Welche Forderungen konnen zur Mobil isierung und Pol i - tisierung der Betroffenen beitragen?

4. Wie konnen die lokalen Kommunikationsmittel , also Zeitungen, Rund- funk, Fernsehen, benutzt werden; wann sind sie einzusetzen, welche Wirkung kbnnte ihr Einsatz haben?

Beginnt man schlieBlich Forderungen zu stellen, nachdem die Gruppe sich liber die vorhergehenden Punkte geeinigt hat, so ist zu beachten:

5. Man sollte von Anfang an nur als geschlossene Gruppe auftreten und mit alien Mitteln den Individual isierungsbemlihungen der Admini- stration widerstehen.

6. Rasche, gezielte, durchdachte Reaktionen sind notwendig. Alle fi- nanziellen oder personellen Veranderungen innerhalb des Amtes sind auszunutzen. Schriftlich gestellte Forderungen mu'ssen genau geplant sein und dlirfen nicht beim leisesten Widerstand zuriickgenommen wer- den.

7. Alle Absprachen und Beschlusse zwischen Vertretern der Administra- tion und der Gruppe mu'ssen schriftlich formuliert und von beiden Par- teien abgezeichnet werden.

8. Der Informationsstand innerhalb der Gruppe muS immer ausgeglichen sein.

AbschlieBend ist noch zweierlei festzustellen: Die Zusammenstellung dieser Strategien ist zwangslaufig unvollsta'ndig, da sie nur einem begrenzten Erfahrungskreis entstammen. Ihre Erga'nzung durch andere Gruppen und Meinungen sollte u.a. Ziel dieses Artikels sein. Die Not- wendigkeit von Konflikten ist anzuerkennen. Sozialarbeiter sollten nicht Konflikten ausweichen, sondern sie forcieren - allein dadurch kann Veranderung erreicht werden. Voraussetzung ist dafiir die Fa'hig- keit, den Umgang mit Konflikten so beherrschen zu lernen, daB die Gratwanderung zwischen der Macht der Administration und der Erkam- pfung von Handlungsspielraum nicht zum eigenen Absturz flihrt.

66

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Dieser Informationsdienst ist fiir Sozialisten in der Bildungs- *r^]t. in den Gewerkschaften, in den Volkshochschulen, an Bildungsstatten, in Jugendverbanden, Jugendqruppen und politi- schen Gruppen.

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Verlag 200o GmbH, 6o5 Offenbach 4, Postfach 591

Diskussionsergebnis

der 4. Redaktionssitzung zum Info 2

Im Vorwort haben wir schon darauf hingewiesen, daB die hier abgedruck- ten Konfliktberichte unter erheblichem Zeitaufwand und groBen Schwie- riqkeiten entstanden sind. Das Ergebnis der Arbeit an diesem Info stellt eine Momentaufnahme in einem ProzeB der Politisierung und Orga- nisierung sowie Strategiebestimmung Frankfurter Sozialarbeiter dar.

Die Berichte spiegeln den BewuBtseinsstand einer groBen Zahl von So- zialarbeitern wider, die - ohne bereits liber eine langfristige politi- sche Strategic zu verfligen - fiir eine Verbesserung ihrer Arbeitsbedin- gungen eintreten, und die Funktion der Sozialarbeit im Interesse des 'Klientel' vera'ndern wollen.

Es war nicht zu erwarten, daB die Berichte eine Antwort auf die rich- tiqe Strategie' geben; sie werfen aber Fragen und Probleme auf, die fur alle Sozialarbeitergruppen zu diskutieren notwendig sind.

Folqende Kritikpunkte und Fragestellungen sind in der Redaktionssit- zunq am 5.5.1973 in Frankfurt herausgearbeitet worden:

1 Die Darstellung der Konflikte bleibt der Erscheinungsebene verhaf- tet Rolle und Motivation sowie die subjektiven Interessen der Kon- fliktpartner werden dargestellt. Es fehlt eine ausreichende politische Analyse der Konfliktbedingungen. Deshalb dominieren strategische Ober- leaungen gegenuber Zielbestimmungen.

Zu fragen ist: Kann aus den Konflikten am Arbeitsplatz der Sozialar- beiter eine politische Zielbestimmung entwickelt werden? Ist eine politische Organisierung der Sozialarbeiter/Sozialpadagogen moalich, die allein an den am Arbeitsplatz erfahrenen Widerspruchen ansetzt' Welche Bedingungen sind zu schaffen, damit die Auseinander- setzungen sich nicht auf das 'Professionalitatsinteresse der Sozial- arbeiter' beschranken? .

2 Die Konflikte berichten liber subjektive Erfahrungen. Fur Schwie- rickeiten in der Durchsetzung kurzfristiger Ziele und fur falsche Stra- teaien werden u.a. "subjektive Mangel" verantwortlich gemacht. Die Funktionen der Institutionen der Sozialarbeit als ein Moment der Stra- teaien des Kapitals zur Kontrolle und Diszipl inierung des Proletariats wurde zu wenig reflektiert. Das drlickt sich nicht zuletzt dann aus, HaB in alien Berichten die Lage der von der Sozialarbeit Betroffenen nicht dargestellt, in den Konflikten selbst keine politische Praxis mit den Betroffenen entwickelt wurde.

1st eine "berufsbezogene" Organisierung der im Sozialbereich Ta'tigen

/, b in AKS-Gruppen) politisch sinnvoll? Welche Voraussetzungen sind

zu'schaffen, damit "berufsbezogene Basisgruppen" sich nicht im "be-

rufsstandischen Reformismus" verlieren?

Mit welchen Inhalten und in welchem Organisationszusammenhang ist eine ^ f

sozial istische Perspektive in der Sozialarbeit zu entwickeln, und wie kann ein politischer Organisationszusaimienhang zwischen den im Sozial be- reich Tatigen und den Betroffenen und deren Kampfen hergestellt werden? Welchen Stellenwert hat dabei die Arbeit in/bzw. mit den Gewerkschaf- ten?

3. Dei- AKS-Frankfurt hatte in seiner bisherigen Arbeit die Organisie- rung der Sozialarbeiter und Sozialpadagogen zum Ziel. Der Bericht Liber die AKS-Praxis ist Ausdruck dieser seiner bisherigen Orientierung. Die Aufarbeitung dieser Vergangenheit hat bewuBt gemacht, daB Politi- sierung und Organisierung der Sozialarbeiter nicht Ziel, sondern Mit- tel sein muB im Kampf gegen kapitalistische Verelendung des Proleta- riats und seiner doppelt deklassierten Randgruppen.

Die Diskussion urn die konkreten Inhalte der zuklinftigen Arbeit ist noch nicht abgeschlossen. Eine breite Diskussion und Kritik unserer Erfahrungen ist dabei eine Hilfe.

ARBEITSGEMEINSCHAFT DROGENHILFE WIESBADEN e. V.

Wir suchen zum alsbaldigen Eintritt ein Team von

Sozialarbeitern (innen) und Psychologen (innen)

fiir ein neu aufzubauendes Reha-Zentrum fur ca. 10 bis 12 klinisch entzogene Jugendliche. Ein Haus in Wiesbaden (ehemaliges Jugendheim) steht zur VerfLigung und kann erbffnet werden, sobald sich das Team von Mitarbeitern gebildet hat.

Die Konzeption kann mit einer bestehenden Projektgruppe und dem Bei- rat der Arbeitsgemeinschaft gemeinsam erarbeitet werden.

Wirbieten Vergiitung nach BAT, geregelte Arbeitszeit, die iiblichen Sozialleistungen und Hilfe bei der Wohnungsbeschaffung.

Bewerbungen richten Sie bitte an:

Arbeitsgemeinschaft Drogenhilfe e.V. Wiesbaden, Friedrichstr. 26

Leserzuschriften

Kritik der "Konkretionen zum Aufbau eines Jugendwohnkollektivs" und der "Konzeption des Vereins "Soziale Jugendarbeit e.V." im Sozialar- beiter Info 1/73

Artikel als einer, der seit der Heimkampagne im dkollektivbewegung mitgemacht hat, in Mu'nchen ektiv mit aufgebaut und dort gearbeitet hat und

im Rahmen seiner beruflichen Arbeit die Gelegen- ren Studientagungen mit Kol lektivberatern aus der

seine eigenen Erfahrungen zu erweitern und zu

"die Erfahrungen der bisher bestehenden Kollek- und zu verallgemeinern". (s. 75). Dieser Anspruch

denn viele Kollektive haben aus ihren Erfahrungen

gezogen.

68

Ich kritisiere diesen Sommer 1969 die Jugen selbst ein Jugendkoll nun seit einiger Zeit heit hatte, auf mehre ganzen Bundesrepublik vertiefen.

Der Artikel gibt vor, tive zusammenzufassen ist nicht eingelbst, ganz andere Schlusse

1 Auf S. 26 heiBt es, daB sich die Berufung eines "Padagogischen Bei- ratT"~irip"feh1e. Eine solche~Empfehlung muB sehr fragwurdig kl ingen, we'nn man we l BY daB z.B. beim Jugendkol lektiv "Haxdorfer Steig" in Berlin der padagogische Beirat so feste Vorstellungen von "seinem" Kollektiv entwickelte, daB er die Kollektivberater kurzerhand hinaus- warf, als sie anfingen, anhand ihrer Praxiserfahrung und Diskussion mit anderen Projekten andere Vorstellungen von Kollektivberatung zu entwickeln.

2 es wird auf S. 26/27 empfohlen, die Kollektive liber Pflegesatze

zu "fTnanzieren, obwohl weiter unten eingesehen wird, daB dadurch kaum ^TrTA"nreiz zum Arbeiten gegeben ist und bei den Jugendlichen ein "Rent- nerdasein" gefbrdert wird. Die Diskussion auf den Kol lektivberaterta- qungen 1) hat demgegenliber ganz klar herausgebracht, daB man unbedingt auf Selbstfinanzierung der Jugendlichen dringen muB. Ein positives "lebendes" Beispiel ist hier das Berliner Jugendkollektiv "Mariannen- platz", wo die Jugendlichen einen festen Betrag fiir Miete und Essen in die'Kollektivkasse zahlen mussen, den Rest selbst behalten (kein Abfiihrzwang des Lehrlingskummerlohns! ) und die Jugendbehbrde nur die dadurch nicht gedeckten festen Kosten (Personal, Strom, Heizung etc.) Liberninmt. DaB ein gewisser Kostenanteil hier doch von den Behbrden Ubernommen wird, halten wir fiir vertretbar, weil die betroffenen Ju- gendlichen in einer besonderen Ausbeutungssituation stehen (1 .als Lohnarbeiter, 2. als Lehrlinge oder Ungelernte , 3. als Deklassierte) . Auf die anteilige Selbstfinanzierung und die Ablehnung der verruckten Pflegesatz-Pauschale ist unbedingt Wert zu legen, weil dies die Vor- aussetzung fiir Unabhangigkeit und Selbst'a'ndigkeit der Jugendli ...en ist^Q

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und gerade die finanzielle Abhangigkeit der Kollektive von den Pfle- gesatzen ein sta'ndiges Druckmittel der Behb'rden ist. Mir ist vol lig unverstandlich, wieso iiber dieses oft diskutierte zentrale Problem in dem Artikel einfach weggegangen wird und weiterhin die Finanzie- rung iiber Pflegesatze empfohlen wird. Es sind - wie das obige Beispiel zeigt - auch andere, bessere Regelungen mbglich und wenn Jugendkollek- tive in Zukunft noch eine Perspektive haben sollen, dann mu|3 gerade die Selbstfinanzierung durchgesetzt und die Pflegesatzpauschale be- kampft werden. Behbrdliche Finanzierungshilfen sind zu begrenzen auf bestimmte Festkosten, die den Jugendlichen nicht angelastet werden kon- nen und mbglichst in einmalige, verlorene Zuschiisse zu verwandeln.

3. Zur Frage der Koedukation wird nicht klar Stellung genommen. Wir miissen hier aber klar sagen, dab wir fur koedukative Kollektive sind und fiir sie kampfen (auch wenn es da Probleme gibt). Dieser Punkt ist auch deshalb wichtig, weil der Entzug sexueller Befriedigungsmbglich- keiten damit verkniipft ist. Hier miissen wir uns ebenfalls klar fUr das Recht der Jugendlichen auf ein normales Sexualleben einsetzen und al- les tun, urn den verdammten Kuppeleiparagraphen aus dem Weg zu raumen. Zum einen wird in einigen Kollektiven bereits Koedukation praktiziert, zum anderen dlirfen wir uns nicht darauf einlassen, so zu tun, als hat- ten die Jugendlichen keine sexuellen Bediirfnisse und Probleme. Ver- zicht auf Koedukation und fortschrittliche Sexualerziehung ware ein RUckschritt selbst hinter liberale Positionen.

4. Es wird behauptet, daB 2/3 aller Jugendlichen, die in bffentlicher Erziehung stehen, in Jugendkol lektiven untergebracht werden kdnnten , "daB also die Jugendkollektive eine echte Alternative zur Heimer- ziehung darstellen" (s. 27). uas ist die Illusion, die wir uns vor zwei Jahren alle gemacht haben. Inzwischen ist aber deutlich geworden, daB Jugendkollektive nicht "im Moment noch Model lcharakter haben" (S. 27), sondern in dieser Gesellschaft immer auf diesen Charakter beschrankt bleiben, daB sie nie massenhaft Heimerziehung ersetzen werden und deshalb auch keine "echte Alternative zur Heimerziehung" darstellen. Man lese dazu nur einmal die Reformplane der Heimerziehung (z.B. in

den fortschrittlichen Landern Hessen und Berlin). Von den offiziellen Stellen denkt niemand daran, die Erziehungsheime zugunsten von Ju- gendkol lektiven aufzulbsen. Jugendkollektive soil en vielmehr die Ab- lbsung vom Heim erleichtern und die Heime von "heimmUden" meist fast "entlassungsreifen" Jugendlichen entlasten. Vor allem aber sollen die Jugendkollektive als Feigenblatt der weiterhin brutalen Heimer- ziehung dienen und Progressivita't und Reformwillen der Jugendbehbrden dokumentieren. Jugendkollektive sind aber auch deswegen keine wirkli- che Alternative zur Heimerziehung, weil sie in den meisten Fa'llen nicht mit den Grundprinzipien der Heimerziehung brechen, die bei den

'""""'""■' - ' ■■-■■ ' -• - ' -■ ng pr0-

und mate-

... _ _ der Ju-

gendbenorde, wenn auch in etwas veranderter Form. Sie tradieren wei- ter die Stigmatisierung der Jugendlichen als Deklassierte und die Isolation von ihrem sozialen Lebenszusammenhang.

5. Auf 5. 28 heiBt es: "Aufnahmen kbnnen auf dem Verwaltungswege. Vor- schlag des LJA oder auf lipfehlung des (Irager-j Vereins (entwichene

FE-Zbglinge, Trebeganger) erf ol gen1.'. Ich meine dagegen. daB unsere Diskussicn gerade ergeben hat, daB man sich gegen so ein unspezifi- sches Aufnahmeverfahren wehren mu3. Mitarbeiter und Trager miissen da- rauf achten, daB sie nicht irgendwelche "la'stigen" Jugendlichen aus dem Einzugsbereich des LJA zugewiesen bekommen, sondern miissen ver- suchen - etwa Liber die soziale Gruppenarbeit in einzelnen Bezirken - an Gruppen von Jugendlichen heranzukommen, die einen gemeinsamen Le- benszusammenhang in das Kollektiv mitbringen (d.h.z.B. Jugendliche aus einem Stadtteil, die sich schon vorher kennengelernt haben). Hier ist auch die konzeptionelle Bestimmung des Vereins fiir soziale Jugend- arbeit e.V. zu kritisieren, nach der Jugendliche, die noch nicht in bffentlicher Erziehung stehen, sondern nur davon bedroht sind, nicht in das Kollektiv aufgenommen werden kbnnen. Damit reproduziert man genau den Stigmatisierungsmechanismus der bffentlichen Erziehung und vermasselt sich die Chance, an organisch gewachsene CI iquen und Grup- pen von Jugendlichen heranzukommen, die gerade durch ihre Mischung von stark deklassierten, nicht deklassierten und deklassierungs-bedroh- ten Jugendlichen eine sinnvolle Ansatzmbglichkeit fiir eine Jugendkol- lektivarbeit bieten.

6. In der Frage des padagogi schen Personal s wird unter anderem die An- stellung einer Kochin empfohlen. Meiner Meinung nach widerspricht das der Intention der Selbstorganisation der Lebenspraxis , denn dazu ge- hbrt auch das Einkaufen, Kochen und Abwaschen. Sinnvoll ware hier hochstens die Absolvierung eines Kochkurses fiir die Kollektivmitglie- der. Ebenso wiirde ich die vorgeschlagene Arbeitsteilung zwischen Kol- lektivberater und Sozialarbeiter kritisieren. Hier wird besonders deut- lich, daB das Jugendkol lektiv nicht als politisches Lernfeld sondern gruppendynamisch konzipiert ist. Die Trennung von "AuSen" - und "In- nen"-Dienst (Gruppenprozesse - Arbeitsvermittlung, Jugendamtskontakte) macht es nicht mehr mbglich, gerade gruppendynamische Vorgange auf ihren materiellen Kern zuriickzufuhren und dadurch zu pol itisieren, Besonders Libel ist hier die Konzeption des "Au3en"-Beraters als Siin- denbock, der die Spannungen aus der Gruppe herausnehmen soil (S. 35). Das Herausnehmen der "leidigen Verwaltungsarbeit", aus der unmittel- baren Kol lektivpraxis bedeutet weiterhin die Verschleierung der tat- sachlichen materiellen Zwa'nge, mit denen heute ein Jugendkol lektiv zu kampfen hat und die Schaffung eines padagogi schen Schonraums , der sozusagen das Tageslicht nur gefiltert hereinla'Bt.

7 Die Frage der Aufsichtspfli nicht problematisiert, obwohl strument zu sehen ist. das den Aufseher macht und ihm dadurch gendlichen nimmt. Es muB desha daB die Aufsichtspflicht - sol den Beratern aufgehangt wird. ubernommen werden, urn den Bera evtl. auch eine echte Hilfs-Fu es soil niemand sagen, daB das Steig) wird es bereits seit 2

cht der Kollektivberater wird Uberhaupt gerade hierin e1n gesetzliches Tn- Kollektivberater zum Kontrolleur und jede Chance echter "Beratung" der Ju- lb besonders darauf gedrungen werden, ange sie besteht - nicht unmi ttelbar Sie sollte vielmehr vom Tragerverein ter juristisch zu entlasten. Hier lage nktion des padagogischen Beirats. Und nicht ginge, denn in Berlin (Maxdorfer Jahren so praktiziert.

8. Ebenfalls nicht problematisiert wird die Supervision. Selbstver- standi ich kann Supervision eine sehr positive l-unktion fiir ein Jugend- ( \

72

kollektiv haben, namlich dann, wenn der Supervisor nicht nur gruppen- dynamisch erfahren, sondern auch beziiglich der sozialen und politi- schen Problematik von JWK auf der Hone ist. Man sollte aber wenigstens klarmachen, daB die normale Supervision sich meistens auf einer rein sozialpsychologischen Ebene bewegt und auBerdem auch als Kontrolle und Aufsicht flir die Kollektivberater konzipiert ist. Ober die Person des Supervisors kann man also die Entwicklungsrichtung eines Jugend- kollektivs ganz schbn manipulieren. Es ist immerhin zu bedenken, daB diese Chance evtl . ausgenlitzt wird.

9. Unverstandlich ist, wieso der Verein Soziale Ougendarbeit e.V.

das Jugendschutzgesetz zum Bestandteil seiner Konzeption macht (S. 34). Jeder progressive Sozialarbeiter wei 13, daB dieses Gesetz eins der reak- tionarsten Jugendgesetze der BRD darstellt, ein Relikt der Verhiitungs- padagogik des vorigen Jahrhunderts, das einen wirklichen Schutz der Jugend eher verhindert als ermbglicht. Leider ist dieses Gesetz immer noch gliltig; seine Geltung braucht aber deshalb nicht durch die Her- einnahme in eine Jugendkollektiv-Konzeption betont zu werden.

10. In der Frage des Entwicklungsberichts geht aus der Konzeption nicht hervor, ob die Jugendlichen diesen tiericht einsehen und korrigieren konnen oder nicht. Das ist aber ein wichtiger Punkt, urn das obrigkeit- liche Verhaltnis zwischen Jugendbehbrde und betroffenen Jugendlichen abzubauen; ubrigens ein Punkt, der in der Diskussion langst geklart

ist.

Materi alien zum Thema "Jugendkol lektive"

11. In der Frage der vollen Integration der Berater in die Wohngemein- schaft nimmt die Konzeption des Vereins Soziale Jugendarbeit" eine ambivalente Haltung ein. Einerseits sollen ein Praktikant und ein Sozialpa'dagoge mit den Jugendlichen voll zusammenleben und wohnen, andererseits soil der Sozialarbeiter "von auBen" beraten. Die Diskus- sionen um dieses Wohnproblem haben flir mich immer wieder gezeigt, daB eine voile Integration des Beraters in das Jugendkollektiv sehr pro- blematisch ist. Zum einen wird dadurch eine scheinbare Gleichheit von Erzieher und "Zogling" suggeriert, zum anderen wird dadurch die Gruppe extrem Berater-abhangig und zum dritten wird der Berater durch diese totale Erziehungssituation liberfordert , er braucht Ausgleich Entspan- nung, einen Privatbereich auBerhalb des Jugendkollektivs, in dem er seinen Interessen adaquat nachgehen kann. Aufopferung flir das Kollek- tiv signalisiert eine gefahrl iche caritative Grundhaltung und fuhrt liber kurz oder lang zu tiefen persbnlichen Krisen des Beraters. Die einzig senkrechte Ldsung schien uns die Beratung von auSen.

12. Beziiglich des padagogischen Ziels ist zu fragen, ob individuelle Selbstandigkeit das Ziel sein kann, das wir mit Jugendkol lektiven ver- folgen. Dieses Ziel verfolgt und erreicht die normale Heimerziehung^ mit mehr oder weniger Erfolg auch. Uns geht es doch gerade darum, die Jugendlichen zur solidarischen Lebensbewaltigung zu befahigen und ihnen die politischen Dimensionen ihrer Probleme aufzuzeigen.

Glinter Steinvorth Ffm.

1) s.dazu: Reader-Jugendwohnkol lektive, Material ienreihe der Victor- Go! lancz-Stiftung, Frankfurt, Nr. 5 u. 6

- Drechsel , Joh. Martin, 8561 Osternohe

"Mdglichkeiten der antiautoritaren Erziehung von Verhaltensgestbrten, Jugendkollektiv in Miinchen - ein Versuch"

- Flath, Werner, 851 Fiirth, LessingstraBe 4

"Jugendkommunen als Alternative zur bffentlichen Erziehung in Heimen"

- Jung, Thomas, 4 Dusseldorf, LindenbergstraBe 41

"Aspekte zur Entstehung, Entwicklung und sozialpadagogischen Funktion der Jugendkommunen"

- Karen GLinther, 4 Dusseldorf, Graul ingerstraBe 7 b "Padagogische und politische Erfahrungen mit der Jugendwohngemein- schaft "Haus Mahnert" der Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband Diisseldorf- Mettmann"

- Karges, Rosemarie/Heppner, Ualdemar, 6 Frankfurt/M. , Niddaforum 1 "Zum Problem der Selbstorganisation proletarischer Jugendlicher - dargestellt am Beispiel eines gescheiterten Wohnkollektivs mit Lehr- lingen und Jungarbeitern"

- Radhofer, Ulrike/Dreier, Hartmut, 463 Bochum, Kohlenstr. 219 b "Zum Problem der Wohnkol lektive ehemaliger Fursorgezbglinge - als Kritik an den Institutionen und Arbeitsmethoden in der Jugendflirsor- ge - erweiterte Rezension des Buches "AusschuB"

- Weltermann, Gregor, 484 Rheda, Pixeler StraBe 12 "Sozialisation im Rahmen einer Jugendkommune"

- Sozialpolitischer Arbeitskreis Konstanz (SPAK), 755 Konstanz, Neuhauser StraBe 12 (SPAK-Wohngemeinschaft)

"Die Wohngemeinschaft als Mbglichkeit der Resozial isierung; Versuch der Einfuhrung psychologischer Determinanten. (Ein Model 1)

Seminararbeit:

Almut Kunze, 6232 Bad Soden, AlleestraBe 6

"Problem der Resozialisierung jugendlicher Strafgefangener, dargestellt

am Beispiel der Wohngemeinschaft der GieBener "Aktion - Junge Menschen

in Not".

Arbeiten zum Thema Jugendkollektive, die in Bearbeitung sind:

- Kristiane Weber, 78 Freiburg, KreuzkopfstraBe 6

- Stefan Erni, CH-4057, Basel/Schweiz, FlorastraBe 44

73

- Elisabeth Knb'pp, 6 Frankfurt am Main, HermannstraBe 8

- Jens Harms, 34 Gottingen, Karolinenweg 35

- Johannes Sumser, 7815 Burg-Hb'fen, Glitleackerstr. 1

- Werner Knappe, 775 Konstanz, Neuhauser Str. 12, SPAK-Wohngem.

- Brigitte Schmidt, 46 Dortmund, Dresdener Str. 43

- Ursula Schmidt-Gliitzer, 6 Frankfurt - 90, Landgrafenstr. 24 Seitenbau

aus Kollektiv-Info Nr. 5/6 1973

Hinweise zu Materialien aus der Sozialarbeit

RICHTUNGSKKMPFE IN DER SPD

Hansgeorg Conert :

Die politischen Grundrichtungen

innerhalb der deutschen

Sozialdemokratie

vor dem Ersten Weltkrieg

1. Erfahrungsbericht der Projektgruppe Erwachsenenarbeit (Obdachlosen- arbeit) AG Herbertzstra3e, Hajo Kbppen, 415 Krefeld, Moerser Str. 154

2. Diskus 70, Gefangenenzeitung in der JVA Bremen-Oslebsh. , Sonnemann Str. 2

3. Bericht und Materialien aus der Drogenberatungsstelle, 437 Marl, Lipper Weg 7-9

4. Seminar Kind und Erziehung in der heutigen Gesellschaft Praxisbericht aus der Erwachsenenbildung 1972

Werner Gorischk, 1 Berlin 44, Jonasstr, 44

5.Bedingungen und Hdglichkeiten sozialistischer Jugendfreizeitgestal- tung in behdrdlichen Freizeitheimen, Praxisbericht aus einem Jugendfreizeitheim Rainer Steffen, 1 Berlin 51, Ragazerstr. 47

6. Dokumentation zum Konflikt padagogischer Mitarbeiter - Jugendso- zialwerk in einem Heim in Neumunster / Konzeption fur eine padagogi- sche Praxis in Heimen

Annegret LaB, 2351 Neu-Bokhorst, Kleinbonum

7. Materialien der AG Spak, 8 Miinchen 2, Kobellstr. 12

8. Materialien zur Sozialarbeit/Sozialpadagogik Nr. 2 Berufspraktikum / 4 SVI, 56 Wuppertal, Friedrich Engels Allee 154 a

11o Seiten, broschiert, DM 5,

Verlag 2ooo GmbH, 6o5 Offenbach h, Postfach 591

Mit der Broschiirenreihe RICHTUNGSKAMPFE IN DER SPD sollen die Richtungen in der deutschen Sozialdemokratie analytisch dargestellt und politisch eingeschatzt werden. Die erste Brosehiire beschreibt die politischen Grundrichtungen innerhalb der SPD vor dem Ersten Weltkrieg. Weitere Veroffentlichungen sind iiber die Zeitraume Erster Weltkrieg bis 19^+5 und Hachkriegszeit geplant. Neben den historischen Darstellungen sind in dieser Reihe jedoch insbesondere aktuelle Hefte vorgesehen, in denen die Richtungsauseinandersetzungen in der heutigen SPD und deren Stellenwert fiir die Rekonstruktion einer neuen sozialistischen Bewegung in der BRD untersucht werden sollen. Die Hefte werden jeweils in der vom Sozialistischen Biiro herausgegebenen Zeitung "links" und in dem zweimal jahrlich erscheinen- den Verlagsprospekt des Verlag 2ooo GmbH angekundigt.

SOLIDARITKTSERKLARUNG

Hessische Sozialarbeiter ein einphasiges Studium!

und Sozialpadagogikstudenten kampfen fiir

Die bisher geubte Praxis der Sozialarbeiter:Sozialpadagogenausbildung sieht eine Trennung zwischen 6 semestn'ger Ausbildung mit einem an- schlieBenden Praxisjahr vor. Wahrend des Studiums wird der dringend notwendige Praxisbezug trotz eingeschobener Praktika kaum hergestellt, wahrend des Praktikantenjahres wiederum ist eine theoretische Reflexion der Praxiserfahrung nur vb'llig unzureichend moglich. Von der Ziel- vorstellung, die spateren Adressaten der Sozialarbeit/Padagogik in das kapitalistische System zu integrieren und sie im Sinne dieses Sy- stems "funktionsfahig" zu machen, sind die Lehrinhalte an unserer Fach- hochschule gepragt. Dabei besteht ein unlibersichtliches Konglomerat von Fachern , die weder grundlegend behandelt werden noch aufeinan- der abgestimmt sind. Das ganze wird in einem 6semestrigen Kurzstudium durchgezogen. Die Lehrinhalte sind von jedem wissenschaftlichen An- spruch weit entfernt. Im "Anerkennungsjahr" oder den "Praxissemestern" werden die Studenten als billige Arbeitskrafte eingesetzt. Die fehlen- de Qualitat der Ausbildung wird ersetzt durch die "christliche Nach- stenliebe" und das Berufsethos mittelalterlicher Armenhilfe, eingehlillt in ein neues "soziales", "wissenschaftl iches" Mantelchen.

Diesem Mangel sind sich die Studenten in den letzten Jahren immer starker bewuBt geworden. Auf ihre Initiative hin wurde an einigen hes- sischen Fachhochschulen mit projektorientierten Studiengangen begon- nen. Diese Versuche ziehlten daraufhin, bestehende Berufsfelder schon wahrend des Studiums besser kennenzulernen und kritisch zu durchleuch- ten und neue Berufsfelder und Arbeitsmoglichkeiten zu entwickeln. Die Tatsache, daB theoretisches Studium und Praxisjahr voneinander los- gelbst sind, hemrnt diese Bestrebungen. Deshalb sind fortschrittl iche Studenten und Dozenten fur ein einphasiges Studium, indem Theorie und Praxis eine Einheit bilden. Der Kultusminister jedoch hat andere Vor- stellungen. Er will das ohnehin unzureichende 6semestrige Kurzzeitstu- dium festschreiben und die beiden anschlieBenden Praxissemester vol 1 - standig aus der Kompetenz der FHS auslagern. Die sich an die Praxis- semester anschlieBende Prufung, die zur staatlichen Anerkennung fu'h- ren soil, soil nicht mehr durch die Fachhochschule abgenommen werden, sondern anschlieBend durch die "Arbeitgeber" , das Sozialministerium, bzw. die Anstellungstrager. Nicht mehr die fachliche Qua 1 if i kati on , sondern die "Qberprijfung der person! ichen Eignung vor Obernahme in das endgliltige Angestelltenverhaltnis" soil Kriterium der Prufung sein.

Angesichts der sich haufenden Berufsverbote gegen fortschrittliche f Q Kra^te im dffentl ichen Dienst angesichts der Nichtweiterbeschafti-

gung aktiver Jugendvertreter nach AbschluB ihrer Lehre, ist zu beflirch- ten, daB mit der Ubertragung der Prlifungskompetenz an die Arbeitgaber einer neuen Form von Berufsverboten Tiir und Tor gebffnet wird.

Der ASTA (Allgemeiner StudentenausschuB) DER FHS FFM FORDERT ALLE AUF, DIE AN EINER QUALIFIZIERTEN SA/P - AUSBILDUNG IM INTERESSE DER ARBEI- TENDEN BEVULKERUNG INTERESSIERT SIND, SICH MIT DEN FORDERUNGEN DER STUDENTEN ZU SOLIDARISIEREN:

- Gegen die Ausgliederung des Berufspraktikums

- Flir ein einphasiges Studium ohne Zwischenprufung

- Fur freie politische und gewerkschaftliche Betatigung in Ausbildung und Beruf

- Gegen verscharfte Staatsaufsicht

- Keine Kontrolle der Prufung durch die "Arbeitgeber" - gleichberech- tigte Mitbestimmung aller Hochschulangehcirigen und Gewerkschaften bei alien Studienangelegenheiten!

Schickt Eure Sol idaritatsadressen an: Aktionskol lektiv FHS

Traudel Schlenker, 6 Ffm., Lortzingstr. 30

Zum Beruf spraktikum soil im nachsten Info ein grdBerer Beitrag folgen.

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Kleinanzeigen

Strafgefangenenarbeit FHS-Studentin arbeitet mit Strafgefangenen und sucht Kontakt zu Einzelnen und Gruppen, die in diesem Bereich arbei- ten und mit den&n sie Liber Probleme diskutieren kann. Heidi Goldberg, 4816 Senneshedt, Drosselweg 137.

Strafgefangenenarbeit Wir suchen dringend Kontakt - besonders im Raum Hannover - die sich mit dem Theraenkreis "Kriminalita't und Gesellschafts- struktur beschaftigen und die praktische Erfahrungen in der Arbeit mit Strafgefangenen haben. Kontaktadresse: Jutta Haering, 3055 Loccum, Wiedensahlerstr. 16.

Sozialarbeiter gesucht Jugendkollektiv fiir strafentlassene Jugendliche in Munchen sucht friihstmbglich Sozialarbeiter/Sozialpadagogen (in) mit Gruppenerfahrung. Bezahlung nach BAT 4b. Zuschriften an: Gesellschafts- politische Projekte e.V., 8 Munchen 19, Birkerstr. 19.

Mitarbeiter gesucht fur eine Gruppe mit 7 Kindern (FEH), Raum Aachen,

Kinderwohnheim Aachen, 51 Aachen,

suchen wir al Hbrnhang 10.

Sept. 1973 Mitarbeiter.

Lan-

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Ausschreibung Die Sozialistische Ougend Deutschlands "Die Falken" desverband Hamburg, sucht zur sofortigen oder spateren Einstellung einen Bildungsreferenten fiir die padagogische und politische Bildungsarbeit des Verbandes.

Voraussetzung ist die Ausbildung als Sozialarbeiter oder Sozialpadago- ge (Fachhochschul- oder Universitatsabschlu|3) . Bezahlung nach BAT 4 b. Bewerbungen sind zu richten an: Sozialistische Jugend Deutschlands "Die Falken", 2 Hamburg 1, Kurt-Schumacher-Allee 10.

Material gesucht Suche dringend Material liber Arbeit mit sogenannten randstandigen Jugendlichen ("Rocker, Verwahrloste und Verhaltensge- stbrte"), Jugendzentren und Jugendclubs. Unterlagen, Berichte und Kontaktanschriften an: Herbert Effinger, 2 HH 1 , Repsoldstr. 49 IV.

Material gesucht zur Analyse zur Situation in Berufsfeldern:Berufs- praxis. Problem der Organisierung von Sozialarbeit. AK Berufsperspek- tive Sozialpadagogik, Mathias Wolff, 74 Tubingen, Bebenhauserstr. 17

Projektstudium ASta der FHS, 67 Ludwigshafen, Ecke Max/Kaiser-Wilhelm- str. sucht Arbeitsmaterialien zum Projektstudium.

Berufsperspektive Arbeitskreis "Berufsperspektive" Uni Tlibingen sucht Kontakt zu fortschrittlichen Sozialarbeitern und Studenten. Kontaktadresse: K. Seifert, 785 Lbrrach, Grabenstr. 18

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1.

rzieher Itschrift

Zeitschrift vonErziehern f Or Erzieherfn Beruf u. Ausbildung

Die Zeitschrift versteht sich als Forum von Praktikern fiir Praktiker, wo hin und wieder mal Theoretiker das Sagen haben. Hier sind wir schon beim Kern der Sache: diese Zeitschrift stent und fallt mit der Bereitschaft ihrer Leser, Korrespondenzen und Beitrage - vor allem aus dem Heimalltag - zu schreiben, Diese Zeitschrift kann und soil dazu beitragen, daS die Kollegen durch sich selbst erkennen, dafi der padagogische MiBerfolg nicht ihr personliches, individuelles Versa- gen ist. Ein weiterer Zweck unserer Zeitschrift, als Zeitschrift der betroffenen Autoren und Leser, muB es sein, klarzumachen , daB fiir die desolate Heimsituation nicht der Zufall verantwortlich ist oder die Unfahigkeit der Senatsbiirokratie, sondern daB diese Situation und deren Entwicklung zwangslaufig in ihrem gesantgesel lschaftlichen Zu- sammenhang zu sehen ist. In diesem Sinne sollen Model le der Verbes- serung vorgestellt und diskutiert werden. Erfahrungen sollen verall- gemeinert werden, wie man die Lage der Heimkinder und -jugendlichen hier und .heute verbessern kann. Dabei wird immer klarer werden, woran Verbesserungen scheitern und welche Schritte zwangslaufig bei einiger Konsequenz daraus abgeleitet werden miissen. Weiter wird es Sinn die- ser Zeitschrift sein, Erkenntnisse zu verallgemeinern und alien zu- ganglich zu machen, die abstrakte Tatsache, daS Eim'gkeit stark macht, deutlich und konkret werden zu lassen. Mancher Biirokratensumpf wird sich gefallen lassen miissen, seine schillernden Farben hier wiederzu- finden - riicksichtslos. Die Verquickung von Parteien, Gewerkschafts- biirokraten und Verwaltung wird aus dem intimen Dammerlicht der Abspra- che an den Tag gebracht werden. Wenn diese Zeitschrift ein Mittel sein soil, die Inkenntnis voneinander aufzuheben sowie die Isolierung und das individuelle Austragen von Konflikten, wenn dadurch also - zusatzlich zur fachlich lebendigen Diskussion - solidarisches Ver- halten moglich werden soil, dann miissen wir uns beteiligen. Unsere Probleme sollen hier abgehandelt und ihre Wendung hier besprochen werden; wir haben die gleichen Probleme - wir miissen sie gemeinsam Ibsen.

Die hez erscheint monatlich. 1/2 Jahr kostet DM 9,60 im voraus. Kiindigung 1 Monat vor Ablauf, sonst VerlSngerung un den gleicher Zeitraum.

F.infach Postkarte an: hez/D. Tartsch(Hrsg.) 1 8erlin 61, Urbanstr Postscheckkonto Berlin West Nr. 358636-109

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